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3.  Der Flop Ökomodernisierung

Ferst-2002

 

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Zunächst muß man nach den Grundlagen der gewöhnlichen Umweltpolitik und der Strategie der Ökologiebewegung fragen, wie wir sie heute vorfinden. Da streitet man um Grenzwerte und Richtlinien. Irgendwo ist es auch mehr als gut, wenn das Trinkwasser, Babynahrung usw. nicht durch europäisches Recht wieder stärker mit Pestiziden belastet sein dürfen als bisher. 

Es hat Sinn, den Ausbau der Havel als Schiffahrtsweg nach westlichem Vorbild zu verhindern. Die inzwischen regelmäßigen Überflutungen - insbesondere des Rheins - zeigen die Spitzen ungebremster Begradigungswut, ganz zu schweigen von der Zerstörung anliegender Biotope.

Um das "Stelzenmonster" Transrapid als Spielzeug pubertärer Politiker stand es nicht besser. So mußte der einstige Verkehrs­minister der CDU zudem noch mit gedopten Daten arbeiten, damit sich dieser Spleen dann finanzpolitisch rechnete.29 Auch in China wird der Zug nicht ohne deutsche Subventionen fahren.

Der medienwirksame Boykott des arroganten Konzernmultis Shell wegen der beabsichtigten Versenkung der Ölplattform "Brent Spar" und der weltweite Protest gegen die Wiederaufnahme der Atomtests auf dem Mururoa-Atoll im Südpazifik durch den französischen Präsidenten Chirac markieren aber auch sehr deutlich eine strukturelle Sackgasse. 

Natürlich darf der bewußtheits­bildende Effekt keineswegs unterschätzt werden, auch wenn der eigentliche Rumpf des ganzen Dilemmas nicht aufsteigt und so über das Ausmaß der Gesamtkrise durch die Fixierung auf das jeweilige Symptom eben auch hinweggetäuscht wird.

Als in Lüchow-Dannenberg und anderswo gegen die Castor-Transporte mit Atommüll ins Zwischenlager Gorleben demonstriert wurde, mag sich die Initiative zunächst vordergründig auf ein Gegen reduziert haben. Sicher wäre es günstig gewesen, zugleich für die solaren Alternativen Flagge zu zeigen. So oder so mußte der unverfrorenen Arroganz von Regierung und Atomlobby ein deutliches Stoppzeichen gesetzt werden. Es war ungemein wichtig bei der Skandal­technologie Kernkraft, die massen­psycho­logischen Fundamente für das Aus zu legen.

Aber selbst wenn die Proteste auf die Frage nach den alternativen Energien übergegriffen hätten, der Kontakt mit dem Rumpf, mit der tödlichen Grundlast unserer Industriegesellschaft, kommt nicht zustande. Die verschiedenen Schadstoffeinträge, die Last an Energieverbrauch, an Beton, Stahl und anderer Infra­struktur pro Quadratkilometer greift das "Immunsystem" unserer jetzigen biosphärischen Gleichgewichte an, und es kann dann nicht mehr ausreichen, gegen eine hochgefährliche Risikotechnologie zu demonstrieren.

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Allerdings würde es die Sicht auf den hier nur als Beispiel angeführten Atomwiderstand verengen, wollte man nur dieses Ungenügen ausmachen. Wenn bei Bauer Wiese zur Verpflegung der Aktivistinnen vegetarische Kost zubereitet wird, so kommen durch diese beinahe nebensächliche Sache Hinweise für andere Fragen hoch. Die nach außen unsichtbaren vielfältigen Kontakte, die hier zwischen den Menschen entstehen können, sind auf die Richtung hin gar nicht so festgelegt, wie es der äußere Anlaß erscheinen lassen mag. 

Dazu kommt noch: 

Menschen, die sich möglicherweise ohne die direkte Betroffenheit gar nicht engagieren würden, sind in diesen Sog mit hineingezogen. Man und frau kommt im direkten Umkreis im Wendland gar nicht umhin, sich mit der Atomfracht auseinanderzusetzen. Jeder dritte oder vierte Wegweiser, Hauptstraßenschilder u.a. wurden zuweilen so dekoriert, daß es unmöglich war, sich nicht seine eigene Meinung zu bilden. An vielen Häusern vor Ort wird signalisiert: Hier wohnen Atomkraftgegner.

Diese Gedanken zu Gorleben, um zu erläutern, warum es Sinn macht, manches zu differenzieren. Klar sein sollte allerdings: So annehmbar umweltbewegte Erfolge in dieser weit fortführbaren Kette von Konflikten sind, so verhindern sie nicht mehr die ungehinderte Ausbreitung der Metastasen der ökoglobalen Krankheit. Maximal können sie noch Beschleunigungs­faktoren für Krisenszenarien ausschalten oder abschwächen.

So zählt z.B. Peter Schott in seinem Buch <Die Chance Umweltpolitik> die verschiedenen Gefahrenfelder und die jeweiligen Alternativen auf, und es ist ganz zweifellos wichtig, von der Gentechnik bis zur Flächen­versiegelung über die ökologische Zerstörungskapazität der ökonomischen Globalisierung alles in Blick zu nehmen. Da lassen sich viele umwelt­schützerische Maßnahmen ergreifen. 

Dr. Peter Schott, *1950, bei detopia

Allein von daher, von diesen "Außenphänomenen" her, ist die ökologische Rettung jedoch ein aussichtsloses Unterfangen. 
Und dies in zweifacher Hinsicht. 

Einmal weil wir den Ballast der Technosphäre radikal zurück­bauen müssen, und wenn ich das so sage, dann bleibt selbstverständlich zu berück­sichtigen, der Supergau der Zivilisation kann uns auch über gentechnische Extravaganzen von Wissenschaftlern ereilen, inklusive der Profit- oder Prestige­interessen, die dabei massiv fördernd wirken mögen. Ohne Frage, der partielle Einschlag vermag schon schlimm genug sein, und es zählt jedes einzelne Opfer.

Der zweite Punkt ist, die ökologische Krise beherbergt in ihrer tiefsten ursächlichen Schicht eine geistige, eine innere Krise des Menschen, sicher verstrebt durch den sozial­geschichtlichen Werdegang industrie-kapitalistischer Entwicklung

Am Ende entscheidet sich auf der gesellschafts-psychologischen Ebene, ob es eine alternative Kultur geben wird oder nur ein ewiges Scheitern möglich ist. Auch von dorther muß die Umkehr gefaßt werden.

 

Nun gibt es viele Leute, die der Meinung sind, mit dem umweltschützenden Umbau der Industrie­gesell­schaft könne man die Sache noch deichseln. In der Politik läßt sich diese Argumentationsweise fast überall beobachten: mal offensiver — mal vornehm zurückhaltend — mal als verlogenes Alibi. Dieses Vorgehen insgesamt hat nur einen Pferdefuß: Sicher kann man durch Ökomodernisierung, nachträgliche Reparatur­maßnahmen und die effektivere Auslastung der wirtschaftlichen Kapazitäten den Kollaps oder schleichenden Tod noch hinauszögern. 

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Demgegenüber steigt aber extrem die Gefahr, durch das "umweltschützende Wirken" wird die nötige ökologische Wende aufgeschoben, durch den Zeit­verzug erhöht sich das lebenszerstörende Krisenpotential drastisch weiter, und die Risikozonen vermehren sich deutlich. Im vorherigen Abschnitt sahen wir besonders an den schlimmeren Ökozeitbomben: Immer ist eine beträchtliche Zeitspanne zwischen Verursachung und Wirkung im Spiel. Das sind riskante Jahre zum Verdrängen eigener Schuld. Der gewöhnliche Umweltschutz verschiebt in der Regel nur das Störpotential, macht die Gefährdung wieder unsichtbar, und die zunächst erreichte Besserung kann man als angenehm wahrnehmen. Dies betrifft viele Bereiche im vornehmlich technisch-infra­strukturellen Umweltschutz.

Das "Eins-Komma-fünf-Liter-Auto" verführt zwangsläufig dazu, Lösungen für eine Mobilität ohne Auto zu behindern, auch wenn es als über­brückende Notlösung für den Übergang denkbar scheint. Gar nicht wenige technische Neuerungen, die unter dem grünen Deckmantel daherkommen, sind neben ihrer partiellen Schutzfunktion noch mal ein Wachstumsschub für die tödliche Richtung. Der Industrialismus expandiert für die grüne Aufgabenstellung. So gehört der gewöhnliche Umweltschutz mit zu der Schlinge, die uns zu würgen droht.

Etwa der Schutz bedrohter Tierarten oder die Bewahrung von ursprünglichen Naturräumen dagegen ist eine wichtige Aufgabe, auf die man sich aber keineswegs beschränken darf, sonst bleibt es eine Beschäftigung in Sisyphusart. Die Zerschneidung von Landschaften durch Straßen, natur­schädigende Landwirtschaft, die Ausbeutung von Bodenschätzen sind wichtiger als der Erhalt vieler Biotope — all die Faktoren des Artensterbens kann man nicht losgelöst von der Gewalt der menschlichen Umwälzungskraft betrachten und daran vorbei angehen wollen. Das kann im Einzelfall glücken, wird aber die Liste der ausgestorbenen Arten, das tägliche Fortschreibenmüssen dieser Liste, nicht beenden können. Im Regenwald holt man nur nach, was in den reichen Ländern längst umgesetzt ist. Allerdings wächst der zu erheblichen Anteilen auf völlig unfruchtbaren Böden und wird sich nach einer großflächigen Brandrodung und nachfolgender kurzzeitiger Nutzung nicht mehr regenerieren. Der angerichtete Artentod läßt sich ohnehin nicht rückgängig machen.

Wolfram Ziegler rechnete aus: 

Allein unsere Spezies bringt es in der Bundesrepublik auf 150 kg Masse pro Hektar, hinzu kommen noch mal 300 kg an von uns ausgebeuteten Haustieren. Die ganze übrige Tierwelt erreicht nur 8 bis 8,5 kg pro Hektar auf der Waage. Außerdem lasten zwei Tonnen baulicher und technischer Struktur auf dieser Fläche. 

Wie soll innerhalb dieses Rahmens noch ein ökologisches Gleichgewicht möglich sein oder das Artensterben beendet werden?30

Nachhaltige Entwicklung, wie sie im Brundtlandbericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung oder im Bericht des Club of Rome zur ersten globalen Revolution favorisiert wird, mag einen Prozeß des Umdenkens befördern, gerade auch in Kreisen konservativen Selbstverständnisses. Das ist gut so.

detopia:  Wolfram Ziegler    Brundtland-Bericht   Al.Gore    Club-of-Rome

Nur die Reichweite kritischer Aufklärung über unsere Weltlage gründet sich noch zu sehr auf eine Wirtschafts­ordnung, die an sinkendem Brutto­sozial­produkt in die Brüche geht und deren asozialer Charakter dann voll zum Ausbruch kommt. 

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Begriffen ist außerdem nicht die Massenlast industrieller "Nebenwirkungen".

Im ersten Teil des Buches Wege zum Gleichgewicht beschreibt Al Gore recht präzise anhand der Symptome, wie eng wir in der Klemme stecken. Wenn es jedoch darum geht, den Zusammenhang zwischen den Fakten der zu erwartenden Naturzerstörung und der industriellen Ursache aufzuzeigen, beschränkt er sich wie viele andere Autoren darauf, die Verringerung der Emissionen von diesem und jenem zu benennen. Welche tiefgreifenden Konsequenzen das haben müßte, bleibt außen vor. Über konsequente Reduktions­quoten möchte man im Land der unbegrenzten Energie­verschwendung nicht nachdenken.

Al Gores bremsender Auftritt auf der Klimakonferenz in Kyoto zeigte, wie sehr im politischen Gefangensein Reformansätze schon im Anlauf erstarren. In seinem Buch bleibt die industrielle Grundlast, die letztlich untragbar ist, ausgeblendet. Insbesondere wenn man selbst mit großen Beschränkungen den Energie- und Materialverbrauch der Wohlstandsländer künftig für 8 bis 10 Milliarden Menschen hochrechnen wollte, zeigt sich die Aussichts­losigkeit partieller Eingriffe in die moderne Megamaschine. Es ist eben glatter Selbstbetrug, wenn E. U. v. Weizsäcker und die Lovins doppelten Wohlstand mit halbiertem Naturverbrauch zusammenbringen wollen. Immerhin räumen sie in ihrem Buch <Faktor vier> selbst ein, ihre Vorschläge können nur ein Zeitgewinn für die Menschheit sein, um nach tiefgreifenderen Lösungen zu suchen, die über rein technische hinausgehen.31

Der asiatische Wirtschaftsboom als Nachhut euroamerikanischer Fehlentwicklung könnte uns künftig das Genick brechen.

Etwa 20 Schwellenländer sind auf dem besten Weg, die Superindustrialisierung der Erde unumkehrbar zu machen. 

 

Generell wird der gewöhnliche Umweltschutz primär von den Interessen her definiert, die aus den sogenannten Errungenschaften unserer Überfluß­gesell­schaften resultieren. Das muß zwangsläufig auf ein am Wunschdenken orientiertes Verständnis des irdischen Naturhaushalts hinauslaufen. Dieser wird zu einer Angelegenheit, die man auch berücksichtigen muß. Als Ressort können alle diesbezüglichen Belange dann zum Anhängsel wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung degradiert werden. Die zentrale Frage vom emanzipatorischen Überleben des Menschen und der Schöpfung ist ausgeblendet.

So belegte das deutsche Umweltministerium unter der CDU-Ägide in den neunziger Jahren immer mehr eine nach außen gerichtete Propagandafunktion, die den umweltschützenden Fassadenschmuck salonfähig hielt, wobei das Rad der Kenntnis auch mal zurückgedreht oder die Kluft zwischen Wirklichkeit und Schein gekittet wurde. Grenzen des Wachstums gibt es offenkundig nicht, und das scheint unabhängig davon zu gelten, welche Partei das Amt gerade innehat. Die getätigten Schritte - selbst wenn sie in die richtige Richtung weisen - sind unendlich weit von einer ökologischen Rettungspolitik entfernt.

Manche Unternehmen preisen ungeniert ihre Produkte als "grüne Vorbilder" an, wenn es sich für die eigene Kasse eben auszahlt. So liegen Umweltschützer, die uns kosmetische Verschönerungen offerieren, durchaus in Konjunktur. Fragen nach den Untergründen sind ausgeblendet. 

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Jene aber, die auch an dem "alternativen" Fortschritt zweifeln, die unsere Wachstumsraten als generell abzustellendes Übel bezeichnen, können kaum hoffen, Zuspruch zu finden. Das paßt nun mal nicht in die gängigen Wahrnehmungsmuster. Man will sich noch ein wenig selbst betrügen.

Um das zivilisatorische Desaster noch offenkundiger zu belegen, ein paar weiterführende Zusammenhänge. 

Deutschland müßte flächenmäßig mindestens doppelt so groß sein, als es in Wirklichkeit ist, um all die Dinge anzubauen und zu produzieren, die in Deutsch­land konsumiert werden. So okkupiert es die Fläche und den Umweltraum anderer Länder.32 In der Studie <Zukunftsfähiges Deutschland> bilanziert man: 

"Würden alle derzeit 5,8 Milliarden Menschen so viel CO2-Emissionen verursachen wie der deutsche Durchschnitts­bürger, so lägen die weltweiten CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht — wie heute — bei 23 Milliarden, sondern bei 67 Milliarden Tonnen. Anders ausgedrückt: Wenn, wie die Klimaforschung heute annimmt, Ozeane und grüne Pflanzen jährlich etwa 13 Milliarden Tonnen CO2 einbinden können, dann brauchte die Menschheit schon heute fünf Planeten vom Typ Erde."33

Dabei ist anzumerken, auf die Pro-Kopf-Emissionen von Kohlendioxid muß man gegenüber den deutschen Verhältnissen in den USA noch mal über 60 Prozent aufschlagen. Wären die amerikanischen Verhältnisse der Ausgangspunkt, würden 7 oder 8 Planeten notwendig sein.

detopia: Vergleiche Planetenfilm von 2006

Die Studie <Zukunftsfähiges Deutschland> hält fest, in den reichen Ländern hätten wir bis 2050 90% des Treibhausgases CO2 zu reduzieren und ebenfalls um 90 Prozent den Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen. Dabei wird davon ausgegangen, in Ländern, wo elementar soziales Elend herrscht, muß zumindest soviel Entwicklungsraum sein, dieses zu beseitigen, ohne das westliche Entwicklungsmodell jedoch nachzubauen. Berücksichtigt werden muß auch das starke Bevölkerungswachstum in vielen "Dritte-Welt"-Staaten. Unterm Strich kommt man, global gesehen, auf eine Kohlen­dioxid­reduktion von 50 bis 60 Prozent. Nun ist die spannende Frage, wird das ausreichen?

Jeden Tag schicken wir um die 100 Millionen (108) Tonnen CO2 in die Atmosphäre, und was davon bis in die oberen Luftschichten gelangt, bleibt dort ungefähr 100 Jahre klimawirksam. Wir packen also auf die bestehende Last jedes Jahr noch ein Paket an Klimagasen drauf. Es ist wenig überzeugend, wenn wir nun in 50 Jahren erst nach und nach nur noch 40 bis 50 Millionen Tonnen CO2 jeden Tag in die Luft blasen, daß dies uns ökologische Stabilität garantieren könnte. Diese Sicht dürfte sich als sehr blauäugig herausstellen.

 

Bevölkerungswachstum

Seit dem Beginn der industriellen Revolution stieg das Bevölkerungswachstum immer steiler an. Während es in den reichen Industrieländern inzwischen kein Wachstum mehr gibt, teilweise sogar Rückgänge, wenngleich von hohem Niveau, so erklimmt die Zuwachskurve in anderen Weltteilen immer höhere Marken, auch wenn der Wachstumspegel inzwischen nicht mehr ganz so schnell nach oben steigt. Mit jeder neuen Sekunde leben drei Menschen mehr auf der Erde, alle Stunde sind es 10.000 mehr und im Jahr etwa 91 Millionen. Alle 10 ½ Monate kommt derzeit die Bevölkerungsmasse eines neuen Deutschland hinzu.34

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Zu Beginn der Zeitrechnung lebten etwa 250 Millionen Menschen auf der Erde. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges stieg die Zahl auf 500 Millionen Seelen. Eine weitere Verdopplung konnte bis 1850 registriert werden. Bereits 1930 wurde die Zwei-Milliarden-Grenze überschritten. Fünfzig Jahre später, also 1980, folgte die nächste Dopplung auf 4 Milliarden. Im Jahr 2000 bevölkerten den Erdenball über 6 Milliarden. Wenn man bedenkt, innerhalb von 20 Jahren ein Anstieg um mehr als 2 Milliarden Menschen, dies läuft auf eine Verdopplungsrate der Weltbevölkerung von knapp 40 Jahren hinaus. Die 10-Milliarden-Marke dürfte in wenigen Dekaden erreicht sein, trotz der Millionenopfer durch Unterernährung und Kriege. Dieses Wachstum spult so lange weiter, wie die Biosphäre mitspielt. 

Wenn wir dazu den industriellen Durchbruch der Schwellenländer einbeziehen und all die anderen bereits benannten Krisenfelder, dann kann sich jeder Laie an seinen zehn Fingern abzählen, daß die weltgesellschaftliche Entwicklung voll gegen die Wand gefahren wird. Der Kollaps ist programmiert.

 

Verschiedene Publikationen suggerieren den Eindruck, die Erschöpfung der Bodenschätze aller begrenzten Ressourcen überhaupt zögere sich weiter hinaus, als frühere Rechnungen etwa des <Club of Rome> vermuten ließen. Dabei wird gar nicht bedacht, daß die Industriestaaten in den Nachkriegsjahrzehnten die Vorräte gleich für Hunderte von Generationen im voraus verpraßten. 

Selbst wenn man eine hohe künftige Recyclingrate annimmt, dort wo sie wie etwa bei Metallen möglich ist. Herbert Gruhl weist jedoch darauf hin, Wunder sind dabei nicht zu erwarten. Bei Eisen rechnet man nach einer 25jährigen Gebrauchs­zeit mit einer Verwertbarkeit von 30% des ursprünglichen Materials, bei Aluminium sind es 48% und bei Kupfer 61%. 35)

Unter dem Blickwinkel gerechter Verteilung zwischen den heutigen und unzähligen künftigen Generationen würde eine 90prozentige Reduktion der nicht erneuerbaren Rohstoffbasis der Industriegesellschaft langfristig als völlig unzureichend erscheinen, zumal sie durch die nachholende Entwicklung in den Ländern des Südens teilweise aufgesogen wird. 

Aber auch ohne diese Sicht scheint manche allzu optimistisch bewertete Reichweite, z.B. die von Erdöl, unangebracht. Fast die Hälfte der bekannten Erdöl­reserven ist aufgebraucht. Der BP-Ölmulti rechnet noch mit 141 Milliarden Tonnen in der Erde. Bei einem jährlichen Verbrauch von 3,3 Milliarden Tonnen reichen die Reserven noch etwa 43 Jahre. 

Doch der Verbrauch wird nicht gleichbleiben. Wer Autos nach China verkauft, muß auch damit rechnen, daß sie Treibstoff verbrauchen. Und wenn deutsche Konzerne Spritsäufer exportieren, also antiquierte Technik — unweigerlich führt dies zu erhöhtem Weltverbrauch an Erdöl. Gleichbleibender Absatz ist also illusorisch. Vielleicht wäre dies erzielbar, wenn weltweit der Liter Benzin an den Fünf-Mark-Preis heranreichen würde, vielleicht aber auch nicht. Überdies, ohne Erdöl fallen ganze Industriesektoren in sich zusammen — wer wird da auf das schwarze Gold verzichten wollen? Nur äußerst hohe Ökosteuern könnten den Verbrauch abbremsen helfen.

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Die Rate neu aufgefundener Lagerstätten sinkt immer weiter ab. Derzeit sind es 680 Millionen Tonnen jährlich — ein Fünftel des Verbrauchs. Allerdings gibt es manche Unsicherheit im Bewerten der Reserven, weil interessen­bezogene Angaben im Umlauf sind. Höhere Reserven bedeuten auch höhere Produktions­quoten in der OPEC. Da kann manche Ölfördernation in der Absicht, höhere Einnahmen zu erwirtschaften, auf die Idee kommen, die eigenen Vorräte größer zu veranschlagen, als sie in Wirklichkeit sind. Zwischen 2010 und 2020 werden die Erdölfördermengen beginnen rückläufig zu werden. Das Angebot wird unter die Nachfrage sinken. Die Experten rechnen damit, dies dürfte sich zu einer gigantischen Energiekrise auswachsen, die aber nicht mehr wie 1973 behoben werden kann. Alle ist alle. Zwar kann man noch die Vorräte an Ölsänden nutzen, doch der Preis verdoppelt sich. Auch Ölschiefer wird noch abgebaut werden können. 36

Eine andere Alternative stellen Öl aus Raps, Ölpalmen u.a. Pflanzen dar. Unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Konstellationen führt dies insbesondere in den ärmeren Ländern dazu, daß statt dringend benötigter Lebensmittel Ölpflanzen für die bemittelteren Bürger dieser Welt angebaut werden. Der Deal wird heißen: Hungertote fürs Autofahren. Die Todesspirale läßt grüßen!

Noch einen weiteren Beleg dafür, warum die Technosphäre drastisch rückgebaut werden muß: 

Bei der Erzeugung von Elektroenergie läßt sich ein großer Teil der Klimagase durch eine solare Energiewende und Sparpotentiale bei effizienterem Umgang vermeiden. Ökologisch rentabler können selbstverständlich auch die Rohstoffe bis zum Fertigprodukt verarbeitet werden. Doch in vielen Bereichen lassen sich die Klimagase nicht verbannen. Bei der Herstellung von Metallen aller Art, von Glas, Beton oder auch Plaste bzw. anderen Folgeprodukten aus Erdöl wird bei den energetischen Umwandlungen Kohlendioxid unvermeidbar entstehen. Alle übrigen thermisch-industriellen Prozesse gehören dazu. Filter­techniken sind aussichtslos. Allein die Zementwerke setzen weltweit sieben Prozent der CO2-Gesamtmenge frei, und das bei einer jährlichen Zunahme der Weltproduktion von Zement um fünf Prozent.37

 

Ob der Heizungsbedarf gänzlich über solares Potential abgedeckt werden kann, ist einstweilen offen. Bisher zeichnet sich ab, daß dies zwar möglich ist, jedoch erheblichen Materialaufwand erfordert. In riesigen Unterwasserspeichern könnte im Sommer aufgefangene Wärme für Heizzwecke im Winter gespeichert werden. Darüber hinaus gibt es auch andere technische Lösungen, die einen weit geringeren Aufwand zur Folge haben, wo die Energie beinahe wie in einer Art überdimensionaler Batterie gespeichert wird.

Damit die Konzentration von Kohlendioxid in der Stratosphäre nicht weiter rapide zunimmt und auf dem bestehenden Niveau stabilisiert werden kann, wäre mit Beginn der 90er Jahre eine sofortige Reduktion der globalen Emissionen von 50 bis 80 % nötig gewesen, laut der <Klima-Enquete-Kommission> des Bundestages.38) Jeder kann sich mal in den nächsten Tagen zu Hause, auf der Arbeit und überall sonst umsehen, wo Metalle, Glas, Plaste, Gummi, Beton etc. benötigt werden, und was es heißen würde, nur noch näherungsweise ein Zehntel davon verwenden zu dürfen. Bedenkt man dazu, daß der größte Teil der Verkehrsströme eingestellt werden muß, so ist auch klar, daß man nicht mehr die Rohstoffe und andere Produkte aus aller Welt nach Deutschland karren kann.

Erdöl und Erdgas können dann nicht mehr aus Rußland kommen oder der Orangensaft aus Brasilien oder das Rindfleisch aus Argentinien. Man wird sich auf die Kapazitäten im eigenen Land konzentrieren müssen. Da es dann zu diversen Engpässen kommt, führt dies noch mal zu einem spezifischen Abbau von Konsum­möglichkeiten, von dem sich detailliertere Reduktionsquoten ableiten.

Fakt ist, jeden Tag, an dem unser selbstmörderisches System weiterläuft, stehen unterm Summenstrich weitere 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die unsere Atmosphäre aus dem Gleichgewicht bringen.

Und wären es nur 30.000 Tonnen, so brauchten wir für denselben Zerstörungseffekt nur länger, selbst wenn die Ozeane die geringere Menge besser aufnehmen könnten. 

Jedes in der industriellen Technosphäre erzeugte Produkt wiegt seine eigene Kombination an ökologischen Schattenlasten. Alle Ballastpäckchen, und seien sie noch so klein, müssen auf dem Schiff Erde abgeladen werden. Irgendwann ist aber der Laderaum voll, selbst wenn die Päckchen immer winziger werden. Dann beginnt das Schiff unaufhaltsam an der Überlast zu sinken. 

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Marko Ferst  2002