Medien in
|
|
2022 260 Seiten detopia |
Stellen wir uns vor, die Welt geht unter – und keiner redet darüber. Was dramatisch klingt, geschieht im Kern beim Thema Klimawandel. Denn einerseits warnt die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor der Klimakatastrophe, andererseits fällt es der Politik schwer, etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen. Und die Medien, die eine Debatte in die Öffentlichkeit tragen sollten? Sie verhalten sich seltsam passiv.
Wie kann das sein angesichts der größten Herausforderung in der Menschheitsgeschichte? Die Klimakrise geht uns alle an. Ebenso werden Fernsehen und Hörfunk, Zeitungen und Zeitschriften, Podcasts und Onlinemagazine für jeden von uns produziert, und wir alle haben ein Recht auf umfassende und gute Berichterstattung. 28 namhafte Autoren, vorwiegend aus Kommunikationswissenschaft und Journalismus, belegen eindrucksvoll, wie und warum die Medien in ihrer eigenen Klima-Krise stecken. Sie zeigen auf, warum der Klimawandel eine journalistische Herausforderung ist, und stellen Lösungen, Ideen und Erfahrungen vor, wie Medienschaffende besser in der Krise handeln können.
oekom.de/buch/medien-in-der-klima-krise Verlag
Inhalt
Vorwort der Herausgeber (7)
Vorwort (11)
Über die Autorinnen
|
|
Vorwort
Mojib Latif
13-
Wir leben in Zeiten eines beispiellosen Wandels. Noch nie zuvor hat sich die Welt so schnell verändert. Die Menschheit sieht sich heute gewalti gen Umweltproblemen gegenüber, die sie schleunigst lösen muss. Es stehen nicht weniger als die Lebensgrundlagen unserer Erde auf dem Spiel. Die Klimakrise in Form der globalen Erwärmung und das Artensterben sind nur zwei Beispiele.
Obwohl das Wissen über die drohenden Umweltprobleme und deren Ursachen seit vielen Jahren vorhanden ist – der Club of Rome hatte schon 1972, also vor nunmehr einem halben Jahrhundert, mit dem Bericht Die Grenzen des Wachstums auf die Gefahren hingewiesen –, kommen wir nicht vom Wissen zum Handeln. Ganz im Gegenteil, die Menschen beschleunigen die Umweltzerstörung. So steigen die Emissionen von Treibhausgasen global immer noch, obwohl sich die Klimakrise in den letzten Jahrzehnten verschärft hat und deren Auswirkungen unübersehbar sind.
Woran liegt es, dass die Menschen nicht vernunftgesteuert agieren, wenn es um die globalen Umweltprobleme geht? Die Ursachen für das Versagen der Menschheit, den Planeten vor sich selbst zu schützen, sind vielfältig. Anhand der Klimakrise lassen sich einige der Gründe be nennen. So bleibt das Klimaproblem trotz der sich weltweit häufen den Wetterextreme und der zunehmenden Schäden für die allermeisten Menschen abstrakt, weil sie bisher nicht direkt betroffen sind. Außerdem stellen sich viele Auswirkungen der globalen Erwärmung erst mit einer beträchtlichen Zeitverzögerung von einigen Jahrzehnten ein. Vorausschauendes Handeln ist bei der Begrenzung des Klimawandels geboten.
Warten die Menschen in Sachen Klimaschutz zu lange, könnten bestimmte Prozesse bei Überschreitung einer bestimmten Erwärmung nicht mehr aufzuhalten sein, selbst wenn dann keine Treibhausgase mehr ausgestoßen würden. In diesem Zusammenhang ist in der Wissenschaft von Kipppunkten oder Kaskadeneffekten die Rede, wenn ein Kipppunkt einen weiteren oder mehrere Kipppunkte auslösen sollte. Es ist gerade diese Komplexität der dem Klimasystem unterliegenden Prozesse, die viele Menschen überfordert, einschließlich der Akteure in Politik und Wirtschaft. Und schließlich belohnt unser Wirtschaftssystem Umweltzerstörung und bestraft Nachhaltigkeit, weil das kurzfristige Gewinnstreben das Handeln bestimmen darf.
Die Klimaproblematik steht seit vielen Jahren auch im Fokus der Medien. Ich möchte an das Titelbild des Magazins Der Spiegel aus dem Jahr 1986 erinnern, auf dem der Kölner Dom in einer Fotomontage halb unter Wasser steht, was die Polschmelze und den dramatischen Anstieg der Meeresspiegel als Folge einer ungebremsten globalen Erwärmung verdeutlichen sollte. Wenn es jedoch um die Vermittlung komplexer Zusammenhänge und Hintergründe der Krise geht, scheinen viele Medienschaffende regelmäßig überfordert.
Obwohl es seit den 1990er-Jahren einen weltweiten Konsens in der Wissenschaft darüber gibt, dass die Menschen für die globale Erwär mung verantwortlich sind, kamen trotzdem bis vor einigen Jahren sogenannte Klimaskeptiker nahezu gleichberechtigt zu Wort, was zu einer enormen Verunsicherung über die Ursachen der globalen Erwärmung in der Bevölkerung geführt hat. Aus meiner Sicht wurde zu Beginn der Klimadebatte die Wissenschaft auf dem Altar der Quote geopfert. Das hat sich zwar seit einigen Jahren geändert. Klimaskeptiker haben keinen Platz mehr in Talkshows. Das hindert sie aber nicht daran, ihre kruden Thesen weiterhin in die Öffentlichkeit zu kommunizieren – und das mit einigem Erfolg.
Denn wir stehen heute vor einem weiteren Problem, das die Wissenschaftskommunikation erheblich erschwert. Durch die neuen Kommunikationsformen, allen voran die sozialen Netzwerke, entsteht eine Flut von Informationen, seriösen und unseriösen, die sich in Windeseile um den Globus verbreiten. Fake News und »alternative Fakten« bombardieren die Menschen rund um die Uhr, Emotionen treten an die Stelle von Wissen. Was soll man noch glauben? Politiker wie der ehemalige Präsident der USA Donald Trump, machen sich die neuen Medien zunutze, bezichtigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Lüge und des Betrugs. Klimawandel und Corona seien dummes Zeug. Damit erringen diese Leute Wahlerfolge, nicht nur in den USA. Auch in Deutschland gibt es diese Tendenzen, was man an der AfD und deren Positionen erkennen kann.
15
Zudem nehme ich eine Verrohung der Gesellschaft wahr, die gerade bei der sogenannten Querdenker-Bewegung besonders offensichtlich wird. Ich selber bekomme inzwischen regelmäßig Hass-E-Mails.
Es scheint sich in Teilen der Bevölkerung eine Wissenschaftsfeindlichkeit breitzumachen. Das Narrativ, dass es sich bei der Klimakrise um eine große Verschwörung der Klimaforschenden handelt und dass sie frei erfunden wäre, findet Anhänger. Gerade in der heutigen Zeit kommt also der Wissenschaftskommunikation eine entscheidende Bedeutung zu. Neben den Umweltkrisen erleben wir allerdings zugleich eine Krise der traditionellen Medien, was zur Unzeit kommt. Das Zusammenkommen von Umweltkrisen und Medienkrise führt zu einer gewissen Neutralisierung in dem Sinne, dass die gravierenden Umweltprobleme leicht relativiert oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden können.
Die Wissenschaft muss jedoch einen festen Platz in der Gesellschaft behalten.
Die Medien müssen dafür sorgen, dass die Glaubwürdigkeit der Wis senschaft nicht nur erhalten, sondern gestärkt wird. Dabei ist darauf zu achten, dass nur solide Information aus der Forschung und nicht Meinung kommuniziert wird. Das erfordert einigen Rechercheaufwand, Personal und erhebliche finanzielle Mittel. Leider ist der Journalismus im Allgemeinen und der Wissenschaftsjournalismus im Speziellen in den letzten Jahren ein Stück weit unter die Räder gekommen, hauptsächlich durch eine massive Unterfinanzierung.
Eine freie und erfolgreiche Gesellschaft braucht starke Medien und starke Wissenschaften. Worauf sollen sich politische Entscheidungen stützen, wenn nicht auf die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse? Wir dürfen die Welt nicht an die Rücksichtslosesten von allen herschenken, die kein Interesse an einer intakten Umwelt haben. Deswegen bedarf es einer starken Wissenschaftskommunikation.
Hier sind einerseits die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst gefordert, vor allem aber die Medien. Wie die Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Journalismus im vorliegenden Buch ver anschaulichen, bedarf es dazu eines Umdenkens. Sie zeigen, dass und warum journalistisches Handwerk, Selbstverständnis und Handeln angesichts der Komplexität des Themenbereichs Klimawandel (und der dramatische Verlust von Biodiversität muss da mitgedacht werden) hinterfragt werden sollten. Die Autorenschaft fordert aber nicht nur. Dieses Buch zeigt zudem konkrete Lösungsansätze auf, um angesichts sich zuspitzender Entwicklungen auch dauerhaft sicherstellen zu können, dass wir alle über diese Krisen und ihre Folgen informiert bleiben, aufgeklärt werden und so durch faktenbasierte Meinungsbildung einen nötigen Wandel mitgestalten können. Wer, wenn nicht die Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, wäre hierzu imstande?
16
#