Theo Löbsack

Herausgeber

 

Zu dumm für
die Zukunft?

Menschen von gestern
in der Welt von morgen

 

1971 im Verlag L. Schwann, Düsseldorf

heo Löbsack (Hrsg.) Zu dumm für die Zukunft? Menschen von gestern in der Welt von morgen

1971   220 Seiten

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Umweltbuch


Können wir unsere Zukunft überleben? (1971)

Leben ohne Zukunft? (1987)

 

detopia-2024:

Im Buch sind Fotografiken von Karl Wiehn.

Aber hier in der Repro auf dem Bildschirm
funktionieren sie nicht gut.

Ich setze sie daher immer unten ran.

 

Inhalt

Theo Löbsack:  Vorwort  (7)

1  Theo Löbsack: Adam und Eva in der Zerreißprobe   (13)

2  Arno Plack:  Manipulierung des Menschen und Menschenwürde (34)

3  Hanna-Renate Laurien:  Lernen  (60)

4  Ekkehard Bink: Gehirn und Computer - Übereinstimmungen, Unterschiede, Möglichkeiten (90)

5  Thomas von Randow:  Was in unserem Kopf vorgeht (108)

6  Dieter Baacke:  Welt der Zeichen und Symbole  (128)

7  Rolf Hellmut Foerster: Das ideologische Trauma   (170)

8  Siegfried Keil: Hoffnung auf einen neuen Menschen?   (190-219)

 

Vorwort von Theo Löbsack (1971)

7-10

Dieses Buch ist ein hohes Lied auf den Menschen: auf seine Wissenschaft, auf seine Einsicht und sogar auf seine Weisheit. Es kann aber sein, daß der Leser das nicht merkt. Denn diese sieben Essays stimmen nicht gerade zukunftsfroh. Ja, es sieht ganz so aus, als müßte die Frage des Buchtitels als bittere Gewißheit verstanden werden: Wir sind zu dumm für die Zukunft.

Sind wir es wirklich? Die Zeit, in der wir leben, macht es uns nicht leicht. Die Industriegesellschaft, unter deren Leistungszwang wir stehen, verlangt immer kompliziertere, immer schwierigere Aufgaben von uns zu lösen. Es scheint, als wären wir zu einem Gewaltmarsch in die Zukunft aufgebrochen, für den uns nicht nur der Kompaß, sondern auch das geeignete Schuhzeug fehlt. Wir ähneln Bergsteigern, die den Mount Everest im Straßenanzug erklimmen wollen.

Ungelöste Probleme, wohin wir blicken. Eines von ihnen, vielleicht nur das gerade aktuellste, ist die schleichende Vergiftung unseres Lebensraumes durch die zunehmende Industrialisierung. Umweltschutz ist das große Schlagwort geworden. Kommen wir noch rechtzeitig?

Ganz unversehens hat sich die Frage gestellt, ob wir uns via Wirtschaftswachstum eigentlich einen immerfort steigenden Lebensstandard leisten dürfen. Wie sehr es den einzelnen auch treffen mag: der Vorrang des Wirt­schafts­wachstums, sogar das ängstlich gehütete Vollbeschäftigungsprinzip, zehren um so mehr an den Rohstoffquellen der Erde und an unseren Existenzgrundlagen, je rascher die Erdbevölkerung wächst.

Zu lange schon haben wir ungestraft auf der Jagd nach dem besseren Leben die Erde als Riesenspielzeug benutzt, mit dem man anstellen konnte, was immer man wollte. Unbekümmert haben wir die Natur ausgebeutet, haben sie ausgeschlachtet und bedarfsweise zum Abfallkübel gemacht.

Von der Industrie-Werbung, von geschickten Appellen ans soziale Prestige haben wir uns zu einem hektischen Konsumverhalten verführen lassen, das alles andere ist als identisch mit Glück und Zufriedenheit.

Der Fortschritt, so tönt es allerorts, fordere eben seinen Preis. Aber was ist der Fortschritt? Ist er die Betriebsamkeit, die uns Neurosen beschert und unseren Kindern einen Reizüberfluß, über den sie kaum noch zu sich selber finden? Ist er die immer risikoreichere Suche nach neuen technischen Verfahren, nach neuen Verhaltensweisen unter Verzicht auf die Bewahrung des Bewährten? Ist der Fortschritt dies alles? Ist er die Suche um der Suche willen? Wenn wir doch etwas fänden, für das es sich lohnte, unsere Lebensgrundlagen aufs Spiel zu setzen!

Und doch - dieses Buch kann ein Loblied auf den Menschen sein. Denn es ist schon etwas wert, das runde Dutzend jener existenziellen Gefahren begriffen zu haben, die auf unserem Weg ins Morgen lauern. Wir haben erkannt, wo die Risiken liegen. Das allein kann uns hoffnungsvoll machen.

Verlag und Herausgeber haben hervorragende Fachleute gewonnen, um das soziologische, das geistige und technische Gepäck zu sichten, mit dem wir uns heute auf den Weg machen.

Arno Plack mißt den Begriff der Menschenwürde an unserer sozialen Wirklichkeit. Er tut dies unter anderem, indem er nach der Manipulierbarkeit des Menschen und danach fragt, welche Rolle der Konsumterror in unserer Gesellschaft spielt. Die großen Aufgaben der Pädagogik werden deutlich in einer Zeit, da ein gewisses Maß an Manipulierung schwerlich vermeidbar scheint, da Triebverzicht unpopulär und steigender Lebens­genuß zum Goldenen Kalb geworden sind.

Daß die gesellschaftlichen Trends heute gerade den Pädagogen beschäftigen sollten, klingt auch in dem Beitrag von Hanna-Renate Launen an. Zu Recht weist die Autorin auf die rasche Erweiterung und Erneuerung unseres Wissens hin. Wie bildet man junge Menschen aus, die im Jahre 2000 eine Gesellschaft und eine Berufssituation vorfinden werden, die mit den Verhältnissen von heute kaum noch vergleichbar sind? „Unsicherheit rundum", schreibt Frau Laurien. Aber entscheiden müssen wir uns, und es gibt durchaus zukunftsweisende Ansätze: Begabungsanalysen, moderne Lehr-und Lernmethoden, neue Schultypen sind in der Bewährungsprobe. Wir stehen schon unter Zeitdruck, wir brauchen rasch praktikable Lösungen. Frau Laurien zeigt, wie und wo sie zu suchen sind.

Indes: Wo der Wille zum Lernen ist, da ist noch nicht auch die Fähigkeit dazu. Unser Wissensstoff explodiert - das ist das eine. Das andere: Er wird auch zunehmend komplizierter. Wird aber der biologische Apparat, der uns das Lernen ermöglicht, diese zunehmend schwierigere Aufgabe überhaupt meistern können?

Wie unser Lernapparat beschaffen ist und welche ungenutzten Möglichkeiten noch in ihm schlummern, das untersucht Thomas von Randow in seinem Essay. Er kommt zu überraschenden Schlüssen. So müssen wir heute ernstlich damit rechnen, daß Erfahrung und Lerninhalte eines Tages vielleicht eßbar sein werden oder daß es einmal Wissenserwerb mittels Injektionsspritze geben könnte. Verschiedene Tierversuche legen solche Gedanken zumindest nahe. Wie immer man aber diese phantastischen Ausblicke beurteilen mag - fest steht, daß wir noch sehr viel mehr über unser Gehirn werden lernen müssen, um es künftig noch vorteilhafter zu nutzen.

Fast von selbst versteht es sich, daß wir uns dazu auch der Hilfe von Sekundärgedächtnissen in Gestalt von Computern bedienen müssen. Nur: Wie weit, wie gut kann das gelingen? Können Computer denken? Welche Arten von Entscheidungen dürfen wir ihnen überlassen? Wie schöpferisch sind sie? Dürfen wir ihnen Probleme anvertrauen, zu deren Klärung Wertvorstellungen, ethische Maßstäbe notwendig sind? Was wir von der heutigen Computer-Generation zu halten haben, was sie unserem Gehirn ähnlich macht und was sie vom Gehirn unterscheidet, das zeigt Ekkehard Bink in seinem Beitrag. Aus seiner Darstellung wird deutlich, welche Möglichkeiten bestehen, Computer künftig sinnvoll zu nutzen in dem großen gesellschaftlichen Prozeß, den wir Fortschritt nennen.

Was unsere so stürmisch sich erweiternden technischen Möglichkeiten angeht, so wird es mehr denn je notwendig sein, ihre Anwendung zu kontrollieren und zu verhindern, daß die Technik eine Art Eigenleben entfaltet und der Mensch zum nur noch geduldeten Handlanger seiner Maschinenwelt degradiert wird. Mit anderen Worten: Wir werden lernen müssen, die Risiken besser zu beherrschen, die der technische Fortschritt für die ideellen Werte unseres Menschseins mit sich bringt.

Dazu gehört auch der überlegte Einsatz jener potenten Instrumente, die heute der Massenkommunikation dienen und die zunehmend zur Manipulierung großer Bevölkerungs­kreise eingesetzt werden: Massenpresse, Rundfunk und Fernsehen. Ihre Ausdrucksmittel Sprache, Schrift und Bild haben eine in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesene Verbreitungschance bekommen.

Aber wie gehen wir mit diesen mächtigen Beeinflussern der menschlichen Psyche um? Setzen wir sie klug ein? Bedenken wir genügend, daß ein Wort, ein Begriff durchaus nicht für alle Menschen das gleiche bedeutet?

Die Sprache als Verständigungsmittel untersucht Dieter Baacke in seinem Beitrag über die Welt der Zeichen und Symbole. Er läßt uns ein wenig von dem spüren, was allein durch sprachliche Mißverständnisse angerichtet, aber auch, was verhütet werden kann beim Umgang mit dem gesprochenen und gedruckten Wort und mit dem Bild.

Ist es nicht schon alarmierend zu sehen, wie Gewichtigkeit und Relevanz einer geäußerten Meinung im Fernsehzeitalter mehr und mehr am Schauspielertalent, am Auftreten ihrer Verkünder gemessen werden und immer weniger am Wahrheitsgehalt dessen, was da gesagt wird? Anders herum: Wer sich heute auf dem Bildschirm gut verkauft, dessen Thesen kommen an - der Ungeschickte hat das Nachsehen.

Was für den Umgang mit Bild und Wort gilt, muß um so wichtiger sein für die geistigen Maßstäbe, die wir an die Gesellschaft legen und nach denen wir unser Tun und Lassen einrichten. Darum sollten auch unser Gedankengut, unsere Weltanschauung und unser Glauben sich die Frage gefallen lassen: Was taugen sie eigentlich für den Menschen von heute? Werden unsere Ideologien uns dabei helfen, die künftigen Aufgaben so zu meistern, daß möglichst viele Menschen ein freies und erfülltes, ein menschenwürdiges Leben auf der Erde werden führen können?

Kann - um ein Beispiel zu nennen - die dogmatische Starrheit der vatikanischen Glaubensverkünder in Sachen Empfängnisverhütung noch hingenommen werden, wenn zugleich eine unerbittlich anschwellende Menschen­lawine alles zu vernichten droht, was uns an kulturellen Werten überkommen ist?

Mit den Problemen unseres ideologischen Rüstzeuges, mit seiner Nützlichkeit für den Menschen befaßt sich Rolf Hellmut Foerster in seinem Essay. Auch Foerster blickt, was sein Thema betrifft, nicht ausgesprochen pessimistisch in die Zukunft. Doch zeigt er eindringlich, welchen Zündstoff Ideologien bergen und welche Gefahr es bedeuten kann, selbst wider bessere Einsicht an ihnen festzuhalten. Fazit: die Inhalte so mancher Lehren werden heute neu überdacht werden müssen, wenn den Menschen von morgen ein annehmbares geistiges Zuhause bereitet werden soll.

Ganz dieser Aufgabe verschreibt sich auch Siegfried Keil in seinem Beitrag "Hoffnung auf einen neuen Menschen", der den Abschluß unseres Bandes bildet. "Hoffnung gehört dazu", betont Keil, "wenn das Leben weitergehen soll." Das ist ein wahres Wort und ein Hinweis zugleich auf die irrationalen Kräfte, denen wir wohl gerade in einer durch und durch technisierten Welt schwerlich entsagen können.

Man mag heute vieles einzuwenden haben gegen den religiösen Glauben, man mag seine Bedeutung für den weltoffenen, den säkularisierten Menschen unserer Zeit bezweifeln. Doch möchten sich - auch das ist Realität - viele Menschen nicht bloß dem kritischen Denken anvertrauen, wenn es um die Frage nach dem Sinn des Lebens geht. Ihnen bleibt der Rückzug in die Gefilde jenseits der Vernunft, wo sie auf ihre Weise Halt finden und neue Kraft für ein Leben, das ihnen so wenig schenkt wie allen anderen auch.

Zu dumm für die Zukunft? Dieses Buch möchte seinen Lesern helfen, den Fallgruben vor uns auszuweichen, in die zu stolpern wir alle Voraussetzungen mitbringen.

10

Theo Löbsack, 1971

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Fotografiken von Karl Wiehn

 

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