George OrwellFarm der TiereEine Fabel, ein Märchen Animal Farm. A Fairy Story. mit über die Freiheit der Presse
1937 "Grundidee zum erstenmal" 1943/44 geschrieben
1945
first edition am 17.8.1945 bei 1946 auf deutsch im Verlag Amstutz & Herdeg, Zürich |
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1945 120 Seiten |
Audio 2015 - 70 Jahre Farm der Tiere 4min
first edition: 17.08.1945
"Diese
Geschichte einer mißlungenen Tierrevolution detopia-2020: In meiner Diogenes-Ausgabe steht "1982" wurde es wiederentdeckt. (bei wikipedia: 1972) Das würde besser zum Lebensalter der beiden "Ian Angus" passen (die ich gefunden habe). en.wikipedia Ian_Angus - activist *1945 kanadischer Ökosozialist en.wikipedia Ian_Angus - philosopher *1949, kanadischer Philosoph |
aus wikipedia-2020 (Farm der Tiere)
Das Original-Script enthielt ein Vorwort mit dem Titel "The Freedom of the Press", in welchem Orwell die britische Selbstzensur, die Unterdrückung kritischer Äußerungen gegen den damaligen Alliierten - Sowjetunion - und schließlich die Unterdrückung des Buches durch die britische Regierung kritisierte.
Das Vorwort fiel schließlich genau dieser Zensur zum Opfer und war deshalb in der im August 1945 veröffentlichten Erstausgabe und den meisten der folgenden Ausgaben nicht enthalten. Aus diesem Vorwort stammt das von Orwell berühmt gewordene Zitat: „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“
Auch nachdem Ian Angus das Vorwort 1972 in Orwells persönlichen Unterlagen entdeckt hatte, verweigerten die Verleger die Publikation.
Ausnahmen hiervon sind die 1993 erschienene Everyman's-Library-Ausgabe, die Ausgabe des Penguin-Verlages (2000) und des Diogenes Verlages (2002), in denen es jedoch im Anhang und nicht, wie von Orwell vorgesehen, als Vorwort abgedruckt wurde. |
Vorwort von George Orwell für die Erstveröffentlichung über die verlegerische Meinungsfreiheit,
ungedruckt, von den Verlegern abgelehnt, dann "verschollen (vergessen) und wiederentdeckt".
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Die Grundidee für dieses Buch kam mir 1937 zum erstenmal, doch die Niederschrift erfolgte erst gegen Ende 1943. Als es dann fertig war, lag auf der Hand, daß seine Veröffentlichung Schwierigkeiten bereiten würde (trotz der augenblicklichen Bücherknappheit, die gewährleistet, daß sich alles, worauf die Beschreibung Buch paßt, verkauft), und schließlich wurde es von vier Verlegern abgelehnt.
Nur einer von ihnen hatte ideologische Motive. Zwei hatten seit Jahren antirussische Bücher publiziert, und der andere war von keiner erkennbaren politischen Couleur. Ein Verleger akzeptierte das Buch anfänglich sogar, doch nach den ersten Vorbereitungen beschloß er, das Informationsministerium zu konsultieren, das ihn anscheinend vor der Publikation gewarnt oder ihm zumindest doch heftig davon abgeraten hat. Hier ein Auszug aus seinem Brief:
"Ich erwähnte die Reaktion eines einflußreichen Beamten im Informationsministerium hinsichtlich der FARM DER TIERE. Ich muß gestehen, daß mir diese Meinungsäußerung sehr zu denken gegeben hat. ... Ich sehe jetzt ein, daß die Veröffentlichung des Buches zum gegenwärtigen Zeitpunkt als etwas höchst Unbesonnenes betrachtet werden könnte.
Wäre die Fabel an die Adresse von Diktatoren und Diktaturen ganz allgemein gerichtet, dann ginge die Veröffentlichung in Ordnung, doch wie ich jetzt sehe, hält sich die Fabel so vollständig an die Entwicklung der Sowjetrussen und ihrer beiden Diktatoren, daß mit ihr nur Rußland gemeint sein kann und die anderen Diktaturen aus dem Spiel bleiben.
Und noch etwas: es wäre weniger anstößig, wenn die herrschende Kaste in der Fabel nicht die Schweine wären.* Ich glaube, daß die Wahl von Schweinen als regierende Klasse zweifellos Anstoß erregen wird, und besonders bei jedem, der ein bißchen empfindlich ist, was die Russen ja ohne Zweifel sind."
* Anmerkung Orwells: Es ist nicht ganz klar, ob dieser Modifikationsvorschlag des Verlegers eigene Idee ist oder ob er aus dem Informationsministerium stammt; aber er klingt mir so ganz nach Beamtenton.
So etwas ist ein ungutes Zeichen. - Natürlich ist es nicht wünschenswert, daß ein Regierungsministerium irgendwelche Zensurgewalt ausübt (ausgenommen eine Sicherheitszensur, gegen die in Kriegszeiten niemand etwas hat) über Bücher, die nicht von offizieller Seite unterstützt werden. Doch die Hauptgefahr für die Gedanken- und Redefreiheit geht im Moment nicht vom MOI (Ministery of Information) oder sonst einer Behörde aus. Wenn sich Verleger und Herausgeber bemühen, bestimmte Themen ungedruckt zu lassen, dann nicht aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung, sondern aus Angst vor der öffentlichen Meinung.
Hierzulande ist intellektuelle Feigheit der schlimmste Feind, dem ein Schriftsteller oder Journalist die Stirn bieten muß, und mit diesem Umstand scheint man sich noch nicht gebührend auseinandergesetzt zu haben.
Jeder aufrichtige Mensch mit journalistischer Erfahrung wird zugeben, daß die offizielle Zensur während dieses Krieges nicht besonders lästig gewesen ist. Wir sind nicht jener Art totalitärer »Gleichschaltung« unterworfen worden, die man billigerweise hätte erwarten können. Die Presse hat einigen berechtigten Grund zur Klage, doch im großen und ganzen hat die Regierung Wohlverhalten gezeigt und überraschende Toleranz gegenüber Minderheitsmeinungen geübt. Der dunkle Punkt der literarischen Zensur in England ist, daß sie weitgehend freiwillig geschieht. Unpopuläre Ideen lassen sich verschweigen und unbequeme Tatsachen verschleiern, ohne daß es hierzu eines amtlichen Verbots bedarf.
Jeder, der lange genug im Ausland gelebt hat, wird Beispiele von sensationellen Nachrichtenmeldungen kennen — Themen, die an und für sich betrachtet, die Hauptschlagzeilen abgeben würden —, die in der britischen Presse überhaupt nicht auftauchten, und zwar nicht auf Grund eines Regierungseingriffs, sondern auf Grund einer generellen, stillschweigenden Übereinkunft, daß »es nicht angehe«, diese bestimmte Tatsache zu erwähnen.
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Soweit dies die Tageszeitungen betrifft, ist das leicht zu verstehen. Die britische Presse ist extrem zentralisiert und überwiegend im Besitz von wohlhabenden Männern, die allen Grund haben, über bestimmte wichtige Themen unehrlich zu sein. Doch dieselbe verhüllte Zensur wirkt auch in Büchern und Magazinen, ebenso wie in Theaterstücken, Filmen und im Radio.
Zu jeder Zeit gibt es eine Orthodoxie, ein Meinungssystem, von dem angenommen wird, daß es alle rechtdenkenden Leute ohne zu fragen akzeptieren werden. Es ist nicht eben verboten, dies oder jenes zu sagen, aber es ist »unschicklich« es zu sagen, so wie es zu viktorianischer Zeit »unschicklich« war, in Gegenwart einer Lady Hosen zu erwähnen.
Jeder, der die herrschende Orthodoxie anzweifelt, sieht sich mit verblüffender Wirksamkeit zum Schweigen gebracht. Eine wirklich unzeitgemäße Meinung bekommt fast nie eine faire Anhörung, weder in der Volkspresse noch in den Intellektuellenmagazinen.
Die derzeit herrschende Orthodoxie verlangt die unkritische Bewunderung Sowjet-Rußlands. Jeder weiß das, fast jeder handelt danach. Jede ernsthafte Kritik am Sowjet-Regime, jede Enthüllung von Tatsachen, die die Sowjet-Regierung lieber weiterhin verborgen sähe, ist nahezu undruckbar. Und diese landesweite Konspiration, unserem Alliierten zu schmeicheln, spielt sich sonderbarerweise vor dem Hintergrund echter intellektueller Toleranz ab. Denn darf man auch die Sowjet-Regierung nicht kritisieren, so steht es einem zumindest doch ziemlich frei, unser eigenes Land zu kritisieren.
Kaum jemand wird eine Attacke gegen Stalin drucken, aber Churchill zu attackieren ist recht risikolos, jedenfalls in Büchern und Magazinen. Und über fünf Kriegsjahre hinweg, von denen wir zwei oder drei um das nationale Überleben kämpften, durften zahllose Bücher, Pamphlete und Artikel zugunsten eines Kompromißfriedens ungestört erscheinen. Mehr noch, sie sind erschienen, ohne großes Mißfallen zu erregen. Solange das Prestige der UdSSR nicht im Spiel ist, ist der Grundsatz der Redefreiheit leidlich gewahrt worden.
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Es gibt noch andere Tabu-Themen, und ich werde gleich einige davon beim Namen nennen, doch die herrschende Einstellung gegenüber der UdSSR ist bei weitem das bedenklichste Symptom. Sie ist, sozusagen, spontan und verdankt sich nicht dem Tun irgendwelcher Interessenverbände.
Die Servilität, mit der der überwiegende Teil der englischen Intelligenz von 1941 an die russische Propaganda geschluckt und wiederholt hat, wäre recht erstaunlich, hätte sie sich bei mehreren früheren Gelegenheiten ganz ähnlich verhalten.
Streitfrage auf Streitfrage ist der russische Standpunkt ausnahmslos akzeptiert und dann unter völliger Mißachtung historischer Wahrheit und intellektueller Redlichkeit publiziert worden. Um nur ein Beispiel zu nennen: die BBC feierte den fünfundzwanzigsten Jahrestag der Roten Armee, ohne Trotzki zu erwähnen. Das war in etwa genauso akkurat, wie der Schlacht von Trafalgar zu gedenken, ohne Nelson zu erwähnen, aber es löste bei der englischen Intelligenz keine Proteste aus.
Bei den inneren Kämpfen in den verschiedenen okkupierten Ländern hat sich die britische Presse fast in allen Fällen auf die Seite der von den Russen begünstigten Partei gestellt und die Oppositionspartei verleumdet, wozu sie manchmal Beweise unterdrückte. Ein besonders krasser Fall war der von Oberst Mihailovic, dem Führer der jugoslawischen Tschetniks. Die Russen, die in Marschall Tito ihren eigenen jugoslawischen Protege hatten, beschuldigten Mihailovic der Kollaboration mit den Deutschen. Die britische Presse griff diese Anschuldigung prompt auf: Mihailovics Anhänger bekamen keine Gelegenheit, darauf zu reagieren, und widersprüchliche Fakten gelangten ganz einfach nicht zum Druck.
Im Juli 1943 setzten die Deutschen eine Belohnung von 100.000 Kronen in Gold für die Ergreifung Titos aus, und eine ähnliche Summe für die Ergreifung Mihailovics. Die britische Presse brachte die Summe für Tito in den Schlagzeilen, aber nur eine Zeitung erwähnte, kleingedruckt, die Summe für Mihailovic, und die Bezichtigungen der Kollaboration mit den Deutschen gingen weiter.
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Ganz ähnliche Dinge passierten während des Spanischen Bürgerkriegs. Auch da wurden die Parteien auf der republikanischen Seite, die zu vernichten die Russen entschlossen waren, in der linken englischen Presse rücksichtslos verleumdet, und jeder Aussage zu ihrer Verteidigung, und sei es in Briefform, wurde die Veröffentlichung verweigert.
Gegenwärtig wird nicht bloß jede ernsthafte Kritik an der UdSSR als verwerflich betrachtet, in einigen Fällen wird sogar die Tatsache verheimlicht, daß es eine solche Kritik gibt.
Ein Beispiel: Trotzki hatte kurz vor seinem Tod eine Stalin-Biographie geschrieben. Man darf vermuten, daß es ein ganz und gar nicht unparteiisches Buch gewesen ist, aber offensichtlich ließ es sich verkaufen. Ein amerikanischer Verleger wollte es herausbringen, und das Buch war im Druck — die Rezensionsexemplare hatte man, glaube ich, bereits verschickt —, da trat die UdSSR in den Krieg ein. Das Buch wurde sofort zurückgezogen. In der britischen Presse stand nie ein Wort darüber, obwohl die Existenz eines solchen Buches und seine Unterdrückung eindeutig eine Meldung war, die einige Absätze verdiente.
Die Unterscheidung zwischen der Art Zensur, die sich die englische literarische Intelligenz freiwillig auferlegt, und der Zensur, die manchmal von den Interessengruppen aufgezwungen werden kann, ist wichtig. Berüchtigtermaßen können bestimmte Themen auf Grund »rechtmäßiger Interessen« nicht diskutiert werden. Der bekannteste Fall ist der patentierte Medikamentenschwindel. Auch die katholische Kirche besitzt beträchtlichen Einfluß in der Presse und kann an ihr lautwerdende Kritik zu einem gewissen Grade zum Verstummen bringen. Ein Skandal, in den ein katholischer Priester verwickelt ist, wird fast nie publik gemacht, wohingegen ein anglikanischer Priester in Schwierigkeiten (z.B. der Rektor von Stiffkey) auf der Titelseite erscheint. In den allerseltensten Fällen kommt so etwas wie eine antikatholische Tendenz auf der Bühne oder im Film vor.
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Jeder Schauspieler kann Ihnen sagen, daß ein Stück oder ein Film, in dem die katholische Kirche angegriffen oder veralbert wird, mit einem Presseboykott rechnen muß und wahrscheinlich eine Pleite wird. Doch so etwas ist harmlos, oder wenigstens doch verständlich. Jede große Organisation wird nach besten Kräften ihre Interessen wahren, und gegen offene Propaganda ist nichts einzuwenden. Man würde vom Daily Worker ebenso wenig erwarten, daß er ungünstige Fakten über die UdSSR publiziert, wie vom Catholic Herald, daß er den Papst denunziert. Aber andererseits weiß jeder denkende Mensch, wofür der Daily Worker und der Catholic Herold stehen.
Das Beunruhigende ist, daß man, geht es um die UdSSR und ihre Politik, keine intellektuelle Kritik, ja in vielen Fällen nicht einmal schlichte Ehrlichkeit von liberalen Autoren und Journalisten erwarten kann, die keinem direkten Druck ausgesetzt sind, ihre Meinungen zu verfälschen. Stalin ist sakrosankt, und gewisse Aspekte seiner Politik dürfen nicht ernstlich diskutiert werden.
Diese Regel ist seit 1941 beinahe ohne Einschränkung befolgt worden, aber funktioniert hat sie schon zehn Jahre früher, und zwar in weit größerem Ausmaß, als einem manchmal klar ist.
Während dieser ganzen Zeit konnte sich Kritik am Sowjet-Regime von der Linken nur schwer Gehör verschaffen. Es gab eine Flut antirussischer Literatur, doch beinahe alles davon kam aus der Ecke der Konservativen und war ganz offenbar unaufrichtig, überholt oder von niederen Motiven angetrieben.
Auf der anderen Seite gab es einen gleich großen und beinahe ebenso unaufrichtigen Strom prorussischer Propaganda und einen Quasi-Boykott an jedem, der versuchte, hochwichtige Fragen wie ein Erwachsener zu diskutieren.
Man konnte zwar antirussische Bücher veröffentlichen, doch dann hatte man gleichzeitig die Gewähr, fast von der gesamten Intellektuellenpresse ignoriert oder entstellt wiedergegeben zu werden. Öffentlich und privat wurde man gewarnt, daß dies »unschicklich« sei. Was man sage, stimme möglicherweise, doch es sei »inopportun« und »spiele in die Hände« dieses oder jenes reaktionären Interesses.
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Diese Haltung wurde gewöhnlich mit der Begründung verteidigt, daß die internationale Situation und die dringende Notwendigkeit einer Anglo-Russischen Allianz es erforderten: doch es war klar, daß dies eine Rationalisierung war.
Die englische Intelligenz, oder ein Großteil von ihr, hatte der UdSSR gegenüber eine nationalistische Toleranz entwickelt, und sie spürte in ihrem Innersten, daß es einer Blasphemie gleichkäme, den geringsten Zweifel auf Stalins Weisheit zu werfen. Ereignisse in Rußland und Ereignisse anderswo mußten mit verschiedenen Maßstäben gemessen werden. Die endlosen Hinrichtungen während der Säuberungsaktionen 1936-38 wurden von lebenslangen Gegnern der Todesstrafe beklatscht, und man fand es ebenso richtig, Hungersnöte publik zu machen, wenn sie sich in Indien ereigneten und sie zu verheimlichen, wenn sie sich in der Ukraine ereigneten. Und wenn dies für die Zeit vor dem Krieg schon zutraf, dann ist das intellektuelle Klima heute gewiß nicht besser.
Doch nun wieder zurück zu meinem Buch.
Die Reaktion der meisten englischen Intellektuellen darauf wird ganz einfach sein: »Es hätte nicht publiziert werden sollen.« Natürlich werden es diejenigen Rezensenten, die sich auf die Kunst des Anschwärzens verstehen, nicht aus politischen, sondern aus literarischen Gründen attackieren. Sie werden sagen, daß es ein langweiliges, albernes Buch ist und dazu noch eine schändliche Papierverschwendung. Das mag schon stimmen, aber es ist offensichtlich nur die halbe Wahrheit.
Man sagt nicht, daß ein Buch »nicht hätte publiziert werden sollen«, bloß weil es ein schlechtes Buch ist. Immerhin wird täglich klafterweise Mist gedruckt, und keiner kümmert sich darum. Die englische Intelligenz, oder ihr Großteil, wird gegen dieses Buch protestieren, weil es ihren Führer verleumdet und (wie sie es sieht) der Sache des Fortschritts schadet. Täte es das Gegenteil, hätten sie nichts dagegen einzuwenden, und wären seine literarischen Mängel zehnmal so kraß wie jetzt.
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Der vier oder fünf Jahre lang anhaltende Erfolg des Left Book Club zum Beispiel zeigt, wie willens sie sind, sowohl Vulgarität wie Schludrigkeit beim Schreiben zu tolerieren, solange sie nur das zu hören bekommen, was sie hören möchten.
Es geht hier um eine recht simple Frage: Hat jede Meinung, egal wie unpopulär — egal sogar wie dumm —, ein Recht darauf, gehört zu werden?
Wenn man sie so formuliert, wird sich beinahe jeder englische Intellektuelle verpflichtet fühlen »Ja« zu sagen. Doch konkretisiert man sie und sagt: »Und ein Angriff auf Stalin? Hat der ein Recht darauf gehört zu werden?«, und die Antwort wird in den meisten Fällen lauten: »Nein.« In diesem Fall wird die gegenwärtige Orthodoxie angezweifelt, und der Grundsatz der Redefreiheit fällt.
Wenn man nun aber Rede- und Pressefreiheit fordert, fordert man damit doch nicht absolute Freiheit. Solange die organisierten Gesellschaften fortbestehen werden, muß es immer, oder wird es wenigstens immer, einen bestimmten Grad der Zensur geben. Doch Freiheit meint nach Rosa Luxemburg »Freiheit für den anderen«. Das gleiche Prinzip steckt in den berühmten Worten Voltaires: »Ich verabscheue, was Sie sagen; ich werde Ihr Recht, es zu sagen, bis zum Tod verteidigen.«
Falls die intellektuelle Freiheit, die zweifellos ein hervorstechendes Merkmal westlicher Zivilisation gewesen ist, überhaupt einen Sinn hat, dann den, daß jeder das Recht haben soll, das zu sagen und zu drucken, was er für die Wahrheit hält, vorausgesetzt nur, es fügt dem Rest der Gemeinschaft nicht unverkennbar Schaden zu.
Sowohl der kapitalistischen Demokratie wie den westlichen Versionen des Sozialismus hat dieses Prinzip bis vor kurzem als selbstverständlich gegolten. Wie ich bereits erwähnt habe, macht unsere Regierung noch immer einige Anstalten, es zu respektieren.
Der gewöhnliche Mann auf der Straße vertritt immer noch in etwa die Ansicht: »Ich glaube, jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung« — teilweise, vielleicht, weil er sich für die Ideen zu wenig interessiert, um ihnen intolerant gegenüberzustehen. Nur, oder zumindest hauptsächlich, die literarische und wissenschaftliche Intelligenz, eben die Gruppe, die der Hüter der Freiheit sein sollte, beginnt, dieses Prinzip sowohl in Theorie wie Praxis zu verschmähen.
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Eine eigenartige Erscheinung unserer Zeit ist der abtrünnige Liberale. Über die bekannte marxistische Behauptung hinaus, daß »bourgeoise Freiheit« eine Illusion ist, herrscht jetzt eine weitverbreitete Tendenz zu argumentieren, daß man Demokratie nur mit totalitären Methoden verteidigen kann.
Wenn man die Demokratie liebt, so läuft die Argumentation, dann ist jedes Mittel recht, um ihre Feinde zu vernichten.
Und wer sind ihre Feinde?Es stellt sich immer heraus, daß es nicht nur jene sind, die sie offen und bewußt angreifen, sondern auch jene, die sie durch Verbreiten mißverstandener Doktrinen »objektiv« gefährden. Anders gesagt, zur Verteidigung der Demokratie gehört die Zerstörung aller gedanklichen Unabhängigkeit. Dieses Arguments bediente man sich zum Beispiel, um die russischen Säuberungsaktionen zu rechtfertigen. Sogar der glühendste Russophile wird kaum geglaubt haben, daß alle Opfer aller ihnen zur Last gelegten Dinge schuldig waren: aber dadurch, daß sie ketzerische Meinungen vertraten, schadeten sie dem Regime eben »objektiv«, und deshalb war es ganz in Ordnung, sie nicht nur zu massakrieren, sondern auch noch durch falsche Beschuldigungen zu diskreditieren.
Mit demselben Argument wurden die ganz bewußten Lügen in der Linkspresse über die Trotzkisten und die anderen republikanischen Minderheiten im Spanischen Bürgerkrieg gerechtfertigt. Und man bediente sich seiner wieder, um gegen die Habeaskorpusakte zu kläffen, als Mosley 1945 freigelassen wurde.
wikipedia Oswald_Mosley 1896 bis 1980
Diese Leute sehen einfach nicht, daß eine Zeit kommen kann, wo die totalitären Methoden, die man unterstützt hat, gegen einen anstatt für einen verwendet werden. Man mache nur eine Gewohnheit daraus, Faschisten ohne Verhandlung einzusperren, und vielleicht bleibt dieser Prozeß nicht bei Faschisten stehen.
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Kurz nachdem der unterdrückte Daily Worker wieder erscheinen durfte, hielt ich an einem Arbeiterkolleg in South London einen Vortrag. Das Publikum bestand aus Intellektuellen der Arbeiter- und Untermittelschicht — das gleiche Publikum, dem man gewöhnlich in den Filialen des Left Book Shop begegnete. Der Vortrag hatte das Thema Pressefreiheit gestreift, und zu meiner Überraschung standen am Schluß etliche Fragesteller auf und wollten von mir wissen: Ob ich denn nicht glaube, daß die Aufhebung des Erscheinungsverbots für den Daily Worker ein großer Fehler sei?
Nach dem Wieso befragt, sagten sie, er sei eine Zeitung von zweifelhafter Linientreue und sollte in Kriegszeiten nicht toleriert werden. Und dann fand ich mich dabei, wie ich den <Daily Worker> verteidigte, der sich mehr als nur einmal besonders große Mühe gegeben hat, mich zu schmähen.
Aber wo hatten diese Leute diese wesentlich totalitäre Ansicht gelernt? Ziemlich sicher von den Kommunisten selbst!
Toleranz und Anständigkeit sind in England tiefverwurzelt, aber nicht unzerstörbar, und sie müssen teilweise durch bewußte Anstrengung am Leben erhalten werden.
Das Predigen totalitärer Doktrinen hat eine Schwächung des Instinkts zur Folge, durch den freie Menschen erkennen, was gefährlich ist und was nicht.
Der Fall Mosley illustriert dies.
1940 war es völlig richtig, Mosley zu internieren, gleichgültig, ob er nun irgendein regelrechtes Verbrechen begangen hatte oder nicht. Wir kämpften um unser Leben und konnten es einem möglichen Quisling nicht erlauben, frei herumzulaufen. Ihn bis 1945 ohne Verhandlung eingesperrt zu lassen war eine Greueltat. Daß dies allgemein übersehen wurde, war ein schlechtes Zeichen, wenn es auch stimmt, daß die Agitation gegen Mosleys Freilassung zum Teil künstlich und zum Teil eine Rationalisierung anderer Unzufriedenheiten war.
Doch wie viel von dem gegenwärtigen Hang zu faschistischen Denkweisen läßt sich auf den »Anti-Faschismus« der vergangenen zehn Jahre und die Skrupellosigkeit zurückführen, die er nach sich gezogen hat?
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Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß die augenblickliche Russomanie nur ein Symptom ist für die generelle Abschwächung der westlich liberalen Tradition. Hätte das Ministerium dazwischengefunkt und definitiv sein Veto gegen die Publikation dieses Buches eingelegt, würde die Masse der englischen Intelligenz darin nichts Beunruhigendes gesehen haben. Unkritische Loyalität gegenüber der UdSSR ist nun einmal die herrschende Orthodoxie, und wo es um die vermutlichen Interessen der UdSSR geht, ist man gewillt, nicht nur Zensur, sondern sogar absichtliche Geschichtsfälschung zu dulden.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Beim Tode von John Reed, dem Autor von Ten Days that Shook the World — einem Bericht über die Anfangstage der Russischen Revolution aus allererster Hand —, gelangte das Copyright an dem Buch in die Hände der British Communist Party, der es Reed, glaube ich, testamentarisch vermacht hatte.
wikipedia Zehn_Tage,_die_die_Welt_erschütterten
Einige Jahre später veröffentlichten die britischen Kommunisten, nachdem sie die Originalausgabe des Buches so vollständig vernichtet hatten, wie sie nur konnten, eine verstümmelte Version, aus der sie alle Stellen, an denen Trotzki erwähnt wurde, eliminiert und auch die von Lenin verfaßte Einleitung weggelassen hatten.
Hätte noch eine radikale Intelligenz existiert, wäre dieser Fälschungsakt in jeder literarischen Zeitschrift im Land aufgedeckt und angeprangert worden. So gab es wenig oder gar keinen Protest. Viele englische Intellektuelle hielten das für eine ganz normale Sache. Und diese Toleranz oder platte Unehrlichkeit heißt viel mehr, als daß diese Bewunderung für Rußland im Augenblick nun mal Mode ist.
Höchstwahrscheinlich wird diese bestimmte Mode nicht von Dauer sein. Soviel ich weiß, kann bei Erscheinen dieses Buches meine Einschätzung des Sowjet-Regimes die allgemein anerkannte sein. Doch was würde das nützen? Eine Orthodoxie durch eine andere zu ersetzen ist nicht unbedingt ein Fortschritt. Der Feind ist stets die Grammophon-Mentalität, gleichgültig ob einem die Platte, die gerade gespielt wird, nun paßt oder nicht.
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Ich kenne alle die Argumente gegen die Gedanken- und Redefreiheit zur Genüge — jene Argumente, die behaupten, daß es sie nicht geben kann, und jene Argumente, die behaupten, daß es sie nicht geben soll. Ich antworte darauf nur, daß sie mich nicht überzeugen und daß unsere Zivilisation für einen Zeitraum von vierhundert Jahren auf der gegenteiligen Ansicht gefußt hat.
Seit gut einer Dekade bin ich der Meinung gewesen, daß das existierende russische Regime größtenteils ein Übel ist, und ich beanspruche das Recht, dies zu sagen, obgleich wir und die UdSSR Verbündete in einem Krieg sind, den ich gewonnen sehen möchte.
Müßte ich mir einen Text zu meiner Rechtfertigung aussuchen, würde ich die Zeile von Milton wählen: »Nach den bekannten Regeln uralter Freiheit«
Das Wort uralt betont die Tatsache, daß intellektuelle Freiheit eine tiefverwurzelte Tradition ist, ohne die unsere typisch westliche Zivilisation nur ungewissen Bestand hätte. Von dieser Tradition kehren sich viele unserer Intellektuellen sichtlich ab. Sie haben den Grundsatz akzeptiert, daß ein Buch nicht auf Grund seiner Meriten veröffentlicht oder unterdrückt, gelobt oder verdammt werden sollte, sondern gemäß der politischen Zweckdienlichkeit. Und andere, die diese Ansicht eigentlich nicht teilen, pflichten ihr aus schierer Feigheit bei.
Ein Beispiel hierfür ist das fehlende Aufbegehren der zahlreichen und lautstarken englischen Pazifisten gegen die herrschende Verehrung des russischen Militarismus. Nach Ansicht dieser Pazifisten ist alle Gewalt böse, und sie haben uns in jedem Stadium des Kriegs gedrängt, aufzugeben oder wenigstens einen Kompromißfrieden zu schließen. Aber wie viele von ihnen haben je zu verstehen gegeben, daß der Krieg auch böse ist, wenn die Rote Armee ihn führt? Augenscheinlich haben die Russen das Recht auf Selbstverteidigung, wohingegen bei uns seine Wahrnehmung eine Todsünde ist.
Dieser Widerspruch läßt sich nur auf eine Art erklären: nämlich durch den feigen Wunsch, nicht aus der Masse der Intelligenz auszuscheren, deren Patriotismus eher Rußland gilt als England!
Ich weiß, daß die englische Intelligenz allen Grund für ihre Schüchternheit und Unehrlichkeit hat; ich kenne die Argumente, mit denen sie sich rechtfertigt, sogar auswendig.
Doch zumindest von dem Unsinn, die Freiheit gegen den Faschismus zu verteidigen, wollen wir nichts mehr hören.
Falls Freiheit überhaupt irgendetwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.
Die gewöhnlichen Leute billigen diese Doktrin noch in etwa und handeln danach. In unserem Land — es ist nicht in allen Ländern so: es war im Frankreich der Republik nicht so, und es ist in den Vereinigten Staaten von heute nicht so — sind es die Liberalen, die die Liberalität fürchten, und die Intellektuellen, die den Intellekt beschmutzen wollen: um auf diese Tatsache aufmerksam zu machen, habe ich dieses Nachwort* geschrieben.
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* detopia-2020: ? (keine Ahnung; ist aber letztlich auch egal)
Erstausgabe in deutscher Sprache
George Orwell (1945) Farm der Tiere. Eine Fabel. Ein Märchen - Animal Farm. A Fairy Story.