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II. - Elemente des Chaos  

  2.11  Klimakonflikte  

 

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Klimaforscher sind sehr vorsichtig, wenn es um Syrien geht. Sie pochen stets darauf, dass der Klimawandel zwar zu einer Dürre geführt hat, die zum dortigen Bürgerkrieg beitrug, es aber nicht ganz richtig sei, zu behaupten, der Konflikt an sich sei eine Folge der Erderwärmung. Das Nachbarland Libanon beispielsweise erlitt die gleichen Ernteverluste und blieb trotzdem stabil.

In dieser Hinsicht gilt für Kriege das Gleiche wie für Hurrikans: Sie werden nicht direkt durch den Klimawandel ausgelöst, sie werden durch ihn nur wahrscheinlicher - was aber unter dem Strich auf das Gleiche hinaus­läuft. Wenn der Klimawandel einen Konflikt in einem bestimmten Land nur 3 Prozent wahrscheinlicher macht, ist das noch lange nicht zu vernachlässigen: Es gibt ein paar Hundert Länder auf der Welt, was die Wahrschein­lichkeit vervielfacht und bedeutet, dass der Temperaturanstieg drei, vier oder sechs neue Kriege herbeiführen könnte. In den vergangenen zehn Jahren ist es Wissenschaftlern sogar gelungen, einige wenig offensichtliche Zusammenhänge zwischen Temperatur und Gewalt zu beziffern: Für jedes halbe Grad Erwärmung, heißt es, steigt die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts um 10 bis 20 Prozent.(501)

In der Klimaforschung ist nichts jemals simpel, aber diese Rechnung ist Furcht einflößend: Auf einer vier Grad wärmeren Erde würde es vielleicht doppelt so viele Kriege geben wie heute. Wahrscheinlich sogar noch mehr.

Wie bei fast allen Aspekten des Klimachaos gilt auch hier: Die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen wird uns nicht vor Blutvergießen bewahren, weit davon entfernt: Selbst wenn wir es erstaunlicherweise und gegen alle Wahrscheinlichkeit irgendwie schaffen, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, würde es diesen Berechnungen zufolge dennoch mindestens 40 Prozent und vielleicht sogar 80 Prozent mehr Kriege geben.

So sieht also das beste Szenario aus - mindestens anderthalbmal so viele Konflikte, wie wir sie heute erleben, obwohl die Bilder in den Abendnachrichten schon jetzt wenige zu der Aussage bewegen, wir lebten in friedlichen Zeiten. Bereits heute hat der Klimawandel das Konfliktrisiko in Afrika um mehr als 10 Prozent in die Höhe getrieben; man geht davon aus, dass der erwartete Temperaturanstieg dort schon 2030 393.000 zusätzliche Opfer bewaffneter Auseinandersetzungen gefordert haben wird.502

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»Krieg« - das Wort fühlt sich wie ein Relikt aus alten Zeiten an, wenn man darüber stolpert. Im wohlhabenden Westen tun wir mittlerweile so, als wäre Krieg im modernen Leben ein Fremdwort, da er genauso vollständig aus unserem Leben verschwunden zu sein scheint wie die Kinderlähmung. Doch weltweit gibt es aktuell 19 bewaffnete Konflikte, die so gewalttätig sind, dass sie jährlich mindestens 1000 Todesopfer fordern. Neun davon brachen in der Zeit nach 2010 aus, und es gibt noch viele weitere mit weniger heftigen Auswirkungen.

Die Tatsache, dass all diese Zahlen den Erwartungen zufolge in den kommenden Jahrzehnten nach oben schießen werden, ist ein Grund dafür, dass das US-Militär, wie fast jeder Klimaforscher, mit dem ich gesprochen habe, unterstrich, vom Klimawandel geradezu besessen ist. Das Verteidigungsministerium gibt regelmäßig Einschätzungen der Bedrohungen durch die Klimaveränderungen heraus und erstellt Pläne für eine neue Ära voller durch die Erderwärmung bestimmter Konflikte. (Das gilt auch noch in der Regierungszeit Donald Trumps, in der untergeordnete Behörden wie das Government Accountability Office - der Rechnungshof der USA - ebenfalls düstere Warnungen in Bezug auf den Klimawandel ausgeben.)

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Allein schon dass die amerikanischen Marinestützpunkte im Meer versinken, erzeugt genügend Probleme, und das Schmelzen der Arktis verheißt einen ganz neuen Reigen von Konflikten, die einst ebenso unvorstellbar erschienen wie das Rennen zum Mond.503 (Außerdem erweckt es die alte Rivalität zwischen den USA und Russland wieder zum Leben, die sich nun erneut als Gegner gegenüberstehen.)

Strategisch betrachtet kann man auch die aggressiven Bautätigkeiten der Chinesen im Südchinesischen Meer, wo künstliche Inseln zu militärischen Zwecken im Meer errichtet werden, als eine Art Trocken­übung für ein Leben als Supermacht in einer überschwemmten Welt verstehen.

Die taktischen Möglichkeiten sind klar - viele der bestehenden Stellungen, wie die niedrig liegenden Inseln, die die Vereinigten Staaten einst als Ausgangspunkte für ihr Imperium im Pazifik nutzten, drohen bis zum Ende des Jahrhunderts oder sogar noch früher zu versinken.504

Das Archipel der Marshallinseln beispielsweise, das die USA im Zweiten Weltkrieg eroberten, könnte durch den Anstieg des Meeresspiegels schon Mitte des Jahrhunderts unbewohnbar werden, warnt die amerikanische Behörde US Geological Survey; die Inseln werden selbst dann versinken, wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen.

Und was mit ihnen untergeht, ist ziemlich beängstigend: Diese Inseln, allen voran das Bikini-Atoll, dienten den Amerikanern nach dem Krieg als Atombombentestgelände, und das Militär hat bisher nur eine von ihnen von Radioaktivität »gesäubert«, was die Inseln zum größten Atommülllager der Welt macht.(505)

Aber für das Militär geht es beim Klimawandel nicht nur um die Auseinandersetzung zwischen den Großmächten auf einer veränderten Landkarte. Selbst für diejenigen Militärmitglieder, die davon ausgehen, dass die amerikanische Hegemonie ewig andauern wird, stellt er ein Problem dar, weil die Rolle der Weltpolizei deutlich schwieriger auszufüllen ist, wenn sich die Kriminalitätsrate verdoppelt.

Und nicht nur in Syrien hat das Klima den Konflikt befeuert.

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Es gibt Spekulationen, dass die Zunahme der Auseinandersetzungen im gesamten Nahen Osten, die in der vergangenen Generation zu beobachten war, auf die Erderwärmung und die dadurch entstehenden Zwangslagen zurückzuführen ist - eine Hypothese, deren besondere Grausamkeit darin besteht, dass die Erwärmung erst so richtig in Schwung kam, als die Industrienationen das Öl der Region aus der Erde holten und verbrannten. Viele Ausprägungen der Radikalisierung, von Boko Haram über den IS bis zu den Taliban und militanten islamistischen Gruppen in Pakistan, sind mit Dürren und Ernteausfällen in Verbindung gebracht worden,506 und der Effekt könnte besonders schwer wiegen, wenn es ohnehin ethnische Konflikte gibt: Zwischen 1980 und 2010, ermittelte eine Untersuchung 2016, begannen 23 Prozent der Auseinandersetzungen in durch ethnische Vielfalt gekennzeichneten Ländern in Monaten mit katastrophalen Wetterbedingungen.507 Laut einer Einschätzung besteht in 32 Ländern - von Haiti über die Philippinen und Indien bis hin zu Kambodscha, die allesamt extrem auf die Landwirtschaft angewiesen sind - ein »extremes Risiko«, dass dort in den kommenden 30 Jahren Konflikte und Unruhen durch Klimaveränderungen ausbrechen werden.508

Wie kommt die Verbindung zwischen Klima und Konflikten zustande?509

Manches geht auf den Anbau von Lebensmitteln und die Wirtschaft zurück: Wenn die Erträge und die Produktivität sinken, können Gesellschaften ins Wanken geraten, und wenn Dürren und Hitzewellen ein Land heimsuchen, reichen die Auswirkungen oft noch tiefer; sie verschärfen bestehende politische Spannungen und erzeugen oder enthüllen andere, über die sich zuvor niemand Gedanken machte. Ein bedeutender Faktor ist auch die Zwangsmigration, die sich aus solchen Ereignissen oft ergibt, und die politische und gesellschaftliche Instabilität, die daraus resultiert; wenn es bergab geht, neigen diejenigen, die dazu in der Lage sind, zu fliehen, und nicht immer an Orte, die sie mit offenen Armen empfangen - oft eher im Gegenteil, wie die jüngste Geschichte zeigt.510 Die Migration ist heute schon auf einem Rekordstand, mit fast 70 Millionen entwurzelten Menschen, die durch die Welt ziehen.511 Das hat Auswirkungen nach außen, aber die Folgen vor Ort sind oft noch ausgeprägter.

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Diejenigen, die in einer Region bleiben, die von extremen Wetterereignissen heimgesucht wurde, müssen oft mit einer völlig neuen gesellschaftlichen und politischen Struktur zurechtkommen, wenn es überhaupt noch eine gibt. Und es sind nicht nur schwächelnde Staaten, die unter der Klimabelastung zerbrechen: In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler eine lange Liste von mächtigen Reichen zusammengestellt, die irgendwann zumindest zum Teil aufgrund von klimatischen Ereignissen und deren Auswirkungen kollabierten, darunter das Pharaonenreich in Ägypten, das Reich von Akkad und das Römische Reich.512

Dieses komplexe Zusammenspiel ist der Grund, warum Forscher so zurückhaltend damit sind, bei Konflikten klare Schuldzuweisungen vorzunehmen, aber über die Komplexität bringt die Erderwärmung eben auch ihre Grausamkeit zum Ausdruck. Wie bei den Kosten des Wachstums gilt auch für den Krieg, dass er keine alleinstehende Auswirkung des weltweiten Temperaturanstiegs darstellt, sondern sich eher durch eine Häufung der schlimmsten Erschütterungen und Kaskaden des Klimawandels ergibt.

Das Center for Climate and Security, ein auf Staaten spezialisierter Thinktank, kennt sechs Kategorien der Gefährdung durch den Klimawandel: »Dilemmastaaten«, in denen die Regierung auf örtliche Klima­heraus­forderungen, beispielsweise im Bereich Landwirtschaft, reagiert hat, indem sie sich dem Weltmarkt zugewandt hat, der heute aber empfindlicher auf Klimaprobleme reagiert als je zuvor; »morsche Staaten«, die oberflächlich betrachtet stabil wirken, aber nur, weil sie in Bezug auf die Klimaverhältnisse bisher Glück gehabt haben; »instabile Staaten« wie der Sudan, Jemen und Bangladesch, wo die Auswirkungen des Klimawandels bereits das Vertrauen in die staatlichen Autoritäten untergraben oder Schlimmeres; »zwischen Staaten umkämpfte Regionen« wie das Südchinesische Meer und die Arktis; »verschwindende Staaten«, was in diesem Zusammenhang wörtlich gemeint ist, etwa die Malediven; und schließlich »nichtstaatliche Akteure« wie den IS, die lokale Ressourcen wie Trinkwasser vereinnahmen und sie als Druckmittel gegenüber den offiziellen staatlichen Autoritäten oder der Bevölkerung verwenden können.51

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In all diesen Fällen ist das Klima nicht der einzige Grund für einen Konflikt, aber der Funke, der ein kompliziertes Bündel aus gesellschaftlichem Feuerholz in Brand steckt.

Diese Komplexität könnte auch der Grund dafür sein, dass wir die Gefahr eskalierender Kriege nicht klar erkennen, weil wir den Konflikt lieber als etwas betrachten, das vor allem mit Politik und Wirtschaft zusammen­hängt, obwohl in Wahrheit alle drei Bereiche von den Gegebenheiten des sich rasch verändernden Klimas bestimmt werden, so wie alles andere auch.

Der Kognitionswissenschaftler Steven Pinker hat in den vergangenen zehn Jahren viel Furore mit seiner Behauptung gemacht, speziell wir im Westen seien unfähig, die Fortschritte der Menschheit anzuerkennen - wir seien blind für die massiven und raschen Verbesserungen, die in Bezug auf Gewalt und Krieg, auf die Verringerung der Armut und der Kindersterblichkeit sowie die Lebenserwartung auf der Welt zu verzeichnen sind.514 Damit hat er recht. Wenn man sich die Statistiken anschaut, sind die positiven Entwicklungen unstrittig: Es gibt deutlich weniger gewaltsame Todesfälle, viel weniger Menschen leiden unter extremen Entbehrungen, die globale Mittelschicht wächst um Hunderte Millionen.

Doch auch hier haben wir es wieder mit Erfolgen zu tun, die auf die Industrialisierung zurückzuführen sind; die Transformation der Gesellschaften basiert auf neuem Wohlstand durch fossile Brennstoffe. Das gilt am stärksten für China und in geringerem Maße auch für die anderen Entwicklungsländer. Aber ein Großteil der Kosten dieses Fortschritts, die Rechnung, die für diese Industrialisierung, die Milliarden Menschen im globalen Süden den Zutritt zur Mittelschicht ermöglicht, zu zahlen ist, stellt der Klimawandel dar - dem wir ironischerweise viel zu optimistisch entgegensehen, wie Pinker hinzufügt.

Schlimmer noch: Die Erwärmung, die dieser ganze Fortschritt auslöst, verheißt eine Rückkehr zur Gewalt.

Selbst wenn es um Kriege geht, ist das Gedächtnis der Menschheit gefährlich schlecht. Innerhalb von weniger als einer Generation verblassen die Schrecken und ihre Ursachen zu entfernten Erinnerungen. Doch wir sollten nicht vergessen, dass die meisten Kriege im Verlauf der Geschichte über Ressourcen ausgefochten wurden, oft ausgelöst durch Knappheit, also genau das, worauf eine dicht bevölkerte und vom Klimawandel gebeutelte Erde zusteuert. Die Kriege neigen nicht dazu, Ressourcen zu vermehren - meistens gehen sie in Flammen auf.

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Die Folgen eines Konflikts innerhalb eines Landes werfen lange Schatten - das verwobene Geflecht einer Nation löst sich in ein scheußliches, zerstörerisches Durcheinander auf. Das Klima zerrt auch an einzelnen Fäden solcher Kämpfe: Es führt zu Reizbarkeit, persönlichen Konflikten und häuslicher Gewalt.

Die Hitze verschlimmert alles. Sie lässt die Anzahl der Gewalttaten und der Beleidigungen in den sozialen Medien steigen und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baseball-Pitcher, der die Abwurfstelle betritt, nachdem sein Mannschaftskamerad von einem Ball getroffen wurde, aus Rache auf den Körper des gegnerischen Schlagmanns zielt.515 Je wärmer es ist, desto länger drücken Autofahrer aus Frust auf die Hupe, und selbst in Simulationen neigen Polizisten eher dazu, auf Eindringlinge zu schießen, wenn die Übung bei heißem Wetter stattfindet.516 Bis 2099 könnte der Klimawandel den USA laut Berechnungen 22.000 Morde, 180.000 Vergewaltigungen, 3,5 Millionen tätliche Angriffe und 3,76 Millionen Raubüberfälle, Einbrüche und Diebstähle zusätzlich bescheren.517

Weniger spekulativ sind die Statistiken aus der Vergangenheit. Auch die Verbreitung von Klimaanlagen in den Industrieländern Mitte des letzten Jahrhunderts konnte gegen das Problem des Kriminalitätsanstiegs im Sommer wenig ausrichten.

Und es ist nicht nur die Temperatur. 2018 ermittelte eine Gruppe von Wissenschaftlern, die eine riesige Datenmenge von mehr als 9000 amerikanischen Städten auswertete, dass sich die Luftverschmutzung auf jede Art von Verbrechen auswirkte, die sie sich anschaute - von Diebstahl und Einbrüchen bis hin zu tätlichen Angriffen, Vergewaltigung und Mord. Darüber hinaus führen die Auswirkungen des Klimawandels auch über Umwege zu mehr Gewalt.518

Zwischen 2008 und 2010 erlebte Guatemala den Tropensturm Arthur, den Hurrikan Dolly, den Tropensturm Agatha und den Tropensturm Hermine - und dabei zählt das Land ohnehin schon zu den zehn Nationen, die am schlimmsten unter Extremwetterereignissen zu leiden haben, und musste in den gleichen Jahren einen Vulkanausbruch und ein Erdbeben verkraften.

Insgesamt mangelte es fast drei Millionen der Einwohner an Nahrungs­mitteln, und mindestens 400.000 waren auf humanitäre Hilfe angewiesen.519 Allein die Geschehnisse des Jahres 2010 richteten Schäden im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar an, was rund einem Viertel des Staats­haushalts entspricht, und zerstörten Straßen und Lieferwege. 2011 brach der Tropensturm 12E über das Land herein, und nach all diesen Katastrophen gingen die Bauern zum Mohnanbau über. Das organisierte Verbrechen, das auch vorher schon ein riesiges Problem im Land gewesen war, explodierte - was vielleicht keine große Überraschung ist, zieht man die aktuellen Forschungen in Betracht, denen zufolge die sizilianische Mafia im Verlauf einer Dürrephase entstand.520

Heute hat Guatemala die fünfthöchste Mordrate und ist für Kinder laut UNICEF das zweitgefährlichste Land der Welt.521 Die Haupteinnahmequellen des Landes waren über lange Zeit hinweg Kaffee und Zuckerrohr - Pflanzen, deren Anbau der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten unmöglich machen könnte.522

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