Millay Hyatt
Übersetzerin und Autorin in Berlin,
Politik- und Literaturwissenschaft in USA, Paris, Berlin. 2006 Dissertation
über das 'Utopische und Utopiekritische'
2011
Über
das produktive
|
Millay Hyatt
Ungestillte Sehnsucht
Wenn der Kinderwunsch
uns umtreibt
2012 bei Links 2016 aktualisiert 222 Seiten |
dnb Person
*1973 in
millayhyatt.com Home detopia H.htm |
Verlag:
Mit 32 erfährt Millay Hyatt, dass sie keine Kinder bekommen kann. Sie geben die Hoffnung nicht auf.
Millionen Menschen in Deutschland teilen dieses Schicksal -
Während die Reproduktionsmedizin voranschreitet, bleibt die
Verzweiflung
Millay Hyatt befragt sich selbst und zahlreiche Gesprächspartner, Ein aufrüttelnder, einfühlsamer Wegbegleiter!
deutschlandfunkkultur.de/wie-eine-unheilbare-krankheit-html
|
Inhalt 2012 Sehnsucht
Anhang: Literaturverzeichnis (214) Hilfreiche Internetseiten (219) Zur Autorin (221) |
Lesebericht DLF-2012 (Kim Kindermann) "Wie eine unheilbare Krankheit"
Was, wenn das Wunschkind nicht kommt? Obwohl man alles versucht? Keine Chance ungenutzt lässt? Dann bricht ein wildes, hungriges Tier in dir aus, schreibt Millay Hyatt. Es fühlt sich an, als würdest Du unter einer unheilbaren Krankheit leiden, wie eine Krebspatientin, die austherapiert ist. Und irgendwann, musst Du dieses Kind beerdigen. Ein Grab schaufeln, für jemanden, den es nie wirklich gab, der nur in deiner Sehnsucht gelebt hat.
Millay Hyatt hat all das erlebt. Mit 32 Jahren erfährt Millay Hyatt, dass sie schon in den Wechseljahren ist. Ihr Körper produziert keine Eizellen mehr. Von einem Moment auf den anderen gehören sie und ihr Mann mit dieser Diagnose zu den zwei Millionen heterosexuellen Paaren in Deutschland, die kein Kind bekommen können - Homosexuelle nicht mitgezählt. Und all diesen Menschen verleiht sie nun eine Stimme. Sie erzählt - exemplarisch am eigenen und an anderen Beispielen - vom Ringen mit dem wilden, hungrigen Tier, sprich: den Nöten, Frustrationen und Ängsten, aber auch von den Erfolgen der Menschen mit Kinderwunsch. Herausgekommen ist ein kluges Buch über Reproduktionsmedizin, das aber auch von Hoffnung und Trauer, von Abschied und Neuanfang erzählt.
Da sind etwa Andrea und Thomas. Beide wollen ein Kind. Als Andrea auch nach längerer Zeit nicht schwanger wird, unterzieht sie sich sechs Mal den Prozeduren einer künstlichen Befruchtung. Die damals 29-Jährige muss Hormone nehmen, damit gleich mehrere Eizellen heranreifen. Das bedeutet tägliches Spritzensetzen. Naht der Zeitpunkt des Eisprungs, muss Andrea jeden Tag in die Klinik fahren, zur Blutabnahme und Ultraschalluntersuchung. So soll der günstigste Zeitpunkt zur Eizell-Entnahme festgelegt werden kann. "Es war schrecklich", erzählt Andrea. Sie leidet unter heftigen Depressionen, ihr Körper tut weh, vor allem die Eierstöcke schmerzen. An einem Punkt in dieser Prozedur steht sie auf einer Brücke und überlegt runterzuspringen. Danach bricht das Paar alle Versuche ab und akzeptiert seine Kinderlosigkeit.
Anders Frieda und Tom. Sie haben bereits einen Sohn, als Frieda zum zweiten Mal schwanger wird. Tom will das Kind nicht. Frieda treibt ab und wird kurz darauf depressiv. Nur ein Kind kann Frieda helfen, meint sie selbst; das Paar versucht fortan durch künstliche Befruchtung ein neues Kind zu zeugen. Drei Mal scheitert der Versuch. Sie entscheiden sich für eine Adoption, haben auch hier kein Glück und bekommen schließlich doch ein Kind, Max, dank einer Leihmutter aus Spanien. Frieda ist zu diesem Zeitpunkt fast Ende 40, Tom ist 60 Jahre alt.
Nicht jede der im Buch gesammelten Geschichten liest sich leicht. Oft regt sich Widerspruch, manchmal auch Empörung, dann wieder Bewunderung. Kein Wunder, wird hier doch die hochemotionale Frage verhandelt: Wie weit gehe ich für ein Kind? Wie weit darf ich gehen? Riskiere ich meine Gesundheit? Was bedeutet diese nagende Sehnsucht für das künftige Kind? Bin ich hysterisch, wenn ich an nichts anderes mehr denken kann?
All das verhandelt Millay Hyatt kunstvoll. Die Frau, die selbst seit nunmehr neun Jahren auf ein Kind hofft, mittlerweile mit Hilfe einer Adoption, macht deutlich: Es gibt da kein richtig oder falsch. Jede Frau, jeder Mann muss ihre bzw. seine eigene Grenze ziehen. Und dazu gehört mitunter viel Mut.
#
FAZ-2012
URL Gespräch
26 Fragen
21.07.2012
|
1) Frau Hyatt, Sie wünschen sich seit neun Jahren ein Kind und haben keins. Wie fühlt sich das an? # Als ich erfahren habe, dass ich keine leiblichen Kinder bekommen kann, war das ein Schock. Ich bin verfrüht in die Wechseljahre gekommen und wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt. Damit ist vieles zusammengebrochen. Eine ungewollte Kinderlosigkeit ist wie der Verlust eines geliebten Menschen. 2) Sie sprechen von Tod, dabei hat überhaupt niemand gelebt. Ist das nicht übertrieben? # Nein, es ist nur schwierig zu vermitteln. Menschen, die ohne Hindernisse zu ihren Kindern gekommen sind, sind oft perplex über die Vehemenz dieser Trauer. Aber jedes Lebewesen kann sich fortpflanzen. Es gehört zu unserem Menschenbild, dass wir Kinder bekommen können. Insofern geht es um den Verlust einer Selbstverständlichkeit. 3) Das hat etwas mit dem Selbstbild als Frau zu tun? # Oder als Mann. Kinderwünsche sind nicht nur ein Frauenthema, die Männer verzweifeln auch. Ein Freund von mir hat es als Amputation beschrieben: Auf einmal fehlt etwas, von dem man dachte, es gehöre dazu. Zum anderen macht die Erfahrung, dass es nicht möglich ist, ein Kind zu bekommen, dieses Kind rückwirkend sehr konkret und lebendig. 4) In Ihrem Buch nennen Sie den Kinderwunsch ein "wildes, hungriges Tier"? # Der Kinderwunsch ist nicht wie andere Wünsche. Er entsteht unter der Oberfläche, bevor man darüber nachdenkt. Ich war mir lange Zeit sicher, dass ich keine Kinder will, auch weil ich gesehen habe, wie meine Mutter sich für uns aufgeopfert hat. Ich wollte meine Freiheit und ein Leben für mich. Um meinen 30. Geburtstag herum habe ich dann angefangen zu träumen, dass ich Mutter werde - und das waren sehr schöne Träume, die sich allmählich ins wache Leben schlichen. Ich war erschrocken und habe das verdrängt. Ich dachte, meine Hormone spielen verrückt, das geht wieder weg. Aber es ist nicht weggegangen. 5) Was also ist der Kinderwunsch: Urtrieb oder Kopfgeburt? # Da kommen verschiedene Einflüsse zusammen, aber ich denke, dass es viel mit einem Trieb zu tun hat. Ich kann mir diese Vehemenz nur so erklären, dass es etwas ist, das tief in Psyche oder Körper angelegt ist und das wir nicht beherrschen. 6) "Andere Menschen haben Sex, um ein Kind zu bekommen. Ich sitze vor dem Computer", schreiben Sie. Was meinen Sie damit? # Sobald man nicht mit dem Partner im Bett ein Kind zeugen kann, wird es kompliziert. Man muss sich überlegen, was es für Strategien gibt. Und ganz gleich ob Reproduktionsmedizin oder Adoption: Da verschiebt sich etwas, das sonst mit Lust und Körper zu tun hat, auf die Ebene des Kalküls. Man muss einen Plan machen und bestimmte Schritte gehen. Ein Adoptionsverfahren zum Beispiel bedeutet wahnsinnigen bürokratischen Aufwand. 7) Dabei scheint Kinderkriegen die natürlichste Sache der Welt. Macht das die Scham so groß? # Viele Paare, die Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen, reden nicht darüber, weil sie sich für ihr Unvermögen schämen. Und man hat das Gefühl, man sollte das wegstecken können. Es ist einem peinlich, dass dieser Wunsch in der eigenen Vorstellung zu so etwas Großem heranwächst. 8) Studien zufolge gibt es zwei Millionen Paare in Deutschland, die auf natürlichem Weg keine Kinder kriegen können. # Und das sind nur die heterosexuellen Paare. Mir ist dieser Blick auf ungewollte Kinderlosigkeit zu eng. Einer Umfrage von 2007 zufolge haben 12,8 Millionen Menschen zwischen 25 und 59 Jahren einen unerfüllten Kinderwunsch. Homosexuelle Paare und Alleinstehende sind in der öffentlichen Diskussion unsichtbar. Dabei ist es genauso schmerzhaft, wenn man sich ein Kind wünscht und keinen Partner hat. 9) Wie weit gehen Menschen, um ihre Sehnsucht zu erfüllen? # Ich habe im deutschen Register für In-vitro-Fertilisationen eine Frau entdeckt, die 22 IVF-Zyklen hinter sich hatte. Wenn man weiß, was das mit einem Frauenkörper macht... 10) Nämlich? # Das bedeutet jedes Mal zwischen vier und sechs Wochen Hormonspritzen, die körperlich und emotional für die meisten sehr belastend sind. Diese Hormone bringen einen unglaublich durcheinander; eine Frau beschreibt in meinem Buch ihre Selbstmordgedanken während der Behandlung. Und dann gibt es die Punktion, wo die Eizellen entnommen werden, auch das ist mit Schmerzen verbunden. Der Schnitt liegt bei 3,1 Versuchen pro Frau. 11) Können Sie verstehen, dass jemand 22 Zyklen macht? # Ich kann verstehen, wie man da hinkommt. Es ist ja immer nur dieses eine Mal, das man noch probieren will. Man sagt ja nicht zu Anfang: Ich mache jetzt zehnmal. 12) Wo ist der Punkt auszusteigen? # Wenn es von außen immer weniger Grenzen gibt, muss man diesen Punkt selbst finden. 13) Und warum ist das so schwer? # Sobald man in so einem Prozess drinsteckt, ob Reproduktionsmedizin, Adoption oder was auch immer, entwickelt der eine Eigendynamik. Wenn die Ärzte sagen, nur so geht’s, sitzt man plötzlich im Flugzeug, um sich im Ausland fremde Eizellen einpflanzen zu lassen. Das hätte man vorher nie gedacht. Aber man hat schon x Versuche mit den eigenen hinter sich, alle gescheitert, und steht vor der Wahl: Machen oder aufhören? Und wenn ich aufhöre, weiß ich, es hat sich alles nicht gelohnt. Das wird unerträglicher, je mehr man investiert hat. 14) Ist die moderne Reproduktionsmedizin also Fluch oder Segen? # Für viele ist es ein Segen, aber für mehr ist es ein Fluch. Die Versuche scheitern, und die Menschen lassen sich darauf ein und haben danach trotzdem kein Kind. 15) Wäre es besser, es gäbe diese ganzen Möglichkeiten nicht? # Eine Psychologin, die ich interviewt habe, sagte: Weniger Möglichkeiten machen das Leben einfacher, nicht besser. Und das stimmt natürlich. Es geht nicht darum, uns wieder der Natur auszuliefern, sondern darum, mit den Möglichkeiten umzugehen. 16) Finden Sie die Gesetze in Deutschland zu streng? # Auch wenn ich mich damit sehr unbeliebt mache: nein. 17) Viele Paare fahren ins Ausland, weil Eizellspende oder Leihmutterschaft dort legal sind. # Ich finde die deutschen Gesetze insofern falsch, dass homosexuelle Paare nicht adoptieren dürfen und Lesben keinen Zugang zu Reproduktionsmedizin haben. Auch unverheiratete Paare sind schlechter gestellt. Aber das Embryonenschutzgesetz finde ich im Großen und Ganzen sinnvoll. Höchstens die nichtanonyme Eizellspende würde ich befürworten, so wie sie etwa in England geregelt ist. 18) Sie selbst hatten das Angebot einer amerikanischen Freundin, für Sie ein Kind auszutragen. Warum haben Sie am Ende abgelehnt? # Ich wollte unbedingt vorher wissen, wie Leihmutterkinder das sehen, und habe in Blogs Aussagen gefunden wie: „Ich bin ein Mensch und kein Geschenk.“ Oder „Das verstößt gegen meine Würde.“ Die Kinder verspürten einen Verlust, obwohl sie von Anfang an bei der sozialen Mutter waren. Und sie hatten das Gefühl, dass ihre sozialen Eltern nur ihren Wunsch gesehen haben und nicht, was es für das Kind bedeutet. Das hat uns überzeugt. Es wird ja paradox, wenn man etwas tut, das dem Kind, das man sich so wünscht, schaden könnte. 19) Was haben Sie selbst versucht? # Nachdem mir die Reproduktionsmedizin nichts bieten konnte, habe ich es mit chinesischer Medizin und Homöopathie probiert. Dann haben wir uns mit dem Thema Adoption beschäftigt, aber da war mein Mann für ein Verfahren in Deutschland schon zu alt. Wir haben einen Antrag für Ungarn gestellt und wieder zurückgezogen. Unser Versuch, aus Amerika zu adoptieren, ist aus juristischen Gründen gescheitert. Danach sind wir auf Mali umgestiegen. 20) Was macht den Adoptionsprozess so quälend? # Man ist ausgeliefert, man ist der Bittsteller, und man ist ständig dabei, sich zu hinterfragen: Wie erscheinen wir im besten Licht? 21) Ihre Wohnung war nie wieder so sauber wie zu dem Zeitpunkt, als Sie für den Sozialbericht geprüft wurden, schreiben Sie. # Man versucht Normvorstellungen zu entsprechen, und man weiß nicht, welchen. Das ist belastend. Außerdem dauert das Verfahren immer länger, als man will. Bis man sich beim Jugendamt meldet, hat man ja schon eine Auseinandersetzung hinter sich. Und dann sieht man Jahren entgegen, in denen man überprüft wird, wartet und nicht weiß, wie es ausgeht. Und dabei wird man immer älter. 22) Wie fühlen Sie sich, wenn dieses Land über Kitas und Geburtenrate diskutiert? # Ich komme darin nicht vor, und das ist eine Schieflage. Weil es wirklich viele Menschen in diesem Land gibt, die sehr gerne heute ein Kind bekommen würden, wenn sie denn könnten. Aber die Diskussion wird so geführt, als fehle es nur an Anreizen. Dazu kommt der unterschwellige Vorwurf, kinderlose Frauen seien karrieregeil. Das tut sehr vielen unrecht. 23) Könnte, sollte der Staat helfen? # Viele Betroffene kämpfen für mehr bezahlte IVF-Versuche, ich bin da skeptisch, weil ich die Kehrseite dieser Behandlungen sehe. Es geht eher darum, Frauen in jüngeren Jahren die Entscheidung für Kinder leichter zu machen. Denn das größte Fruchtbarkeitsrisiko ist die verspätete Entscheidung; die Fruchtbarkeit bei Frauen fängt ab 25 an abzunehmen. Das ist so. Aber das passt nicht zu der Gesellschaft, in der wir leben. 24) Die Kinderlosigkeit hat auch eine gesellschaftliche Dimension? # Es wäre verkürzt zu sagen, Frauen sollen sich früher für ein Kind entscheiden. So, wie wir jetzt leben, wo Lebensläufe immer länger brauchen, um sich zu festigen, ist das einfach nicht möglich. Oder Frauen werden gezwungen, sich zwischen Beruf und Familie zu entscheiden. Das ist keine Lösung. Als Gesellschaft sollten wir mehr tun, um beides miteinander vereinbar zu machen. Aber es geht auch um Bewusstsein. Wir wissen alle, dass eine ungewollte Schwangerschaft eine Katastrophe ist, und verhüten deshalb. Aber dass eine ausbleibende Schwangerschaft genauso eine Katastrophe sein kann, müsste mit zur Aufklärung gehören. 25) Wie hat Ihr Kinderwunsch Sie verändert? # Ich habe in diesen neun Jahren eine Doktorarbeit geschrieben, ich habe mich beruflich weiterentwickelt und etabliert. Aber das Kinderthema war über Jahre hinweg meine wichtigste Baustelle. Es ist das größte Projekt, das ich in meinem Leben bisher angegangen bin. Ich habe viel gelitten. Aber ich habe auch gemerkt, wie viel ich aushalten kann. Ich habe viel über mich gelernt. Auch, dass ich glücklich sein kann ohne Kinder. 26) Sie sind jetzt 39, Ihr Mann 46. Glauben Sie, Sie werden eines Tages ein Kind haben? # Wir stehen aktuell wieder vor einer Enttäuschung: Es gab einen Militärputsch in Mali, Adoptionen sind nicht mehr möglich. Das ist sehr bitter. Auch, weil es wahrscheinlich bedeutet, dass wir es nicht noch einmal probieren. Irgendwann muss man den Schlussstrich ziehen. Wobei ich mit einem Rückschlag jetzt besser umgehen kann als vor drei Jahren, als der Versuch mit Amerika gescheitert ist. Meine Botschaft ist: Ein Stück weit ist jeder Kinderwunsch erfüllbar, nämlich der Teil des Wunsches, bei dem es darum geht, mit einem Kind eine tiefe Beziehung einzugehen. Ob das mit einem Pflegekind ist oder mit einem Kind aus dem Umfeld, das vielleicht zu kurz kommt. Ich glaube, dass es genug Möglichkeiten gibt, für ein Kind da zu sein, auch wenn es nicht das eigene ist. # |
Millay Hyatt