Bevölkerungsbuch Haber-1973 Start Weiter
1. Überbevölkerung
Von Aldous Huxley 1958
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Im Jahre 1931, als ich Schöne Neue Welt schrieb, war ich überzeugt, daß wir noch viel Zeit hätten.
Die völlig organisierte Gesellschaft - das wissenschaftliche Kastensystem - die Abschaffung des freien Willens mittels Konditionierens - die durch regelmäßige Verabreichung pharmakologisch hervorgerufener Glückseligkeit annehmbar gemachte Versklavung - die in nächtlichen Schlafunterrichtskursen eingetrichterten Glaubensartikel - das alles würde wohl einmal kommen, aber nicht zu meiner Lebenszeit, nicht einmal zu der meiner Enkel.
Ich weiß das genaue Datum der in <Schöne neue Welt> erzählten Ereignisse nicht mehr; aber sie spielten sich irgendwann im 6. oder 7. Jahrhundert n.F. (nach Ford) ab. Wir, die wir im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts n.Chr. lebten, waren zugegebenermaßen die Bewohner einer recht grausigen Welt; aber der Alptraum jener Jahre der großen Wirtschaftskrise war grundverschieden von dem in <Schöne neue Welt> beschriebenen Alptraum der Zukunft. Der unsere war ein Alptraum des Mangels an Ordnung; dieser, im 7. Jahrhundert n.F., einer des Übermaßes daran.
Beim Übergang von dem einen Extrem zum anderen ergäbe sich eine lange Zwischenzeit, so stellte ich mir vor, während welcher das von Glück begünstigtere Drittel der Menschheit das Beste aus beiden Welten machen würde — der unordentlichen Welt des Liberalismus und der viel zu ordentlichen »schönen neuen Welt«, in welcher völlig reibungsloses Funktionieren keinen Raum für Freiheit oder persönlichen Unternehmungsgeist ließe.
Siebenundzwanzig Jahre danach — in diesem dritten Viertel des 20. Jahrhunderts n.Chr. und lange vor dem Ende des 1. Jahrhunderts n.F. — denke ich beträchtlich weniger optimistisch denn damals, als ich <Schöne neue Welt> schrieb. Die Prophezeiungen von 1931 werden viel früher wahr, als ich dachte. Die selige Zeit zwischen zu wenig Ordnung und dem Alptraum aus zu viel Ordnung hat nicht begonnen und scheint nicht beginnen zu wollen.
Zwar erfreuen sich die Menschen im Westen vereinzelt noch immer eines großen Maßes an Freiheit. Aber auch in denjenigen Ländern, die seit jeher demokratisch regiert werden, scheint diese Freiheit und sogar das Verlangen danach im Schwinden zu sein. In der übrigen Welt ist die Freiheit des Individuums schon verschwunden oder ganz offensichtlich unmittelbar im Verschwinden begriffen.
Der Alptraum totaler Organisation, den ich ins 7. Jahrhundert n.F. verlegt hatte, ist aus der ungefährlich fernen Zukunft herausgetreten und erwartet uns nun unmittelbar vor unserer Tür.
George Orwells 1984 war die vergrößerte Projektion einer Gegenwart, welche den Stalinismus beinhaltete, und einer unmittelbaren Vergangenheit, welche das Emporkommen des Nazitums miterlebt hatte, in die Zukunft.
Schöne neue Welt hingegen wurde geschrieben, bevor Hitler zur Macht gelangt und als der russische Tyrann noch nicht zu richtiger Entfaltung gekommen war. Systematischer Terror war 1931 noch nicht die beängstigende zeitgenössische Realität, zu der er 1948 wurde, und die künftige Diktatur meiner imaginären Welt war ein gut Teil weniger brutal als die von Orwell so brillant porträtierte.
Unter den Verhältnissen von 1948 schien 1984 auf schreckliche Weise stimmig zu sein. Aber Tyrannen sind letztlich doch sterblich, und Umstände ändern sich. Die jüngsten Entwicklungen in Rußland und die jüngsten Fortschritte in Wissenschaft und Technologie haben dem Buch Orwells einiges von seiner gruseligen Wirklichkeitsnähe genommen.
Ein Atomkrieg wird selbstverständlich jedermanns Voraussagen Lügen strafen. Aber nehmen wir für den Augenblick an, daß die Großmächte davon Abstand nehmen, uns zu vernichten, so können wir sagen, daß es nun so aussieht, als wären die Aussichten für eine <Schöne neue Welt> günstiger als für ein <1984>.
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Im Licht dessen, was wir in jüngster Zeit über das Verhalten der Tiere im allgemeinen und der Menschen im besonderen gelernt haben, hat sich gezeigt, daß Bestrafung unerwünschten Verhaltens auf die Dauer eine weniger wirksame Kontrolle zeitigt als Belohnung (und dadurch Förderung) erwünschten Verhaltens und daß ein Terrorregime im großen und ganzen weniger gut funktioniert als ein Regime durch gewaltlose Manipulation der Umwelt und der Gedanken und Gefühle einzelner Männer, Frauen und Kinder.
Bestrafung macht unerwünschtem Verhalten zeitweilig ein Ende, vermindert aber nicht auf Dauer die Neigung des Opfers zu solchem Verhalten. Überdies können die psycho-physischen Nebenwirkungen der Bestrafung ebenso unerwünscht sein wie das Verhalten, für das ein Mensch bestraft worden ist. Die Psychotherapie ist großenteils mit den lähmenden oder antisozialen Folgen früherer Bestrafungen beschäftigt.
Die in 1984 beschriebene menschliche Gesellschaft ist eine fast ausschließlich durch Bestrafung und Furcht vor Bestrafung beherrschte Gesellschaft. In der imaginären Welt meiner eigenen Fabel ist Bestrafung nicht sehr häufig und gewöhnlich geringfügig. Die von der Regierung ausgeübte fast völlige Kontrolle wird durch systematisches Verstärken erwünschten Verhaltens erzielt, durch viele Arten fast gewaltlosen, sowohl physischen als auch psychischen Manipulierens und durch genetische Normung.
Embryos in Flaschen und die zentralisierte Kontrolle der Fortpflanzung sind vielleicht nicht unmöglich; aber es scheint unzweifelhaft, daß wir noch lange eine lebendgebärende, willkürlich sich fortpflanzende Spezies bleiben werden. Für praktische Zwecke kann man die genetische Normung ausschließen. Die menschliche Gesellschaft wird weiterhin erst postnatal kontrolliert werden — wie bisher durch Bestrafen, und in zunehmendem Maße durch die wirksameren Mittel des Belohnens und wissenschaftlichen Manipulierens.
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In Russland hat die altmodische Diktatur Stalins im Stil von <1984> einer zeitgemäßeren Form der Tyrannei zu weichen begonnen. In den oberen Schichten der hierarchischen Sowjetgesellschaft hat die Förderung erwünschten Verhaltens die älteren Methoden der Bestrafung unerwünschten Verhaltens zu ersetzen begonnen. Ingenieure und Wissenschaftler, Lehrer und Verwaltungsbeamte werden für gute Arbeit ansehnlich bezahlt und so mäßig besteuert, daß sie einen beständigen Ansporn fühlen, mehr zu leisten und so auch höher entlohnt zu werden. Auf bestimmten Gebieten steht es ihnen frei - mehr oder weniger - zu denken und zu tun, was sie wollen. Bestrafung erwartet sie nur, wenn sie sich über die vorgeschriebenen Grenzen in die Gebiete der Ideologien und der Politik verirren.
Eben weil ihnen ein gewisses Maß beruflicher Freiheit gewährt ist, haben russische Lehrer, Wissenschaftler und Techniker so bemerkenswerte Erfolge erzielt. Diejenigen jedoch, die nahe der Basis der Sowjetpyramide leben, erfreuen sich keiner solcher Vorrechte, wie sie der begünstigten oder besonders begabten Minderheit gewährt werden. Ihre Löhne sind mager, und sie zahlen in Form von hohen Preisen einen unverhältnismäßig großen Teil der Steuern. Das Gebiet, auf dem sie tun können, was sie wollen, ist äußerst beschränkt, und sie werden von ihren Beherrschern mehr durch Bestrafung und die Furcht vor Bestrafung gegängelt, als durch gewaltloses Manipulieren oder die Verstärkung erwünschten Verhaltens mittels Belohnung. Das Sowjetsystem verbindet Elemente von <1984> mit anderen, welche vorwegnehmen, was in den höheren Kasten der »schönen neuen Welt« vorging.
Mittlerweile scheinen unpersönliche Kräfte — über welche wir fast keine Gewalt haben — uns dem Nachtmahr* der Schönen neuen Welt entgegenzutreiben; und dieses unpersönliche Vorantreiben wird bewußt beschleunigt durch Repräsentanten kommerzieller und politischer Organisationen, welche eine Anzahl neuer Techniken dafür erfunden haben, die Gedanken und Gefühle der Massen zum Vorteil einer beliebigen Minderheit zu manipulieren.
* (d-2008:) Nachtmahr: Spukgestalt im Traum (DDR-Duden)
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Die verschiedenen Techniken des Manipulierens werden in einem späteren Kapitel besprochen werden. Für den Augenblick wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf diejenigen unpersönlichen Kräfte beschränken, die heute die Welt so äußerst ungeeignet für die Demokratie, so ungastlich für persönliche Freiheit machen. Welches sind diese Kräfte? Und warum hat sich der Alptraum, den ich ins 7. Jahrhundert n. F. projizierte, uns so schnell genähert? Die Antwort auf diese Fragen muß dort ansetzen, wo das Leben auch der höchstzivilisierten Gesellschaft seinen Anfang nimmt — im biologischen Bereich.
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Am ersten Weihnachtstag zählte die Bevölkerung unseres Planeten ungefähr zweihundertfünfzig Millionen — weniger als die halbe Bevölkerung des heutigen China. Sechzehn Jahrhunderte später, als die Pilgerväter am Plymouth Rock landeten, war die Weltbevölkerung auf ein wenig mehr als fünfhundert Millionen gestiegen. Zur Zeit der Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) hatte die Weltbevölkerung die Zahl von siebenhundert Millionen überschritten.
Als ich, 1931, <Schöne neue Welt> schrieb, stand sie bei knapp unter zwei Milliarden. Heute — kaum dreißig Jahre später — sind es unser zwei Milliarden und achthundert Millionen. Und morgen — wie viele morgen?
detopia-2011: in jeweils 12-14 Jahren 1 Mrd Zuwachs, Zunhame,Wachstum
2=1927 3=1960 4=1974 5=1987 6=1999 7=2011Penicillin, DDT und reines Wasser sind wohlfeil zu haben, und ihre Wirkung für die öffentliche Gesundheit steht in keinem Verhältnis zu ihren Kosten. Auch die ärmste Regierung ist reich genug, ihren Untertanen ein beträchtliches Maß der Einschränkung der Sterblichkeitsrate zu bieten.
Die Einschränkung der Sterblichkeitsrate ist etwas, was von ein paar Technikern, welche von einer wohlwollenden Regierung bezahlt werden, für ein ganzes Volk gesichert werden kann. Geburtenbeschränkung hängt von der Mitwirkung eines ganzen Volkes ab.
Sie muß von zahllosen Individuen geübt werden, von denen sie mehr Intelligenz und Willenskraft fordert, als die meisten der unzähligen Analphabeten unserer Welt aufbringen können, und (so chemische oder mechanische Mittel der Empfängnisverhütung benutzt werden) einen größeren Geldaufwand, als die meisten dieser Millionen sich derzeit leisten können.
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Überdies gibt es nirgends irgendwelche religiöse Überlieferung, die uneingeschränktes Sterben fordern würde, wogegen religiöse und soziale Überlieferungen zugunsten unbeschränkten Gebärens weit verbreitet sind. Aus all diesen Gründen läßt sich die Einschränkung von Sterblichkeitsraten sehr leicht erzielen, Geburtenbeschränkung aber nur mit großen Schwierigkeiten.
Die Sterblichkeitszahlen sind daher in den letzten Jahren mit erstaunlicher Plötzlichkeit gesunken, die Geburtenzahlen aber sind entweder auf ihrem alten Stand geblieben oder sind, wenn sie gesunken sind, nur geringfügig und sehr langsam gesunken.
Als Folge dessen steigt die Zahl der Menschen schneller an als zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Spezies.
Hinzu kommt, daß auch die jährlichen Wachstumsraten zunehmen. Sie nehmen regelmäßig zu nach den Regeln der Zinseszinsrechnung; und sie nehmen auch unregelmäßig zu mit jeder neuen Anwendung der Grundsätze öffentlicher Hygiene durch einen technologisch rückständigen Staat. Gegenwärtig beläuft sich die jährliche Zunahme der Weltbevölkerung auf ungefähr dreiundvierzig Millionen. Das bedeutet, daß die Menschheit sich alle vier Jahre um die Zahl der gegenwärtigen Bevölkerung der USA vermehrt und alle achteinhalb Jahre um die Zahl der gegenwärtigen Bevölkerung Indiens. Bei der zwischen der Geburt Christi und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges durchschnittlichen jährlichen Zunahme dauerte es sechzehn Jahrhunderte, bis die Erdbevölkerung sich verdoppelte. Bei der gegenwärtigen Zunahme wird sie sich in weniger als einem halben Jahrhundert verdoppeln.
Und diese phantastisch schnelle Duplikation unserer Zahl wird auf einem Planeten stattfinden, dessen begehrenswerteste und produktivste Gebiete schon dicht bevölkert sind, dessen Boden erodiert wird durch die verzweifelten Bemühungen schlechter Landwirte, mehr Lebensmittel zu erzeugen, und dessen leicht greifbares Kapital an Bodenschätzen mit der Bedenkenlosigkeit eines betrunkenen Seemanns vergeudet wird, welcher seine gesparte Heuer verpraßt.
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In der <schönen neuen> Welt meiner Fabel war das Problem des Verhältnisses von Bevölkerungszahl zu Bodenschätzen wirksam gelöst worden. Eine Optimalzahl für die Weltbevölkerung war errechnet worden, und von Generation zu Generation wurde diese Zahl eingehalten, die sich (wenn ich mich recht erinnere) auf ein wenig unter zwei Milliarden belief.
In der wirklichen Welt von heute ist das Bevölkerungsproblem nicht gelöst worden. Im Gegenteil, es wird mit jedem Jahr ernster und drohender. Und es ist dieser bedrohliche biologische Hintergrund, vor dem sich alle politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und psychologischen Dramen unserer Zeit abspielen.
Je weiter das 20. Jahrhundert voranschreitet, je mehr neue Milliarden zu den schon vorhandenen hinzukommen (bis meine Enkelin fünfzig sein wird, werden es mehr als fünfeinhalb Milliarden sein), wird dieser biologische Hintergrund immer eklatanter und beängstigender in die Mitte und den Vordergrund der Geschichtsbühne rücken.
Das Problem des Verhältnisses der sich schnell vergrößernden Bevölkerungsdichte zu den Rohstoffreserven, zu gesellschaftlicher Stabilität und zum Wohlbefinden des Individuums — dies ist nun das zentrale Problem der Menschheit; und es wird ganz gewiß für ein weiteres Jahrhundert und vielleicht für mehrere Jahrhunderte das zentrale Problem bleiben.
Ein neues Zeitalter hat angeblich am 4. Oktober 1957 begonnen. Tatsächlich aber ist in diesem Zusammenhang unser ganzes triumphierendes post-sputnikianisches Gerede belanglos, ja sinnlos. Soweit die Massen der Menschheit betroffen sind, wird die Zukunft nicht das Weltraumzeitalter sein, sondern das Zeitalter der Übervölkerung.
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Wir können die Worte des alten Liedchens parodieren und fragen:
Wird den Weltraum zu durchschwärmen
Euch den Suppenkessel wärmen
Und den Bratspieß drehn, drehn, drehn?Die Antwort ist selbstverständlich ein Nein. Eine Niederlassung auf dem Mond zu gründen, mag vielleicht von militärischem Vorteil für diejenige Nation sein, die sich dort niederläßt, aber sie wird nicht das geringste dazu beitragen, das Leben auf der Erde während der fünfzig Jahre, welche die gegenwärtige Bevölkerung zu ihrer Verdoppelung brauchen wird, für die unterernährten und sich stetig vermehrenden Milliarden erträglicher zu machen.
Und selbst wenn irgendwann in der Zukunft die Auswanderung auf den Mars möglich sein sollte, auch wenn irgendeine beträchtliche Zahl von Menschen verzweifelt genug wäre, sich ein neues Leben unter Bedingungen zu erwählen, welche denen auf einem doppelt so hohen Berg wie dem Everest vergleichbar sind — welchen Unterschied würde das machen?
Im Lauf der letzten vier Jahrhunderte sind viele Menschen aus der Alten in die Neue Welt ausgewandert. Aber weder ihr Wegzug noch die vermehrte Erzeugung und Förderung von Lebensmitteln und Rohstoffen hat die Probleme der Alten Welt lösen können. Ebensowenig wird die Verschiffung einiger überzähliger Menschen auf den Mars (mit Unkosten von mehreren Millionen Dollar je Kopf für Beförderung und Niederlassung) etwas dazu beitragen, das Problem des wachsenden Bevölkerungsdrucks auf unserem Planeten zu lösen.
Ungelöst aber wird dieses Problem all unsere anderen Probleme unlösbar machen.
Schlimmer noch, es wird Zustände schaffen, unter denen die Freiheit des Individuums und die sozialen Übereinkünfte der demokratischen Lebensweise unmöglich, ja fast undenkbar sein werden.
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Nicht alle Diktaturen entstehen auf dieselbe Weise. Viele Straßen führen zur »schönen neuen Welt«; aber die vielleicht geradeste und breiteste von ihnen ist die Straße, die wir heute gehen, die Straße, die über gigantische Zahlen und beschleunigtes Wachstum führt.
Wir wollen kurz die Gründe dieser engen Wechselbeziehung zwischen zu vielen und sich zu rasch vermehrenden Menschen und dem Aufkommen autoritärer Philosophien und totalitärer Regierungssysteme betrachten.
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Je stärker der Druck großer und zunehmender Bevölkerungen auf die verfügbaren Rohstoffe und Lebensmittel ist, desto unsicherer ist die wirtschaftliche Lage der diese harte Prüfung erduldenden Gesellschaft. Das trifft besonders auf diejenigen unterentwickelten Gebiete zu, wo ein plötzliches Sinken der Sterblichkeitsraten dank DDT, Penicillin und reinem Wasser nicht von einem entsprechenden Sinken der Geburtenzahlen begleitet ist. In manchen Teilen Asiens und im größten Teil Mittel- und Südamerikas wächst die Bevölkerung so schnell, daß sie sich in wenig mehr als zwanzig Jahren verdoppeln wird.
Wenn die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern, wenn Häuser, Schulen und Lehrer schneller vermehrt werden könnten, als die Zahl der Menschen sich vermehrt, wäre es möglich, das elende Los der in diesen unterentwickelten und übervölkerten Ländern Lebenden zu verbessern. Leider aber fehlt es diesen Ländern nicht nur an landwirtschaftlichen Maschinen und an Industrieanlagen, um diese herzustellen, sondern auch an dem nötigen Kapital zur Errichtung solcher Industrieanlagen. Kapital ist das, was übrigbleibt, nachdem die primären Bedürfnisse eines Volkes befriedigt worden sind. Aber die primären Bedürfnisse der meisten Völker in unterentwickelten Ländern werden nie wirklich befriedigt. Am Ende eines jeden Jahres bleibt fast nichts übrig, und daher ist fast kein Kapital verfügbar, um industrielle und landwirtschaftliche Betriebe zu schaffen, durch welche die Bedürfnisse des Volkes befriedigt werden könnten.
Überdies herrscht in allen diesen unterentwickelten Ländern ein großer Mangel an geschulten Arbeitskräften, ohne welche eine moderne Industrie oder moderne Landwirtschaft nicht betrieben werden kann. Die gegenwärtigen Unterrichtsmöglichkeiten sind unzulänglich, ebenso die finanziellen und kulturellen Mittel, um die bestehenden Möglichkeiten so schnell zu verbessern, wie die Lage es erfordert. Unterdessen vermehrt sich die Bevölkerung einiger dieser unterentwickelten Länder jährlich um drei Prozent.
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Ihre tragische Lage wird in einem wichtigen, 1957 veröffentlichten Buch The Next Hundred Years der Professoren Brown, Bonner und Weir des California-Institute-of-Technology erörtert. Wie bewältigt die Menschheit das Problem ihrer rasch zunehmenden Zahl? Nicht sehr erfolgreich.
»Die Untersuchungsergebnisse erweisen ziemlich eindeutig, daß sich in den meisten unterentwickelten Ländern das Los des Durchschnittsmenschen im letzten halben Jahrhundert beträchtlich verschlechtert hat. Die Menschen werden immer unzulänglicher ernährt. Es kommen weniger verfügbare Güter auf den einzelnen. Und fast jeder Versuch, die Lage zu verbessern, ist durch den unablässigen Druck fortwährend steigenden Bevölkerungszuwachses zunichte gemacht worden.«
Wann immer die wirtschaftliche Stabilität einer Nation gefährdet wird, ist die Regierung gezwungen, zusätzliche Maßnahmen für das allgemeine Wohl zu treffen. Sie muß komplizierte Pläne ausarbeiten, um eine schwierige Situation meistern zu können; sie muß dem Handeln ihrer Staatsbürger immer größere Beschränkungen auferlegen; und wenn, wie es sehr wahrscheinlich ist, sich verschlechternde wirtschaftliche Verhältnisse politische Unruhen oder offenen Aufruhr zur Folge haben, muß die Regierung eingreifen, um die öffentliche Ordnung und die eigene Autorität aufrechtzuerhalten. Immer mehr Macht wird so in den Händen der Exekutive und ihrer bürokratischen Manager konzentriert.
Das Wesen der Macht aber ist so beschaffen, daß sogar diejenigen, die nicht nach ihr gestrebt haben, sondern sie sich aufgedrängt sehen, gemeinhin Geschmack daran finden.
»Führe uns nicht in Versuchung«, beten wir, und mit gutem Grund; denn wenn Menschen allzu lockend oder allzu lange versucht werden, geben sie gewöhnlich der Versuchung nach.
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Eine demokratische Verfassung ist ein Mittel, die örtlichen Machthaber daran zu hindern, den besonders gefährlichen Versuchungen zu erliegen, die entstehen, wenn zu viel Macht in zu wenigen Händen konzentriert ist. Eine solche Verfassung bewährt sich recht gut dort, wo, wie in Großbritannien oder den USA, die Achtung vor verfassungsmäßigen Schritten seit alters her eingebürgert ist.
Wo aber die republikanische oder beschränkt monarchistische Tradition schwach ist, wird auch die beste Verfassung ehrgeizige Politiker nicht davon abhalten, den Versuchungen der Macht widerstandslos zu erliegen.
Und in jedem Land, wo der Bevölkerungszuwachs die verfügbaren Rohstoffe und Nahrungsmittel spürbar zu belasten beginnt, müssen notwendigerweise diese Versuchungen entstehen. Übervölkerung führt zu wirtschaftlicher Unsicherheit und sozialer Unruhe. Unruhe und Unsicherheit führen zu noch mehr Kontrolle durch die Regierung und zu einer Mehrung ihrer Macht. Wo die verfassungsgemäße Ausrichtung fehlt, wird diese vermehrte Macht wahrscheinlich auf diktatorische Weise ausgeübt werden.
Auch wenn der Kommunismus nie erfunden worden wäre, würde es wahrscheinlich so geschehen. Der Kommunismus aber ist erfunden worden. Angesichts dessen wird die Wahrscheinlichkeit, daß Übervölkerung zu Unruhen und diese zur Diktatur führen werden, geradezu eine Gewißheit.
Es ist ziemlich sicher, daß heute in zwanzig Jahren alle übervölkerten und unterentwickelten Länder der Welt unter irgendeiner Form totalitärer Herrschaft stehen werden — wahrscheinlich der der kommunistischen Partei.*
Wie wird diese Entwicklung sich auf die übervölkerten, aber hochindustrialisierten und noch immer demokratischen Länder Europas auswirken? Wenn die neugebildeten Diktaturen ihnen gegenüber feindselig eingestellt wären und wenn der normale Zustrom von Rohstoffen aus den unterentwickelten Ländern absichtlich unterbrochen würde, befänden sich die Nationen der westlichen Welt wahrhaftig in einer sehr schlimmen Lage.
*detopia-2015: Es ist immer schade, wenn Zukunftsautoren allzu genaue Zeitvorgaben machen. Das wird dann zum Schmauß der Technikoptimisten.
Dieser Satz ist sehr wahr. An der Zeitangabe brauchen wir uns nicht stoßen, wenn wir sofort ein Selbstexperiment unternehmen, in dem wir uns die Zukunft in 20 Jahren vorstellen. Das ist anstrengend. Wir können ja nur die Trends in ihrer Dynamik hochrechnen bzw. in die Zukunft verlängern. - Aber ich denke, dass gerade heute diese Vor-Aussage von A.Huxley (die nicht sehr seherisch ist und die jeder sich an zehn Findern selbst 'abzählen' kann) in die Realität umschlägt: Staatliche Autorität wird weltweit in Frage gestellt. Staaten zerfallen in kleinere Gebiete, oder werden (nur) durch vermehrte Repression/Manipulation/Propaganda zusammengehalten. - An der Zeitangabe (20 Jahre) störe ich mich nicht. Wenn man solche global-gesellschaftlichen 'Megatrends' 'berechnen' will, dann stößt jedes menschliche Gehirn an seine Grenzen. Denn es geht ja hier um das damals noch unbekannte Phänomen, welcher Bevölkerungsdruck /Überbevölkerung zur Auflösung der staatlichen Strukturen führt. Und dann noch, ob das tatsächlich auf diese-eine Hauptursache zurückzuführen ist, oder ob 'Mißwirtschaft' oder 'Korruption' bedeutender sind. Und von 1959 bis 1979 (also Niederschrift und 'Prophezeiung') breiteten sich die 'totalitären Gebiete' tatsächlich aus (wenn wir eine Landkarte angucken). Aber es gibt auch immer wieder einen Ruck in Richtung Demokratie; und der ist vielleicht gerade auf die Propheten wie Huxley und Orwell zurückzuführen; also die obige Prophezeiung von Huxley hat sich deshalb nicht erfüllt, weil er sie prophezeit hat.
Ihre Industrie bräche zusammen, und ihre hochentwickelte Technologie, die ihnen bishin erlaubte, eine viel größere Bevölkerung am Leben zu erhalten, als durch die im eigenen Land zu gewinnenden Rohstoffe und Lebensmittel erhalten werden könnte, würde sie nicht länger vor den Folgen dessen schützen, zu viele Menschen auf einem zu kleinen Gebiet zu haben. Falls dies geschähe, könnte die ungeheure Macht, die die Regierungen sich durch ungünstige Umstände aufgedrängt sähen, im Geist totalitärer Diktatur gebraucht werden.
Die USA sind gegenwärtig kein übervölkertes Land. Wenn sich die Bevölkerung jedoch weiter im gegenwärtigen Maß vermehrt (und diese Zunahme ist größer als diejenige Indiens, wenngleich glücklicherweise beträchtlich geringer als die Mexikos oder Guatemalas), kann das Problem des Verhältnisses der Bevölkerungszahl zur Menge verfügbarer Rohstoffe und Nahrungsmittel zu Beginn des 21. Jahrhunderts durchaus gefährlich werden.
Für den Augenblick ist Übervölkerung keine unmittelbare Bedrohung der persönlichen Freiheit der Nordamerikaner. Sie bleibt jedoch eine mittelbare, eine nur um eine Stufe entfernte Bedrohung. Falls Übervölkerung die unterentwickelten Länder in den Totalitarismus triebe und falls diese neuen Diktaturen sich mit Rußland verbündeten, dann würde die militärische Lage der USA beträchtlich unsicherer, und die Vorbereitungen für Verteidigung und Vergeltung müßten vermehrt und beschleunigt werden.
Freiheit aber kann, wie wir ja alle wissen, nicht in einem Land blühen, welches dauernd auf Kriegsfuß lebt oder auch nur in einem dem ähnlichen Zustand. Eine dauernde Krise rechtfertigt die dauernde Kontrolle von allem und jedem durch die Exekutivorgane der Regierung. Und eine dauernde Krise ist das, was wir in einer Welt zu erwarten haben, in welcher Übervölkerung einen Zustand erzeugt, der eine Diktatur unter kommunistischen Auspizien fast unvermeidbar macht.
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detopia-2010: Auspizium: Vogelschau im alten Rom; Vorhersage - übertr: Obhut
Menschenmilliarde:Kalenderjahr (+ Jahre =)
Für die Zukunft habe ich "+13 Jahre" angenommen.
1:1804 (+123=) 2:1927 (+33=) 3:1960 (+14=) 4:1974 (+13=) 5:1987 (+12=) 6:1999 (+12=) 7:2011 (+13=) 8:2024 (+13=) 9:2037 (+13=) 10:2050
mehrmals wird eine schlecht-kommunistische zukunft vom autor "gesehen" und zwar weil die überbevölkerung den boden dafür bereitet. ja, gut, 1958 war das wohl denkbar. aber es sind andere formen der populistischen diktatur entstanden, ja: mehrere andere. auf jeden fall ist das selbstverständlich eingetroffen, das die reichen völker nach grenzschutz rufen. und aber eben auch, dass sie nicht auf "detopische wünsche" kommen, also nur soviel ändern wollen, dass wieder alles so ist wie früher.
Aldous Huxley 1958