Ann Marie Low - Dust Bowl Diary      Anmerk    1930-Zeittafel           Start    Weiter

4.  Staub zu Staub

Brandenburg-1999

 

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25.04.1934 aus Dust Bowl Diary von Ann-Marie Low (1)

Letztes Wochenende hatten wir den schlimmsten Staubsturm aller Zeiten. Seit Beginn der Dürre haben wir jedes Jahr eine Menge Staubstürme, nicht nur hier, sondern überall auf den Great Plains. In diesem Frühjahr haben wir ständig Staub in der Luft, der buchstäblich aus Hunderten von Kilometern Entfernung zu uns geweht wird. Wenn wir das frisch gespülte Geschirr in den Schrank stellen, müssen wir es vor der nächsten Mahlzeit noch einmal abwaschen, soviel Staub sammelt sich selbst in den Schränken. Auch die Sachen, die im Kleiderschrank hängen, sind mit einer Staubschicht bedeckt. Am letzten Wochenende hat niemand sein Auto benutzt, aus Furcht, den Motor zu ruinieren. Ich bin mit [meinem Pferd] Roany zu Frank geritten, um ein Getriebe umzutauschen. Um den Weg dorthin zu finden, mußte ich am Zaun entlangreiten und konnte dabei kaum von einem Zaunpfahl zum nächsten sehen. In den Zeitungen steht, daß viele Kleinkinder und alte Menschen sterben, weil sie zuviel Staub einatmen.

Die Staubstürme der dreißiger Jahre waren die erste Umweltkatastrophe größeren Ausmaßes in den Vereinigten Staaten. Sie begannen mit einer mehrjährigen Dürre, die durch die umweltschädigenden landwirt­schaftlichen Methoden der Farmer verschärft wurde. Als sie endlich aufhörten, hatten sie einen beachtlichen Teil des Mutterbodens in Texas, Oklahoma und bis hinauf nach Dakota abgetragen.

Das Ackerland in den Zentralregionen der Vereinigten Staaten, von Colorado im Westen bis zum Allegheny­plateau in Ohio und West Virginia, wurde schwer geschädigt. Hoch aufgetürmte schwarze Wolken erschienen am Horizont und hüllten ganze Regionen in den vom Wind aufgewirbelten Staub, nicht nur einmal, sondern wieder und wieder, Monat für Monat.

»Die Nordamerikaner hatten in ihrer gewohnten Verschwendungssucht die Warnungen der Naturschützer und Ökologen in den Wind geschlagen. Sie hatten für die düsteren Prophezeiungen dieser <Spinner> nur Verachtung übrig und beuteten die Reichtümer der Natur, die ihnen so einfach in den Schoß fielen, rücksichtslos weiter aus. Sie verseuchten die Flüsse des industrialisierten Ostens, holzten die Nadelwälder der nördlichen Zentralstaaten ab und laugten die Böden im Süden über Generationen hinweg mit ihren zerstörerischen Monokulturen aus Baumwoll- und Tabak­pflanzungen aus.«  Ralph Andrist (2)  

 americanheritage  ralph-k-andrist

Obwohl die selbstverschuldete Katastrophe überall sichtbar wurde, bepflanzten die Farmer, die noch Land besaßen, ihre Felder unbeirrt immer wieder nach denselben, längst zum Scheitern verurteilten Methoden — als würde ein einziger Regenguß ausreichen, eine Katastrophe abzuwenden, die sich seit vielen Jahren anbahnte.

Montag, 21. Mai 1934

»Am Samstag habe ich mit Vater und Bud ein Feld mit Kartoffeln bepflanzt. Es war soviel Staub in der Luft, daß ich Bud, der nur ein paar Meter von mir entfernt arbeitete, nicht sehen konnte. Sogar im Haus war die Luft trüb... In den Zeitungen steht, daß Expertenschätzungen zufolge am 10. Mai, an dem es sehr windig war, 12.000.000 Tonnen Erde von den Plains auf Chicago niedergegangen seien. Am nächsten Tag verdunkelte sich in Washington, D. C, die Sonne, und Seeleute berichteten, daß sich an diesem Tag noch in 300 Meilen Entfernung von der Küste Staub auf den Decks ihrer Schiffe ablagerte.«

Aus dem Tagebuch von Ann Marie Low,  <Dust Bowl Diary> (3)

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Und die Lage besserte sich nicht. Jahr für Jahr kehrten die Stürme wieder wie ein langsamer, schleichender Tod. Schwarze Wirbelstürme setzten dem Leben von Tieren, Pflanzen und Menschen ein Ende. Ein großes Sterben setzte ein. Ohne Wasser und Gras, die Lungen voller Staub, nagte das geschwächte Vieh an den Wurzeln. Und wenn die Tiere dann vor Schwäche zusammen­brachen und verendeten, hatten sie nichts als Schlamm im Magen.4

Samstag, 1. August 1936

»Heute war kein Staub in der Luft, darum habe ich das Haus geputzt. Was für ein Dreck! Es ist immer das gleiche, ich schrubbe die Böden in allen neun Zimmern, putze die Holzflächen und Fenster, wasche die Bettwäsche, Vorhänge und Handtücher, bringe die Teppiche und Sofakissen zum Ausklopfen ins Freie, ich säubere die Schränke und Ablagen, staube die Bücher und die Möbel ab und wasche die Spiegel und alle Teller und Küchengeräte. Das Saubermachen nach den Staubstürmen wiederholt sich nun schon seit Jahren. Ich habe es gründlich satt. Wahrscheinlich wird die Luft morgen wieder voller Staub sein...

Der Juli ist vorbei, und es hat immer noch nicht geregnet. Dies ist der bisher schlimmste Sommer. Auf den Feldern gibt es nur noch Heuschrecken und verdorrte Disteln. Die Berghänge bestehen nur noch aus kahlem Fels und vertrockneter Erde. Auf den Wiesen wächst kein Gras mehr, außer in früheren Schlammlöchern, und man muß es zusammenrechen und bündeln, sobald es gemäht ist, sonst wird es von den heißen Winden davongeweht. Wir haben einen Staubsturm nach dem anderen. Etwas so Deprimierendes habe ich noch nie erlebt. Menschen und Tiere leiden sehr. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll...« 

Aus dem Tagebuch von Ann Marie Low, <Dust Bowl Diary> (5)  

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Es kann nicht schaden, wenn wir uns die bedrückenden Bilder einer solchen Katastrophe in Erinnerung rufen, denn ein ähnliches Szenario werden wir voraussichtlich in den kommenden Jahrzehnten infolge des Treibhauseffekts immer wieder erleben.

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Leider fehlen uns die Mittel, uns angemessen darauf vorzubereiten. Vielleicht gibt es keine. Die Katastrophen, die wir durch jahrzehntelange Ausbeutung der Natur selbst heraufbeschworen haben, werden uns in jedem Fall einholen. Vielleicht nicht in den Vereinigten Staaten, aber irgendwo auf der Welt wird es wieder solche Staubstürme geben, möglicherweise sogar an mehreren Orten rund um den Globus zur selben Zeit. Weite Landstriche, die heute noch fruchtbar und grün sind, werden durch den Raubbau an der Natur und die hemmungslose Abholzung der tropischen Regenwälder austrocknen und sterben. Ernten, die Nahrung für Mensch und Tier liefern, werden ausfallen.

Und die durch den Treibhauseffekt verursachten Klimaveränderungen werden nicht nur Dürrekatastrophen nach sich ziehen. Überschwemmungen, Wirbelstürme und drastische Temperatur­schwankungen sind vorauszusehen.

Das alles ist so traurig, daß man am liebsten die Flucht ergreifen würde — zum Beispiel zum Mars.

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Wochen waren vergangen, und das Datenmaterial von der zweiten Marsaufnahme, das Vince DiPietro angefordert hatte, war noch immer nicht eingetroffen. Er rief beim Jet Propulsion Laboratory an. Man hatte die Anfrage zwar erhalten, aber das Material wurde nicht freigegeben. Vince und Greg machten sich Gedanken über die Gründe für diese Weigerung. Wußte man bei der NASA schon über die zweite Aufnahme von dem »Gesicht« Bescheid?

Vince und Greg Molenaar hatten ein ungutes Gefühl. Daß sie bei einem NASA-Vertragspartner in Lohn und Brot standen, machte sie natürlich verwundbar. Ihre Nebenbeschäftigung war für sie fast zur Besessenheit geworden, und nun schien es, als wolle das allmächtige JPL ihren unbändigen Forschungsdrang bremsen.

Ihre anfänglichen Befürchtungen machten schon bald aufrichtiger Empörung Platz. Bestärkt durch die Erkenntnis, daß die Weigerung der Verantwortlichen, das Datenmaterial aus der Hand zu geben, ein sicheres Indiz für dessen Bedeutung sein mußte, forderten Vince und Greg nachdrücklich die Herausgabe der mit Hilfe staatlicher Gelder gesammelten Informationen, die ihnen aufgrund der Gesetzeslage eigentlich nicht hätte verweigert werden dürfen.

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Sie hatten sich in die Höhle des Drachen gewagt, um seine Schätze zu rauben, und nun war der Drache erwacht. Aber waren sie nicht furchtlose Ritter?

Schließlich drohte Vince, sein Recht als steuerzahlender Bürger wahrzunehmen und den zuständigen Kongreß­abgeordneten einzuschalten. Dann hätte wegen der rechtswidrigen Zurückhaltung nichtgeheimer Informationen ein Untersuchungsausschuß gebildet werden müssen. Schließlich diente das Jet Propulsion Laboratory der Allgemeinheit und nicht umgekehrt. Die Reaktion auf diese Drohung kam umgehend. Das Band wurde ihnen sofort ausgehändigt. Dennoch hielten es die beiden Marsforscher für angebracht, ihr Hauptquartier in die Räume eines privaten Rüstungsunternehmens in Virginia, nämlich der Firma LogE Tronics in Springfield, zu verlegen.

Der neue Standort war knapp 100 Kilometer von Goddard entfernt. Das bedeutete für sie, daß sich ihr Arbeitstag — zu dieser Zeit arbeiteten sie für gewöhnlich bis drei Uhr morgens — um eine zusätzliche Stunde verlängerte. Der Wunsch, das Rätsel des »Gesichts« zu lösen, war wahrhaftig zur Besessenheit geworden, und die beiden Männer waren bereit, ein schier unbegreifliches Maß an Zeit und Energie dafür zu opfern. Nacht für Nacht arbeiteten sie bis in die frühen Morgenstunden hinein, um durch unermüdliches und zeitraubendes Experimentieren scharfe, nach dem SPIT-Verfahren bearbeitete Bilder des Objekts mit den richtigen Einstellungen auf Film zu bannen.

Eines Morgens um drei Uhr hatten sie die beiden Aufnahmen endlich in vergleichbarer Qualität vor sich: zwei Bilder eines kilometergroßen Objekts auf der Oberfläche eines viele Millionen Kilometer von der Erde entfernten Planeten, aufgenommen an zwei verschiedenen Tagen und unter verschiedenen Lichtverhältnissen. Schweigend saßen sie davor und studierten das Ergebnis ihrer unermüdlichen Bemühungen. Mit der aufkeimenden Erkenntnis, daß hier vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte Menschenaugen die Schöpfung einer außerirdischen Intelligenz anschauten, beschlich sie erneut eine lähmende Furcht. Die Furcht, sich verbotenes Wissen angeeignet zu haben. Auf dem Mars, so schien es, hatte es einmal Leben gegeben.

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Am Tag nach Weihnachten 1983 geschah etwas, das mein Leben für immer verändern sollte. Es war ein Tag wie jeder andere gewesen. Ich hatte es mir mit meiner Frau Faye und meiner dreijährigen Tochter Elizabeth gemütlich gemacht. Um unser Haus, das in der herrlichen Berglandschaft nordöstlich von Albuquerque lag, stoben die Schneeflocken. Es war behaglich warm im Haus, und ich saß vor dem Fernseher und sah mir den Vorspann für die Abendnachrichten an. Der Aufmacher war eine Geschichte über ein sogenanntes »Gesicht« auf dem Mars. Ich dachte, es sei irgendein satirischer Beitrag, und beschloß, ihn mir anzuschauen, in der Hoffnung, ein paar interessante Aufnahmen vom Mars zu sehen.

Ich konnte die Ablenkung gebrauchen. Das Jahr, das gerade zu Ende ging, hatte mir einige Unruhe beschert, und das kommende barg viele Unsicherheiten für mich, ein echtes Orwellsches 1984.

Das vergangene Jahr war nicht gut gelaufen für mich. Ich arbeitete jetzt seit zwei Jahren bei den Sandia National Laboratories, einem staatlichen Rüstungsunternehmen, das sich mit der Entwicklung von Nuklearwaffen beschäftigte und Energieforschung betrieb. Es war meine erste Anstellung, nachdem ich die Universität beendet hatte.

Die Sandia Laboratories lagen im Wüstengebiet südlich von Albuquerque in New Mexico, am Rande des Luftwaffenstützpunkts Kirtland. Es war eine asketische, strenge Landschaft, und bedauerlicherweise war das Arbeitsklima im Betrieb nicht weniger unfreundlich.

Ich bin Plasmaphysiker, beschäftige mich also mit Materie in ihrem vierten Aggregatzustand - dem Zustand, der nach dem festen, flüssigen und gasförmigen folgt.

Plasma ist ein leuchtendes, elektrisch leitendes Gasgemisch, wie beispielsweise der Blitz oder das Polarlicht. Der Großteil der Materie in unserem Sonnensystem ist Plasma. Die Sterne der Galaxien bestehen aus Plasma, und mein Forschungsgebiet war dementsprechend groß. Bei Sandia war mein Aufgabenbereich dagegen ziemlich eingeschränkt: Ich befaßte mich mit den Flugbahnen hochenergetischer Elektronen in der Luft. Diese Forschungen dienten dem Zweck, eine Technologie zur Raketenabwehr zu entwickeln.

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Ich machte die Art Erfahrung, die viele Leute an ihrem ersten Arbeitsplatz machen, als ich wegen eines technischen Problems mit einem meiner Vorgesetzten aneinandergeriet. Der Streit hatte persönliche Züge angenommen, was dadurch nicht besser wurde, daß ich in technischer Hinsicht zwar nachweislich recht hatte, meinen Standpunkt aber wahrscheinlich nicht gerade diplomatisch vertrat. Während der Kalte Krieg mit den Sowjets seinen eisigen Höhepunkt erlebte, erlebte ich also meinen eigenen kleinen Kalten Krieg und mußte erfahren, daß in der Wissenschaft nicht nur die reine Logik herrscht, sondern daß die menschliche Psyche aller Beteiligten eine nicht unwesentliche Rolle darin spielt.

Um mich von diesen Problemen abzulenken, hatte ich mich ein wenig mit der Marsforschung beschäftigt und in meiner Freizeit ein paar Science-fiction-Geschichten zu schreiben versucht. Ich malte mir gern eine friedliche Zukunft aus, in der die Menschheit den Kalten Krieg überwunden hatte und der atomaren Zerstörung entgangen war — um so mehr, als ich bei meiner Arbeit ständig mit dem entgegengesetzten Szenario konfrontiert war.

Die Wüstenstriche und Berglandschaften rund um Albuqueraue, die so ganz anders waren als die Landschaft, in der ich meine Kindheit verbracht hatte, erinnerten mich mit ihrer dunklen Rotfärbung an die Bilder, die ich vom Mars gesehen hatte. Mir schwebte der Mars als Schauplatz für eine meiner Science-fiction-Geschichten vor.

Aus diesem Grund war ich wirklich gespannt, als ich es mir mit meiner Familie nach einem festlichen Abendessen vor dem Fernseher gemütlich machte und auf den Bericht wartete, unter dem ich mir eine Art Flash-Gordon-Parodie vorstellte.

Aber ich hatte mich geirrt; es war eine ganz seriöse Berichterstattung. Plötzlich erschienen die Aufnahmen, die Vince DiPietro und Greg Molenaar entdeckt und bearbeitet hatten, auf dem Bildschirm. Ich sah das »Gesicht« und war wie elektrisiert. Das spöttische Lächeln verging mir. Das war keine parodistische Einlage. Das Gebilde sah aus wie ein menschlicher Artefakt und erinnerte irgendwie an die alten Skulpturen der Azteken. Es war verblüffend - und weckte in mir die vage Erinnerung an andere Formationen, auf die ich bei meiner Beschäftigung mit dem roten Planeten gestoßen war. Es gab auf dem Mars noch andere Gebilde, die Artefakten aus einer untergegangenen Zivilisation glichen. Es gab dort Pyramiden! Wo waren sie noch gleich gewesen?

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Dann fiel es mir wieder ein. Während meiner Beschäftigung mit dem Mars war ich auf das Begleitbuch zu Carl Sagans wunderbarer Fernsehserie Unser Kosmos gestoßen, in der er auch auf die pyramidenartigen Gebilde in der Marsebene Elysium Planum eingeht. Sie sehen aus wie aus kleinen Bergen gehauene Pyramiden.6 Ich weiß noch, daß mich die Stelle irritierte, weil sie die Frage nach intelligentem Leben auf einem Planeten aufwarf, der so aussah, als könne er nicht einmal primitivstes Leben beherbergen. Ich kannte natürlich die Ergebnisse der Viking-Mission, die keinerlei Leben auf dem Mars gefunden hatte. Der Mars war unbelebt, und er war es schon immer gewesen. Das war das offizielle Ergebnis der Suche nach Leben auf dem Mars. Es war eine einfache Geschichte, die auf verläßlichen Daten basierte. Das Kapitel war abgeschlossen. Ich hatte die offizielle Lesart akzeptiert. Konnte es sein, daß ich mich geirrt hatte?

Ich fühlte mich wie der Mann aus dieser Star-Trek-Episode, der im Innern eines Asteroiden lebt und eines Tages entdeckt, daß das, was man ihm als Himmel vorgekaukelt hat, in Wirklichkeit die Decke seiner Behausung ist. Es ging mir wie Galilei, nachdem er zum ersten Mal die Monde des Jupiter durch sein Teleskop gesehen hatte — aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur — und begriff, daß der Himmel nicht so beschaffen war, wie es die Kirche behauptete. Konnte das in der Wissenschaft allgemein akzeptierte Bild vom leblosen Mars falsch sein? Ich starrte auf den Bildschirm, und der Gedanke an ein mögliches Leben auf dem Mars ging mir wieder einmal durch den Kopf.

Ich mußte es wissen, und mir wurde klar, daß ich die Wahrheit selbst herausfinden mußte.

Aus dem Beitrag erfuhr ich, daß die Untersuchungen, über die hier berichtet wurde, von zwei Männern durchgeführt worden waren: Vince DiPietro und Greg Molenaar, die im Goddard Raumfahrtzentrum in der Nähe von Washington arbeiteten. Ich prägte mir die Namen ein. Gleich nach den Feiertagen würde ich sie anrufen.

 

Vince DiPietro und Greg Molenaar hatten die Ergebnisse ihrer Arbeit auf einer Pressekonferenz im Mai 1980 vorgestellt. Ein für die Öffentlichkeitsarbeit zuständiger NASA-Mitarbeiter hatte sie zuvor angesprochen. »Ich hoffe. Sie haben mehr Glück als wir«, hatte er gesagt.

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Das hatten sie nicht. Die Pressekonferenz fand nur ein geringes Echo. Eine Handvoll Interessierter, Astronomen der NASA, ein Wissenschaftsjournalist und ein Rundfunkreporter, waren gekommen. Es war sehr enttäuschend.

Für manch einen schien jedoch selbst dieses schwache Echo noch zuviel zu sein. Gewisse Leute empfanden die Pressekonferenz offensichtlich als eine Bedrohung. Die Sache kam Vince DiPietros und Greg Molenaars Arbeitgeber zu Ohren. Demselben Arbeitgeber, der sie wenige Monate zuvor für die Erfindung des SPIT-Verfahrens zur Bearbeitung der Marsaufnahmen gewürdigt und mit einer Auszeichnung belohnt hatte. Ein Untersuchungsausschuß wurde einberufen.

Vince sah der Sache mit fatalistischer Gelassenheit entgegen. Er würde kämpfend untergehen. Greg aber machte sich Sorgen über die möglichen Konsequenzen. Sein Vorgesetzter hatte ihn aufgefordert, alle Programme, die er mit Vince zusammen erarbeitet hatte, zu löschen. Sie mußten mit dem Schlimmsten rechnen. Vince und Greg wurden der mißbräuchlichen Nutzung von Regierungseigentum beschuldigt: die Bildbearbeitungsgeräte der NASA, die sie für ihre Arbeit verwendet hatten. Man präsentierte die Verträge, die sie bei ihrer Einstellung unterschrieben hatten und denen zufolge ihnen eine solche eigenmächtige Tätigkeit untersagt war. Es wurde ernst. Bitterer Ernst.

Schnell war klar, daß die Untersuchung vor allem dem Zweck diente. Gründe für die Entlassung der beiden zu konstruieren. Erst als die »Beweisführung« für eine Weile unterbrochen wurde, bat Vince, dem Untersuchungs­ausschuß die schriftliche Genehmigung vorlegen zu dürfen, die sie immer noch besaßen. Das war eine Wendung, die keiner erwartet hatte. Nach einem Moment eisigen Schweigens gestattete man Vince und Greg, den Saal zu verlassen. Es gab nichts mehr zu besprechen. Die Sitzung war geschlossen, und die beiden hatten ihre Stellung behalten. Verblüfft über diesen leichten Sieg kehrten sie an ihren Arbeitsplatz zurück. Auf einmal war alles wieder im Lot, es war, als sei nichts geschehen.

Stürme um den Mars, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn, waren allerdings nichts Neues. Jahre zuvor hatte der Mars selbst der NASA bewiesen, wie weit er vom Zustand friedlicher Ruhe entfernt sein konnte.

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In der Albedoregion Noachis im Süden des Mars war plötzlich eine gigantische gelbe Staubwolke erschienen, und kurz darauf stiegen explosionsartig rötliche Staubwolken auf. Der Sturm, der sich in Noachis zusammengebraut hatte, brach los und zog in nordöstlicher Richtung weiter; während er in Äquatornähe über den Planeten tobte, nahm er ständig an Stärke zu. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 560 Stundenkilometern fegte er über die Oberfläche des Mars und erzeugte so in der dünnen Atmosphäre eine Staubwand von mehr als 20 Kilometern Höhe.

Im Kontrollraum des Jet Propulsion Laboratory sah man keinen Grund zur Aufregung, als der Staubsturm am 22. September 1971 auf den Aufnahmen erschien, die Mariner 9 zur Erde funkte. Die Sonde war noch sechseinhalb Wochen vom Mars entfernt, und bis dahin würde sich die Luft über dem Planeten wieder aufgeklärt haben. Staubstürme waren durch Teleskope schon früher auf dem Mars beobachtet worden. Sie traten immer um die Zeit des Marsperihels auf, des sonnennächsten Punkts des Marsorbits, an dem die Erwärmung durch die Sonne am größten war. Die Stürme wüteten stets mehrere Wochen lang über dem Planeten und klangen dann allmählich wieder ab. Das war ein vorhersagbares klimatisches Verhalten des Mars, ein meteorologischer Wutausbruch, der zum bizarren Charakter des Planeten gehörte. Solche Ereignisse waren bei der Planung der Mariner-9-Mission berücksichtigt worden. Diesmal wurde jedoch schnell klar, daß der Sturm heftiger werden würde als alle zuvor beobachteten. Das Sturmgebiet vervierfachte seine Größe und breitete sich in nördlicher und südlicher Richtung aus. Innerhalb von Tagen war der Sturm unter den Augen der ungläubigen Beobachter auf der Erde bis in die Polarregionen vorgedrungen und tobte nun mit unverminderter Stärke über dem gesamten Planeten.

Zwei sowjetische Sonden, Mars 2 und 3, erreichten den Planeten während dieses Sturms und versuchten erfolglos, Aufnahmen von dessen Oberfläche zu machen. Beide Sonden waren vorprogrammiert worden, und ihre jetzt sinnlos gewordenen Missions­ziele konnten nicht modifiziert werden. Als ihre Kameras die ihnen einprogrammierte Zahl an Aufnahmen gemacht hatten, schalteten sie sich ab, obwohl die Bilder nichts als Staub zeigten.

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Beide Sonden schickten ihre Landemodule los, die mit roboterhafter Gleichgültigkeit in die sturmgepeitschte Atmosphäre eintauchten. Das eine versagte vollkommen den Dienst, das andere legte eine Bruchlandung hin und funkte nur Datenfragmente zur Erde zurück. Der Mars hatte der sowjetischen Mission eine empfindliche Niederlage bereitet.

Die Mariner-Sonde zündete ihre Bremsraketen und trat problemlos in die Marsatmosphäre ein. Es war der 10. November 1971, sechs Wochen, nachdem der Sturm begonnen hatte. Im JPL-Kontrollzentrum herrschte Krisenstimmung. Von Pol zu Pol war der Mars von roten Staubmassen umhüllt. Nur vier dunkle Flecken waren auf der ansonsten gleichmäßig bedeckten Marsoberfläche auszumachen. Sie entpuppten sich als mächtige, 20 Kilometer hohe Vulkane — die einzigen Objekte auf dem Planeten, die so hoch waren, daß sie aus der Wand aus Staub herausragten. Während das Raumschiff vor dem Hintergrund der Sterne hoch über den dichten Wolken aus rotem Staub seine Bahnen zog, warteten die Verantwortlichen der Mission auf der Erde mit sorgenvoller Miene ab.

Die Sonde Mariner 9 war der erste Marsorbiter. Ihre Schwestersonde hatte ihren Flug schon im Atlantik beendet. Alles konnte schiefgehen angesichts der Wetterverhältnisse auf dem Mars, die eine Durchführung der Hauptmission unmöglich machten: die komplette Kartographierung des Mars und detaillierte Untersuchungen an bestimmten Stellen seiner Oberfläche. Aber man rechnete immer noch fest damit, daß sich der Sturm bald legen würde. Die Wetterforschung auf der Erde hatte gezeigt, daß Sturmfronten ihre Energie aus Unterschieden in Druck, Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den verschiedenen Regionen eines Planeten beziehen. Wenn ein Sturm also global auftritt, müssen sich die Unterschiede durch die klimatische Vermischung der unterschiedlichen atmosphärischen Gebiete gegenseitig aufheben. So wird der Sturm seiner Energiequelle beraubt und legt sich alsbald. Soweit die Theorie. Aber der Mars scherte sich nicht um unsere irdischen Gesetze, und die Staubstürme tobten weiter.

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Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, und immer noch wütete der große Sturm. Mittlerweile reichten die roten Staubwolken bis in die Ionosphäre, den äußersten Rand der Marsatmosphäre. Sie türmten sich bis zu einer Höhe von 70 Kilometern über dem Planeten. Für die wissenschaftlichen Leiter der Mission war dies eine nervenaufreibende Zeit, während ihre Sonde nach wie vor einwandfrei arbeitete, hoffnungsvoll ihre Bahnen zog und gelegentlich ein Bild von den entfesselten Gewalten des Mars zur Erde schickte. Die Aufnahmen, die in der Hoffnung entstanden, endlich einen freien Blick auf den Planeten zu gewinnen, wurden immer zahlreicher.

Jedem war bewußt, daß der Ausfall eines einzigen wichtigen Instruments der Sonde das Aus für die gesamte Mission bedeuten konnte; dann hätte sie nicht mehr erbracht als vor ihr die sowjetischen Sonden Mars 2 und 3, nämlich nichts als Aufnahmen von undurchdringlichen Staubmassen. Die Marsatmosphäre war ein einziges Chaos, in dem sich Energien wie von tausend irdischen Orkanen auf einmal entluden, Energien wie von Millionen von Wasserstoffbombenexplosionen in der Sekunde. Und über diesem Hexenkessel rasten rostrote Zyklone dahin. Von welcher Energiequelle wurde diese globale Apokalypse gespeist? »Wann wird sich der Sturm legen?« war die Frage, auf die auch die Wissenschaftler den Leitern der Mission keine Antwort geben konnten. Schließlich entschloß man sich, die Sonde im Orbit zu »parken«, um die Treibstoffreserven zu schonen, von denen schon zu viel für die Steuerung der Solarsegel und andere sinnlose Manöver vergeudet worden war.

So trieb Mariner 9 monatelang schlafend auf ihrer Umlaufbahn dahin. Als sich im Januar 1972 der größte in der Geschichte der Menschheit jemals beobachtete Staubsturm endlich legte, klarte der Himmel auf. Im März herrschten wieder gute Sicht­verhältnisse, die Wissenschaftler auf der Erde atmeten auf und bewunderten den Anblick des Planeten mit seinen tiefen Schluchten und gigantischen Vulkanen, deren Existenz man bisher nur vermutet hatte. Es gab dort zwar keine Kanäle, wohl aber große, ausgetrocknete Flußläufe, und sie erzählten uns die Geschichte von Strömen, die hier einmal über Hunderte von Kilometern hinweg geflossen sein mußten. Als sich der Mars also endlich enthüllte, zeigte er sich unseren staunenden Blicken als ein neuer, von Wasser geformter Planet.

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Das Schicksal nimmt manchmal einen seltsamen Lauf, denn was die Erde rettete, war nicht die Erkenntnis, daß es auf dem Mars einmal Wasser gegeben hatte. Es war der Sturm, der die Erde rettete. Während wir geduldig darauf warteten, daß sich der Sturm auf dem Mars legte, gab uns der Mars nämlich zu verstehen, daß wir unser Augenmerk auf den Sturm selbst richten mußten. Der Mars sprach mit donnernder Stimme eine für uns lebenswichtige Wahrheit aus. Zum Glück hörte jemand zu — denn damals rettete der Mars der Erde das Leben —, und die meisten von uns bemerkten es nicht einmal.

Das Ganze spielte sich etwa folgendermaßen ab: Ein paar prominente Wissenschaftler (Männer, die sich ihre kindliche Neugier und Begeisterung bewahrt hatten) saßen herum und warteten darauf, daß ihr neuestes und schönstes Raumschiff Aufnahmen vom Mars machte, über die sie in ihrem kleinen auserwählten Kreis in Begeisterungsstürme ausbrechen konnten, bevor sie sich in einer Presseverlautbarung über so wichtige Dinge wie die geologischen und klimatischen Bedingungen auf dem Mars äußern würden.7 Leider tobte dieser ärgerliche Sturm auf dem Mars, so daß der erhebende Moment auf sich warten ließ, und obendrein litten die Männer unter akuter Langeweile. Und vielleicht machten sie sich auch Sorgen. Sie hatten hart für das Projekt gearbeitet, der Staat hatte viele Millionen dafür ausgegeben, sie hatten es geschafft, ihr Raumschiff über eine Entfernung von rund 90 Millionen Kilometern hinweg punktgenau ans Ziel zu bringen und dann ... Staub!

Sie hatten also nicht viel mehr zu tun als herumzusitzen, dieser Mutter aller Stürme beim Toben zuzusehen und nachzudenken.

Nun gab es eine Menge Dinge, über die sie hätten nachdenken können. Was man in die Berichte an die zuständigen Regierungsstellen schreiben sollte beispielsweise, oder wo man sich nach einem neuen Job umschauen könnte, falls die Mission fehlschlug. Aber wer glaubt, solche Gedanken hätten sie beschäftigt, kennt diese Männer schlecht. Sie begeisterten sich vielmehr in zunehmendem Maße für den Sturm und fragten sich, warum es auf der Erde solche extremen Wetterphänomene nicht gab. Oder etwa doch? Warum sollte schließlich nur der Mars das ganze scheußliche Wetter abbekommen? Und so fingen sie an, sich die wirklich schlimmen Staubstürme auf der Erde in Erinnerung zu rufen.

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Ihre Unterhaltung könnte sich ungefähr so angehört haben:

»Moment mal, wer hat denn gesagt, daß es bei uns nicht auch solche Staubstürme geben kann? Denkt bloß an die schlimmen Staubstürme in den Dreißigern!«
»Das nennst du Staubstürme? Das war doch gar nichts... damals wurden ein paar Jahre lang einige Regionen in Nordamerika verwüstet. Wen interessiert das schon? Wir sprechen hier von Stürmen, die einen Planeten von Pol zu Pol überziehen. Welche Energiequelle steckt dahinter?«
»Was ist mit Krakatau im Jahr 1883? Also das nenne ich einen großen Staubsturm!«
»Krakatau? Ein großer Sturm? Ist das dein Ernst? Als der Tambora 1815 ausbrach, wurde so viel Staub in die Luft geschleudert, daß es 1816 keinen Sommer gab!«
»Was, wenn wir von einem Asteroiden getroffen würden? Das könnte wirklich einigen Staub aufwirbeln!«

 

Eins führte zum anderen, und es dauerte nicht lange, da mußten die Männer nach allerlei Spekulationen und Berechnungen feststellen, daß sie nicht in der Lage waren, sich unter den klimatischen Bedingungen der Erde einen Sturm vorzustellen, der mit einer ähnlichen Intensität wie der auf dem Mars wüten würde — einen planetenweiten Sturm, der stark genug wäre, alles Leben auf der Erde auszulöschen. Sie zermarterten sich das Hirn, während vor ihren Augen der Marssturm tobte. »Warum?« lautete die Frage. Ein Vulkanausbruch konnte so etwas nicht bewirken. Ein Asteroid vielleicht, aber das war nicht des Rätsels Lösung. Es war zu unwahrscheinlich. Das, was den Sturm ausgelöst hatte, mußte sich irgendwo in der Nähe abgespielt haben. Aber was, um alles in der Welt, vermochte abermillionen Tonnen Staub so hoch in die Atmosphäre zu schleudern, daß ein planetenweiter Staubsturm entstand? Nichts, dachten die Männer — bis sich tief in ihrem Unterbewußtsein ein Schleier zu lüften begann und ein schrecklicher Alptraum Gestalt annahm, der an Substanz gewann und sich in ihren Gedanken ausbreitete und aufbauschte, bis das Bild eines gigantischen Atompilzes vor ihrem inneren Auge in die oberen Bereiche der Stratosphäre aufstieg.

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Natürlich war der Sturm auf dem Mars nicht durch eine Atomexplosion ausgelöst worden. Aber er führte uns etwas vor Augen, das für das Leben auf der Erde unerhört wichtig war. In diesem Moment wurde es klar. Unser Planet konnte die Klimaveränderungen, die ein Atomkrieg mit sich bringen würde, nicht überleben. Wir würden einen nuklearen Winter ebensowenig überstehen wie die Dinosaurier die Klima­veränderungen überlebten, die ein gigantischer Meteoriteneinschlag mit sich gebracht hatte. Obwohl es noch Jahre dauerte und noch viele Berichte in wissenschaftlichen Zeitschriften darüber geschrieben werden mußten, bis sich die Vorstellung eines »nuklearen Winters« in den Köpfen der Menschen Bahn brechen konnte, hatte sich das Virus doch bereits in ihren Gedanken eingenistet. Und allein der Gedanke erschütterte die Menschen so sehr, daß selbst die Rüstungsindustrie die Augen nicht mehr vor der Wahrheit verschließen konnte.

 

Als ich meine kleine Tochter an diesem Abend ins Bett brachte, nachdem ich den Fernseher abgeschaltet hatte, dachte ich über das Gesehene und seine Bedeutung nach. Was, wenn wir tatsächlich Beweise für die Existenz intelligenten Lebens auf dem Mars finden würden? Zuerst einmal, dachte ich belustigt, würde vor diesem Hintergrund der Kalte Krieg zur Farce werden. Wen konnte es angesichts einer solchen Entdeckung interessieren, ob in der Schule Marx oder Keynes zur Pflichtlektüre gehörte? Es wäre wie eine Prügelei zwischen Nachbarn, die plötzlich feststellen, daß das gemeinsam bewohnte Haus in Flammen steht. Vielleicht würde es soweit kommen, daß Wissenschaftler aller Nationen zusammenarbeiteten. Ich dachte daran, welche Begeisterung und welchen Eifer eine solche Entdeckung in der wissenschaftlichen Welt auslösen mußte. Diese Gedanken im Sinn, blätterte ich in meinen Büchern über den Mars, bis ich die Aufnahmen der Mariner-Sonde fand, unter denen auch ein Foto der Pyramiden von Elysium war.8 Ich las die Beschreibung der ausgetrockneten Wasserläufe noch einmal durch. Offensichtlich war der Mars irgendwann einmal unserer Erde viel ähnlicher gewesen, und es hatte auf seiner Oberfläche wasserführende Flüsse gegeben.

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Allein das Vorhandensein von Wasser im flüssigen Aggregatzustand setzte voraus, daß irgendwann in der Vergangenheit - vor vielleicht drei Milliarden fahren - auf dem Mars eine ähnliche Temperatur und ein ähnlicher atmosphärischer Druck geherrscht haben mußten wie auf der Erde. Und wenn das »Gesicht« wirklich das war, was es zu sein schien, dann mußten diese Bedingungen längere Zeit angehalten haben als bisher angenommen.

Am ersten Arbeitstag nach den Feiertagen stand ich mit einigen Kollegen im Korridor, wo wir Kaffee tranken und Festtagsanekdoten austauschten. Ich genoß die kameradschaftliche Atmosphäre, die unter diesen hochqualifizierten Wissenschaftlern herrschte. Als ich das »Gesicht auf dem Mars« erwähnte, erntete ich ungläubige und auch gereizte Blicke von den anderen. Zum Glück kam mir eine Physikerin zu Hilfe, die dieselbe Sendung im fernsehen gesehen hatte. Ich zog meine Lehre aus diesem Erlebnis: Selbst diese hochgebildeten, brillanten Wissenschaftler und Ingenieure reagierten erst einmal emotional und erschrocken, als sie damit konfrontiert wurden, daß es auf dem Mars mögliche Hinweise auf einen von einer intelligenten Spezies geschaffenen Artefakt gab. Doch sobald sie begriffen hatten, daß dieses Objekt, was immer es auch sein mochte, wirklich existierte, siegte ihre Neugier und die Erkenntnis, daß es sich um einen sensationellen Fund handelte, falls es sich tatsächlich als ein Ariefakt erweisen sollte.

Der Kalte Krieg war auf seinem Höhepunkt angelangt; Präsident Reagan verfolgte unbeirrbar sein Aufrüstungs­programm, der Krieg in Afghanistan wollte kein Ende nehmen, eine Maschine der Korean Airlines mit der Flugnummer 007 wurde über der Sowjetunion abgeschossen, und man beschäftigte sich eingehend mit den möglichen Folgen eines Atomkrieges. Die Sicherheit meines Landes lag mir am Herzen, und ich war nicht gerade ein glühender Anhänger des sowjetischen Kommunismus, schon gar nicht nach den Erfahrungen meiner Reise im Jahr 1972. Aber ich hatte auch den scheinbar endlosen Kalten Krieg satt. Angesichts der feindseligen Haltung der beiden Supermächte mußte die Menschheit in ständiger Furcht vor der nuklearen Vernichtung leben, und wenn es ein Mißverständnis war, das diese nach sich zog.

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Bei Sandia arbeitete ich an der Entwicklung von Strahlenwaffen und an Kernfusionsprojekten mit. Ich stand im Kalten Krieg also an vorderster wissenschaftlicher Front, genau wie meine Mitstreiter in diesen Tagen, in denen sich die US-Regierung dem »Krieg der Sterne« verschrieben hatte.

Das im Volksmund »Krieg der Sterne« genannte Forschungsprogramm SDI (Strategie Defense Initiative = Strategische Verteidigungsinitiative) diente der Errichtung eines umfassenden, weltraum­gestützten Abwehrsystems gegen ballistische Atomraketen. Als Reagan offiziell die Finanzierung des SDI-Programms ankündigte, brach in unserer Firma wie in allen Forschungsbereichen, die sich mit Rüstungstechnologien befaßten, ein wahrer Freudentaumel aus, weil damit endlich eine Alternative zur atomaren Aufrüstung zu winken schien, an die wir uns so lange geklammert hatten. Es nahm uns eine schwere Last von den Schultern. Eine Last, die wir mit uns herumschleppten, seit wir verstanden hatten, was uns der furchtbare Sturm sagte, der über den Weiten des Mars getobt hatte.

Der Gedanke an einen nuklearen Winter, wie Carl Sagan, Richard Turco, Owen Toon, Thomas Ackerman und James Pollack ihn sich ausgemalt hatten, verunsicherte meine Kollegen bei Sandia und auch mich, obwohl ich es bisher nicht zugegeben hatte. Zwar wurde nicht offen darüber gesprochen, aber die Folgen eines atomaren Winters, die vor allem Carl Sagan nach eingehenden Studien prognostizierte, machten den im Auftrag des US-Verteidigungs­ministeriums tätigen Wissenschaftlern schwer zu schaffen. Denn diese Studien machten deutlich, daß die Menschen die auf einen Atomkrieg der beiden Supermächte unweigerlich folgenden Umwelt­katastrophen nicht überleben konnten, selbst wenn sie den unmittelbaren Auswirkungen der Explosionen und dem nachfolgenden radioaktiven Niederschlag entgingen. Man wußte jetzt, daß der nukleare Winter eine drohende Realität war, weil man herausgefunden hatte, daß die großen Mengen Staubes, die im Falle eines Atomkrieges in die Atmosphäre gelangten, über einen langen Zeitraum hinweg unter turbulenten Bedingungen den Planeten umhüllen und vom Licht der Sonne abschirmen konnten. Und wenn das geschah, würden die Unglücklichen, die den Atomkrieg überlebt hatten, in einer noch tödlicheren Fortsetzung dieses Krieges verhungern oder erfrieren. Dieses Szenario schwebte über Sandia wie der Schatten der Verdammnis.

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Indem er uns gezeigt hatte, daß ein Atomkrieg nicht zu überleben war, hatte der Mars dem atomaren Wettrüsten den Wind aus den Segeln genommen und so vielleicht tatsächlich die Erde gerettet.

Wir betrachten den Mars im allgemeinen als einen fernen Himmelskörper, der mit der Erde in keinerlei Verbindung steht. Aber die Wahrheit ist, daß wir mehr gemein haben als eine vergleichbare Vergangenheit. Wir haben eine gemeinsame Zukunft.

Daß die Menschen vom Mars fasziniert sind, ist verständlich und — wenn man bedenkt, daß die Menschheit in einer Milliarde Jahren wahrscheinlich dort leben wird — vielleicht sogar notwendig. Es wird zwar noch unvorstellbar lange dauern — schätzungs­weise 330mal so lange wie die gesamte Menschheitsgeschichte —, aber irgendwann einmal wird es zu heiß werden auf der Erde, und der Mars bietet sich am ehesten als neue Heimat an.

Unsere Sonne ist jetzt 4,5 Milliarden Jahre alt. Irgendwann einmal, wenn sie den größten Teil ihrer Brennstoffe verbraucht hat, wird sie heißer werden. Wenn das passiert, wird sich die Zone, in der menschliches Leben möglich ist, in der Wasser in flüssiger Form existieren kann, ohne zu verdampfen, in unserem Sonnensystem weiter nach außen verschieben. (Einige Wissenschaftler sind der Meinung, daß dies schon heute ein Faktor des Treibhauseffektes sei.) 

In etwa einer Milliarde Jahren also wird unsere Erde glühend heiß und knochentrocken sein. Wie heute die Venus wird die Erde dann nicht mehr im bewohnbaren Bereich des Sonnensystems liegen. Und der Mars? Wenn die Sonne ihre wärmende Energie weiter hinaus in die Galaxie schickt, wird aus dem heute kalten, öden Planeten eine warme, sonnige Welt werden, die im inneren Radius des bewohnbaren Bereichs ihre sicheren Kreise zieht.9

Der Mars ist zwar ein vergleichsweise kleiner Planet, aber wenn man ihn nach dem Vorbild der Erde umformen und gestalten könnte, wäre er der ideale Ort für eine Besiedlung durch die Menschen.

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Es gibt Stimmen, die behaupten, daß dies in einem Zeitraum von etwa 10.000 Jahren machbar sei; es müßten also unzählige Generationen die Vorbereitungen für den Aufbruch ihrer Nachfahren in eine neue Welt treffen, ohne je selbst die Früchte ihrer Arbeit ernten zu können. Und diese Generationen müßten nicht nur gewillt sein, gemeinsam auf dieses ferne Ziel hinzuarbeiten, sondern sie müßten sich auch technisch und ethisch weiterentwickeln, um auf dem Mars die Bedingungen schaffen zu können, die den Planeten für Pflanzen, Tiere und Menschen bewohnbar machen würden. An erster Stelle müßten die technischen Voraussetzungen für bezahlbare bemannte Raumflüge über weite Distanzen entwickelt werden. Weniger offensichtlich, aber ebenso wichtig sind die ethischen Voraussetzungen, die wir brauchen, um die Erde für die nächsten 10.000 Jahre und länger zu erhalten, während auf dem Mars die Vorbereitungen für den Umzug der Menschheit getroffen würden.

Die Idee, einen Planeten nach dem Vorbild der Erde umzugestalten, mag vielleicht etwas exotisch anmuten, eher wie die Fantasie eines Science-fiction-Autors als wie eine ernsthafte wissenschaftliche Überlegung. Aber vor nicht allzu langer Zeit hätte man einen Menschen für verrückt erklärt, hätte er behauptet, wir würden einmal fliegen und gar zu anderen Planeten reisen können. Die Zukunft erscheint immer wie Fantasie. Darum ist die Vorstellungskraft eine so lebenswichtiger Aspekt unseres Seins — die Fähigkeit, kreative Visionen, fantastische Möglichkeiten für die Zukunft zu entwickeln.

Wenn die Sonne heißer wird, wird der Mars keine eisige Ödnis mehr sein, sondern es wird ein gemäßigtes Wüstenklima dort herrschen, es wird Wasser geben, Luft zum Atmen und eine Flora, wie wir sie kennen. Wenn wir also den Mars der Erde ähnlich machen wollen, bevor diese glühend heiß geworden ist, müssen wir damit beginnen, ihn auf dieselbe Weise zu erwärmen, wie wir es bereits unbeabsichtigt mit unserer Erde tun. Nun wäre es zwar wünschenswert, auf dem Mars einen künstlichen Treibhaus­effekt auszulösen, da aber die Marsatmosphäre nicht genügend Sauerstoff enthält, kann dort nichts verbrannt werden, und Verbrennungs­produkte sind nun einmal die Hauptursache für die globale Erwärmung der Erde.

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Vielleicht könnte man einen kleinen Fusionsreaktor verwenden, um Treibhausgase wie Wasserdampf (der sich sehr gut eignet, weil er ungiftig ist und gute wärmespeichernde Eigenschaften besitzt) zu erzeugen, wozu man die auf dem Mars vermuteten unterirdischen Wasserreserven heranziehen könnte.

Die Kappe des Marsnordpols besteht zum größten Teil aus gefrorenem Wasser. Sie reflektiert in ihrem gegenwärtigen Zustand etwa 77 Prozent des einfallenden Sonnenlichts. Wenn wir sie etwas abdunkeln könnten, würde sie einen größeren Teil der Sonnenwärme absorbieren, die sie im Moment noch in Form von Licht reflektiert. Eis würde schmelzen und Wasserdampf freigesetzt. Man könnte vielleicht, wie es der bekannte deutsche Wissenschaftsautor Johannes v. Buttlar vorschlägt, eine der blaugrünen Algenarten benutzen, die in extrem kaltem Klima gedeihen, und sie auf den Polarkappen des Mars ansiedeln, um den gewünschten Verdunkelungseffekt zu erzielen.10 Wahrscheinlich müßten wir sie von der Erde einfliegen, aber es besteht immerhin auch der Hauch einer Chance, daß auf dem Mars selbst solche Algen zu finden sind. Die Algen würden nicht nur mehr Sonnenlicht absorbieren und so zur Erwärmung des Planeten beitragen, sondern sie würden auch, sofern sie dort geeignete Lebensbedingungen fänden, durch ihren auf Photosynthese beruhenden Stoffwechsel Kohlendioxid abbauen und Sauerstoff produzieren.

In dem Maße, in dem die Erwärmung und Veränderung der Atmosphäre voranschritte, würde sich auch der barometrische Druck der nun dichteren Atmosphäre erhöhen. Irgendwann würde es auf dem Mars dann wärmere Temperaturen, Wolken, Regen und Bodengewässer geben. Darüber hinaus bedürfte es jedoch auch einer reichen Vegetation, die den von den Menschen benötigten Sauerstoff produziert, und Menschen wie Pflanzen müßten vor der schädlichen ultravioletten Strahlung der Sonne geschützt werden. Wir müßten also eine Ozonschicht um den Planeten erzeugen.

Während die Ozonschicht allmählich aufgebaut wird, könnten wir mit den Materialien, die uns auf dem Mars zur Verfügung stehen, erste Siedlungen unter Kuppeldächern anlegen. Beispielsweise hat man in der Region Cydonia zwei neue Krater gefunden, von denen man annimmt, daß ihr Boden mit einer Schicht gefrorenen Wassers überzogen ist.11 

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Sie wären ein geeigneter Standort für solche Kuppelsiedlungen. Sie würden natürlichen Schutz vor den Elementen bieten (speziell vor den zyklonartigen Winden auf dem Mars), es müßte nur wenig Baumaterial herangeschafft werden, und die neu geschaffene Atmosphäre würde sich wunderbar in ihnen halten. Sobald sich die Luft unter den Kuppeln leicht erwärmt hätte, würde das Eis zu schmelzen beginnen und uns mit dem Wasser versorgen, das nötig ist, um atmosphärische Gase wie Sauerstoff zu produzieren. Überdachte Krater könnten für uns zu tropischen, wasserreichen Oasen werden, vergleichbar mit einem Terrarium.

So könnte es anfangen. Mit der nötigen Zeit und dem nötigen Erfindergeist gelingt es uns vielleicht, das ehrgeizige Projekt in Angriff zu nehmen. Mit der nötigen Entschlossenheit werden vielleicht zukünftige Generationen dieses oder ein ähnliches Vorhaben auf dem Mars verwirklichen. Auf jeden Fall werden wir eines Tages die Erde verlassen müssen, es sei denn, wir finden einen Weg, sie innerhalb einer ansonsten lebensfeindlichen Umgebung bewohnbar zu erhalten oder sie an einen anderen Ort im Universum zu verlegen. Natürlich könnte es sein, daß wir in einer Milliarde Jahren den Hyperraum durchqueren und Wochenendausflüge in ferne Galaxien unternehmen. Wer weiß?

Arthur C. Clarke sagt, daß die Technologie von einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung an wie Zauberei erscheinen muß, und das ist sicherlich eine Überlegung wert, wenn wir uns ein Bild von unserer Zukunft machen. Ungeachtet unserer realen Gegenwart steht es uns frei, unsere eigenen Zukunftsvisionen zu entwerfen, auch solche, die uns heute noch völlig irreal erscheinen. Unsere Zukunft wird sich nicht danach richten, was wir für möglich oder für unmöglich halten. In der Zukunft ist alles möglich. Aber wie wir uns diese Zukunft auch ausmalen mögen, eines zeichnet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ab: Wir werden die Erde eines Tages verlassen müssen.

Und so werden wir vielleicht irgendwann einmal den Mars besiedeln — aber nur, wenn wir uns hier auf der Erde das notwendige technologische Wissen aneignen und lernen, nach welchem Prinzip das System eines ganzen Planeten zu steuern ist.

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Vielleicht zeigt uns der Mars in seiner unendlichen Weisheit, was zu tun ist.

Die klügsten Köpfe unter den Marsmeteorologen haben zusammengetragen, was den globalen Staubsturm auf dem Mars ausgelöst haben könnte. Der Energielieferant war offensichtlich die Erwärmung staubreicher Luftmassen durch senkrecht einfallende Sonnenstrahlung. Die erwärmte, staubreiche Luft stieg nach oben, wo sie weitere Sonnenwärme absorbierte, so daß sie sich noch stärker aufheizte und weiter anstieg, bevor sie sich in großer Höhe wieder abkühlte. Die umliegende Luft strömte in rotierender Bewegung für die aufsteigenden Luftmassen nach und wirbelte dabei neuen Staub auf. So setzte sich der Kreislauf fort und gewann ständig an Kraft. 

Dieses Modell eines Staubsturms mit den Eigenschaften eines Hurrikans gab in etwa wieder, was man beobachtet hatte, obwohl nur selten ausgedehnte Wirbelstrukturen zu sehen waren. Es war keine Sturmfront, die von Heiß nach Kalt drängte oder umgekehrt, sondern eine vertikal auf und ab verlaufende Luftströmung, die von langer Lebensdauer sein konnte. Das Modell zeigte, daß das Sonnenlicht während des Sturms in mehreren Kilometern Höhe über dem Mars abgeblockt wurde, außer an den Polen, und man kam zu dem Schluß, daß sich ähnliches auf der Erde abspielen könnte, wenn genügend Staub, Asche und Rauch gleichzeitig in die Atmosphäre gelangte.

 

Mit dem letzten Donnergrollen des tobenden Sturms auf dem Mars waren auch die letzten Zweifel der Familienväter, die bei Sandia arbeiteten, verflogen.

Wenn davon die Rede war, daß die Atomwaffenstrategie der Vereinigten Staaten auf dem Prinzip der beiderseitig gesicherten Vernichtungsfähigkeil (MAD, Mutual Assured Destruction) basierte, hatten die meisten Männer bis zu diesem Zeitpunkt nicht bis zu ihrer eigenen Haustür gedacht.

Viele der in den Rüstungsprogrammen beschäftigten Wissenschaftler waren insgeheim der Meinung, ein Atomkrieg würde sie und ihre Familien nicht betreffen. Ich hielt das schon immer für eine absurde Vorstellung, wehrte mich aber dagegen, über die Folgen nachzudenken. Viele von uns schienen sich jedoch für die Hüter des magischen Feuers zu halten, das ihnen, da sie sich mit ihm auskannten, nichts würde anhaben können. Die Untersuchungen über den atomaren Winter hatten diese Illusion ein für allemal zerstört.

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Meine Kollegen hatten nun keine Wahl mehr, sie mußten sich damit auseinandersetzen, was ein Atomkrieg für sie persönlich bedeuten würde. Ich war schon lange zu dem Schluß gekommen, daß ich einen solchen Krieg nicht überleben wollte und daß es so etwas wie einen eingeschränkten Atomkrieg und taktische Atomwaffen nicht gab. Es gab nur den totalen nuklearen Krieg und MAD, die völlige gegenseitige Vernichtung.

In Simulationen eines örtlich begrenzten Atomkrieges hatte ich gesehen, wie die Kommunikation schon nach kurzer Zeit zusammengebrochen war, worauf die Befehlshaber ihr ganzes Munitionsarsenal abgefeuert hatten, damit die tödlichen Waffen nicht auf eigenem Territorium zerstört werden konnten.

Abgesehen davon war mir schon lange, bevor vom atomaren Winter die Rede war, bewußt, daß ein Atomkrieg die Ozonschicht für Monate oder gar Jahre zerstören mußte.

Ich blieb also in der allgemeinen Aufregung, die sich bei Sandia verbreitete, relativ gelassen.

»Weißt du, John, früher dachte ich, ich packe meine Frau und meine Kinder in den Wagen und haue ab in die Berge, wenn ich weiß, daß es einen Atomkrieg gibt«, erklärte mein Kollege Malcolm eines Nachmittags. Er war normalerweise ein brillanter Kopf. Ich sah ihn entgeistert an.

»Aber jetzt«, fuhr er fort, »habe ich beschlossen, mich mit ein paar Dosen Bier aufs Dach zu setzen und mir die ganze Show anzusehen.« Ich sah ihn immer noch sprachlos an und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. »Welches Bier würdest du denn trinken, Malcolm?« fragte ich. Er lachte, und wir wendeten uns wieder unserer Arbeit zu. 

Ich habe im Frühjahr 1982 mindestens drei Versionen dieser Geschichte gehört, und alle fingen genauso an: »Weißt du, John, früher dachte ich, ich packe meine Frau und meine Kinder in den Wagen und haue ab in die Berge, wenn ich weiß, daß es einen Atomkrieg gibt, aber jetzt...«

Ich wußte, daß dieses Thema nicht nur die Menschen auf unserer Seite des Eisernen Vorhangs beschäftigte.

Eines Nachts blieb ich lange wach, um mir den düsteren russischen Film <Letters from a Dead Man> anzusehen, der in der Zeit nach einem Atomkrieg spielt.

Als ich eines Morgens mit einem Kollegen über den Film sprach, fragte er mich, wovon er handle. »Er handelt vom Leben nach einem Atomkrieg«, antwortete ich.

Einer meiner Vorgesetzten hatte unser Gespräch im Vorbeigehen mit angehört und mischte sich ein. »Dann gibt es keins mehr«, sagte er, verschwand ohne ein weiteres Wort in seinem Büro und schloß die Tür hinter sich. Ende des Gesprächs.

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detopia-2004:

Letters from a dead man

Pisma mjortwogo tscheloweka

Briefe eines Toten

sowjetischer "postapokalyptischer" "Sciencefiktionfilm" 1986

wikipedia  Briefe_eines_Toten   Film

Regie:

Lopuschanski machte 1970 seinen Abschluss am Staatlichen Konservatorium Kasan als Geiger und absolvierte 1973 eine Aspirantur am Leningrader Konservatorium, die er als Kandidat der Wissenschaften abschloss. Er lehrte am Kasaner und Leningrader Konservatorium für mehrere Jahre, bevor er die Höheren Kurse für Drehbuchautoren und Filmregisseure besuchte. Nach dem Abschluss der Kurse 1979 war er Assistent von Andrei Tarkowski bei der Leitung des Films Stalker. Seit 1980 arbeitet er für das Lenfilm Filmproduktionsunternehmen als Produktionsleiter.

wikipedia   Konstantin Lopuschanski  *1947    

vimeo.com/114904503   Film in deutsch, 80' 

 

 

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