Daniela Dahn

In guter Verfassung

Wieviel Kritik braucht die Demokratie? 

Mit einem dokumentarischen Lehrstück von Detlev Lücke 

 

1999  (*1949)   173 Seiten

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Heinrichs Demokratiemanifest (2005) 

Inhalt

1  In guter Verfassung — Wieviel Kritik braucht die Demokratie?   (7) 
    Irritationsspur  s009     s034   s050  

2   Wer hat Angst vor Daniela Dahn?   (73)     Von Detlev Lücke 

3  Dokumentation   (87-173)  

rororo aktuell # Herausgegeben von Frank Strickstrock  #  Originalausgabe
1999 by Rowohlt Taschenbuch Verlag  #  Lektorat: Rüdiger Dammann  
Karikaturen von Harald Kretzschmar  # Umschlag: S. Heeder / Ph. Starke 
ISBN 3-499-22709-6

"Eine Verfassung enthält Grundrechte, die den einzelnen gegenüber dem Staat schützen. Dagegen kann kein einzelner etwas haben. Aber der Staat dreht den Spieß gern um, indem er so tut, als sei die von ihm geschaffene Verfassungs­wirklichkeit die Verfassung selbst, die wiederum vor den Bürgern zu schützen wäre. Der Begriff des Verfassungs­feindes ist nichts als eine ideologische Disziplinierungs­keule.

Die Diskussion um Verfassungs­treue ist eine Phantom­diskussion, die vergessen machen soll, daß Machtfragen zu stellen nicht verboten ist." 

 

(d-2004:) 

Wirklich ein schönes Buch zum Verständnis der, unserer, Demokratie (Staatswirklichkeit). Mit 'eingebauter' kleiner Verfassungs­geschichte.

 

 

Zu diesem Buch

Wie geht die neue deutsche Republik mit ihren kritischen Köpfen um? Was geschieht ihnen, wenn sie nicht auf intellektuellen Spielwiesen verharren, sondern mitgestalten wollen, gar in die Nähe eines Amtes innerhalb des Systems staatlicher Gewalten­teilung kommen? Sie geraten ins Kampfgetümmel politischer Postenhuberei und journalistischer Zitierkartelle: Sie fallen der politischen Öffentlichkeit anheim. Und die verlangt Anpassung, nicht Abweichung. Wer sich zu weit vom Zeitgeist entfernt, wird schnell zum Sündenbock gestempelt und als «Feind» stilisiert.

Eine derart aggressive Erstarrung wirft kein gutes Bild auf die innere Verfaßtheit unserer Gesellschaft. Wir sind in keiner guten Verfassung, obwohl wir eine gute Verfassung haben. Diesem Widerspruch spürt Daniela Dahn nach: Eine Streitschrift über die real existierenden Freiheiten von Andersdenkenden und damit über den Zustand unserer Demokratie.

In einem zweiten Teil des Bandes bereitet Detlev Lücke, Chefredakteur der in Berlin erscheinenden Wochenzeitung Freitag, den «Fall Dahn» als dokumentarisches Lehrstück auf. Es wird gezeigt, wie sich die heftige und teils demagogisch geführte Debatte um die Kandidatur Dahns zur ehrenamtlichen Richterin am brandenburgischen Verfassungsgericht zu einer polarisierenden «Medienschlacht» entwickeln konnte, in der die Wirklichkeit von Anbeginn eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat.

Daniela Dahn, geboren 1949 in Berlin, Journalistikstudium in Leipzig, danach Fernsehjournalistin. Seit ihrer Kündigung 1981 arbeitet sie als freie Autorin. Gründungsmitglied des «Demokratischen Aufbruchs», Mitglied des P.E.N. seit 1991. Mehrere Gastdozenturen in den USA. Buchveröffentlichungen u.a.: «Spitzenzeit» (1983), «Prenzlauer Berg-Tour» (1987), «Wir bleiben hier oder Wem gehört der Osten» (rororo aktuell 1994), «Westwärts und nicht vergessen» (Rowohlt, Berlin 1996), «Vertreibung ins Paradies» (rororo aktuell 1998).

Detlev Lücke, geboren 1942 in Magdeburg, aufgewachsen in Berlin; Studium der Altphilologie und Kunstgeschichte; Kulturredakteur bei der Nachrichtenagentur ADN, ab 1979 Kulturkritiker beim Sonntag. Seit 1990 bei der Wochenzeitung Freitag tätig, heute als Chefredakteur. 

 

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Es gibt verfassungspatriotische Gründe, gegen den Kapitalismus zu sein. Mal sehen, ob diese Binsen­weisheit auszusprechen genügt, um gleich wieder der Häresie angeklagt und als Jeanne d'Arc des Ostens belächelt oder gebrandmarkt zu werden.

Die heilige Johanna gehörte in meinen Vorstellungen lange nach Chicago, in die Schlachthöfe und Spelunken. Eine leibhaftige Begegnung mit der richtigen hatte ich endlich — wo schon — in Paris. Alexandre, ein Luxemburger Germanist, hatte seine Pariser Studentenbude behalten, nicht zuletzt, um minderbemittelten Freunden eine gelegentliche Bleibe anbieten zu können. Sie lag an der Place des Pyramides, vornehm hoch drei, genau da, wo der Louvre in den Tuileriengarten übergeht. Rue de Rivoli — was für eine Adresse. Das Kämmerchen mit den schrägen Wänden, ganz oben unterm Dach, war allerdings nur über den Dienstbotenaufzug zu erreichen. Keine Küche, ein kleines Waschbecken mit kaltem Wasser, Toilette auf dem Gang. Aber, was für ein Luxus, statt eines Fensters eine Glastür mit einem winzigen Balkon davor.

Ganz oben unter der Regenrinne hing eine Art Gummisack, in den man Wasser füllen konnte, um dann im Schutze der Nacht unter freiem Sternenhimmel zu duschen. Ich fing das kostbare, von der Sonne vorgewärmte Naß in einer Schüssel auf, ein Fußbad mit Blick auf den angestrahlten Louvre sollte krönender Abschluß des Tages sein.

Übermütig nahm ich schließlich die Schüssel, holte Schwung, zielte mit dem Wasser auf das goldene Reiterstandbild da unten auf dem Platz, das nun fast zu meinen (gebadeten) Füßen stand, und konnte mir einbilden, getroffen zu haben. Für den nächsten Morgen nahm ich mir vor, nachzuschauen, welch edlem Ritter ich diesen nächtlichen Schreck versetzt hatte.

Es war, man ahnt es schon, Jeanne d'Arc. Blickte sie nicht noch ein wenig verstört? Nur für die Eingeweihte. Für die Ahnungslosen war die Banner schwingende Güldene zwar zierlich, aber gerade deshalb um so kühner, mutiger, zwar gerüstet, aber um so kämpferischer, unangreifbarer. Viel Ruhm, viel Glück?

Die Geschichte war doch wohl dunkler. Zeitgenössischen Berichten zu folge ist Johanna 1429, im Alter von siebzehn Jahren, inneren Summen folgend, aufgebrochen, um Karl VII. in seinem Kampf gegen die englischen Besatzer zu unterstützen. Nach anfänglichen Zweifeln ließ Karl sie gewähren. Als erstes befreite sie Orleans. Karl, von ihren militärischen Erfolgen beeindruckte ließ sich überreden, unter ihrem Schutz durch besetzte Gebiete nach Reims zu ziehen und sich dort zum König von Frankreich krönen zu lassen. Mit ihrer Unbedingtheit hatte Johanna die Grundlage für die Entstehung eines französischen Nationalstaates gelegt. In mehreren Feldzügen kämpfte sie weiter siegreich für den König.

Aber der Angriff auf Paris scheiterte. Manche sagen, französische Soldaten, die ihr die Erfolge neideten, hätten ihr den Fluchtweg versperrt. Andere wollen wissen, daß sie durch Verrat des Adels, der ein Anwachsen der Volksbewegung fürchtete, in die Hände der mit den Engländern verbündeten Burgunder fiel.

Schon damals war es üblich, daß Gefangene freigekauft wurden. Johanna wäre freigelassen worden, wenn König Karl Lösegeld bezahlt hätte. Doch der zeigte keine Dankbarkeit. So wurde die Jungfrau im November 1430 der Inquisition übergeben. Überliefert ist der Satz eines Schlossers, der ausgesagt hat, er habe einen eisernen Käfig geschmiedet, zu niedrig, als daß sie darin hätte stehen können, «in dem sie aufrecht gehalten wurde, am Hals, an den Händen und an den Füßen gebunden».

Vier Monate später begann die Gerichtsverhandlung, ohne Verteidigung unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Kirche erhob in siebzig Punkten Anklage, die von Zauberei bis zum Stehlen eines Pferdes reichten. Gelehrte und Theologen der Pariser Universität verklagten sie schließlich als Häretikerin, als Ketzerin, als Hexe. Sie sollte widerrufen. Jeanne d'Arc lehnte ab und starb in den Flammen eines Scheiterhaufens. Erst 500 Jahre später wurde sie von der katholischen Kirche nebbich heilig gesprochen.

Als die Frankfurter Rundschau 1) vor drei Jahren erstmals behauptet, ich würde «Jeanne d'Arc des Ostgefühls» genannt, war mir mulmig. Als die taz dann aber im Herbst vorigen Jahres mit einem mehrseitigen Porträt in vorauseilender Begeisterung quasi meine Heiligsprechung vollzog,2) da war mir klar, daß ich den Scheiterhaufen schnellstmöglich würde nachzuholen haben ... 

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1)  Das Gespräch, Frankfurter Rundschau  30.9.96,  S. B 12
2)  «Stimme des Ostens — Die heilige Daniela aus Ostberlin», taz  1.11.98, Magazin,  S. I bis III

 

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