2.12 - »Systeme«
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Das, was ich »Kaskaden« nenne, bezeichnen Klimaforscher als »Systemkrisen«. Auf diese Krisen bezieht sich das US-Militär, wenn es den Klimawandel als »Bedrohungsmultiplikator« einstuft. Diese Multiplikation erzeugt dort, wo sie nicht zu einem Konflikt führt, Migration - das heißt: Klimaflüchtlinge. Ihre Anzahl beläuft sich seit 2008 bereits auf 22 Millionen.523
Im Westen halten wir Flüchtlinge oft für eine Folge von Staatsversagen - also für ein Problem, das die zerrütteten und verarmten Teile der Welt den im Vergleich dazu stabileren - und wohlhabenderen - Gesellschaften bescheren. Doch der Hurrikan Harvey brachte mindestens 60.000 Klimamigranten in Texas hervor, und rund um Hurrikan Irma mussten fast sieben Millionen Menschen evakuiert werden.524
Wie bei so vielen Dingen gilt auch hier: Es wird nur schlimmer werden. Bis 2100 könnte allein der Anstieg des Meeresspiegels 13 Millionen Amerikaner aus ihren Häusern vertreiben - mehrere Prozent der Gesamtbevölkerung der USA.525 Viele dieser Meeresspiegelflüchtlinge werden aus dem Südosten des Landes stammen - vor allem aus Florida (dort rechnet man allein mit 2,5 Millionen aus der Metropolregion Miami) und aus Louisiana, wo die Region rund um New Orleans Voraussagen zufolge eine halbe Million Einwohner verlieren wird.
Die USA sind als herausragend reiches Land aktuell noch herausragend gut dafür aufgestellt, derartige Zerrüttungen zu bewältigen - es ist tatsächlich vorstellbar, dass sich Dutzende Millionen umgesiedelte Amerikaner im Verlauf des Jahrhunderts an Verheerungen im Küstenbereich und neue geografische Gegebenheiten gewöhnen. Zumindest mehr oder weniger. Aber die Erwärmung wirkt sich eben nicht nur auf den Meeresspiegel aus, und ihre Schrecken werden sich nicht zuerst in Ländern wie den USA zeigen. Am schlimmsten wird es die am wenigsten entwickelten, die ärmsten und deshalb auch kaum widerstandsfähigen Länder treffen - die Armen der Welt werden von den Reichen fast buchstäblich in deren Müll ertränkt.526
Das Land, in dem die Industrialisierung ihren Ausgang nahm und das als allererstes in großem Umfang Treibhausgase ausstieß, Großbritannien, dürfte den Berechnungen zufolge am wenigsten unter dem Klimawandel zu leiden haben. Und obwohl die USA wohl wirtschaftliche Einbußen erleben werden, liegt das größtenteils daran, dass sie als wohlhabendes Land, das so kräftig an den Küsten gebaut hat, einfach viel zu verlieren haben. Die Länder mit dem größten Entwicklungsrückstand, die am wenigsten Emissionen produzieren, trifft es mit am schlimmsten; das Klimasystem der Demokratischen Republik Kongo, eines der ärmsten Länder der Welt, wird wohl besonders extrem aus dem Lot geraten. Der Kongo ist größtenteils von Land umschlossen und gebirgig, aber das wird gegen die nächste Stufe der Erwärmung kein Schutz sein.
Wohlstand stellt einen Puffer dar, aber keine Absicherung, wie Australien bereits heute lernt:
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Das mit Abstand reichste der Länder, die den heftigsten und direktesten Trommelfeuern der Erderwärmung ausgesetzt sind, kann als früher Testfall dafür betrachtet werden, wie eine begüterte Gesellschaft unter dem Druck der Temperaturveränderungen, die im weiteren Verlauf des Jahrhunderts wahrscheinlich auch den Rest der wohlhabenden Welt treffen werden, ächzt, einbricht oder neue Wege einschlägt.
Die Anfänge der Nation waren geprägt von einer menschenverachtenden Gleichgültigkeit gegenüber der ursprünglichen Landschaft und ihren Bewohnern, und ihre modernen Ansprüche stehen seit jeher auf wackeligen Beinen: Die heutige australische Gesellschaft ist gekennzeichnet von ausladender Fülle, hineinimprovisiert in eine sehr karge und ökologisch unerbittliche Landschaft.
2011 löste eine einzige Hitzewelle ein bedeutendes Baumsterben und eine weitreichende Korallenbleiche aus, Pflanzen gingen ein, der heimische Vogelbestand brach ein, bestimmte Insektenarten vermehrten sich rasant und es fand eine Transformation der Ökosysteme im Wasser und an Land statt.527
Als das Land eine CO2-Steuer einführte, gingen die Emissionen zurück, doch als die Steuer auf politischen Druck hin wieder abgeschafft wurde, stiegen sie erneut. 2018 erklärte das australische Parlament die Erderwärmung zu einem »akuten und existenziellen nationalen Sicherheitsrisiko«.528 Wenige Monate später wurde der klimabewusste Premierminister zum Rücktritt gedrängt, weil er es gewagt hatte, die Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens umsetzen zu wollen.
Fülle wirkt wie Öl auf die Rädchen aller Gemeinschaften, doch herrscht Mangel, knirschen und stocken sie. Was dann passiert, ist selbst denen vertraut, die nichts anderes als Wohlstand kennen, deren Leben glatt und reibungslos verläuft und die den Meilensteinen des sozialen Abstiegs nur im Unterhaltungsprogramm begegnen: Marktzusammenbrüche, Preiswucher, das Horten von Gütern und Dienstleistungen durch die Gutbetuchten und Gutbewaffneten, der Rückzug der Ordnungsmächte in die Selbstbereicherung und die Zersetzung jeglichen Glaubens an Gerechtigkeit machen das Überleben plötzlich zu einer Frage des unternehmerischen Talents.
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Mehr als 140 Millionen Menschen aus nur drei Regionen der Welt werden bis 2050 zu Klimamigranten werden, sagte die Weltbank in einer Untersuchung im Jahr 2018 voraus, die auf den aktuellen Entwicklungen in Bezug auf Emissionen und Erwärmung basiert: 86 Millionen in dem Teil Afrikas, der südlich der Sahara liegt, 40 Millionen in Südasien und siebzehn Millionen in Lateinamerika.529 Die am häufigsten zitierte Schätzung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen liegt ein Stück darüber - bei insgesamt 200 Millionen bis 2050. Diese Zahlen sind recht hoch - höher als die vieler anderer Organisationen. Doch gemäß der IOM könnte der Klimawandel die Welt bis 2050 mit bis zu einer Milliarde Flüchtlinge konfrontieren.530 Eine Milliarde - das sind ungefähr so viele Menschen, wie heute in Nord- und Südamerika zusammen leben. Stellen Sie sich einmal vor, diese beiden Kontinente versänken plötzlich im Meer, sodass alle ihre Bewohner im Wasser herumpaddelten, verzweifelt um Halt kämpften - irgendwo, egal wo -, und wenn jemand anders auf das gleiche Stück trockenen Boden zusteuerte, bräche ein Wettrennen darum aus, wer zuerst da ist.
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Das System in der Krise ist nicht immer die »Gesellschaft«, es kann auch der Körper sein. In den USA folgen historisch betrachtet zwei Drittel der durchs Wasser übertragenen Krankheitsausbrüche - Erreger, die über Algen oder Bakterien in den menschlichen Körper gelangen und dort Probleme im Verdauungstrakt auslösen - auf ungewöhnlich starke Regenfälle, weil diese sich auf die Wasserversorgung auswirken.531 So erhöht sich beispielsweise die Konzentration der Salmonellen in Flüssen nach heftigen Niederschlägen ganz erheblich; der schlimmste Ausbruch einer durch Wasser übertragenen Krankheit, den die USA je erlebten, ereignete sich 1993, als in Milwaukee mehr als 400.000 Menschen nach einem Unwetter an Kryptosporidien erkrankten.532
Extreme Niederschlagsereignisse - sowohl sintflutartige Regengüsse als auch ihr Gegenteil, Dürren - können landwirtschaftlich geprägte Gemeinschaften wirtschaftlich zugrunde richten, aber auch bei Embryos und Kleinkindern für das sorgen, was die Wissenschaft etwas untertrieben als »Mangelernährung« bezeichnet.
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In Vietnam gingen diejenigen, die eine solche Phase durchstanden hatten, laut einer Studie im Durchschnitt später zur Schule, brachten dort schlechtere Leistungen und wurden nicht so groß wie ihre Altersgenossen.533 In Indien lässt sich das gleiche »Kreislauf der Armut«-Muster beobachten.534 Die chronische Mangelernährung verschlimmert sich dadurch, dass ihre Auswirkungen andauern: Die Betroffenen verfügen über geringere kognitive Fähigkeiten, ein niedrigeres Einkommensniveau und ein erhöhtes Krankheitsrisiko.535 In Ecuador machen sich die Klimaschäden sogar unter den Kindern der Mittelschicht bemerkbar, bei denen sich die Folgen der Niederschlags- oder Temperaturextreme noch 20 bis 60 Jahre später im Einkommen abzeichnen.536 Das Problem beginnt schon im Mutterleib und es ist universell - während der neun Monate in der Gebärmutter erzeugt jeder Tag, an dem die Temperatur 32 Grad übersteigt, einen messbaren Rückgang der Einkünfte im späteren Leben.537 Außerdem addieren sich die Auswirkungen. Eine groß angelegte Studie in Taiwan ergab, dass jede Einheit zusätzlicher Luftverschmutzung das relative Risiko, an Alzheimer zu erkranken, verdoppelt.538 Ähnliches ist auch an Orten von Ontario bis Mexiko-Stadt beobachtet worden.539
Während sich die Umweltzerstörung immer weiter ausbreitet, könnte absurderweise mehr Fantasie gefragt sein, um ihre Folgen abzuschätzen. Wenn es nicht mehr nur abgelegene Dörfer sind, die darunter leiden, sondern ganze Regionen, ganze Länder, könnten Umstände, die uns einst unmenschlich vorkamen, auf zukünftige Generationen, die nichts anderes kennen, ganz »normal« wirken. In der Vergangenheit haben wir voller Entsetzen mit angesehen, wie Hungersnöte, die entweder naturbedingt (Sudan, Somalia) oder menschengemacht (Jemen, Nordkorea) waren, zu Wachstumsstörungen in der Bevölkerung führten. In Zukunft könnte der Klimawandel auf die eine oder andere Art unser aller Wachstum hemmen, ohne dass es noch eine Kontrollgruppe gäbe, die davon verschont bliebe.
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Man könnte meinen, dass diese Voraussagen ihre Spuren in der Familienplanung hinterließen. Und tatsächlich:
Unter den wohlhabenden jungen Leuten in Europa und den USA, für die die Fortpflanzung oft auch eine politische Frage ist, ist das so. Dieser vermeintlich stark von Gewissensfragen geprägten Gruppe bereitet es große Sorgen, Kinder in eine von Zerstörung bedrohte Welt zu setzen, die voller Leid ist, und damit nur weiter zum Problem »beizutragen«, indem man die Klimabühne mit noch mehr Akteuren bevölkert, von denen jeder einzelne eine kleine Konsummaschine ist. »Wollen Sie etwas gegen den Klimawandel tun?«, fragte der Guardian 2017.540 »Setzen Sie weniger Kinder in die Welt.« In jenem Jahr und im folgenden veröffentlichte die Zeitung mehrere Variationen dieses Themas, wie auch eine Reihe weiterer Blätter, die vom Lifestyle-Milieu gelesen werden, darunter die New York Times: »Setzen Sie diesen Punkt auf die Liste der Fragen, bei denen der Klimawandel eine Rolle spielt: Sollte ich Kinder bekommen?«541
Den Effekt zu untersuchen, den der Klimawandel auf die privaten Entscheidungen der Konsumbürger hat, ist vielleicht ein sehr eng gefasster Ansatz, auch wenn das eine merkwürdige Erscheinung von Verzichtsstolz unter den Wohlhabenden belegt. (»Der Egoismus beim Kinderkriegen gleiche dem bei der Kolonisierung eines Landes«, schreibt die Autorin Sheila Heti in einem repräsentativen Ausschnitt aus Mutterschaft, ihren Überlegungen zu diesem Thema und ihrer Entscheidung dagegen.) Aber natürlich ist die weitere Zerstörung der Erde nicht unausweichlich, sondern eine Frage der Entscheidung.
Jedes neugeborene Kind kommt in eine brandneue Welt mit einem weiten Feld an Chancen und Möglichkeiten. Diese Sichtweise ist nicht naiv. Wir leben mit den Kindern in dieser Welt - wir wirken daran mit, sie für sie und mit ihnen und für uns selbst zu gestalten. Mit jeder Geburt beginnt eine neue Zeitrechnung, in der gemessen wird, wie viel mehr Schaden der Erde und dem Leben, das das Kind auf ihr führt, zugefügt wird. Das gleiche Feld an Möglichkeiten steht auch uns offen, egal wie unveränderlich und vorherbestimmt die weitere Entwicklung auf uns wirkt. Doch wir verbauen uns diese Chancen, wenn wir das weitere Geschehen für unvermeidbar erklären. Was nach stoischer Weisheit klingt, ist oft ein Vorwand für Gleichgültigkeit.
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In einer Welt des Leidens verlangt unser auf die eigenen Interessen ausgelegter Geist nach Abschottung, und einer der spannendsten Bereiche der aufkommenden Klimawissenschaften untersucht die Spuren, die die Erderwärmung, die alle unsere Bewältigungsmechanismen überrollen kann, in unserer Psyche hinterlässt - also die Effekte, die die in Flammen stehende Welt auf unser geistiges Wohlergehen hat. Die wohl erwartbarste Erscheinung ist das Trauma: Zwischen einem Viertel und der Hälfte all derer, die einem extremen Wetterereignis ausgesetzt sind, werden dadurch dauerhaft psychisch erschüttert.542
Eine Studie in England ergab, dass Überschwemmungen die psychische Belastung vervierfachen - selbst bei denen, die in einer überfluteten Umgebung lebten, aber nicht persönlich betroffen waren.543 Nach dem Hurrikan Katrina überschritten 62 Prozent der Evakuierten die Grenzwerte für eine akute Stressstörung; insgesamt litten ein Drittel der Menschen in der Region an Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS).544 Bei Waldbränden lag die Zahl überraschenderweise niedriger - nach einer Brandserie in Kalifornien waren nur 24 Prozent der Evakuierten betroffen.545 Doch bei einem Drittel derer, die das Feuer überstanden, wurden hinterher Depressionen diagnostiziert.
Selbst diejenigen, die nur von der Seitenlinie aus zuschauen, leiden an Klimatraumata. »Ich kenne keinen einzigen Wissenschaftler, der auf das, was verloren geht, nicht emotional reagiert«, erklärte Camille Parmesan, die 2007 gemeinsam mit Al Gore den Friedensnobelpreis bekam.546 Das Umweltmagazin Grist hat das Phänomen als »Klimadepression« bezeichnet,547 der Scientific American spricht von »Umwelttrauer«.548
Und obwohl es einleuchtet, dass diejenigen, die sich mit dem Ende der Welt befassen, darüber verzweifeln - vor allem, wenn ihre Warnungen ungehört verhallen -, bietet es einen Furcht einflößenden Ausblick auf das, was dem Rest der Welt bevorsteht, wenn die Verheerungen durch den Klimawandel langsam zutage treten.
Was die psychischen Belastungen betrifft, unter denen so viele der Klimaforscher leiden, sind sie die Kanarienvögel in unserem Bergwerkstollen.
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Das könnte auch der Grund dafür sein, warum so viele von ihnen sich ständig Sorgen darüber machen, ob ihre Befürchtungen auch nicht unbegründet sind: Sie haben genügend Erfahrung mit der Apathie der Öffentlichkeit gesammelt, um sehr genau darauf zu achten, wann und wie sie Alarm schlagen.
An manchen Orten mussten sie das gar nicht mehr selbst übernehmen. Diejenigen, die das Phänomen untersuchen, leiden nur indirekt - was ein Hinweis darauf ist, wie heftig die Folgen für die direkt Betroffenen sind. Es überrascht wenig, dass Klimatraumata besonders die Jungen hart treffen - in dieser Hinsicht stimmt die alte Weisheit, dass der Geist von Kindern leicht zu formen ist. 32 Wochen nachdem der Hurrikan Andrew 1992 in Florida gewütet und 40 Menschen das Leben gekostet hatte, litten mehr als die Hälfte der untersuchten Kinder an einer mittleren und mehr als ein Drittel an einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung.549 In den Gegenden, die besonders betroffen waren, fielen selbst 21 Monate nach dem Wirbelsturm der Kategorie 5 immer noch 70 Prozent der Kinder in dieses Spektrum. Ein erschreckender Vergleichswert: Von den Soldaten, die aus dem Krieg heimkehren, leiden Schätzungen zufolge 11 bis 31 Prozent an PTBS.550
Eine besonders ausführliche Untersuchung befasste sich mit den Auswirkungen, die der Hurrikan Mitch auf die seelische Gesundheit hatte, ein Wirbelsturm der Kategorie 5 und der zweittödlichste, der je im Atlantik registriert wurde.551 Er wütete 1998 in Mittelamerika und forderte 11.000 Todesopfer. In der Region Posoltega, dem Teil von Nicaragua, wo die Verheerungen am schlimmsten waren, betrug die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind schwer verletzt wurde, 27 Prozent, die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Familienmitglied verlor, 31 Prozent, und die Wahrscheinlichkeit, dass das Haus, in dem es wohnte, beschädigt oder zerstört wurde, 63 Prozent. Man kann sich die Folgewirkungen vorstellen. 90 Prozent der Jugendlichen in der Region litten an PTBS, wobei die Jungen durchschnittlich am oberen Ende der Einstufung »schwere PTBS« lagen und die Mädchen die Grenze zur Stufe »sehr schwer« überschritten. Sechs Monate nach dem Wirbelsturm litten vier von fünf Teenagern aus Posoltega an Depressionen, mehr als die Hälfte hegte zwanghafte »Rachegedanken«, wie es die Verfasser der Studie etwas euphemistisch nannten.
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Und dann gibt es da noch die weniger offensichtlichen, schwelenden Auswirkungen auf die Psyche. Das Klima beeinflusst sowohl das Auftreten als auch die Schwere von Depressionen, fand The Lancet heraus.552 Steigende Temperaturen und eine höhere Luftfeuchtigkeit gehen in den Erhebungen stets mit mehr Patienten in psychiatrischen Notaufnahmen einher.553 Wenn es draußen heißer wird, nimmt auch die Anzahl der stationär behandelten Patienten zu.554 Besonders stark steigt die Anzahl der an Schizophrenie Erkrankten, die eingewiesen werden, und innerhalb der Krankenhäuser verstärkt die Temperatur auf den Stationen die Schwere der Symptome.555 Und Hitzewellen bringen noch Wellen anderer Leiden mit sich: affektive Störungen, Angststörungen und Demenz.556
Wie wir wissen, fördert Hitze Gewalt und Konflikte, daher ist es wohl wenig überraschend, dass auch die Gewalttätigkeit gegenüber der eigenen Person zunimmt. Jeder Grad, um den die monatliche Durchschnittstemperatur ansteigt, geht in den USA mit fast einem Prozentpunkt und in Mexiko sogar mit mehr als zwei Prozentpunkten mehr Suizidfällen einher.557 Setzt sich der Kohlendioxidausstoß unverändert fort, kann das bis 2050 zu 40.000 zusätzlichen Selbstmorden führen. In einem besorgniserregenden Artikel der Wirtschaftswissenschaftlerin Tamma Carleton heißt es, dass die Erderwärmung bislang bereits 59.000 Suizide ausgelöst hat - viele davon unter Bauern in Indien, wo heute ein Fünftel aller Selbstmorde weltweit geschehen und sich die Rate seit 1980 verdoppelt hat.558 Wenn die Temperaturen bereits hoch sind, fand Carleton heraus, sorgt ein Anstieg um nur ein Grad an einem einzigen Tag für 70 Tote mehr - Bauern, die sich selbst gerichtet haben.
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Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, sind Sie ein tapferer Leser. Jedes dieser zwölf Kapitel enthält für sich genommen genügend Schreckensvisionen, um selbst beim optimistischsten Menschen eine Panikattacke auszulösen. Aber Sie werden nicht nur darüber lesen, sondern diese Entwicklungen irgendwann erleben. In vielen Fällen, an vielen Orten, ist es bereits so weit.
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Das vielleicht Erwähnenswerteste an all den Forschungsergebnissen, die bis hierher zusammengetragen wurden - nicht nur zum Thema Klimaflüchtlinge und die physische und psychische Gesundheit, sondern auch in Bezug auf bewaffnete Konflikte, Nahrungsmittel, den Meeresspiegel und alle anderen Elemente der Klimaverwerfungen -, ist vielleicht die Tatsache, dass es sich dabei um Untersuchungen handelt, die in unserer heutigen Welt entstanden sind. In einer Welt also, in der die Erwärmung nur ein Grad beträgt; einer Welt, die noch nicht bis zur Unkenntlichkeit deformiert und entstellt ist; einer Welt, die größtenteils von Übereinkommen bestimmt ist, die in einem Zeitalter der Klimastabilität getroffen wurden, und die nun geradewegs auf ein Zeitalter des Klimachaos zurast; einer Welt, die wir erst wahrzunehmen beginnen.
Natürlich basiert ein Teil der Klimaforschung auf Spekulationen, wir übertragen alles, was wir über physische Prozesse und menschliche Dynamiken wissen, auf Bedingungen, die kein Mensch, egal wie alt, jemals auf diesem Planeten erlebt hat. Einige der Vorhersagen werden sicherlich widerlegt werden - so funktioniert Forschung. Doch unsere Untersuchungen basieren immer auf Vorausgegangenem, und für die nächste Phase des Klimawandels gibt es keine Präzedenzfälle. Die zwölf Elemente des Klimachaos sind, um es mit Donald Rumsfelds widersinnigen, aber treffenden Worten zu sagen, die »bekannten Bekannten«. Diese Kategorie bereitet uns am wenigsten Sorgen, aber es gibt noch zwei weitere.
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Das bisher Dargestellte mag beim Lesen erschöpfen, vielleicht sogar überwältigen. Aber es sind nur Entwürfe, die in den kommenden Jahrzehnten ausgestaltet und konkretisiert werden - und wenn man die letzten Dekaden als Indiz nimmt, wohl eher mit noch erschreckenderen als mit beruhigenden Einsichten. So sehr wir auch auf unsere gesicherten Erkenntnisse über die Erderwärmung vertrauen können - dass sie stattfindet, dass sie menschengemacht ist, dass sie den Meeresspiegel steigen und die Arktis schmelzen lässt und so weiter -, wissen wir doch immer noch sehr wenig.
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Vor 20 Jahren gab es noch keine ernst zu nehmenden Studien zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Wirtschaftswachstum, vor zehn Jahren noch kaum etwas über das Klima und Konflikte. Vor 50 Jahren untersuchte kaum jemand den Klimawandel an sich.
Das Tempo, in dem die Wissenschaft voranschreitet, ist ermutigend, aber es führt uns auch vor Augen, dass Demut geboten ist: Es gibt in der Frage, wie sich die Erderwärmung auf unser Leben auswirkt, immer noch so viele Aspekte, die uns unbekannt sind.
Stellen Sie sich einmal vor, was wir in 50 Jahren wissen werden - und wie viel schlimmer uns unser selbst gewählter Weg in den Untergang vorkommen wird, selbst wenn wir die schlimmsten Folgen noch abwenden.
Wird die Erwärmung durch die Freisetzung des Methans in der Arktis oder die drastische Verlangsamung des Strömungssystems in den Weltmeeren rasche Rückkopplungseffekte auslösen? Wir können es unmöglich mit Sicherheit voraussagen. Werden wir uns schützen, indem wir Schwefel in unsere dann rote Atmosphäre schießen und den ganzen Planeten den ungewissen gesundheitlichen Auswirkungen dieser Teilchen aussetzen, oder indem wir mithilfe von kontinentgroßen Anlagen Kohlendioxid aus der Luft saugen? Das ist schwer vorauszusagen. Es zählt also zu den »bekannten Unbekannten«, wenn man bei Rumsfeld bleibt. Doch er nannte in seiner Rede damals eine weitere, noch furchteinflößendere Kategorie - die »unbekannten Unbekannten«.
All das bedeutet, dass die zwölf Gefahrenszenarien, die in diesen zwölf Kapiteln beschrieben wurden, nur das Bild der Zukunft liefern, wie wir es gegenwärtig absehen können.
Was uns wirklich bevorsteht, könnte deutlich schlimmer sein, aber natürlich ist auch das Gegenteil möglich.
Die Landkarte unserer neuen Welt wird zum Teil von natürlichen, weiterhin unerklärlichen Prozessen gezeichnet werden, aber noch stärker durch die Hand des Menschen.
An welchem Punkt wird es unmöglich werden, die Klimakrise zu verleugnen, sich vor ihr zu verschließen?
Wie viel Schaden werden wir in unserem Egoismus bis dahin angerichtet haben?
Wie schnell werden wir handeln, um uns und einen möglichst großen Teil des Lebens, wie wir es heute kennen, zu retten?
Eines möchte ich deutlich machen: Ich habe jede der Bedrohungen durch den Klimawandel - den Anstieg des Meeresspiegels, die Lebensmittelknappheit, die wirtschaftliche Stagnation - getrennt voneinander betrachtet, doch das entspricht nicht der Realität. Manche Entwicklungen mögen sich gegenseitig abschwächen, andere einander verstärken, wieder andere einfach nebeneinander ablaufen. Doch zusammen bilden sie ein Geflecht, unter dem zumindest einige Menschen - und wahrscheinlich mehrere Milliarden - leben werden. Wie?
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