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1906 Warum gibt es
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Lesebericht 1979 bei Heinz Friedrich S. 228 f
Im Jahr 1905 veröffentlichte der bedeutende Nationalökonom Werner Sombart eine schmale Schrift mit dem interessanten Titel <Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?>
In diesem Büchlein, das nur in seinen statistischen Details, nicht aber in seiner grundsätzlichen Aussage überholt und daher immer noch lesenswert ist, kommt Sombart zu dem Schluß, daß in Amerika deshalb kein Sozialismus entstanden sei und entstehen könne, weil jeder einzelne Bürger dieses Landes, auch der ärmste, derart kapitalistisch-materialistisch infiziert sei, daß er keinen anderen Gedanken zu denken imstande sei als diesen: Wie komme ich zu Geld und zu immer mehr Geld?
Nirgends auf der Erde, schreibt Sombart, »ist kapitalistische Wirtschaft und kapitalistisches Wesen zu so hoher Entwicklung gelangt, wie in Nordamerika«, und er fügt hinzu, die gesamte Lebensführung des amerikanischen Volkes entwickle sich immer mehr und immer entschiedener in einer dem Kapitalismus entsprechenden Weise. Das einzige, was die aus allen Weltteilen nach Amerika eingewanderten und ohne historische Tradition miteinander lebenden Menschen wirklich verbinde, sei die Einschwörung auf die gemeinsame Doktrin des Gewinnstrebens.
Sombart verdeutlicht diese These an der Eigenart der geistigen Kultur, die sich in den Vereinigten Staaten entwickelte. Das kapitalistische Milieu habe die kulturelle Verhaltensweise der Amerikaner entscheidend geprägt. Die in der kapitalistischen Gesellschaft zum Prinzip erhobene »Reduktion aller Vorgänge auf Geld« habe dazu geführt, daß dieses Prinzip auch auf außerwirtschaftliche Verhältnisse (also insbesondere auf kulturelle) übertragen worden sei.
Das heißt, schreibt Sombart, bei der Wertung von Dingen und Menschen nähme der Nordamerikaner stets den Geldwert zum Maßstab. Es ist einleuchtend, fährt Sombart fort, »daß, habe ein derartiges Verfahren sich erst eingebürgert und durch Generationen fortgesetzt, allmählich das Empfinden für den rein qualitativ bestimmten Wert sich verringern müsse«. Die »Bewunderung jeder meßbaren und wägbaren Größe« sei für den Amerikaner im wahrsten Sinne des Wortes das Maß aller Dinge.
Wie gesagt: Diese Sätze und Thesen wurden am Anfang des 20. Jahrhunderts, nämlich 1905, veröffentlicht. Gegen Ende des Jahrhunderts werden sie weltweit bestätigt, denn die Devise vom <american way of life> hat inzwischen alle Völker ergriffen, die nach dem 2. Weltkrieg in die Einfluß-Sphäre der Vereinigten Staaten gerieten. Die Völkergemeinschaften der Alten Welt brachen ebenso aus der kulturellen Disziplin mehrtausendjähriger Traditionen aus wie zum Beispiel die Völker Ostasiens, ohne im Fetisch einer fragwürdigen Freiheit ein Äquivalent für die Verramschung ihrer Kulturgüter finden zu können.
Das Umsetzen der kulturell-schöpferischen Kräfte einer Gesellschaft in Kultur-Ausverkauf verschafft zwar vorübergehend materiellen Gewinn, aber diese selbstmörderische Profitgier zerstört ebenso das ökologische Gleichgewicht im Umfeld der Menschheit, wie der Krebsfraß der industriellen Entwicklung die alten Natur- und Kunstlandschaften der Erde zerstört.
Bald werden sich die homines sapientes aller Breiten in ihrer durch barbarischen Raubbau verwüsteten geistigen Daseins-Landschaft ebenso unheimisch fühlen wie in ihrer industriell verheerten Umwelt.
Ob sich dann allerdings die geistigen Umweltschäden leichter werden beheben lassen als die physischen, das ist noch sehr die Frage.
Diese Aspekte sollte nicht außer acht lassen, wer über Bücher und deren Schicksal im späten 20. Jahrhundert nachdenkt. Die Bücher können nicht aus der ökologischen Verantwortung für die Gesellschaft ausgenommen werden; vor allem aber können diejenigen nicht aus dem Obligo entlassen werden, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Büchern befassen.
Die rüde Alleinherrschaft wirtschaftlichen Kalküls (dessen dienende Funktion in diesem Zusammenhang im übrigen niemand abstreitet) darf einfach nicht Macht über das buchhändlerische Denken gewinnen, wenn die Buchlandschaft als das erhalten bleiben soll, was sie einmal gewesen ist, nämlich: nach Hofmannsthal, der geistige Raum der Nation.