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   Teil 3  -  Die Kunst der schöpferischen Auflösung  

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10. - Wenn Weltreiche fallen  

259-273

"Jeder ist heute aufgerufen, ein Mönch zu sein; jeder macht die Wüsten-Erfahrung, ob es ihm gefällt oder nicht. Der Ruf geht an alle. Die westliche Welt durchlebt eine tiefe spirituelle Erfahrung, und bis jetzt tut sie sich dabei ziemlich schwer. Dieses Klima von Chaos, diese Wüstenszenerie, diese Zeit des Zerfalls kann eine Gnade sein. 

Die Mönche des Altertums, die in die Wüste gingen, begegneten eben dieser Erfahrung. Alles, was sie gewußt hatten, woran sie geglaubt hatten, worauf sie vertraut hatten, zerfiel in der Wildnis unter ihren Händen. Auge in Auge mit dem Chaos glaubten sie verzagen zu müssen, denn ihr Glaube erwies sich als zu schwach, solch einem Ansturm des Dämonischen standzuhalten. Doch in ihrer Beklommenheit beteten sie um Glauben, und Glaube wurde ihnen gegeben. 

Wenn irgend etwas in dieser Stunde not tut, so sind es Menschen, die sich in der Wüste auskennen, Menschen, die verstehen, was dort vorgeht, die es interpretieren und damit umgehen können. In dieser Zeit Mönch zu sein, heißt dann im Grunde, ein Mann der Stunde zu sein. Kein anderer in der Kirche ist notwendiger oder nützlicher. Die Wüste ist die Welt des Mönchs, und heute ist die Welt eine Wüste."

  Die Wüsten-Erfahrung  

Das sind die Worte eines Trappistenmönchs, der jetzt in Neu-Guinea lebt; wir schreiben uns seit vier oder fünf Jahren und tauschen unsere Ansichten über den moralischen und spirituellen Aufruhr der modernen Welt aus. Unsere Briefe gehen in etwa halbjährigen Intervallen hin und her. Er schickt seine lieber mit dem Schiff — damit der Dialog eine zivilisierte Gangart behält.

Die zitierte Passage verfolgt mich, seit ich sie in einem seiner ersten Briefe las. Die Einsicht, die er hier anbietet, ist, glaube ich, in meinem Hinterkopf herangewachsen, seit ich an diesem Buch arbeite ... ein Same, der mir aus der Ferne zugeweht ist. Wir alle haben schon einmal die Bezeichnung 'Ödland' oder 'Steppe' für die moderne Welt gehört; ich selbst habe diese schlimme Metapher in anderen Büchern ausgiebig gebraucht.

Mein Trappisten-Freund, der in einer Tradition steht, mit deren Alter sich die Ängste der industriellen Metropolis nicht messen können, erinnert mich jedoch daran, daß Wüsten einst Orte der Zuflucht und Erneuerung waren. Zumindest können sie von mutigen Seelen so genutzt werden, denn sie werfen uns auf den letzten und fruchtbarsten Rückhalt des Menschen zurück — auf die Einsamkeit des innersten Selbst.

Für alle, die das Abbröckeln der herkömmlichen Massen- und Klassen­identitäten schon spüren, ist es tatsächlich so, als breitete sich um uns her eine Wüste aus. Wir fragen, wer wir sind, was wir sind, wohin wir uns wenden sollen ... und niemand kann uns die Antwort geben. Wir müssen uns den Weg selber bahnen — und wir tun es. 

In einem Zeitalter, das Astronauten losschickt, um die Mondgebirge zu vermessen, sind wir der Versuchung ausgesetzt, uns selbst in prometheischen Bildern zu sehen, als Raumpioniere und kosmische Reisende. Doch die Briefe aus dem fernen Neu-Guinea schlagen ein anderes Bild vor, das uns vielleicht eher gerecht wird — ein bescheideneres, weniger strahlendes, aber nicht weniger heroisches: das Bild jener frühen Wüstenväter, die die Mauern fallender Weltreiche hinter sich ließen und in der wegelosen Wüste ihr Heil suchten. - "Aufgerufen, Mönch zu sein...", oder sagen wir: aufgerufen, uns in unserer eigenen Wüstenerfahrung mit dem Beispiel des Mönchs auseinanderzusetzen — die Welt verlieren, um uns selbst zu finden; die alten zugeschriebenen Identitäten ablegen, um Person zu werden.

Die Worte meines Freundes enthalten jedoch mehr als eine bedeutungsträchtige Metapher. Höre ich sie mit den Ohren des Historikers, so finde ich in ihnen auch Anklänge an jenes große gemeinschaftliche Abenteuer, das vor fast zweitausend Jahren in einer anderen sehr schwierigen Zeit begann. Auch damals waren für ein Weltreich so schlimme Zeiten angebrochen wie heute für das Imperium der industriellen Stadt. In den Wirren der damaligen Zeit waren die Klöster die bei weitem ideenreichste Antwort auf die gesellschaftliche Dauerkrise. Sie verbreiteten sich über ländliche Gebiete und abgewirtschaftete Provinzen, trugen kulturelles Leben und eine Ordnung des Zusammenlebens in eine chaotische Welt. Die Leistungen dieser Bewegung — ihre ungebrochene Lebenskraft als anarchistische ökonomische Form, ihr Augenmaß für die spirituellen Bedürfnisse der Person — werden von den Führern unserer so säkularen, so praktischen Welt ganz übersehen, wenn sie anfangen, sich nach realistischen Strategien umzusehen. 

Im Rückblick über diese weite historische Distanz wirken die klösterlichen Gemeinschaften zur Zeit der Götterdämmerung Roms auf die meisten von uns irgendwie wunderlich und exotisch. Dennoch war jede dieser Gemeinschaften ein Versuch-und-Irrtum-Experiment ganz gewöhnlicher Männer und Frauen, die mit der Misere des fortschreitenden gesellschaftlichen Verfalls fertigzuwerden versuchten, sich von Tag zu Tag gegen alle Widrigkeiten durchsetzten und sich trotz der schmählich versagenden Führungselite eine tragfähige Basis für physisches und geistiges Überleben zusammenstückelten.

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Bevor dieses Jahrhundert zu Ende geht, wird die Erfahrung dieser Menschen wohl ihre Fremdheit verlieren. Denn wenn es in den kommenden Jahren überhaupt eine Hoffnung geben soll, die Rechte der Person und des Planeten zu wahren, werden wir — die gewöhnlichen, machtlosen Leute, die im Bauch des industriellen Leviathan leben — uns den Weg zurück zu einem vergleichbaren System gegenseitiger Hilfe ertasten müssen, zu einem ähnlich autarken Leben in begrenzten ökonomischen Strukturen, zu einem Gespür für den Reichtum, der in maßvollen Mitteln und Bedürfnissen liegt.

Wir werden einige unserer 'unerschütterlichen' Grundannahmen über Eigentum und Privatsphäre, Sicherheit und Erfolg zu überdenken haben und einsehen müssen, daß es für den konkurrenzbewußten, eigennützigen, konsumbesessenen Lebensstil der Mittelklasse, den wir als den Gipfel des industriellen Fortschritts zu betrachten gelernt haben, einfach keine Zukunft gibt. Und wir werden diese Neubewertung von Grund auf selber bewerkstelligen müssen, ohne dabei auf den Zuspruch der Führer und Experten rechnen zu dürfen, die ja Produkte und Hauptnutznießer unserer industriellen Zwänge sind. Es bleibt uns überlassen, uns zusammenzufinden, miteinander zu reden, miteinander zu arbeiten. Wir werden unsere materiellen Sorgen und Güter, unsere Probleme und Fähigkeiten, unseren Reichtum und unsere psychischen Wunden nicht mehr für uns behalten können, sondern anfangen müssen, unser Leben miteinander zu teilen, wie es reifer Konvivialität entspricht.

Aber wie sollen wir zusammenkommen? In welchem Geist und mit welcher Leitvision? Die moderne Welt ist mit unseligen Experimenten des Kollektivismus übersät — gescheiterte utopische Gemeinschaften, autoritäre Kulte, seelenzermalmende Massenbewegungen, so wie die Brook Farm im New England des 19. Jahrhunderts; nach fünf Jahren waren ihre übereifrigen Gründer — Philosophen und Schriftsteller — der harten Arbeit müde. Wie die totalitären Volksrepubliken von Asien und Osteuropa? Doch wie lange könnten sie ohne nationalistische Propaganda und staatliche Zensur überleben? Die Manson-Familie, B.F. Skinners Walden II, Huxleys Schöne Neue Welt, Orwells Alptraum von 1984 ... alles Arten des Zusammenlebens. 

Wo sollen wir uns also nach einem Modell für gemeinsames Leben und gemeinsame Arbeit umsehen, das der Aufgabe und den Menschen gerecht wird und Freiheit zuläßt?

 

  Das Mönchtum als Leitbild  

 

Ich glaube, wir werden eine Art neues Mönchtum brauchen, um die kommenden Zeiten der sozialen Ungewiß­heit und ökonomischen Erschütterungen bewältigen zu können. Ich vermute, daß immer mehr Menschen sich spontan diesem Lebensstil zuwenden werden, wo wir uns — auf der 'Graswurzel'-Ebene — als Freunde, Familie, Nachbarn begegnen.

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Ich frage mich, was für Assoziationen solch eine zugegebener­maßen befremdliche Mutmaßung wohl auslöst. Mittelalterliche Kapellen, Roben und Glocken, Bußgewand und Weihrauch? Nein, daran denke ich nicht. Ich trete nicht für Kasteiung oder Zölibat ein; noch weniger rede ich hier irgendeiner Form sektiererischer oder doktrinärer Abkapselung das Wort. Ich gehe davon aus, daß die planetare Kultur, die wir aufbauen müssen, universal und eklektisch sein muß. Wir können aus der Vergangenheit lernen, müssen dabei jedoch für den gegenwärtigen Augenblick und unsere Erfahrung als Spezies offenbleiben.

 

Ich muß meine Gedanken an diesem Punkt vorsichtig entwickeln, sonst würden sie unzeitgemäß und engstirnig wirken. Mit dem Wort 'mönchisch' läßt sich schwer arbeiten, eben weil es einer uralten, wohlumschriebenen Tradition angehört, die in der Geschichte deutliche Spuren hinterlassen hat. Ich betone deshalb, daß mich das Mönchtum als Modell interessiert, als erprobtes, historisches Paradigma für schöpferisch bewältigten gesellschaftlichen Zerfall. Ich wende mich diesem Beispiel zu, weil es erhellt, wie man die kopflastigen und toxischen Institutionen eines abgewirtschafteten Weltreichs so auflösen kann, daß zivilisierte, widerstandsfähige Gemeinschaften entstehen, in denen sich ein neues Gefühl für Identität und Bestimmung bilden kann. 

Ich gehe an den Begriff des Mönchtums etwa in dem Geist heran, in dem E.F. Schumacher seinerzeit über "buddhistische Ökonomie" schrieb — mit der Absicht, die versteckten ethischen Grundannahmen herauszuarbeiten, die unser Leben leiten, und vielleicht eine lebensfähige moderne Alternative aus einer alten und exotischen Idee zu gewinnen. Es gab eine monastische Ökonomie, ebenso wie eine monastische Politik und Soziologie; und diese Tradition existiert nach wie vor in den Randzonen der modernen Welt. Wir können uns diese Institution ansehen, die — soviel ist geschichtliche Tatsache — viele der Werte in sich vereinigte, die Schumacher dem Buddhismus zuschrieb.

Es ist wohl eine Historikermarotte, angesichts eines Problems in der Vergangenheit nach Beispielen zu wühlen. Vielleicht ist das der Beitrag, den ich aufgrund meiner Arbeit und Ausbildung leisten kann — einige menschliche Möglichkeiten, die es schon gab, bevor das Geschichtemachen ein Monopol der Industriestädte wurde, davor zu bewahren, daß sie in Vergessenheit geraten. Ich will dabei nicht übergehen, daß diese Institution, die so viel von dem enthält, wonach unsere Zeit verlangt — eine Ökonomie einfacher und doch genialer Mittel, eine Kultur des Gewaltverzichts und des spirituellen Wachstums —, in Zeiten extremer Unordnung schon wirksam geworden ist, und das nicht als kuriose Randerscheinung, sondern als eine kulturelle Kraft, die in der politischen, ökonomischen und intellektuellen Hauptströmung der Gesellschaft soviel Gewicht bekam, daß sie ständig vereinnahmt und korrumpiert zu werden drohte und deshalb permanent reformbedürftig war.

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In einer Hinsicht ist die mönchische Tradition besonders gut als Modell für uns geeignet: sie hat die bemerkenswerte Fähigkeit, Dinge in sich zu vereinigen, die in unserer Welt in grimmiger Opposition stehen. Ich denke zum Beispiel daran, wie die Industrie­gesellschaft das Persönliche gegen das Gemeinschaftliche, das Praktische gegen das Spirituelle ausspielt — Wertsysteme, die heute einander wie Todfeinde gegenüberstehen. Wollen wir aber die Person und den Planeten retten, so müssen wir Frieden unter ihnen stiften. Und hier haben wir eine mehr als eineinhalb Jahrtausende alte Tradition, die uns Grund zu der Hoffnung gibt, daß solch eine Harmonie der Gegensätze möglich ist, daß man sie herstellen kann. Zwei Tatsachen sind hier für uns besonders wichtig:

Erstens: Die Tradition begann in der Abgeschlossenheit der privaten Zelle, in der Tiefe der einsamen Seele, die um persönliche Erlösung rang. Doch es dauerte nicht lange, bis diese Zellen in Gemeinschaften gegenseitiger Hilfe eingebettet waren, die bis heute einen gültigen Standard für ein Leben setzen, das durch die Prinzipien des Teilens und der Gleichheit bestimmt ist.

Zweitens: Die Tradition begann als verzweifelte Suche nach spiritueller Reinheit, unternommen von Männern und Frauen, die der Welt, dem Erfolgsstreben, dem Reichtum, der Macht und selbst dem bloßen physischen Überleben zu entsagen bereit waren. Dennoch bildeten diese weltfernen Exile sehr bald ein Netz unabhängiger .Hauswirtschaften', die in ihrer Gesellschaft an Stabilität, Ordnung und Produktivität von nichts übertroffen wurden; sie hatten sogar Überschüsse, mit denen sie Bedürftige, Alte und Mittellose versorgen konnten.

 

Darüber dürfen sich all jene einmal Gedanken machen, die behaupten, das Bedürfnis nach Alleinsein und spirituellem Wachstum müsse notwendig in eine narzißtische Sackgasse führen, in der es soziales Gewissen und gesellschaftliches Handeln nicht mehr gibt. Denn welchen Reim sollen wir uns auf das scheinbare Paradox machen, daß Menschen, die soziale Verpflichtungen nicht obenan stellten, dennoch in der Lage waren, eine sehr lebensfähige Form des egalitären Miteinander zu schaffen? Daß Menschen, die sich nicht von praktischen Dingen tyrannisieren ließen, dennoch einen erstaunlich einfallsreichen und produktiven ökonomischen Stil "entwickelten? Die Antwort, so vermute ich, finden wir, wenn wir erkennen, was alles möglich wird, wenn wir ökonomische Notwendigkeiten einmal zweitrangig sein lassen und darauf vertrauen, daß sie ihre besten Antriebe aus einer Psychologie behutsamer Lockerung der Zügel gewinnen werden. Dann können andere Energien in uns aufsteigen — Energien, die aus den Bedürfnissen der Person erwachsen, sich aber natürlich in die umgebende Welt entfalten. Es ist vielleicht ähnlich wie mit dem Paradox, daß große physische Leistungen oft dann am besten zu vollbringen sind, wenn man sich in sie hinein entspannt; die Muskeln entkrampfen sich, der Atem kehrt zu seinem gleichmäßigen Rhythmus zurück und wir erleben unsere Kraft als weiches, müheloses Fließen.

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 Ähnlich könnte es zu mehr authentischer Konvivialität und mehr praktischem Einfallsreichtum kommen, wenn wir uns von dem Zwang zu sozialem Engagement freimachen und dabei entdecken, daß wir es brauchen und wünschen. Natürlich sind wir gesellige Wesen und müssen unseren sozialen Verantwortungen nachkommen; natürlich brauchen wir Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf, um überleben zu können. Aber wäre es nicht möglich, daß diese Dinge ganz von selbst ihren Platz finden, wenn wir uns nicht ständig von ihnen drangsalieren lassen, sondern darauf vertrauen, daß sie uns im Prozeß der Selbstentdeckung schon mit dem nötigen Nachdruck entgegentreten und die Lösungsmöglichkeiten mit sich bringen werden?

Das mönchische Gemeinschaftswesen ist eine Art zu leben, in der den Ansprüchen der Person historisch wie psychologisch stets unangezweifelte Priorität eingeräumt wurde. Jedem, der neu eintritt, wird zunächst ein persönlicher, geheiligter Raum zugestanden und viel Zeit, in der er ganz mit sich allein ist. Von Anfang an ist die Unverletzlichkeit der Privatsphäre ein bedingungsloses Recht; Kontemplation findet im Schutz einer Loslösung vom Druck materieller Zwänge statt. Doch unweigerlich gelangen auch die umgebenden gemeinschaftlichen und praktischen Belange zu ihrem Recht, denn ihre Quellen in der Person sind erschlossen worden; sie erwachsen aus der Person, anstatt ihr aufgezwungen zu werden. Wären die sozialistischen und kommunistischen Ideologien unserer Zeit nicht so fanatisch antireligiös, sie hätten aus der ,Kommunen'-Erfahrung der Klöster eine große Wahrheit für sich gewinnen können. Sie sähen Konvivialität dann vielleicht nicht als eine schwierige gesellschaftliche Pflicht, die uns als Bestandteil des Klassenbewußtseins mühsam eingeimpft werden muß (ein Ansatz, der nur Massenbewegungen hervorbringt), sondern als Krönung der Beziehung zwischen freien und einzigartigen Menschen. Sie hätten vielleicht die Existenz einer persönlichen Bezogenheit anerkannt, die den kollektiven Willen zwar unterstützt, ihn aber auch in seine Grenzen weist.

Ein Vergleich, der auf den ersten Blick ziemlich unpassend erscheinen mag: Der Maoistische Kommunismus ist unter den Massen­bewegungen der modernen Welt in mancher Hinsicht die beste Annäherung an die mönchische Tradition — und doch, wie weit noch davon entfernt. Vieles von dem, was Mao erreichen wollte — die gesellschaftliche Ethik des Selbstopfers im Dienen, die Integration von manueller Arbeit und Intellekt, die wirtschaftliche Fortentwicklung, die er sich von kollektivierter Arbeit und volksnaher Technologie versprach —, all das gehört auch zur Geschichte der Klöster. Auch die Mönche gingen ,unter's Volk', nahmen freiwillig die Rolle des Leibeigenen an; sie predigten und lehrten; sie wurden die besten Bauern und Handwerker ihrer Zeit, erfanden und verbreiteten viele neue Technologien.

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Aus ihrer kontemplativen Grundhaltung heraus wandten sie sich der umgebenden Gesellschaft zu, um ihr Wissen und ihre Güter mit ihr zu teilen. Sie trieben Handel, leiteten Schulen, gaben Almosen, übermittelten die Kultur. Oft versuchten sie, ihren Nachbarn den 'Frieden Gottes' zu bringen oder sie wenigstens gegen die Gewalttätigkeit der Zeit abzuschirmen. Sie praktizierten eine Wohltätigkeit und Gastfreundschaft, die man fast als Vorwegnahme des modernen Wohlfahrtsstaates betrachten kann. Doch worauf ruhte diese eindrucksvolle soziale Interaktion und nachbarliche Mitverantwortung letztlich? Da sind wir wieder bei der privaten Zelle, der Seele auf der Suche nach dem persönlichen Heil. Das zuerst ... dann das übrige.

Im chinesischen Kommunismus wird jedoch keine Mühe gescheut, die mönchischen Traditionen aller persönlichen und spirituellen Elemente zu entkleiden; das Ideal ist vollkommen säkularisiert. Und auf welche Motivation kann man dann noch zurückgreifen? Uns bleibt nur noch das sattsam bekannte Repertoire der modernen politischen Propaganda: kämpferischer patriotischer Stolz, Gier nach kollektiver Macht, auf Wettbewerb angelegte materielle Normen der nationalen Produktion, ständige agitative Appelle an kameradschaftliche Pflichterfüllung, die ihre Wirksamkeit aus den Schuldgefühlen und der Angst der Menschen gewinnen.

Schließlich wird alles dem kollektiven Vorhaben untergeordnet, eine weitere ,Großmacht' aufzubauen, noch einen urban-industriellen Koloß, in dem — das zeichnet sich im nach-maoistischen China bereits ab — sehr schnell eine Entwicklung hin zu technokratischen Methoden und herkömmlichen industriellen Wertvorstellungen einsetzt.

Zugegeben, die Konvivialität, die aus personalistischen Quellen erwächst, wird niemals Gesellschaften dieser Größenordnung bilden können. Ihre natürliche Perspektive ist die kleine Gemeinschaft oder bestenfalls ein anarchisches Netzwerk einzelner Gemeinschaften — eben die Gestalt, die die meisten Mönchsorden schließlich annahmen, als das Ursprungshaus seine optimale Größe erreicht hatte und seine Angehörigen ausschickte, um neues Land zu suchen und neue, kleine Anfänge zu machen.

Wer meint, von 'Gesellschaft' könne man erst da sprechen, wo es um Nationalstaaten, Klassen, politische Massenbewegungen, multinationale Konzerne und Riesenstädte geht, wird in dieser Form des menschlichen Zusammenschlusses etwas sehen, das man übergehen kann, weil es den Horizont realistischer politischer Diskutierbarkeit gar nicht erst erreicht. Ich interessiere mich hier jedoch gerade für solche soziale Formen, die das Große aufbrechen und an seine Stelle dauerhafte und ökonomisch lebensfähige Alternativen setzen wollen. 

Die Frage, die ich mir stelle, ist: Wohin sollen die kleinen Leute der Welt sich wenden, wenn die großen Strukturen einbrechen oder unerträglich werden? An diesem Punkt wird es für uns wichtig, etwas zu wissen, was die politische und intellektuelle Führungsschicht, die den großen Systemen verpflichtet ist, uns niemals sagen wird: daß es kleine Alternativen gibt, denen es gelang, Person und Gesellschaft, spirituelle Bedürfnisse und praktische Arbeit miteinander in Einklang zu bringen.

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  Eine Ökonomie der Beständigkeit  

 

Das mönchische Paradigma hat noch einen Zug, der erwähnt zu werden verdient — eine weitere aufschlußreiche Synthese, die sich aus der personalistischen Perspektive für gesellschaftliche und ökonomische Notwendigkeiten ergibt. Sie hat etwas mit dem feinen Gespür der klösterlichen Wirtschaftsweise für den Ausgleich zwischen technischer Neuerung und ökologischer Intelligenz zu tun.

Man kann durchaus argumentieren (und Lewis Mumford hat es getan), daß die Mönche eine nicht wegzudenkende Rolle für die landwirtschaftlichen und technologischen Grundlagen der späteren industriellen Entwicklung in Europa spielten. Man könnte diesen Beitrag geradezu den ,großen Sprung nach vorn' des mittelalterlichen Europa nennen. Die Mönche erschlossen die unwirtlichsten Gegenden Europas; grundlegende Techniken und Maschinen wurden in den Klöstern entwickelt oder vervollkommnet: die Wasser- und die Windmühle, die mit tierischer Kraft betriebene Tretmühle, die Uhr, neue Methoden der Acker- und Weidewirtschaft, das Tuchwalken und das Gerben, das Brauen und Keltern, Viehzucht und Metallurgie.

Es waren in der Tat findige und emsige Arbeitsgemeinschaften. Doch blieben sie in ihrer Beziehung zum Land immer genügsam und gingen behutsam mit ihm um, ihre Technologie hielten sie in maßvollen Größenordnungen. Das war möglich, weil die Klöster ökonomische Aktivität nie als Selbstzweck betrachteten und ihren Erfolg nie am Profit oder an irgendeinem Machtkriterium maßen. Ihre Ökonomie entsprang einem Arbeitsethos, in dem manuelle Arbeit als spirituelle Disziplin galt. Ora et labora — und man arbeitete wie man betete, beides im Streben nach persönlicher Vervollkommnung. Mumford schreibt die Entdeckung des Geheimnisses echter Freizeit den Mönchen zu — "nicht Freiheit von der Arbeit, ...sondern Freiheit in der Arbeit; und damit verbunden: Zeit, um über den Sinn des Lebens zu sprechen, zu grübeln, zu meditieren."*

Dem ökonomischen Stil der mönchischen Gemeinschaften liegt der Gedanke zugrunde, daß man mit genügend Erfindungsgabe und harter Arbeit einen Gleichgewichtszustand mit dem Land und seinem Leben erreichen kann, in dem auch für den Lebensunterhalt des Menschen stets ausreichend gesorgt ist. Die Herausforderung besteht darin, diesen ökologischen Gleichgewichts­punkt anzusteuern, sich immer wieder anzupassen und zu korrigieren, sich nicht mit Gewalt, sondern mit Fingerspitzengefühl den Weg zu bahnen — bis man bei dem ankommt, was E. F. Schumacher die "Ökonomie der Beständigkeit" nannte.* Dort findet die Gemeinschaft dann ihr festes Zentrum inmitten natürlicher Rhythmen und kosmischer Wechsel­beziehungen, die ihr bei einem maßvollen, aber gesicherten Lebensstandard für unbegrenzte Dauer eine tragfähige Grundlage bieten.

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 Auf diese fein abgestimmte Stetigkeit der Existenz, in der jeder Tag dem vorigen glich, waren die Mönche aus — eine willkommene Gelegenheit, in der Gegenwart des alltäglichen und ewigen Glanzes zu stehen. Solche idyllischen Bilder sind in der Kultur der Menschheit überall zu finden, Teil einer uralten Sehnsucht. Die mönchische Tradition brachte in diesen Traum die disziplinierte Konvivialität und das Arbeitsethos ein, die allein utopische Gärten zum Blühen bringen können. Ihre Arbeitsphilosophie adelt und demokratisiert die Arbeit, anstatt sie zu einer entmenschlichenden Tyrannei zu machen, die wir lieber den Maschinen oder den unteren Klassen überlassen. Und noch ein entscheidendes Element kommt hinzu: die innere, spirituelle Dimension. Dies ist nämlich kein Lebensstil, den man mit rein äußerlichen Kriterien beurteilen oder durch rein ökonomische Mittel erreichen kann. Der innere Gehalt dieser Ökonomie besagt, daß wir ohne die rechte Kultur der Person nicht auf materielle Fülle und Dauer rechnen können.

Man könnte sagen, die Klöster haben einen gesunden ökonomischen Stil geschaffen, weil sie keine Ökonomik besaßen — keine abstrakte Theorie, die von der täglichen Arbeit und Andacht getrennt war. Ihre Wirtschaftsweise mußte sich aus dem persönlichen Wachstum ergeben. Die Möglichkeit bedeutender technischer Neuerungen war damit keinesfalls ausgeschlossen; eine Maschine, eine neue Technik war immer noch eine willkommene Erleichterung unnötig mühseliger Arbeit. Doch blieb die Ökonomie der Klöster stets 'arbeitsintensiv', denn niemand zweifelte daran, daß Arbeit ein immanentes Persönlichkeits­attribut ist, Überfluß hingegen nicht.

Das Ideal der Unantastbarkeit der Person fand in den klösterlichen Gemeinschaften seine Entsprechung in dem Streben nach einer Wirtschaftsweise, die auch die Rechte des Planeten respektiert. Durch spontane Erfahrung geleitet, fanden sie einen weisen und harmonischen Rapport mit der Erde. Am deutlichsten ist das in den taoistischen, tantrischen und Zen-Gemeinschaften des Ostens, die in Traditionen mit einer reifen Naturmystik stehen. Doch selbst im Westen, wo das christliche Dogma die Verherrlichung der Natur verbietet, sind die Mönche in eine kameradschaftliche wenn nicht verehrungsvolle Beziehung zu ihrer natürlichen Umgebung hineingewachsen. Das Opus Dei ist an die täglichen und jahreszeitlichen Rhythmen gebunden, und die ausgemalten Handschriften, die in den Klöstern entstanden, legten stets großen Wert auf organische Formen. In einem Brief meines Freundes in Neu-Guinea ist etwas von dieser Sensibilität zu spüren:

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Wenn ein Kloster eine kleine Welt ist, dann ist es eine Welt, in der Geist und Materie vermählt sind. Sie sind nicht geschieden. Die natürliche Umgebung — meist von großer Schönheit — und alles, was in sie hineingestellt wird, kündet von Gott. Die Gebäude, die Kleider, die Nahrung, die Arbeit, der Lebensstil. Es gibt eine Beziehung zu Tag und Nacht, zu den wechselnden Jahreszeiten. Es gibt manuelle Arbeit, eng mit der Erde, den wachsenden Dingen, den Tieren verbunden. Man spürt den Wind und den Regen, Hitze und Kälte. Es gibt Stille und Geräusche. In jedem Augenblick das Wiedererleben von Geburt, Leben, Tod und Auferstehung Christi, ständige Berührung mit dem ganzen Schauspiel der göttlichen Offenbarung. Große Teile dieses Bildes sind natürlich nicht spezifisch christlich, sondern schlicht menschlich: Menschen aller Zeiten und Gegenden haben das Göttliche in der Welt um sie her gefunden.

 

  Stille  

 

Wenn ich Sätze wie diese lese, wird mir wieder einmal klar, wie sehr wir sowohl Ökonomie als auch Ökologie verzerren, wenn wir sie auf eine Sache der Quantität und der Technik reduzieren. Immer ist da auch eine moralische und psychologische Dimension, die berücksichtigt werden muß: Motive, Wertvorstellungen, Bedürfnisse, Hoffnungen. Im mönchischen Modell unterscheidet sich das ökonomische Tempo radikal von allem, was wir in der modernen Welt gewohnt sind. Weniger Produktivität, weniger Konsum, weniger Innovation, geringere Dringlichkeit ökonomischer Belange. Die Dinge bewegen sich langsamer, stabilisieren sich auf einem niedrigeren Niveau. Das wird jedoch nicht als Verlust oder Opfer erfahren, sondern als Befreiung von Verschwendung und hektischer Betriebsamkeit, von übertriebenen Wünschen und ängstlichem Konkurrenzdenken — eine Freiheit, die einem erlaubt, mit dem wesentlichen Geschäft des Lebens voranzukommen, nämlich, an der eigenen Erlösung zu arbeiten. Und dabei entdecken wir Dinge einer höheren Wertordnung, die unser ökonomischer Index niemals erfassen kann.

Stille zum Beispiel, die auf dem Markt keinen Preis und daher auch keinen Wert hat.

Manchmal denke ich, es gibt kein schärferes Kriterium für unsere Bereitschaft zu einer Ökonomie der Beständigkeit als die Stille. Wieviel brauchen wir? Wieviel können wir gebrauchen?

In der herkömmlichen Ökonomie unserer Gesellschaft existiert die Stille natürlich überhaupt nicht. Sie ist weder Ware noch Gebrauchsgegenstand noch Rohstoff noch Dienstleistung ... oder allenfalls bei der Schallisolierung. Ich meine jedoch den rohen, ursprünglichen Stoff Stille, wie wir ihn in einem natürlichen Zustand erfahren würden. Nicht das Ausschalten aller Geräusche, Wind und Regen und Vogelsingen eingeschlossen, sondern wir selbst schweigend, unseren ganzen menschlichen Lärm von der Welt abziehend, lauschend.

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Wie laut die Welt wird, während wir sie 'entwickeln'! Wenn Stille das Maß der Beständigkeit ist, so ist Lärm gewiß das Maß des Fortschritts. Das Tosen der Stadt, das endlose Dröhnen des Verkehrs und der Maschinen, das Donnern der Flugzeuge selbst in abgelegenen Gegenden, Musikberieselung, wattstarke Rockmusik, Transistorradios, die Straßen, Parks und Strande mit ihrem Geplärr überziehen. Wie weit muß man heute schon reisen, um dieser Kakophonie zu entkommen. Gesellschaften scheinen im Zuge der Modernisierung eine grenzenlose Toleranz für Lärm — wenn nicht gar einen Hunger nach Lärm — zu bekommen ... als wagte niemand, sich allein von der Stille überraschen zu lassen.

Bis vor kurzem gab es noch kaum Menschen in den Industriestädten, die mit der Stille etwas anderes anzufangen wußten, als sie schnellstens mit Trubel anzufüllen. Wir fürchten die Stille, weil sie uns auf uns selbst zurückwirft — in uns selbst hinein. Und für viele von uns ist das wie der Sturz in ein bodenloses Loch. Es ist Einsamkeit und Verlorenheit, wie die kalte Hand des Grabes, die sich um uns schließt. "Bringen wir doch ein bißchen Leben in die Bude", rufen wir in stillen Momenten, denn wir wissen, was die Stille sagt, und uns graut davor.

Jetzt aber finden sich immer mehr Menschen unter uns, die etwas von Meditation, Zurückgezogenheit und Alleinsein wissen. Sie fangen an, die Stille zu schätzen, jagen ihr nach, zahlen sogar Geld für ein paar stille Stunden abseits des Lärms. Das ist eine wichtige neue Bevölkerungsgruppe — die stillen Leute. Nur Menschen, die die Stille des Innern lieben, die für die Stille der Wüsten und Wälder eintreten, sind zu einer Ökonomie der Beständigkeit bereit; nur sie sind bereit, Tempo, Größe und Lärm zurückzuschrauben. Das Gespür für eine innere Welt, die darauf wartet, erforscht zu werden, ist Vorbedingung dieser Haltung. Eine Bereitschaft muß da sein, alle Dinge danach zu befragen, was sie angesichts des stummen Herannahens unseres Todes wert sind.

Keine Ökonomie der Beständigkeit also, bis wir unsere Liebe für die Stille wiederfinden, für die schweigende Aufmerksamkeit.

Ich habe diese Gedanken über die mönchische Tradition mit dem Zitat eines Trappistenmönchs eingeleitet. Ich beschließe sie, indem ich einen bekannteren Mönch zitiere: Thomas Merton, der in der Stille seiner Einsiedelei in Kentucky schreibt.

Mir ist er fremd, der Lärm der Stadt, der Menschen, die Gier der Maschine, die nie schläft und die Nacht verschlingt... Wer nicht allein ist, hat seine Identität nicht entdeckt, er muß hellwach sein. Doch um wach zu sein, muß er seine Verletzlichkeit und seinen Tod annehmen. Nicht um ihrer selbst willen: nicht stoisch oder aus Verzweiflung — nur um der unverletzlichen inneren Wirklichkeit willen, die wir nicht erkennen können (weil wir sie nur sein können), für die wir aber erst ein waches Auge bekommen, wenn wir die Unwirklichkeit unserer verletzlichen Schale sehen. Die Entdeckung des inneren Selbst ist ein Akt und eine Bekräftigung des Alleinseins.*

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  Einfachheit und Gerechtigkeit   

 

Geschichte und Kultur des Mönchtums sind weder weit genug noch gut genug bekannt, um heute einen direkten Einfluß haben zu können. Dennoch vermute ich, daß es durch seine Synthese des Persönlichen und Gemein­schaftlichen, des Praktischen und Spirituellen, des Technologischen und ökologischen eine Richtung angibt, in der sich auch viele gegenkulturelle Experimente vorantasten: Wohngemeinschaften, Arbeitskollektive, situative Netzwerke, all die unbeholfenen und inspirierten Zusammen­schlüsse, in denen die Menschen eine authentischere und dauerhaftere Lebensform zu finden hoffen. Manche, wie etwa die Jesus People in ihren Kommunen oder die Anhänger östlicher Religionen in ihren Zendos und Ashrams, sind bereits vertraute Erscheinungen der gegenwärtigen Szene.

Von breiterer Bedeutung ist aber vielleicht der lebhafte, wenn auch noch diffuse Dialog um das 'einfache Leben', der sich in den christlichen Kirchen entwickelt hat — vorwiegend in aufgeschreckten Mittelklassefamilien — und eine natürliche Tendenz zu Ideen über gemeinschaftliche Lebensformen hat: gemeinsame Arbeit und Ressourcen, ein sinnvolles Lebenswerk in warmherziger und selbstbestimmter Kameradschaft.

In den letzten Jahren zeigt sich dieser neue Sinn für Gerechtigkeit, Ökologie und spirituelle Lebensqualität an vielen Stellen: 

1. In den frühen Siebzigern stellte das American Friends Service Committee zwei Programme mit gleicher Zielrichtung auf: ein makroanalytisches Seminar über Ökonomie, das von ,Movement for a New Society' in Philadelphia entworfen worden war, und ein Projekt über einfaches Leben in Nord-Kalifornien. Beiden Programmen geht es um eine radikale Kritik der moralischen und ökologischen Haltung der amerikanischen Wirtschaft und der dazugehörigen Konsumnorm der Mittelklasse. Dieses Unternehmen hat im ganzen Land zahlreiche Workshops und Seminare angeregt, die ihren Niederschlag in dem ausgezeichneten Handbuch Taking Charge, einer Untersuchung über "persönlichen und politischen Wandel durch einfaches Leben" fanden.

2. Etwa zur gleichen Zeit (1973-74) verfaßte eine Gruppe von Geistlichen und Laien das sogenannte Shakertown-Gelöbnis — ein Plädoyer für Weltbürgerschaft und ökologisches Leben. Dieses Shakertown Pledge hat, vor allem durch soziale Aktionsgruppen der Kirche, ebenfalls weite Verbreitung gefunden und eine anhaltende Diskussion über 'kreative Einfachheit' und globale Gerechtigkeit ausgelöst.

3. Eine 'neu-evangelische' Bewegung mit politischem Scharfsinn ist durch verschiedene Zeitschriften und die Organisation 'Evangelicals for Social Action' bekannt geworden. Auch hier liegt das Hauptaugenmerk wieder auf "dem Materialismus unserer Kultur und der mangelhaften Verteilung des nationalen Reichtums".*

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In Ansätzen wie diesen findet man viel von dem, was schon immer zum gesellschaftlichen Evangelium des Christentums gehört hat: der gleiche Abscheu vor Korruption und Profitgier der Unternehmen, vor dem rücksichtslosen Wettlauf um Geld und Status, vor der Unterdrückung am Arbeitsplatz, vor Ausbeutung, Rassismus und Sexismus. Doch die Analyse ist um das lebhafte Bewußtsein ökologischer Grenzen vertieft, und damit steht die Lebensfähigkeit des gesamten urbanen Industrialismus in Frage, nicht nur die seiner kapitalistischen Spielart.

Man sieht sich der noch nie dagewesenen Möglichkeit gegenüber, daß das Weltreich der Städte am Ende sein könnte, daß wir in eine Zeit eingetreten sind, in der man die Gerechtigkeit nicht länger auf den Mythos des Fortschritts gründen kann oder auf die Erwartung grenzenloser ökonomischer Expansion oder auf die selbstgefällige Überzeugung, daß der moderne bürgerliche Lebensstandard unanfechtbar richtig ist. In dieser planetaren Perspektive genügt es nicht mehr, irgendetwas an der Spitze zu verändern, seien es Eigentumsverhältnisse, Management oder institutionelle Planung — etwas ganz Neues muß in die politische Szene eintreten. Hand in Hand mit dem Kampf gegen unrechtmäßige Bereicherung muß aus nachindustrieller Sicht gefragt werden, was Reichtum und Wohlstand eigentlich bedeuten. Eine Ökonomie grenzenlosen Wachstums muß einer Ökonomie der Beständigkeit weichen — und damit jenem Streben nach spiritueller Verwirklichung, das ihre Basis bildet. Hier zeichnet sich vielleicht schon das Zentrum ab, in dem viele Strömungen des Wandels zusammenfließen: die traditionellen Ideale des dezentralen Sozialismus, die anarchistische Ökonomik Paul Goodmans, E. F. Schumachers und Leopold Kohrs, die Ziele der Umweltschützer und das Ringen um persönliches Wachstum in seinen unzähligen Formen.

Es gibt noch einen Faktor, von dem ich annehmen möchte, daß er zu diesem Sammeln der Kräfte beitragen wird — ein ganz neues Element der Szene. Ich meine den Dialog, der sich ganz sacht im römisch katholischen Ordensleben bemerkbar macht, gefördert vor allem durch Thomas Mertons Werk und durch feministische Tendenzen der Frauen in der Kirche, vor allem der radikalen Nonnen. Es gibt ein paar Mönche und Nonnen, die die Bedeutung ihrer Tradition für die Bedürfnisse der Zeit erkannt haben und jetzt nach Möglichkeiten suchen, ihre Erfahrung mitzuteilen. Die Konferenz von Mönchen, Nonnen und Laien in Petersham, Massachusetts (Juni 1977),* war ein Anzeichen dieser Gärung. Dieses Treffen innerhalb einer Reihe von Konferenzen über die Rolle der "Kontemplation in einer Welt der Aktion" (Th. Merton) eröffnete die Möglichkeit einer fruchtbaren Interaktion zwischen der mönchischen Tradition und jenen anderen, die außerhalb der Orden an nachindustriellen Definitionen für persönliches Wohl und ökologische Weltbürgerschaft arbeiten.

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Vielleicht sind die Dinge, die ich hier nenne, nicht mehr als Blätter im Wind; ich führe sie als Beispiele an, ohne ihren gegenwärtigen Einfluß hochspielen zu wollen. Jedenfalls scheinen sich aber ein paar knallharte kommerzielle Interessen bereits daranzumachen, den Weg einzelner Blätter zu verfolgen. Am Stanford Research Institute (SRI), einer der führenden militärisch-industriellen Denkfabriken des Landes, tüfteln einige opportunistische Hirne bereits aus, wie man aus dem wachsenden öffentlichen Geschmack an 'freiwilliger Beschränkung' Kapital schlagen kann.* Diese Komponenten der freiwilligen Beschränkung konnte das SRI ausmachen: Bemühung um "menschliches Maß, Selbstbestimmung, ökologisches Bewußtsein, persönliches Wachstum" und, sehr beunruhigend, "ein konsumfeindlicher Lebensstil, der auf Sein und Werden beruht, nicht auf Haben" — fast genau der ökonomische Stil des mönchischen Modells.

 

Blätter im Wind, Zeichen der Zeit ... ich verfolge die Experimente, die ich überall sehe, stöbere in den Publikationen der fruchtbaren Randzonen und Zwischenräume (The Mother Earth News, die Zeitschrift des Institute for Local Selfreliance, Manas, Resurgence, The Co-evolution Quarterly, Rain, The Green Revolution ...), und ich frage: Wie würde eine kulturelle Synthese der gesündesten, am besten durchdachten Neuerungen aussehen? Wohin tendieren die sensibelsten personalistischen Geister? 

Und als besonders vielversprechenden Aspekt sehe ich eine Art zwangloses, nachindustrielles Mönchtum vor uns — Formen des Gemeinschaftslebens, die das Bedürfnis nach persönlichem Wachstum mit einer Ökonomie einfacher Mittel und befriedigender Arbeit verflechten. Noch einmal: die mönchische Kultur und Ökonomie soll hier nicht mehr als ein Modell sein, ein Thema aus der Vergangenheit, das zeitgemäße Variationen fordert. Stellen wir uns das Modell also expandierbar vor, so daß es spirituelle und therapeutische Unternehmungen jeder Art aufnehmen kann. Denken wir es uns vor allem als ein neues Fundament für Familienleben, zu dem es an ganz verschiedenen Stellen immer deutlicher wird: in religiösen Gemeinschaften wie den Bruderhöfen, in der Hare-Krishna-Bewegung oder in eher weltlichen Experimenten wie Synanon oder Stephen Gaskins Farm. 

Man stelle es sich in städtischen Nachbarschaften vor oder Wohnungskomplexen und wiederbelebten Vororten. Oder als sozialen Rahmen für ein ehrliches Kleingewerbe, für Arbeits- und Tausch-Kooperativen, für Handwerks- und Berufskollektive, für Betriebe und Fabriken, die von Arbeitern geleitet werden — in diesen Zusammenhängen könnte das Modell sich maßgeschneiderte Formen moderner Technologie aneignen. Selbst wenn in diesem Bild hier und da auch Meditationsgewänder, Glocken und Mantras auftauchen — so gehören doch Sonnenkollektoren, Taschenrechner und Biogas-Anlagen wesentlich dazu, das ganze Repertoire der 'Volks-Technologie', das die Arbeit menschlicher Hände adeln und erleichtern, nicht aber wie einen Fluch aus der Welt schaffen will.

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Ich erwarte nicht, daß irgendeiner dieser Ansätze, Sekten und Bewegungen sich innerhalb der nächsten Jahre über die ganze Szene ausbreiten kann. Ich vermute eher, daß wir ein langsames Durchsickern von Plänen für gemeinsames einfaches Leben beobachten werden, das insgesamt vielleicht der zentrifugalen Rolle nahekommt, die einst das frühe Mönchtum spielte. 

Manche dieser Versuche werden so straff strukturiert sein wie ein religiöser Ashram, andere so locker wie die kooperativen Gruppierungen, wie sie jetzt das Interpersonal Support Network in Kalifornien organisiert,* wieder andere werden zweifelhafte und abwegige Wendungen nehmen. Meine pazifistischen Instinkte sträuben sich gegen den Vergleich, aber selbst die Guerilla-Truppen unserer Zeit erinnern stark an die kriegerischen Bruder­schaften des Mittelalters — an die Armen Ritter Christi, fest gefügte, asketisch strenge, zutiefst fanatische Gemeinschaften mönchischer Waffenbrüder, die sich selbstaufopfernd in den Dienst der ecclesia militans stellten ... nur wäre es jetzt die marxistische oder maoistische Kirche. 

So verschiedenartig — und manchmal kurzlebig — die Ansätze sein mögen, dies werden sie miteinander gemein haben: Sie werden das Werk von Menschen sein, die erkannt haben, daß wir eine Zukunft schaffen müssen, in der wir nicht nur endlos Probleme zu lösen und Kämpfe auszutragen haben. Wir brauchen einen ganzheitlichen Lebensstil, der Krisen verträgt, ohne von ihnen ganz verschluckt zu werden. Inmitten der zahllosen täglichen Kalamitäten und Ungerechtigkeiten muß es einen schützenden, normalen Ort geben, wo wir zusammenkommen können, so schwach und unheroisch, wie wir sind; einen Ort, von dem wir ausschwärmen, um die Gesellschaft umzubilden, und zu dem wir zurückkehren, um uns selbst zu erneuern: ein Zentrum, eine Zuflucht, die unserer Verantwortung für die Welt ein Heim bietet.

Es wird in unserer Gesellschaft vielleicht nie mehr als eine Minderheit von Menschen geben, die bei einer lebensfähigen Adaption des mönchischen Modells anlangen. Doch kulturelle Kreativität ist ja immer die Domäne von Minderheiten. Wer am Prozeß der schöpferischen Auflösung mitwirkt, hat die Übel der Zeit schärfer erkannt als alle Experten, professionellen Planer und gewichtigen Revolutionäre. Er steht mit etwas ansteckend und konstruktiv Idealistischem in Verbindung. 

Den Einfluß dieser Menschen auf die Zukunft, auf die Vorlieben und Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, wird eine bloß <fliegenbeinzählende> Soziologie niemals zutreffend beurteilen können. Sie können auch nicht erwarten, daß ihre Bemühungen von der kulturellen Hauptströmung anerkannt oder gar unterstützt werden — so wenig man selbst von den schärfsten politischen Geistern des sterbenden Roms erwarten konnte, daß sie voraussahen, wer das nächste Kapitel der westlichen Geschichte schreiben würde: rauhe und abgerissene Typen wie der heilige Anton, die in der Wildnis in sich hineinhorchten, arbeiteten, beteten und aus Schweiß und Schutt eine neue Gesellschaft bauten, die über den Horizont ihrer Zeit ging.

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