Alice Miller

Evas Erwachen

Über die Auflösung
emotionaler Blindheit

 

2001 bei Suhrkamp Verlag 

2004 als suhrkamp taschenbuch

Alice Miller :  Evas Erwachen  (2001)   Über die Auflösung emotionaler Blindheit   

2001   182 (185) Seiten 

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Miller-2004

 

Inhalt

 

Vorwort  (7)  

 

Prolog: Du sollst nicht wissen (14)

 

Umschlag: Aquarell von Alice Miller  

 

Epilog  (175)  

 

Literatur  (183)

 

Teil 1  Kindheit, die unbeachtete Fundgrube

Vorspann (25)  

1  Medikamente statt Wissen (30)  

2  Das Umgehen der Kindheitsrealität in der Psychotherapie (51)

3  Körperliche Strafen und politische »Missionen« (62)

4  Zeitbomben im Gehirn (71)  

5  Das Schweigen der Kirche (78)  

6  Die Anfänge des Lebens - das Stiefkind der Biographen (93) 

Teil 2  Wie entsteht emotionale Blindheit?

1 Weshalb plötzlich die Wut? (105) 

2  Denkblockaden (109) 

Teil 3  Durchbrüche zur eigenen Geschichte 

Vorspann (133)  

1. Wachsen in Gesprächen (135)  

2. Ohne Wissende Zeugen (Der Leidensweg eines Analytikers)  (149)

3. Die Heilkraft der Wahrheit (156)  

 

Vom Mut, den Apfel zu essen

Alice Miller noch einmal über die Notwendigkeit der Erkenntnis 

Von Eva Leipprand 

literaturkritik.de   ausgabe=200110  

 

Gott hat den Baum der Erkenntnis ins Paradies gepflanzt. Warum hat er dann Adam und Eva das Pflücken des Apfels verboten? Warum soll Erkenntnis böse sein, Gehorsam gut? Schon als Kind, so schreibt Alice Miller in ihrem neuen Buch "Evas Erwachen", mochte sie die Paradiesgeschichte so nicht akzeptieren. Wie ließ sich solch "väterlicher Sadismus" mit der Liebe Gottes vereinbaren? 

Wenn Alice Miller nun die Rolle der Eva einnimmt, die "das Gebot <Du sollst nicht wissen> ablehnte", dann schwingt darin viel eigene Erfahrung mit; man spürt noch die Energie der kindlichen Auflehnung, wenn sie heute ihren Lesern Mut machen will, den Apfel zu essen.

Das Thema Unschuld und Wissen wird schon in ihrem Bestseller "Das Drama des begabten Kindes" von 1980 angeschlagen und mit "Am Anfang war Erziehung" weitergeführt. Es bleibt Anliegen auch der folgenden Bücher: "Du sollst nicht wissen. Variationen über das Paradiesthema", "Der gemiedene Schlüssel" (1988), "Das verbannte Wissen" (1990). Es ist die Paradiesgeschichte jedes einzelnen, die in "Evas Erwachen" erneut als Teufelskreis dargestellt wird: Demütigung durch Erziehung, Verleugnung der Gefühle, emotionale Blindheit, Denkblockaden, Speicherung des Erlittenen im Körper (mit der Folge schwerer Erkrankungen), Wiederholungszwang. 

Die Demütigung wird an die eigenen Kinder weitergegeben. Nur das Wissen um die eigene frühe Kindheit kann, so Millers Kernthese, diesen Teufelskreis durchbrechen, den Zugang zu den eigenen wirklichen Gefühlen öffnen und zur Einheit mit dem Selbst führen. "Wie kommt das Böse in die Welt?" fragt die Autorin und antwortet: "Das Böse wird in jeder Generation neu erschaffen. Das Neugeborene ist unschuldig." Dabei verwendet sie die Begriffe "böse", "unschuldig" oder "Liebe" ganz biblisch-naiv, ohne sie wissenschaftlich zu reflektieren.

Das hässlichste Element der sogenannten Schwarzen Pädagogik ist sicher körperliche Züchtigung, Misshandlung oder gar Missbrauch. Mit großem Engagement führt Alice Miller zur Zeit eine Kampagne gegen körperliche Strafen in der Erziehung, mit einer eigenen Website im Internet. Beschwörend wendet sie sich an Eltern, Politiker, sogar an den Papst, solche Strafen gesetzlich zu verbieten: "Jeder Klaps ist eine Demütigung".

So unterstützenswert dieses Ziel ist: Etwas vom Stil einer Kampagne hat leider auf das neue Buch abgefärbt. Der Text entwickelt kaum neue Gedanken, sondern wiederholt, was Alice-Miller-Lesern längst bekannt ist, und rutscht dabei oft ins Plakative: "Jeder Kriminelle wurde als Kind gedemütigt, mißhandelt oder wuchs in verwahrlosten Verhältnissen heran."

Zweifler haben keine Chance, diese These zu überprüfen; denn, so Miller, sollte einer eine solche Kindheit abstreiten, dann hat er sie halt verdrängt. 

Ähnliches Unbehagen entsteht, wenn aus dem Klaps, mit dem die Mütter in Ruanda ihre Kinder zur Sauberkeit erziehen, die dortigen schrecklichen Massaker erklärt werden. 

Jesus dagegen sei geworden, was er war, weil er als Kind Gottes von seinen Eltern "höchste Ehrerbietung, Liebe und Schutz" erfahren habe. Ob der Mythos wirklich zur Analyse taugt? Und woher, so möchte man hier ganz bescheiden anfragen, weiß Alice Miller, ob der Maria im Stress nicht doch einmal die Hand ausgerutscht ist?

Wenig gewinnend ist auch die Methode, Gegenpositionen einseitig und überspitzt zu formulieren, um sich dann umso positiver davon absetzen zu können und die eigene Lehrmeinung, in einer fatalen Neigung zum Selbstzitat, als neu und bahnbrechend hinzustellen. 

Die Beschäftigung mit der Kindheit zum Beispiel - ist die denn heute wirklich "immer noch ein Tabu"? Erleben wir denn nicht täglich eine Durchpsychologisierung der Gesellschaft bis in die letzte Fernseh-Seifenoper hinein? 

Nicht ausreichend belegt ist auch die Beglaubigung von Millers Thesen durch die heutige Hirnforschung. 

Umso deutlicher offenbaren sich ihre eigenen Abwehrstrategien. Weil der Papst ihren Brief gegen die körperliche Strafe nicht persönlich gelesen, beantwortet und auf der Stelle seine Theologie geändert hat, sucht sie, in kühner Ferndiagnose, nach dem Trauma in seinen Kindheitsjahren. 

Bei allem Respekt vor Alice Millers Leistung: In diesem Buch lässt sich die Autorin in ihrem eigenen Wiederholungszwang beobachten. Dabei steht doch der Baum der Erkenntnis immer noch da und lockt mit neuen Äpfeln im Gezweig.

 

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