José
Lutzenberger

 

 

deutsch-brasilianischer
Politiker und Umweltaktivist

 


Das Vermächtnis

"Wir können die Natur
 nicht verbessern"

2003 im Retap-Verlag, Bonn

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José Lutzenberger

wikipe  Autor *1926
in Porto Alegre bis 2002 (76)

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Aus Wikipedia-2015:


 

Das Verschwinden der Regenwälder könnte zu einer neuen Eiszeit führen

Von JOSÉ A. LUTZENBERGER (2000)

 

Bezüglich der Gefahren einer Klimaverschiebung durch die CO2 Emissionen, wird allgemein davon ausgegangen, dass wir durch Treibhauseffekt ein wärmeres Klima bekommen, mit Schmelzen der Polarkappen und Überflutung enormer Flächen in den Küstenregionen (Hamburg, London, Rio, Hongkong, etc., ganz Norddeutschland, Bangladesch, usw.). Einige Klimatologen gehen aber auch davon aus, durch ein Wärmerwerden des Klimas könnte dann ein Umkippen in eine neue Eiszeit kommen. Wärmeres Wetter führt zu intensiverer Bewölkung, das bedeutet mehr Albedo, mehr von der einstrahlenden Sonnenenergie wird in den leeren Weltraum zurückgestrahlt, der Wärmehaushalt des Planeten verschiebt sich Richtung kälter. Es gibt aber noch einen anderen Faktor, der zu neuer Vereisung führen könnte.

James Lovelock (Gaia-Hypothese) hat mich in einem persönlichen Gespräch schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass, sollte der Regenwald in Amazonien vernichtet werden - wenn die Wucht der Zerstörung so weiter geht, wie bisher, könnte er in wenigen Jahrzehnen fast total verschwunden sein; einige brasilianische Wissenschaftler sehen als pessimistische Hypothese zwanzig Jahre, als optimistische dreissig (!) - dann könnte das zu einem Umkippen des Golfstroms mit Ausbrechen einer neuen Eiszeit führen.

Der Regenwald ist nicht, wie oft gesagt wird "Die Lunge der Erde". Das ist eine falsche Metapher, Lungen produzieren ja nicht Sauerstoff, wie da suggeriert werden soll, sie produzieren Kohlendioxid. Der Regenwald, das trifft auch zu für die anderen Regenwälder in Afrika, Asien und Australien, ist aber eine gewaltige Wärmepumpe, die überschüssige Wärme aus dem tropischen Gürtel in die höheren Breitengrade, nord und süd, leitet.

Der Regenwald hat eine enorme Evapotranspiration, das ist die Summe der Verdunstung und Veratmung. Von dem Regen, der auf den Wald niedergeht, kommen an die 25% am Boden gar nicht an, das genügt gerade, um das mächtige Blattwerk - bis zu 40 m hoch - nass zu machen, und verdunstet gleich wieder, sobald die Sonne scheint. Von den 75%, die am Boden ankommen, nimmt die Pflanze 50% auf und veratmet sie für ihren Stoffwechsel. Nur ein Viertel des Wassers landet in den Quellen und Bächen und geht zum Meer. Auf dem langen Weg, von Westamazonien bis zu den Anden sind es Tausende von Kilometern, verdunstet wieder ein Teil. Der Regenwald macht also sein eigenes Klima. Wenn es an den Andenhängen regnet, ist es Wasser, welches zwischen sechs und sieben mal ab und aufgegangen ist: Regen - Verdunstung, neue Wolken - neuer Regen - neue Wolken, usw. Das bedeutet, dass der Regenwald sehr anfällig ist. Er könnte zusammenbrechen, lange bevor er ganz gerodet ist.

Obiger Zyklus geht vorwiegend von Ost nach West (Passatwinde). Man kann das auf den Satellitenbildern der NASA klar sehen. Die grossen Wolkenmassen gehen von Ost nach West. Wo sie an die Anden prallen, teilt sich der Strom in zwei Hälften, eine geht nach Norden, geht dann parallel zum Golfstrom bis nach Europa hinein. Wir wissen nicht, wie weit der Golfstrom die Luftmassen, oder umgekehrt, die Luftmassen den Golfstrom beeinflussen. Die andere Hälfte geht nach Süden, bestimmt das Klima Zentral- und Südbrasiliens und dann bis hinunter zum Feuerland. Ein kleinerer Teil springt auch über die Anden.

Da nun die Niederschläge im Westen vom Regen im Osten beeinflusst werden, könnte es sein, dass, sollte im Osten zuviel Wald verschwinden, der grosse Wasserkreislauf zusammenbricht. Der Regenwald ist, wenn intakt, nicht anfällig für Brände, er ist zu feucht. Er braucht aber regelmässige Regenfälle - fast jeden Tag. Vor zwanzig Jahren noch, war es in Manaus üblich zu sagen: "wir treffen uns heute nach dem Regen". Das war dann der späte Nachmittag. Das sagt heute in Manaus niemand mehr. Inzwischen hat es dort schon Trockenperioden gegeben von bis zu zwei Monaten. Dann wird der Wald anfällig für Feuer. Riesige Brände gab es schon in Roraima, im Land der Yanomani. Früher undenkbar. Beim ersten Mal brennt nur das Unterholz, dann wird es immer schlimmer. Die brasilianische und allgemein südamerikanische Pyromanie sind bekannt...

Kommt es im Osten zu grossen Flächen nackten Bodens oder zu kargem Gestrüpp, dann haben wir dort, statt der gewaltigen Evapotranspiration, heisse Aufwinde. Die vom Meer herein kommenden, niedrig fliegenden Wolken mit ihrer grossen Wasserfracht verflüchtigen sich. Der Regen, der einige Hundert Kilometer westlich nieder gehen würde, verschiebt sich weiter nach Westen, ein neues Stück Regenwald wird anfällig für Brand. Der Zusammenbruch des gesamten Systems wäre programmiert. Heute ist der Regenwald schon zu zwanzig Prozent zerstört, der grösste Teil dieser Zerstörung ist im Osten.

Wie Professor Salati, USP, Universitaet von São Paulo gezeigt hat, der ja, als er Direktor am INPA, Nationales Forschungsinstitut für Amazonien, war, auch die Evapotranspiration des Regenwaldes erforscht hat und zu obigen Zahlen kam, ist dieses Klimasystem eine gewaltige Wärmepumpe. Aus der Thermodynamik wissen wir ja, dass bei der Verdunstung und Kondensation von Wasser grosse Mengen Energie umgesetzt werden. Für das Klimasystem Amazoniens hat Salati ausgerechnet, dass der Energietransport pro Tag der Energie von ca. sechs Millionen Atombomben (Hiroshimatyp) entspricht. Diese Energiemenge wird also, wie oben bereits erwähnt, aus dem tropischen Gürtel in die höheren Breitengrade nord und süd transportiert, bestimmt also dort das Klima.

Zurück zu Lovelock. Wir wissen, dass unsere Sonne heute ca. 30% heisser ist als zur Zeit der Entstehung der Ozeane und dem Beginn der präbiotischen, biochemischen Entwicklung, als die "Ursuppe" entstand, in der dann, vor wohl dreieinhalb Milliarden Jahren, die ersten Lebewesen mit der Komplexität von Bakterien entstanden. Warum wurde die Erde nicht wie Venus? Dort hat ein sich selbst verstärkender Treibhauseffekt (runaway greenhouse effect) stattgefunden. Alles Wasser ist verdunstet, wurde dann durch harte Einstrahlung zersetzt, der Wasserstoff ging verloren, der Sauerstoff hat oxidiert, was oxidiert werden konnte. Es kam zu einem chemischen Endgleichgewicht. Der Planet hat heute eine Atmosphäre, die an die zweihundert mal schwerer ist als unsere, die zu über neunzig Prozent aus Kohlendioxid besteht und hat eine Wolkendecke von vierzig Kilometer Dicke, bestehend aus Schwefelsäure. Die Temperaturen liegen zwischen vierhundert und fünfhundert Grad Celsius.

Die Erde hätte eine ähnliche Entwicklung durchmachen können, sie wäre nur nicht ganz so heiss, weil sie weiter weg von der Sonne kreist, aber die Meere wären verdunstet, das Wasser wäre verschwunden. Das ist nicht passiert, weil das Leben, und auch schon die Ursuppe, erst Gase, wie Methan, Ammoniak und Schwefelwasserstoff abgebaut haben, dann, als es zur Photosynthese kam, Kohlendioxid. Die erstgenannten Gase haben einen um das Vielfache stärkeren Treibhauseffekt als Kohlendioxid. Ohne diese Gase, wäre die Erde vielleicht sogar am Anfang zugefroren. Der Kohlenstoff wurde abgelagert in Form von Petroleum und Erdgas, später als Steinkohle, Braunkohle und Torf. Ein Grossteil wurde auch von Kleinlebewesen und grösseren Tieren, wie Molusken und Artropoden, in Form von Karbonaten - siehe die Dolomiten - abgelagert. Das Leben hat also im Laufe der Entwicklung Treibhauseffekt abgebaut in dem Masse, wie die Sonne wärmer wurde. Durch die Photosynthese kam es auch zur Umkehr von der ursprünglich reduzierenden zur oxidierenden Atmosphäre, die die höheren Lebensformen, darunter die Tiere und uns, sowie die höheren Pflanzen, ermöglichte.

Inzwischen hat das Leben aber soviel Kohlendioxid abgebaut, dass dieses Gas in der Atmosphäre eigentlich ein rares Gas geworden ist. Es waren vor der industriellen Revolution schon nur noch ca. 0,024 %, zu Zeiten der Ursuppe müssen es nahe an 30% gewesen sein, nun nähern wir uns durch die industriellen Emissionen und denen des Verkehrs 0,040%. Das ist zwar für den Treibhauseffekt schon bedenklich, aber, wo wenig ist, kann man wenig wegnehmen. Die Sonne wird aber weiter wärmer. Mit weiterer Ablagerung aus dem kleinen Rest ist aber nicht mehr viel zu machen, das könnte dann auch für die spätere Entwicklung gefährlich werden, Kohlendioxid ist ja der Hauptnährstoff der Pflanzen für die Photosynthese. Das Kohlenmonoxid darf also nicht ganz verschwinden. Das Leben war an einem kritischen Punkt angelangt.

Lovelock glaubt, die letzte grosse Eiszeit in der Erdgeschichte, die vier grossen Vereisungen mit drei Zwischeneiszeiten in der letzten geologischen Periode, im Pleistozän, könnten sozusagen ein Fieber von Gaia sein. Wenn in einem homoeostatisch gut geregelten System ein Kontrollmechanismus gestört wird, kann es zu Schwingungen, zum Zittern, kommen.

Wir wissen auch, dass die Regenwälder, als sie noch intakt waren, in ihrer grössten Ausdehnung, fast zehn Millionen Quadratkilometer, sehr jung sind. Sie haben sich erst seit Ausklingen der letzten grossen Vereisung, vor ca. elftausend Jahren ausgebreitet. Bis dahin waren es kleinere Inseln, umgeben von Savannen (Cerrado) Das Zusammenwachsen der vielen kleineren, bis dahin von einander isolierten Regenwaldflächen, ist mit ein Grund für die grosse Artenvielfalt.
Als mächtige Wärmepumpe haben die Regenwälder einen Teil der Arbeit des Kühlhaltens des Planeten übernommen. Sie sind zu einer planetaren Klimaanlage geworden, sie sorgen dafür, dass der Tropische Gürtel nicht zu heiss, die anderen, nord und süd, nicht zu kalt werden.

Sollte der Regenwald am Amazonas verschwinden, könnte der Golfstrom umkippen, das wäre für Europa fatal. Man sehe sich nur die Weltkugel an und vergleiche zwischen dem fünfzigsten und dem sechzigsten Breitengrad Europa mit Nordkanada. Wie Bohrungen in den Eisdecken auf Grönland und in der Antarktis zeigten, können Eiszeiten ziemlich plötzlich ausbrechen, im Laufe weniger Jahrzehnte, sie brauchen nicht Jahrhunderte oder Jahrtausende bis sie sich voll entwickeln. Dann aber, dauert es Dutzende oder Hunderte von Jahrtausenden, bis sie wieder abklingen... Die letzte, die kürzeste, die Würm-Eiszeit hat mehr als dreissigtausend Jahre gedauert.

Es muss aber gar nicht zu den Extremen, neue Eiszeit oder Überflutungen, kommen, damit wir von unerträglichen Kalamitäten heimgesucht werden. Auf dem Weg dorthin wird das Klima immer unregelmässiger, und das können wir schon überall auf der Welt beobachten. Das kann bald dazu führen, dass wir keine sicheren Ernten mehr haben. Was nützt dann schönes Strandwetter auf Spitzbergen, wenn Milliarden Menschen verhungern.

Wann werden die Mächtigen aufwachen, wann werden sie handeln?

Für den Weltethik Kongress in Kühlungborn (Deutschland) geschrieben, November 2000; Porto Alegre, 22.XI.2000

Weitere Texte in deutsch und anderen Sprachen von JOSÉ A. LUTZENBERGER unter:  www.fgaia.org.br/texts

 

 

 

 

 

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José Lutzenberger