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Persönliches Nachwort und Dank    Meißner-2017

 

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Der Ritt durch die Disziplinen der Evolutionslehre, der Physik mit ihren Grundsätzen der Thermodynamik, der Biologie, Soziologie, Psychologie und Psychotherapie mag überbordend und überfordernd wirken. Andererseits war mir die Zusammenschau von Erkenntnissen aus vielen Bereichen hilfreich dafür, Zusammenhänge zu erfassen und damit ein Bild von der ökologischen Krise zu bekommen, das über das unbehagliche Gefühl des Bedroht- und Gelähmtseins hinausweist.

Es mag übertrieben erscheinen, von einer nicht mehr abwendbaren ökologischen Krise zu sprechen. Aber der tägliche Blick in die Zeitung belegt (leider) das Gegenteil. Dabei geht es jetzt nicht mehr darum, wer mit welchen Szenarien und Modellen nun Recht hat oder nicht. Auch über die Bedeutung von CO2 oder die Frage des menschlichen Einflusses auf das Ökosystem zu streiten, ist müßig, dafür liegen mittlerweile zu viele eindeutige Fakten vor. Es geht vielmehr darum, was jetzt geschehen müsste oder zumindest könnte, und wie der Einzelne sich dazu verhält.

Dabei stellen sich auch mir offene Fragen und Zweifel: Nehme ich selbst die Situation überhaupt richtig wahr, oder leide auch ich unter einer »Apokalypse im Kopf«? Habe ich wesentliche Perspektiven übersehen, die eine andere Bewertung erfordern würden? Bin ich etwa schon »ökodepressiv«? Und unterliege ich nicht selbst einem missionarischen Eifer, die Außenwelt ändern zu wollen? Achte ich selbst überhaupt schon genügend auf meine Innenwelt - und den Bezug zur Außenwelt? Was nützt es, ein solches Buch zu schreiben, was im Grunde nichts verändert?

Hinter mir liegen über 20 Jahre Beschäftigung mit globalen Problemen. Wesentliche Ereignisse, die mich im Alter von 20 Jahren »emotional ergriffen« und meine Haltung beeinflusst haben, waren der Konflikt um die Wieder­auf­bereitungsanlage Wackersdorf und der GAU von Tschernobyl 1986. Dabei ging es aber nicht nur um die Gefahren der Atomenergie an sich, sondern auch um das hohe Risiko einer Auseinandersetzung mit Atomwaffen im damals noch nicht beendeten Kalten Krieg zwischen Ost und West. Der war kurz darauf vorbei, aber nicht grundsätzlich die Gefahr, dass das entsprechende Waffenarsenal nicht doch noch irgendwann zum Einsatz kommen könnte, zumal immer mehr Staaten mittlerweile darüber verfügen oder zu verfügen drohen.

Wissenschafts- und zeitkritische Bücher wie das von Jeremy Rifkin zum Entropie-Weltbild oder Werke von Erwin Chargaff erweiterten dann Ende der 80er Jahre den Horizont. 1992 war die deutsche Übersetzung des ersten Folgeberichts zu »Grenzen des Wachstums« eine erschütternde Lektüre, bestätigten sich hier doch auf sehr sachliche Weise die schon gewonnenen Erkenntnisse über die Begrenztheit unseres Planeten, seiner Ressourcen und auch seiner Aufnahmefähigkeit für Endprodukte, ob das nun Müll, Gase oder andere Abfälle sind.

Wohl auch durch Abschluss des Medizinstudiums und die ersten Berufsjahre als psychiatrischer Assistenzarzt sowie durch Heirat und Familiengründung gerieten die globalen Themen in den Hintergrund, ich befand mich auf der Bedürfnisebene der privaten und beruflichen Absicherung und beschränkte mich zunächst auf das eifrige Sammeln von Zeitungsausschnitten, in denen schon ab Ende der 80er Jahre zunehmend der Klimawandel und andere globale Umweltthemen behandelt wurden. Vielleicht war auch noch nicht der passende Moment zur Entwicklung ökologischer Selbsttranszendenz im Lebenszyklus erreicht (ich also noch zu jung).

Emotional in besonderer Weise ergriffen wurde ich schließlich von dem 30-Jahres-Update zu den »Grenzen des Wachstums«, gelesen 2006. Das Gefühl, etwas tun zu müssen und auch zu wollen, wurde in diesem Leseurlaub bestimmend. Dazu kam ein Jahr später die Lektüre von »Kollaps« von Jared Diamond über den Zusammenbruch früherer Gesellschaften und Kulturen. Die Finanzkrise ab 2007 war dann ein lehrreiches Beispiel dafür, wie Krisen angegangen oder eben nicht angegangen werden. Parallel dazu erinnerten die Berichte des IPCC und stattfindende Klimagipfel an die fortschreitende Erderwärmung, die Konferenz von Kopenhagen 2009 war besonders ernüchternd dabei.

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Das Bedürfnis wuchs, entdeckte Zusammenhänge und Querbezüge sowie dabei entstandene Sorgen insbesondere über den weiteren sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und mögliche kriegerische Auseinander­setzungen mitzuteilen und zu diskutieren. Es resultierte daraus das Projekt einer Art Internetzeitung, gemailt an Bekannte und Interessierte, die zunächst nach Versenden der ersten Ausgabe auf große Resonanz stieß, dann aber immer weniger Reaktionen hervor rief. Die Flüchtigkeit des Internetmediums ist mir dabei deutlich geworden, gleichzeitig bemerkte ich im Umfeld immer wieder dieses peinliche Schweigen oder Wechseln des Gesprächs­themas, wenn das Thema auf ökologische Fragen kam. Letztlich wollte ich nicht der Moralapostel sein, der ein schlechtes Gewissen verbreitet und anderen vorschreibt, was sie zu tun haben.

Der Alltag in der eigenen Praxis nahm viel Zeit in Anspruch, so dass eigenes politisches Engagement nicht realisierbar erschien. Aber mit Hilfe der existenziellen Angelegenheiten (das Lehrbuch von Irvin Yalom dazu war mir parallel ein hilf- und lehrreicher Begleiter geworden) entstand ein neuer Blickwinkel auf die ökologische Krise, gerade im Zusammenhang mit der oft diskutierten Wertefrage.

Jeder findet seine eigenen Wege und Mittel, seiner eigenen »emotionalen Ergriffenheit« oder dem Zorn über die Situation Ausdruck zu verleihen und aktiv zu werden. Die Teilnahme an Demonstrationen gegen die WAA, den Transrapid, eine neue Startbahn am Münchner Flughafen oder gegen Atomkraft generell war ja, vom Ergebnis her besehen, durchaus erfolgreich. Doch war nicht noch viel mehr zu tun?

Wie schon bei früheren Gelegenheiten musste ich mir eingestehen, dass ich nicht immer der große Teamspieler bin, sondern eher in Einzelproduktion Sinnvolles hervorbringen kann. Zudem stellten sich das Schreiben an sich und das Ordnen der Gedankengänge dabei als anti-ökodepressiv wirksam heraus. Daher kam es 2009 zur Erstauflage dieses Buches, auch als Anregung, über die globale Situation nachzudenken, kein schlechtes Gewissen dabei zu bekommen, aber auch nicht einer uns immer wieder vorgegaukelten Illusion anzuhängen, dass mit ein paar politischen Gipfelvereinbarungen und technischen Neuerungen die Probleme zu lösen seien.

Erstaunlich war es zu sehen, wie viele Disziplinen sich hier schon mit ganz ähnlichen Fragen beschäftigt haben, etwa auch mit Entropie, Werten, Selbsttranszendenz und menschlichen Verhaltensmustern, nur um dann meist wieder zur Frage von Empathie und Kooperation, also zu zwischenmenschlichen Beziehungen zurückzukehren. Yalom hat es einmal mit der Formulierung umschrieben: »Beziehung heilt«.

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Das Buch ist daher auch ein Versuch, Mosaiksteinchen aus verschiedenen Richtungen zusammen zu tragen, wenngleich vieles sicher unvollständig bleibt und sich vielleicht auch ein paar Fehler eingeschlichen haben. Auch mögen die vielen Fußnoten nach Fleißarbeit aussehen, sie sind aber vielmehr entstanden aus der auch heute noch anhaltenden Suche nach Erklärungen für die Wege in die heutige Situation und nach Wegen wiederum aus der Krise heraus. Es ist für mich immer noch unfassbar, dass wir uns in eine solch einmalige und höchstkritische Situation manövriert haben.

Von allen Perspektiven jedoch führt daher der Weg zum Einzelnen selbst und zu den persönlichen Bewältigungsstrategien, was mir aus der therapeutischen Praxis vertraut ist. Die skizzierten Überlegungen zu einer angemessenen Haltung im Angesicht der aktuellen Situation bleiben zwangsläufig vage und unvollständig. Das darf auch ruhig so sein. Es ist gerade ein notwendiger Teil der Überwindung der Ohnmachtsgefühle, innere Zweifel im Angesicht der ökologischen Krise anzunehmen. Patentrezepte hat daher auch der Psychiater nicht.

Zweifel, wie sinnvoll das Buch nun wäre, überfielen mich wiederum oft, angesichts der Rückmeldungen mancher Verlage bei ihren Ablehnungen einer Veröffentlichung, dass der Text zwar teilweise brillant formuliert und beeindruckend sei, aber zu evolutionspsychologisch, zu pessimistisch oder zu fachlich ausgerichtet wäre. Aber auch hier half mir ein gesunder Zorn dabei, es dann zunächst in einem Book-on-demand-Verlag heraus­zubringen.

Einen finanziellen Gewinn mit dem Buch zu erzielen war (und ist) mir nicht wichtig. Vielmehr bin ich getrieben vom Drang, meine bedrückenden Erkenntnisse und Sorgen mitzuteilen, kritisch zu diskutieren und im Angesicht dessen dennoch zu versuchen, positive Sichtweisen zu finden. Viele Rückmeldungen nach Erscheinen des Buches haben mich darin bestätigt.

Die Suche nach Erklärungen und Lösungen ging indes weiter. Konzepte wie die Postwachstumsökonomie von Niko Paech (»Befreiung vom Überfluß«), wie Transition-Town und Urban-Gardening, aber auch Ideen einer Ökotherapie und Steigerung der Zufriedenheit durch Nachhaltigkeit erweiterten den Horizont. Und nach Kennenlernen der ökologischen Zusammenhänge, wie sie der renommierte und vielfach geehrte Wolfgang Haber erforscht und publiziert hat, musste ich mir eingestehen, dass genau diese Zusammenhänge in meinem Buch zur ökologischen Krise gefehlt hatten.

Nachdem ich dann zwar aus dem Bedürfnis heraus, von der Theorie nun endlich auch selbst wieder zum Handeln zu kommen, eine Münchner Transition-Town-Gruppe mitgegründet hatte, wollte ich dann doch das Erklär­ungs­modell vervollständigen und eine völlig überarbeitete und erweiterte Neuauflage herausbringen - auch wenn die unbequemen Botschaften schon beim ersten Erscheinen des Buches teilweise nicht gerne gehört waren.

Umso erfreulicher, dass dies im Oekom-Verlag nun möglich wurde. Ich hoffe, dass der Text nicht nur Fachleute im Psycho-und Ökobereich anspricht, sondern auch von Menschen gelesen wird, die nicht im Naturschutz engagiert sind und manche Aussagen kritisch sehen mögen, aber vielleicht selbst schon ein gewisses Unbehagen angesichts unserer Lebensweise und deren Folgen verspüren.

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Nicht zuletzt möchte ich noch all jenen danken, die mich zu diesem Buch ermutigt, mich mit Anregungen und Korrekturen unterstützt, und meine wiederkehrenden Zweifel daran ausgehalten und mich darin bestärkt haben, meiner inneren Stimme zu folgen, die mich zum Schreiben drängt:

Meiner lieben Annette, des weiteren Michaela Söllner, Hadwig Abel, Gottfried Abel, Anne-Christine Schmidt, Ernst Weeber, Joachim Hamberger vom <Verein für Nachhaltigkeit e. V.> und Wolfgang Haber (für Rück­meldungen, die mich besonders gefreut haben), den Kollegen Rolf Ullner und Rainer Gunkel, der Gruppe <Trudering im Wandel>, meinem Qualitätszirkel und vielen anderen, die in Diskussionen zu den angesprochenen Themen oft wertvolle Gedanken geäußert haben. Auch allen Teilnehmern der Umfrage zu einem passenden Untertitel sowie dem Titelbild sei gedankt. Besonders danken möchte ich dem Lesekreis der bei <Pro Regenwald> engagierten Elizabeth Heller, der den Text gemeinsam gelesen und kritisch kommentiert hat.

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München, im Mai 2017,
Andreas Meißner

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