Die Antiquiertheit des Menschen  -  Günther Anders  (1956)  Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution  -

Günther Anders 

 

Die Antiquiertheit 
des Menschen

 

(1)

 

Über die Seele

im Zeitalter

der zweiten

industriellen Revolution 

 

 

1956 im Verlag C. H. Beck  

 

1956    324 (353) Seiten  

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N.Postman

 

Inhalt

Vorwort 1980 des Autors

Einleitung  (1) 

Anmerkungen  (325-353)  

* Sternchen * im Text verweist auf eine Anmerkung 

Widmung:

Vor genau einem halben Jahrhundert, im Jahre 1906, veröffentlichte mein Vater, William Stern, damals um zwanzig Jahre jünger und um Generationen zuversichtlicher als heute sein Sohn, den ersten Band seines Werkes <Person und Sache>.

Seine Hoffnung, durch den Kampf gegen eine impersonalistische Psychologie die "Person" rehabilitieren zu können, hat er sich nur schwer rauben lassen. Seine persönliche Güte und der Optimismus der Zeit, der er angehörte, verhinderten ihn lange Jahre, einzusehen, daß, was die "Person" zur "Sache" mache, nicht deren wissenschaftliche Behandlung ist; sondern die faktische Behandlung des Menschen durch den Menschen. 

Als er von den Verächtern der Humanität über Nacht entehrt und verjagt worden war, ist ihm der Gram der besseren Einsicht in die schlechtere Welt nicht erspart geblieben. 

In Erinnerung an ihn, der den Begriff der Menschenwürde dem Sohne unausrottbar eingepflanzt hat, sind diese traurigen Seiten über die Verwüstung des Menschen geschrieben worden. 

Teil 1  Über Promethische Scham   (21)

Teil 2  Die Welt als Phantom und Matrize — Philosophische Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen (97)

1 Die ins Haus gelieferte Welt (99)  
2 Das Phantom (129)  
3 Die Nachricht (154)  
4 Die Matrize (163)  
5 Sprung ins Allgemeinere (193)

Teil 3  Sein ohne Zeit — Zu Becketts Stück: Warten auf Godot (213)

Teil 4  Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit  (235-324)

1 Erste Schreck-Feststellungen (239)  

2. Was die Bombe nicht ist (247) 

3 Der Mensch ist kleiner als er selbst (264) 

4. Die Ausbildung der moralischen Phantasie und die Plastizität des Gefühls (271) 

5. Geschichtliche Wurzeln der Apokalypse-Blindheit (276) 

6. Annihilation und Nihilismus (294) 

7. Schlußworte (307) 

8. Anhang zu Teil 4 (309)

 

   

Vorwort des Autors zur 5. Auflage 1980 

 

Dieser Band, den ich vor mehr als einem Vierteljahrhundert abgeschlossen habe, scheint mir nicht nur noch nicht antiquiert, sondern heute aktueller als damals. Das beweist aber nichts zugunsten der Qualität meiner damaligen Analysen, alles dagegen zu Ungunsten der Qualität der analysierten Welt- und Menschsituation, da diese sich seit dem Jahre 1956 im Grundsätzlichen nicht verändert hat, sich nicht hatte verändern können. Meine damaligen Schilderungen waren keine Prognosen, sondern Diagnosen. 

Die drei Hauptthesen — daß wir der Perfektion unserer Produkte nicht gewachsen sind; daß wir mehr herstellen als vorstellen und verantworten können; und daß wir glauben, das, was wir können, auch zu dürfen, nein: zu sollen, nein: zu müssen —: diese drei Grundthesen sind angesichts der im letzten Vierteljahrhundert offenbar gewordenen Umweltgefahren leider aktueller und brisanter als damals.

Ich betone also, daß ich vor 25 Jahren über keinerlei "seherische" Kräfte verfügt hatte, daß vielmehr damals 99 % der Weltbevölkerung sehunfähig waren, nein: methodisch sehunfähig gemacht worden waren — was ich ja damals schon durch die Einführung des Ausdrucks "Apokalypseblindheit" angezeigt habe.

Daß ich in meiner Einstellung zur atomaren Rüstung (Essay 4) nichts zurücknehme, im Gegenteil meine Aktivitäten in dieser Richtung seit damals potenziert habe, das beweisen meine Aufsätze über die atomare Lage ("Endzeit und Zeitenende"), mein Hiroshima-Tagebuch ("Der Mann auf der Brücke") und mein Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly ("Off Limits für das Gewissen"). In der Tat ist das sehr verspätete Erscheinen des 2. Bandes mit dadurch verursacht, daß ich es für ungehörig hielt, über die apokalyptische Bedrohung nur akademisch zu theoretisieren. Die Bombe hängt nicht nur über den Dächern der Universitäten.

Das Zeitintervall zwischen Band I und Band II war daher zum großen Teil mit Aktivitäten ausgefüllt, die sich auf die Atomrüstung und den Vietnamkrieg bezogen. Gleichviel, zu meinem damaligen Essay über die Bombe stehe ich auch heute noch reservelos, ich halte ihn sogar für wichtiger als vor 25 Jahren, weil heute die Kernkraftwerke den Blick auf den atomaren Krieg verstellen und weil sie uns "Apokalypseblinde" noch apokalypseblinder gemacht haben.

Auch der Essay über Becketts "Godot", "Sein ohne Zeit", hat seit dessen Abfassung vor 28 Jahren an Aktualität gewonnen, da ich in ihm die Welt, oder richtiger: die Weltlosigkeit, des Arbeitslosen dargestellt hatte, eine Misere, die heute, nach einem halben Jahrhundert, von neuem global zu werden beginnt.

Nicht mehr restlos einverstanden bin ich dagegen mit der total pessimistischen Beurteilung der Massenmedien in dem Aufsatz <Die Welt als Phantom und Matrize>. 

Obwohl meine damaligen Thesen — der Mensch werde durch TV "passivisiert" und zur systematischen Verwechslung von Sein und Schein "erzogen"; und die geschichtlichen Ereignisse richteten sich bereits weitgehend nach den Erfordernissen des Fernsehens, die Welt werde also zum Abbild der Bilder — mehr zutreffen als damals; und obwohl gewisse Kanzler heute, 25 Jahre nach der Niederschrift meiner Reflexionen, meine Warnungen übernehmen, trotzdem erfordern meine damaligen Thesen eine Ergänzung, und zwar eine ermutigende: Unterdessen hat es sich nämlich herausgestellt, daß Fernseh­bilder doch in gewissen Situationen die Wirklichkeit, deren wir sonst überhaupt nicht teilhaftig würden, ins Haus liefern und uns erschüttern und zu geschichtlich wichtigen Schritten motivieren können.

Wahrgenommene Bilder sind zwar schlechter als wahrgenommene Realität, aber sie sind doch besser als nichts. Die täglich in die amerikanischen Heime kanalisierten Bilder vom vietnamesischen Kriegsschauplatz haben Millionen von Bürgern die auf die Matt­scheibe starrenden Augen erst wirklich "geöffnet" und einen Protest ausgelöst, der sehr erheblich beigetragen hat zum Abbruch des damaligen Genozids.

Dieses Plädoyer für den Weiterbestand einer menschlicheren Welt nein: leider bescheidener: für den Weiterbestand der Welt habe ich geschrieben, als manche meiner eventuellen Leser noch nicht das gleißende Licht unserer düsteren Welt erblickt hatten. Sie werden erkennen, daß die revolutionäre, oder richtiger: katastrophale Situation, in die sie hineingeboren wurden und in der zu leben sie leider allzusehr gewohnt sind, nämlich die Situation, in der die Menschheit sich selbst auszulöschen imstande ist — daß dieses wahrhaftig nicht ehrenvolle Imstandesein schon vor ihrer Geburt eingesetzt hat, und daß die Pflichten, die sie haben, schon die ihrer Väter und Großväter gewesen sind.

Ich schließe mit dem leidenschaftlichen Wunsche für sie und ihre Nachkommen, daß keine meiner Prognosen recht behalten werde.

 

 Wien, Oktober 1979, Günther Anders 

 

 

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