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9.  Eine Allianz gegen den Selbstmordkurs

Ferst-2002

 

 

221-231

Überblicken wir die Repräsentanten der staatstragenden Parteien in Deutschland, so muß man zu dem Schluß kommen, bislang ist kein Kandidat zu entdecken, der als Kanzler der ökologischen Wende auftreten könnte, welcher also auch das ganze Ausmaß der zivilisatorischen Grundlagen­krise begriffen hätte. Wenn hier von Kanzler die Rede ist, so schließt das eine Kanzlerin selbst­verständlich nicht aus. 

Sowohl die Politiker der CDU als auch die jetzige SPD-Führung repräsentieren den Geist der Epoche des großen Irrtums. Überdies sind die meisten Kräfte der Altparteien entscheidend verantwortlich für den drastischen Niedergang an politischer Kultur im vereinten Land, wenngleich dieser aus einer tragischen Kontinuität hervorgeht. 

Schon der westdeutsche Aufbruch nach der von außen militärisch niedergerungenen braunen Diktatur verweist auf eine gehörige Portion an zwiespältiger politischer Ethik. Nehmen wir nur als Beispiel die antidemokratische Weise, in der das Grundgesetz als deutsche Verfassung am Volk vorbei beschlossen wurde und 1990 auch der einstigen DDR ungefragt übergestülpt wurde, obwohl alternative Entwürfe vorlagen. Gar nicht erst reden wollen wir von den Nazifiguren, die im demokratischen Mäntelchen die Bundesrepublik gesellschaftspolitisch mitformten. 

Ein dunkles Kapitel.

Ohne einen kompletten Wechsel des oberen Parteienpersonals und der zweiten Reihe sind vorläufig keine substantiellen Impulse für eine ökosoziale Rettungs­politik zu erwarten, die den Gang für eine systemimmanente Selbstbegrenzung öffnen. Dabei ist klar, daß es zunächst nur einzelne bzw. Minder­heiten sein werden, die den parteidoktrinären Stahlbeton durchbrechen. 

Es kommt auf die an, die sich der allgemeinen Sektiererei und den üblichen Machtkämpfen so weit entwinden, daß sich in ihnen die politische Souveränität für einen neuen Anfang entfalten kann. Gestandene Politiker, die die Kraft für diesen Sprung nicht mehr aufbringen, können sich immerhin noch als Schutz­patrone für solchen Nachwuchs einsetzen.

Zugegeben, die benannte Möglichkeit setzt voraus, daß die verschiedenen politischen Etagen nicht völlig vom Macht- und Geltungsvirus zerfressen sind, kreative Kräfte nicht so gründlich weggebissen, wie einstens in der SED. Davon nicht auszugehen, dürfte vermutlich eine gewagte Annahme sein. Doch das Mikroklima in speziellen Zusammenhängen läßt sich aus der Ferne nur schwer diagnostizieren. 

Grundsätzlich darf man und frau nicht quasi gesetzmäßig auf so einen Aufbruch hoffen. Er kann auch niemals stattfinden, zumal er heute in der politischen Sphäre nicht im geringsten benannt ist. 

Darüber hinaus sollte klar sein, in jedem Falle braucht es mehrere personelle Anläufe. Damit ist dann allerdings für nichts eine Garantie gewonnen, lediglich der gesellschafts-psychologische Grund gelegt für die eigentliche große Transformation, zu der der Weg dann nicht mehr ganz so brachial wie heute verlegt sein mag. 

 

In der ganzen politischen Arena lassen sich bislang fast keine Personenkreise aufspüren, die ernstzunehmende Maßstäbe für die fundament­legenden Vorarbeiten setzen könnten. Um Irritationen zu vermeiden: Hier muß man davon ausgehen, daß viele Schritte und Schlüsse der neuen Akteure noch nicht die nötige Richtung tragen, mitunter sogar kontraproduktiv wirken. Vordenker wie Franz Alt, Ernst Ullrich von Weizsäcker und Hermann Scheer, um Beispiele zu nennen, haben in den Spektren, denen sie entwachsen sind, bestenfalls Exotikwert, sofern sie denn überhaupt ernsthaft wahrgenommen werden. 

Gewiß gibt es auch an ihren Positionen manches kritikwürdige, dennoch repräsentieren sie modellhaft die Möglichkeit einer Reform aus der politischen Mitte der Gesellschaft. Warum sollte nicht der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, der in seinem Buch <Zurück zur Politik> einen durchgreifenden Wandel für einen sozialökologischen Generationenvertrag einfordert und auch sonst viele progressive politische Gedanken einzubringen weiß, etwa in bezug auf die solare Energiewende und den ökologischen Steuerumbau, eher geeignet sein als nächster Kanzlerkandidat der SPD? 

Zumindest dürfte er Gerhard Schröder in der strategischen Zukunftspolitik haushoch überlegen sein. Schröder hielt vor seiner Wahl als Kanzler eine ökologische Steuerreform für nicht sinnvoll, und das, was er nach der Wahl im Zugzwang durch die Grünen als ökologische Steuerreform präsentierte, ist nur ein winziger Millimeterschritt, der zudem noch durch seine soziale Unwucht wenig angenehm auffällt. Die Wirtschaft darf sich über so manche Ausnahme­regelung freuen. Und als Oskar Lafontaine noch SPD-Spitzenpolitiker und Parteichef war, begann seine Brücke ins Solarzeitalter damit, daß er im Saarland als Ministerpräsident ein neues Kohlekraftwerk favorisierte, für das, wegen der Überkapazitäten in Deutschland, kein Bedarf bestand. Solche Scharlatanerie macht die erforderlichen CO2-Reduktionsziele zu Makulatur. Die Öffentlichkeit wird hinters Licht geführt.

Wenigstens installierte die rot-grüne Regierung nach dem Machtantritt 1998 ein Solardächerprogramm und folgend das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das ist zwar auch nur ein sehr bescheidener Anfang, aber vielleicht kann die SPD sich im Laufe der Zeit noch zu einer weit umfassenderen Förderung von erneuer­baren Energien und ökoeffizienter Infrastruktur durchringen. Die Verlängerung des atomaren Irrlaufs um weitere 25 Jahre dämpft da die Hoffungen. Der Ausstieg aus der Kernenergie entpuppte sich als Lizenz zum Weiterbetrieb. 

 O.Lafontaine      G.Schröder      Prof. H.See: Sozialökologische Demokratie 

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Nehmen wir mal an, eine Kanzlerkandidatur Hermann Scheers würde irgendwann glücken und sich genügend personelles Stützwerk finden, so könnte eine erste Tür für weitergehende staatspolitische Umbauten zur ökologischen Rettung aufgestoßen sein. Aber selbst wenn es nur gelänge, ihn als Alternative öffentlich zu präsentieren, ohne Aussicht auf Erfolg, so wäre es immerhin noch ein deutliches Warnsignal insbesondere an Gerhard Schröder oder auch andere, die im alten Stil fortfahren wollen, die eigenen Positionen zu überdenken.

Wenn ich Hermann Scheer als Vorschlag einbringe, so heißt dies nicht, es könnte dafür nicht auch jemand in Frage kommen, der/die noch nicht das Licht der Medienwelt erblickt hat. Ich denke, mann und frau muß die Frage nach einem idealtypischen Kandidaten wenigsten stellen. Das größte Manko bei Scheer ist, er hat die Problematik um den Faktor Zehn nicht hinreichend begriffen und daß eine Wirtschaftsweise, die nach dem Prinzip des Nimmersatt funktioniert, in einer ökologischen Begrenzungsordnung an einem Punkt anlangt, wo sie auf Grund läuft. Gerade von letzterem her ist er noch zu sehr konventioneller Sozialdemokrat. In der jetzigen Krise reicht das nicht mehr hin. 

Was kann man zur CDU/CSU sagen? 

Sie haben über 16 Jahre als Regierungsparteien sehr eindrucksvoll gezeigt, wie man erfolgreich ökologische Politik verhindert. Sehr wohl weiß ich, es gibt auch dort Parteimitglieder, die ausscheren, aber das, was am Ende rauskommt, zählt. Kann man das arrogante Auftreten von Frau Merkel und Herrn Kanther vergessen, wie sie die Atomtransporte durchgepeitscht haben, gegen breiten Widerstand im Wendland und in der Bundesrepublik insgesamt? Da wurden skrupellos von ihrer Armada die Reifen von den blockierenden Treckern der Bauern zerstochen. 

Ich besichtigte den Tatort ihrer Politik mit eigenen Augen. Beim dritten Castortransport ins Wendland im März 1997 war ich fünf Tage vor Ort und beobachtete das Geschehen. Innenminister Schily hatte dann 2001 nichts besseres zu tun, als in die Fußstapfen seines CDU-Vorgängers zu schlüpfen. Mein Kompliment: Man kann der eigenen Bevölkerung kaum wirksamer zeigen, wie verwerflich die eigene Politik ist. Die Menschen empfingen die politischen Gewalttaten mit dem gebührenden, in aller Regel friedlichen und phantasievollen Widerstand. Das war auch ein Symbol für eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz, wie sie von unten wachsen kann. 

(Ich verweise hier auf die Bildbände zum Castorwiderstand im Wendland, in denen viel von dieser Atmosphäre festgehalten ist, bzw. auf den Film „ausgestrahlt" oder die Videodokumentation "Der Castor kommt - die Demokratie geht" von 2001.86)

Vor allen Dingen konnte man sehr gut sehen, in unserem Land gibt es im Zweifelsfall doch keine Demokratie, denn das, was dort aufgefahren wurde, entpuppte sich als perfekter Polizeistaat. An jeder Ecke waren die Bürger blaulichtgeschützt und die Hubschrauber überkreisten in der Nacht die Dörfer mit Suchscheinwerfern. Man fühlte sich in einen Kriegszustand versetzt. 

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Die CDU/CSU will an der Atomenergie festhalten und lehnt die notwendige solare Energiewende ab. Der fossil-atomare Energiesektor wird von ihr hofiert. Die Atomkraft will sie ausbaufähig halten, um in anderen Ländern, wie Rußland z.B., die eigene Sicherheitstechnik einsetzen zu können. Daß man mit dem eigenen Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie auch anderen Vorbild sein könnte, kommt im Denken der CDU nicht vor. Munter soll weiter gefährlicher Atommüll produziert werden, wo man ganz genau weiß, es wird an keinem Ort eine sichere Endlagerung über unzählige Jahrtausende hinweg geben. Mit der atomaren Energieproduktion will man Klimaschutz betreiben. Christdemokraten nehmen also atomare Strahlenschäden in Kauf, um das Klima zu schützen? Vielleicht sind sie auch nur gut bezahlt, die Verflechtung von Politik und Energiewirtschaft ist bekanntlich an einigen Stellen sehr eng.

An der Regierung, verordnete die CDU eine Autobahn nach der anderen, von Verkehrswende keine Spur. Durch die von ihnen durchgesetzte Bahnprivatisierung ist Zugfahren so teuer geworden wie nie zuvor - ein Luxusgut. Ihre Politik förderte die Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße massiv. Besser kann man den Autokonzernen nicht zuarbeiten und damit mehr "wirtschaftliche Dynamik" entwickeln. 

Die CDU wird nicht müde, die bescheidenen Ansätze der minimalen ÖkoSteuerreform von Rot-grün zu kritisieren, und man sollte gewiß einige Mängel abstellen. Die Frage ist nur die, in den Steuerreformplänen der Partei, als man noch Regierungsämter innehatte, tauchte eine ökologische Steuerreform nie auf. Nun war es wirklich spannend, wie Wolfgang Schäuble seinerzeit als CDU-Oberhaupt und zuvor als Fraktionsvorsitzender für die ökologische Steuerreform eintrat.87) Man sollte doch annehmen, wer über anderthalb Jahrzehnte die Geschicke dieses Landes leitet, wäre vom Versprechen auch zum Handeln gekommen, wenn je die ernsthafte Absicht bestanden hätte, grüne Steuern einzuführen. Wie wir aber gesehen haben, sind Konservative inklusive der FDP dazu nicht in der Lage. Wird die CDU, wenn sie mal wieder die Regierungsmacht gewinnt, den begonnenen ökologischen Umbau des Steuersystems zurücknehmen oder zumindest stagnieren lassen? Es ist wohl damit zu rechnen.

Wenn Wolfgang Schäuble in einem Interview ausführt: "Es darf nicht sein, daß Jugendliche nicht mehr CDU wählen, weil sie das Gefühl haben, daß wir beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit nicht energisch genug vertreten",(88) so muß seine Partei erst mal ernsthaft glaubhaft machen, daß sie nicht mit wahltaktischer Kreide operiert und die gewisse Pfote weiß gefärbt hat. Auf der anderen Seite schadet es nichts, wenn die CDU/ CSU nicht nur die Benutzung des Adjekdvs "ökologisch" lernt, sondern noch ein wenig mehr. Das zwingt die SPD zu einem deutlicheren Profil, als sie es bisher an den Tag legt.

Dennoch kann man nur hoffen, daß die CDU/CSU, aber auch die FDP, solange sie sich gegen ökologische Zukunftspolitik wenden und damit die Sicherheit nachfolgender Generationen gefährden, durch das Volksvotum von den Regierungsgeschäften im Bund ferngehalten werden und daß der nächste Machtwechsel innerhalb der SPD stattfindet.

Gewiß gibt es auch in der CDU weiterdenkende Politiker. Sehr wohl sehe ich, daß Kurt Biedenkopf das ökologische Lebensgut Pommritz bemerkenswert gefördert hat, aber ich übersehe auch nicht, daß er zur selben Zeit zusammen mit Manfred Stolpe von der SPD die Einweihung eines neuen Kohlekraft­werkes befeierte. Dafür gibt es auch bei verbesserter Effizienz nicht den geringsten Grund mehr. 

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Wenig begrüßbar sind auch die militaristischen Untertöne in Biedenkopfs Buch <Zeitsignale>, aber die CDU ist eben, wie man auch an Schäubles Buch <Der Zukunft zugewandt> sehen kann, eine antipazifistische Partei, die friedensstiftende Maßnahmen nur halbherzig oder gar nicht wahrnimmt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die politische Unpäßlichkeit, als ein Abrüstungsvorschlag nach dem anderen in der Gorbatschow-Ära den Westen erreichte und auch die alte Bundesrepublik unfähig war, die Friedenspolitik in der neuen Geschwindigkeit des Ostens zu erwidern.

Bündnis 90/Grüne und die PDS sind bislang zu feige, die Matrix ihrer Politik Stück für Stück umzupolen. Der Wechsel von einem Weltbild, das den Menschen unumschränkt in den Mittelpunkt stellt, zu einer Weltsicht, die die Beziehungen zwischen Natur und Mensch als zentral versteht, also der Natur ihren Eigenwert zugesteht, ist auf den meisten Politikfeldern kaum ansatzweise vollzogen. Allzuoft bestimmt Klientelpolitik die Raster des Reagierens. 

Die Bündnisgrünen, die in Deutschland bereits öfter als Mehrheitsbeschaffer in Landesregierungen auftraten, gingen dabei durch die zahlreichen Kompromisse endgültig an das System verloren. Die Regierungsbeteiligung im Bund scheint auch die letzte kritische Potenz abzuschleifen. Dies ist besonders bedauerlich vor dem Hintergrund, daß vielleicht auch in dieser Konstellation mehr politische Veränderung möglich gewesen wäre. Natürlich seien die kartellösenden Effekte im parlamentarischen Betrieb und andere innovative Neuerungen hier nicht wegdiskutiert. Aber der Machttrip für grüne Bundesminister und die nachfolgende Regierungsarbeit zerstörte weiträumig Dissidenz.

Petra Kelly wußte von diesem Zusammenhang noch und schrieb in ihrem Buch <Mit dem Herzen denken>: 

"Wenn man sich auf die alte Macht einläßt, Ämter einnimmt und sozusagen Juniorpartner spielt, kann man nicht mehr so radikal sein und muß auch Kompromisse in Lebens- und Überlebensfragen eingehen. Und von dem Punkt, wo die Kompromisse eintreten, bis zu dem Punkt, wo man alle Positionen aufgibt, ist es nicht sehr weit. Dann kommt wieder eine neue Opposition, die wieder von vorn anfängt und radikalere Forderungen stellt. Ich habe grundsätzlich eine große Abneigung davor, mich den sogenannten Sachzwängen zu unterwerfen, wenn ich sie moralisch nicht verantworten kann." 

Dabei schloß Petra Kelly keineswegs aus, daß für die Grünen der Tag kommen könnte, an dem sie ihre grüne Utopie in der Regierungs­verantwortung in die Praxis umsetzen müßten. Sie meinte, ohne eine grundlegend umgestaltete Regierung, die nicht auf dem heutigen Modell beruht, sei dies nicht zu bewerk­stelligen.89

Joschka Fischer hatte zweifellos recht, als er einst sagte, für das System Kohl zahlen wir mit Stillstand, nur der eigene Rückschritt im Poker um die Regierungs­macht geriet ihm offenbar nicht mehr ins Gesichtsfeld. 

Grüne Realpolitik ist ein Deal mehr, warum wir zu Rettungspolitik nicht kommen. 

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Dies ist kein Plädoyer gegen die kleinen Schritte, gegen das Machbare; wohl aber gegen Politik, die nicht von der Dimension einer zukunftsfähigen Ordnung ausgeht, die den Bogen nach Ökotopia mit menschlichem Antlitz nicht spannt und daraus ihre Prioritäten ableitet. 

Es ist einfach nicht wahr, daß man sich derart zum Diener der globalisierten Wirtschaftsmächte erklären muß, wie dies Fischer in seinem Buch <Für einen neuen Gesellschaftsvertrag> kenntlich macht. 

Eine ökologische Weltordnung heißt, regionale Kreisläufe sind das eigentliche Fundament wirtschaftlicher Entwicklung. Gewiß, man braucht Übergänge von der jetzt verfahrenen Situation, aber ich halte nichts davon, eine falsche Grundstruktur sozial-ökologisch ausgestalten zu wollen. Das ist Selbstbetrug.

Gleichermaßen traurig ist es, daß die Grünen ihre einstigen pazifistischen Positionen im Schnelldurchgang abstreiften. Der Krieg im Kosovo wäre vermeidbar gewesen, wenn man es denn gewollt hätte. Schon scheint zivile Konfliktbewältigung ein Fremdwort geworden zu sein.

Wo bleiben die europäischen Abrüstungs­bemühungen unter Rot-Grün? Nicht daß es niemals notwendig sein könnte, sich auch militärisch zu Konflikten zu verhalten, aber ein solcher Schritt kann nur Legitimität gewinnen, wenn eine Politik der radikalen Abrüstung in Richtung null Waffen und Konfliktvermeidung betrieben wird. Selbst dann ist es noch problematisch genug, weil Tucholskys Hinweis, daß Soldaten Mörder sind, eben wahr ist, unabhängig von Recht oder Unrecht bei kriegerischem Eingreifen. Da kann man sich drehen oder wenden, wie man will, bei Kampfeinsätzen ist der Tod immer mitgebucht. Das begreift die PDS bislang besser als die Grünen, auch wenn man zu SED-Zeiten trotz des reichlichen Friedensvokabulars den militärischen Duktus sehr gern pflegte, sosehr die Verteidigungssituation real war, trotz Afghanistan.

Der PDS ergeht es mit der Systemanpassung nicht anders als den Bündnisgrünen. 

Spätestens der Testfall in Mecklenburg-Vorpommern zeigte das auf sehr klare Weise. Während in Berlin sich viele Genossen gegen den Ausbau von Schönefeld als Großflughafen engagieren, denkt Minister Holter laut darüber nach, wie man im Küstenland die Flugzeug­industrie ansiedeln kann. Das bedeutet im Klartext: Zukunftsfähige Politik stürzt ab. Gewiß, in der Sparte Umweltpolitik setzt die PDS bessere Zeichen als vorher die CDU, aber die Ostseeautobahn wird auch unter rot-roten Verhältnissen gebaut. Bahnstrecken werden auch mit PDS-Verantwortung stillgelegt. Es wird also nichts mit der alternativen Politik, überall will die PDS nur noch prinzipienlos an die Macht. Mit den paar erreichten sozialen Bonbons beruhigt man sich und denkt nicht mehr an das Großeganze. Mag sein, die PDS ist noch nicht ganz in "Badgodesberg" angekommen, doch ihre pragmatische Anpassung wächst sich zum Sündenfall aus. Längst ist das Hinwenden zu gesellschaftlichen Alternativen auf das Abstellgleis geschoben. Die Machtfrage wird in der PDS nur noch auf recht niedrigem Niveau gehandhabt. Da war man nach dem 89er Absturz in der Diskussion schon weiter.

Man kann finden, eine rot-grüne Bundesregierung, notfalls PDS-toleriert, mag sehr viel besser sein als die Koalition der Ellenbogen­parteien. Doch solange es nur um Veränderungen im Mikrobereich geht, solange sich alles darum dreht, daß die Wirtschaft floriert und dabei ein paar mehr Arbeitplätze abfallen, ist solch eine Regierung nur ein Markenzeichen für den Ausverkauf der Zukunft. Sie ist das kleinere Übel, aber so, wie die SPD agiert, werden wohl kaum die Weichen für den Ausstieg aus der Selbstmordgesellschaft gestellt, obwohl dies potentiell wenigstens begonnen werden könnte und man diese kleinen Schritte begrüßen dürfte.

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Schon in dem Status als konsequente Oppositionskraft kam die PDS über grünen Tapetenwechsel kaum hinaus. Da müssen erst noch jede Menge metropolitane Arbeitsplätze geschaffen werden, die in dieser Form ohnehin weg müssen. Der Osten Deutschlands soll an mittleres westliches Wirtschafts­niveau heranentwickelt werden, obwohl doch klar sein dürfte, daß dies dann auch allen anderen Völkern der Erde logischerweise zusteht und dies nun mal ein völlig unakzeptables Szenario ist. Die Massenkaufkraft soll erhöht werden. 

Dabei ist doch einsehbar, wenn ich z.B. mein Mobiliar nicht mehr alle 15 Jahre wechsle, sondern es so produziert wird, daß es über viele Jahrzehnte hält, dann senke ich damit zwangsläufig die Binnennachfrage und in der Folge das Wirtschaftsvermögen. Die kurzfristigen gesellschaftlichen Egoismen erhalten in der PDS beständig Vorfahrt gegenüber den langfristigen Interessen, meist jedenfalls. Auch die vielen nützlichen kommunalen Aufgaben fesseln in geradezu ohnmächtiger Weise an den selbstzerstörerischen Wettlauf.

Großen Teilen der Basis der grünen Partei mag der Umweltgedanke noch näher stehen, als das bei den PDS-Mitgliedern der Fall ist. Bei den Sozialisten gibt es noch eine breite Front der Ignoranten, doch sie bröckelt. Zwar ist der grüne Pol in der PDS weit schwächer als bei den Bündnisgrünen ausgebildet, doch langsam, aber stetig ist auch der ökologische Flügel der PDS im Wachsen. Z.B. engagierte die Partei sich gegen den Havelausbau und den Transrapid, wo die SPD noch völlig auf falschem Kurs lag. 

So wie es bei den Sozialdemokraten ein Umweltforum gibt, bildete sich in der PDS eine Ökologische Plattform heraus. Sie sorgte dafür, daß das ökologische Thema in der Partei, nicht zuletzt auch auf Parteitagen, nicht ganz abgedrängt wurde. Aber auch viele Einzelkämpferinnen haben daran Anteil. Ein Buch unter dem Titel <Reformalternativen> zeigt erste Konturen, wie die PDS sich zu einer grünen Partei wandeln könnte.90) Die strategischen Abschnitte zum sozial-ökologischen Umbau im ersten Teil des Bandes konzipierte der PDS-Vordenker Dieter Klein. Das ist ein zu begrüßender Anfang, wenn auch ein sehr bescheidener. Selbstverständlich ist es nicht ausgemacht, daß die Partei nicht wieder in ihre alten musealen Vorstellungen zurückfällt bzw. eine ganze Reihe Akteure dort verhaftet bleiben, trotz Solarkonferenzen und vieler anderer sinnvoller Ansätze. 

Die bundesrepublikanischen Parteien sind gekettet an den Wählerstimmenfang, und damit läßt sich zunächst nur wenig aus dem Rahmen von "Leuteabholen"-Politik ausbrechen. Die antidemokratische Fünf-Prozent-Hürde bewirkt dann ein übriges, um Bündnisgrüne und PDS in schön brav angepaßten Bahnen zu halten, damit man nicht aus dem Bundestag und den Landesparlamenten fliegt und damit auch die wichtigen Geldquellen nicht versiegen. Der Hinweis auf das alternative Programmpapier ist wenig hilfreich, wenn die praktische Politik auf anderen Gleisen läuft. So existiert in Deutschland nicht mal ein Ansatz für eine Opposition, die sich der epochalen Herausforderung der ökosozialen Weltkrise konsequent stellen würde. Es wäre schlicht und einfach Schönfärberei, diesen Tatbestand zu verdrängen. 

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Ein hoffnungsvoller Ansatz könnte sein, wenn sich aus dem Spektrum von Bündnisgrünen, der PDS, grünen Sozialdemokraten und anderen gesellschaftlicher Bewegungen Reformbestrebungen herausbilden würden, die den langfristigen sozialen Interessen die oberste Priorität einräumen. Das schließt nicht aus, daß die Menschen sich möglicherweise erst neu zusammenfinden müßten. Auf jeden Fall schiene es außerordentlich hilfreich, wenn alle künstlichen Barrieren zwischen den verschiedenen politischen Parteien und Bewegungen fallen würden, der nötige geistige Aufbruch wird vermutlich ohnehin quer zu den bestehenden Organisationsstrukturen verlaufen. 

Warum sollte im Oppositionsspektrum langfristig nicht eine neue Kooperationsstruktur, womöglich sogar eine neue Parteienlandschaft entstehen können, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Ökologie, besser gewachsen ist?

 

Wichtiger aber noch wäre eine umfassende kulturelle Volksbewegung, die den "modernen" Fortschritts- und Wachstumskult zur Disposition stellt. Dabei sind sehr unterschiedliche Formen gefragt, die sich gegenseitig ergänzen können, von einer Ökodorfbewegung, Zukunftswerkstätten verschiedener Ausrichtung bis zum Literaturzirkel usw. Ganz zentral wichtig wäre wohl ein intellektuelles Netzwerk, das den fundamental-ökologischen Ansatz trägt und aus sich selbst heraus zur ständigen Innovation antreibt, ausgereiftere Zukunftsvorstellungen entwickelt. 

Leider gibt es noch nicht mal Rudimente einer solchen Struktur. Würde hier etwas entstehen, so könnte das ein genauso gravierender Vorteil sein wie eine intellektuelle Veränderung im Parteienspektrum. Gewiß sind Arbeiten wie im "Holon-Netzwerk" u.v.a. sehr zu begrüßen, man muß damit aber auf eine öffentliche Ebene kommen, wie sie die Anti-AKW-Bewegung heute schon erreicht hat. Die besagte Kulturbewegung und politische Opposition müßte die konservativen Kräfte durch ihre eigene visionäre Ausstrahlung in die ökologische Richtung treiben. Ihr käme eine Katalysatorfunktion zu.

In einer Situation, wo den Beharrungskräften jeder denkbare politische Soforterfolg zufällt und selbst die Pannen und Pleiten am Ende noch zu einer positiven Bilanz umgerechnet werden, scheint dieser Schluß eine illusionäre Träumerei. Doch sind erwartete Niederlagen auf Grund gemachter Erfahrungen ein Stück weit auch Fiktion, eine Chancenlosigkeit, die man und frau sich selbst nur einredet. Es sollte die sprengende psychosoziale Dynamik der apokalyptischen Situation nicht unterschätzt werden. Wenn die Trägheitskräfte an ihren Fundamenten angeschlagen werden, kommt das gesamte gesellschaftliche Gefüge ins Rutschen. Die Frage ist dann, ob diese Verschiebungen produktiv kanalisiert werden können. Dann kommt es auch auf die intellektuelle und kulturelle Stärke der alternativen Kräfte an.

Klar sei aber herausgehoben: 

Laut Grundgesetz, Artikel 21, Absatz 2, sind alle maßgeblichen Parteien der Bundesrepublik Deutschland verfassungswidrig, da sie den Bestand einer lebenswerten Ordnung elementar preisgeben. Durch ihr Wirken für den todbringenden ökonomischen Wachstumsmoloch, in wessen Interesse auch immer, ob kapitalgünstig, kurzfristig sozial oder auch scheinökologisch, wird eine freie volksbestimmte Ordnung unterminiert und die Existenzgrundlage zukünftiger Generationen vernichtet. Damit werden gleich reihenweise Grundrechte in Frage gestellt. 

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So ausgerichtete Politik verkommt zu organisiertem Verbrechen, auch wenn das von den Akteuren nicht beabsichtigt ist.

Seit 1994 gibt es auch den Artikel 20a, der die natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für die künftigen Generationen als Schutzgut im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ansieht. Nur wenn man sich nicht ernsthaft damit auseinandersetzt, wo die Belastungsgrenzen unseres Planeten liegen, wie Schaden, durch uns verursacht, von den zukünftigen Generationen abgewendet werden kann, wenn wir weiter in der Verfaßtheit des Plünderns und Ausbeutens den zukünftigen Menscheninteressen begegnen, dann ist das nur Lippenbekenntnis und nichts wert.

Ein Bundesverfassungsgericht, das diesen Namen verdient, müßte also den Parteien innerhalb einer ultimativen Frist klare Auflagen zur Rettung der ökolog­ischen Gleichgewichte erteilen und ihnen bei mangelnder Umsetzung ihre Legitimität entziehen. Natürlich wäre es damit in seiner institutionellen Stellung als auch in der Sachkompetenz überfordert, und sehr wahrscheinlich bedarf es neuer politischer Organe, worauf wir noch zu sprechen kommen werden, also eine Art politischer Instanz für die Weltökologie. 

Da die Parteien bislang keine soliden bzw. hinreichenden Neuformierungen in der Gesellschaft in Gang bringen, die uns aus dem Sog der Todesspirale herausziehen könnten, muß man konstatieren, der westdeutsche Parlamentarismus gerät mit dem offenkundigen Aufkommen ökoglobaler Naturzerstörung in die schwerste Krise seit dem Neubeginn nach der faschistischen Ära in Deutschland. Dies ist unabwendbar in dem Moment, wo unsere Wohlstandsfestung existentiell ins Wanken gerät. 

Es steht also weit mehr zur Debatte als die heute oft benannte Politikverdrossenheit. Die konzeptionell-strategische Stagnation der Altparteien, ihre beding­ungslose Hingabe an den westlichen Fundamentalismus, ebnet geradezu den geschichtlichen Strom in eine totalitäre Ökodiktatur. Dieses Resultat wird sich nicht von heute auf morgen einstellen, sondern eher in allmählichen Wandlungen und Schritten, die selbst bei kräftigen Reform­impulsen im Notstand enden können.

Die bundesdeutschen Altparteien ziehen Kraft ihrer Vermittlungsmacht immer mehr institutionellen Raum im staatlichen und kommunalen Gefüge unter ihre Fittiche und mutierten zu einer eigenen Kaste mit privilegiertem Sonder­status, den sie sich im offiziell-parlamentarischen und informellen Beutezug eroberten. Nur wenige Instanzen, wie etwa das Bundesverfassungsgericht oder eine kritische Öffentlichkeit, vermochten allzu üppiger Gier Grenzen zu setzen.

Dennoch wuchert der parteipolitische Filz in beachtlichen Größenordnungen als System. Dazu gehört insbesondere die Aufteilung von absolut spitzen­bezahlten Posten bis hin zu Pöstchen per Vorteilsnahme in kommunal gebundenen Betrieben und dem öffentlichen Dienst durch Parteienklüngel, möglichst noch im Einvernehmen mit dem politischen Kontrahenten.91) 

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Hans Herbert von Arnim bezeichnet die Ämterpatronage, also die Vorteilsnahme durch Parteibuchwirtschaft, als schlimmste Ausbeutung des Staates durch die Parteien, als fortschreitendes Krebsgeschwür im Körper von Staat und Verwaltung. 

"Täglich werden in Hunderten von Fällen Einstellungen und Beförderungen nicht zugunsten des persönlich und sachlich Befähigten, sondern aufgrund des Parteibuchs vorgenommen. Diese Form der Korruption steht im Zusammenhang mit vielen anderen Arten parteilicher Begünstigungen: der Vergabe von günstigen Krediten und Grundstücken, von öffentlichen Aufträgen und Subvendonen an parteiliche Bau- und andere Unternehmen, an Architekten, Notare etc."92

Zur Parteipatronage kommt die Verbands- und Konfessions­patronage hinzu.

Sowohl die Scheuchs in ihrer Studie über den Verfall der politischen Parteien als auch Arnim kommen außerdem zu dem Schluß, daß die Auswahl des politischen Personals durch das Nominierungsmonopol der Parteien die Mittelmäßigkeit der Akteure in besonderer Weise fördert. Wer auf vorderen Listenplätzen plaziert ist bzw. in wahlsicheren Kreisen antritt, braucht sich um seine Wahl keine Sorgen mehr zu machen. Nichts wird seinen Einzug ins Parlament verhindern, eine tatsächliche Wahl gibt es nicht mehr. 

Diesbezüglich werden die Wahlmodalitäten grundsätzlich zu ändern sein, der Proporz der Parteien wird also ausschließlich in Form von Personenwahlen bestimmt werden müssen. Nach wie vor würde auch die Wahl von Kandidaten verschiedener Parteien ermöglicht. Die Auswahl des prozentual stärksten Wahlkreis­kandidaten könnte entfallen. Praktisch heißt das, auf dem Wahlzettel stünde eine recht umfangreiche Personenliste, und die Parteizugehörigkeit wäre hinter dem Namen in Klammern gesetzt. Der Wähler kann dann zwei oder drei Kandidatinnen ankreuzen.

Die Parteien, ihre Fraktionen und die Parteistiftungen genehmigen sich gegenwärtig die höchsten Finanzzuschüsse in der Welt. Dabei bedienen sich die großen Parteien überproportional aus der Staatskasse. Die Parteien mit kleinerer Wählerklientel können sich die Reste zusammenklauben, wenn sie nicht gleich von vornherein vom Hauptposten der Finanzen, den Geldern für die Parteienstiftungen, ausgeschlossen werden. Mit dem Grundsatz der Gleichheit kann dies wenig zu tun haben, abgesehen davon, daß ein Großteil der Finanzen an anderer Stelle zweckmäßiger eingesetzt wäre. 

Zusammen mit der Fünf-Prozent-Klausel, die lästige Konkurrenz schon im Anfangsstadium ausschalten soll, sichert die heutige Form der Parteien­finanzierung die Allmachts­ansprüche der etablierten Parteien. 

Gerade aber in der heutigen Zeit, in der die politischen Inhalte und parlamentarischen Sachbelange völlig neu ausgerichtet werden müssen, wären politische Minderheiten gefragt, die zunächst erst mal den Anstoß für andere Zukunftsoptionen geben könnten, als die vielfach leeren Formeln, technizistischen Wunder­täterschaften und das Anbeten von Wachstumsraten fürs Bruttosozialprodukt, was uns das Establishment verkündigt. Sicher birgt dies die Gefahr, etwa neofaschistischem Gedankengut und Autofahrerparteien etc. mehr Terrain zu geben. 

Dieses Risiko muß man eingehen, zumal eine Reihe von Dämpfeffekten aufbaubar wäre. Die muß man dann sicher auch wollen und mit der jeweils eigenen Parteipolitik entsprechende Signale setzen. Parteien ohne Mitgliedschaften sollten sich nicht zur Wahl aufstellen dürfen. Das wäre immerhin ein Instrument, alternativ zum Sinn der Fünf-Prozent-Klausel, der Zersplitterung des Parteiensystems entgegenzuwirken.

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 Marko Ferst - Wege zur ökologischen Zeitenwende - 2002