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George Orwell

Auf deutsch 1980 in der Zeitschrift TintenfaSS.

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detopia

Orwell-1945-Pressefreiheit

Essay erwähnt in:

Rieseberg 1988 Welt S.57 

Rieseberg 1992 Arbeit 

Ähnlich:
Sperber-1937   Berneri-1934 

 

 

   Kreativität und Lebensqualität  

(1937)

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Was ist Arbeit und was ist keine Arbeit? Ist es Arbeit, zu graben, zu zimmern, Bäume zu pflanzen, Bäume zu fällen, zu reiten, zu fischen, zu jagen, Hühner zu füttern, Klavier zu spielen, zu photographieren, ein Haus zu bauen, zu kochen, zu nähen, Hüte zu schmücken, Motorräder zu flicken? 

Alle diese Dinge gelten als Arbeit für den einen, und alle gelten als Spiel für den anderen. Tatsächlich gibt es sehr wenig Tätigkeiten, die nicht entweder als Arbeit oder als Spiel klassiert werden können, je nachdem, wie man sie betrachtet.

Der vom Graben befreite Arbeiter möchte vielleicht seine Freizeit, oder einen Teil davon, mit Klavierspielen verbringen, während der Berufspianist unter Umständen nur allzu froh ist, an die frische Luft zu kommen und im Kartoffelbeet zu graben. Daher ist die Antithese zwischen Arbeit, als etwas unerträglich Langweiligem, und Nicht-Arbeit, als etwas Wünschenswertem, falsch. 

In Wahrheit verhält es sich so, daß der Mensch, wenn er nicht gerade ißt, trinkt, schläft, mit jemandem ins Bett geht oder sich unterhält, Spiele spielt oder einfach herumlungert — und diese Dinge können nun einmal kein Leben füllen —, die Arbeit braucht und sie gewöhnlich sucht, obwohl er sie vielleicht nicht unbedingt Arbeit nennt

Über dem Niveau eines Schwachsinnigen dritten oder vierten Grades besteht das Leben größtenteils aus Anstrengung. Denn der Mensch ist nicht, wie die vulgäreren Hedonisten zu vermuten scheinen, eine Art wandelnder Magen; er hat auch eine Hand, ein Auge und ein Gehirn. Hört auf, mit Euren Händen zu arbeiten, und schon habt Ihr ein riesiges Stück von Eurem Bewußtsein abgehackt. 

Und nun denken Sie noch einmal an jenes halbe Dutzend Männer, die den Graben für das Wasserrohr ausgehoben haben. Eine Maschine hat sie vom Graben befreit, und jetzt werden sie sich mit etwas anderem vergnügen — Zimmerei, zum Beispiel. Aber was immer sie auch tun wollen, sie werden feststellen müssen, daß eine andere Maschine sie davon befreit hat. Denn in einer vollständig technisierten Welt wäre es ebensowenig nötig, zu zimmern, zu kochen, Motorräder zu flicken usw., wie es nötig wäre, zu graben. 

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Es gibt praktisch nichts, vom Walfang bis zum Kirschkernschnitzen, das nicht theoretisch von einer Maschine gemacht werden könnte. Die Maschine würde sogar auf Tätigkeiten übergreifen, die wir heute als »Kunst« ein­stufen; sie tut es bereits, via Kamera und Radio. Technisiert die Welt so vollkommen, wie sie nur technisiert werden könnte, und es wird, wohin Ihr Euch auch wendet, eine Maschine geben, die Euch die Möglich­keit versperrt, zu arbeiten — das heißt, zu leben.

Auf den ersten Blick mag dies einerlei scheinen. Warum sollte man nicht mit seiner »kreativen Arbeit« fortfahren und die Maschinen, die sie für einen machen würden, ignorieren? Aber es ist nicht so einfach, wie es klingt. 

Da arbeite ich acht Stunden am Tag in einem Versicherungsbüro, in meiner freien Zeit will ich etwas »Kreatives« tun, und so beschließe ich, ein bißchen zu zimmern — um mir zum Beispiel einen Tisch zu machen. Beachten Sie, daß die ganze Angelegenheit von Anfang an einen Hauch von Künstlichkeit hat, denn die Fabriken können mir einen weitaus besseren Tisch herbringen, als ich zu machen fähig wäre. Aber selbst wenn ich mich an meinem Tisch zu schaffen mache, ist es mir nicht möglich, ihm gegenüber so zu empfinden, wie der Kunsttischler vor hundert Jahren und schon gar nicht so, wie Robinson Crusoe empfand. Denn noch ehe ich anfange, ist die meiste Arbeit bereits von Maschinen für mich gemacht worden.

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Die Werkzeuge, die ich benutze, erfordern ein Minimum an Kunstfertigkeit. Ich kann zum Beispiel Hobel bekommen, mit denen ich jede beliebige Form ausschneiden kann; der Kunsttischler vor hundert Jahren hätte die Arbeit mit Meißel und Gutsche machen müssen, was ein wirklich geübtes Auge und wirkliche Fingerfertigkeit erfordert. Die Bretter, die ich kaufe, sind fertig gehobelt, und die Beine sind fertig gedrechselt. Ich kann sogar zu einem Holzgeschäft gehen und alle Teile des Tisches bereits fertig kaufen, so daß ich sie nur noch zusammenfügen muß; meine Arbeit beschränkt sich dann darauf, einige Stifte einzuschlagen und ein Stück Sandpapier zu gebrauchen. 

Und wenn dies heute schon so ist, wird es in der technisierten Zukunft noch viel mehr so sein.  

Mit den dann erhältlichen Werkzeugen und Werkstoffen wird es keine Möglichkeit eines Fehlers, daher auch keinen Raum für Geschicklichkeit geben. Einen Tisch zu machen wird leichter und langweiliger sein, als Kartoffeln zu schälen. Unter solchen Umständen ist es Unsinn, von »kreativer Arbeit« zu sprechen. Auf jeden Fall wären die Fertigkeiten der Hand (die durch eine Lehre weitergegeben werden müssen) seit langem verschwunden.

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Manche von ihnen sind durch die Konkurrenz der Maschine bereits verschwunden. Sehen Sie sich mal auf einem beliebigen Landfriedhof um und schauen Sie, ob Sie einen anständig behauenen Grabstein finden, der nach 1820 gemacht wurde. Die Kunst oder vielmehr das Handwerk der Steinmetzarbeit ist so vollkommen ausgestorben, daß Jahrhunderte nötig wären, um sie wiederzubeleben.

Aber man könnte fragen, wieso man nicht die Maschine und die »kreative Arbeit« beibehalten könnte. Warum nicht den Anachronismus als Freizeit-Hobby kultivieren? Viele Leute haben mit diesem Gedanken gespielt; er scheint mit wunderbarer Leichtigkeit die von der Maschine gestellten Probleme zu lösen. 

Der Bürger von Utopia, so heißt es, wird, wenn er von seinen täglichen zwei Stunden Hebel-Betätigen in der Tomaten­konserven­fabrik heimkehrt, bewußt zu einer primitiveren Lebensweise zurückkehren und seine kreativen Instinkte mit ein bißchen Laubsägearbeit, dem Lasieren von Keramik oder dem Weben mit einem Handwebstuhl trösten. Und warum ist dieses Bild absurd — was es natürlich ist? 

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Wegen eines Prinzips, das nicht immer erkannt wird, obwohl immer danach gehandelt wird: daß, solange die Maschine da ist, man sich verpflichtet fühlt, sie zu benutzen. Niemand geht Wasser vom Brunnen holen, wenn er den Wasserhahn aufdrehen kann. 

 

Ein gutes Beispiel hierfür ist das Reisen. 

Jedermann, der mit primitiven Methoden in einem unerschlossenen Land gereist ist, weiß, daß der Unterschied zwischen dieser Art des Reisens und modernem Reisen in Zügen, Autos usw. der Unterschied zwischen Leben und Tod ist. Der Nomade, der zu Fuß geht oder reitet, sein Gepäck auf einem Kamel oder Ochsenwagen verstaut, mag zwar jede Art von Unannehmlichkeit erleiden, doch lebt er zumindest, während er reist; wohingegen die Reise für den Passagier in einem Schnellzug oder Luxusdampfer eine Unterbrechung, eine Art zeitweiliger Tod ist. Und doch muß man, solange die Bahn existiert, mit dem Zug reisen — oder dem Auto oder Flugzeug. 

Nehmen Sie mich zum Beispiel. 

Ich bin vierzig Meilen von London entfernt. Warum packe ich, wenn ich nach London will, mein Gepäck nicht auf einen Maulesel und ziehe zu Fuß los, so daß ein Zwei-Tagemarsch daraus wird? Weil — mit den Bussen nach London, die alle zehn Minuten an mir vorbeirasen  — eine solche Reise unerträglich mühsam wäre. Primitive Reisemethoden kann man nur dann genießen, wenn einem keine andere Methode zur Verfügung steht. 

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Kein menschliches Wesen will je etwas auf eine beschwerlichere Art und Weise tun, als es nötig ist. Deshalb auch die Absurdität jener Vorstellung von den Utopisten, die ihre Seele mit Laubsägearbeit retten. In einer Welt, in der alles von Maschinen gemacht werden könnte, würde auch alles von Maschinen gemacht werden. Bewußt zu primitiven Methoden zurückzukehren, archaische Werkzeuge zu benutzen, sich selbst dumme kleine Schwierigkeiten in den Weg zu legen, hieße Dilettantismus betreiben und nichtigen Tand basteln. Es wäre, wie wenn man sich feierlich zu Tische setzte, um sein Abendessen mit Steinwerkzeugen zu essen. Kehrt man in einem Maschinenzeitalter zur Handarbeit zurück, ist man sofort wieder bei den auf »alt« gemachten Cafes oder der Villa im Tudorstil mit den falschen Balken an der Wand angelangt.

Der technische Fortschritt wirkt also dahin, das menschliche Bedürfnis nach Anstrengung und Schöpfung zu frustrieren. Er macht die Tätigkeiten des Auges und der Hand unnötig und sogar unmöglich. Der Apostel des »Fortschritts« wird manchmal erklären, daß dies keine Rolle spielt, doch kann man ihn gewöhnlich in die Enge treiben, indem man darauf hinweist, wie schrecklich weit dieser Prozeß getrieben werden kann. 

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Warum, zum Beispiel, überhaupt die Hände benutzen — warum sollte man sie sogar zum Naseputzen und Bleistiftspitzen benutzen? Es wäre doch sicherlich möglich, irgendeine Art von Apparat aus Stahl und Gummi an den Schultern zu befestigen und seine Arme zu Stummeln aus Haut und Knochen verschrumpeln zu lassen? Und das gleiche mit jedem Organ und jeder Fähigkeit. Es gibt wirklich keinen Grund, weshalb ein menschliches Wesen mehr tun sollte als essen, trinken, schlafen, atmen und sich fortpflanzen; alles andere könnte eine Maschine für ihn erledigen. 

Die Folge des technischen Fortschritts ist deshalb logischerweise die, das menschliche Wesen auf etwas zu reduzieren, das einem Gehirn in einer Flasche gleicht. Das ist das Ziel, auf das wir bereits zustreben, obwohl wir natürlich nicht die Absicht haben, dorthin zu gelangen; so wie ein Mann, der eine Flasche Whisky am Tag trinkt, nicht eigentlich beabsichtigt, eine Leberzirrhose zu bekommen. Das implizierte Ziel des »Fortschritts« ist — vielleicht nicht genau das Gehirn in der Flasche, aber zumindest irgendein schreckliches menschenunwürdiges Ausmaß an Verweichlichung und Hilflosigkeit.

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Und das Bedauerliche ist, daß der Begriff »Fortschritt« und der Begriff »Sozialismus« heute in fast jedermanns Vorstellung untrennbar miteinander verknüpft sind. Die Art von Person, die Maschinen haßt, findet es auch selbstverständlich, den Sozialismus zu hassen; der Sozialist befürwortet immer die Technisierung, Rationalisierung, Modernisierung — oder glaubt zumindest, daß er sie befürworten sollte. 

Vor relativ kurzer Zeit gestand mir zum Beispiel ein berühmter Sozialist mit einer Art sehnsüchtiger Scham — als ob es etwas leicht Unanständiges sei —, daß er »Pferde gern habe«. Pferde, müssen Sie wissen, gehören der verschwundenen landwirtschaftlichen Vergangenheit an, und jede Empfindung für die Vergangenheit hat einen undefinierbaren Geruch von Häresie an sich. 

Ich glaube nicht, daß dies unbedingt so sein muß, aber zweifellos ist es so. Und das allein genügt schon, um die Entfremdung anständiger Geister vom Sozialismus zu erklären.

Vor einer Generation war jeder intelligente Mensch in einem gewissen Sinne ein Revolutionär; heutzutage wäre es treffender zu sagen, daß jeder intelligente Mensch ein Reaktionär ist

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, H.G. Wells' <Wenn der Schläfer erwacht> mit Aldous Huxleys <Schöner neuer Welt>, das dreißig Jahre später geschrieben wurde, zu vergleichen.

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Beides sind pessimistische Utopien, Visionen von einer Art Paradies für Tugendbolde, in dem alle Träume des »progressiven« Menschen sich erfüllen. Rein als ein Werk phantasievoller Gestaltung betrachtet, ist Wenn der Schläfer erwacht, meiner Ansicht nach, sehr viel besser, doch leidet es unter gewaltigen Widersprüchen, weil Wells, als der Erzpriester des »Fortschritts«, nicht mit der geringsten inneren Überzeugung gegen den Fortschritt schreiben kann. 

Er zeichnet das Bild einer glitzernden, seltsam unheimlichen Welt, in der die privilegierten Klassen ein Leben des oberflächlichen feigen Hedonismus leben, und die Arbeiter, auf einen Zustand äußerster Sklaverei und halbtierischer Ignoranz reduziert, sich wie Troglodyten in unterirdischen Höhlen abplacken. Sobald man diese Vorstellung untersucht — sie wird in einer der großartigen Geschichten von Raum und Zeit weiterentwickelt —, sieht man ihre innere Widersprüchlichkeit. Denn warum sollten in der ungeheuer technisierten Welt, die Wells sich vorstellt, die Arbeiter schwerer arbeiten müssen als zum jetzigen Zeitpunkt? 

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Die Maschine trägt ganz offensichtlich dazu bei, Arbeit abzuschaffen, und nicht, sie zu vermehren. In der Maschinenwelt wären die Arbeiter zwar vielleicht versklavt, schlecht behandelt und sogar unterernährt, doch sicherlich nicht zu endloser mühsamer Handarbeit verurteilt; denn was wäre in diesem Fall die Funktion der Maschine? Man kann entweder Maschinen haben, die die ganze Arbeit machen, oder menschliche Wesen, die die ganze Arbeit machen, aber beides kann man nicht haben. Jene Heerscharen von unterirdischen Arbeitern, mit ihren blauen Uniformen und ihrer entwürdigten halbmenschlichen Sprache, sind nur ins Spiel gebracht worden, damit es einem kalt den Rücken hinunterläuft. 

Wells will andeuten, daß der »Fortschritt« eine falsche Wende nehmen könnte; aber das einzige Übel, das er sich auszumalen bemüht, ist die Ungleichheit — eine Klasse reißt den ganzen Reichtum und die ganze Macht an sich und unterdrückt die anderen, anscheinend aus reiner Bosheit. Ihr braucht es nur ein wenig zu verdrehen, scheint er sagen zu wollen, nur die privilegierte Klasse zu stürzen — genaugenommen vom Weltkapitalismus zum Sozialismus überzuwechseln —, und alles wird sich wieder einrenken. Die Maschinen-Zivilisation soll weiterbestehen, aber ihre Produkte sollen gleichmäßig verteilt werden. Woran er nicht zu denken wagt, ist die Möglichkeit, daß die Maschine selbst der Feind sein könnte. 

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Und so kehrt er in seinen charakteristischen Utopien (Der Traum; Menschen, Göttern gleich usw.) zum Optimismus und zu einer Vision der Menschheit zurück, die, durch die Maschine »befreit«, eine Rasse aufgeklärter Sonnenanbeter ist, deren einziges Gesprächsthema ihre eigene Überlegenheit ihren Vorfahren gegenüber ist.

Schöne neue Welt gehört einer späteren Zeit und einer Generation an, die den Schwindel vom »Fortschritt« durchschaut hat. Es enthält seine eigenen Widersprüche (auf den wichtigsten von ihnen wird in John Stracheys <Der kommende Kampf um die Macht> hingewiesen), doch ist es zumindest ein denkwürdiger Angriff gegen die mehr dickbäuchige Art von Perfektionismus. Unter Berücksichtigung der Übertreibungen der Karikatur, drückt es wahrscheinlich aus, was die Mehrheit der denkenden Menschen gegenüber der Maschinen-Zivilisation empfindet.

Die Feindseligkeit der empfindsamen Person der Maschine gegenüber ist insofern unrealistisch, als es ganz offensichtlich ist, daß die Maschine nicht mehr wegzudenken ist. Aber es gibt viel, was für sie als Geisteshaltung spricht. Die Maschine muß einfach akzeptiert werden, aber so wie man ein Medikament akzeptiert — das heißt mit Widerwillen und Mißtrauen. 

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Wie ein Medikament ist auch die Maschine nützlich, gefährlich und Sucht erzeugend. Je öfter man ihr nachgibt, desto fester wird ihr Griff. Sie brauchen sich nur in diesem Moment umzusehen, um zu realisieren, mit welch drohender Geschwindigkeit die Maschine uns in ihre Gewalt bekommt. 

Als erstes ist da die furchtbare Verdorbenheit des Geschmacks, die bereits durch ein Jahrhundert der Technisierung vollzogen worden ist. Dies ist fast zu offenkundig und zu allgemein bekannt, als daß man besonders darauf hinweisen müßte. Aber nehmen Sie als einzelnes Beispiel den Geschmack in seinem engsten Sinne — den Geschmack für anständiges Essen. In den hochtechnisierten Ländern ist der Gaumen, dank Büchsennahrung, Kaltlagerung, künstlichen Aromastoffen usw., fast ein totes Organ. 

Wie Sie an jedem Obst- und Gemüseladen sehen können, versteht die Mehrheit unter einem Apfel ein Stück stark gefärbter Watte aus Amerika oder Australien; sie verschlingen diese Dinger, scheinbar mit Genuß, und lassen die einheimischen Äpfel unter den Bäumen verfaulen. Es ist das glänzende, stereotype Fabrik-Aussehen des amerikanischen Apfels, das ihnen gefällt; der bessere Geschmack des eigenen Apfels ist etwas, das sie einfach nicht bemerken. 

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Oder schauen Sie sich den in Fabriken hergestellten, in Folien verpackten Käse und die Butter in einem beliebigen Lebensmittelgeschäft an; schauen Sie sich die scheußlichen Reihen von Konserven an, die mehr und mehr Platz in den Lebensmittelläden, ja sogar in Molkereien, für sich beanspruchen; schauen Sie sich eine billige Biskuitroulade oder ein Eis für zwei Pence an; schauen Sie sich das schmutzige chemische Abfallprodukt an, das sich die Leute unter dem Namen Bier die Kehle hinunterschütten. 

Wo immer man auch hinschaut, überall sieht man irgendeinen schicken maschinell hergestellten Artikel über den altmodischen Artikel, der immer noch nach was anderem als Sägemehl schmeckt, triumphieren. 

Und was für ein Lebensmittel gilt, gilt auch für Möbel, Häuser, Kleider, Bücher, Vergnügungen und alles andere, aus dem unsere Umgebung besteht. Es gibt heute Millionen von Leuten, und ihre Zahl nimmt jedes Jahr zu, für die das Plärren eines Radios nicht nur ein willkommenerer, sondern auch ein normalerer Hintergrund für ihre Gedanken ist als das Brüllen von Rindern oder das Singen der Vögel. Die Technisierung der Welt könnte nie sehr weit fortschreiten, solange der Geschmack, ja nur die Geschmacksknospen der Zunge, unverdorben blieben, weil die Produkte der Maschine in dem Fall einfach unerwünscht wären. 

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In einer gesunden Welt bestünde kein Bedarf an Konserven, Aspirin-Tabletten, Grammophonen, Gasrohr­stühlen, Maschinengewehren, Tageszeitungen, Telefonen, Autos, usw. usw. — dagegen bestünde ein ständiger Bedarf an Dingen, die die Maschine nicht herstellen kann. 

Aber inzwischen ist die Maschine da, und ihr verderblicher Einfluß ist beinahe unwiderstehlich. Man schimpft über sie, aber man benutzt sie trotzdem weiter. Sogar jeder Eingeborene wird, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt, die Laster der Zivilisation innerhalb weniger Monate erlernen. Die Technisierung führt zum Verfall des Geschmacks, der Verfall des Geschmacks führt zum Verlangen nach maschinell hergestellten Artikeln und somit zu mehr Technisierung, und auf diese Weise wird ein Teufelskreis hergestellt.

Aber darüber hinaus hat die Technisierung der Welt die Tendenz, gewissermaßen automatisch tortzuschreiten, ob wir es wollen oder nicht. Dies ist durch die Tatsache bedingt, daß beim modernen westlichen Menschen die Fähigkeit zur technischen Erfindung gepflegt und angeregt worden ist, bis sie beinahe die Stellung eines Instinktes erreicht hat. Die Leute erfinden neue Maschinen und verbessern bestehende beinahe unbewußt, ähnlich wie ein Schlafwandler im Schlaf weiterarbeitet.

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In der Vergangenheit, da es als selbstverständlich galt, daß das Leben auf diesem Planeten hart oder zumindest mühsam ist, erschien es einem als das natürliche Schicksal, die plumpen Geräte seiner Vorfahren weiter zu benutzen, und nur einige exzentrische Menschen, Jahrhunderte voneinander entfernt, schlugen Neuerungen vor; folglich blieben riesige Zeitalter hindurch Dinge wie der Ochsenwagen, der Pflug, die Sichel usw. von Grund auf unverändert. 

Es ist schriftlich belegt, daß Schrauben seit der fernen Antike in Gebrauch sind, daß aber erst in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts jemand daran dachte, Schrauben mit Spitzen zu machen; mehrere tausend Jahre lang behielten sie ein flaches Ende, und es mußten Löcher für sie gebohrt werden, bevor sie eingeführt werden konnten. In unserer eigenen Epoche wäre so etwas undenkbar. 

Denn bei fast jedem modernen westlichen Menschen wird das erfinderische Talent bis zu einem gewissen Grad entwickelt; für den westlichen Menschen ist es ebenso natürlich, Maschinen zu erfinden, wie für den polynesischen Inselbewohner, zu schwimmen. Geben Sie einem westlichen Menschen eine Arbeit, und er beginnt sofort, eine Maschine zu entwerfen, die sie für ihn macht; geben Sie ihm eine Maschine, und er denkt sich Möglichkeiten aus, wie sie verbessert werden kann. 

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Ich verstehe diese Neigung recht gut, da ich in einer untauglichen Art und Weise selbst einen solchen Geist habe. Ich habe weder die Geduld noch die technische Fertigkeit, um irgendeine Maschine zu entwerfen, die funktionieren würde, aber ich sehe ständig gleichsam die Schatten möglicher Maschinen, die mir die Mühe ersparen könnten, mein Gehirn oder meine Muskeln zu benutzen. Ein Mensch mit einer ausgeprägteren technischen Begabung würde wahrscheinlich einige von ihnen bauen und in Betrieb setzen. Aber unter unserem bestehenden Wirtschaftssystem hängt die Tatsache, ob er sie baut — oder vielmehr, ob irgendjemand anders in ihren Genuß kommt — davon ab, ob sie kommerziell gewinnbringend ist.

Dieser Ausblick ist ein bißchen düster, weil es selbst heute offensichtlich ist, daß der Prozeß der Technisierung außer Kontrolle geraten ist. Er findet einzig deshalb statt, weil er für die Menschheit zur Gewohnheit geworden ist. Ein Chemiker perfektioniert eine neue Methode der synthetischen Herstellung von Gummi, oder ein Mechaniker entwirft ein neues Modell von einem Bolzen. Warum?

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 — Nicht aus irgendeinem deutlich verstandenen Grund, sondern rein aus dem Impuls heraus, zu erfinden und zu verbessern, der jetzt instinktiv geworden ist. Schickt einen Pazifisten in eine Bombenfabrik arbeiten, und in zwei Monaten entwirft er euch eine neue Art von Bombe. Deshalb gibt es auch derart teuflische Dinge wie Giftgase, von denen nicht einmal ihre Erfinder erwarten, daß sie der Menschheit nützlich sind. Unsere Haltung solchen Dingen wie Giftgasen gegenüber sollte die Haltung des Königs von Brobdingnag dem Schießpulver gegenüber sein; aber weil wir in einem technischen und wissen­schaftlichen Zeitalter leben, sind wir von der Vorstellung angesteckt worden, daß, was immer sonst geschehen mag, der »Fortschritt« weitergehen muß und Wissen nie unterdrückt werden darf. 

Verbal wären wir zweifellos damit einverstanden, daß die Maschine für den Menschen geschaffen wird und nicht der Mensch für die Maschine; in Wirklichkeit erscheint uns jeder Versuch, die Entwicklung der Maschine aufzuhalten, als Angriff auf das Wissen und daher als eine Art Blasphemie. Und sogar wenn die ganze Menschheit sich plötzlich gegen die Maschine auflehnte und beschließen würde, in eine einfachere Lebensweise zu flüchten, wäre die Flucht immer noch unendlich schwierig.

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Es würde nicht genügen, so wie in Butlers <Erewhon> jede Maschine zu zertrümmern, die nach einem bestimmten Datum erfunden wurde; wir müßten auch die geistige Veranlagung zertrümmern, die, fast unwillkürlich, neue Maschinen entwerfen würde, sobald die alten zertrümmert wären. Und in uns allen steckt zumindest eine Spur von dieser Veranlagung. In jedem Land der Erde marschiert das große Heer von Wissenschaftlern und Technikern, mit dem Rest von uns keuchend an ihren Fersen, die Straße des »Fortschritts« mit der blinden Beharrlichkeit einer Ameisenkolonne entlang. Vergleichsweise wenig Menschen wollen, daß er stattfindet, viele Menschen wollen aktiv, daß er nicht stattfindet, und dennoch findet er statt; der Prozeß der Technisierung ist selbst zur Maschine geworden, zu einem riesigen glänzenden Fahrzeug, das uns irgendwohin schleudert, wohin, wissen wir selbst nicht genau, aber wahrscheinlich zur gepolsterten Wells-Welt und dem Gehirn in der Flasche.

Dies also sind die Argumente gegen die Maschine. Ob dies vernünftige Argumente sind oder nicht, spielt kaum eine Rolle. Das Entscheidende ist, daß diese oder sehr ähnliche Argumente von jedem Menschen nachgebetet würden, der der Maschinen-Zivilisation gegenüber feindlich eingestellt ist. 

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Und leider ist es, wegen jener Gedankenkette: »Sozialismus — Fortschritt — Maschinen — Rußland — Traktor — Hygiene — Maschinen — Fortschritt«, die praktisch in jedermanns Vorstellung existiert, gewöhnlich dieselbe Person, die dem Sozialismus gegenüber feindlich eingestellt ist. Die Leute, die Zentralheizung und Stühle aus Gasrohren hassen, sind gleichzeitig die, die sich gequält abwenden, wenn man den Sozialismus erwähnt. Nach meinen bisherigen Beobachtungen begreifen nur sehr wenige Sozialisten, warum dies so ist, oder überhaupt, daß das so ist. 

Nehmen Sie einmal den eher gesprächigen Typ des Sozialisten in eine Ecke, und wiederholen Sie ihm gegenüber das Wesentliche von dem, was ich hier gesagt habe, und schauen Sie, was für eine Antwort Sie bekommen. Tatsächlich werden Sie mehrere Antworten bekommen; sie sind mir so vertraut, daß ich sie beinahe auswendig kann.

Als erstes wird er Ihnen erzählen, daß es unmöglich sei, »zurückzugehen« (oder »den Zeiger des Fortschritts zurückzustellen« — als ob der Zeiger des Fortschritts nicht schon mehrere Male in der Geschichte der Menschheit ganz schön gewaltsam zurückgestellt worden wäre!), und wird Sie dann beschuldigen, ein Verehrer des Mittelalters zu sein, und anfangen, sich über die Schrecken des Mittelalters, Lepra, die Inquisition usw. auszulassen.

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In Wirklichkeit gehören die meisten Angriffe gegen das Mittelalter und die Vergangenheit, die im allgemeinen von Apologeten der Moderne vorgebracht werden, nicht zur Sache, weil ihr Haupttrick darin besteht, einen modernen Menschen, mit seiner ganzen Zimperlichkeit und seinen hohen Komfort-Ansprüchen in ein Zeitalter zu versetzen, in dem solche Dinge völlig unbekannt waren. 

Aber beachten Sie, daß dies auf jeden Fall keine Antwort ist. Denn eine Abneigung gegen die technisierte Zukunft impliziert noch lange nicht eine Ehrfurcht für irgendeine Epoche der Vergangenheit. D. H. Lawrence, weiser als der Verehrer des Mittelalters, entschloß sich, die Etrusker zu idealisieren, über die wir zum Glück so wenig wissen. Aber es ist gar nicht nötig, überhaupt die Etrusker — oder die Pelasger, oder die Azteken, oder die Sumerer, oder irgendein anderes verschwundenes und geheimnisvolles Volk — zu idealisieren. Wenn man eine wünschenswerte Zivilisation schildert, schildert man sie bloß als ein Ziel; man braucht nicht vorzugeben, daß sie je in Raum oder Zeit existiert hätte. 

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Machen Sie ihm das klar, erklären Sie, daß es Ihr Ziel ist, das Leben einfacher und härter statt weichlicher und komplexer zu machen, und der Sozialist wird gewöhnlich annehmen, daß Sie zu einem »Naturzustand« zurückkehren wollen — womit er irgendeine stinkende paläolithische Höhle meint: als ob es nichts zwischen einem Flintschaber und den Stahlwerken von Sheffield oder zwischen einem mit Häuten überzogenen Einbaum und der Queen Mary gäbe!

Schließlich jedoch werden Sie eine Antwort bekommen, die eher den Kern der Sache trifft und die ungefähr wie folgt lautet: 

»Ja, was Sie da sagen, mag schon irgendwo stimmen. Zweifellos wäre es sehr edel, wenn wir uns abhärten würden und ohne Pillen und Zentral­heizung und so fort auskämen. Aber, wissen Sie, das Entscheidende ist, daß niemand das allen Ernstes will. Es würde bedeuten, zu einer landwirtschaftlichen Lebensweise zurückzukehren, was scheußlich harte Arbeit bedeutet und überhaupt nicht das gleiche ist, wie wenn man so nebenher ein bißchen gärtnert. Ich will nicht hart arbeiten. Sie wollen nicht hart arbeiten — niemand will es, der weiß, was es heißt. Sie sagen das alles nur deshalb, weil Sie noch nie in Ihrem Leben einen ganzen Tag lang richtig gearbeitet haben« usw., usw.

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Nun, in einem gewissen Sinne stimmt das. Es läuft darauf hinaus, daß man sagt: »Wir sind weichlich — laßt uns um Gottes willen weichlich bleiben!«, was zumindest realistisch ist. 

Wie ich bereits dargelegt habe, hat die Maschine uns in ihrem Griff, und es wird unendlich schwierig sein, zu entkommen. 

Trotzdem ist diese Antwort im Grunde eine Ausflucht, weil sie es unterläßt, klarzumachen, was wir meinen, wenn wir sagen, daß wir dies oder jenes »wollen«. Ich bin ein degenerierter moderner Halbintellektueller, der sterben würde, wenn er nicht jeden Morgen seine Tasse Tee und jeden Freitag seinen New Statesman bekäme. Offensichtlich »will« ich in einem gewissen Sinne gar nicht zu einer einfacheren, härteren, wahrscheinlich landwirtschaftlichen Lebensweise zurückkehren. Im gleichen Sinne »will« ich auch nicht meinen Alkoholkonsum einschränken, meine Schulden zahlen, mir genug Bewegung machen, meiner Frau treu sein usw., usw. 

Aber in einem anderen und mehr permanenten Sinne will ich diese Dinge doch, und vielleicht will ich in demselben Sinne eine Zivilisation, in der der »Fortschritt« nicht so definiert werden kann, daß er die Welt für kleine dicke Menschen sicher macht.  

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Die Argumente, die ich soeben umrissen habe, sind praktisch die einzigen Argumente, die ich von Sozialisten — denkenden, theoretisch geschulten Sozialisten — bekommen konnte, wenn ich ihnen zu erklären versuchte, wie sie eigentlich potentielle Anhänger verjagen. Natürlich gibt es auch das altbekannte Argument, daß der Sozialismus so oder so kommen wird, ob es den Leuten gefällt oder nicht, und zwar wegen jener müheersparenden Sache, der »historischen Notwendigkeit«. Aber die »historische Notwendigkeit«, oder vielmehr der Glaube an sie, hat es nicht geschafft, Hitler zu überleben.

Unterdessen lungert der denkende Mensch, vom Verstand her gewöhnlich links, aber vom Temperament her oft rechts, am Tor des sozialistischen Geheges herum. Er ist sich zweifellos der Tatsache bewußt, daß er Sozialist sein sollte. Aber er bemerkt zuerst die Geistlosigkeit einzelner Sozialisten, dann die offenkundige Schlaffheit sozialistischer Ideale, und wendet sich ab.  

Bis vor ziemlich kurzer Zeit war es natürlich, sich dem Indifferentismus zuzuwenden. Vor zehn Jahren, ja sogar vor fünf Jahren, schrieb der typische literarische Gent Bücher über die Architektur des Barocks und fühlte sich über die Politik erhaben. Aber diese Haltung wird allmählich schwierig und sogar altmodisch.

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Die Zeiten werden rauher, die Sachverhalte sind klarer, der Glaube, daß sich nie etwas ändern wird (d.h., daß die eigenen Dividenden immer sicher sein werden), ist weniger vorherrschend. 

Der Zaun, auf dem der literarische Gent hockt, d.h. seine politisch neutrale Haltung, einst so bequem wie das Samtkissen eines Chorstuhls, zwickt ihn jetzt so stark in den Hintern, daß er es kaum noch aushält; er zeigt eine wachsende Bereitschaft, auf der einen oder der anderen Seite hinunterzufallen. Es ist interessant, zu sehen, wie viele unserer führenden Schriftsteller, die vor einem Dutzend Jahren l'art pour l'art betrieben, so gut sie nur konnten, und es für unsagbar vulgär gehalten hätten, auch nur an einer allgemeinen Wahl zu stimmen, jetzt einen eindeutigen politischen Standpunkt einnehmen; während die meisten unserer jüngeren Schriftsteller, zumindest diejenigen von ihnen, die nicht bloß dummes Gewäsch von sich geben, von Anfang an »politisch« gewesen sind. 

Ich glaube, daß, wenn es zum Äußersten kommt, eine schreckliche Gefahr besteht, daß der Großteil der Intelligenz sich zum Faschismus hinbewegen wird. 

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Aber wie bald es zum Äußersten kommen wird, ist schwer zu sagen; das hängt, wahrscheinlich, von den Ereignissen in Europa ab; aber es kann sein, daß wir innerhalb von zwei Jahren oder sogar einem Jahr den entscheidenden Augenblick erreicht haben werden. Das wird auch der Augenblick sein, wo jeder Mensch, der auch nur ein bißchen Verstand oder Anstand besitzt, zuinnerst wissen wird, daß er auf der sozialistischen Seite sein sollte. Aber er wird nicht unbedingt aus freien Stücken dorthin gelangen; es gibt zu viele uralte Vorurteile, die ihm im Weg stehen. Er wird überzeugt werden müssen, und zwar durch Methoden, die ein Verständnis seines Standpunktes beinhalten. Die Sozialisten können es sich nicht leisten, noch mehr Zeit damit zu verlieren, zu den bereits Bekehrten zu predigen. Ihre Aufgabe ist es jetzt, so schnell wie möglich Sozialisten zu machen; statt dessen machen sie nur allzu oft Faschisten.

Sie haben es nie klar genug gemacht: das eigentliche Ziel des Sozialismus ist: Gerechtigkeit und Freiheit. 

Ihre Augen auf die wirtschaftlichen Fakten geheftet, sind sie davon ausgegangen, daß der Mensch keine Seele hat, und explizit oder implizit haben sie das Ziel einer materialistischen Utopie errichtet. Die Folge davon war, daß der Faschismus jeden Instinkt, der sich gegen den Hedonismus und eine billige Auffassung vom »Fortschritt« sträubt, für sich nutzen konnte.

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Er konnte sich als der Hüter der europäischen Tradition ausgeben und an den christlichen Glauben, den Patriotismus und an die militärischen Tugenden appellieren. Es ist viel schlimmer als nutzlos, den Faschismus als »Massen-Sadismus« oder irgendein anderes eingängiges Schlagwort dieser Art abzutun. Wenn man so tut, als sei er lediglich eine geistige Verirrung, die alsbald aus freien Stücken vorübergehen wird, träumt man einen Traum, von dem man aufwachen wird, wenn einem jemand mit einem Gummiknüppel eins über den Schädel haut. Denn der Sozialismus ist der einzige wahre Feind, dem der Faschismus entgegentreten muß. 

Die kapitalistisch-imperialistischen Regierungen werden, obschon sie selbst im Begriffe sind, geplündert zu werden, nicht mit der geringsten Überzeugung gegen den Faschismus als solchen ankämpfen. Unsere Herrschenden, diejenigen von ihnen, die verstehen, worum es geht, würden es wahrscheinlich vorziehen, jeden Quadratzentimeter des Britischen Weltreiches Italien, Deutschland und Japan zu überlassen, als den Sozialismus siegen zu sehen.

Es war einfach, über den Faschismus zu lachen, als wir glaubten, daß er auf hysterischem Nationalismus beruhe, weil es offensichtlich erschien, daß die faschistischen Staaten, von denen sich jeder als das auserwählte Volk und patriotische contra mundum wähnt, aneinandergeraten würden. Aber nichts dergleichen geschieht. 

Der Faschismus ist heute eine internationale Bewegung, was nicht nur bedeutet, daß die faschistischen Nationen sich für Raubzwecke verbünden können, sondern auch, daß sie, bisher vielleicht nur halbbewußt, nach einem Weltsystem greifen. 

Die Vision vom totalitären Staat wird durch die Vision von der totalitären Welt ersetzt.

Wie ich bereits dargelegt habe, muß die Entwicklung der Maschinen-Technik schließlich zu irgendeiner Form des Kollektivismus führen, doch muß diese Form nicht unbedingt auf dem Prinzip der Gleichheit beruhen, das heißt, es muß nicht unbedingt der Sozialismus sein. 

Die Meinung der Wirtschaftler in Ehren, aber es ist doch ziemlich einfach, sich eine Weltgesellschaft vorzustellen, die wirtschaftlich gesehen kollektivistisch ist — das heißt, wo das Gewinnprinzip abgeschafft worden ist —, aber wo die ganze politische, militärische und erzieherische Macht in den Händen einer kleinen Schicht von Herrschern oder ihren Bravos liegt. 

Das oder etwas Ähnliches ist das Ziel des Faschismus. Und das, natürlich, ist der Sklavenstaat, oder vielmehr die Sklavenwelt; wahrscheinlich wäre dies eine stabile Gesellschaftsform, und die Chancen wären, wenn man an den enormen Reichtum der Welt denkt, sofern sie wissenschaftlich ausgebeutet würde, groß, daß die Sklaven wohlernährt und zufrieden wären. 

Es ist üblich, von dem faschistischen Ziel als dem »Bienenstaat« zu reden, womit man den Bienen schwer unrecht tut. Eine Welt von Kaninchen, die von Wieseln regiert werden, würde eher zutreffen. Es ist diese abscheuliche Möglichkeit, gegen die wir uns verbünden müssen. Das einzige, wofür wir uns zusammenschließen können, ist das dem Sozialismus zugrundeliegende Ideal: Gerechtigkeit und Freiheit.

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(1937)

 

 

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Kreativität und Lebensqualität