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II  Elemente des Chaos    Wallace-2019

 

  2.3  Ertrinken  

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Dass das Meer sich irgendwann zum Killer entwickelt, ist gesichert. Ohne eine Verminderung der Emissionen wird der Meeresspiegel am Ende des Jahrhunderts um mindestens 1,20 und möglicherweise um bis zu 2,50 Meter angestiegen sein.(200) Selbst bei einer radikalen Reduzierung - so umfassend, dass das Pariser Zwei-Grad-Ziel wieder ein erreichbares, wenn auch optimistisches Vorhaben darstellen würde - könnte die Erhöhung bis 2100 immer noch zwei Meter betragen.(201)

Absurderweise wiegen uns Zahlen wie diese seit einer Generation in Sicherheit - wenn wir davon ausgehen, dass das Schlimmste, was der Klimawandel bewirken kann, ein maximal mannshoher Anstieg des Meeres­spiegels ist, lehnt sich jeder, der auch nur ein Stück weit von der Küste entfernt wohnt, erst einmal entspannt zurück.

In dieser Hinsicht sind selbst pessimistische Bestsellerwerke über die globale Erwärmung Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden, weil ihr Fokus so sehr auf dem Anstieg des Meeresspiegels lag, dass die Leser für alle anderen Plagen, die die nachfolgenden Generationen bedrohen, blind wurden - Hitze, extreme Wetterlagen, Pandemien und so weiter.

Doch so »vertraut« uns der Anstieg des Meeresspiegels auch vorkommen mag, er verdient dennoch einen Platz mitten in jeder Darstellung dessen, was der Klimawandel bringen wird.

Die Tatsache, dass sich viele Menschen bereits an die Aussicht auf eine nahe Zukunft mit wesentlich ausgedehnteren Ozeanen gewöhnt haben, sollten wir als genauso entmutigend und beunruhigend empfinden, wie wenn wir uns schon mit der Unaus­weich­lichkeit eines weitreichenden Atomkrieges abgefunden hätten - denn die Verheerungen, zu denen der steigende Pegel führen wird, sind ähnlich groß.

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In seinem Buch The Water Will Come nennt der Autor Jeff Goodell nur einige der Monumente - in manchen Fällen ganze Kulturen -, die sich noch in diesem Jahrhundert in Relikte unter der Wasseroberfläche verwandeln werden, wie versunkene Schiffe: Alle Strände, an denen Sie je waren, die Firmenzentrale von Facebook, das Kennedy Space Center und der größte Marinestützpunkt der Vereinigten Staaten in Norfolk (US-Bundesstaat Virginia), die gesamten Malediven und Marshallinseln, ein Großteil von Bangladesch, einschließlich aller Mangrovenwälder, die seit Jahrtausenden dem Königstiger eine Heimat bieten, Miami Beach und weite Teile des Paradieses, das in Südflorida vor weniger als einem Jahrhundert von rabiaten Immobilienspekulanten aus Marsch, Sümpfen und Sandbänken herausgestampft wurde, der fast 1000 Jahre alte Markusdom in Venedig, Venice Beach und Santa Monica in Los Angeles, das Weiße Haus in Washington sowie Trumps Winterresidenz in Mar-a-Lago, die von Richard Nixon in Key Biscayne und das ursprüngliche »Kleine Weiße Haus« von Harry S. Truman in Key West.(202)

 en.wikipedia  Jeff_Goodell      jeffgoodellwriter.com      goog  goodell  water  come 

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Dabei ist Goodells Liste unvollständig. Wir schwelgen seit Jahrtausenden - seit Platons Zeiten - in den Legenden einer einzelnen versunkenen Kultur, Atlantis, die - falls es sie je gab - wahrscheinlich auf einem kleinen Archipel im Mittelmeer existierte und aus Tausenden, möglicherweise Zehntausenden Menschen bestand.203 Wenn wir den Emissionen keinen Einhalt gebieten, werden 2100 5 Prozent der Weltbevölkerung jedes Jahr mit Überschwemmungen zu kämpfen haben.204

Jakarta gehört zu den am schnellsten wachsenden Städten der Welt, schon heute leben dort zehn Millionen Menschen; aufgrund des steigenden Meeresspiegels und da die Stadt buchstäblich sinkt, könnte sie bereits 2050 komplett unter der Wasseroberfläche verschwunden sein.205 China evakuiert schon heute jeden Sommer Hunderttausende Menschen, um sie vor den Überschwemmungen im Delta des Perlflusses zu schützen.206

Diese Fluten würden nicht nur die Häuser derer unter sich begraben, die vor ihnen fliehen - Hunderte Millionen Klimaflüchtlinge, in einer Welt, die augenblicklich nicht einmal die Grundbedürfnisse von ein paar Millionen stillen kann -, sondern ganze Dörfer, Schulen, Einkaufszentren, Anbauflächen, Bürogebäude und Hochhäuser: lokale Strukturen, die so ausgedehnt sind, dass wir sie vor einigen Jahrhunderten noch als eigene Reiche betrachtet hätten, die jetzt aber plötzlich zu Unterwassermuseen werden, in denen ausgestellt ist, wie das Leben in der ein oder zwei Jahrhunderte andauernden Phase aussah, in der die Menschen Unmengen von Gebäuden an der Küste hochzogen, statt eine sichere Distanz zu ihr zu wahren.

Es wird Tausende, vielleicht Millionen Jahre dauern, bis so viel Quarz und Feldspat zu Sand zerfallen, dass die Strände, die wir verlieren, wiederhergestellt sind.

Ein Großteil der Infrastruktur des Internets, so eine Studie, könnte in weniger als zwei Jahrzehnten durch den Anstieg des Meeresspiegels überflutet sein, und die meisten Smartphones, mit denen wir heute darin surfen, werden in Shenzhen gebaut, einer Stadt im Delta des Perlflusses, die ebenfalls bald versinken könnte.207    wikipedia  Shenzhen

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2018 ermittelte die Union of Concerned Scientists, dass 2045 fast 311.000 Wohnhäusern in den Vereinigten Staaten die regelmäßige Überschwemmung drohen könnte - der Zeitraum bis dahin entspricht, wie die Organisation hervorhob, der Laufzeit eines Hauskredits.(208) Bis 2100 betrüge die Anzahl mehr als 2,4 Millionen Häuser im Wert von insgesamt einer Billion Dollar - sie alle ständen unter Wasser. Der Klimawandel könnte die Versicherung von Bauwerken an der Küste nicht nur unbezahlbar machen, sondern das Konzept der Versicherung gegen Naturkatastrophen an sich abschaffen; gegen Ende des Jahrhunderts könnten einige Regionen, wie eine Untersuchung ergab, von sechs unterschiedlichen durch das Klima verursachten Katastrophen gleichzeitig heimgesucht werden.

Wenn wir keine signifikanten Schritte unternehmen, um die Emissionen zu reduzieren, könnten 2100 laut einer Schätzung weltweit jährlich Schäden im Wert von 100 Billionen Dollar entstehen. Das ist mehr als das jetzige Bruttoinlandsprodukt aller Länder zusammen. Die meisten Schätzungen liegen jedoch niedriger, bei 14 Billionen Dollar pro Jahr, was immer noch fast ein Fünftel des weltweiten BIPs ist.209

Doch das Hochwasser würde am Ende des Jahrhunderts nicht plötzlich stagnieren; der Anstieg des Meeresspiegels würde über Jahrtausende weitergehen,210 bis er irgendwann, selbst wenn man vom optimistischen Zwei-Grad-Szenario ausgeht, sechs Meter erreicht hätte.211 Wie würde das aussehen? Wir würden gut 1,15 Millionen Quadratkilometer Land verlieren, auf dem heute 375 Millionen Menschen leben - ein Viertel davon in China.212

Genau genommen handelt es sich bei allen der 20 am schlimmsten betroffenen Städte um asiatische Megalopolen - darunter Shanghai, Hongkong, Mumbai und Kolkata.213 Das trübt die Aussicht auf ein asiatisch geprägtes Jahrhundert, von dem die Propheten der wettbewerbsorientierten Geopolitik so selbstverständlich ausgehen, ganz beträchtlich. Wie auch immer der Klimawandel verlaufen wird: China wird seinen Aufstieg sicherlich fortsetzen, aber dabei auch gegen die Ozeane ankämpfen - vielleicht ist das ein Grund dafür, warum das Land so sehr darauf erpicht ist, die Macht über das Südchinesische Meer zu gewinnen.

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Fast zwei Drittel der größten Städte der Erde befinden sich an der Küste - ganz zu schweigen von den dazugehörigen Kraftwerken, Häfen, Marinestützpunkten, Ackerflächen, Fischereigebieten, Flussdeltas, Mooren und Reisfeldern -, und auch diejenigen, die mehr als drei Meter über dem Meeresspiegel liegen, werden deutlich schneller und häufiger überflutet werden, wenn das Wasser derart hoch steigt. Schon heute gibt es laut dem European Academies' Science Advisory Council viermal mehr Überschwemmungen als noch 1980 und doppelt so viele wie 2004.214 Selbst wenn man von einem »mittelniedrigen« Anstieg ausgeht, könnte die Ostküste der USA »jeden zweiten Tag« ein Hochwasser erleben.215

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Bei all dem haben wir die Überschwemmungen im Landesinneren ganz außen vor gelassen - wenn Flüsse über ihre Ufer treten, weil ihr Pegel durch sintflutartige Regengüsse oder Sturmfluten, die vom Meer aus ins Inland gedrückt werden, ansteigen. Zwischen 1995 und 2015 waren weltweit 2,3 Milliarden Menschen von solchen Ereignissen betroffen, 157.000 starben.216 Selbst wenn wir die Emissionen maximal radikal reduzierten, würde die Erwärmung durch die Kohlenstoffverbindungen, die wir bereits in die Atmosphäre gepustet haben, die Regenmenge auf der Welt in einem Maße erhöhen, dass die Anzahl der Menschen, die in Südamerika von Fluss­über­schwemmungen betroffen wären, sich laut einer Untersuchung von sechs auf zwölf Millionen verdoppeln würde.217 In Afrika stiege sie von 24 auf 35 Millionen, in Asien von 70 auf 156 Millionen. Bei einer Erderwärmung um nur 1,5 Grad würden die Schäden durch Überschwemmungen trotzdem um 160 bis 240 Prozent zunehmen, bei zwei Grad läge die Zahl der Todesopfer durch die Fluten um 50 Prozent höher als heute.

In den Vereinigten Staaten ergab kürzlich ein Modell, dass die jüngsten Voraussagen der Federal Emergency Management Agency (FEMA), der nationalen Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe, in Bezug auf das Über­flutungsrisiko um den Faktor drei danebenlagen und dass mehr als 40 Millionen Amerikaner Gefahr laufen, eine Flutkatastrophe zu erleben.218

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Dabei dürfen Sie nicht vergessen: All diese Auswirkungen treten selbst bei einer radikalen Verringerung der Emissionen ein. Ohne Schutzmaßnahmen werden weite Bereiche Nordeuropas und die gesamte östliche Hälfte der USA mindestens zehnmal so vielen Überschwemmungen durchleben wie bisher. In großen Teilen von Indien, Bangladesch und Südostasien, wo katastrophale Überflutungen schon zum Alltag gehören, könnte der Faktor derselbe sein - dabei ist der Ausgangswert heute schon so hoch, dass sich dort jedes Jahr humanitäre Krisen von einem derartigen Ausmaß ereignen, dass wir gern glauben würden, sie blieben uns über Generationen im Gedächtnis.

Stattdessen vergessen wir sie sofort. 2017 kosteten die Überschwemmungen in Südasien 1200 Menschen das Leben und setzten zwei Drittel von Bangladesch unter Wasser;219 Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, schätzte, dass 41 Millionen Menschen davon betroffen waren.220

Wie bei so vielen Daten des Klimawandels fällt es uns auch bei dieser Zahl schwer, ihre Bedeutung zu erfassen, aber 41 Millionen sind achtmal so viele Menschen, wie zu Zeiten der Flutung des Schwarzen Meeres vor 7600 Jahren insgesamt auf der Erde lebten221 - und jene Überschwemmung war angeblich so dramatisch und katastrophal, dass sich daraus die Geschichte von Noah und seiner Arche entwickelte.222 Gleichzeitig mit der Überschwemmung 2017 kamen fast 700.000 Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar in Bangladesch an, von denen sich die meisten in einer einzigen Ansiedlung niederließen, die innerhalb weniger Monate mehr Einwohner hatte als Lyon, die drittgrößte Stadt Frankreichs, und kurz vor Beginn der nächsten Monsunzeit in einem Erdrutschgebiet entstand.223

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In welchem Maß wir uns an neue Küstenverläufe anpassen können, liegt hauptsächlich daran, wie schnell das Wasser steigt. In dieser Hinsicht verändern sich unsere Erkenntnisse erschreckend schnell.

Als das Pariser Abkommen formuliert wurde, waren sich die Verfasser sicher, dass der antarktische Eisschild stabil bleiben würde, selbst wenn sich die Erde um mehrere Grad erwärmt; sie gingen davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts höchstens um einen Meter steigen könnte.224 Das war im Jahr 2015. Im gleichen Jahr fand die NASA heraus, dass diese Annahme hoffnungslos vermessen war, und verkündete, dass ein Meter nicht das Maximum, sondern eher das Minimum darstelle.

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2017 vertrat die US-Behörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) die Meinung, dass ein Anstieg um zweieinhalb Meter möglich sei - weiterhin nur in diesem Jahrhundert. An der Ostküste der USA haben die Forscher bereits einen neuen Begriff geprägt, »Sonnenscheinüberschwemmung« - wenn das Hochwasser von allein, ganz ohne Einwirkung von Regenfällen, eine Stadt überflutet.225

2018 ergab eine Untersuchung, dass die Entwicklung noch schneller vonstattengeht,226 da sich die Schmelzgeschwindigkeit des antarktischen Eisschilds allein im letzten Jahrzehnt verdreifacht hat.227 Zwischen 1992 und 1997 schrumpfte der Schild jedes Jahr um durchschnittlich 49 Milliarden Tonnen Eis, zwischen 2012 und 2017 waren es 219 Milliarden.228 2016 hatte der Klimaforscher James Hansen ermittelt, dass der Meeresspiegel innerhalb von 50 Jahren um mehrere Meter ansteigen könnte, wenn sich die Eisschmelze jedes Jahrzehnt verdoppeln würde; und nun war in diesem neuen Artikel von einer Verdreifachung die Rede.229

Seit den 1950er-Jahren hat der Kontinent durch den schrumpfenden Eisschild eine Fläche von 33.500 Quadratkilometern verloren;230 Experten sagen, dass sein letztendliches Schicksal wohl davon abhängt, was wir Menschen im nächsten Jahrzehnt tun.231

Jeder Aspekt des Klimawandels ist von Unwägbarkeiten geprägt, vor allem von der Ungewissheit, wie sich die Menschen verhalten werden - welche Maßnahmen sie ergreifen, und wann, um die dramatischen Veränderungen abzuwenden, die dem Leben auf diesem Planeten ohne drastisches Eingreifen bevorstehen. Alle Voraussagen, von den gleichgültigsten bis zu den extremsten, sind von einer Schicht des Zweifels umhüllt - sie beruhen auf so vielen Schätzungen und Annahmen, dass es töricht wäre, sie wörtlich zu nehmen.

Was den Anstieg des Meeresspiegels von anderen Aspekten der Klimawandelforschung, abgesehen vielleicht von der Wolkenbildung, unterscheidet, ist die Tatsache, dass zu dieser großen Unbekannten noch eine deutlich umfangreichere wissenschaftliche Unkenntnis hinzukommt. Wenn sich Wasser erwärmt, dehnt es sich aus; so viel wissen wir.

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Aber die Auflösung des Eises stellt quasi ein neues Teilgebiet der Physik dar, weil es so etwas in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat und wir daher wenig darüber wissen.232

Dank der Beobachtungen der schnell voranschreitenden Eisschmelze in der Arktis gibt es mittlerweile Studien über die sogenannten Schädigungsprozesse des Eisschildverlusts.233 Aber unser Verständnis dieser Dynamiken, die zu den wichtigsten Triebkräften hinter dem Anstieg des Meeresspiegels zählen, ist noch nicht gut genug, um zuverlässige Aussagen darüber zu treffen, wie schnell Eisschilde schmelzen werden. Und obwohl wir mittlerweile über ein gutes Bild der Klimageschichte des Planeten verfügen, hat es doch in der gesamten untersuchten Zeit niemals eine derart rasche Erwärmung gegeben - laut einer Schätzung zehnmal schneller als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den letzten 66 Millionen Jahren.234 Der jährliche CO2-Ausstoß des durchschnittlichen Amerikaners reicht aus, um 10.000 Tonnen Eis des antarktischen Eisschilds schmelzen zu lassen - genug, um den Ozeanen 10.000 Kubikmeter Wasser hinzuzufügen. Das sind pro Minute rund 19 Liter.235

Eine Studie legt nahe, dass der Grönländische Eisschild bei einer Erderwärmung um nur 1,2 Grad einen Kipppunkt erreichen könnte.236 Diesen Wert haben wir schon fast erreicht, wir sind heute bei 1,1 Grad. Allein das Schmelzen dieses Eisschilds könnte den Meeresspiegel im Verlauf der Jahrhunderte um sechs Meter ansteigen lassen und somit Miami, Manhattan, London, Shanghai, Bangkok und Mumbai unter Wasser setzen.237 Und obwohl die Erderwärmung bis 2100 insgesamt knapp über vier Grad liegen dürfte, wenn wir so weitermachen wie bisher, könnte der Anstieg in der Arktis 13 Grad betragen, weil sich die Temperaturzunahme ungleich verteilt.

2014 erfuhren wir, dass der Westantarktische und der Grönländische Eisschild empfindlicher sind, als die Wissenschaftler gedacht hatten - der Westantarktische Eisschild hatte den Kipppunkt zum Kollaps sogar bereits überschritten; innerhalb von fünf Jahren hatte sich die Geschwindigkeit, in der das Eis schmilzt, verdoppelt.238 Das Gleiche war in Grönland geschehen, wo nun jeden Tag fast eine Milliarde Tonnen Eis verloren gehen.239

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Die beiden Schilde enthalten genug Eis, um den Meeresspiegel weltweit um drei bis sechs Meter ansteigen zu lassen - jeweils.240 2017 entdeckte man, dass auch zwei Gletscher im Ostantarktischen Schild beunruhigend schnell abschmelzen - sie verlieren jährlich 18 Milliarden Tonnen Eis - genug, um ganz New Jersey mit einer einen Meter dicken Eisschicht zu überziehen.241 Wenn beide Gletscher verschwinden, rechnen Fachleute mit einem zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegels um knapp fünf Meter. Insgesamt könnten die beiden antarktischen Eisschilde den Meeresspiegel um 60 Meter in die Höhe treiben; das würde die Küstenlinie in weiten Teilen der Welt um viele Kilometer verschieben.

Als die Erde das letzte Mal vier Grad wärmer war, so schreibt der Wissenschaftsjournalist Peter Brannen, gab es an keinem der beiden Pole Eis, und der Meeresspiegel lag 80 Meter höher. In der Arktis wuchsen Palmen. Man denkt besser erst gar nicht darüber nach, wie das Leben am Äquator wohl aussah.

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Wie für alle Aspekte des Klimas gilt auch für das Schmelzen der Eisvorkommen, dass es nicht in einem Vakuum stattfinden wird, und die Wissenschaftler sind sich noch nicht vollständig darüber im Klaren, welche Kaskaden­effekte ein solcher Kollaps auslösen wird. Ein großes Thema ist das Methan, vor allem das Methan, das freigesetzt werden könnte, wenn die Permafrostböden der Arktis auftauen, in denen bis zu 1800 Gigatonnen Kohlenstoff gespeichert sind - deutlich mehr, als augenblicklich in der Erdatmosphäre gelöst ist.242 Wenn die Böden auftauen, wird ein Teil davon als Methan in die Luft entweichen, ein Treibhausgas, das je nach Messverfahren mindestens mehrere Dutzend Mal schädlicher ist als Kohlendioxid.

Als ich begann, mich ernsthaft mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen, galt das Risiko, das Methan aus den arktischen Permafrostböden könne plötzlich freigesetzt werden, noch als recht gering - so gering, dass die meisten Wissenschaftler diese Diskussion als verantwortungslose Panikmache abtaten und offenkundig skeptische Formulierungen wie »arktische Methan-Zeitbombe« und »Todesrülpser« für diese Klimagefahr verwendeten, auf die man ihrer Meinung nach in naher Zukunft keine großen Gedanken verschwenden musste.

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Die Neuigkeiten, die uns seitdem erreicht haben, sind nicht sonderlich ermutigend: Ein Artikel in der Zeitschrift Nature berichtet, dass die Freisetzung des arktischen Methans aus den Permafrostseen durch Schübe »abrupten Auftauens«, wie es genannt wird, stark beschleunigt werden könnte - und das geschehe bereits.243 Der Methangehalt der Atmosphäre ist in den vergangenen Jahren rapide angestiegen, ohne dass die Forscher den Grund dafür ausmachen könnten;244 neue Untersuchungen legen nahe, dass die Gasmengen, die von den arktischen Seen in die Atmosphäre abgegeben werden, sich in Zukunft verdoppeln könnten.245

Es ist nicht klar, ob diese Methan-Freisetzung ein neues Phänomen ist, oder ob wir erst jetzt darauf aufmerksam geworden sind. Doch obwohl die einhellige Meinung immer noch lautet, dass eine jähe Freisetzung des Methans unwahrscheinlich ist, stellt die neue Untersuchung eine Fallstudie dafür dar, warum es sich doch lohnt, sich mit derartigen unwahrscheinlich-aber-durchaus-möglichen Klimagefahren auseinanderzusetzen und sie ernst zu nehmen.

Wenn wir es für unverantwortlich erklären, alles jenseits eines engen Korridors an Möglichkeiten zu erwägen, zu thematisieren oder einzuplanen, können selbst unspektakuläre neue Forschungsergebnisse uns auf dem falschen Fuß erwischen.

Heute sind sich alle einig, dass die Permafrostböden tatsächlich schmelzen - ihre Grenze hat sich in Kanada in den letzten 50 Jahren um 130 Kilometer nach Norden verschoben. Die jüngste Einschätzung des Weltklimarats geht davon aus, dass im Jahr 2100 37 bis 81 Prozent der Oberflächen des Permafrostbodens aufgetaut sein könnten, auch wenn die meisten Wissenschaftler immer noch davon überzeugt sind, dass der Kohlenstoff langsam entweichen wird, und hauptsächlich in Form des weniger gefährlichen Kohlendioxids.246 Aber bereits 2011 hatten die NOAA und das National Snow and Ice Data Center (NSIDC) vorausgesagt, dass der auftauende Permafrostböden die ganze Region schon in den 2020er-Jahren von einer sogenannten Kohlenstoffsenke, die Kohlenstoff speichert, in eine Kohlenstoffquelle verwandeln könnte, die das Element freisetzt.247

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Bis 2100 werde die Arktis 100 Gigatonnen Kohlenstoff freisetzen, hieß es in der Studie.248 Das entspricht der Hälfte des gesamten Kohlenstoffs, den die Menschheit seit Beginn der Industrialisierung erzeugt hat.

Dieser Rückkopplungseffekt in der Arktis bereitet vielen Klimaforschern für die nahe Zukunft keine großen Sorgen. Größere Kopfschmerzen macht ihnen zur Zeit der »Albedo-Effekt«: Eis ist weiß und wirft das Sonnenlicht daher zurück ins All, statt es zu absorbieren; je weniger Eis da ist, desto mehr Sonnenlicht wird aufgenommen, was die Erde weiter erwärmt; und das vollständige Verschwinden des Eises könnte, so schätzt der Ozeanphysiker Peter Wadhams, die Temperaturen noch einmal um das Gleiche ansteigen lassen, wie es die weltweiten Kohlenstoffemissionen in den vergangenen 25 Jahren bewirkt haben.249 In diesen letzten 25 Jahren, muss man dabei bedenken, ist etwa die Hälfte des gesamten Kohlenstoffs freigesetzt worden, den die Menschheit je erzeugt hat - eine Menge, die den Planeten aus einer quasi stabilen klimatischen Lage an den Rand des Chaos katapultiert hat.

All das sind nur Spekulationen. Aber unsere Wissenslücken in Bezug auf diese Entwicklungen - den Kollaps der Eisschilde, das Methan in der Arktis, den Albedo-Effekt - beeinträchtigen nur unsere Kenntnisse darüber, wie schnell die Veränderungen eintreten werden, nicht über ihr Ausmaß. Wir wissen, was mit den Ozeanen letztendlich passieren wird, nur nicht, wann es so weit ist.

Und wie stark wird der Anstieg des Meeresspiegels ausfallen? Der Meereschemiker David Archer ist vielleicht der Forscher, der sich am eingehendsten mit diesen Folgen der Erderwärmung beschäftigt, dem »langen Tauen«, wie er es nennt. Es könnte Jahrhunderte dauern, sagt er, sogar Jahrtausende; aber er schätzt, dass der Meeresspiegel letzten Endes schon bei einer Erwärmung um nur drei Grad um mindestens 50 Meter ansteigen wird - das heißt hundertmal mehr, als in Paris für das Jahr 2100 vorausgesagt wurde.250 Der U.S. Geological Survey beziffert das Endergebnis auf 80 Meter.

Die Welt wäre durch diese Überschwemmung zwar nicht buchstäblich bis zur Unkenntlichkeit entstellt, aber doch nicht weit davon entfernt.

Montreal stände beinahe komplett unter Wasser, ebenso London. Die Vereinigten Staaten sind ein ganz besonderer Fall: Bei einem Anstieg um nur rund 50 Meter wären mehr als 97 Prozent von Florida versunken, übrig blieben nur ein paar Hügel im Panhandle. Auch knapp 97 Prozent von Delaware wären verschwunden. Das Meer würde 80 Prozent von Louisiana bedecken, 70 Prozent von New Jersey und halb South Carolina, Rhode Island und Maryland. San Francisco und Sacramento ständen unter Wasser, ebenso wie New York, Philadelphia, Providence, Houston, Seattle und Virginia Beach, neben Dutzenden weiteren Städten. An vielen Stellen hätte sich die Küste über 150 Kilometer ins Landesinnere verschoben. Arkansas und Vermont, zwei Bundesstaaten, die heute im Landesinneren liegen, hätten dann direkten Zugang zum Meer.251

Im Rest der Welt sähe es wohl noch schlimmer aus. Manaus, die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Amazonas, läge nicht nur am, sondern sogar unter Wasser, und das gilt auch für Buenos Aires und die größte Stadt im von Land umschlossenen Paraguay, Asuncion, die momentan mehr als 800 Kilometer vom Meer entfernt ist.252

In Europa wären neben London auch Dublin, Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen und Stockholm überschwemmt, ebenso wie Riga, Helsinki und Sankt Petersburg. Istanbul stände unter Wasser, und das Schwarze Meer und das Mittelmeer bildeten eine Einheit.

In Asien müssten Küstenstädte wie Doha, Dubai, Karatschi, Kolkata und Mumbai abgeschrieben werden (um nur ein paar zu nennen), und auch dort, wo sich heute das nah an der Wüste gelegene Bagdad und das 150 Kilometer vom Meer entfernte Peking erstrecken, könnte man dann Unterwasserstädte erforschen.

Dieser Anstieg um 80 Meter stellt die Obergrenze dar - aber wir können uns relativ sicher sein, dass wir irgendwann dort landen werden. Die Treibhausgase wirken einfach über einen zu langen Zeitraum hinweg, um das Szenario zu verhindern - doch wie die menschliche Zivilisation aussehen wird, wenn das Wasser so hoch gestiegen ist, ist noch ziemlich offen. Die angsteinflößendste Variable ist sicher die Frage, wie schnell die Flut kommen wird. Vielleicht dauert es bis dahin noch 1000 Jahre, vielleicht ist es viel früher so weit. Heute leben mehr als 600 Millionen Menschen auf einer Höhe von zehn Metern über dem Meeresspiegel oder weniger.(253)

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Im Text erwähnt:

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