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8. Die Übergangs-Krisis an der Jahrtausendwende

 

 

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Zur Herausarbeitung des Antlitzes der Kultur des 21. Jahrhunderts ist eine Skizze des Hintergrund­schattens notwendig, aus dem die neue Kulturgesinnung sich heraushebt und von dem sie sich abhebt. Dieser Schatten zeigt sich, sobald man ins Auge faßt: wo kulminiert die gegenwärtige allgemeine Kulturtendenz?

Sie setzt sich aus einer Anzahl von Einzeltendenzen zusammen, die sich letztlich unter der Obermacht des Materialismus subsummieren. Wo kulminiert die Generaltendenz, der Materialismus? — Offenbar dort, wo alle wahrlich überzeugt sind, daß die materielle Welt die volle, ganze und einzige Wirklichkeit ist, und wo alle sich mit dieser Überzeugung abgefunden haben. — Es ist schon beinahe soweit. Es scheint schon beinahe soweit. Wer die materialistische Grundanschauung bestreitet, hat keine Aussicht mehr, ernstgenommen zu werden. Man läßt ihm allenfalls noch die Narrenfreiheit eines «Nostalgikers».

Eine immanente Tendenz im Materialismus ist der Atheismus. Er kulminiert offenbar dort, wo jedermann überzeugt ist, daß «es Gott nicht gibt». Oder daß unsichtbare Wesenheiten, wohlmeinende, böse, gleichviel, nicht existieren.

Konsequenz des kulminierenden Atheismus und Materialismus ist offenbar, daß die Menschen sich auf diese Überzeugungen einrichten, nämlich daß sie diejenigen Interessen, Gedanken, Gefühle, Willensantriebe, die sie früher der transzendenten Gottheit, der einen, oder den vielen göttlichen Personen, zugewendet haben, nunmehr irgendwelchen sichtbaren «charismatischen» Personen zugutekommen lassen.

Wir haben derartige Kulminationen bereits gesehen, gewissermaßen präliminarisch, mit Gestalten wie Mussolini, Hitler, Stalin. 

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Andere Charismatiker, meist mit kleinerer, einige mit noch größerer Reichweite sind ihnen vorausgegangen und gefolgt. Die Katastrophen der Mussolini und Hitler haben einen heilsamen Schock bewirkt, der zwei bis drei Jahrzehnte anhielt. Über das Wesen des Charisma-Phänomens wurde indessen nur wenig nachgedacht, so werden die Schock-Nachwirkungen in Bälde verblaßt sein, worauf das wundertätige Charisma seinen Zauber wieder spielen lassen wird. 

Da Rußland auch Asiaten beherrscht, die vom Wesen des Charisma mehr zu verstehen pflegen, ergaben sich gelegentlich naive Klarheiten. In den tibetisch beeinflußten, buddhistischen Gebieten des russisch beherrschten Innerasien wurde Stalin den Leuten als «Bodhisattva» präsentiert. «Bodhisattva» heißt in jenen Ländern soviel wie «inkarnierter Gott». Lamaistische Mönche erhoben lauten Protest, dadurch erfuhr man in Europa davon.

In Europa selbst blieben die Dinge mehr ungesprochen, doch waren die Gedanken die gleichen. «Führer, befiehl, wir folgen dir!» Dieses und andere Worte deutscher Schande besagten geistige Abdankung vor der «höheren» Intelligenz, die dieser «Führer» den Leuten zu repräsentieren schien. Der deutsche Abgrund war das Resultat.

Abgrund wird immer wieder das Resultat der Anbetung charismatischer Personen sein. Gleichwohl wird sich solche Anbetung wiederholen, solange es Atheismus gibt. Die Charismatiker ersetzen eben die Götter. Die ganz «Großen» sind Ersatz für «Gott».

Ebenso wird die Illusion eines «Paradieses auf Erden» immer wieder die Völker ins Unglück stürzen, solange die Religion des Materialismus herrscht. - Das «Paradies auf Erden» existiert in den Köpfen in zwei Departements, das eine mit technischem «Fortschritt», das andere mit soziologischem Maschinenpark angefüllt. Es führt in den nunmehr allbekannten Umwelt­zerstörungs-Abgrund und in die Stupidität der Gewalttäter-«Soziologie». Vielmehr in die Stupidität des Wohlfahrts­empfänger-Staates. Die Baader-Meinhof-Leute sagten, sie hätten nur «ernstgemacht» mit dem, was die Soziologen theoretisch lehren. Es stimmt, so unlogisch es ist.

Es ist ganz klar, wo all dies kulminiert. Man kann das Bild der Mittagshöhe des Materialismus mit wenigen, evidenten Strichen skizzieren. Es kulminiert dort, wo einer auftritt, der die insgesamte Charismatik auf sich konzentriert, wie einst der Monotheos - «Gott» - alle Verehrung auf sich zog. Und es vollbringt dieser kommende Mono-Charismatiker die Kulmination dadurch, daß er das «Paradies auf Erden» nicht nur verspricht, sondern verwirklicht.

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Um dies zu können, muß dem Manne mehr Intelligenz zur Verfügung sein, als die Mussolini, Hitler, Stalin und andere hatten, die schließlich doch nur simple Menschen, wie die Natur sie schuf und ausstattete, waren. Um das Paradies auf Erden zu verwirklichen, braucht «der kommende Mann» übermenschliche Intelligenz, die aber die Natur nicht in einer menschlichen Person veranlagt.

Mit anderen Worten, es braucht dazu einen Menschen mit technologisch, chemisch aufbereiteten «Genen». Einen Homunculus.

Der kommende welthistorische Homunculus wird jedoch nicht wie der im «Faust» in der Retorte geboren werden, sondern gleich dem fortgeschrittenen von Hamerling, durch Einpraktizierung von künstlichem Spermapräparat «in den Mutterschoß der Gattin eines armen Dorfschulmeisters», wie Hamerling mit grimmiger Laune phantasiert.

 wikipedia  Robert_Hamerling  1830-1889

Robert Hamerling hat sein «Modernes Epos» vom «Homunculus» (erschienen 1887) nicht nur phantasiert, sondern sich mit den Evidenzen sachlich auseinandergesetzt. Einiges ist ihm zu echter, heute bereits erfüllter Prophetie geraten.

Einige der Kapitel­überschriften geben einen hübschen Begriff von den würdigen Pflichten des biochemisch gezeugten Über-Menschen, des Homunculus: «Der Billionär (weil er so gescheit ist, macht er sich in kurzer Frist zur ersten Geldmacht dieses Erdenrunds) - Eldorado - Die Affenschule - <Messias> im neuen Israel - Sein oder Nichtsein (<Alles muß vernichtet werden> u. dgl.) - Ende ohne Ende (Erfindung auf Erfindung, u. a. <Computer, künstliches Wetter, Vergnügungsmittel in der Art von Haschisch, aber bei weitem verbessert, Weltraumschiff, Fahrt ins Nichts>).»

Das Werk erregte Aufsehen, als «Kriegserklärung des Idealismus gegen den materialistischen Zeitgeist, welchen der Dichter in seiner ganzen erschreckenden Hohlheit entlarvt» (Rabenlechner, der Herausgeber von Hamerlings Werken, im 9. Bd., im Vorwort zu «Homunculus»).

Hamerlings «Homunculus» ist indessen nur eine groteske Satire. Die «erschreckende Hohlheit des materialistischen Zeitgeistes» und seiner famosen Angebote, vom Computer bis zum Weltraumschiff und vom «Alles muß vernichtet werden» bis zur «Fahrt ins Nichts», es war damals alles noch nicht ernstliche Wirklichkeit und wirkliche Drohung, wie heute. Noch nicht 100 Jahre ist es her, daß es alles noch nicht war.

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Heute ist es auch mit dem vermittels künstlichen Spermas produzierten Manne bereits ernst. Von Zeit zu Zeit laufen durch die Zeitungen lancierte Nachrichten, daß «in England, in Amerika» eine Miß oder Mrs. Soundso sich habe Chemikalien applizieren lassen, um dadurch zu einem «Sohn» zu kommen. Es ist auffällig, daß diese Nachrichten immer aus angelsächsischen Ländern stammen. Ist es, daß nur dort sich Frauen finden, die sich alles natürlichen Instinkts entkleidet haben? Oder ist es vielmehr, weil dort die zügellose Phantasie der Wissenschaftler über besonders zügellose Experimentiermöglichkeiten verfügt?

Über Homunculus-Geburten stand bisher nichts zu lesen. Vielleicht mißlang es bisher noch. Vielleicht gelang Verheimlichung. Eines Tages wird jedenfalls der Unfug gelingen. Dann gnade uns Gott.

Seit das Vorstehende geschrieben wurde — 1975 — gibt es Retortenbabies und tausenderlei Unfug, den man mit ihnen treibt. Die Menschheit speit sich selbst an und merkt es nicht. Es gibt einen «Studenten-Pfarrer» an einer mitteleuropäischen Universität, der das nackte Grauen dieser Verbrechen von der Menschheit und am Menschen in öffentlichen Veranstaltungen verteidigt und gutheißt. Wo leben wir? In der Hölle? (Zusatz 1985). 

Nur wenige Jahre später als Hamerling hat der russische Philosoph Wladimir Solovjoff den kommenden «großen Mann» mit allem Ernst prophezeit und geschildert, in seiner «Kurzen Erzählung vom Antichrist», die er Ostern 1900, kurz vor seinem Tode, herausgab. An einen Freund hatte er 1897 geschrieben:

«Es ist etwas im Tun, einer ist im Kommen. Du errätst, wer dieser eine ist, den ich meine: der Antichrist. Das nahende Weltende weht mich an, als ein ganz bestimmter und doch ungreifbarer Hauch in der Luft, so wie ein Wanderer die Seeluft bereits fühlt, bevor die See selbst ihm in Sicht kommt.»

Solovjoff setzt diesen «Antichrist» im 21. Jahrhundert an. Vielleicht sieht ihn das Ende des 20. bereits kommen, das frühe 21. bereits gehen.

Solovjoff beschreibt ihn bildhaft als eine unheimliche Art von Genie, unter dem Signum: «der kommende Mann». Dieser steigt aus obskuren Verhältnissen und väterlicherseits ungeklärter Herkunft zu höchster Machtposition auf, man macht ihn schließlich zum Weltimperator.

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Er verhindert einen drohenden Weltkrieg, er verkündet die Gleichheit des allgemeinen Sattseins, er läßt sich zum neuen Welterlöser, zum Anti-Christus, ausrufen. Allen gibt er, was sie wollen, alles gelingt ihm, er eilt von Erfolg zu Erfolg. Die ganze Menschheit hängt sich ihm an, auch die christlichen Kirchen. Die Juden sehen ihn für ihren langerwarteten Messias an. Einzig eine Handvoll Christen macht sich zu Nonkonformisten, opponiert. Diese ziehen «zum Sinai». In die Wüste. — Dann auf einmal ereignet sich ein Umschwung. Die Juden erkennen den «Messias» als Betrüger, sie stehen auf gegen ihn. Fürchterliche Metzeleien sind des Weltkaisers und «Friedensfürsten» Antwort. Er scheint wieder zu obsiegen. — Da verschlingt ihn die Erde.

Diese Skizze Solovjoffs (sie ist hier auf die allergröbsten Umrißlinien reduziert) ist eine Wiedergabe altchristlicher Prophe­zeiungen vom Antichrist, die in den (soeben referierten) Hauptlinien sämtlich übereinstimmen, vor allem in dem allerwichtigsten, dem Schluß. Dieser besagt: Die Menschheit hat nicht die Macht, um mit diesem Phänomen von einem Menschen fertig zu werden. Niemand kann ihn besiegen. Nur wenn «die Erde ihn verschlingt», werden wir ihn wieder los.

Das Tegernseer «Spiel vom Antichrist» sieht das Zukunftsphänomen von dem Blickpunkt, den das Mittelalter erlaubte. Hamerling sah es vom mitteleuropäischen, Solovjoff vom russischen Blickwinkel des späten 19. Jahrhunderts aus. Heute, im vorgerückten 20. Jahrhundert und in der bereits allgemein im Gespräch befindlichen Katastrophennähe ergibt sich wieder ein neuer Gesichts­winkel. In knappster Skizzierung etwa der folgende:

Mit dem fortschreitenden 20. Jahrhundert führt der immer unumschränkter herrschende Materialismus sowohl die technologische als die soziologische Kultur in immer gefährlichere Zustände. Die Schädigung der gesamten Umwelt — Vergiftung und Degeneration, Denaturierung der Nahrung von Mensch und Tier. Vergiftung der Luft, des Wassers, der Flüsse und Meere, selbst der Ozeane, und weitgehende Vergiftung der höheren Atmosphäre durch radioaktive Wolken u.a. —, es wird sich gegen Ende des Jahrhunderts alles nicht mehr bestreiten und vertuschen lassen, sondern zeigt sich als weltweite Tatsache und begegnet auf allen Gassen, fordert täglich neue «Unfall»-Opfer.

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Auch wird die allgemeine soziale Unzufriedenheit, die bereits jetzt herrscht, aber sich ihrer selbst noch nicht klar ist und darum noch gehemmt werden kann, eine bestimmte Richtung eingeschlagen haben und zur nicht mehr aufzuhaltenden ungestümen Bewegung geworden sein, speziell in Gestalt der bereits früher beschriebenen «Jugendbewegungen», nämlich Feindschafts­bewegungen gegen die älteren Generationen, nicht «weil sie älter» sind, (wie die im Grunde harmlosen Jugend­bewegungen bisher sich selbst zu begründen pflegten), sondern weil die Älteren für die nun jedermann sichtbare Zerstörung der Umwelt verantwortlich gemacht werden.

Andererseits macht auch das materialistische Denken wichtige weitere Fortschritte. Manche behaupten bereits heute, daß die durch die technologisierte Industrie bewirkten Umweltschädigungen nur ein Effekt der «noch nicht ihren Kinderschuhen entwachsenen» technologischen und konsumistischen Kultur seien. Man werde die chemischen und atomaren Techniken so sehr verbessern, daß sie «umweltsauber» arbeiten, und man werde auch die bereits verursachten Schäden durch fortgeschrittenere Technik wiedergutmachen. (Und auch den während mindestens 500 Jahren gefährlich virulent bleibenden Atomabfall-Sondermüll in unschädliche Komposthaufen umzaubern).

Es klingt schön. Doch da das materialistische Denken immer nur eine Wegrichtung kennt, ist vorauszusehen, wie die Praxis aussehen wird. 

In der Medizin z.B. kennt man bereits heute immer mehr nur das antibiotische Denken: um eine Krankheit zu besiegen, seien die Krankheitserreger zu töten. Der massive Giftangriff gegen die Bakterien schädigt auch die biotischen Eigenkräfte des Patienten, aber wenn er die antibiotische Kur überlebt, d.h. wenn die Bakterien ein klein wenig früher abstarben als der Patient, gewinnt dieser eine begrenzte Lebenschance, die er immerhin sonst nicht gehabt hätte. Pferdekur in verzweifelten Fällen. Als Durchschnittsmethode ist es Verstoß gegen den altüberlieferten medizinischen Grundsatz «Nil nocere»: «Nicht zugleich Schaden zufügen!» Vom Altüberlieferten hält die materialistische Medizin jedoch nichts. 

Die «orthodoxen» Ärzte von heute pflegen den Grundsatz zu vertreten, daß es Medizin erst seit dem 20. Jahrhundert gebe. «Was vorher war, war noch keine «Medizin», kann man von Ärzten allen Ernstes hören.

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Der materialistische Mißbrauch der Medizin

 

Was vermag die antibiotisch denkende materialistische Medizin in all den Fällen zu tun, die noch nicht lebensgefährliche Notfälle toxischen Pharmaka reduzieren. Ist das nichts?

Es führt zu dem bereits oft in der Presse zu lesenden Zustand, daß zwar die durchschnittliche Lebenserwartung heute höher, aber auch die durchschnittliche Erwartung körperlicher Leiden und Insuffizienzen bedeutend höher ist als ehemals. Denn auch die reduzierten Dosen toxischer Medikamente schädigen, zumal wenn sie chronisch anzuwenden sind. Zu deutsch: alle leben länger; alle leidend.

Ein zweites, was die orthodox-materialistische Medizin in Fällen von noch nicht lebensgefährlicher Krankheit empfiehlt, ist, keine nichtorthodoxen, nichttoxischen Heilmittel, weder überlieferte noch die im 20. Jahrhundert entwickelten, anzuwenden. 

Und um die Patienten vor der Anwendung solcher nichtschädigender, heilender Heilmittel zu schützen, betreibt die materialistische Medizin die Einführung von Gesetzen, die solche Heilmittel verbieten und unter Bestrafung stellen. Man sieht, warum. Wenn es diese Konkurrenz-Medizin nicht mehr gibt, kann man sagen: «Es gibt nur die Antibiotik, alles andere ist Humbug». Die Herstellung von Übermacht und Monopolisierung der materialistischen Medizin ist die Voraussetzung zur Einführung und Anwendung der Psychopharmaka in der Volksschule, welche nötig ist, um den Sieg des Materialismus zu vollenden.

Die Medizin und die Mediziner tragen zur Zeit eine welthistorische Verantwortung, um die sie niemand beneiden wird.

Das gleiche einlinige, «antibiotische» Denken, dessen der Materialismus allein fähig ist, bestimmt z.B. die Bekämpfung der landwirtschaftlichen Schädlinge durch Giftchemie: «Töten, vergiften, was da lebt und mir wegfrißt, auch auf Gefahr hin, daß ich mir meine eigene Nahrung vergifte.»

Hier ist längst nicht mehr die Rede von einer Beschränkung auf verzweifelte Fälle, vielmehr wird jedesmal und auf der Stelle zur Giftdüse gegriffen, so oft sich etwas rührt, was mitfrißt. Die Mitvergiftung der nützlichen Umgebung nimmt man in Kauf, mit Behauptung, «es sei alles nicht so schlimm». Das DDT wird zuweilen für entsetzlich schädlich erklärt und verboten, dann wieder als «relativ harmlos» etikettiert und rehabilitiert.

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So geht es weiter, dem Jahrhundertende entgegen. Dem Termin entgegen, der nach gewissen Prognosen die Umweltzerstörung «irreversibel» gemacht haben wird, «falls nicht beizeiten eine Umkehr stattfand», wie der Club of Rome in seinem Communique vom November 1974 und Carters «Global 2000» um 1980 sich formulierte.

Die Insekten haben die interessante Fähigkeit, daß sie sich an das Gift, womit man sie vernichtet, gewöhnen und in kurzer Zeit mit diesem Gifte bestens gedeihen. Diesem Phänomen gegenüber weiß die materialistische Schädlingsbekämpfung nichts anderes, als die Dosis und die Stärke des Gifts zu steigern, sowie die Gift-Art zu ändern. Man nennt es verhüllend: «die chemische Zusammensetzung des Gifts variieren», woraufhin die Insekten wieder ein paar Insektengenerationen brauchen, um sich dem neuen Gifte zu adaptieren. Doch sie schaffen es immer wieder, unfehlbar. Man spricht in dieser Beziehung heute von einer «Abwehrreaktion der Art». Schwer begreiflich, was das Wort Art hier besagen soll. Denn dem materialistischen Denken ist «die Art» doch nur ein «nomen» — eine Klassifikation. 

Früher sagte man darwinistisch, es handle sich um zufälliges Überleben einiger zufällig dem Kampf ums Dasein besser gewachsener Individuen, und man beschwor «sehr lange Zeiträume», um die vielen «Zufälle» zu erklären. An diese darwinistischen Phantasien glauben heute schon die Naivsten nicht mehr. Man sagt daher nun, es gebe eine «Abwehrreaktion der Art», ohne darum, wie es logisch notwendig wäre, zuzugeben, daß es «die Art» gibt. 

In diesen Anpassungen ist offensichtlich Intelligenz am Werke. Man gibt dies zu und spricht von «Information», ohne doch, wie es logisch notwendig wäre, zuzugeben, daß es Information nicht gibt ohne einen sich auf sie verstehenden Informierenden («Programmierer»). Die auf den Darwinismus heute gefolgte «kybernetische» Weltanschauung leidet daran, daß Norbert Wiener die Philosophie geringschätzte, aber sich in Philosophie versuchte. Hieran krankt unter anderem die weltanschauliche Grundlage fast aller heutigen «Umweltschutzbewegung». Denn diese kennt die eigentlich schutzwürdigen Objekte nicht.

Andererseits findet die heutige Umweltschutzbewegung sich gehandicapt an einem Punkte, der mit technologischem und weltanschaulichem Umweltschutz nichts zu tun hat — am Gelde. Die Techniker behaupten, sie könnten absolut umweltfreundlich produzieren, nur würden dann die Produkte um ein Vielfaches teurer und somit unrentabel werden. Ausbeutung der Umwelt, weil es zu teuer wäre, sie pfleglich zu behandeln.

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Genau das gleiche sagten die Unternehmer des 19. Jahrhunderts gegenüber dem Vorwurf, daß sie ihre Arbeiter ausbeuteten: «Würden wir den Arbeitern menschenwürdigere Löhne zahlen, so wären wir alle binnen kurzem bankrott.»

Diese Narrheit ist heute überwunden. Die Arbeiter leben zur Zeit in Wohlstand und von eben diesem Wohlstand, der die Arbeiter zu Konsumenten gemacht hat, leben heute auch die Unternehmer.

Ebenso ließe sich die Ausbeutung der Natur durch wirtschaftliche Vernunft überwinden. Ebenso falsch wie die einstige Behauptung, es sei «unökonomisch, die Arbeiter anständig zu entlöhnen», ebenso verstiegen ist der Irrsinn der heutigen Naturaus­beutung auf Gefahr hin, daß sogar heute bereits lebende jüngere Generationen es in ihren späteren Lebensjahren durch bitterliche Armut werden büßen müssen.

Jedoch, das materialistische Denken vermag es nicht anders, weil es nur in seine, nur in eine Richtung zu denken vermag, in die Richtung des Abbaues. Dennoch wird dieses Denken versuchen, mit den Problemen fertig zu werden, die sich ihm unübersteiglich stellen. Folgendes sind die Möglichkeiten, die ihm in der Kulminationskrise bleiben: Die umweltfreundliche Industrieproduktion, die von den Wirtschaftsfachleuten für nicht rentabel erklärt wird, sie wird durch überragende Staatsmacht dekretiert und durch polizeiliche und andere Kontrollorgane rigoros durchgeführt werden.

Den hierfür nötigen Machtapparat aufzubauen, und ein diesem willig gehorchendes Volk zu erzeugen, stößt im gegenwärtigen Geschichtsaugenblick noch auf die Schwierigkeit, daß die Leute sich ihrer autonomen Existenz bewußt geworden sind und diese als Anspruch auf Respektierung des Menschen und jedes Menschen, als Anspruch auf «Menschenrechte» interpretieren. Daher stehen dem Aufbau einer unwiderstehlichen Macht die individualisierten Meinungen entgegen, die bei jedem Versuch zur Macht-Ballung sich immer wieder in mindestens zwei, drei unvereinbare Gruppen sammeln.

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Der Materialismus hat infolgedessen nur eine Möglichkeit, nur eine Chance, um die Umweltzerstörung und die davon ausgelöste soziale Krisis zu überspielen. Nur wenn es ihm gelingt, Antibiotika gegen die individuelle Meinungsbildung zu entwickeln und wirksam einzusetzen, kann die aus den Konsequenzen des Materialismus erfließende Umweltzerstörung samt allgemeiner Rebellion vom Materialismus selbst verhindert werden.

Denn eine Ballung der Gesamtmacht der Menschheit ist nur möglich, wenn die individuelle Meinungsbildung, jedes Selbstdenken der einzelnen, absolut abgetötet werden kann. Die dadurch entstehende riesige amorphe globale Macht kann dann einerseits zur Hemmung der Umwelt-Ausbeutung durch oktroyierte wirtschaftliche Vernunft und andererseits auch zur Brechung der sozialen Probleme benutzt werden. Vielmehr die Widerstände zerfallen von selbst in Staub, sobald es keine individuelle Meinungsbildung mehr gibt.

 

Die Zerstörung der individuellen Meinungsbildung 

 

Zweierlei Möglichkeiten von «Antibiotika» gegen die individuelle Meinungsbildung gibt es, nämlich durch direkte psychologische Ein-Wirkung, durch «Massenmedia» im weitesten Sinn des Wortes, und durch Psychopharmaka. Wirksame Kombination beider potenziert die Wirkung. Hierfür bietet sich bestens die allgemeine Schule mit ihrer wehrlosen Kinderbevölkerung von kommenden Generationen.

Zerstörung der individuellen Meinungsbildung wird z.B. erreicht, wenn den Leuten eine bestimmte Meinung so geschickt einmanipuliert wird, daß sie alle glauben, sie hätten die Sache selbst erdacht. 

Zum Beispiel ist heute das grimmig komische Phänomen zu beobachten, daß ganze kompakte Massen von jungen Menschen gegen «Manipulierung» vom Leder ziehen und nicht merken, daß sie und von wem sie zu eben diesem Windmühlenkampf manipuliert werden.

Eine interessante Erscheinung ist unter den passionierten Fernsehern zu bemerken. Diese lesen gewöhnlich keine Zeitungen mehr. Sie bekommen ja «die Nachrichten» im Fernsehen. Und nicht wenige sagen: «In den Zeitungen sind die Nachrichten manipuliert, ich sehe mir an der Quelle an, was passiert.»  

Ohne vor lauter Naivität zu merken, daß die Fernsehquelle (in Europa) doch in einer, in staatlicher Hand, also weit mehr manipuliert ist als die Zeitungen, deren es doch immer wenigstens zwei gegeneinander opponierende Arten zu geben pflegt.

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Als drittes braucht es dann noch das Kunststück der wirksamen weltweiten Anwendung der Verdummungen — pardon, Gehorsams­erzeugungen — nein; Meinungs-Antibiotik.

Hierfür wurden in den dreißiger bis fünfziger Jahren, und auch seither, zahlreiche Hauptproben abgehalten. Denn die Methode des Hauptkunststücks ist eben die charismatische Person. Das Kunststück selbst aber besteht darin, einen Charismatiker aufzustellen, der seinerseits keine individuelle Meinung hat und dadurch denen sehr gefällt, die ihrerseits keine mehr haben.

Einen Menschen ganz ohne eigene Meinung gibt es eigentlich nicht. Der «aus dem Willen eines Mannes Gezeugte» ist nie nur Spiegel der Meinungen anderer, sondern ist Ich und denkt selbst, und sei es noch so wenig. Darum wird es für jenen «Kommenden Mann», der alle unter einen Hut bringen soll, notwendig sein, daß er nicht durch lebendiges Mannes-Sperma gezeugt ward, sondern durch eine Art von «antibiotischem» Pharmakon, das in das mütterliche Organ, es verletzend, eindringt, wie natürlicherweise das lebendige Sperma es verletzt.

Einer, der dieser üblen «schwarzen Ehe» entsprang, wird zwei Eigenschaften zeigen, die ihn behindern. Er wird es schwer haben, das Wörtchen «ich» richtig anzuwenden, und infolgedessen in Rede und Schrift sich einen Stil erdenken, der es ihm erlaubt, das Wörtchen möglichst nie zu gebrauchen. Dieser Stil wird vielen Leuten als «bewundernswürdige Objektivität» vorkommen. — Das andere ist, daß ein solcher absolut unfähig ist, seine Gewohnheiten zu ändern. Er nimmt bereits in der Jugend zahlreiche feste Gewohnheiten an, die er dann nie mehr ändert, und sobald äußere Verhältnisse ihn an der Ausführung dieser oder jener Gewohnheit hindern, stürzt es ihn in nervöse Zustände, macht ihn sowohl hintersinnig als reizbar und cholerisch.

Von diesen zwei Hemmeigenschaften abgesehen, stellt jedoch ein solcher Mensch das absolute Ideal der materialistischen Vorstellung vom Menschen dar. Sein Gehirn wirkt computerartig, es nimmt alles auf, verarbeitet mit enormer Schnelligkeit und löst spielend die komplexesten Probleme. Von Leidenschaften wird er nicht geplagt, so vermag er seine ganze Kraft auf seine intellektuellen Aufgaben zu konzentrieren.

Diese sind, zusammengefaßt: Wie werden die vom materialistisch-egoistischen Denken verschuldete Umweltzerstörung und die soziale Katastrophe durch materialistisch-eogistisches Denken gehemmt, zum Stillstand gebracht, um dadurch die Umwelt und die Menschheit zu «retten». Etwa wie wenn einer einen, der an dem Aste sägt, auf dem er sitzt, «rettet», indem er ihn beredet, doch lieber den Stamm des Baumes, da dieser erst etwas später brechen wird, anzusägen.

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