4) Über das »Prinzip Hoffnung«
von Johannes Gründel
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In seinem mehrbändigen Werk >Das Prinzip Hoffnung< hat der jüdische Philosoph Ernst Bloch (1885-1977) versucht, in Anknüpfung an Hegel und an Gedanken aus der marxistischen Philosophie eine geistesgeschichtliche Interpretation der Idee Hoffnung darzulegen. Für ihn ist Hoffnung jene treibende Kraft allen innerweltlichen Seins, ein Prinzip, das dem Prozeß und der Entwicklung unserer Welt entspricht.
Im engeren Sinne versteht Bloch unter Hoffnung einen Grundzug menschlichen Bewußtseins, menschlichen sinnlichen Strebens und schließlich auch eine Grundtendenz der Verstandes- und willensmäßigen Ausrichtung des Menschen auf Zukunft hin. Bloch glaubte, das Thema der Hoffnung erstmals in der Geschichte der Wissenschaft aufzugreifen und in dieses unentdeckte Land mit seinen philosophischen Überlegungen Licht zu bringen. Doch hatten vor ihm schon andere Philosophen diese Frage aufgeworfen. Immanuel Kant, der das Feld der Philosophie auf vier Grundfragen zu reduzieren versucht, greift unter anderem die Frage auf: »Was dürfen wir hoffen?«
Kant selbst sieht in der Religion eine Antwort auf diese Frage - nicht so Ernst Bloch. Für ihn erscheint Religion geradezu als Hindernis für Hoffnung, im echt marxistischen Sinne als »Opium des Volkes«. Er möchte vielmehr im Marxismus einen »Quartiermacher der Zukunft« erblicken. Bloch will dem heutigen Menschen für seine Zukunft eine große Hoffnung vermitteln.
Es dürfte für uns nicht uninteressant sein, diesen Hoffnungsentwurf von Ernst Bloch einmal kritisch zu prüfen auf seine positiven und negativen Gehalte, darüber hinaus aber grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung Hoffnung für Menschen besitzt.
Hoffnung - auch noch angesichts der Bedrohung der Menschheit?
Wohl noch nie in der Geschichte der Menschheit war die Existenz der Menschen und des Lebens auf unserer Erde so bedroht wie heute. Erstmals besitzen Menschen die apokalyptische Möglichkeit einer totalen Zerstörung allen Lebens auf dieser Erde. Dies verschärft die Frage nach der Zukunft, macht das Thema Hoffnung um so dringlicher. Denn ohne den Blick nach vorn, ohne Hoffnung, erscheint menschliches Leben nicht mehr belastbar; es zerbricht unter der Aussichtslosigkeit - oder der Mensch setzt selbst seinem Leben ein Ende.
Ohne Hoffnung gibt es keinen Fortschritt, keine weitere Entwicklung und Entfaltung, keine Zukunft unserer Welt und Gesellschaft. Es ist erschreckend, wenn junge Menschen die Parole ausgeben: »no future«. Doch die zahlreichen Strebungen und Wünsche des geschichtlich existierenden Menschen weisen immer wieder auf die Zukunft hin, auf etwas Besseres. Menschen projizieren ihre Erwartungen eines Glücks in die Zukunft. Dies hat auch Bloch erkannt: Im Unterschied zum Tier malt sich der Mensch das Ziel seiner Triebe noch aus: »Eine Seligkeit, die so noch nicht da war« [Bloch, I, 122], »Friede, Freiheit, Brot« (I, 680), eine »Wiederherstellung des Menschen« (1,679). In einer solchen Erwartungshaltung auf Zukunft hin liegt eine ungeheure Dynamik.
Je näher diese Zukunft kommt und bevorsteht, um so stärker wird die Erwartungshaltung und die ihr innewohnende Kraft. Darum zählt Hoffnung zu den tragenden Kräften, die sich gegen Existenzangst und konkrete Befürchtungen des Menschen richten. Hoffnung macht die Furcht zuschanden und ersäuft die Angst. Hoffnung ist also für die menschliche Existenz lebensnotwendig. Sie richtet sich auf ein konkret erwartetes, aber noch nicht erreichtes Gut. In den Träumen von einem besseren Leben kommt diese Ausrichtung des Menschen über den Augenblick hinaus nach vorn, nach seiner Zukunft, zum Tragen.
Auf diese Erfahrung greift Bloch zurück. Nur ändert er die übliche Frage eines Hoffenden »Was erwarten wir« um in »Was erwartet uns?«
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Die Antwort lautet lediglich: »Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.« Den eigentlichen Grund solchen Hoffens jedoch gibt Bloch nicht an. Insofern bleibt bei ihm der fragende Ansatz noch vordergründig und »vorläufig«; er geht nicht radikal an die Wurzel des Problems. Zwar sieht Bloch als Ziel jeder Hoffnung ein höchstes Gut: »Jede Hoffnung impliziert das höchste Gut, hereinbrechende Seligkeit, die so noch nicht da war.« (I, 122)
Doch ist dieses Ziel der Hoffnung für ihn völlig weltimmanent; es besteht in der diesseitigen Erwartung einer klassenlosen Gesellschaft. Alle Ideale wie Freiheit und Gleichheit stehen zu diesem letzten Ziel in einem Verhältnis der Mittel zum Zweck und können diesem Ziel untergeordnet werden. Bloch kritisiert, daß die Träume von einem besseren Leben, die anderswo als Hoffnung ausgegeben werden, utopisch und illusionär sind und niemals auf ihre Realisierbarkeit geprüft wurden. Die von ihm ausgegebene klassenlose Gesellschaft als Ziel der Hoffnung nennt Bloch eine Realutopie; sie ist real, insofern sie doch hier und jetzt realisiert werden kann; sie bleibt utopisch, als sie eben noch nicht verwirklicht worden ist. Der Mensch hat sich aktiv auf dieses Ziel mit all seinem Streben auszurichten. Für Bloch ist derjenige ein Hoffender, der entsprechend seiner Möglichkeit das zu verwirklichen versucht, was im Augenblick als realisierbar erscheint. Hoffnung ist darum für Bloch eine innerweltliche Bewegung, die stets nach vorwärts, niemals aber nach aufwärts bzw. über diese Welt hinaus geht.
Kritik des rein innerweltlichen Hoffnungsverständnisses
Die Aussagen von Ernst Bloch lassen sich erst verstehen, wenn man seine Vorentscheidungen kennt. So ist er zunächst der Meinung, daß eine Erneuerung unserer Welt nur möglich ist, wenn jeder Bezug zu einem Jenseits oder zur Religion abgestreift wird: »Damit die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse angetastet werden konnten, mußte ihnen der Heiligenschein abgestreift werden.« (II, 1528)
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Hier übernimmt er die These des dialektischen Materialismus und eines Friedrich Engels, ersetzt Transzendenz durch Immanenz. Darum kann und darf menschliches Hoffen nur rein diesseits konzipiert werden. Jede Hoffnung, die diese Welt übersteigt (transzendiert) nach oben, nach der Tiefe, nach einem persönlich höchsten Gut, ist für Bloch reine Utopie und falsche Hoffnung.
Die Botschaft Jesu im Neuen Testament wertet Bloch als eine rein diesseitige soziale Botschaft. Der Glaube an Auferstehung und ewiges Leben sei darum ein Glaube an ein irdisches Reich, in dem die nicht frei gewollte Armut beseitigt wird. Diesseits und jenseits seien darum keine geographisch getrennten Bereiche, sondern zeitlich aufeinander folgende Epochen der gleichen irdischen Wirklichkeit. Erst nach der Kreuzeskatastrophe habe man das von Jesus verkündete »Reich« als jenseitig ausgedeutet. In Wirklichkeit sei Jesus als Rebell gegen die bestehende soziale Ungerechtigkeit gestorben. Darum sei sein Tod für ihn eine Katastrophe, da er »kein Jenseits für die Toten, sondern einen neuen Himmel, eine neue Erde für die Lebendigen gepredigt« habe (II, 1490).
So interpretiert Bloch die biblischen Aussagen auf dem Hintergrunde eines marxistischen Welt- und Menschenbildes. Er wehrt sich gegen ein Gottesbild, das allerdings nicht das christliche Gottesbild, sondern eine verzerrte Vorstellung von Gott ist. Bloch ist der Meinung, daß es, wenn ein Gott bejaht wird, daneben keine menschliche Freiheit mehr geben kann. Um der Befreiung des Menschen willen muß darum Gott geleugnet werden.
Das absolute Glück, auf das Bloch sein Hoffen bezieht, ist ein Glück, das den einzelnen jetzt Lebenden nicht mehr erreichen wird. Die weitere fragwürdige Konzeption der Hoffnung von Bloch ist, daß Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit letztlich dem Ziel einer klassenlosen Gesellschaft geopfert werden können. Bloch bietet somit die Möglichkeit, den Menschen als »Mittel zum Zweck« gesellschaftlichen Zielen unterzuordnen.
Bei Bloch schleicht sich allerdings die Utopie sogar in die Endphase ein. Denn nach Ansicht heutiger Marxisten läßt sich auch in der Endphase die Selbstentfremdung des Menschen nicht gänzlich beseitigen.
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Die Naturalisierung des Menschen und die Humanisierung der Natur bleiben ein nie ganz zu verwirklichendes Ideal. Das ursprünglich sehr einfache Rezept für die Entfaltung eines Reiches der Freiheit durch die Abschaffung des Privateigentums und die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel bringt eben nicht die erwartete Lösung, sondern vergrößert die Gefahr, den Menschen einem totalitären Apparat zu unterwerfen. Hierin liegt die Gefahr der Konzeption des Hoffungsverständnisses von Bloch.
Menschliches Hoffen an der Grenze des Todes
Wer die Ausführungen von Ernst Bloch zum Prinzip Hoffnung ernst nimmt, entdeckt darin wichtige Elemente für das Selbstverständnis des Menschen: die grundsätzliche Offenheit auf die Welt hin und auf die Zukunft, die Entwicklungsfähigkeit des Menschen, der eben immer noch unterwegs bleibt zum eigenen Menschsein, der geschichtliche Charakter menschlichen Lebens und Daseins wie auch die starke Bezogenheit des Menschen auf die Gemeinschaft hin.
Diese Offenheit für die Wirklichkeit öffnet uns den Sinn für die Zukunft, die stets auch etwas Unvorhersehbares enthält, das bisheriges menschliches Planen vereiteln kann. Gerade auf dieses nicht Planbare und auf das Neue richtet sich ja menschliches Hoffen; es setzt dort an, wo die Berechnung aufhört. Eine solche Offenheit auf Zukunft hin schließt die Frage mit ein, ob die Grenze menschlichen Lebens durch den Tod etwas Letztes ist oder ob sich unser Hoffen über die Grenze des Todes hinaus richtet. Alle unsere Hoffnungen bleiben nämlich vorläufig angesichts jenes Todesgeschehens, das unausweichlich jedem Menschen zugewiesen bleibt. Diese Frage nach einer Hoffnung an der Grenze des Todes deckt sich mit der Frage nach Sinn und Ziel menschlichen Lebens. Aus der Erfahrung läßt sich hierauf keine Antwort finden; sie kann nur aus dem Glauben gegeben werden - wobei Glauben hier im weitesten Sinne verstanden ist; auch jener Atheist, für den im Grunde alles aus ist, muß dieses Faktum glauben.
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Solcher Glaube an ein über den Tod hinausgreifendes Ziel des Menschen läßt den Glaubenden hoffen. Hier stellt sich nun die Frage: Aufgrund welcher Ausagen, Annahmen oder Erlebnisse darf der Mensch solches glauben und hoffen? Hierüber muß er sich Rechenschaft geben, soll menschliches Hoffen nicht nur auf eigenen Phantasiebildern und haltlosen Schwärmereien beruhen. Darauf geben die verschiedenen Religionen, vor allem aber das Christentum, eine Antwort.
Innerweltliche Aufgaben und Ziele dürfen auch bei einem christlichen Verständnis von Hoffnung nicht übersehen werden. Gerade Christen haben in der Vergangenheit oft deren wahren Stellenwert nicht hinreichend berücksichtigt; das jenseitige Ziel nahm ihre Aufmerksamkeit so gefangen, daß eine »Absage an die Welt« oft als Voraussetzung für das Heil angesehen wurde. Die biblische Aussage vom »Verachten der Welt«, die ursprünglich unter »Welt« jede Selbstgenügsamkeit oder Selbsterlösung verstand, wurde später in gnostischer Weise ausgelegt, als seien das wahre Leben und die wahre Realität jenseits dieser irdischen Wirklichkeit. Soziale Mißstände und Ungerechtigkeiten wurden deshalb nicht bekämpft, sondern »opfervoll« hingenommen. So konnte Marx die Religion zu Recht als »Opium des Volkes« bezeichnen.
Christliches Hoffen darf niemals mehr an dieser Welt vorbeigehen; es begnügt sich aber nicht mit dieser irdischen Wirklichkeit. Der eigentliche Grund menschlichen Hoffens liegt bereits im Alten Testament auf den Verheißungen Gottes und seiner Treue zu seinem Volk Israel. Im Neuen Testament kommt zum Ausdruck, daß in Jesus Christus die Verheißung Gottes erfüllt ist. Christliches Hoffen stützt sich darum auf das in Jesus Christus erschienene Heilswerk. Es ist eine Hoffnung, die über diesen Tod hinausgreift und eine Erfüllung menschlichen Lebens in Gott erwartet.
Offenheit auf Zukunft, auf die der Mensch zuarbeiten muß, die aber auch als eine von Gott erhoffte Zukunft dem Menschen entgegenkommt, kennzeichnet solches Hoffen. Die Lehre über das Verhalten der Christen in der
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Welt von heute, die auf dem II. Vatikanischen Konzil als Pastoralkonstitution verabschiedet wurde, beginnt mit den Worten »Freude und Hoffnung« (Gaudium et spes).
Gerade in unserer Zeit, die sich von der Möglichkeit einer vom Menschen verursachten Endkatastrophe verunsichert weiß, ist eine solche Ermutigung Lebenshilfe.
Ernst Bloch hat ein individualistisches Heilsverständnis, wie es bisweilen von Christen vertreten wird, mit Recht kritisiert. Er lenkt den Blick auf die Aufgaben, die uns in der Gestaltung einer gerechten und friedfertigen Welt zugewiesen sind. Das ist das Positive seines Ansatzes. Damit weist er jedes Denken zurück, das, aus welchen religiösen Motiven auch immer, eine Flucht in die Welt der Transzendenz anstrebt. Daß christliche Weltgestaltung und die Annahme der Existenz eines personalen Gottes sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern geradezu bedingen, wird ihm nicht bewußt.
Zudem ist die Erreichung des von Bloch erwarteten Zieles der klassenlosen Gesellschaft allein in die Hand des Menschen gelegt. Hoffnung aber enthält doch auch immer etwas, was nicht in der Verfügung des Menschen liegt. Der französische Philosoph und Existentialist Gabriel Marcel (1889 bis 1973) sieht gerade dieses »gnadenhafte Element« als wesentlich für jede echte Hoffnung: »Die einzig echte Hoffnung ist die, welche sich auf etwas richtet, das nicht von uns abhängt.« Letztlich bezieht sich ja Hoffnung nicht nur auf ein konkretes erhofftes Gut, sondern auch auf ein Gelingen des ganzen menschlichen Lebens. Wo einer an seiner Existenz zweifelt, wo er verzweifelt, sagen wir: »Er hat die Hoffnung verloren.« Insofern richtet sich Hoffnung im letzten auch auf mein mich betreffendes Heil - auch dies kommt bei Ernst Bloch zu kurz. Hoffnung als sinnvolle Haltung unseres Daseins wird nicht an der Grenze des Todes haltmachen, sondern darüber hinaus fragen, ob es jenseits dieses Todes Heil gibt. Eine Antwort auf diese Frage gibt uns die Offenbarungsreligion, wie sie in den Schriften des Alten und Neuen Testamentes überliefert wird.
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Der »Exodus-Charakter« jeden menschlichen Lebens
Zu den zentralen Heilsereignissen des Volkes Israel zählt nach dem Bericht des Alten Testamentes die Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens. Dieser »Exodus« oder Aufbruch bleibt geradezu bestimmend für jüdische Gläubigkeit. Der Bund Gottes mit dem Volk Israel am Sinai, die Gesetzgebung sowie Gottes gnädige Führung dieses Volkes durch die Steinwüste des Sinai sind die fundamentalen Heilsereignisse, deren auch heute noch der gläubige Israelit bei der Feier des jährlichen Paschafestes gedenkt.
Als der russische Maler und Graphiker Marc Chagall (1887-1985) beauftragt wurde, für den Empfangssaal des jüdischen Parlamentsgebäudes in Jerusalem, der Knesseth, eine Wanddekoration zu schaffen, die zugleich eine Selbstdarstellung der Hoffnungen seines jüdischen Volkes sein sollte, griff er auf diese Heilsereignisse zurück. Er schuf ein Triptychon, das auf einer Fläche von annähernd hundert Quadratmetern seit 1969 die Besucher des Hauses anspricht.
Als Thema dieser drei Wandteppiche wählte Chagall den Schöpfungsbericht des Sechstagewerkes (Gen. 1, 1-2, 4 a), den Auszug Israels aus Ägypten mit dem Zug durch die Wüste Sinai und der Gesetzgebung unter Mose (Ex. 12, 1-18, 27) und schließlich die von König David vorgenommene Überführung der Bundeslade von Baala in Juda hinauf nach Jerusalem (2 Sam. 6) - jenen Bericht, nach dem König David vor der Bundeslade des Herrn vor Freude tanzte und in die Harfe griff. Aus diesen drei Bildern spricht eine ungeheuere Aufbruchstimmung, Hoffnung und Zuversicht. Sie gründet im Glauben dieses Volkes an seine Berufung und an das befreiende Handeln Gottes. Israel hat offensichtlich aus dieser Hoffnung heraus Kraft geschöpft, nicht nur auf jenem jahrzehntelangen Nomadenzug durch die Steinwüste des Sinai, sondern auch später während der Babylonischen Gefangenschaft im 6. Jahrhundert v. Chr., aber auch nach der Zerstörung des Tempels und der Stadt Jerusalem im Jahre 70 n. Chr., bis hinein in die Notzeiten der Vernichtungslager von Buchenwald und Auschwitz.
Dieser Hoffnung auf die Befreiungstat Jahwes verdankt Israel sein Überleben und seinen weiteren Weg.
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Im ersten Bild des Triptychons, im Schöpfungsbericht, wird jener Grundgedanke festgehalten, daß sich alles Dasein und Leben einem Schöpferwillen Gottes verdankt. Das zweite Bild des »Exodus«, der Auszug aus Ägypten, dem Land der »Fleischtöpfe«, weist auf jenes Wagnis hin, das Israel im Vertrauen auf Gott unternommen hat. Dieser Weg führte in eine zunächst noch ungewisse und nur vage umrissene Zukunft. Er wurde beschritten, weil man sich des Beistandes Gottes gewiß war. Auch im dritten biblischen Bild kommt eine ungeheure Hoffnung und Aufbruchsstimmung zum Ausdruck. David zieht mit dem ganzen Volk zusammen mit der Bundeslade »hinauf nach Jerusalem«; er ist mit seinem Volk unterwegs zu einem Ziel. Der biblische Bericht endet eigenartig abrupt mit dem Hinweis auf Michal, der Tochter Sauls; sie zieht nicht mit ihrem Volk, sondern schaut distanziert aus dem Fenster zu und macht sich lustig über den vor dem Herrn tanzenden König. Das Kapitel endet mit dem Satz: »Michal aber, die Tocher Sauls, bekam bis zu ihrem Tod kein Kind.« (2 Sam. 6, 23) Kein Kind zu bekommen, bedeutet im Alten Testament soviel wie: nicht in den Nachkommen am messianischen Heil teilhaben. Michal verkörpert offensichtlich jene Position, die sich kritisch zurückhält und sich nicht mit auf den Weg begibt. Man könnte auch in diesem dritten Bild einen Aufruf zum Aufbrechen verhärteter Strukturen oder eines statischen Verständnisses menschlichen Lebens erblicken. Wer nicht mit aufbricht, wer sich den Veränderungen und dem geschichtlichen Wandel nicht stellt, bleibt »unfruchtbar«, dessen Leben wird nicht gelingen. Hier läge der Ansatz für die existentielle Bedeutung menschlichen Hoffens in unserer Zeit.
Nichts gefährdet nämlich menschliches Leben und Zusammenleben mehr als ein ideologisches Festhalten an einem geschlossenen System. Hierzu zählt auch jenes zyklische Denken, das mit dem Bild des Kreislaufes alle Ereignisse als »schon dagewesen« katalogisiert und das keinen Platz hat für jene Wachstumsbewegung, die sich mit dem Gedanken der Evolution und vor allem mit einem geschichtlichen Denken verbindet.
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Heute müssen solche geschlossenen Systeme aufgebrochen werden, da auch die menschliche Natur eine nach vorn weisende, eine offene bleibt. Wir sind noch unterwegs zu unserem Menschsein. Es gibt nicht einfach die unwandelbare menschliche Natur, sie ist eine theoretische Abstraktion. Nur wo die Offenheit auf Zukunft hin vorhanden ist, werden wir den auf uns zukommenden Ereignissen begegnen können und nicht von ihnen überrollt werden. Diese Offenheit ist Voraussetzung für Hoffnung. Wo immer Menschen offen bleiben nicht nur für die Zukunft ganz allgemein, sondern für ein weiteres Fragen und Ergründen, für ein »Ja« zu einer besseren Zukunft, kann man von einer das Leben bestimmenden »Tugend der Hoffnung« sprechen.
Ein solches Verständnis wird dem Unterwegssein des Menschen auf eine bessere Zukunft hin eher gerecht. Sie muß auch unsere Moral bestimmen. Hier bedarf es einer »Moral der Vorläufigkeit«, die prospektiv auf die je neu ankommende Zeit ausgerichtet bleibt und sich nicht mit dem bloß Gegenwärtigen begnügt, es allerdings auch nicht negiert. Der Mut zur Vorläufigkeit und zu einer Relativierung schließt Verbindlichkeit nicht aus. Er besagt aber, daß wir das Bestehende immer wieder neu zu prüfen haben, ob und inwieweit es der Wirklichkeit hinreichend gerecht wird.
Hoffnung als Prinzip
Der Gründer von Rotary, Paul Harris (1868-1947), hat für die Gemeinschaft der Rotarier den »Mut zum Dienen« besonders herausgestellt. Dabei geht es nicht nur um materielle Dienst- und Hilfsbereitschaft am Nächsten und an der Gemeinschaft, sondern auch darum, Raum zu schaffen für den notwendigen Dialog in unserer Gesellschaft, der auch Voraussetzung bleibt für ein Glücken und Gelingen menschlichen Zusammenlebens, ja für den Frieden in der Welt überhaupt.
Hier gilt es, verhärtete Strukturen und Erstarrungen, die stets zu Unmenschlichkeit führen, aufzubrechen.
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Die verschiedensten Ideologien mit totalitärem Anspruch stellen eine besondere Herausforderung dar. Ideologie wird hier negativ verstanden als jene Denk- und Handlungsweise, die charakterisiert erscheint durch einen Ausschließlichkeitsanspruch. Auf einer solchen Basis ist ein Dialog, ja auch ein Kompromiß unmöglich. Hier gibt es nur Apologie und Bekämpfung der anderen Positionen, hier fehlen Offenheit und Toleranz. Einen solchen totalitären Anspruch darf weder eine Wissenschaft noch eine Theologie erheben; denn niemals ist die ganze Fülle der Wirklichkeit in einem System hinreichend abgedeckt. Zwar fasziniert ein starres und logisch stringentes Weltbild, doch wesentliche irrationale Elemente und Erfahrungen, auch der Bereich des Unbewußten im Menschen, bleiben ausgeklammert. Bei einer solchen Ideologisierung wird der Mensch der Idee geopfert. Hier gibt es keine neu auf uns zukommende Zukunft mehr, hier ist auch nichts mehr zu erhoffen.
Der polnische Marxist Leszek Kolakowski hat gezeigt, wie innerhalb seines eigenen Systems, so es als geschlossenes marxistisches System verstanden wird, der »Mensch ohne Alternative« der Gesamtwirklichkeit des Menschen und menschlichen Zusammenlebens nicht hinreichend gerecht wird.
Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung, aber auch im Rahmen einer politischen Ideologie werden solche Herrschaftsansprüche angemeldet. Sie führen zu Frontenbildungen, Streitigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Dabei ist noch nicht jene Weltkonzeption als ideologisch zu bezeichnen, die sich gegenüber einer anderen abriegelt, sondern jene, die vorgibt, den Stellenwert jeglicher Erscheinung endgültig und abschließend zu bestimmen. Hier werden Teilerkenntnisse verabsolutiert: eine »Pars-pro-toto-Ideologie«. Interessanterweise haben gerade die empirischen Wissenschaften im Kampf gegen religiöse Weltanschauungen das Anliegen der Offenheit und Freiheit der Forschung vertreten. Im 18. und 19. Jahrhundert wollten sie ihren eigenen Bereich von einer metaphysischen weltanschaulichen Umklammerung freihalten und für die Forschung den notwendigen Spielraum öffnen.
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Doch fielen sie ihrerseits in eine ideologische Position. Ihre starre Gegnerschaft gegen alle nicht-wissenschaftlichen Erkenntnisansprüche der Geisteswissenschaften und der Religion ließ nurmehr das empirisch exakt Faßbare als wissenschaftlich gelten. So wurde von Seiten der katholischen Kirche im 17. Jahrhundert im sogenannten »Prozeß Galilei« noch ein Anspruch angemeldet, der mit Recht von den Naturwissenschaften als eine Grenzüberschreitung der Kirche angesehen wurde. Man glaubte, aus den Aussagen der Bibel über Ursprung und Entstehung der Welt auch naturwissenschaftliche Aussagen entnehmen zu können (daß sich die Sonne um die Erde drehe und nicht umgekehrt!). Nun verfielen die empirischen Wissenschaften ihrerseits einer Absolutsetzung ihres eigenen Ansatzes.
Heute dürfte auch diese ideologische Position wieder weithin aufgebrochen sein. Die Gefahr neuer starrer Positionen aber steht immer wieder an. Prinzip Hoffnung und Offensein für die Zukunft verträgt keine solche Erstarrung.
Eine solche Offenheit ist mehr als bloße Billigung oder Tolerierung eines anderen Standpunktes. Sie bedeutet, auf den anderen zuzugehen und die berechtigten Ansätze der Wirklichkeits- und Wahrheitserkenntnis aufzugreifen. Unser »Unterwegssein« müßte geradezu zeigen, daß unreflektierte Vorurteile, Klischees, bloßes Nachschwätzen einer Position oder eines Modejargons nicht von Dauer sind und letztlich wie Seifenblasen zerplatzen.
Offenheit und Bereitschaft zu neuen Erkenntnissen schließt den eigenen festen Standpunkt nicht aus, sondern im Gegenteil ein. Echte Toleranz ist nur möglich, wo ich auch einen eigenen Standpunkt besitze, aber die Meinung des anderen ernst nehme und gelten lasse und wo ich weiß, daß auch meine eigene Position noch ergänzungsbedürftig ist.
Widerspricht aber solcher Toleranz nicht christlicher Glaube? Erhebt er nicht einen Anspruch, die einzig wahre Religion zu sein?
Natürlich steht christlicher Glaube wie jede Religion immer wieder in der Gefahr einer Ideologisierung und damit einer Verfälschung. Doch der Wahrheitsanspruch christlichen Glaubens ist ein anderer als der Totalitätsanspruch der Ideologie. Christlicher Glaube geht von der Überzeugung aus, daß sich Gott in vielfacher Weise, letztlich in der Gestalt Jesu von Nazareth, den Menschen geoffenbart hat, wie dies in den Schriften der Bibel im Alten und Neuen Testament bekundet ist. Christlicher Glaube nimmt auch an, daß diese Offenbarung nicht mehr überholbar ist. Dennoch bleibt dieser Glaube freies Angebot. Er ist auch kein fertiges System, sondern besitzt von seinem biblischen Ansatz her noch jene Offenheit, die auch mit Überraschungen, mit dem Eingreifen Gottes in dieser Welt rechnen darf.
Bereits im alttestamentlich-jüdischen Glaubensverständnis war der geschichtliche Charakter, der die Offenheit auf Entfaltung des Glaubens verlangte, wesentlich. Zur Grundstruktur dieses Glaubens und Lebens gehört gerade im Christentum auch das stets neue Aufbrechen auf das Ziel hin, der »Exodus-Charakter«. Wo solcher Glaube zu einem starren System oder zu einer lebensfremden Norm, zu einem rein theoretischen Dogmatismus wird, mündet er in Unfreiheit, Feindseligkeit und in einer Mißachtung der Freiheit und Rechte unserer Mitmenschen.
Prinzip Hoffnung bedeutet auch, in unserer pluralen Welt mit der Vielfalt verschiedener Wertungen und Argumente die Chance zu nutzen, die eigene persönliche sittliche Einstellung vorzuleben und unter ein gemeinsames Ziel zu stellen. Dabei dürfte niemand verketzert werden. Alle sollten um die je besseren Argumente ringen und den Dienst am Mitmenschen und an der Gemeinschaft in Form von sozialer Gerechtigkeit in gemeinsamem Bemühen noch besser verwirklichen. Ein solcher Dienst schließt auch den Schutz der Schwachen und Minderheiten in besonderer Weise mit ein.
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