Zitate-3     Start    Weiter

3.2 - Unausweichliche Apokalypse

Taxacher-2012

 

117-125

Doch bevor die theologische Deutung unserer Situation möglich ist, muss das Zeitalter des Anthropozän zunächst genauer bestimmt werden. Mein Fazit aus der Analyse der ökologischen und sozialen Katastrophe lautet: Die Menschheit der Gegenwart ist in einer nicht mehr abwendbaren und - außer in ihrem tatsächlichen Ende - nicht mehr endenden Endzeit angelangt. Der apokalyptische Charakter der Gegenwart besteht also grundsätzlich und gegenwärtig, nicht nur prognostisch.

  Das permanente Ende der Geschichte 

Diese Feststellung ist tatsächlich »so ungeheuerlich, dass alle Wechselfälle der bisherigen Geschichte daneben beiläufig zu werden und die bisherigen Epochen zur bloßen >Vorgeschichte< zusammenzuschrumpfen scheinen«.(14) Diese Vorgeschichte tritt mit der Industrialisierung in ihr entscheidendes Stadium: Aus der Industrie des Maschinenzeitalters entsteht die zweite industrielle Revolution des Konsumzeitalters, in dem die Industrie gewisser­maßen total wird, alle Produktion von der Landwirtschaft bis zu Kultur und Information ergreift, und sie mündet in ein »Zeitalter, in dem wir... die Produktion unseres eigenen Untergangs pausenlos betreiben«.(15)

Dieses letzte Zeitalter ist bei aller internen Entwicklungsmöglichkeit nicht mehr überholbar, nicht mehr zu überschreiten: »weil nämlich dieses Stadium, sofern es nicht (wofür vieles spricht) eines Tages zum >Zeitende< führen wird, nicht mehr durch ein anderes abgelöst werden kann, sondern stets >Endzeit< sein und bleiben wird«.16 Und so konstatiert auch ein Theologe: »Weil wir in einer Zeit leben, in der das Ende menschlicher Zeit jederzeit möglich ist, leben wir in einer sehr realistischen Weise am Zeitende oder in der Endzeit.«(17)

Die Ankunft in diesem Zeitalter wurde den Menschen erstmals bewusst, als die Atombewaffnung den Menscheits(selbst)mord technisch möglich machte. Schon damals stand im Grunde fest, dass sich diese Situation niemals mehr rückgängig machen lassen würde. »Sistiert ist die Bedrohung nie. Sondern immer nur verschoben. Was heute vielleicht vermieden werden wird, kann morgen eintreten. ... Und selbst wenn das Äußerste niemals eintreten sollte,... von nun an sind wir Wesen, die dazu verurteilt bleiben, im Schatten dieser unentrinnbaren Begleiterin zu leben.«(18)

Was mit der Bombe begann, wird mit der ökologischen Krise jedoch nochmals dynamisiert:

118


Die Selbstzerstörung ist jetzt nicht mehr nur ein Damoklesschwert, das fallen kann oder auch nicht. Sie ist in die Entwicklungslogik der Gegenwart selbst eingetragen. Steht Hiroshima 1945 für den ersten Endzeit-Schock, so dokumentiert der Bericht des Club of Rome 1972 den zweiten.(19) Beide Male wurde der Welt die Globalisierung einer Bedrohung bewusst.

Im Leben mit der Bombe ist jedoch jeder Tag, an dem nichts geschieht, ein gewonnener Tag.
In der ökologischen Krise ist er ein verlorener Tag, ein Tag weniger von denen, die gezählt sind.

Die Bedrohung besteht nicht mehr in einer fixierbaren und isolierbaren Gefahr, sondern in einer schon anlaufenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Endzeit.

Das macht auch den entscheidenden Unterschied zur religiösen Apokalypse der Vormoderne aus: Damals erschien die Gegenwart so unerträglich, dass man sie in eine ultimative Katastrophe hineinschliddern sah, aus der dann durch göttliches Eingreifen die Rettung, wenigstens für die Gläubigen und Gerechten, kommen sollte. Dem modernen Bewohner der westlichen Welt dagegen scheint die Gegenwart keineswegs unerträglich, sondern durchaus erhaltenswert, aber eben nicht haltbar. Deshalb bedeutet ihm Apokalypse auch nur noch Untergang.

Die säkulare Apokalypse ist um ihren Hoffnungsaspekt »kupiert«.(20.Vondung) Deshalb - und nicht einfach wegen des Ermüdens der politischen Theorien - sind uns die Utopien ausgegangen. Unser ersehntes Ziel ist längst nicht mehr »eine bessere, schönere, größere Zukunft, sondern die Zukunft schlechthin, die schlichte Möglichkeit wenigstens für einige unserer Enkel, ihr Leben auf diesem kleinen Stern zu fristen«.(21) Wir erleben die Gegenwart als eine »<Frist>, während derer unser Sein pausenlos nichts anderes ist als ein <Gerade-noch-sein>«.(22)   wikipedia  Kupieren 

Zum säkularen Charakter dieser Apokalypse-Verfallenheit gehört auch, dass der Mensch mit sich allein ist: Die »apokalyptisch zu nennende Drohung... ist nicht mehr das gläubig erwartete Weltgericht«.23 Menschen führen das Ende herbei oder schieben es auf. Es ist nicht mehr Gott, der es als schreckliche Strafe oder gnädigen Endpunkt setzt und uns so unserer Selbstverantwortung endlich überhebt.(24)

119


   Die Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs  

Die These vom apokalyptischen Charakter der Gegenwart gilt grundsätzlich und nicht nur prognostisch. Aber sie enthält auch eine prognostische Unter-These. Die lautet: Höchstwahrscheinlich wird die Menschheit im begonnenen Jahrhundert auf eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes zusteuern. Sie wird also eine Endzeit ihrer bisherigen Menschheitsverhältnisse tatsächlich erleben. Der apokalyptische Charakter der Gegenwart ist sicher ein grundsätzlicher, wahrscheinlich aber auch ein tatsächlicher.

Diese prognostische Unter-These ergibt sich aus zwei Konditionalsätzen, in denen man meine bisherige Analyse der Krise zusammenfassen kann.

Der erste Konditionalsatz lautet, bezogen auf das ökologische Szenario: Wenn die Dinge so weiterlaufen wie bisher, laufen sie auf eine ökologische Katastrophe noch im 21. Jahrhundert zu. »Wenn sich das Verhalten nicht ändert, wird die Umweltbelastung für die nächste Generation zur Katastrophe.«25

Bezogen auf die Analyse der sozialen Katastrophe, lautet er: Wenn die Menschheit nicht innerhalb kurzer Zeit einen qualitativen Sprung in ihren Lebens- und Verhaltensweisen macht, schafft sie soziale Verhältnisse, aus denen heraus eine stabile Welt- und Umweltpolitik nicht mehr möglich ist. Zusammengefasst ergibt das den zweiten Konditionalsatz: Die Katastrophe erscheint nur noch abwendbar, wenn sich die Menschheit in nächster Zeit sehr unerwartet verhält, in einer bisher nicht beobachteten und aus den bisherigen Beobachtungen schwer zu motivierenden Weise.

Das ist - schon wegen ihrer nie da gewesenen globalen Lage - nicht unmöglich. Aber es deutet aus den hier zusammengetragenen Analysen auch nicht viel drauf hin.

Also ist die Abwendung der Katastrophe deutlich unwahrscheinlicher als ihr Eintreffen.

Den ersten Konditionalsatz zum ökologischen Szenario - als Verlängerung der derzeitigen Entwicklung - formuliert das Computermodell »World3« des Meadows-Berichts in seinem so genannten Standard-Lauf, d. h. wenn es »mit seinen >normalen< Voreinstellungen der Parameter abläuft, die wir als >realistisch< betrachten«.26 In diesem Szenario kommt es ab dem Jahr 2020 zum globalen Knick: Industrieoutput, Nahrungs­versorgung und Bevölkerung wachsen nicht mehr, sondern schrumpfen rasant.

120


Die Zivilisation erlebt eine katastrophale und nicht nur ökonomische Rezession. Um diese Zeit ist sozusagen der endgültige »Earth Overshoot Day« erreicht, jener Tag, an dem nach ökologischen Berechnungen das Gesamtsystem durch menschliches Verhalten über seine Regenerationsfähigkeit hinaus belastet ist.27 Diese Prognose bestätigen inzwischen auch der Weltklimabericht von 2007 und die Berechnung der ökonomischen Folgen der ökologischen Krise durch eine britische Regierungskommission unter dem ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern von 2006.    wikipedia  Nicholas_Stern *1946

Was das konkret bedeuten kann, hat Jared Diamond anhand historischer Zusammenbrüche von Zivilisationen studiert: Wenn eine Zivilisation ihr »ökologisches Kapital« verbraucht hat, zeige sich häufig, »dass der steile Niedergang einer Gesellschaft unter Umständen schon ein oder zwei Jahrzehnte nach der Zeit einsetzt, in der sie in Bevölkerungszahl, Reichtum und Macht ihren Höhepunkt erreicht hat«.28 In nicht mehr verinselten, sondern global vernetzten Gesellschaften setzt solch ein Zusammenbruch eine Dynamik von Rückkoppelungs-Katastrophen in Gang. Umweltauswirkungen, demografische und soziale Faktoren werden »kombiniert auftreten und sich multiplizieren«.29

So wird etwa »der beschleunigte Meeresspiegelanstieg die Migrationsströme der Vergangenheit als vergleichsweise pittoreske Wanderungen in kleinen Gruppen erscheinen lassen«. Darauf dürften dann viele Regierungen mit einer »Ultima-Ratio-Strategie« reagieren30, gegen die ihrerseits die bisherige Abschottung als reinste Humanität wirken wird. Soziale Unruhen und Kriege werden wiederum den derzeitigen »Krieg gegen den Terrorismus« weit in den Schatten stellen. In einer solchen globalen Situation aber ist die »ruhige Hand« für einen ökologischen und sozialen Umbau nicht mehr vorhanden.

Wenn die Folgen uns derart überrollen, ist die Zeit für die Ursachenbekämpfung endgültig vertan. Deshalb sagt der Klimaforscher David Rind mit einem gehörigen Schuss Zynismus: »Es würde mich nicht erschüttern ..., wenn die Erde im Jahr 2100 weitgehend verwüstet wäre.«(31, zitiert bei Kolbert-2006)    giss.nasa.gov/staff/drind.html

Der zweite Konditionalsatz zum unwahrscheinlichen gesellschaftlichen Umsteuern ergibt sich schon daraus, dass er seit Jahrzehnten ultimativ gefordert und stets weiter verschoben wird.

121


Eine Sichtung futurologischer Literatur ergab schon 1971, dass die Warn-Szenarien stets »auf ein Katastrophenjahr um 2050« zuliefen.(32.Auer)

Carl Amery reagierte darauf 1972: »Nur bei einer rechtzeitigen Umstellung unserer Aktivitäten vor oder um 1975 wären katastrophale Folgen von globalem Ausmaß abzuwehren«.33

Über Jahresangaben muss nicht gestritten werden. Entscheidend ist, dass die Industriegesellschaft bisher noch jede warnend genannte letzte Frist für eine radikal neue Weichenstellung hat verstreichen lassen. Das legt den Schluss nahe, »dass das Projekt der Moderne zu schnell geworden ist, als dass es sich noch steuern oder verändern ließe. Die Beharrungskräfte dieses rasenden Projekts sind vermutlich so stark, dass auch die Verletzung von ökologischen, ... politischen ... Geschwindigkeitsgrenzen ihm keinen Einhalt mehr zu gebieten vermögen.«(34.H.Rosa)

Auch lange Zeit politisch beteiligte Akteure können sich diesem Eindruck kaum mehr entziehen. So sagte Klaus Töpfer, ehemaliger deutscher Umweltminister und später Leiter des UN-Umweltprogramms: »Da keine wundersame Wandlung in der Einstellung der Menschen und ihrer Regierungen zu erwarten ist, sind die verbliebenen Wälder mit geschlossenem Blätterdach und großer Artenvielfalt dazu verurteilt, in den kommenden Jahrzehnten von der Erde zu verschwinden.«35    wikipedia  Klaus_Töpfer  *1938 in Schlesien

In diesem, wenn auch nur einen Teilaspekt des Szenarios betreffenden Satz ist das konditionale Wenn schon durch ein kausales Da ersetzt. Der zweite Wenn-Satz gilt hier schon als ausgemachte Tatsache, demnach wird der erste sicher eintreten.  

Was Töpfers Resignation ausmacht, ist wohl die Einsicht in den systemstürzenden Charakter, den eine wirkungsvolle Umstellung der Gesellschaft haben müsste. »Wenn die Menschheit eine erkennbare Zukunft haben soll, dann kann sie nicht darin bestehen, dass wir die Vergangenheit oder Gegenwart lediglich fortschreiben. Wenn wir versuchen, das dritte Jahrtausend auf dieser Grundlage aufzubauen, werden wir scheitern.«36

Was nötig wäre, ist eine schnell stattfindende Umgestaltung der Weltwirtschaft in ein tatsächlich nachhaltiges und gerechtes System, was der langjährige Präsident der US-Umweltbehörde, Wiliam D. Ruckelshaus, »ein bislang einzigartiges Unternehmen in der Menschheitsgeschichte«37 genannt hat. Es sei nämlich, was das Ausmaß der Veränderung angeht, nur mit der neolithischen Revolution am Beginn von Sesshaftigkeit und Land­wirtschaft oder mit der industriellen Revolution zu vergleichen.

122


Im Unterschied zu diesen qualitativen Sprüngen der Menschheitsentwicklung müsste die Veränderung heute bewusst und kurzfristig eingeleitet werden. Man muss noch hinzufügen: Und sie müsste der Wachstums-Logik zumindest der zweiten genannten und uns heute prägenden Revolution diametral widersprechen.

Doch »die Aussichten für eine solche Wandlung sind mehr als ungünstig«.38 Die geforderte Umstellung funktioniert nicht kosten- und deshalb auch nicht lebensstil-neutral, und sie ist angesichts der ökonomischen Konkurrenz nur in globaler Einmütigkeit herzustellen. Damit aber rechnet im Ernst niemand. Es gilt eher umgekehrt, dass jeder darauf wartet, ob sich der andere bewegt.

Klaus Töpfers individuelle Resignation artikuliert die typische Erfahrung von Propheten und eine historische Erfahrung mit wenig Gegenbeispielen: »Wann in der Geschichte hätten Menschen, Völker und Epochen jemals vor dem Eintritt in die Offenbarung ihres (Un-)Wesens, vor dem Hereinsturz der Apokalypse zu ihrer Wahrheit hingefunden?«(39.Drewermann)

Etwas weniger pathetisch gesagt: Die bisherige Erfahrung lässt nicht erwarten, dass die Menschheit die immer weiter aufklaffende Schere zwischen dem ökologischen und sozialen Szenario und ihrer Reaktion darauf noch schließen könnte. »Die Politiker und die Experten haben Recht: Der sofortige Wandel ist tatsächlich nicht machbar.«(40.Fuller) Deshalb sind wohl eher die Optimisten die neuen Utopisten, wenn sie, wie Georg Picht schon 1972, darauf hoffen, »sobald es um Leben und Tod geht, werden die Systemzwänge außer Kraft gesetzt«.41

Einmal abgesehen davon, dass es längst zu spät ist, wenn auch die Unwilligen begreifen, dass es um Leben und Tod geht, ist zu einem solchen Zeitpunkt das Aussetzen der bisherigen Systemzwänge wohl eher zu fürchten und selbst schon ein Teil des Zusammenbruchs. Die dann eintretende umstürzende Verhaltensänderung wird eher einem »Rette sich, wer kann« gleichen.

Töpfer und Ruckelshaus stehen nicht allein: »Wissenschaftler oder Politiker« zeigten »in vielen Gesprächen eine kaum verborgene, gerade noch zurückgehaltene Panik«, berichtet Gwynne Dyer von seinen Recherchen zu den politischen Folgen des Klimawandels. Diese Panik gründet wiederum in der hier behandelten Konditionalverknüpfung: »Ohne eine Menge Opfer zu bringen überstehen wir das alles nicht - wenn wir es überhaupt überstehen.« Weshalb auch Dyer nach Abwägung der Wahrscheinlichkeiten den einfachen Schluss zieht: »Jetzt ist es zu spät.«42

123


   Das Scheitern der Fortschritts-Logik  

Ich formuliere dieses Fazit bewusst in einer möglichst nüchternen Prognose-Logik. So wird deutlich, dass es hier nicht um einen strategischen Alarmismus, sondern um ein geschichtsphilosophisches Urteil geht. So lässt sich meine These zum apokalyptischen Charakter der Gegenwart auch nicht als subjektive Stimmungs-Ansage missverstehen. So nüchtern als ein grundsätzliches und ein wahrscheinliches Zeit-Merkmal ausgedrückt, taugt die Diagnose auch dazu, futurologisch optimistische Gegenpositionen in ihrer Apokalypse-Blindheit zu entlarven und ihnen damit den Nimbus der höheren Rationalität - gegenüber einer angeblich nur moralistischen Angst-Fixierung - zu nehmen.

Tatsächlich liegt der Futurologie der Fortschritts-Optimisten »insgesamt doch ein technokratisches Weltkonzept zu Grunde«.43 Sie versuchen, die beiden oben aufgeführten Konditionalsätze durch einen entgegen­gesetzten, technokratischen Wenn-Satz zu widerlegen. Der lautet etwa: Wenn die Menschheit nur konsequent den technologischen Fortschritt, der bislang ihre Entwicklung trug, zur Lösung der Krise einsetzt, dann wird sie diese bewältigen.

Damit wird gegen meine These behauptet, dass es sehr wohl eine sozusagen lineare Verlängerung des Bisherigen gibt, die nicht in Richtung Katastrophe, sondern in Richtung Rettung und Verbesserung zeigt: nämlich die Verlängerung der immer steiler ansteigenden Linie des technologischen und damit auch ökonomischen Fortschritts.

Diese Denkweise hat bei ihren Vertretern den Ruf der Sachlichkeit und des Realismus, was natürlich einem hermeneutischen Zirkel entspringt: Technokratische Lösungen aller Probleme überzeugen »die meisten Ent­scheid­ungs­träger der Industriewirtschaft ... - dies entspricht ihren Erfahrungen und ihren Wertvorstellungen«44; sie passen eben in die »Orthodoxie der Wachstumsideologie«.45

wikipedia  Hermeneutik

124/125


Utopien von einer naturnahen Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum gelten als Spinnerei. Technokraten träumen dagegen von einem »künftigen Durchbruch in eine ökologisch angepasste, <superindustrielle Wirtschaft>«, in der »Energie im Überfluss da ist«. Die ökologische Anpassung besteht dann eigentlich darin, dass die »Technosphäre« sich gegenüber der »Biosphäre« unabhängig gemacht hat: eine künstliche Welt, welche die Rückmeldungen der natürlichen Welt nicht mehr fürchten muss. Mitunter ist auch, unbekümmert um die sprachlichen Assoziationen, die sich einstellen, vom »Durchbruch in die totale Technologie« die Rede.46

Damit bestätigt sich indirekt der Verdacht, dass »die Tendenz zum Totalitären zum Wesen der Maschine gehöre«.(47; Anders:Anti2)

Man könnte der optimistischen Gegen-These zu meinen Konditionalsätzen also ideologiekritisch begegnen. Ich will jedoch gerade an dieser Stelle empirisch argumentieren.

Denn die Fortschritts-Optimisten werfen den Zweiflern ja gern vor, aus ideologischen (etwa kapitalismus-kritischen) Motiven heraus für die Tatsachenebene blind zu sein. Ich behaupte jedoch, dass die Erwartung der Bewältigung unserer Krise durch technisch-ökonomischen Fortschritt den empirischen Befund keineswegs auf ihrer Seite hat, sondern selbst einer ideologischen Ausblendung der komplexeren Empirie zugunsten ihrer technokratischen Wahrnehmung der Wirklichkeit entspringt.

Der Pessimismus meines zweiten Konditionalsatzes - über die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe - beruht auf geschichtlicher Erfahrung. Von dieser her lautet der Vorwurf an den technokratischen Optimismus: Er ist geschichtsblind, weil er ein kurzes, bisher einmaliges Menschheitsexperiment so behandelt, als gäbe es die geschichtliche Erfahrung insgesamt wieder. Die Öko-Technokraten argumentieren in einem Horizont, der nicht hinter die industrielle Revolution zurückgeht, und betrachten deren Gesetze deshalb fälschlicherweise als Normalität.

Danach wären nicht nur die Wachstumsraten der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte normal und deshalb in alle Zukunft fortschreibbar, sondern mit ihnen auch das Gesetz, nach dem die technologische und ökonom­ische Entwicklung des Kapitalismus die sozialen Gegensätze auf Dauer nivelliert. Was gut hundert Jahre lang in Europa und Nordamerika funktioniert hat, wird deshalb einfach auf die Weltgesellschaft übertragen, als sei die ökonomische Angleichung der Entwicklungsländer - des größten Teils der Menschheit - eigentlich nur eine Frage der Zeit. Deren ökonomischer Anschluss soll dann gleichzeitig auch ihr Aufschließen zu den ökolog­ischen Standards des »Westens« mit sich bringen.

All das wird so selbstverständlich vorausgesetzt, als gäbe es dazu genügend empirische Parallelen, welche diese geschichtliche Logik nahelegen. Dabei ist, was in Europa und Nordamerika in 150 Jahre geschah, historisch völlig einmalig und zudem so sehr mit der globalen, insbesondere kolonialen Entwicklung verknüpft, dass sich eine einfache Wiederholung, sozusagen ein Mitnahmeeffekt in den übrigen Teilen der Welt, gar nicht nahelegt. Wo er aber doch einsetzt, löst er nicht die ökologischen Probleme, sondern zeigt der »Ersten Welt« gerade die Grenzen ihres Experiments auf: Es war ökologisch nur möglich, weil es nur eine Minderheit vollzog.

»Solange man rein ökonomisch denkt, mag man Europa für ein beliebig verallgemeinerbares Vorbild halten; aus ökologischer Sicht wird dagegen klar, dass vieles von dem europäischen Erfolgspfad ein Sonderweg war, der für andere Weltregionen zur Sackgasse wird.«48

Derzeit überträgt die westliche Welt ihr Experiment auf eine Mehrheit, die den politischen, kulturellen und sozialen Weg der Minderheit nicht gegangen ist - und sie erwartet bei Strafe des Menschheits-Untergangs sogar, dass diese schlechter vorbereitete Menschheit ihr folge, ohne solche Katastrophen zu produzieren, wie sie selbst es in den vergangenen zwei Jahrhunderten getan hat.

Die (Irr-)Rationalität dieser Erwartung ist nur mit der Frankensteins zu vergleichen, der glaubt, sein Monster müsse sich vernünftiger verhalten als er selbst.

125

#

 

 

www.detopia.de     Zitate      ^^^^ 

Taxacher 2012