Sahra Wagenknecht

Reichtum
ohne Gier

Wie wir uns vor dem
Kapitalismus retten

 

2016 im Campus-Verlag, 290 Seiten

2018 im Campus, erweitert, 313 Seiten

Sahra Wagenknecht (2016) Reichtum ohne Gier - Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten

2016

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detopia-2021:  In diesem Buch (der mittlerweile vielen Bücher der Autorin) werden detopische Grundfragen (Besitz und Eigentum) angesprochen. Das werde ich mal lesen.

 

campus  reichtum_ohne_gier-14884.html   Verlag mit Lesen bis Seite 20


2016-Inhalt-290 Seiten      2018-Inhalt-313 Seiten

Der seitenmäßige Unterschied besteht wohl hauptsächlich im Vorwort (Länge). Aber ich habe das nicht textmäßig verglichen.


telepolis.de/features/Warum-sollen-wir-uns-mit-so-einer-wirtschaftlichen-Ordnung-abfinden-3191887.html

Interview 2016 zum Buch mit Paul Schreyer


 

 

Klappentext

"Es ist Zeit, sich vom Kapitalismus abzuwenden", sagt Sahra Wagenknecht.
Denn der Kapitalismus ist längst nicht mehr so innovativ, wie er sich gibt.

Bei der Lösung der großen Zukunftsfragen - von einer klimaverträglichen
Energiewende bis zu nachhaltiger Kreislaufproduktion - kommen wir seit
Jahrzehnten kaum voran.

Für die Mehrheit wird das Leben nicht besser, sondern härter.
Es ist Zeit für eine kreative, innovative Wirtschaft mit kleinteiligen Strukturen,
mehr Wettbewerb und funktionierenden Märkten, statt eines Wirtschaftsfeudalismus,
in dem Leistung immer weniger zählt, Herkunft und Erbe dagegen immer wichtiger werden.

 

Mit ihrem Buch eröffnet Wagenknecht eine politische Diskussion über neue
Eigentumsformen
und die vergessenen Ideale der Aufklärung. Sie legt eine
scharfsinnige Analyse der bestehenden Wirtschaftsordnung vor und zeigt
Schritte in ein demokratisch gestaltetes Gemeinwesen, das niemandem mehr erlaubt,
sich zulasten anderer zu bereichern.

Inhalt  

 

Vorwort 2018  (9)

 

LEISTUNG, EIGENVERANTWORTUNG, WETTBEWERB - DIE LEBENSLÜGEN DES KAPITALISMUS

Die Schurkenwirtschaft: Ist Gier eine Tugend?  45 

Glanz und Verfall: Wie innovativ ist unsere Wirtschaft?  55

Tellerwäscher-Legenden, feudale Dynastien und die verlorene Mitte    71

  • Leistungslose Spitzeneinkommen  71

  • Über die Aussichtslosigkeit des Sparens als Weg zum Kapital  81

  • Erbliche Vorrechte: Der Kapital-Feudalismus  87

  • Aufstieg war gestern. Die »Neue Mitte« ist unten  96

Räuberbarone und Tycoons - Macht statt Wettbewerb  105

  • Industrieoligarchen: Keine Chance für Newcomer 105

  • Abgesteckte Claims: Marktmacht als Innovations- und Qualitätskiller ... 117

  • Datenkraken: Monopole im Netz  122

  • Die sichtbare Hand des Staates  140

Warum echte Unternehmer den Kapitalismus nicht brauchen  153

 

MARKTWIRTSCHAFT STATT WIRTSCHAFTSFEUDALISMUS -
- GRUNDZÜGE EINER MODERNEN WIRTSCHAFTSORDNUNG

Was macht uns reich?   165

Wie wollen wir leben?  187

Wir können anders: Gemeinwohlbanken  207

Herrscher oder Diener: Welche Finanzbranche brauchen wir?  207

Wie entsteht Geld?     218

Geld ist ein öffentliches Gut  239

Wir können anders: Gemeinwohlbanken  265

Eigentumstheorien von Aristoteles bis zum Grundgesetz  265

Eigentum ohne Haftung: Der Clou des Kapitalismus 277

Unabhängiges Wirtschaftseigentum: Innovativ, sozial, individuell  288

 

Anmerkungen   313

 

 

 

aus wikipedia-2021 zum Buch   wikipedia Buch 

 

Die Hauptaussage der ökonomischen Analyse Wagenknechts ist: Der moderne oligarchische Kapitalismus verstärkt Ungleichheit, blockiert Innovation oder monopolisiert sie. Dieser „Wirtschafts­feudalismus“ besteht darin, dass Menschen sich ein arbeitsloses Einkommen ohne Leistung für die Gesellschaft verschaffen. Sie leben vom Betriebsvermögen und damit von der Arbeit anderer oder erben wirtschaft­liches Vermögen und damit Macht über andere.

Der Kern der Macht der oberen Zehntausend und der Ursprung ihrer leistungslosen Bezüge ist die heutige Verfassung des Wirtschaftseigentums. (...) Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts konzentrieren sich in der Verfügung der reichsten 1 Prozent die wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen. Erneut arbeiten 99 Prozent der Bevölkerung zum überwiegenden Teil, direkt oder indirekt, für den Reichtum dieses neuen Geldadels.

Die Folge dieser Entwicklung ist die Schwächung der Mittelschicht und das Entstehen einer neuen Klassengesellschaft.

Die Oberschicht sitzt im Penthouse, hat die Fahrstühle außer Betrieb gesetzt und die Leitern hochgezogen. Der Rest kann froh sein, wenn er wenigstens auf seiner Etage bleiben darf.

Jenseits der bisherigen Systeme, die Markt oder Staat und Planwirtschaft und Privatwirtschaft als ausschließliche Formen des Wirtschaftsordnung darstellten, sieht sie ein neues Ordnungsmodell. Lösungen sieht sie etwa in „Gemeinwohlunternehmen“ für öffentlich wichtige Wirtschaftsbereiche und in der Regulierung des Finanzsektors durch den Staat, wobei nicht profitorientierte „Gemeinwohlbanken“ den wirtschaftlichen Finanzbedarf sichern. Dazu kommen die Personengesellschaft, deren Eigentümer mit seinem Privatvermögen haftet, und die Mitarbeitergesellschaft, die wie eine Stiftung, beispielsweise die Carl-Zeiss-Stiftung, sich selbst gehört. Besonders erschwert werde die Situation durch den globalisierten Kapitalismus, der durch demokratische Institutionen nicht mehr kontrolliert werden könne. Wagenknecht plädiert daher gegen die Auflösung der staatlichen Souveränität und damit für nationalstaatliche Konzepte und für die demokratische Kontrolle in supranationalen Organisationen. Europäisierung und Globalisierung nutze in der gegenwärtigen Situation nur den Konzernen auf Kosten der Arbeitnehmer.

Demokratie und Sozialstaat wurden aus gutem Grund im Rahmen einzelner Nationalstaaten erkämpft, und sie verschwinden mit dem Machtverlust ihrer Parlamente und Regierungen. Es existiert daher auf absehbare Zeit vor allem eine Instanz, in der echte Demokratie leben kann und für deren Re-Demokratisierung wir uns einsetzen müssen: das ist der historisch entstandene Staat mit seinen verschiedenen Ebenen.

Rezensionen

Peter Gauweiler hebt in seiner Rezension der Süddeutschen Zeitung hervor, das „wirklich gut geschriebene“ Buch der klar denkenden Ökonomin Wagenknecht bezeuge, dass sie das retten wolle, was „uns allen“ wichtig sei: Marktwirtschaft und Demokratie. Sie habe sich von Anfang an „ein Verständnis des Wertekanons der bundesrepublikanischen Gründerväter erarbeitet, das manchen geborenen BRDler erblassen lassen könnte“ und verstehe die ordoliberalen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft Erhards und Oppenheimers, die sie zu Recht in der krisenfreien positiven Anfangszeit der Bundesrepublik realisiert sehe. Erst für die ab 1990 von der „entfremdeten Finanzwirtschaft“ dominierte Wirtschaft wende sie Begriff und Bezeichnung „Kapitalismus“ an, da das Investmentbanking mittlerweile zur Gefährdung des Unternehmertums geworden sei. Die Schlussfolgerung, Eigentum neu zu denken, klinge ein wenig bedrohlich, obwohl „Mitarbeitergesellschaften“ und „Gemeinwohlgesellschaften“ gemeint seien. Beim Thema Erbschaft bestehe Diskussionsbedarf, aber auch dieser Teil sei klar und informativ und enthalte Wesentliches.[1]

Als zwiespältig, „etwas schlicht, aber nicht unzutreffend“, beurteilt Armin Pfahl-Traughber im Humanistischen Pressedienst das Werk Wagenknechts.[2] Zutreffend sei, dass der Kapitalismus nicht mehr dem Freiheits- und Leistungsprinzip der Marktwirtschaft entspreche, er sei zur Lebenslüge geworden, ihm fehle die Legitimation. Die kapitalistische Form von Ökonomie unterscheide sich von der marktwirtschaftlichen darin, „dass in ihm nicht allein mit Kapital reproduziert wird, sondern um des Kapitals willen, dass in ihm also die Erträge auf das eingesetzte Kapital das eigentliche Ziel der Produktion sind“ (S. 129f.). Wagenknechts Vorschläge zur Verbesserung und ihre populärwissenschaftlichen und moralisierenden Argumentationen seien jedoch oberflächlich. Die Alternativen blieben trotz Wagenknechts realistischer Sicht bedauerlicherweise „inhaltlich und strategisch mehr als nur diffus“.

Der damalige Chefredakteur des Neuen Deutschland, Tom Strohschneider, kritisierte, dass in der Schrift der Begriff <Ausbeutung> gar nicht erst auftaucht. Ebenso vermisse man einen Hinweis darauf, wie die Vorschläge zur Umgestaltung der eigentumsrechtlichen Setzungen politisch durchgebracht werden sollen.

Markus Günther betont in der Rezension der FAZ anerkennend, in dem klugen, ideenreichen und fundierten Buch werde im Kern die richtige Frage angesprochen: „Warum gelingt es dem angeblich so überlegenen System eines freiheitlich organisierten Kapitalismus nicht, den vorhandenen Reichtum gerechter zu verteilen und aus den enormen Produktivitätssteigerungen ein Kapital zu schlagen, das allen und nicht nur wenigen zugutekommt?“ Wagenknechts Vorschläge überraschten vor allem durch die Akzentuierung nationalstaatlicher Lösungen. In der Ablehnung der EU und der gemeinsamen Währung berühre sich die Linke Wagenknecht mit der AfD, andererseits seien ihre Vorschläge zur Reform des Finanzmarktes „klassisch links“. Anders als bei Bernie Sanders vermisst Günther bei Wagenknecht aber ein Konzept zur realpolitischen Umsetzung.[4]

Ulrich Busch kritisiert dagegen in der insgesamt „soliden Leistung“ Wagenknechts die romantische Konzeption der Gemeinschaftsbanken.

"Dieser Ansatz widerspricht der Komplexität entwickelter Volkswirtschaften und der umfangreichen Funktionen, die Banken darin zu erfüllen haben. Diese auf bestimmte <Kernaufgaben> reduzieren zu wollen, käme einer Amputation der Geldwirtschaft gleich."

Anerkennend vermerkt er jedoch Wagenknechts Ablehnung von Vollgeld und bedingungslosem Grundeinkommen. Ein Problem sieht er im theoretischen Rahmen (zwei Arten von Kapitalismus) und in der Abweichung der marktwirtschaftlichen Konzeption Wagenknechts von den kapitalismus-kritischen Prinzipien ihrer Partei.

Sebastian Puschner lobt in Der Freitag die progressive zukunftsorientierte Ausrichtung Wagenknechts, ihre unkonventionelle Anknüpfung an Christian Felber und Mariana Mazzucato, ihren kritischen Blick für die Möglichkeiten der digitalen Ökonomie. Schwierigkeiten mit ihrer Parteibasis sieht er in ihrer Betonung nationaler Lösungen.[6]

Max Otte bescheinigt dem „fundamental kritischen Werk“ der „unbeugsamen“ Parlamentarierin Unabhängigkeit und eine breite Wissensgrundlage. Das für ihn spannendste Kapitel sei „Eigentum neu Denken“, da der moderne Kapitalismus Eigentum absolut setze. Ein besonderes Problem sei bei Kapitalgesellschaft die Trennung von Haftung und Eigentum. So entstehen in der Oberschicht nicht nur leistungs-, sondern auch haftungsfreie Einkommen. Die Vorschläge Wagenknechts zur Umgestaltung des Eigentums an Unternehmen seien durchaus bedenkenswert.[7]

#

Vom kommunistischen Rand des Meinungsspektrums aus sieht Peter Schwarz von der trotzkistischen <World-Socialist-Website> Wagenknechts Darstellung als "zynische Begründung eines ethnisch homogenen Nationalstaats mit der Demokratie".

Ihr Buch lese sich "wie das Klagelied eines Kleinbürgers, der sich von der Macht des großen Kapitals erdrückt fühlt, weil er seinem eigenen sozialen Aufstieg im Weg steht“.

Ihr idyllisches Bild einer dem Allgemeinwohl dienenden Marktwirtschaft sei eine Idealisierung der stockkonservativen Adenauer-Ära. Das Verdikt über diese nur scheinbar neuen Ideen hätten schon Marx und Engels ausgesprochen.

Der kleinbürgerliche Sozialismus "zergliedere zwar „höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Produktionsverhältnissen“, wolle aber "die modernen Produktions- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mussten, gewaltsam wieder einsperren“, schrieben sie im <Kommunistischen Manifest>. Dies sei "reaktionär und utopisch zugleich“.[8] Dieses kleinbürgerliche Denken habe sich bei den Nationalsozialisten [Nazi]  als Unterscheidung des "raffenden“ und "schaffenden“ Kapitals fortgesetzt.

In Wirklichkeit gehe es Wagenknecht wie schon Lafontaine um eine Entschärfung der sozialen Spannungen, um eine soziale Revolution zu verhindern. Teile des Staatsapparats, der Gewerkschafts­bürokratie und der gehobenen Mittelschicht fürchteten eine Bedrohung ihrer gesellschaftlichen Stellung durch eine soziale Bewegung von unten weit mehr als den Aufstieg der Rechten.[9]

#

 

 wsws.org/de    <World-Socialist-Website>

   wikipedia.org/wiki/Peter_Schwarz_(Journalist,_I)

1848 Komm-Mani

 

 

 

perlentaucher ...  wagenknecht/reichtum-ohne-gier.html 

 

zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.05.2016

Markus Günther kann nur staunen, wie souverän Sahra Wagenknecht fast sämtliche Fehler des Politikerbuches vermeidet. Keine Eitelkeiten, kein Geprahle mit eigenen politischen Erfolgen, meint Günther. Stattdessen stößt er auf Sachkenntnis, analytische Schärfe, einen gut lesbaren (mutmaßlich selbst verfassten) Stil, kluge Beobachtungen und ideenreiche, fundierte Argumente, wenn es darum geht, unsere Wirtschaftsordnung zu erläutern, ökonomische Denkschulen vorzustellen und dem Leser die Verbindungen von Kapital, Waren, Arbeit und Mensch verstehbar zu machen.

Als Kompliment ordnet der Rezensent ein, dass er der Autorin mitunter gern widersprechen würde. Etwa, wenn sie Rot-Grün von 1998 die wachsende Ungerechtigkeit im Land in die Schuhe schieben möchte. Ein gelungenes Propädeutikum der deutschen Wirtschaft, das laut Günther gar nicht durchweg klassisch links argumentiert und, für den Rezensenten überraschend, nationalstaatliche Lösungen propagiert.


zu Süddeutsche Zeitung, 29.03.2016

Peter Gauweiler lobt Sahra Wagenknechts Buch über den grünen Klee. Kaum zu glauben, nicht mal für Gauweiler selbst, der mit Wagenknecht so manche Stunde im Bundestag verbracht hat. Aber so ist es: Die Autorin serviert Gauweiler ein Verständnis des bundesdeutschen Wertekanons à la Erhard, dass er mit den Ohren wackelt und seine Parteikollegen mit ihm.

Wenn Wagenknecht sodann eine entfremdete Finanzwirtschaft geißelt und sie Kapitalismus nennt, scheint das Rätsel gelöst. Doch Gauweiler entdeckt auch hier Gemeinsamkeiten und lobt den ausgezeichneten Stil der Autorin und ihre furiose Abrechnung mit dem globalen Managerkapitalismus. Einzig im letzten Kapitel, wo Wagenknecht Vorschläge zu einer "Gemeinwohlgesellschaft" unterbreitet, hat der Rezensent Einwände. Klar und informativ findet er die Lektüre allerdings durchgängig.

 

 

 

 

2016  https://www.telepolis.de/features/Warum-sollen-wir-uns-mit-so-einer-wirtschaftlichen-Ordnung-abfinden-3191887.html?view=print  2016

"Warum sollen wir uns mit so einer wirtschaftlichen Ordnung abfinden?"

28. April 2016 Paul Schreyer

Sahra Wagenknecht erklärt im Telepolis-Interview, dass Kapitalismus und Demokratie "nicht zusammenpassen".

Sie plädiert für neue Eigentumsformen bei Unternehmen

 

 

Frau Wagenknecht, Ihrem aktuellen Buch "Reichtum ohne Gier" [1] stellen Sie ein bekanntes Zitat von Albert Einstein voran: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert." Sie schlagen nun unter anderem Änderungen bei der Organisation des Eigentums an Unternehmen vor, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden. Das ist ohne Frage ein Minenfeld und rührt an den Kern der bestehenden Wirtschaftsordnung. Es gibt nicht viele Politiker, die zur Zeit so grundsätzliche Fragen aufwerfen. Die Macht der großen Banken, Konzerne und Lobbynetzwerke scheint festgefügt und unabänderlich. Was gibt Ihnen die Hoffnung, dennoch eine Debatte anstoßen zu können und vielleicht sogar politische Mehrheiten für eine solche Reform zu gewinnen?

 

Sahra Wagenknecht Der Kapitalismus hatte eine Phase, in dem er zumindest in den Industrieländern die Lebensverhältnisse der Mehrheit verbessert und breiten Wohlstand geschaffen hat. Folgerichtig war er damals ziemlich populär. Aber das ist längst vorbei. Heute ist er eigentlich nur noch eine Wirtschaftsordnung für die oberen 1 Prozent, die das Wirtschaftswachstum der letzten 20 Jahre weitgehend für sich vereinnahmen konnten. Für die große Mehrheit dagegen ist das Leben unsicherer und härter geworden: Die Mittelschicht erodiert, es gibt immer mehr Jobs, von denen man nicht leben kann, und die Angst vor Armut im Alter oder davor, durch eine Krankheit aus der Bahn geworfen zu werden, ist allgegenwärtig. Das gilt für Europa ebenso wie für die USA.
Warum sollen wir uns mit so einer wirtschaftlichen Ordnung abfinden? Zumal der Kapitalismus auch rein ökonomisch längst nicht mehr so innovativ und kreativ ist wie er sich gibt. Viele Märkte werden heute von wenigen Konzernen beherrscht, die sich hinter einem Wall von Patenten verschanzen und so vielfach Innovation blockieren, und die aufgrund ihrer Marktmacht Kunden wie Zulieferern die Konditionen diktieren können.

 

 

"Oligarchenkapitalismus ist mit Demokratie nicht vereinbar"

 

Viele Menschen haben ganz allgemein den Eindruck, die Politik sei heute mehr oder weniger hilflos gegenüber mächtigen und gut organisierten Privatinteressen. Sie selbst sitzen seit einigen Jahren im Bundestag und waren zuvor Abgeordnete im Europäischen Parlament. Für wie handlungsfähig halten Sie die gewählten Politiker in Deutschland und der EU zur Zeit?

 

Sahra Wagenknecht Der aktuelle Oligarchenkapitalismus ist mit Demokratie nicht vereinbar. Wenn sich derart viel Geld und die Verfügung über zentrale wirtschaftliche Ressourcen in so wenigen Händen konzentriert, wenn die Drohung mit Steuerflucht und Betriebsverlagerung die Politik erpressbar macht und wenn ganze Staaten von Finanzspekulanten in die Pleite getrieben werden können, dann kann keine Demokratie leben. Faktisch hat man dem heutigen Geldadel die Macht gegeben, sich die Politik zu kaufen, die seine Interessen bedient. Wer wieder in einem demokratischen Gemeinwesen leben will, muss daher auch aus diesem Grund die bestehende Wirtschaftsordnung überwinden.

 

 

Im Vorwort Ihres Buches heißt es: "Aber die Zukunft liegt im Neuen, Noch-nicht-Dagewesenen. Ideen dafür sind an ihrer Plausibilität und Überzeugungskraft zu messen, nicht daran, ob sie in Gänze schon einmal umgesetzt wurden." Das klingt, als hätten Sie das Argument satt, dass der Kommunismus doch nun mal gescheitert sei. Glauben Sie, dass unser Blickwinkel zu eng ist, wenn wir Wirtschaft nur als Kommunismus oder Kapitalismus denken können?

 

Sahra Wagenknecht Diese Alternative ist historisch überholt. Der Versuch, den Kapitalismus durch eine zentralisierte Plan- und Staatswirtschaft zu ersetzen, ist Ende des letzten Jahrhunderts gescheitert. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir uns mit den bestehenden Verhältnissen abfinden müssen. Es bedeutet lediglich, dass wir neue Ideen und Konzepte für eine attraktive Alternative brauchen, wenn wir den Kapitalismus ernsthaft herausfordern und Menschen dafür gewinnen wollen. Dafür müssen wir uns dessen bewusst werden, was genau wir überwinden wollen.

Im linken wie auch im konservativen Diskurs wird Kapitalismus gern mit Marktwirtschaft gleichgesetzt. Das ist grundfalsch. Das Wesen des Kapitalismus ist nicht, dass sich der Austausch über Märkte vermittelt, sondern dass Unternehmen bloße Anlageobjekte sind, dazu da, Kapital zu verwerten und Rendite zu erwirtschaften. Funktionierende Märkte und echter Wettbewerb stören bei der Renditemaximierung eher, und deshalb geht der Trend in Richtung zunehmender Marktbeherrschung durch wenige große Unternehmen. Zugespitzt könnte man sagen: Wir müssen nicht nur die Demokratie, sondern im Grunde auch die Marktwirtschaft vor dem Kapitalismus retten.

Märkte sind ja per se nichts Schlechtes. Es gibt Bereiche, in denen die nichts zu suchen haben, bei Grundbedürfnissen etwa wie Bildung und Gesundheit, aber in der kommerziellen Wirtschaft ist der Markt ein unerlässlicher Hebel, Unternehmen zu Innovation und Kundenorientierung zu zwingen. Aber dafür muss er funktionieren.

 

 

 

 

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