II. Elemente des Chaos 110 Seiten Wallace-2019 I. Kaskaden II. Elemente III. Kaleidoskop IV. Prinzip
1-Hitzetod (55) 2-Hunger (66) 3-Ertrinken (76) 4-Flächenbrand (88) 5-Naturkatastrophen, die keine mehr sind (96) 6-Süßwassermangel (105)
7-Sterbende Meere (113) 8-Verpestete Luft (119) 9-Seuchenalarm (128) 10-Wirtschaftskollaps (135) 11-Klimakonflikte (145) 12-»Systeme« (152-163)
2.1 - Hitzetod
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Menschen sind - wie alle Säugetiere - Verbrennungsmotoren. Um zu überleben, müssen sie ständig gekühlt werden, wie es Hunde durch Hecheln tun. Daher muss die Außentemperatur niedrig genug sein, dass die Luft als eine Art Kühlelement dienen kann, das der Haut Wärme entzieht, damit der Motor weiterlaufen kann. Bei einer Erderwärmung um sieben Grad wäre das in Teilen der Äquatorzone unmöglich, vor allem in den tropischen Gebieten, wo die Feuchtigkeit das Problem verstärkt.(121) Und dann ginge es ganz schnell: Nach ein paar Stunden wäre ein Mensch innerlich und äußerlich zu Tode gekocht.(122)
Bei einer Erwärmung um elf oder zwölf Grad würde mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, so wie sie heute auf der Erde verteilt ist, unmittelbar an der Hitze sterben. So heiß wird es in naher Zukunft ziemlich sicher nicht, auch wenn einige Modellrechnungen das bei unveränderten Emissionen in einigen Jahrhunderten für realistisch halten.
Doch schon bei fünf Grad mehr wäre einigen Berechnungen zufolge das Leben für Menschen in weiten Teilen der Erde buchstäblich nicht möglich.(123) Sechs Grad würden im Sommer jede Art von Arbeit im Freien im Gebiet rund um den unteren Teil des Mississippi unmöglich machen, und sämtliche östlich der Rocky Mountains lebenden Menschen würden stärker unter der Hitze leiden als heute irgendjemand irgendwo auf der Welt.(124) Die Hitzebelastung in New York wäre dann größer als gegenwärtig in Bahrain, einem der heißesten Orte der Erde, und die Temperatur in Bahrain »würde selbst bei schlafenden Menschen zu Überhitzung führen«.125
Fünf oder sechs Grad bis 2100 sind eher unwahrscheinlich. Der Weltklimarat sagt bei weiterhin stetig ansteigenden Emissionen einen durchschnittlichen Temperaturanstieg um vier Grad voraus.126 Doch auch das hätte Auswirkungen, die uns heute unvorstellbar erscheinen: Flächenbrände im Westen der USA, die 16-mal so viel Land verschlingen wie heute, und Hunderte von überfluteten Städten. In manchen Städten in Indien und im Nahen Osten, in denen aktuell Millionen Menschen wohnen, wäre es so heiß, dass es lebensgefährlich wäre, im Sommer vor die Tür zu gehen - und dazu kommt es schon deutlich früher, bei einer Erwärmung um nur zwei Grad.
Man muss sich nicht unbedingt die Worst-Case-Szenarios anschauen, um nervös zu werden.
Wenn es um die unmittelbaren Auswirkungen der Hitze geht, ist die sogenannte »Feuchtkugeltemperatur« entscheidend, eine kombinierte Methode, die so küchenlabormäßig funktioniert, wie der Begriff klingt, und auch die Luftfeuchtigkeit einbezieht: Die Temperatur wird ermittelt, indem man ein Thermometer in eine feuchte Socke steckt und es durch die Luft schwingt. Im Augenblick erreichen die meisten Regionen ein Feuchtkugelmaximum von 26 oder 27 Grad, während die rote Linie für die Bewohnbarkeit bei 35 Grad verläuft - jenseits davon kommt es zu ersten Todesfällen durch Hitze. Das lässt uns eine Lücke von acht Grad. Doch die sogenannte »Hitzebelastung« setzt deutlich früher ein.
Genau genommen ist der Punkt bereits erreicht. Seit 1980 hat die Anzahl der gefährlichen Hitzewellen auf der Erde um das Fünfzigfache zugenommen, Tendenz steigend.127 Die fünf wärmsten Sommer, die es seit 1500 in Europa gegeben hat, fanden allesamt seit 2002 statt,128 und der Weltklimarat warnt davor, dass es in Zukunft in Teilen der Erde bereits gesundheitsschädlich sein könnte, zu dieser Jahreszeit im Freien zu arbeiten.129 Selbst wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten, werden Städte wie Karatschi und Kolkata (früher: Kalkutta) jedes Jahr tödliche Hitzewellen wie die im Jahr 2015 erleben, als die Hitze in Indien und Pakistan Tausende Menschen das Leben kostete.130
Bei einer Erwärmung um vier Grad wird die tödliche Hitzewelle, die Europa 2003 heimsuchte und täglich 2000 Opfer forderte, als normaler Sommer gelten.(131) Damals handelte es sich um eines der schlimmsten Wetterereignisse in der Geschichte des Kontinents, mit 35.000 Toten, darunter 14.000 in Frankreich.
wikipedia Hochwasser_in_Mitteleuropa_2002 wikipedia Hitzewelle_in_Europa_2003 wikipedia William_Langewiesche *1955
Absurderweise überstanden die Schwachen und Gebrechlichen diese Zeit relativ gut, schrieb der Journalist William Langewiesche, da die meisten von ihnen in den Pflegeheimen und Krankenhäusern dieser wohlhabenden Länder betreut wurden.(132) Einen Großteil der Opfer machten die vergleichsweise gesunden alten Menschen aus, von denen viele von ihren Angehörigen im Stich gelassen wurden, als diese auf der Flucht vor der Hitze verreisten. Einige der Toten lagen wochenlang da und verwesten, bis ihre Familien zurückkehrten.
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Es wird schlimmer werden.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Ethan Coffel gelangte 2017 zu der Erkenntnis, dass die Anzahl der Tage, die wärmer sind als das, was bisher die wärmsten Tage des Jahres waren, im »Weiter-so«-Szenario bis 2080 um das 100-Fache ansteigen könnten - möglicherweise sogar um das 250-Fache.(133)
Coffel rechnete in der Einheit »Personentag« - einer Kombination aus der Anzahl der betroffenen Personen und der Anzahl der Tage. Der Studie zufolge gäbe es jedes Jahr zwischen 150 und 750 Millionen Personentage, an denen die Feuchtkugeltemperatur der der schwersten - das heißt ziemlich tödlichen - Hitzewellen der Gegenwart entspräche. Es käme zu jährlich einer Million Personentage, an denen eine unerträgliche Konstellation aus Hitze und Feuchtigkeit herrschen würde, in der der Mensch nicht überleben kann. Die Weltbank schätzt, dass die kühlsten Monate in den Tropenregionen Südamerikas, Afrikas und des Pazifiks Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich wärmer sein werden als die wärmsten Monate Ende des 20. Jahrhunderts.(134)
Natürlich gab es auch damals schon Hitzewellen, teils mit tödlichen Folgen: 1998 forderte der Sommer in Indien 2500 Todesopfer.135 In letzter Zeit waren die Temperaturspitzen noch höher. 2010 führte eine Hitzewelle in Russland zu 55.000 Toten, allein in Moskau starben täglich 700 Menschen.136 In der Hitzewelle, die den Nahen Osten 2016 mehrere Monate lang zum Kochen brachte, erreichten die Temperaturen im Irak im Mai 38 Grad Celsius, im Juni 43 Grad und im Juli 49 Grad. Unter 38 Grad fielen sie die meiste Zeit über nur nachts. (Ein schiitischer Geistlicher in Nadschaf erklärte laut dem Wall Street Journal, die Hitze sei auf einen elektromagnetischen Angriff der Amerikaner zurückzuführen, und einige irakische Meteorologen stimmten ihm zu.137) Im April 2018 wurde im Südosten Pakistans die wahrscheinlich höchste jemals gemessene Temperatur verzeichnet.
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In Indien erhöht jeder einzelne Tag über 35 Grad die jährliche Sterberate um 0,75 Prozent, und 2016 gab es mehrere Tage über 49 Grad - im Mai. Saudi-Arabien, wo im Sommer häufig derartige Temperaturen erreicht werden, verbraucht zu dieser Jahreszeit täglich 700.000 Barrel Öl, hauptsächlich um damit Klimaanlagen zu betreiben.138
1 Barrel = ca. 160 Liter wikipedia Barrel wikipedia William Langewiesche *1955 EthanCoffel.com
Diese helfen natürlich gegen die Hitze, aber Klimaanlagen und Ventilatoren machen bereits heute 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus.139 Man rechnet damit, dass sich dieser Wert bis 2050 verdrei- oder sogar vervierfachen wird; laut einer Schätzung werden schon bis 2030 700 Millionen Klimaanlagen hinzukommen.140 Eine weitere Untersuchung legt nahe, dass es im Jahr 2050 mehr als neun Milliarden Kühlgeräte verschiedener Art auf der Welt geben wird.141 Doch sieht man von den heruntergekühlten Einkaufszentren in den Emiraten am Persischen Golf ab, ist es nicht ansatzweise wirtschaftlich, geschweige denn ökologisch, die heißesten Regionen der Erde, die oft auch zu den ärmsten gehören, flächendeckend zu klimatisieren. Und die schlimmsten Auswirkungen der Entwicklung werden den Nahen Osten und den Persischen Golf treffen, wo 2015 Hitzeindex-Temperaturen im Bereich von knapp 73 Grad gemessen wurden. Schon in einigen Jahrzehnten wird der Hadsch für viele der zwei Millionen Muslime, die die Pilgerreise im Augenblick jährlich unternehmen, körperlich nicht mehr durchzuführen sein.142
Doch es betrifft nicht nur den Hadsch - und nicht nur Mekka. Im Zuckerrohrgebiet von El Salvador leidet ein Fünftel der Bevölkerung - und ein Viertel der Männer - an chronischer Nierenkrankheit, wahrscheinlich eine Folge der Dehydration, der sie bei der Ernte ausgesetzt sind, obwohl es noch vor zwei Jahrzehnten keine derartigen Probleme gab.143 Mit einer Dialyse, die teuer ist, haben diese Nierenkranken eine Lebenserwartung von fünf Jahren; ohne bemisst sich die verbleibende Zeit in Wochen. Doch natürlich greift die Hitzebelastung neben den Nieren auch andere Teile unseres Körpers an.
Während ich diesen Satz schreibe, beträgt die Temperatur draußen vor der Tür - Mitte Juni in der kalifornischen Wüste - 49 Grad. Das ist kein Rekordwert.
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All das haben die Kosmologen im Kopf, wenn sie davon reden, wie extrem unwahrscheinlich es sei, dass etwas so Fortschrittliches wie die menschliche Intelligenz sich in einem so lebensfeindlichen Universum wie unserem entwickelt hat: Jeder unbewohnbare Planet dort draußen erinnert uns daran, welch eine einzigartige Konstellation von Bedingungen erforderlich ist, um das klimatische Gleichgewicht zu erzeugen, in dem Leben möglich ist. Soweit wir wissen, hat sich außerhalb des engen Temperaturfensters der habitablen Zone, in der das menschliche Leben entstand, nirgendwo im Universum Leben entwickelt, und diese Zone haben wir jetzt - wahrscheinlich dauerhaft - hinter uns gelassen.
Wie viel heißer wird es noch werden?
Die Frage klingt vielleicht, als wäre sie etwas für Wissenschaftler und verlange Fachwissen, aber die Antwort hängt fast ausschließlich vom Menschen ab - und ist deshalb politisch. Die Gefahren, die vom Klimawandel ausgehen, sind schwer zu greifen; durch die Unwägbarkeiten ändern sie sich ständig. Wann wird sich die Erde um zwei Grad erwärmt haben, wann um drei? Um wie viel wird der Meeresspiegel 2030 angestiegen sein, oder 2050 oder 2100, wenn unsere Kinder den Planeten ihren Kindern und Enkeln überlassen?
Welche Städte werden überflutet, welche Wälder vertrocknen, wessen Kornfelder verdorren? Die Ungewissheit zählt zu den folgenschwersten Metanarrativen, die der Klimawandel im Verlauf der nächsten Jahrzehnte in unsere Kultur tragen wird - ein gespenstischer Mangel an Klarheit darüber, wie die Welt, in der wir leben, in nur einem oder zwei Jahrzehnten aussehen wird, wenn wir immer noch in den gleichen Häusern wohnen, weiterhin die dafür aufgenommenen Kredite abbezahlen, die gleichen Fernsehsendungen gucken und die gleichen Richter am amerikanischen Supreme Court tätig sind.
wikipedia Meistererzählung Meta-Narrativ
Doch obwohl es bei den Überlegungen, wie unser Klimasystem auf all das Kohlendioxid reagieren wird, das wir in die Atmosphäre gepustet haben, ein paar Dinge gibt, über die sich die Wissenschaft nicht im Klarem ist, ergibt sich die Ungewissheit, was passieren wird - diese unheimliche Ungewissheit -, nicht unbedingt aus der Ahnungslosigkeit der Wissenschaftler, sondern vor allem aus der unbeantworteten Frage, wie wir uns verhalten werden, also im Grunde: wie viel Kohlendioxid wir noch ausstoßen wollen, was keine Frage für die Natur-, sondern für die Geisteswissenschaften ist.
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Die Klimaforscher können bereits heute ungeheuer präzise voraussagen, wo ein Wirbelsturm auf die Küste treffen und wie stark er sein wird, und das bis zu einer Woche im Voraus, aber das liegt nicht nur daran, dass die Modelle gut sind, sondern auch daran, dass alle nötigen Daten vorliegen. Wenn es um die Erderwärmung geht, sind die Modelle ebenso gut, aber der wichtigste Faktor ist ein Mysterium: Wie werden wir uns verhalten?
Die Aussichten aufgrund der bisherigen Erfahrungswerte sind leider trübe: Seit die globale Erwärmung vor einem dreiviertel Jahrhundert als Problem ausgemacht wurde, haben wir weder an der Energieproduktion noch dem -verbrauch bedeutend etwas geändert, um der Situation Rechnung zu tragen und uns zu schützen. Über einen viel zu langen Zeitraum hinweg haben entspannte Klimabeobachter zugesehen, wie Wissenschaftler Wege zu einem stabilen Klima hin vorgezeichnet haben, und sind davon ausgegangen, dass die Welt sich entsprechend anpassen würde. Doch stattdessen hat die Welt im Grunde mehr oder weniger nichts getan - ganz so, als würden sich diese Vorschläge von selbst umsetzen. Die Kräfte des Marktes haben günstigeren und besser verfügbaren Ökostrom hervorgebracht, diese Innovationen aber auch gleich wieder verschluckt; sie haben also von ihnen profitiert und gleichzeitig die Emissionen ansteigen lassen. Die Politik hat Gesten enormer weltweiter Solidarität und Kooperation geliefert, ihre Versprechen dann aber sofort wieder verworfen.
Klimaaktivisten verkünden gern, dass wir schon heute über alle nötigen Werkzeuge verfügen, um einen katastrophalen oder auch nur einen einschneidenden Klimawandel zu verhindern. Und das stimmt. Aber der politische Wille ist keine gering zu schätzende Zutat, und es ist nicht immer genügend davon vorhanden. Schließlich hätten wir auch die nötigen Hilfsmittel, um Armut, Epidemien und Gewalt gegen Frauen auszumerzen.
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Es ist drei Jahre her, dass das gefeierte Pariser Klimaabkommen in Kraft getreten ist - das eine Erderwärmung um maximal zwei Grad als verpflichtendes Ziel festsetzt und alle Länder der Erde dazu aufruft, auf dieses Ziel hinzuarbeiten -, doch die seitdem erfolgten Entwicklungen sind entmutigend. Im Jahr 2017 stieg der CO2-Ausstoß laut der internationalen Energieagentur um 1,4 Prozent an, nach mehreren Jahren ohne klare Richtung, die Optimisten bereits als Abflachen oder Gipfelwert hatten werten wollen.(144)
Stattdessen nehmen die Emissionen also weiter zu. Schon vor dem neuen Spitzenwert hatte sich keine der Industrienationen auf dem Weg dorthin befunden, die im Vertrag von Paris festgeschriebenen Verpflichtungen umzusetzen. Dabei würde die Erfüllung dieser Zusagen die Erderwärmung nur auf 3,2 Grad beschränken; um die Temperatur um weniger als zwei Grad ansteigen zu lassen, müssten alle unterzeichnenden Nationen ihre Versprechen deutlich ausweiten. Im Augenblick haben 195 Länder den Vertrag unterschrieben, doch nur bei den folgenden sind die Paris-Ziele »in Reichweite«: Marokko, Gambia, Bhutan, Costa Rica, Äthiopien, Indien und die Philippinen.145
Das rückt Donald Trumps Beschluss, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen, ins rechte Licht - seine Trotzreaktion könnte sich letztendlich verrückterweise als produktiv erweisen, weil der Rückzug der USA aus einer Führungsrolle beim Thema Klima China auf den Plan gerufen zu haben scheint - er bietet Xi Jinping die Gelegenheit und einen Anreiz, eine aktivere Haltung in Bezug auf das Klima einzunehmen. Natürlich existieren die Verpflichtungen Chinas im Augenblick ebenfalls nur auf dem Papier; das Land hat bereits jetzt den größten ökologischen Fußabdruck der Welt, und in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 stiegen die Emissionen dort um weitere 4 Prozent.146
Die Hälfte aller Energie aus Kohlekraft wird in China erzeugt, und dabei laufen die Kraftwerke dort im Schnitt nur die halbe Zeit über - was bedeutet, dass die Leistung rasch hochgefahren werden könnte.147 Weltweit betrachtet hat sich die Energiegewinnung aus Kohle seit 2000 fast verdoppelt. Eine Analyse ergab, dass sich die Erde bis 2100 um fünf Grad erwärmen würde, wenn die Welt als Ganzes Chinas Beispiel folgen würde.148
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2018 sagten die Vereinten Nationen voraus, dass spätestens im Jahr 2040 eine Erwärmung um 1,5 Prozent erreicht sein werde, wenn die Emissionen so blieben, wie sie aktuell sind. Die Einschätzungen des amerikanischen National Climate Assessment ergaben 2017, dass wir, selbst wenn die CO2-Konzentration ab sofort stabil bliebe, mit mehr als einem weiteren Temperaturanstieg um ein halbes Grad rechnen müssten.
Deshalb ist das Zwei-Grad-Ziel wohl nur zu erreichen, wenn zur Verringerung des Kohlendioxidausstoßes auch noch sogenannte Negativemissionen hinzukommen. Das ist in zwei Formen möglich: Zum einen gibt es Technologien, die Kohlendioxid aus der Luft saugen (CCS, für carbon capture and storage = CO2-Abscheidung und -Speicherung), und zum anderen neue Ansätze in den Bereichen Forst- und Landwirtschaft, die den gleichen Effekt erzielen würden, allerdings auf etwas altmodischere Art und Weise (BECCS, Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung).
Laut einer Fülle von jüngsten Untersuchungen sind jedoch beide Formen zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum mehr als Fantasiegespinste. 2018 ermittelte der European Academies' Science Advisory Council (EASAC), dass das Potenzial der bestehenden negativen Emissionstechnologien, die Zunahme der CO2-Konzentration in der Atmosphäre auch nur abzubremsen, »begrenzt realistisch« sei - ganz zu schweigen davon, sie spürbar zu verringern.149 Im gleichen Jahr bezeichnete die Fachzeitschrift Nature alle Szenarien, die auf CCS aufbauten, als »magisches Denken«150. Und dabei sind die Vorstellungen, um die es dabei geht, nicht einmal sonderlich verlockend. Insgesamt befindet sich gar nicht so viel Kohlendioxid in der Luft, etwa 410 ppm, aber dafür sind diese Partikel überall. Um weltweit Kohlendioxid aus der Luft abzuscheiden, wären wohl groß angelegte Filteranlagen an fast allen Orten der Erde nötig - der Planet würde sich in eine Art um die Sonne kreisende Luft-Recycling-Anlage verwandeln, in einen von Maschinen bedeckten Satelliten auf seiner Bahn durch das Sonnensystem. (Das ist nicht das, was die Wirtschaftswissenschaftlerin Barbara Ward oder der Designer und Schriftsteller Richard Buckminster Fuller vor Augen hatten, als sie vom »Raumschiff Erde« sprachen.)
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Und obwohl es sicherlich Fortschritte geben wird, die die Kosten reduzieren und zu effizienteren Maschinen führen, können wir darauf nicht mehr lange warten; uns fehlt einfach die Zeit. Eine Einschätzung besagt, dass wir, um uns noch Hoffnung auf das Erreichen des Zwei-Grad-Ziels zu machen, in den nächsten 70 Jahren jeden Tag anderthalb vollwertige Abscheidungsanlagen in Betrieb nehmen müssten.(151) 2018 waren es weltweit insgesamt 18.(152)
Das ist nicht gut, aber diese Gleichgültigkeit ist leider nichts Neues, wenn es um das Thema Klima geht. Die zukünftige Erderwärmung vorauszusagen ist angesichts der vielen ungewissen Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen, ziemlicher Unsinn, aber obwohl das Best-Case-Szenario im Augenblick von einer Erwärmung zwischen 2 und 2,5 Grad bis 2100 ausgeht, scheint es so, als läge der wahrscheinlichste Verlauf, der dicke Bauch der Gauß'schen Glockenkurve, bei etwa drei Grad oder knapp darüber. Und selbst für diesen Wert wäre wohl eine bedeutende Negativemission nötig, zieht man in Betracht, dass unser CO2-Verbrauch immer noch steigt.
Außerdem besteht die Gefahr wissenschaftlicher Unwägbarkeiten, etwa die Möglichkeit, dass wir die Auswirkungen von Rückkopplungseffekten auf die natürlichen Systeme, über die wir nur wenig wissen, unterschätzen. Sollte das der Fall sein, ist es denkbar, dass die Erwärmung bis 2100 vier Grad betragen wird, trotz einer umfangreichen, wenn auch verspäteten, Verringerung der Emissionen in den kommenden Jahrzehnten.
Doch die Erfahrungen seit dem Kyoto-Protokoll zeigen, dass es aufgrund der Kurzsichtigkeit des Menschen wenig sinnvoll ist, Vorhersagen darüber zu treffen, was in Bezug auf die Emissionen und die Erwärmung geschehen wird - es ist besser, darüber zu reden, was passieren könnte. Und da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
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In der nahen Zukunft werden Städte der Hauptwohnort der Menschen sein, allerdings werden sie das Problem der hohen Temperatuen nur verschlimmern. Asphalt, Beton und alles andere, was eine Stadt verdichtet, auch menschliche Körper, absorbieren Wärme und speichern sie quasi eine Zeit lang, bevor sie sie wie eine langsam wirkende Giftpille wieder abgeben.153
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Das ist besonders kritisch, weil die nächtlichen Atempausen während einer Hitzewelle eigentlich nötig sind, damit sich der Körper erholen kann. Wenn diese Atempausen kürzer und weniger ausgeprägt sind, köchelt der Körper weiter vor sich hin. Beton und Asphalt in den Städten nehmen tagsüber so viel Hitze auf, dass es die Temperaturen bis zu zwölf Grad in die Höhe treiben kann,154 wenn sie nachts freigesetzt wird, was erträglich heiße Tage in tödliche verwandeln kann - wie es 1995 bei der Hitzewelle in Chicago der Fall war, als 739 Menschen starben und die direkten Auswirkungen der Hitze durch Mängel in der öffentlichen Gesundheitsversorgung verschärft wurden.155
Die oft zitierte Zahl spiegelt nur die unmittelbaren Todesfälle wider; fast die Hälfte der vielen tausend Menschen, die während der Hitzewelle ins Krankenhaus kamen, starben im weiteren Verlauf des Jahres. Andere erlitten bleibende Hirnschäden. Wissenschaftler nennen das den Hitzeinseleffekt - jede Stadt stellt einen in sich geschlossenen Raum dar, und je verdichteter der Raum ist, desto heißer wird es.
Dabei findet eine rasante Verstädterung statt; die Vereinten Nationen schätzen, dass 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben werden - das wären 2,5 Milliarden mehr Menschen als heute.156 Seit mehr als einem Jahrhundert scheint die Stadt für einen Großteil der Menschen ein Inbegriff der Zukunft zu sein; es entstehen immer größere Metropolen mit mehr als fünf Millionen, mehr als zehn Millionen, mehr als 20 Millionen Einwohnern. Der Klimawandel wird an dieser Entwicklung wohl nicht viel ändern, aber er wird die großen Wanderungsbewegungen gefährlicher machen, wenn viele Millionen ehrgeizige Menschen in Städte strömen, in deren Jahresverlauf eine Reihe von tödlich heißen Tagen auftreten, und sich in diesen Megalopolen wie Motten rund ums Licht tummeln.
Theoretisch könnte der Klimawandel diesen Migrationsstrom umkehren, vielleicht sogar noch stärker, als es die Kriminalität im vergangenen Jahrhundert in vielen amerikanischen Städten bewirkt hat - er könnte die urbane Bevölkerung in bestimmten Regionen der Erde aus den Städten hinaustreiben, weil die Temperaturen dort unerträglich sind.
In der Hitze schmelzen die Straßen und die Bahngleise verformen sich - das kommt heute schon vor, wird aber in den nächsten Jahrzehnten rapide zunehmen. Momentan gibt es 354 Städte, in denen die durchschnittliche Höchsttemperatur im Sommer 35 Grad oder mehr beträgt. 2050 könnte diese Liste auf 970 und die Anzahl der Menschen, die in diesen Städten wohnen und der tödlichen Hitze ausgesetzt sind, um das Achtfache auf 1,6 Milliarden angestiegen sein.157 Allein in den Vereinigten Staaten haben seit 1992 70.000 Arbeiter schwere gesundheitliche Schäden durch die Hitze erlitten,158 und man geht davon aus, dass bis 2050 255.000 Menschen an direkten Auswirkungen der Hitze sterben werden.159 Schon heute kämpfen eine Milliarde Menschen weltweit mit der Hitzebelastung, und ein Drittel der Bevölkerung ist mindestens 20 Tage im Jahr tödlichen Hitzewellen ausgesetzt.160 Bis 2100 wird aus diesem Drittel die Hälfte werden, selbst wenn wir es schaffen, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Wenn nicht, könnte der Anteil auf drei Viertel steigen.
In den USA hat der Hitzschlag einen kläglichen Ruf - meist ist nur im Ferienlager davon die Rede, neben Muskelkrämpfen beim Schwimmen. Doch der Tod durch Hitze gehört zu den grausamsten Strafen für den menschlichen Körper und sorgt für ähnliche Schmerzen und Orientierungslosigkeit wie eine Unterkühlung.161 Zuerst kommt es zur »Hitzeerschöpfung«, die größtenteils auf Dehydrierung zurückgeht: Schweißausbrüche, Übelkeit, Kopfschmerzen. Ab einem gewissen Punkt hilft Wasser nicht mehr - die Körperkerntemperatur steigt, weil der Körper Blut nach außen Richtung Haut leitet, in der verzweifelten Hoffnung, sie abzukühlen. Das führt oft zu Hautrötungen, die inneren Organe beginnen zu versagen. Irgendwann hört man auf zu schwitzen. Auch das Gehirn arbeitet nicht mehr zuverlässig, und manchmal endet der Verlauf nach einer unruhigen, aggressiven Phase mit einem tödlichen Herzinfarkt. »Bei extremer Hitze«, schreibt William Langewiesche, »kann man den Umständen genauso wenig entkommen, wie man sich seiner Haut entledigen kann.«
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wikipedia William Langewiesche *1955