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Elemente des Chaos 

  2.10-  Wirtschaftskollaps  

 

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Das ewig beschworene Mantra der Weltmärkte - das zwischen dem Ende des Kalten Krieges und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 2007 alles dominierte und eine Art ewige Herrschaft versprach - ist das Wirtschafts­wachstum, das uns vor allem retten und bewahren wird.

Doch seit dem großen Einbruch im Jahr 2008 glauben einige Historiker und ketzerische Wirtschaftswissenschaftler, die das untersuchen, was sie »fossilen Kapitalismus« nennen, dass die gesamte Geschichte des schnellen Wirtschaftswachstums, das im 18. Jahrhundert recht unvermittelt einsetzte, nicht auf Innovationen oder die Kräfte des freien Handels zurückzuführen sei, sondern einzig darauf, dass wir uns die fossilen Brennstoffe und ihr enormes Potenzial erschlossen haben. Das habe dem System, das zuvor immer vom Leben am Existenzminimum geprägt war, eine einmalige Energiespritze verpasst.

Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist diese Ansicht wenig verbreitet, doch ihre wichtigsten Punkte sind dennoch ziemlich überzeugend. Vor der Entdeckung der fossilen Brennstoffe führte niemand ein besseres Leben als seine Eltern oder Großeltern oder die Vorfahren 500 Jahre zuvor, außer direkt nach einer großen Epidemie wie der Pest, wenn die glücklichen Überlebenden sich an den Ressourcen gütlich tun konnten, die durch die vielen Toten frei geworden waren.

Insbesondere im Westen glauben wir, uns einen Weg aus diesem mühsamen Nullsummenspiel, dem ewigen Hauen und Stechen um die Ressourcen gebahnt zu haben - sowohl durch bestimmte technische Erfindungen wie die Dampfmaschine und den Computer als auch durch die Entwicklung eines dynamischen kapitalistischen Systems, das solche Errungenschaften belohnt.

Doch das sehen Wissenschaftler wie Andreas Malm anders: Er meint, wir hätten uns nur durch eine einzige Innovation aus dem Sumpf herausgezogen, und die entstand nicht durch die Hände findiger Unternehmer, sondern schon Millionen Jahre, bevor die ersten Menschen überhaupt in der Erde wühlten - mithilfe der Zeit und dem Gewicht der Erde, das die Fossilien früherer kohlenstoffbasierter Lebensformen (Pflanzen, kleine Tiere) schon vor vielen Jahrtausenden zu Öl presste, wie wenn man eine Zitrone ausdrückt. Das Öl ist das Erbe der vormenschlichen Vergangenheit des Planeten: der Energiespeicher, den die Erde anlegen kann, wenn sie Jahrtausende lang ungestört bleibt. Sobald die Menschen diesen Speicher entdeckt hatten, fingen sie an, ihn zu plündern - so schnell, dass es im letzten halben Jahrhundert mehrmals zu panischen Vorhersagen kam, der Rohstoff könne ausgehen. 1968 schrieb der Historiker Eric Hobsbawm, der sich mit der Geschichte der Arbeit befasste: »Wer industrielle Revolution sagt, meint Baumwolle.« Heute würde er »Baumwolle« wohl durch »fossile Brennstoffe« ersetzen.479

Der Verlauf des Wachstums deckt sich quasi perfekt mit der Verbrennung dieser Energieträger, obwohl dogmatische Wirtschaftswissenschaftler wahrscheinlich einwenden würden, dass in die Wachs­tums­gleichung deutlich mehr Faktoren einfließen.

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Da die Zeitspanne einer Generation so lang und unser Gedächtnis so kurz ist, haben die wenigen Jahrhunderte, in denen der Westen einen relativ zuverlässigen und steigenden Wohlstand erlebt hat, dem Wirtschaftswachstum die beruhigende Aura eines Dauerzustands verliehen: Wir rechnen fest damit, zumindest auf einigen Kontinenten, und zürnen unseren Regierungen und Eliten, wenn es ausbleibt. Aber die Erdgeschichte ist sehr lang, und das gilt - in geringerem Ausmaß - auch für die Menschheitsgeschichte. Und obwohl das Tempo des technologischen Wandels, wie wir den Fortschritt heute nennen, schwindelerregend ist und er durchaus noch neue Möglichkeiten hervorbringen könnte, um die Schläge durch den Klimawandel abzufedern, fällt es uns trotzdem nicht sonderlich schwer, die reichen Jahrhunderte, die jene Länder erleben, die sich den Rest der Erde gefügig gemacht haben, um ihren Wohlstand zu erwirken, als Abweichung von der Norm zu begreifen. Auch frühere Imperien erlebten Blütezeiten.

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Sie müssen gar nicht glauben, dass Wirtschaftswachstum ein durch fossile Rauchschwaden erzeugtes Trugbild ist, um zu befürchten, dass der Klimawandel es bedrohen könnte - diese Annahme bildet sogar den Eckpfeiler, um den herum im vergangenen Jahrzehnt ein ganzes Gebäude von Fachliteratur erbaut wurde. Die interessanteste Untersuchung zum Einfluss der Erderwärmung auf die Wirtschaft haben Solomon Hsiang, Marshall Burke und Edward Miguel durchgeführt, die keine Historiker des fossilen Kapitalismus sind, aber zu einem ganz eigenen düsteren Schluss kommen: In einem Land, in dem die Temperaturen bereits jetzt recht hoch sind, lässt jeder Grad Erderwärmung das Wachstum um einen Prozentpunkt zurückgehen (ein gewaltiger Wert, zieht man in Betracht, dass wir Wachstum im Bereich weniger Zehntel bereits als »kräftig« bezeichnen).480 Die Analyse der drei Wissenschaftler ist herausragend. Sie gehen davon aus, dass das Pro-Kopf-Einkommen weltweit im Vergleich zu einer Entwicklung ohne Klimawandel bis zum Ende des Jahrhunderts um 23 Prozent einbrechen wird.481

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Die Wahrscheinlichkeitswerte sind noch beunruhigender. Laut der Studie beläuft sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Klimawandel die weltweite Wirtschaftsleistung im Vergleich zu einer Welt ohne Erderwärmung bis 2100 um mehr als 20 Prozent schrumpfen lässt, auf 51 Prozent, und die Wahrscheinlichkeit, dass das Pro-Kopf-BIP bis dahin um 50 Prozent oder mehr sinkt, wenn wir die Emissionen nicht reduzieren, auf 12 Prozent.482 Zum Vergleich: Während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren büßte das weltweite BIP Schätzungen zufolge 15 Prozent ein - mit schlimmen Folgen. In der Krise Ende der 2000er-Jahre gab es einen abrupten, einmaligen Einbruch um 2 Prozent; und nun stehen die Chancen laut Hsiang und seine Kollegen bei eins zu acht, dass bis 2100 ein fortdauernder und unwiederbringlicher Verlust droht, der 25-mal heftiger ist. 2018 legte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern rund um Thomas Stoerk nahe, dass diese Schätzungen viel zu niedrig angesetzt sein könnten.483

Das Ausmaß eines derartigen wirtschaftlichen Zusammenbruchs ist kaum zu fassen. Selbst in den postindustriellen Nationen des reichen Westens, in denen Konjunkturzahlen wie die Arbeitslosenquote und das BIP so eingehend diskutiert werden, als enthielten sie den Sinn des Lebens, sind Zahlen wie diese schwer zu begreifen; wir haben uns so sehr an wirtschaftliche Stabilität und zuverlässiges Wachstum gewöhnt, dass alles außerhalb einer Spanne zwischen Verlusten um 15 Prozent - wie in der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre, mit deren Auswirkungen sich die Historiker heute noch beschäftigen - und einem Anstieg um etwa die Hälfte, rund 7 Prozent, das die Welt zum letzten Mal in der Boomphase Anfang der 1960er-Jahre erreichte, unvorstellbar ist.484

Dabei handelte es sich allerdings um einmalige Hoch- und Tiefphasen, die sich über wenige Jahre erstreckten. Die meiste Zeit über messen wir die Schwankungen der wirtschaftlichen Entwicklung in Nachkommastellen - 2,9 Prozent dieses Jahr, 2,7 Prozent in jenem. Der Klimawandel könnte einen Rückschlag einer ganz neuen Dimension bedeuten. Der Blick auf die einzelnen Länder ist vielleicht noch beunruhigender.

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Es gibt Länder, die von den Entwicklungen profitieren könnten, hauptsächlich im Norden, wo die wärmeren Temperaturen sich positiv auf die Landwirtschaft und die Produktivität auswirken: Kanada, Russland, Skandinavien, Grönland.485 Doch die Länder in den mittleren Breiten, die einen Großteil der Weltwirtschaftsleistung hervorbringen - die USA, China - büßen fast die Hälfte ihrer Konjunktur ein. In der Nähe des Äquators ist die Erwärmung noch extremer; in Afrika, in der Zone zwischen Mexiko und Brasilien sowie in Indien und Südostasien könnten die Verluste gegen 100 Prozent gehen. Indien allein würde laut einer Untersuchung fast ein Viertel des Konjunkturrückgangs schultern müssen, den der Klimawandel auslöst.486 In einer Einschätzung der Weltbank hieß es 2018, dass eine weitere Entwicklung des CO2-Ausstoßes wie bisher die Lebens­umstände von 800 Millionen Menschen in Südasien beträchtlich verschlechtern würde.(487) 100 Millionen würden demnach schon im kommenden Jahrzehnt durch den Klimawandel in extreme Armut gestürzt.488 Vielleicht sollte es eher »in die extreme Armut zurückkehren« heißen, denn viele derer, die von diesen Entwicklungen am meisten bedroht werden, sind diejenigen, die den Entbehrungen eines Daseins am Existenz­minimum gerade erst entkommen sind, durch ein Wachstum, das von der Industrialisierung und den fossilen Brennstoffen befeuert wird.

Und es wartet leider kein neuer New Deal um die Ecke; wir haben keinen weiteren Marshall-Plan parat, um die Auswirkungen abzufedern oder aufzuschieben. Die weltweite Halbierung der wirtschaftlichen Mittel wäre dauerhaft, und genau deshalb würden wir sie bald nicht einmal mehr als Verlust, sondern als ungemein grausame Normalität wahrnehmen, gegen die sich kleine Ausreißer mit zehntelprozentigem Wachstum als Anflug eines neuen Wohlstands abzeichnen würden. Wir haben uns auf unserem unsteten Gang durch die Wirtschaftsgeschichte an Rückschläge gewöhnt, aber wir betrachten sie eben auch nur als solche, als Rückschläge, und erwarten eine baldige Erholung. Was der Klimawandel für uns bereithält, ist etwas ganz anderes - keine große Krise oder Rezession, sondern, ökonomisch betrachtet, das große Dahinsiechen.

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Wie kann es so weit kommen? Die Antwort findet sich zum Teil in den vorausgegangenen Kapiteln - Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Seuchen. All diese Ereignisse sind nicht nur Tragödien, sondern dazu auch teuer, und sie treten bereits heute so gehäuft auf wie noch nie. Da sind zum Beispiel die Auswirkungen auf die Landwirtschaft: Mehr als drei Millionen Amerikaner arbeiten auf mehr als zwei Millionen Höfen; wenn die Erträge um 40 Prozent zurückgehen, werden auch die Gewinne einbrechen und in vielen Fällen ganz verschwinden. Dann könnten die kleinen Höfe, die Kooperativen und sogar die großen Agrarriesen untergehen (um ein eigentümlich passendes Bild zu verwenden), sodass all diejenigen, die diese vertrockneten Felder besitzen oder bewirtschaften - viele von ihnen alt genug, um sich noch an die Jahre der Fülle zu erinnern -, in Schulden ertrinken.

Und darüber hinaus gibt es ja noch die echten Flutwellen: 2,4 Millionen Häuser und Geschäfte, die heute mehr als eine Billiarde Dollar wert sind, könnten in den USA laut einer Studie der Union of Concerned Scientists aus dem Jahr 2018 bis 2100 von chronischen Überschwemmungen betroffen sein.(489) 14 Prozent der Immobilien in Miami Beach könnten schon 2045 unter Wasser stehen. Und das ist nur die Lage in den USA, wenn auch nicht nur in Südflorida: Allein in New Jersey werden in den kommenden Jahrzehnten Immobilien im Wert von 30 Milliarden Dollar betroffen sein.490

Die Hitze wirkt sich genauso unmittelbar auf das Wirtschaftswachstum aus wie auf die Gesundheit. Einige der Folgen sehen wir bereits heute - wenn sich beispielsweise Bahnschienen verziehen oder Flugzeuge am Boden bleiben müssen, weil die Temperaturen so hoch sind, dass sie die Luftströmungen beeinträchtigen, die die Maschinen zum Abheben brauchen, was auf Flughäfen, die starker Hitze ausgesetzt sind, etwa in Phoenix, regelmäßig vorkommt.491 (Bedenken Sie dabei: Durch jeden Flug von New York nach London und zurück gehen in der Arktis drei weitere Quadratmeter Eis verloren.492) Von der Schweiz bis nach Finnland sind aufgrund von Hitzewellen bereits Kraftwerke abgeschaltet worden, weil die Kühlflüssigkeit zu heiß war, um ihre Funktion zu erfüllen.493 Und in Indien fiel 2012 bei 670 Millionen Menschen der Strom aus, weil das Netz überlastet war, als alle Bauern in der Monsunsaison ihre Felder bewässern mussten, weil der Regen einfach ausblieb.494

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Von den glänzendsten Projekten in den wohlhabendsten Teilen der Welt einmal abgesehen, ist die Infrastruktur der Erde einfach nicht darauf ausgelegt, dem Klimawandel zu widerstehen, was bedeutet, dass sich an allen Ecken und Enden Schwachstellen finden.

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Es gibt auch andere, weniger offensichtliche Auswirkungen. Sie betreffen beispielsweise die Produktivität. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Wirtschaftswissenschaftler stets gewundert, warum die Revolution durch Computer und das Internet der industrialisierten Welt keine beträchtlichen Produktivitätsgewinne eingebracht hat. Tabellenkalkulation, Datenverwaltungssoftware, E-Mail - allein diese Innovationen schienen einen gewaltigen Effizienzschub für jede Firma und jede Volkswirtschaft zu versprechen, die sie einführte. Aber diese Vorteile haben sich einfach nicht eingestellt, im Gegenteil: Die Wirtschaftsperiode, in der diesen Technologien gemeinsam mit Tausenden ähnlichen computerbasierten Hilfsmitteln eingeführt wurden, ist vor allem im industrialisierten Westen von einer Stagnation der Löhne und der Produktivität sowie einem Dämpfer des Wirtschaftswachstums gekennzeichnet. Eine mögliche Erklärung: Die Computer haben uns effizienter und produktiver gemacht, doch gleichzeitig hat das Klima den gegenteiligen Effekt, was die Vorteile durch die Technologien gleich wieder reduziert oder zunichtegemacht hat. Wie könnte das sein? Eine Theorie, die zunehmend von Studien gestützt wird, verweist auf die negativen Auswirkungen der Hitze und der Luft­verschmutzung auf die kognitiven Leistungen.

Und ungeachtet dessen, ob diese Theorie den großen Stillstand der letzten Jahrzehnte erklären kann oder nicht - wir wissen auf jeden Fall, dass höhere Temperaturen weltweit die Produktivität der Arbeiter verringern. Diese Behauptung klingt zunächst einmal gleichzeitig weit hergeholt und logisch, denn einerseits ist es schwer vorstellbar, dass ein kleines bisschen mehr Wärme ganze Volkswirtschaften in Zombiemärkte verwandeln könnte, während Sie selbst andererseits sicherlich auch schon einmal an einem heißen Tag ohne Klimaanlage haben schuften müssen.

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Der Blick aufs große Ganze ist - zumindest anfangs - möglicherweise noch schwerer nachzuvollziehen: Es mag nach geografischem Determinismus klingen, aber Hsiang, Burke und Miguel haben eine optimale Jahres­durch­schnittstemperatur für wirtschaftliche Produktivität ermittelt: 13 Grad Celsius, was zufälligerweise exakt dem historischen Mittelwert der USA und einiger weiterer der weltgrößten Volkswirtschaften entspricht.495 Heute ist dieser Wert in den Vereinigten Staaten auf 13,4 Grad angestiegen, was einen Rückgang von weniger als einem Prozent des BIPs erzeugt - doch wie bei Zinseszinsen wächst der Verlust mit der Zeit an. Natürlich ist die Temperatur mit dieser allgemeinen Erwärmung in einigen Regionen auch von suboptimalen Werten hin zu idealen klimatischen Bedingungen gestiegen. In der Bay Area rund um San Francisco beträgt die Durch­schnitts­temperatur heute beispielsweise ziemlich exakt 13 Grad.

Das ist damit gemeint, wenn es heißt, der Klimawandel sei eine umfassende Krise, die jeden Aspekt unseres Lebens hier auf der Erde berührt. Doch das Leid der Welt wird sich genauso ungleich verteilen wie die Gewinne, mit großen Unterschieden sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb ihrer Grenzen. Länder, in denen es bereits heute heiß ist, wie Indien und Pakistan, werden am meisten beeinträchtigt sein, während Russland und Kanada relativ betrachtet eher zu den Nutznießern zählen.496 Innerhalb der USA werden sich die Kosten größtenteils auf den Süden und den Mittleren Westen konzentrieren, wo einige Regionen bis zu 20 Prozent ihrer Einkünfte verlieren könnten.497

Insgesamt sind die Vereinigten Staaten trotz aller Schäden, die der Klimawandel dort anrichten wird, eher gut aufgestellt - ihr Wohlstand und die geografischen Gegebenheiten sind die Gründe dafür, warum sich die Auswirkungen des Klimawandels, die wärmere und ärmere Teile der Welt schon länger plagen, erst jetzt im Land bemerkbar machen. Doch auch weil die USA so viel zu verlieren haben, sind sie anfälliger für die Klima­ver­änd­erungen als jedes andere Land auf der Erde bis auf Indien, und die wirtschaftlichen Folgen werden nicht an der Grenze haltmachen.

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In unserer globalisierten Welt gibt es das, was Zhengtao Zhang und andere Geoinformatiker einen »wirtschaftlichen Dominoeffekt« nennen.498 Sie haben ihn in Zahlen gefasst und festgestellt, dass die Auswirkungen parallel zur Temperatur auf der Erde zunehmen. Wenn das amerikanische BIP bei einer Erwärmung um ein Grad Celsius um 0,88 Prozent sinkt, würde das weltweit einen Rückgang um 0,12 Prozent auslösen, weil die amerikanischen Verluste sich rund um den Globus auswirken würden. Bei zwei Grad verdreifacht sich dieser Effekt, auch wenn sich die Auswirkungen in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich bemerkbar machen: Im Vergleich zu den amerikanischen Verlusten bei einem Grad Erderwärmung wäre der Dominoeffekt bei einem Temperaturanstieg um zwei Grad in China 4,5-mal so heftig. Die Entwicklungen in anderen Ländern strahlen weniger stark auf ihre Umwelt aus, weil ihre Volkswirtschaften kleiner sind, aber trotzdem werden solche Wellen von fast allen Ländern der Welt ausgehen, wie Funksignale aus einem sich über die ganze Welt erstreckenden Funkmastenwald, und jede bringt wirtschaftliche Einbußen mit sich.

Wir in den Ländern im reichen Westen haben uns wohl oder übel auf das Wirtschaftswachstum als beste Maßeinheit für das Wohlergehen unserer Gesellschaft festgelegt, so unvollkommen diese Lösung auch sein mag. Natürlich macht sich der Klimawandel bemerkbar - die Waldbrände, Dürren und Hungersnöte erzeugen Erschütterungen. Die Kosten sind jetzt schon astronomisch, einzelne Hurrikans verursachen Schäden in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar. Sollte sich die Erde um 3,7 Grad erwärmen, könnten sich die Kosten laut einer Untersuchung auf 551 Billionen belaufen - das ist fast das Doppelte des weltweiten Vermögens heute. Und wir bewegen uns auf eine noch höhere Temperatur zu.

In den vergangenen Jahrzehnten herrschte politische Einigkeit darüber, dass die Welt Maßnahmen gegen den Klimawandel nur hinnehmen würde, wenn sie kostenlos wären - oder, besser noch, wenn sie sich als wirtschaftliche Chancen darböten.

Diese Marktlogik war wahrscheinlich immer schon kurzsichtig, doch in den letzten Jahren, in denen die Kosten der Anpassung in Form von Ökostrom massiv gesunken sind, ist diese Gleichung komplett auf den Kopf gestellt worden: Wir wissen jetzt, dass es viel, viel teurer sein wird, nicht auf den Klimawandel zu reagieren, als selbst die offensivsten Maßnahmen zu ergreifen. Wer den Preis einer Aktie oder eines Wert­papiers nicht für ein unüberwindbares Hindernis hält, das den Weg zur Rendite versperrt, die man bekommen würde, wird wohl auch die Anpassungen an den Klimawandel nicht für teuer halten. 2018 ergab eine Untersuchung, dass die weltweiten Kosten einer schnellen Energiewende bis 2030 sich auf minus 26 Billionen Dollar belaufen würden - mit anderen Worten: Der Umbau der Energieinfrastruktur der Welt würde uns im Vergleich zu einem statischen System in nur einem Dutzend Jahren sehr viel Geld einbringen.499

Jeder Tag, an dem wir nicht handeln, erzeugt neue Kosten, und sie häufen sich schnell an. Die 50 Prozent, die Hsiang, Burke und Miguel ermittelt haben, bilden das obere Ende dessen, was möglich ist - es handelt sich wirklich um ein Worst-Case-Szenario für das Wirtschaftswachstum im Zeichen des Klimawandels. Doch 2018 veröffentlichten Burke und ein paar weitere Kollegen einen wichtigen Aufsatz, in dem sie einige Entwicklungen untersuchten, die unserer momentanen Situation etwas näher sind.500 Darunter war ein plausibles, aber immer noch ziemlich optimistisches Szenario, in dem die Welt die Vereinbarungen des Pariser Klima­abkommens einhält und die Erderwärmung auf einen Wert zwischen 2,5 und 3 Grad beschränkt. Das ist vermutlich ungefähr das Beste, was wir realistisch erwarten können; und in diesem Fall, so Burke und seine Kollegen, würde die Wirtschaftsleistung pro Kopf bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zu einer Welt ohne weiteren Temperaturanstieg zwischen 15 und 20 Prozent zurückgehen. Eine Erderwärmung um vier Grad, was am unteren Ende dessen liegt, auf das wir zusteuern, wenn sich unsere Emissionen so weiterentwickeln wie bisher, würde einen Einbruch von 30 Prozent oder mehr erzeugen.

Das wäre eine doppelt so starke Talfahrt wie diejenige, die in den 1930er-Jahren so tiefe Wunden schlug und die damals aufbrandende Welle des Faschismus, des Autoritarismus und des Genozids begünstigte. Allerdings kann man eigentlich nur dann von einem Tal sprechen, wenn man es wieder hinausgeschafft hat und hinterher erleichtert von einem Gipfel darauf hinabschaut. Doch aus dem Klimatief könnte es keinen Ausweg mehr geben, und obwohl es, wie bei jeder Krise, einzelne Menschen geben wird, die eine Möglichkeit finden, davon zu profitieren, könnten die Erfahrungen der allermeisten eher denen von Minenarbeitern gleichen, die dauerhaft in der Tiefe eines Stollens gefangen sind.

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