2.2 Der vergessene Faktor Zeit
Wir benutzen die Erde,
als wären wir die letzte
Generation. Rene Dubos
Die Ernte der Jahrmillionen
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Woher kommen alle die Grundstoffe, deren Verbrauch ins Unermeßliche wächst? Woher kommen damit auch die Steigerungen der landwirtschaftlichen Produktion? — Auf dieser Erde gilt das Gesetz von der Erhaltung der Materie! Da auch die menschliche Wirtschaft von diesem Gesetz nicht ausgenommen ist, muß eine ständige Zufuhr von Gütern schließlich irgendwoher stammen. Und dort muß eine entsprechende Verminderung die Folge sein.
Der englische Philosoph Francis Bacon sagt in bezug auf den Wirtschaftsprozeß: »Quidquid alicui addicitur, alibi detrahitur« (Was irgendwo hinzugefügt wird, wird woanders weggenommen). Dieses Naturgesetz gilt auch dann, wenn es der Wirtschaftswissenschaft beliebt, es zu ignorieren.
Durch das Vorangegangene dürfte klargeworden sein, daß die Vervielfachung der Produktion eine Folge des gewaltigen Einsatzes von Energien und Rohstoffen war. Dieser Einsatz konnte nur darum in Gang kommen, weil diese Stoffe, obgleich ganz richtig als »Bodenschätze« bezeichnet, »umsonst« zu haben waren.
Woher beziehen wir aber diese zusätzlichen Energien und Rohstoffe?
Aus dem Vorrat der Zeit!Was in früheren Jahrmillionen entstanden ist, das setzt die heutige Menschheit in Kraft und Stoff (= Leistung) um. Auch hier gilt die physikalische Formel. Will man ein hängendes Gewicht in Leistung umwandeln, so gilt dafür die Gleichung:
Leistung = Gewicht mal Höhe pro Zeit
Soll die Leistung erhöht werden, geht das nur auf Kosten der Zeit. Bei Erhöhung der Leistung auf das Zehnfache kann man sie statt 10 Sekunden lang nur 1 Sekunde lang nutzen. Ebenso kann die langsame Ausbeutung der Erde in eine beschleunigte umgewandelt werden. Jede Verbesserung der Technik bedeutet, daß noch mehr Vorrat der Vergangenheit in noch kürzerer Zeit in Nutzung umgesetzt wird.
Am deutlichsten ist das bei der Ausbeutung der fossilen Brennstoffe zu erkennen. Rund 500 Millionen Jahre waren nötig, damit sich rund 500 Milliarden Tonnen Erdöl bilden konnten. Bisher wurden davon 44,5 Mrd. Tonnen ausgebeutet; das ist der Ertrag von 44½ Mill. Jahren. Allein im Jahre 1973 wurde demnach das Ergebnis von 2.800.000 Jahren verbrannt!
Infolgedessen ist die heutige Technik auf der einen Seite schöpferisch, auf der anderen aber zerstörend. Das Ergebnis der Vergangenheit ist, indem es heute verbraucht wird, zugleich der Zukunft entzogen. Es muß auf dem Konto »Zukunft« als Verlust gebucht werden.
Hans Christoph Binswanger bezeichnet die Rohstoffe sehr richtig als »Importe«.1 Wir importieren E+ R, Energie und Rohstoffe, aus den Lagern der Vergangenheit; weil wir diese aber für die Zukunft entleeren, können wir auch mit Binswanger von einem »Import aus der Zukunft« sprechen.
Dieser bislang fast kostenlose Import ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Er kostet uns nicht einmal eine Wartezeit. Auf die jährliche Ernte der Natur muß geduldig gewartet werden. Niemand hat dort die Macht, die Wachstumszeit zu verkürzen. Nur aus dem Vorrat der Vergangenheit läßt sich das Ergebnis von Jahrtausenden durch die heutige Technik zusammenraffen. Darum waren hier Zuwachsraten zu erzielen, die im natürlichen Kreislauf niemals möglich sind.
Was wir heute über das natürliche jährliche Ergebnis der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei hinaus ernten, das stammt aus den Jahrmillionen vor uns. Diese Ernte der Zeiten ist eine einmalige Ernte, und darum kommt der Tag, wo es nichts mehr zu ernten gibt. Nur die Natur dieses Erdballs hat eben die einzigartige Eigenschaft, mit Hilfe der Sonnenenergie Jahr für Jahr neue Geschenke hervorzubringen und dennoch nicht zu versiegen.
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Die fossilen Brennstoffe sind Produkte der Natur, die unter bestimmten Voraussetzungen bis heute gespeichert wurden. Sie kamen in Jahrmillionen zusammen, weil niemand sie abbaute. Was heute noch an fossiler Energie neu gebildet wird, ist nicht mehr als die tropfenweise »Auffüllung« eines Reservoirs, das durch ein ständig wachsendes Riesenloch entleert wird. Oder, wie Ernst Basler es an anderer Stelle ausdrückt: »Der vom Menschen erzeugte Fortschritt vollzieht sich heute rund einemillionmal schneller als die Evolutionsgeschwindigkeit der Natur.«2
Wenn die gegenwärtige Menschheit in den Jahren von 1963 bis 1973 den Verbrauch von 1,30 Mrd. t Erdöl auf 2,83 Mrd. Tonnen gesteigert hat, dann ist es ihr gelungen, statt des Ergebnisses von 1,3 Millionen Jahren das Ergebnis von 2,83 Millionen Jahren in einem Jahr zu verbrennen.
Das gleiche Prinzip läßt sich auf die mineralischen Rohstoffe anwenden. Denn auch die Eisenlagerstätten zum Beispiel haben eine Entstehungsgeschichte, wenngleich diese in noch größerer Ferne liegt und vielleicht Milliarden von Jahren gedauert hat. Wie sie auch verlaufen sein mag: Eisen war ihr Ergebnis — und auch Blei, Kupfer, Zinn, Nickel, Silber und Gold sind Ergebnis eines solchen Zeitverlaufs. Darum ist es erlaubt, auch hier von einer Umwandlung eines Zeitergebnisses in ein Momentergebnis zu sprechen.
Der vielgerühmte »Fortschritt« der letzten zwei Jahrhunderte besteht also im Grunde darin, daß der Mensch Mittel und Wege gefunden hat, sich die ruhenden Kapitalien der Erde nutzbar zu machen — und damit Zeit in Kraft und Masse umzuwandeln. Dabei wurde ganz übersehen, daß nicht nur Werte geschaffen, sondern auch in einem immer schneller werdenden Tempo vernichtet werden.3 Nur so schafft die heutige menschliche Technik kurzfristig ihre riesigen Wert-»schöpfungen«: auf Kosten dauernder Vernichtung.
Wir müssen der Wirtschaftstheorie also vorwerfen, daß sie gegenüber der Verminderung der Weltvorräte blind war. Dies kann man auch so formulieren: sie hat alle ihre Berechnungen unter Ausklammerung des Faktors »Zeit« angestellt. Eigentlich erstaunlich für eine Wissenschaft, die bei ihren Berechnungen des betrieblichen Produktionsausstoßes und der Kalkulation des Arbeits- und Materialeinsatzes tagtäglich mit der Frage zu tun hat: in welcher Zeitspanne? Dieses Versäumnis hatte allerdings eine für alle Menschen sehr erwünschte Folge. Man konnte in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung immer neue Zugänge verbuchen, ohne irgendeinen entsprechenden Abgang buchen zu müssen.4
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Wenn man die heutigen Thesen einiger Ökonomen hört, »die der neoklassischen Schule nahestehen«, wie Bruno Fritsch es behutsam formuliert, dann muß man sich fragen, ob sie nicht absichtlich Blindheit verbreiten wollten, da es in ihrer Modellwelt »das Konzept der nichtregenerierbaren Ressourcen grundsätzlich nicht gibt«.5
Solange man behauptet, allein mit Arbeit und Kapital produzieren zu können, ist es nur folgerichtig, dieses Problem zu ignorieren; denn menschliche Arbeitskraft wird immer wieder neu geboren. Und wenn Kapital tatsächlich das Ergebnis vorhergehender Arbeit wäre, dann brauchte man sich auch nicht weiter darum zu sorgen, dann wäre auch dieses durch frühere Geburten erzielt worden. Sobald aber materielle Faktoren eingesetzt werden müssen, nämlich E + R, taucht sofort die Frage auf: wie lange reichen diese? Denn diese Faktoren wachsen nicht auf natürliche Weise nach wie Pflanzen, Tiere und — Menschen. Infolgedessen ist die Zeit ein grundlegender Faktor menschlichen Wirtschaftens; eine Produktion kann nur auf einer bestimmten Höhe gehalten werden, solange Rohstoffe und Energien ausreichen.
Die bisher erarbeitete Formel P = N + A (E + R) ist also um den Faktor Zeit (Z) zu erweitern:
P = N + A (E / Z + R / Z)
Wenn eine bestimmte jährliche Produktion 1000 Jahre hindurch aufrechterhalten werden soll, dann darf pro Jahr auch nur 1/1000 des Gesamtvorrates von E und von R eingesetzt werden. Wenn man die Produktion von heute auf morgen verdoppelt, dann werden statt 1/1000 schon 2/1000 verbraucht. Die Folge ist, daß diese Produktion dann nur 500 Jahre lang laufen kann. Die beiden Glieder der Formel heißen dann E/500 + R/500.
Nun sind wir uns der Tatsache bewußt, daß E und noch mehr R in sich vielfältig zusammengesetzte Faktoren sind. Absolut sicher ist nur, daß die Produktion dann aufhört, wenn keinerlei E oder keinerlei R mehr vorhanden ist. Hier zeigt sich der Vorteil der Trennung von E und R. E und R können nämlich durchaus verschiedene Z-Werte haben, wir schreiben sie so: E/Z1 + E/Z2. Dabei wird die Zeit einer Produktion (P) von dem niedrigsten Z-Wert begrenzt. Es kann zum Beispiel noch Energie vorhanden sein, wenn die Rohstoffe bereits aufgebraucht sind: Z2 war dann kleiner als Z1. Das wäre der Fall bei Nutzung von Sonnenenergie oder auch bei Anwendung der Fusionsenergie. Dann kann energieseitig ein beträchtlicher Zeitgewinn eintreten: Z1 könnte gegen unendlich wachsen.
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Die Frage bleibt allerdings: Was fängt man mit reichlicher Energie an, wenn die Anwendungsmöglichkeiten fehlen — das heißt, wenn nicht mehr genügend Rohstoffe für eine industrielle Wirtschaft da sind? Die Geologen sind der Ansicht: »Die Zukunft der Rohstoffversorgung wird mit Sicherheit ungünstiger als die der Energieversorgung.«6 Rohstoffe bleiben die Voraussetzung auch für den utopischen Fall, daß E ohne mengenmäßige und zeitliche Begrenzung zur Verfügung stünde. Dann setzt eben (das kleinere) Z, der Produktion ein Ende. (Übrigens sind auch für jede künstliche, also technische Energieerzeugung und -übertragung sowie -anwendung Materialien, also Rohstoffe nötig.)
Wenden wir uns also der Rohstoffseite zu. Hier scheint es zunächst angebracht, für die Weltwirtschaft von Durchschnittswerten auszugehen. Wenn für eine bestimmte Produktion ein benötigter Rohstoff länger reicht als andere, dann bestimmt zwar zunächst der kleinste Vorrat die Dauer der Produktion. Man wird ihn aber unter Umständen irgendwie ersetzen können; am ehesten dann, wenn die benötigten Mengen klein sind. Andererseits ist klar, daß eine industrielle Produktion nicht weiterlaufen kann, wenn nur noch einige wenige Grundstoffe vorhanden, die meisten aber aufgebraucht sind.
Darum ist es, grob gesehen, durchaus berechtigt, von einer Durchschnittsdauer auszugehen. Diese beträgt bei der Zugrundelegung der 16 Rohstoffe in der Tabelle von Meadows ca. 40 Jahre und bei angenommener Verfünffachung der Vorräte durch Neufunde ca. 75 Jahre.
Dieses Ergebnis bleibt auch dann noch erschreckend genug, wenn der Endpunkt sich, bei äußerster Vergrößerung der Unsicherheitsfaktoren, noch um einige Jahrzehnte hinausschiebt.7 Die bestürzende Erkenntnis dämmert heute in immer mehr Köpfen, daß all die genialen Erfindungen, die ständig verbesserten Produktionsmethoden, der Bau von noch größeren, noch schnelleren Maschinen, kurz all die großen »friedlichen« Siege der Menschheit auch einen Preis gekostet haben: nämlich den, daß dabei die Erde um Milliarden und Millionen von Tonnen hochwertigster Materialien unwiederbringlich ärmer geworden ist. Das sind Negativposten, die noch niemand addiert hat, von denen überhaupt erst wenige wissen, und die den unruhig werdenden Völkern weiter absichtlich oder unabsichtlich verschwiegen werden.
Die Völker nehmen es einfach hin, daß sie heute das Vielfache an Gütern verbrauchen als jemals in der Weltgeschichte. Wenn sie sich Gedanken darüber machen, wieso das heute möglich ist, dann schreiben sie die Errungenschaften ihrer gesteigerten Intelligenz zu. Dies ist aber nur ein kleiner Teil der Wahrheit.
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Die Intelligenz hat nur Wege gefunden, die Materie umzuwandeln, aber keine, Materie neu zu schaffen! Wie seltsam, daß dieses materialistische Zeitalter, das den »dialektischen Materialismus« hervorgebracht hat, bis heute nicht begriffen hat, daß zur Güterproduktion Materie notwendig ist.
Indessen schaut die heutige Generation mit mitleidiger Herablassung auf das Leben früherer Generationen herab. Man verhöhnt die eigenen Vorfahren, die »dumm genug« waren, sich mit dem zu begnügen, was die Natur ihnen wachsen ließ. Aber nur dadurch blieben uns die Vorräte der Erde erhalten! Damit wir sie nun skrupellos der Nachwelt wegfressen?
Die auf uns folgenden Generationen werden mit blanker Wut und Verachtung auf den Egoismus der Menschen des 20. Jahrhunderts zurückblicken, die sich in ihrer unübertrefflichen Selbstgefälligkeit vornahmen, den Erdball in 100 Jahren auszuplündern. Denn was wir heute von den Vorräten aus zurückliegenden Zeiten verbrauchen, nehmen wir den Zeiten nach uns weg. Spätere Generationen werden von den Resten leben müssen, die wir übriglassen. Sie werden versuchen müssen, das zu verwerten, was uns zu geringwertig und zu kostspielig schien. Sie werden sich mit dem Schlechteren begnügen müssen und es viel schwerer haben. Die Mitmenschen auszubeuten, gilt heute als verpönt. Aber den Enkeln die Existenzgrundlage entziehen, indem man heute ausbeutet, was sie bitter nötig haben werden, ist eine verdienstvolle Tat. Das bringt Geld und Ehren — und absolute Wahlsiege ein.8
Der allergrößte Witz ist aber der, daß man diesen ganzen Betrieb damit begründet, man arbeite für eine »bessere Zukunft«. Dabei verzehrt man mit den Gütern der Vergangenheit gerade die Art von Zukunft (die materiell gesicherte nämlich), die man angeblich — mag sein im guten Glauben — anstrebt. Jetzt erkennen wir, was die Dinge wirklich kosten: nicht nur die Arbeit oder das Geld, sondern sie kosten die Zukunft und damit ein Stück unseres Lebens und des Lebens unserer Kinder. Damit müssen wir bezahlen! Ist das nicht Grund genug, die Güter anders zu bewerten und wieder sparsam mit ihnen umzugehen?
Wir reden hier natürlich von dem - bestenfalls - einem Drittel der Erdenbewohner, die sich dieses kurzfristige Freudenfeuerwerk leisten. Wir sehen deren Schuld auch nicht darin, daß sie dies alles den übrigen zwei Dritteln vorenthalten. Nein, ihr unverantwortliches Handeln besteht darin, daß sie die übrigen zwei Drittel glauben machen, auch sie könnten diesen Standard erreichen.
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Man nennt sie ja Entwicklungsländer, womit klar gesagt ist, wohin sie sich gefälligst zu entwickeln haben. Sie können sich gegen diese Gaukelei nicht wehren. Denn all ihre Kenntnisse, Glaubensinhalte und Lebensgewohnheiten sind längst von der rationellen Effektivität der industriellen Welt überrollt worden. Oder muß es für sie nicht deprimierend sein, wenn ein einziger Bagger an einem Tage die Erdmassen bewegt, wozu hundert Eingeborene Monate gebraucht hätten? Ihre Handarbeit ist hoffnungslos entwertet. Die Produkte ihrer Hände können mit den in der Stadt ausgestoßenen nicht entfernt konkurrieren. Also verlassen sie das Land und ihre Sippe, um dann in der Stadt festzustellen, daß sie nur das Proletariat vermehren."
Die Industrieländer haben durch ihr Beispiel und ihre Propaganda die Illusion in die Hirne gepflanzt, daß alle so leben könnten, wie man das vom Fernsehen oder vom Kino her kennt — und von den Touristen, die reich und selbstbewußt durch das Land jagen. Die Hoffnung, wenn nicht gar der Glaube an eine solche rosige Zukunft wird die armen Völker nicht veranlassen können, um das Überleben ihrer Kinder so zu bangen, daß sie lieber auf einige davon verzichten.
Dabei ist der Lebensstandard der Industrievölker in dieser Höhe nur möglich, weil die Rohstoffe auch aus den sogenannten Entwicklungsländern herangeholt werden. Daß sie dort ebenfalls so gut wie nichts dafür bezahlten, ist den Industrienationen gar nicht anzulasten, denn sie kennen es auch zu Hause nicht anders. Im Gegenteil: Für ein volkreiches Entwicklungsland sind die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, die durch Abbau, erste Verarbeitung und Transport der Rohstoffe entstehen, noch immer bedeutender, als es in den Industrieländern der Fall ist.
Die heutige Wirtschaft greift nicht nur in die Zeit aus — nämlich auf die Vorräte der Vergangenheit zurück und damit auch in die Zukunft voraus, sie betrachtet auch den Raum, die gesamte Erdoberfläche, als die Vorratskammer für das Hier und Jetzt.
Früher waren es nur die Kolonien der europäischen Mächte, die zunächst hauptsächlich Naturerzeugnisse, eben Kolonialwaren, lieferten. Dann wurden auch im zunehmenden Maße Bodenschätze abgebaut. Heute wird jeder Winkel der Erde systematisch nach Bodenschätzen durchsucht. Man erforschte die Seegebiete im Bereich des Festlandssockels, geht nun auf den Grund der Hohen See und stößt in die Bereiche des ewigen Eises vor — in Kanada wie in Sibirien. Neuerdings liest man von Projekten zur Ausbeutung der Antarktis.
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Alles wird auf das Heute konzentriert; es fehlt jeder Zeithorizont — man kann nicht schnell genug ernten, was sich in Jahrmillionen angesammelt hatte. Warum will man eigentlich solche übermächtigen Schwierigkeiten auf sich nehmen, wo doch so viele behaupten, man werde völlig neue Stoffe finden und andere Techniken entwickeln?
Die einmalige Ernte des Wissens
Zur Ernte, wenn nicht der Jahrmillionen, so doch zur Ernte der Jahrtausende, gehört auch das angesammelte Wissen. Darüber schreibt Alexander Rüstow in seinem höchst empfehlenswerten Aufsatz, <Kritik des technischen Fortschritts> (1951):10)
»Diese einmalige und einzigartige weltgeschichtliche Situation, mit einem Anlauf von mehr als 2000 Jahren, sie ist es, die zu diesem einmaligen und einzigartigen, unerhörten Tempo des technischen Fortschritts geführt hat, dessen staunende Zeugen wir seit 200 Jahren sind, und das seit der letzten Jahrhundertwende eine nochmalige Steigerung erfahren hat.«
Das heutige Tempo des technischen Fortschritts ist für Rüstow »eine ganz exeptionelle und ganz extreme Erscheinung«, so daß dafür noch andere Gründe vorhanden sein müssen als der Siegeszug der exakten Wissenschaften. Es hatte schon in der Antike zahlreiche Erfindungen gegeben, aber angewandt wurden sie nur in der Kriegstechnik und — für Spielautomaten. Und auch die Scholastik des Mittelalters brachte einen Aufschwung, der über die Renaissance zu Kopernikus, Kepler, Galilei, Newton führte. Roger Bacon (1214-1294) postulierte bereits die Erfindung von Flugzeug, Auto, Dynamit, und Leonardo da Vinci fertigte schon Konstruktionsskizzen für U-Boote und Flugzeuge.
»Was jedoch den praktischen Fortschritt des Mittelalters in Grenzen hielt, war die nicht-ökonomische Orientierung der Gesellschaft. Sowohl in der feudalen wie in der kirchlichen Rangordnung rangierten Erwerbstätigkeiten auf der untersten Stufe der sozialen Leiter. Sicher war die Arbeit gottgefälliger, als sie je in der Antike gewesen war — dafür sorgten schon die [geistlichen] Orden. Aber solange die Kirche als etablierter Heilsapparat die Gleichheit der Menschen in der Welt des Jenseits sicherstellte, war kein großes Bedürfnis nach Sicherung des diesseitigen Reiches vorhanden.« 11)
Auch die Renaissance war nicht naturwissenschaftlich, sondern geisteswissenschaftlich interessiert, und sie hatte keine Fortschrittsideologie. Obwohl die damaligen Erfindungen »durchaus produktionstechnisch anwendbar gewesen wären, fand eine solche praktische Anwendung genauso wenig wie im Altertum statt«12 — wieder mit Ausnahme der Kriegstechnik und der Spielautomaten und etwaiger Anwendung in Eigenbetrieben der Fürsten, insbesondere in Bergwerken.
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Dabei gab es eine ganze eigene Literaturgattung, die der Projektanten, worin handschriftlich oder gedruckt den Fürsten »die praktische Nutzbarmachung solcher technischen Fortschritte ausgemalt und propagiert und die ungeheuren Gewinnmöglichkeiten vorgerechnet wurden«.13
Aber es bestand kein Bedürfnis zur wirtschaftlichen Verwertung. Von der Kirche wurde diese als Todsünde verurteilt, wie sie schon von Aristoteles als Habgier verachtet worden war. In den antiken Sagen erleiden die Erfinder ein übles Schicksal. »Hephaistos hinkt, Ikaros stürzt ab, Prometheus wird angeschmiedet. Und in einem berühmten Chorlied von Sophokles' Antigone ruft der Chor sein tragisches Wehe! über die erfinderische Vermessenheit des Menschen.« Noch in der Thorner Zunfturkunde von 1523 heißt es: »Kein Handwerksmann soll etwas Neues erdenken oder erfinden oder gebrauchen, sondern jeder soll aus bürgerlicher und brüderlicher Liebe seinem Nächsten folgen.« Alexander Rüstow meint, »gegen diesen großartig-verhängnisvollen Schritt ins Unbetretene, nicht zu Betretende, ein tollkühnes Wagnis und Abenteuer von unabsehbaren Folgen, scheint sich die abendländische Menschheit jahrhundertelang mit einer Häufung von Widerständen aller Art instinktiv gewehrt zu haben.«14
Damit hatte sich aber im Laufe der Jahrhunderte ein Vorrat von Wissen, von Erfindungen und Plänen angestaut, dessen Freisetzung innerhalb kurzer Frist, etwa um die Wende des 18. Jahrhunderts zu einer wahren Sturzflut führte.
»Dabei wurde durch den siegreichen Wirtschaftsliberalismus die Anwendung nicht nur ermöglicht, sondern zugleich auch erzwungen.«10
Darin sieht Alexander Rüstow die Lösung des Rätsels, das unter dem Stichwort »Industrielle Revolution« hinter uns liegt und das von dem deutschen Staatsrechtler Ernst Forsthoff als »Zeitalter der technischen Realisation« bezeichnet wird. Nachdem die Dämme gebrochen waren, trat die Weltgeschichte in ein ganz neues Stadium ein. Die entfesselte Begeisterung für den technischen Fortschritt trat ihren Siegeszug rund um den Erdball an.15 Was Wunder, daß dieser »blinde Glaube an den technischen Fortschritt auch ein Zentralbestandteil der kommunistisch-bolschewistischen Weltreligion geworden ist«.16
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Seitdem ist die Menschheit nicht mehr zur Besinnung gekommen. Nicht nur, daß sie den Krieg des Fortschritts führen mußte, der letzten Endes ein Krieg gegen die Erde ist — sie mußte auch unter sich Kriege um den »wahren Weg« zum Fortschritt führen und führt sie heute noch. Jede Bewegung, jede Revolution verspricht heute unter dem Stichwort »soziale Gerechtigkeit«, mehr Güter zur Verteilung zu bringen. Selbst große Teile der christlichen Kirchen haben sich inzwischen dieser Bewegung angeschlossen und erwarten das Heil nicht mehr im Jenseits, sondern in einer Verwirklichung der Ideen des Fortschritts, die dann die Lösung aller sozialen Probleme bringen würde.
Die Erfindungen waren auch in den letzten Jahrhunderten noch die Taten genialer Einzelgänger. Auch da wurde durchaus nicht alles verwirklicht, was an Neuerungen angeboten wurde. Erst im 20. Jahrhundert begann eine neue Phase, in der neue Lösungen sogar systematisch gesucht wurden; zunächst von großen Firmen. Etwa mit dem II. Weltkrieg begannen die Staaten, Entwicklungsaufträge mit bestimmter Zielsetzung zu vergeben — zunächst auf militärischem Gebiet. Die Dimensionen der Probleme nahmen auch so gewaltig zu, daß nur noch mit großen finanziellen Mitteln Ergebnisse zu erzielen waren. Dennoch stellt Norbert Wiener 1952 fest:
»So wertvoll das große Laboratorium ist, so arbeitet es doch am wirkungsvollsten bei der Entwicklung von bereits am Tage liegenden Ideen und am schlechtesten und unwirtschaftlichsten bei neuen Ideen. Daß es uns während des Krieges so große Dienste leistete, lag daran, daß wir zu jener Zeit einen riesigen Bestand wissenschaftlicher Ideen aus der Vergangenheit hatten, der bis dahin noch nicht für erfinderische Zwecke benutzt worden war. Schon beginnt dieser Vorrat abzunehmen.«17
In den letzten Jahren mußte der Vorrat dadurch immer geringer werden, weil die Frist bis zur Umsetzung der Erkenntnisse in wirtschaftliche Nutzung immer weiter verkürzt wurde. Bruno Fritsch gibt eine Tabelle aus »The Futurist« wieder18 (s. nebenstehende Abbildung). Man suchte mittlerweile Entwicklungen, von denen man annahm, daß sie ohnehin kommen würden, zeitlich zu beschleunigen, um damit einen strategischen oder wirtschaftlichen Vorteil zu erreichen — manchmal auch nur ein höheres Prestige.
Naturgemäß hatten die USA hier die größten Möglichkeiten. Die bekanntesten Großprojekte sind: die Entwicklung der Kernspaltung, der Überschallflugzeuge, der Raketen bis zum Weltraumflug und die Computertechnik; aber es gibt unzählige andere. Ein Vorrat an Erfindungen, den wir der nächsten Generation überlassen könnten, kann überhaupt nicht mehr entstehen.
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Technische Erfindungen — Zeitspannen zwischen Erfindung und praktischem Einsatz (in Jahren)
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Eine Benachteiligung der Zukunft entsteht noch auf Grund einer anderen Tatsache, auf die Bruno Fritsch hinweist.19 Im Konkurrenzkampf stehende Firmen und auch die Staaten fördern die angewandte Forschung und haben für die Grundlagenforschung keine Mittel übrig. Dies muß zu einem Defizit bei den wissenschaftlichen Grundlagen führen, während die in dem Dreiecksverhältnis von Staat — Wissenschaft — Wirtschaft freigesetzten Kräfte heute »eine zunehmende Verwobenheit von gesellschaftlichen und technischen Phänomenen« zeigen, »wobei die Komplexität und damit Verwundbarkeit Störungen gegenüber insbesondere in den wissenschafts- und kapitalintensiven Sektoren der Industriegesellschaften stark zunahm und immer noch zunimmt«.20
Eine weitere Unsitte hat in den letzten Jahren um sich gegriffen:
Für möglich erachtete oder auch nur erhoffte Ergebnisse werden von Wirtschaft und Politik so behandelt, als gehörten sie bereits zur Wirklichkeit. Das bedeutendste und typischste Beispiel ist die Kernfusion. Sie ist in der Wasserstoffbombe realisiert, und damit wird weitgehend unterstellt, daß man daraus in Zukunft unbegrenzte Energiemengen gewinnen könne. Die ungeheuren Schwierigkeiten, von denen Wissenschaftler und Techniker berichten, werden nur in Kleinschrift gemeldet.
Man rechnet bereits mit den wirtschaftlichen Ergebnissen von Erfindungen, die erst noch gemacht werden sollen. Das hat es bisher noch in keiner Epoche der Geschichte gegeben! Und erst recht nicht, daß man bei der Sicherung der Lebensgrundlagen Erfindungen einkalkulierte, die erst noch realisiert werden mußten. Früher war es dagegen so, daß man eine Erfindung als unverhofftes Geschenk ansah und sich viel Zeit ließ, bis man sie nutzte.
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Norbert Wiener sagt: »Dadurch, daß wir uns auf zukünftige Erfindungen verlassen, welche uns aus Zwangslagen herausziehen sollen, in die wir durch die Verschwendung unserer natürlichen Hilfsmittel geraten sind, zeigen wir aufs deutlichste unsere amerikanische Vorliebe für Glücksspiele und unsere Begeisterung für den Spieler, aber unter Bedingungen, unter denen kein vernünftiger Spieler setzen würde. Welche Fertigkeit der erfolgreiche Pokerspieler auch haben mag, er muß doch mindestens wissen, was er in der Hand hält. Im Glücksspiel der zukünftigen Erfindungen jedoch kennt niemand den Wert der Karte, die er in der Hand hält.«21 In wenigen Generationen wird selbst »die Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse der Menschen von Erfindungen abhängen, die erst noch gemacht werden müssen«.22
Damit ist in bezug auf die Summe des Wissens die gleiche fatale Lage eingetreten wie auf dem Gebiet der Energie- und Rohstoffvorräte. Vergangenheit und Zukunft werden rücksichtslos auf das Hier und Heute übertragen. Das bedeutet, daß den nächsten Generationen kein Wissensvorrat überlassen wird, der nicht bereits ausgebeutet wäre; während das 20. Jahrhundert noch einen großen Vorrat übernehmen konnte. Alles wird heute sofort realisiert und — was das Allerschlimmste ist — ohne jede Rücksicht auf die Folgen oder mögliche Fehlschläge.
Wenn heute die Einstellung vorherrscht, alle Probleme könnten durch neue Entdeckungen und Erfindungen gelöst werden, dann ist das »eine reine Extrapolation der Erfahrungen der letzten 100 Jahre, und es wäre, wie schon bei der Behandlung der Buchführung über die Ressourcen begründet, verwegen, wenn man sich in seinem Verhalten gegenüber den zukünftigen Generationen auf eine so wenig fundierte Prognose stützen würde«.23
Der Schwindel von der »Substitution«
Das deutsche Wort für Substitution, nämlich »Ersatz«, ist infolge der beiden Weltkriege in Deutschland bestens bekannt. Heute wird sehr schnell von dem Ausweg mittels Substitution gesprochen, sobald man nicht mehr umhinkommt, die Möglichkeit der Erschöpfung von Rohstoffen zuzugeben.
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Warum haben die »blockierten« Deutschen so herzlich wenig ersetzt, obwohl ihre Lage zweimal über viele Jahre verzweifelt war? Das einzige, was ihnen geglückt ist, war die Stickstoff-Synthese, die aber von Haber schon vor dem I. Weltkrieg entwickelt worden war.
Die Substitution ist auch nur dann ein Ausweg, wenn es gelingt, Rohstoffe durch bisher ungenutzte Stoffe zu ersetzen. Denn es ist nicht das Geringste damit gewonnen, bereits verwendete Grundstoffe durch andere, ebenfalls schon verwendete Grundstoffe auszutauschen; weil auch diese dann nur eher aufgebraucht sein werden. Genau das ist aber die heute gängige Praxis der »Substitution«.
Man müßte eigentlich erwarten, daß, angesichts der geringen Vorräte und der unerhört teuer gewordenen weltweiten Suche nach Nachschub, bereits Vorstellungen darüber bestünden, welche Grundstoffe durch neue ersetzt werden sollen. Denn bis zur Herstellung großer Mengen dürften dann ohnehin noch Jahrzehnte vergehen. Für die Erkundungen, die zu neuen Funden führen, sind nach Thomas Lovering mehr als fünf Jahre nötig. Und »weil die Zahl der Minerallagerstätten endlich ist, wird die Anlaufzeit für die Entdeckung immer seltener werdender neuer Lagerstätten immer größer«.24)
Für die anschließende Planungszeit sind bis zur anlaufenden Produktion noch einmal mindestens fünf Jahre nötig.25) Dazu kommt bei der Verwendung völlig neuer Materialien noch, daß erst einmal Klarheit über die Art der weiteren industriellen Verarbeitung einschließlich deren Erprobung geschaffen werden muß. Und schließlich fehlen noch die langwierigen Untersuchungen über die Auswirkungen auf die Umwelt, was man früher völlig vernachlässigt hat. »Ersatzstoffe und -verfahren lassen sich nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen. Entwicklungszeiten, Umstellungszeiten von Wirtschaft, Industrie und Markt und Verbraucher liegen in der Größenordnung von Jahrzehnten.«26
Demnach wäre es höchste Zeit, daß die Propheten der Substitution endlich einmal sagen, was womit substituiert werden soll. Aber wo man sich auch umhört, man findet keine konkreten Vorschläge. »Die meisten heute in Gang gesetzten rohstoffpolitischen Konzepte erstrecken sich über einen Zeithorizont von kaum zwanzig Jahren. Eine Zeitspanne von fünfzig Jahren für die Planung wäre jedoch richtiger, denn die heutigen Maßnahmen und Handlungen auf dem Rohstoffsektor sind für die Rohstoffsituation in fünfzig Jahren sehr bedeutsam.«27
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Die Ökonomen betrachten die technischen Erfindungen so, als brauchte man sie nur zu bestellen. »Die Technik hat bisher noch immer ...« so lautet ihre Redensart. Die Techniker wehren sich im allgemeinen gegen solch übertriebene Erwartungen. Aber sie werden gar nicht erst gefragt oder man schmeichelt ihnen mit der Unterstellung ihrer Allmacht. Eine besonders umsichtige Stellungnahme hat Hartmut Bossel unter dem Titel »Auch von der Technologie sind keine Wunder zu erwarten« am 22.12.72 in der FAZ veröffentlicht. Er wehrt sich als Techniker gegen die Angriffe der Ökonomen auf das Meadows-Modell; denn nach deren Szenarium soll
»die Technologie in Zukunft jeden auftretenden Mangel decken, für jeden nicht mehr vorhandenen Rohstoff einen Ersatzstoff finden, jede entsprechende Energielücke füllen, alle hungrigen Münder der Welt füllen und allen Menschen auf der Erde einen Lebensstandard verschaffen, der den heutigen amerikanischen oder westeuropäischen noch weit übertreffen wird. Alles das trotz weiteren Bevölkerungswachstums.«
Bossel hält dem entgegen, daß der Nutzen neuer Forschungsergebnisse für den Mann auf der Straße je ausgegebener Forschungsmark nie so gering war wie heute, »nach einer stürmischen Entwicklung wird ein gleichbleibender Teil an technischem Fortschritt nun mit immer höheren Kosten erkauft«. Er warnt dringend vor der Annahme, »daß die Technologie für jeden sich am Horizont abzeichnenden Notfall eine Lösung bereit haben wird, sobald das Problem akut wird«.
Fast jede der uns auf der Erde heute und morgen bevorstehenden größeren Aufgaben werde komplexer und schwieriger sein als der Mondflug; auf vielen Gebieten werden sich auch mit höchstem Forschungsaufwand keine Neuentwicklungen mehr erzielen lassen, »weil wir ganz einfach an Naturgesetze stoßen, über die wir uns nicht hinwegsetzen können«. Hartmut Bossel schließt mit den Worten: »Mir scheint, daß (besonders von Seiten der Ökonomie) der Technologie eine Schlüsselrolle in der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung zugewiesen wird, die sie nur teilweise wird ausfüllen können. Wenn aber die Technologie die ihr zugemutete Rolle nicht spielen kann, dann brechen auch notwendig viele der gegenwärtig noch vertretenen Zukunftsprognosen zusammen. Insbesondere ergeben sich die allerschwersten Zweifel an der langfristigen Erwünschtheit, ja Zulässigkeit, (materiellen) Wirtschaftswachstums.«
Hier »bedankt« sich also ein Technologe in höflicher, aber um so entschiedenerer Form für das freundliche Angebot der Ökonomen, die in vielen Fällen »die Rechnung ohne den Wirt machen, nämlich ohne die tatsächlichen Möglichkeiten und Beschränkungen der Technologie zu berücksichtigen«.
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Nach dem Konzept der Wissenschaftler sollten die Technologen gefälligst die Schlüsselrolle übernehmen und all die Probleme lösen, die die Ökonomen in der Vergangenheit nicht gesehen haben und auch jetzt noch nicht sehen wollen. Einige Ökonomen versuchen, ihre völlige Hilflosigkeit mit einer scharfen Polemik gegen die Untersuchungen des Club of Rome und anderer zu verschleiern. Sie selbst haben aber nicht die Spur einer Lösung anzubieten; statt dessen tragen sie die unerschütterliche Gewißheit vor, daß andere dies für sie erledigen werden. (Auf die hervorragenden Leistungen einiger Ökonomen bei der Entwicklung der Ökonomie zu einer Umweltökonomik wird an anderer Stelle eingegangen.)
Das Rückgrat unserer Industrie bildet nach wie vor das Eisen, das nun schon über 2000 Jahre in Gebrauch ist. Glücklicherweise ist es noch am ausgiebigsten vorhanden. Geändert hat sich nur so viel, daß Eisen mit einer zunehmenden Anzahl von anderen Mineralien legiert wird. Diese Komplizierung hat den Nachteil, daß Schwierigkeiten bereits dann auftreten werden, wenn einer der benötigten Zusätze ausfällt. Thomas Lovering spricht von »einzelnen seltenen Metallvitaminen, die essentiell für das Leben einzelner Industriegiganten sind«.28 Dazu zählt er Quecksilber, Wolfram, Tantal, Silber, Zinn und Molybdän, die alle nur zu geringen Anteilen in anderen Erzen vorkommen.
Es hat in der Geschichte unserer Eisenzeit nur zwei bedeutende Erweiterungen durch neue Materialien gegeben: durch Aluminium seit 1889 und durch Kunststoff seit rund 40 Jahren.
Das Leichtmetall Aluminium wird hauptsächlich aus Bauxit gewonnen. Die Vorräte sind im Vergleich zu anderen Mineralien verhältnismäßig groß. Die elektrolytische Herstellung einer Tonne Aluminium erfordert jedoch die enorme Menge von 15.000 Kilowattstunden Elektrizität!
Die verschiedenen Arten der Kunststoffe werden alle aus bekannten Rohstoffen hergestellt. Für die Zelluloseprodukte dienen Pflanzen als Ausgangsmaterial: Holz und Baumwolle. Die dafür verwendeten Mengen werden also jeder anderen Verwendung entzogen. Die Massenkunststoffe Polyäthylen und PVC benötigen 105 bzw. 49 % Äthylen, das mit einer Ausbeute von 3 % aus Rohöl gewonnen werden kann. Man muß also 30 t Rohöl haben, um eine Tonne Polyäthylen zu bekommen.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß aus den übrigen Anteilen allerdings Benzin, Dieselöl und Heizöl, Propylen und weitere Pyrolyse-Produkte anfallen.
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Das Polyäthylen selbst wird allerdings im wesentlichen aus dem ohnehin anfallenden Äthylen hergestellt, welches früher abgefackelt werden mußte. Der Energiebedarf stellt sich auf 2000 bis 14.750 Kilowattstunden je Tonne Polyäthylen und auf ca. 2000 Kilowattstunden je Tonne PVC. Eine Tonne Polystyrol benötigt ca. 5600 Kilowattstunden.29) Die Weltproduktion an Kunststoffen stieg von 1,5 Mill. Tonnen im Jahre 1950 auf 30 Mill. Tonnen im Jahre 1972.
Festzuhalten ist also, daß Kunststoffe nur dann hergestellt werden können, wenn Rohöl zur Verfügung steht und verarbeitet wird. Die Einführung der Kunststoffe bringt also eine zusätzliche Verwendung für das Erdöl, das schon für viele Produkte den Grundstoff abgibt. Die Kunststoffe substituieren im echten Sinne des Wortes überhaupt nichts, sie tragen nur zum vermehrten Verbrauch des knappen Erdöls bei und benötigen zusätzliche große Energiemengen. Wenn das Erdöl erschöpft ist oder wenn keine Energie zur Verfügung steht, dann hört auch die Kunststoffproduktion auf. Was hier stattfindet, ist eine chemische Umwandlung. Davon gibt es sehr viele. Diese benutzen bekannte Grundstoffe und lohnen sich meist nur für spezifische Zwecke kleineren Ausmaßes, da sie sehr teuer sind.
Verschiedene Rohstoffe werden ohnehin niemals ersetzt werden können. Das trifft zum Beispiel für die Düngemittel zu. Die Pflanzen brauchen nun einmal Stickstoff, Phosphor und Kali; mit etwas anderem kann man ihnen nicht dienen. Bei den künstlichen Düngemitteln scheidet auch die Wiederverwendung aus, ihr Einsatz ist — wie bei den fossilen Brennstoffen — ein einmaliger.
Es muß also festgestellt werden, daß in der technischen Revolution der letzten 200 Jahre für große Anwendungsbereiche nur ein neuer Rohstoff entdeckt worden ist: Aluminium. Das ist — mit Verlaub — herzlich wenig für einen Zeitraum, in dem sich die Weltausbeute schon lange bekannter Rohstoffe auf das Vieltausendfache gesteigert hat! Das laute Getöse um die Substitution ist also ein Riesenschwindel — und es wird endlich Zeit, daß er als solcher entlarvt wird. Alle reden davon, aber niemand bringt einen konkreten Vorschlag. Dabei wäre es höchst nötig und verdienstvoll, zum Beispiel für Quecksilber einen Ersatz anzubieten. Einmal, weil dieses Mineral in wenigen Jahren aufgebraucht sein wird, zum zweiten, weil die Umweltvergiftung durch Quecksilber beträchtlich ist.
Die Leistungen unseres technischen Zeitalters liegen nicht in der Entdeckung neuer Rohstoffe, sondern in den immer raffinierteren Kombinationen mit stets den gleichen Grundstoffen, die schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bekannt sind.
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Was in die Welt gesetzt wird, sind nur Schlagworte — von den »tiefgreifenden und unvoraussagbaren (!) Wandlungen« der Ressourcen zum Beispiel. Das kostet nichts und hört sich gelehrt an. Eine der Theorien von der ewigen Fülle haben die beiden Amerikaner Barnett und Morse aufgestellt. Sie gehen davon aus, daß seit 75 Jahren die Kosten für den Abbau von Mineralien ständig gesunken seien. Sie folgern daraus, daß diese Entwicklung immer so weitergehen und daß das schließlich dazu führen werde, daß sogar ganz normale Erde verarbeitet werden könnte. Ihr Kernsatz lautet:
»Wenige Komponenten der Erdkruste, einschließlich der landwirtschaftlich genutzten Flächen, sind so spezifisch, daß sie nicht wirtschaftlich ersetzt werden könnten, oder dem technischen Fortschritt so unzugänglich, daß sie nicht unter bestimmten Umständen Produkte zu gleichbleibenden oder absinkenden Kosten hervorbringen könnten.«30
Diese Theorie berücksichtigt überhaupt nicht, daß erstens die Kostensenkung der letzten Jahre dem zunehmenden Einsatz von Maschinen und viel Energie bei etwa gleichbleibender Güte der Vorkommen zu verdanken ist, daß zweitens jetzt die Grenze der Mechanisierung erreicht sein dürfte und daß drittens allein schon der Zwang zum Abbau immer schwächerer Vorkommen die Kosten wieder erhöhen wird.31
Thomas Lovering weist darüber hinaus sogar nach, daß die These von der Verbilligung auch in der Vergangenheit nicht für alle Grundstoffe galt. So ist z. B. die Kupfer- und die Quecksilbergewinnung teurer geworden und ebenso die von Blei und Zink. Ebenso sind die Kosten für die Erschließung neuer Erdgasvorkommen in den USA ständig gestiegen.32) Wie stark die Kosten der Erdölgewinnung anwachsen, weiß heute beinahe jedes Kind.
Wenn Barnett und Morse recht hätten, dann müßte die ganze fieberhafte Suche nach Rohstoffen, die heute in der ganzen Welt, besonders aber in den Vereinigten Staaten stattfindet, ja ein Werk von Irren sein, die nicht wissen, daß man nicht ebensogut Steine, Sand oder Wasser nehmen kann! Es sind immer die gleichen Rohstoffe, die man sucht: Erdöl, Erdgas, Uran, Mangan, Kupfer, Zink, Nickel, Kobalt. Die Preise je geförderte Tonne werden künftig ein Vielfaches von dem betragen, was in den alten Fördergebieten aufgewendet werden mußte.
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An der Erfahrung geprüft ist das »Lusky-Verhältnis«33, auch als »Gehalt-Tonnage-Verhältnis« bekannt: Der Geologe Lusky fand, daß der Umfang aller Lagerstätten mit geometrischem Faktor zunimmt, während dabei der durchschnittliche Gehalt des jeweils abgebauten Erzes arithmetisch abnimmt. Daraus darf aber nicht etwa abgeleitet werden, daß es unentdeckte arme Lagerstätten astronomischen Ausmaßes gibt. »Lagerstätten minderster Güte treten meist in Form von vielen kleinen, zerstreuten Lagern auf, deren ökonomische Aufbereitung vergleichbare Probleme schaffen würde, wie das Fangen großer Mengen kleiner und seltener Organismen, die im Wald oder im Meer verstreut leben.«34
Für die künftige Gewinnung mineralischer Rohstoffe ergibt sich, daß für Suche, Abbau, Konzentrierung und längere Transportwege laufend mehr Energien und Maschinen (das sind selbst wiederum verarbeitete Rohstoffe!) sowie Arbeitskräfte nötig sein werden. Außerdem werden immer größere Abraummengen entstehen, die wieder zu Landschaftszerstörungen und zum Verlust landwirtschaftlich nutzbarer Böden führen. Beim Abbau von Metall aus Granit würden auf einen Teil mindestens zweitausend Teile Abfall entstehen, die noch dazu ein um 20-40 % größeres Volumen hätten.35
Daß es festumgrenzte Bestände an Rohstoffen auf dieser Erde gibt (soweit deren Abbau jemals lohnend sein wird), ist sicher. Variabel ist nur der Stand der Kenntnisse über all die Vorkommen. Wenn daher Geologen gelegentlich von der Unsicherheit über die Gesamtvorräte der Erde und daher von »dynamischen Reserven« sprachen, dann meinten sie damit die mögliche Erweiterung unserer Kenntnis von den Vorräten, nicht die Vorräte selbst.36 Diese Kenntnis wird in den nächsten Jahrzehnten vervollständigt sein, und dann werden auch genaue Angaben darüber zur Verfügung stehen, für welche Zeit die Vorräte reichen. Der Faktor »Zeit« (Z) wird dann kein schwankender Wert mehr sein, wie er dies heute noch in einer gewissen Bandbreite ist, obwohl sich diese auch nur über wenige Jahrzehnte erstreckt.
Trotz der vielen Ungenauigkeiten oder gerade darum müssen wir der bitteren Notwendigkeit Rechnung tragen und Zeitberechnungen anstellen, um eine Grundlage für unser Handeln zu schaffen. Dabei sollte man zunächst vorsichtig im Ansatz sein; denn es ist kein Unglück, wenn der Vorrat länger als vorgesehen reicht. Es kann jedoch katastrophale Folgen haben, wenn die Frist plötzlich viel kürzer ist als erwartet. Adolf Jöhr faßt seine Ansicht dahingehend zusammen: »Wir müssen uns in umweltökonomischer Hinsicht so verhalten, daß den künftigen Generationen der Menschheit ein Leben ohne äußere Not möglich ist. Wir dürfen diesen künftigen Generationen auch nicht Entfaltungsmöglichkeiten wegnehmen, die wir heute noch haben, und wir müssen im Hinblick auf die Beurteilung dieser Möglichkeiten uns am jeweiligen Gegenwartsstand der Technologie und der entdeckten Rohstoffvorkommen orientieren.«37)
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Jöhr bezeichnet es als gefährlich, »künftige Entdeckungen von Rohstoffvorkommen und künftige technologische Errungenschaften als feste Posten in eine Buchführung der Ressourcen einzusetzen. Wohl sind die diesbezüglichen Erfolge gerade seit der Jahrhundertwende außerordentlich groß gewesen. Daraus darf man aber nicht schließen, daß es auch bis in alle Zukunft so sein werde, auch wenn es in den nächsten Jahrzehnten mit einer größeren Wahrscheinlichkeit sieh noch so verhalten dürfte. Aber es geht ja um die Sicherstellung der Lebens- und Entfaltungsgrundlagen der Menschheit auf eine nicht begrenzte Zeit.«38)
Von einer »nicht begrenzten Zeit« kann nach dem Ergebnis unserer Überlegungen ohnehin nie die Rede sein. Denn auch dann, wenn nur sehr geringe Mengen von Rohstoffen verbraucht würden, bliebe die Tatsache bestehen, daß alle nicht nachwachsenden Stoffe einmal erschöpft sein werden. Das bedeutet auch, daß alle nicht erneuerbaren Ersatzstoffe, sobald sie zum Einsatz gelangen, selbst einer Erschöpfung zugehen. Noch aber sind sie gar nicht in Sicht, wie wir feststellten. Bis heute arbeitet die Wirtschaft ganz überwiegend mit Rohstoffen, die sie schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden kennt. Adolf Jöhr vertritt die einzig richtige Meinung: »Sobald wir unsere Betrachtung auf einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten erstrecken, müssen wir die gesamte Umwelt als einen begrenzten Bestand von Ressourcen betrachten. Im Hinblick auf einzelne wichtige Rohstoffe und Energiequellen gilt das wohl schon für einen Zeitraum, der in Jahrzehnten zu bemessen ist.«39)
Rettung durch die Kernspaltung?
Der einzige völlig neue Rohstoff, der in diesem Jahrhundert einer Verwendung zugeführt werden konnte, ist das Uran für die Energieerzeugung. Diese neue Energiequelle wurde vor 30 Jahren entdeckt, zunächst für Kriegszwecke, wie üblich.
Damit wurde aber ein Schritt in unbetretene — für irdische Wesen vielleicht auch unstatthafte Bereiche — getan. Die völlig neue Dimension dieses Schrittes bedeutet eine noch radikalere Revolution für den natürlichen Regelkreis. Denn hier werden — auch bei der friedlichen Nutzung — Stoffe freigesetzt, die nicht nur Umweltschäden verursachen, sondern die für jede Art von Leben vernichtend sind, sobald sie außer Kontrolle geraten, oder infolge ihrer starken Verbreitung mit der Lebenswelt nur in Berührung kommen.
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Die Vernichtungskraft des Feuers ist demgegenüber eine höchst harmlose Angelegenheit. Es steht fest, daß selbst bei ungestörtem Verlauf der Kernenergieerzeugung in wenigen Jahrhunderten Millionen Tonnen von Stoffen entstehen würden, die niemals mit der Natur in Berührung kommen dürften.
Ist diese Art von Energieerzeugung immer und überall unter Kontrolle zu halten? Lassen sich die Transporte des Materials und die Ablagerungen des radioaktiven Mülls auf Jahrtausende mit absoluter Sicherheit so behandeln, daß es zu keiner Katastrophe oder Verseuchung kommt? Aufgrund jahrtausendelanger Erfahrungen mit den menschlichen Schwächen, der Kriege der Staaten und der ständigen Umstürze der Gesellschaften kann nur das Gegenteil als so gut wie sicher bezeichnet werden.
Ein »Faustischer Pakt« wurde geschlossen: Die Menschheit bekommt (vorübergehend) Energie, aber ihr Leben steht für alle Zeiten unter der Drohung des Entweichens tödlicher Strahlen. Aber darüber verfügt nicht nur der Teufel, sondern eine riesige Zahl, wenn nicht böswilliger, so doch oft fahrlässiger Menschen.
Es geht also nicht darum, ob man heute Kernkraftwerke baut und dabei größtmögliche Sicherheitsvorkehrungen trifft. Das Problem ist: wenn Tausende von Kernkraftwerken in der Welt jahraus jahrein über Jahrhunderte ihre radioaktiven Rückstände produzieren — wo sollen diese bleiben? Man hat schon heute Schwierigkeiten mit noch lächerlich geringen Mengen; wie soll bewältigt werden, was da noch kommt?
Der amerikanische Kernphysiker Alvin M. Weinberg, ein Befürworter der Kernkraft, hält es heute für ausgeschlossen, daß die riesigen Mengen von Atommüll über die Wechselfälle der Geschichte hinweg (auch ohne Atomkrieg) an tausend Stellen der Erde ständig unter der intensiven Kontrolle gehalten werden können, die nötig ist. Dieses Problem ist ungelöst! Nach wie vor finden Versenkungen im Meer statt, ohne daß die Folgen absehbar sind. Nach wie vor herrschen immense Unklarheiten über die Gefahren des Kernreaktorbetriebes; denn es hat noch niemals eine Technik ohne unvorhersehbare Ereignisse gegeben — und es wird auch in Zukunft keine Technik ohne Unglücksfälle geben. Nur deren Ausmaß wird wahrhaftig neue Dimensionen erreichen.
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In keinem Land der Welt hat ein Parlament unter Abwägung aller Gesichtspunkte die Entscheidung für die Nutzung des Urans getroffen. Und dennoch ist hier das tollste exponentielle »Wachstum« im Gange, was diese Welt bisher erlebt hat. Die Hast, diese neue Energiequelle fließen zu lassen, ist so groß, daß man sich bis heute noch nicht einmal darüber im klaren ist, wie begrenzt auch dieser Rohstoff auf der Erde vorrätig ist.
Solange er nur in den Leichtwasser-Reaktoren verbrannt wird, die bekanntlich weniger als 1 % der Energie nutzen, erreichen die im billigen Uran enthaltenen Energievorräte nur den fünfzigsten Teil der Energie, die in den Kohle- und Erdöllagern der Welt steckt. Letztere betragen 7949 Mrd. Tonnen (in Steinkohleeinheiten umgerechnet), die Uranvorräte enthalten 159 Mrd. Tonnen Steinkohleeinheiten.40 Die USA haben im Juni 1975 die Entwicklung des Schnellen Brüters beschränkt. Wenn dieser aber nicht vor dem Jahr 2000 zum ausgedehnten Einsatz kommt, dann kann das Uran die fossilen Brennstoffe nicht mehr ablösen, weil es auch verbraucht sein wird — etwa zur gleichen Zeit wie Erdgas und Erdöl.
Mit der Nutzung der Kernkraft ist kein Zukunftsproblem gelöst. Vielmehr wird den nächsten Generationen damit nicht nur ein ausgeplünderter Planet, sondern zusätzlich ein mit Giftlagern belasteter »vererbt«. Wenn die anderen technischen Lösungen und die neu zu findenden Stoffe von gleicher Art sein sollten, dann wäre es besser, die Menschen fänden sie nicht.
Das Gesetz der Entropie
Es ist ein Naturgesetz, daß sich die Konzentrationen wertvoller Bestandteile in der Erdkruste aufgrund natürlicher Vorgänge und neuerdings menschlicher Eingriffe in weniger dichte Konzentrationen verwandeln. Auf unserer Erde findet ein fortwährender Prozeß der Angleichung statt, indem sich die Stoffe vermischen. Man nennt diesen Vorgang Entropie. Dafür ein Beispiel: »Ein Gefäß sei durch eine wegnehmbare Trennwand in zwei Kammern getrennt. In das eine gießen wir Wasser von 50 Grad Wärme, in das andere Wasser von 10 Grad Wärme. Nehmen wir nun die Trennwand weg, so wird ... die Temperatur im ganzen Behälter einen gleichen mittleren Wert annehmen. Dieser Vorgang ist ein Beispiel für eine Zunahme der Entropie.«41
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Die menschliche Tätigkeit hat zunächst das entgegengesetzte Ziel: sie sondert die Stoffe zu sehr eigenwilligen Extremformen, widernatürlichen Ausnahmen, die demgemäß nicht von langer Dauer sind: Häuser, Autos, Flugzeuge, Kathedralen. »Der Konsumtionsprozeß dagegen ist eine Vermehrung der gesellschaftlichen Entropie, denn er verwandelt diese wenig wahrscheinlichen Strukturen in Strukturen größerer Wahrscheinlichkeit, wie Staub, Erde und Würmer.«42) Die menschlichen Konzentrate haben nur vorübergehend Bestand und tragen dann als Abfall in einem Ausmaß zur Entropie bei, das heute die natürliche Entropie weit übertrifft.
Vor allem die industrielle Betätigung des Menschen besteht letzten Endes in der Umsetzung von hochwertigen Stoffen in geringwertige Abfälle, wobei eine Verteilung zunächst in der Luft und über die Erdoberfläche und über die Gewässer stattfindet, schon weil die Meere 70% der Erdoberfläche einnehmen. Außerdem werden die Weltmeere über die Niederschläge direkt und von allen Strömen der Länder indirekt gespeist. Auch die festen Abfälle werden über das Land verteilt oder in die See versenkt.
»Der wirtschaftliche Erfolg wird gegenwärtig daran gemessen, welche Mengen die Werke aus unseren Rohmaterialvorräten bearbeiten und zu Produkten machen, die schließlich nur die Schadstoff- und Müllmengen erhöhen. Das Bruttosozialprodukt ist letzten Endes nur eine Meßzahl für den Durchsatz an Rohstoffreserven, die zu Müll werden.«43 Eine andere Formulierung von Boulding lautet: »all things slide down towards a middle muddle unless somebody does something about it.« Etwa: Wenn niemand was dagegen tut, dann verwandelt sich alles in einen mausgrauen Matsch.44
Im »Blueprint for Survival« (»Planspiel zum Überleben« 1973) — dem ökologischen »Aktionsprogramm« einer kleinen Gruppe englischer Wissenschaftler um die Zeitschrift »The Ecologist« (London) — wird dargestellt, in welchem Ausmaß die menschliche Betätigung jetzt die natürliche Entropie übertrifft45 (s. nebenstehende Tabelle).
Da die natürliche Entropie schon hunderte Millionen Jahre dauert, ist es kein Wunder, wenn im Meer alle möglichen Mineralien zu finden sind. Unverständlicher ist es dagegen, daß heute solch ein Wesen darum gemacht wird. Man liest Zahlen darüber, welch riesige Mengen von wertvollen Stoffen in den Meeren zu finden seien. An erster Stelle 7,5 Mill. t Gold. Das macht ganze 0,005 Gramm Gold auf eine Million Liter Wasser, von dem die Weltmeere 1,5 x 1018 Tonnen enthalten.
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Element |
Geologische
Rate |
Durch
menschliche Tätigkeit |
Eisen |
25.000 |
319.000 |
Stickstoff |
8500 |
9800 |
Mangan |
440 |
1600 |
Kupfer 375 4460
Zink 370 3930
Nickel 300 358
Blei 180 2330
Phosphor 180 6500
Molybdän 13 57
Silber 5 7
Quecksilber 3 7
Zinn 1,5 166
Antimon 1,3 40Man hat tatsächlich auch schon 1/10 Milligramm im Werte von sage und schreibe 1/1000 Dollar extrahiert.46 An diesem Beispiel wird der ganze Unsinn solcher Zahlenangaben deutlich. Natürlich enthalten die Weltmeere auch Uran: 4 Gramm auf 1 Mill. Liter Wasser, mit einem Wert, den man mit 0,08 $ angibt.47 Die Rechnung muß aber hier lauten: Wieviel Energie müßte eingesetzt werden, um an die Energie des Urans zu kommen?
Nur 16 Elemente kommen zu mehr als 100 Gramm je 1 Mill. Liter Wasser vor. Und nur 8 Elemente erreichen einen Wert von 10 Dollar pro 1 Mill. Liter Wasser: Chlor, Natrium, Magnesium, Schwefel, Kalzium, Kalium, Brom, Rubidium. Aber gerade diese sind im Überfluß vorhanden.47 Preston Cloud spricht deshalb von »der Sage vom unerschöpflichen Mineralschatz des Meeres«.48)
Auch die berühmten Manganknollen enthalten oft mehr Silikat als Mangan, was die Knollen »unter den Gegebenheiten der jetzigen metallurgischen Technik« selbst dann unzugänglich machen würde, »wenn diese Manganknollen an leicht zugänglichen Plätzen des Festlandes gefunden würden«.49
Cloud folgert daraus:
»Das Meerwasser kann alles Magnesium und Brom, das wir jemals brauchen werden, liefern. Ebenso Kochsalz und einige andere Substanzen ... Wir müssen jedoch vermeiden, auf die verführerische Meinung hereinzufallen, daß ein großer Vorrat im Meer liegt, und wenn die Vorräte auf dem Festland einmal erschöpft sind, wir uns ohne Zögern dem Meer zuwenden können. ..... Der <Mineralschatz> unter dem Meer besteht nur in der Übertreibung.
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Was momentan davon gewonnen wird, ist das Ergebnis unablässiger, phantasievoller Forschung, genialen Erfindergeistes, kühner und geschickter Experimente und intelligenter Anwendung dieser Kenntnisse. Die zu erwartenden Vorkommen werden hauptsächlich von den überfluteten Kontinentalsockeln, Hängen und Erhebungen stammen. Ob sie groß oder klein sein werden, ist unbekannt. Es ist eine nicht unbegründete Annahme, daß sie respektabel sein werden. Aber wenn die vorherrschende Meinung über die Struktur und die Zusammensetzung des Meeresgrundes und dessen Geschichte nur annähernd richtig ist, werden die Mineralien aus dem Meer wahrscheinlich nie in Umfang und Wert mit denen, die bisher vom Festland gewonnen wurden, vergleichbar sein. Das Meerwasser selbst, wenn es auch in riesigen Mengen vorkommt und große Mengen gelöster Salze enthält, kann doch nur wenige Substanzen liefern, die von der modernen Industrie als wichtig erachtet werden.«50)
Die Realitäten auf unserem Planeten stehen im völligen Widerspruch zu den Erwartungen, die heute geschürt werden. Zwei Schlußfolgerungen sind unabweisbar: 1. Von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, werden wir auf die Bodenschätze des Festlandes und der Festlandsockel angewiesen bleiben. 2. Wie reich unsere Erdkruste auch an Mineralien sein mag, der weitaus größte Teil wird niemals abbauwürdig sein. Stoffe verdünnter Konzentration werden immer häufiger auf der Erde angetroffen werden als Stoffe hoher Konzentration. Die menschliche Tätigkeit hat sich zunächst die Lager höchster Konzentration zunutze gemacht und muß nun nach und nach zur Ausbeutung weniger konzentrierter Vorkommen übergehen.
Werner Stumm, Direktor der Eidgenössischen Anstalt für Wasser in Zürich, erklärte 1971: »Ein entscheidender Faktor, der dem Wachstum Grenzen setzen wird, ist wahrscheinlich die relative Zunahme in der Entropieproduktion. Die Herabsetzung der Organisation und der Ordnung in der Natur führt zur Zerstörung der Regelmechanismen und zur ökologischen Unstabilität.«51)
In der vom Menschen unbeeinflußten Natur sorgten Anpassung und Mutation dafür, daß es im Laufe langer Zeiträume zu immer höheren Ordnungen kam. Die menschliche Zerstörungskraft ist heute so groß, daß sie die Werte schaffende Tätigkeit der Natur um ein Vielfaches übertrifft. Damit werden nicht nur die Faktoren E + R, sondern auch der Faktor N (Natur) ständig in hohem Maße vermindert.
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Die Möglichkeit der Wiederverwendung (Recycling)
Es gibt einen immer noch erfolgversprechenderen Weg als all die vielfältigen Erwägungen darüber, wie denn weitere Rohstoffvorräte geringsten Gehalts unter größten Schwierigkeiten zu gewinnen wären — das ist die Wiederverwendung von Altmaterial. Hier wird heute noch eine gewaltige Verschwendung betrieben, die in keinem Verhältnis zu der sich bereits abzeichnenden Knappheit steht. (Dies ist ein Beweis mehr dafür, daß künftige Knappheit keinen Einfluß auf den heutigen Preis und auch nicht auf das heutige Verhalten hat!) Heute sind viele Rohstoffe noch in guten Lagerstätten billiger zu haben. Also wird nur ein sehr geringer Teil der Abfälle der Wiederverwendung zugeführt.
Hier zeigt sich die Folge der unbegreiflichen Tatsache, daß die Rohstoffe »umsonst« sind. Es hat wohl noch nie einen größeren wirtschaftlichen Wahnsinn gegeben als den, die Wegwerfgesellschaft zu propagieren: die Wegwerfflasche, die Wegwerfverpackung, die Wegwerftragetasche, das Wegwerfhemd bis hin zum vorübergehend aufgetauchten Wegwerfauto und Wegwerfhaus. Dies konnte nur geschehen, weil sich die Ökonomie allein auf die finanziellen Motive des lohnendsten Kapitaleinsatzes gründete. Rohstoffe und Energien blieben außer Betracht. Bestenfalls hatte die Arbeitskraft noch Einfluß auf die Überlegungen. Und auch da sprach bisher alles dafür, den Menschen durch die Maschine zu ersetzen — und die ließ sich am besten, manchmal überhaupt nur, mit frisch gewonnenen Rohstoffen füttern.
Der unterste Preis, zu dem originäre Rohstoffe auf der Erde angeboten werden sollten, wäre darum so anzusetzen, daß sie stets etwas mehr kosten als die Wiederverwendung des entsprechenden Altmaterials. Die Wiederverwendung gewährt die einzigartige Chance zu produzieren, ohne die Rohstoffvorräte anzugreifen. Darum gehört die Wiederverwendung von Rohstoffen als ein wichtiger Faktor in unsere Produktionsformel:
P = N + A ( E/Z1 + R/Z2 + W )
Man sieht, daß sich hiermit das Produkt (P) erhöhen läßt, ohne daß sich durch die Erhöhung von R die Zeit (Z2) vermindert. Hier ist also ein echter »Gewinn«, eine Mehrproduktion oder eine Schonung der Reserven (Verlängerung von Z2) zu erzielen. Dabei wird wieder ein Motiv für die Trennung von E und R deutlich; denn eine Wiederverwendung von Energie ist nicht möglich, nur die von Rohstoffen.
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Die Wiederaufbereitung wird allerdings auch Energie brauchen, so daß für diese keine bedeutende Entlastung eintritt. Der Energieverbrauch beginnt schon beim Einsammeln und Transportieren der Altmaterialien. Ein großer Teil des Aufwandes bei der Wiederverwendung wird allerdings aus Arbeit bestehen — und das ist durchaus erfreulich, wie sich im Kapitel Arbeit herausstellen wird.
Die Wiederverwendung wird im allgemeinen ökologisch viel weniger schädlich sein als die Verarbeitung neuer Rohstoffe. Ganz unschädlich für die Umwelt ist sie allerdings auch nicht; was sich schon aus dem erforderlichen Energieeinsatz ergibt. Der Hauptgesichtspunkt wird darum immer in der Einsparung von Rohstoffen liegen. Auch Naturprodukte, wie zum Beispiel Papier und Textilien, werden bis zum höchstmöglichen Prozentsatz der Wiederverwendung zugeführt werden müssen.
Die Möglichkeiten zur Förderung der Wiederverwertung sind:
1. Subventionierung der Wiederverwendung
2. Verteuerung der originären Rohstoffe
3. Erhöhung der Nutzungsdauer der Produkte
4. Produktgestaltung im Hinblick auf die Wiederverwendung
5. Unterstützung der ForschungUntersuchungen von Jorgen Randers und Dennis Meadows ergaben52, daß eine Kombination der Punkte 1.-3. (25% Verteuerung der Rohstoffe und 25 % Subventionierung bei 25 % längerer Nutzungszeit) für die Wiederverwendung die günstigsten Wirkungen erzielt; ebenso die Produktgestaltung zu 4. Die Abfälle müssen in Zukunft so behandelt und abgelagert werden, daß sie für die Wiederverwendung erfaßbar sind.
Wunder sind allerdings auch von der Wiederverwendung nicht zu erwarten. Das Material verschleißt und korrodiert, vor allem die Metalle. Beim Eisen rechnet man nach 25jähriger Gebrauchszeit mit einer Verwertbarkeit von lediglich 30% des ursprünglichen Materials.53) Bei vielen Rohstoffen wird der verwertbare Prozentsatz höher liegen, bei einigen aber auch tiefer.
Gerhard Lüttig von der Bundesanstalt für Geowissenschaften hat über die höchstmöglichen Wiederverwendungsraten folgende Angaben gemacht54:
Kupfer 61 %
Nickel 40 %
Aluminium 48 %
Stahl 26 %
Blei 42 %
Zink 14 %
Bleiben wir beim Beispiel Eisen. 30% Wiederverwendung würde bedeuten, daß in 25 Jahren nur noch 70% des Jahresbedarfs an Roheisen aus der Erde gefördert zu werden brauchten. Sollte sich die Weltbevölkerung aber bis dahin — wie zu erwarten — verdoppelt haben und der Pro-Kopf-Verbrauch aufrechterhalten werden, dann reicht die dreißigprozentige Wiederverwendung lediglich für 15% des Bedarfs. Wenn allerdings die bisherige Produktionssteigerung von 5 bis 5,5 % jährlich über die nächsten 25 Jahre anhält, so wird sich der Eisenverbrauch bis dahin vervierfacht haben, und eine dreißigprozentige Rückgewinnung kann dann nur noch 7,5% zum kommenden Verbrauch beisteuern. 92,5% müßten also trotz Wiederverwendung aus der Erde geholt werden — ein äußerst bescheidenes Ergebnis.
In den <Grenzen des Wachstums>« hat Meadows für das Metall Chrom eine interessante Rechnung durchgeführt. Die bekannten Chromvorräte, 775 Mill. Tonnen, bilden eine Menge, die bei gleichbleibendem Verbrauch ab 1970 für 420 Jahre reichen würde. Da aber die jährliche Steigerung 2,6% beträgt, reicht der Vorrat nur 95 Jahre. Selbst wenn nun ab 1970 das Altmetall von Chrom jeweils hundertprozentig der Wiederverwendung zugeführt würde, so müßte das Chrom dennoch bei einer Steigerung von jährlich 2,6% nach 235 Jahren knapp werden.55
Auch hier zeigt sich: die Steigerungsraten verurteilen jede Gegenmaßnahme zur Erfolglosigkeit. Nur bei gleichbleibendem Verbrauch kann die Wiederverwendung einen gewichtigen Anteil zur Produktion beitragen.
Zur Wiederverwendung wird es aber in der freien Marktwirtschaft erst kommen, wenn die Rohstoffvorräte knapp werden. Dann jedoch ist es zu spät, um durch Recycling noch Erfolge zu erzielen.
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