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18  Drogen und Sucht

Arthur Janov 1970    Janov über Drogen/Sucht:   1972   1975   1991  1996 

 

    LSD   

310-337

Für viele junge Leute ist LSD (auch als Acid bekannt) eine Lebensauffassung. Die Wirkungen von LSD sind so profund und dennoch so mystisch, daß es ein Kult geworden ist, eine Weltanschauung. Chronische Benutzer nennen es oft die <große Reise in den inneren Raum>. Andere bezeichnen es als <Realitätstrip>. Ich glaube, daß LSD in dem Sinne ein Realitätstrip ist, als es intensive reale Gefühle stimuliert. 

Aber der Neurotiker verfährt mit dieser Realität wie mit der Realität im allgemeinen: er verwandelt sie in etwas Symbolisches.

Es ist kaum zweifelhaft, daß LSD Gefühle stimuliert. Dafür gibt es klinische Beweise. Kürzlich wurde LSD einer Gruppe von Affen verabfolgt, die dann getötet und seziert wurden. Die größte Konzentration der Droge wurde in den Bereichen des Gehirns gefunden, von denen man weiß, daß sie mit dem Fühlen zusammen­hängen.

Das Problem beim LSD-Konsum ist, daß es die Menschen künstlich für mehr Realität aufgeschlossen macht, als sie in ihrem neurotischen System vertragen können, und das führt zu Tagesalpträumen — Psychosen.

Der Abwehrmechanismus ist aus gutem Grund da — um die Integrität des Organismus zu erhalten. LSD zerstört das Abwehrsystem mit dem tragischen Ergebnis, daß LSD-Schlucker landauf, landab die neuro-psychiatrischen Stationen bevölkern. 

Im allgemeinen kann, wenn die Wirkung der Droge nachläßt, der neurotische Abwehrmechanismus wiedererlangt werden. Aber in manchen Fällen, wenn das ursprüngliche Abwehrsystem schwach war, ist das nicht möglich.

Von der Stärke des Abwehrsystems und der eingenommenen Dosis hängt es weitgehend ab, wie jemand auf LSD reagieren wird. Es kann vorkommen und kommt auch vor, daß jemand mit einem verstärkten Abwehr­system keinerlei Reaktion auf die Droge zeigt. Wenn indes ein großer Fundus von Urschmerzen vorhanden ist, wird die künstliche Entfernung einer schwachen Abwehr­fassade einen überwältigenden Ansturm von Stimulation hervorrufen.

Einer der Gründe, warum LSD eine bewußtseinserweiternde (psychedelische) Droge genannt wurde, ist die symbolische Flucht.

Die Stimulierung von Gefühlen führt zu einem Ausbruch von symbolischer Vorstellung, und das wird oft irrtümlich als Bewußtseins­erweiterung ange­sehen. Was wir begreifen müssen, ist, daß diese Erweiterung ein Abwehr­mechanismus ist. Der manische Psychotiker mit einer ungezügelten Ideenflucht ist ein vollendetes Beispiel für Bewußtseinserweiterung auf der Flucht vor dem Fühlen. 

Manische Patienten, die ich behandelt habe und von denen einige hervorragende Geistesgaben besaßen, haben während ihrer manischen Phase unendlich viel niedergeschrieben. Einer schrieb innerhalb von drei oder vier Wochen so viel, daß es einem ganzen Buch gleichkam.

Was Psychose und Neurose unterscheidet, ist der Grad und die Komplexität der Symbolisierung. Bei der Neurose hat man noch reichlich Halt an der Realität. Bei der Psychose kann dieser Halt verlorengehen, der Kranke ist von Symbolik umgeben und nicht mehr in der Lage, zwischen Symbolen (Stimmen in den Wänden) und der Realität zu unterscheiden. Wenn der Zerfallsprozeß anhält, weiß der Patient nicht einmal mehr, wer er ist, <was mit ihm los ist> oder in welchem Jahr er lebt.

Die Folgen des LSD-Konsums scheinen eine der entscheidenden Hypothesen der Primärtheorie zu bestätigen: daß die Neurose uns von der Realität unserer Gefühle fernzuhalten beginnt, und daß diese Gefühle, wenn sie früh im Leben voll empfunden würden, zu Wahnsinn führen könnten. Wenn alle alten Urgefühle plötzlich und auf künstliche Weise mit Hilfe einer Droge stimuliert werden, heißt das, dieselben Möglichkeiten für Wahnsinn zu schaffen.

In der Frühzeit der LSD-Forschung wurde die Droge ein psycho-tomimetisches (Psychose nachahmendes) Mittel genannt. Sie wurde angewandt, um die Psychose zu untersuchen. Zuerst bestanden nicht allzuviel Bedenken, denn man nahm an, daß die — Droge selbst die Psychose erzeugt — wenn die Droge abgesetzt wurde, verschwand die Psychose. Doch als in einigen Fällen nach Absetzung der Droge die Psychose weiterbestand, schwand die Begeisterung. Infolgedessen wurde LSD für die meisten Forschungszwecke ebenso wie für den allgemeinen Gebrauch verboten.

Ich glaube, daß LSD nicht nur die Psychose nachahmt, sondern einen wirklichen, wenn auch oft vorübergehenden Wahnsinn erzeugt. Außerdem glaube ich nicht, daß die spezifischen Eigenschaften der Droge überhaupt etwas mit der Erzeugung bizarrer Reaktionen zu tun haben, außer insofern, als sie zu mehr Fühlen, als integriert werden kann, anregen.

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Vor mehreren Monaten wurde eine einundzwanzigjährige junge Frau zur Primärtherapie überwiesen, die von einem neuro­psychiatrischen Krankenhaus als <post-LSD schizophren> diagnostiziert worden war. Sie hatte nach mehreren Marihuana-Zigaretten eine große Dosis Acid genommen.

Während ihres Acidtrips geriet sie in einen Zustand der Panik. Als die Wirkung der Droge nachließ, stellte sie fest, daß sie <Anfälle> hatte. Manchmal war ihr, als ob sie vom Stuhl hochgehoben und fortgetragen würde. Dann wieder starrte sie verzweifelt auf eine Glühbirne oder Lampe und war nie sicher, ob das, was sie sah, wirklich da war.

Sie wurde zur Beobachtung in das neuropsychiatrische Krankenhaus eingewiesen, bekam Beruhigungsmittel und wurde nach einer Woche entlassen. Die Anfälle von Irrealität hielten indes an, und nachdem es viele Wochen so gegangen war, übernahm ich die Behandlung. Die Patientin wurde sogleich in ein Urerlebnis versetzt und begann, ohne Soufflieren oder Anleitung, den Acid-Trip wiederzuerleben.

Sie sagte: »Alles riecht wie Scheiße. An den Wänden ist Scheiße. Mein Gott, überall. Ich kann die Scheiße nicht von mir runterbekommen.« (Sie versuchte, sie wegzuwischen, aber ich drängte sie, zu fühlen, was es war.) »Oh! Oh! Ich werde verrückt. Wer bin ich? Wer bin ich?« (»Bleiben Sie dabei!«, sagte ich. »Fühlen Sie es.«) »Ah! Ich bin das, ich bin Scheiße, ich bin Scheiße!« An diesem Punkt begann sie zu weinen und gab einen ganzen Schwall von Einsichten von sich, wie <beschissen> sie sich immer vorgekommen sei (es aber nie erkannt habe).

Sie sprach von ihrer verarmten Familie, die aus einem trinkenden Vater und einer geprügelten, mißhandelten Mutter bestand. Sie sprach davon, daß sie sich wie Lumpenproletariat vorkam. Sie hatte nie das Verlangen gehabt, etwas zu tun, und hatte es auch nie versucht, denn sie kam sich vor »wie ein Stück Scheiße, nicht wert, irgend etwas von irgend jemandem zu bekommen«. Sie hatte ihre Gefühle und ihre Vergangenheit mit einer Pseudo-Intellektualität und kultivierter Tünche verhüllt, die das Acid offenbar wegsprengte. An diesem Punkt, an dem sie die Realität — »Ich bin Scheiße« — gefühlt hätte, nippte sie aus (ihren Gefühlen) und hatte Halluzinationen von Exkrementen an der Wand. Sie machte ihre aufsteigende Realität irreal, um zu überleben.

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Ein weiterer Fall von Psychose war keineswegs durch Drogen verursacht. Diese Patientin wurde mit sieben Jahren in einem Internat untergebracht, weil ihre Eltern sich scheiden ließen. Ihr Vater zog in eine andere Stadt, und ihre Mutter mußte arbeiten. Dem kleinen Mädchen war versprochen worden, daß die Mutter sie oft besuchen würde. Das geschah nicht. Die Mutter kam selten, manchmal in betrunkenem Zustand, manchmal mit ihren Freunden, und dann hörten die Besuche ganz auf. Die Mutter schrieb Briefe, erklärte, warum sie nicht kommen könne, und bald hörte sie auch auf zu schreiben. Die Kleine begann die Realität ihres Verlassenseins zu empfinden. Sie begann sich vom Gemeinschaftsleben zurückzuziehen, und um das Gefühl des Verlassen­seins zu unterdrücken, erfand sie eine imaginäre Gefährtin, die immer bei ihr war. Im Lauf der Zeit begann diese Gefährtin mit ihr zu sprechen und ihr seltsame Dinge zu erzählen. Sie sagte, manche Leute hätten etwas gegen das kleine Mädchen und versuchten, es von allen Menschen fernzuhalten. Langsam verfiel sie einer Psychose, um die verheerende Realität abzuwehren.

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In beiden zitierten Fällen war es, glaube ich, die Realität, die die Irrealität erzeugte; beide Patientinnen wurden verrückt, um nicht geistig gesund zu bleiben und die Wahrheit zu erkennen. Sie gingen sozusagen <zu Bruch>, um sich davor zu schützen, eine heile Wahrheit zu begreifen.

Bei der Primärszene entstand dann angesichts dieser Wahrheit ein alternierendes System, das behilflich war, die Realität zu verbergen. Seine Funktion war, die Wahrheit zu zerstückeln und dann zu symbolisieren, wodurch dem neurotischen Kind ermöglicht wurde, seine Gefühle auszuagieren, ohne sich ihrer bewußt zu sein. Es begann seinen Akt. Aber wenn die Realität überwältigend ist, entweder infolge eines erschütternden Ereignisses oder infolge einer Droge wie LSD, dann bleibt wenig Raum, um auf übliche Weise auszuagieren. 

Der Betreffende kann sich zum Beispiel seinen Schreibarbeiten nicht widmen; die Gefühle sind zu stark und unmittelbar. Sie müssen symbolisiert werden, und zwar geistig (bizarre Wahnideen) oder körperlich (von der Unfähigkeit, einen Arm zu heben, bis zum völligen Mangel an körperlicher Koordination). Im Fall von bizarren körperlichen Veränderungen können wir sagen, eine Person dieser Art habe ihre Psychose <verkörperlicht>. Das würde bedeuten, daß dieselbe Spaltung oder Dissoziation auftritt wie bei der Psychose.

Über diese Spaltung äußerte sich eine ehemals psychotische Patientin wie folgt: 

»Es war entsetzlich, zu fühlen, daß der Körper der meine wurde — zu sehen, daß mein kleines Mädchen-Selbst versuchte, die Bewegungen seiner Beine und Füße zu verstehen. Mein Körper hatte immer selbständig agiert, wie etwas, das nichts mit mir zu tun hatte. Könnte der Grund, warum der Schizophrene so oft von seinem Körper besessen ist, sein, daß der Körper etwas so Fremdes ist? Ich vermute, daß der Körper wirklich vom Bewußtsein getrennt sein muß, um dem Urschmerz fernzubleiben. Die heimliche Sinnentstellung dessen, was um einen herum vorgeht, ist vermutlich dieser automatische Prozeß, Körper und Gefühle so getrennt zu machen.«

Ein weiteres Beispiel für die Verkörperlichung des Fühlens bietet ein Patient, der vor der Therapie im Lauf eines Jahres zehnmal LSD genommen hatte. Außer anderen Reaktionen spürte er bei jedem Trip ein anhaltendes Summen im Mund. Auch bei seinen Urerlebnissen trat diese Summempfindung auf, und unerklärlicherweise begann er am Daumen zu lutschen. Das Summen hielt indes an, bis er sich darüber klar wurde, daß er gar nicht am Daumen lutschen, sondern an seiner Mutter Brust saugen wollte. Kaum hatte er dieses Gefühl empfunden, da hörte das Summen auf.

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Dieser Mann war in den ersten Lebensmonaten nach irgendeinem Zeitplan, den seine Mutter einem Buch über Säuglingspflege entnommen hatte, abrupt entwöhnt worden. Obwohl er täglich zwei Päckchen Zigaretten rauchte und mächtig an seiner Zigarette zog, fiel es diesem Mann schwer zu glauben, daß er immer noch ein altes Bedürfnis hatte, an seiner Mutter Brust zu saugen. Aber er erinnerte sich, daß er, solange er zurückdenken konnte, immer etwas im Mund gehabt hatte. Er hatte seine Gefühle so gut getarnt, daß er nur einmal dem Fühlen nahekam, und zwar als er eine starke Droge nahm, und selbst da konnte er nicht ganz zu dem Gefühl gelangen. Aber der Beweis ist erbracht — die Symbolisierung setzt ein, um den Organismus zu schützen, wenn Gefühle übermäßig schmerzhaft sind.

Ungefähr zwanzig primärtherapeutische Patienten nahmen vor der Therapie LSD, mehrere zu wiederholten Malen. In der ersten Zeit, als die Primärtherapie angewandt wurde, nahmen verschiedene Patienten während der Behandlung LSD, ohne daß ich es wußte. Später sagten mir diese Patienten, sie hätten geglaubt, daß LSD ihre Therapie beschleunigen würde. (Wie schon erwähnt, sind während der Primärtherapie nicht nur sämtliche Drogen und sogar Aspirin verboten, sondern die Patienten erhalten jetzt auch schriftliche Anweisungen, um sicherzustellen, daß sich der LSD-Konsum nicht wiederholt, der vorkam, ehe unsere Kontrollen so scharf wurden.) 

Indes war die LSD-Erfahrung von etwa sieben Patienten, die es während der Therapie nahmen, wertvoll, um die psychischen Reaktionen auf LSD zu verstehen. Die primärtherapeutischen Patienten mit alten Urschmerzen wurden unmittelbar von ihren verbleibenden Gefühlen bombardiert und vermochten sofort die Verbindung zwischen den Gefühlen und ihren Ursprüngen herzustellen. Diese Gefühle wurden in keiner Weise symbolisiert und wurden nach­einander empfunden. In einigen Fällen hielten diese Urschmerzen nach Art freier Assoziationen zwei oder drei Stunden an.

Zwei Patienten, die nach ihrem dritten und vierten Therapiemonat LSD genommen hatten, hatten momentane, symbolische Reaktionen. Im ersten Fall begann der Patient zu halluzinieren und Leute auf der Wandverkleidung zu sehen, die einander seltsame Dinge antaten. Als ihn das auf der Wandverkleidung aufgeführte Drama mit einemmal fesselte, kam ihm plötzlich der Gedanke: »Ich habe draußen eine Schau für mich aufgezogen, um nicht fühlen zu müssen, was drinnen vorging. Das Drama am Rande enthielt tatsächlich eine Menge meiner Gefühle, besonders Zorn. Vermutlich versuchte ich, mich selbst zu überzeugen, daß alle diese Kämpfe draußen stattfanden und nichts mit mir zu tun hatten.« Und er fügte hinzu: »Sobald ich wußte, daß das meine Gefühle waren, überließ ich mich ihnen und empfand, was es die ganze Zeit gewesen war, und mein kleines Drama an der Wand verschwand.«

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Vor der Primärtherapie wäre er vermutlich stunden- oder gar wochenlang, bis alle Wirkungen der Droge abgeklungen waren, in seinen Halluzinationen steckengeblieben. Jedenfalls war die Symbolik nur von kurzer Dauer, führte aber zum Fühlen, weil kein beeinflußter Abwehrmechanismus da war, um den dissoziativen Prozeß fortzusetzen.

Der zweite Patient nahm im vierten Therapiemonat LSD. Er hatte Wahnvorstellungen, daß Leute ihm unnötig hart zusetzen, daß niemand im Raum freundlich sei, und daß alle aus irgendeinem Grund wollen, daß er leide. Seine Hände schwollen an und wurden ganz weich, berichtete er, und dann empfand er das Gefühl: »Sei zärtlich zu mir, Pappi.« Die Schwellung und Weichheit verschwanden zugleich mit seinen Wahnvorstellungen von Leuten, die sich verschworen hatten, grausam gegen ihn zu sein. Es ist zweifelhaft, ob er diese einfache Verbindung hätte herstellen können, wenn er noch viel Urschmerz gehabt hätte, der seine Gefühle blockierte.

Die Mehrzahl der sieben Patienten, die nach mehreren Monaten der Primärtherapie LSD nahmen, hatten es schon früher konsumiert; es ist nicht überrasch­end, daß sie übereinstimmend erklärten, vor der Therapie symbolische Trips gehabt zu haben. Einer hatte während eines früheren Trips gelähmte Hände gehabt, während sich ein anderer stundenlang mit entsetzlichen Magenkrämpfen auf dem Fußboden wand. Ein Dritter sah Würmer aus seiner Nase und seinen Füßen herauskriechen, und ein Vierter sah sich als Gerippe, als er in den Spiegel schaute. Als sie später rückblickend diese Erlebnisse betrachteten, waren sie überrascht, daß der Körper den Urschmerz offenbar so automatisch symbolisiert. Das Symbol bezog sich in jedem der Fälle auf ein spezifisches, unempfundenes Gefühl. Derjenige, der die Würmer gesehen hatte, zeigte, wie schmutzig, schleimig und häßlich er sich vorkam, und erlebte während des Urerlebnisses die häßlichen Gefühle in dem Kontext, der sie hervorgebracht hatte. Der Patient mit den gelähmten Händen empfand später seine tiefe Hilflosigkeit und Unbeweglichkeit und die Gründe dafür. Der mit den Magenkrämpfen (immer noch ein symbolischer Urschmerz) hatte das Gefühl, im LSD-Rausch zu gebären. Selbst dieses Gefühl unter der Wirkung der Droge beendete seine Krämpfe nicht. Ich vermute, daß Schmerzen nicht aufhören, ehe sie als Urschmerzen empfunden sind.

Diejenigen Patienten, bei denen das Ende der Therapie nahe war, hatten keinen nennenswerten Affekt durch die Droge. Sie berichteten nur von kleineren Empfindungen und Wahrnehmungsveränderungen. Es traten keine Wahnvorstellungen oder Halluzinationen und keine Depersonalisationsgefühle auf. Ihre Trips waren weder mystisch noch schön — nur reale Gefühle tauchten auf.

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Das ist ein signifikantes Ergebnis, denn es ist ein weiterer Beweis für die Hypothese der Primärtheorie in bezug auf Geisteskrankheit und Urschmerz. Ohne signifikanten Urschmerz gibt es bei intensiver Stimulation (Streß) keine Geisteskrankheit.

Meine Beobachtungen lassen erkennen, daß LSD beim normalen Menschen kein Halluzigen zu sein scheint. Auch ist es keine psychotomimetische Droge, außer für diejenigen mit Urschmerz.

LSD ermöglicht nicht die Herstellung zusammenhängender Verbindungen. Und nur durch die Verbindung wird eine dauerhafte Veränderung möglich. Es gibt viele Gründe, warum unter LSD keine Verbindungen hergestellt werden können; der wichtigste ist, daß das Herstellen einer Verbindung bedeutet, den Urschmerz zu empfinden. Unter LSD können Menschen etwas fühlen und ein paar Minuten später nicht sicher sein, ob sie es gefühlt haben. Die Droge treibt sie von einem flüchtigen Gefühl zu einem anderen, kein einziges Gefühl ist fest im Bewußtsein verankert. Volle Bewußtheit ist absolut notwendig für ein volles Gefühlserleben; andernfalls handelt es sich um eine Masse von Empfindungen, die manche Leute für Gefühle halten. Ein Patient drückte es so aus:

»Urerlebnisse sind sicherer als LSD. Wenn man während eines Urerlebnisses ein Gefühl hat, kann es eine Stunde anhalten, und dann kann man es mit erlebten Geschehnissen verknüpfen, warum man dies oder jenes tat, warum man sich mit diesem oder jenem Menschen anfreundete, und so weiter. Bei LSD wurde ich immer weiter vorangetrieben. Ich konnte mich nicht lange genug auf etwas konzentrieren. Die Droge rief so viele Impulse auf einmal hervor, daß ein beginnendes Gefühl in einer endlosen Kette zu einem anderen führte, bis ich glaubte, ich würde verrückt.«

Damit sagte er in Wirklichkeit, daß Drogen das Bewußtsein trüben; selbst eine Droge wie LSD, die angeblich die Bewußtheit steigert, ruft einen Betäubungs­zustand hervor. Ein anderer Patient, der LSD genommen hatte, bemerkte dazu: »Obwohl ich wußte, daß ich unter LSD ein Gefühl hatte, wandte ich mich nachher an meinen Freund und fragte: >Habe ich das gerade gesagt oder habe ich mir nur eingebildet, daß ich es sagte?<« Kurz, er war nicht sicher, was real war, obwohl das, was er sagte und fühlte, vielleicht sehr real gewesen war. Die Droge schwächt die volle Wirkung der Realität ab.

Nicht einer der Patienten, die vor der Primärtherapie LSD genommen hatten, sagte, daß er mit der Droge je zu den grund­legenden Urgefühlen gelangt sei. Zum Beispiel ist das entsetzliche Gefühl der Verlassenheit während eines Urerlebnisses, das Gefühl des Alleinseins gekoppelt mit der Erinnerung, im Kinderbettchen alleingelassen worden zu sein, mit der Droge niemals empfunden worden. Zu viel geht im LSD-Rausch vor sich, als daß man Schritt für Schritt zu schmerzhaften frühen Erinnerungen zurückgehen könnte, und selbst mit der Droge werden reale, traumatische Urschmerzen immer noch symbolisiert.

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LSD läßt also nicht zu, daß der spezifische Entschlüsselungsprozeß stattfindet, bei dem gewisse Gefühle mit bestimmten Erinnerungen verknüpft und dann aufgelöst werden. Der Mann mit dem Summen im Mund hatte LSD-Trips unternommen und die wahre Bedeutung des Summens nie empfunden. Es bedurfte eines Urerlebnisses, um die richtige Verbindung herzustellen.

Das soll nicht heißen, daß LSD nicht viele Einsichten hervorruft, die unter normalen Umständen nicht erlangt würden. Aber diese Einsichten sind immer noch bruchstückhaft und finden in einem neurotischen System statt. Es ist, als ob die entsetzlichen körperlichen Schmerzen, die manche im LSD-Rausch erleiden, und die Einsichten, die sie später während desselben Drogentrips haben, sich niemals zu verbinden scheinen. Der Urschmerz ist der Vermittler, der sie getrennt hält.

Die Behauptung, daß LSD bei normalen Menschen nicht unbedingt psychotogen (Psychose erzeugend) ist, bedarf vielleicht einer weiteren Klarstellung. Ich nehme an, wenn jemand genug LSD bekommt, könnte das eine solche Überfülle von Inipulsen im Hirn erzeugen, daß eine völlige Desorientiertheit und eine vorübergehende Psychose herbeigeführt werden. Aber der springende Punkt ist, daß dieser Zustand bei einer normalen Person nicht länger anhalten würde als die Wirkung der Droge, während sie bei einem Neurotiker von bleibender Wirkung sein könnte. Ich kann die Gefahren von LSD für den Neurotiker nicht genug betonen. Selbst ein Trip kann, auch wenn er keine Psychose hervorruft, das Abwehrsystem des Benutzers so weit durcheinanderbringen, daß er später für Situationen anfällig wird, die ihn normalerweise nicht berührt hätten.

Es gibt LSD-Trips, die <Bummers> genannt werden: erschreckende oder sehr deprimierende Erlebnisse oder beides. Der Konsument mag von Angst vor Ungeheuern überwältigt werden, oder er sieht Spinnen, die überall auf ihm herumkriechen. Diese Leute können mit Hilfe von Beruhigungsmitteln wie Chlorpromazin aus ihren schlechten Trips herausgeholt -werden. Tranquilizer werden auch vielfach in Nervenheilanstalten angewandt, um Halluzinationen und Wahnvorstellungen zu reduzieren. Ich glaube, was in diesen Situationen beruhigt wird, ist der Urschmerz, wodurch das Bedürfnis zu symbolisieren gemindert wird. Das Beruhigungsmittel scheint die Erregung des Patienten herabzusetzen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen — das heißt, den Urschmerz zu verbergen und damit die Neurose wiederzuerlangen. Unter gleichen Umständen ist der Bummer ein Trip, der dem Urschmerz gefährlich nahekommt.

Es ist möglich, daß der erste LSD-Trip kein Bummer ist, weil Abwehrmechanismen am Werk sind. Aber mehrere Trips scheinen einen Angriff auf das Abwehrsystem darzustellen, und dann mögen Schwierigkeiten auftreten, denn wenn Urschmerz da ist, muß der Trip schmerzhaft sein.

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Es ist nicht überraschend, daß jemand nach einem schlechten Acid-Trip die Droge wahrscheinlich nicht wieder nehmen wird, dennoch ist er derjenige, der dem Realwerden offenbar nahe ist. Er hört auf, ehe es geschieht, möglicherweise, weil er spürt, daß real und irreal gebündelt sind — je dichter man kommt, um so weiter muß man fliehen. Am Ende ihrer Behandlung haben primärtherapeutische Patienten oft das Gefühl, verrückt zu werden, wenn sie im Begriff sind, sich der letzten Reste von Abwehr gegen das Gefühl von Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit, das immer da war, zu entledigen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß wir gute Resultate erzielt haben bei Patienten, die vor der Therapie mehrere schlechte Acid-Trips gehabt haben.

Dagegen bin ich argwöhnisch bei Patienten mit ständig schönen Trips, denn das ist ein Zeichen für eine so tiefe Spaltung, daß nicht einmal eine starke Droge sie beeinflussen kann. Derjenige, der seinen Gefühlen nicht nahe ist, wird in manchen Fällen immer wieder zu Acid oder Marihuana greifen, unbewußt durch die darin enthaltene Hoffnung angelockt, daß er fühlen werde, was sie verheißen. Indes wird er vielleicht jedesmal einen neurotischen Trip haben und sich im Garten Eden, in einem grünen Wald oder in einem aztekischen Palast wiederfinden. 

Die Substanz des symbolischen Trips ist nicht entscheidend, außer wenn sie indirekt auf den zugrunde liegenden Urschmerz hinweist. Wir dürfen nicht vergessen, daß der erfreuliche Trip für den Neurotiker irreal sein muß, denn wenn bei einem Neurotiker mit Hilfe von Drogen Gefühle stimuliert werden, dann bedeutet das, den Urschmerz zu stimulieren. Wer auf einem erfreulichen oder mystischen Drogentrip ist, tut nicht mehr als der pseudo-glückliche, aufgekratzte (vor Spannung überschäumende) Neurotiker ohne Drogen: er malt sich im Geist hübsche Bilder aus, um zu verbergen, was im Körper und in den geheimen Winkeln des Geistes vor sich geht.

 

Heroin

LSD ist eine der wenigen Drogen, die Gefühle stimulieren. Viele andere betäuben sie, am erfolgreichsten Heroin. Wenn die Neurose den Urschmerz nicht unterdrücken kann, hilft Heroin. Neurose ist das innere Narkotikum des Nichtsüchtigen.

Der Heroinsüchtige hat gewöhnlich keinen inneren Abwehrmechanismus mehr, um die Spannung aufzuhalten. Er muß sich auf etwas anderes stützen — die Spritze. Meiner Erfahrung nach gibt es im allgemeinen zwei Kategorien von Heroinsüchtigen. Die Mehrzahl von ihnen ist unlebendig und lethargisch, von Spannung völlig aufgezehrt. Sie müssen sich durch und durch abstumpfen, um ihren Urschmerz zu ersticken.

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Die andere Kategorie ist manisch — der übermäßig aktive Mensch, der ständig in Trab ist. Beide Arten haben unterschiedliche Mittel und Wege gefunden, um mit dem gewaltigen Schmerz fertigzuwerden. Beide greifen zu Drogen, wenn ihr Abwehrmechanismus nicht mehr genügend Spannung ableiten kann. Manche Neurotiker fühlen sich besser, wenn sie Marihuana nehmen (vgl. S. 290), aber Marihuana ist viel zu mild für den Urschmerz des Heroinsüchtigen. Es mag sein, daß der Heroinnehmer mit Marihuana den Zweck nicht erreichte. Andere, bei denen noch einige Abwehrmechanismen funktionieren, haben vielleicht Marihuana versucht und es ausreichend gefunden. Jedenfalls führt nicht Marihuana zum Heroinkonsum; der Urschmerz tut es.

Mit dem Urschmerz allein läßt sich der Drogenkonsum nicht erklären. Das kulturelle Milieu ist gewiß auch ein Faktor. Ein labiler Mensch, der in Harlem aufwuchs, in der Nähe der Jazz-Szene, wo Drogen gang und gäbe waren, konnte leicht zu Heroin tendieren. Aber wer auf einer Farm in Montana aufwuchs, könnte sich dem Alkohol und Stammkneipenraufereien zuwenden, um die Spannung loszuwerden. Die treibende Kraft im Inneren könnte bei beiden dieselbe sein; nur die Auslaßventile sind unterschiedlich.

Der hohe Spannungspegel des Drogenkonsumenten hat ihn gewöhnlich in Bewegung gehalten — er konnte nie lange genug bei etwas bleiben, um Erfolge zu haben, und diese lange Kette von Mißerfolgen hat seine Probleme verschärft. Ein Grund, warum die konventionelle Therapie bei Süchtigen nicht erfolgreich war, mag sein, daß der durchschnittliche Süchtige nicht lange genug stillsitzen kann für den langwierigen, mühseligen Einsichtsprozeß.

Bekanntlich sind Süchtige meist an Sex nicht sehr interessiert. Der Grund ist nicht schwer zu erraten. Niemand, der Schmerzen hat, seien sie nun psychisch oder körperlich, ist sehr an Sex interessiert. Schmerzstillende Mittel unterdrücken das Fühlen und verstärken damit die Asexualität. Urschmerz zu empfinden heißt, imstande zu sein, alle anderen Gefühle zu empfinden; wird der Urschmerz abgetötet, werden auch alle anderen Gefühle abgetötet — und Sex ist eins der ersten Opfer.

Die Beziehung zwischen Süchtigen und latenter Homosexualität läßt sich bei jedem Besuch in einer Narkotikerklinik feststellen, besonders bei weiblichen Süchtigen. Viele von ihnen sind homosexuell oder haben eine Vorgeschichte von unterdrückten homosexuellen Neigungen. Eine süchtige Frau erklärte das folgendermaßen: 

»Ich habe eigentlich nie einen Mann gewollt, aber ich habe immer mit Männern geschlafen, um nicht zu empfinden, wie schwul ich war. Jetzt weiß ich, daß ich eine Mutter brauchte und wollte. Je mehr ich mit Männern geschlafen habe, um so erregter und abgestoßener war ich. Ich brauchte Drogen, um mich durchzubringen. Nachdem ich mich im Gefängnis den Lesbierinnen angeschlossen hatte, brauchte ich weniger Drogen.«

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Der frühere zwanghafte Geschlechtsverkehr dieser Frau mit Männern war die Art und Weise, wie sie ihre Gefühle (das Bedürfnis nach ihrer Mutter) verleugnete. Solange sie alle ihre Bedürfnisse verleugnete, brauchte sie offensichtlich Drogen. Als sie Ersatz-Auslaßventile fand, nahm ihr Drogenbedarf ab. Im Gefängnis, wo sie keine Drogen hatte, die ihre Gefühle abtöten konnten, gab sie sich offener Homosexualität hin. Nachdem sie bei einem Urerlebnis das Bedürfnis nach ihrer Mutter empfunden hatte, brauchte sie weder Drogen noch Sex mit anderen Frauen.

Diejenigen, die Amphetamine (von den Users speed genannt) oder downers (Narkotika, Barbiturate) brauchen, unterscheiden sich in ähnlicher Weise nur durch die Richtung ihrer Spannung. Diejenigen, deren Spannung tief sitzt, brauchen offenbar etwas, um sie bereit zu machen, während diejenigen, die schon aufgeschlossen sind, deren Spannung aufsteigt, etwas zu brauchen scheinen, das die Spannung unterdrückt. Es kommt vor, daß jemand abwechselnd Aufputsch- und Beruhigungsmittel braucht: Ist er in höchster Spannung, braucht er etwas zum Beruhigen; je unterdrückter er ist, um so mehr braucht er wiederum Weckmittel — und so schließt sich der Ring.

 

Das Folgende ist ein Auszug aus einem Brief eines Süchtigen an mich vor der Behandlung:

»Wenn ich die Bezeichnung schmerzstillendes Mittel < für Heroin lese, dann fällt mir ein, daß mir unzählige Male gesagt wurde, Heroin sei ein Todestrip ... ein langsamer Selbstmord. Doch erst kürzlich wurde mir der mörderische Aspekt der Sache bewußt. Ich habe andere Süchtige ohne Hoffnung, Beruf, Interessen und Familie beobachtet, die in einem ständigen Schlafzustand waren, an der Grenze zwischen Tod und Leben, und ich hatte immer das Gefühl, Rauschgift sei für mich einfach eine gefährliche Art und Weise, ohne Approbation Medizin zu praktizieren. Ich wollte nichts, als ein von Angst erfülltes Dasein zu entschärfen ... um schneller zu dem vollendeten Zustand schmerzfreier Behaglichkeit zu gelangen. Es war für mich eine Möglichkeit, um auf Draht zu sein, meinem Beruf nachzugehen, mich konzentrieren zu können und alles zu tun, was eben getan werden muß.

Ich wollte bloß durchs Leben kommen, ohne all jene Schmerzen erleiden zu müssen, die die Menschheit schon lange vor meiner Geburt geplagt haben. Zeit meines Lebens habe ich gelogen, um Strafen und Leiden zu entgehen. In der Schule habe ich mich durchgeschwindelt, nie gelernt, den Unterricht geschwänzt, mich nie richtig mit der Realität auseinandergesetzt. Das einzige, was ich als Kind wirklich fertigbrachte, war, daß ich Zauberkunststücke lernte, und offenbar habe ich seitdem immer nach Zauberei Ausschau gehalten. Schon früh im Leben war ich ein Meister in Halbwahrheiten. Das fiel mir nicht schwer, denn keiner in meiner Familie war ja an dem interessiert, was wirklich vorging.

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Um die Mitte meines vorletzten Jahrs im College kam dann das dicke Ende. Ich hatte mich durch die Schule gemogelt, ohne mich je anzustrengen. Ich hatte bloß angegeben und geblufft, sonst hätte ich es gar nicht soweit geschafft. Ich gab das Studium auf und trat in eine Firma ein, und ich hatte große Rosinen im Kopf, aber wenig Kenntnisse. Ich pumpte mir eine Menge Geld, und selbstverständlich hatte ich es binnen kurzem verpulvert. Ich nahm eine Stellung an und wurde rausgeschmissen. Dann brach alles über mir zusammen, und ich konnte mich nicht mehr durchschwindeln. Ich versuchte meine Frau zu betrügen, aber das Geld ging mir aus. Dann fand ich Rauschgift ... wieder eine vollendete Tarnung. Mit Rauschgift brauchte ich mich mit nichts auseinanderzusetzen. Die Welt war schön. Ich brauchte die Niederlage nicht einzugestehen ... machte einfach im Geist neue und größere Pläne. Das war der Anfang der Harlem Jazz-Szene.

Ich wußte über Heroin Bescheid und daß es gefährlich ist, deshalb begann ich es einfach zu inhalieren. TOLL! Eine Wucht. Es tötete alles ab; kein Kummer, keine Ängste, kein Ekel vor dem Leben, das ich führte, überhaupt nichts. Eine ununterbrochene Garantie für Behaglichkeit, Gemütlichkeit, Frieden, was immer man will.

H war genau richtig für mich. Intravenös brauchte ich es erst im neunten Monat. Mein Sexualtrieb war weg. Ich habe alles Geld verjubelt, das wir noch hatten, und die Lage wurde wirklich übel. Ich ging zu einem Klapsdoktor und hörte eine Weile mit dem Rauschgift auf und bekam sogar einen Job. Da sagte ich mir: Na, anderthalb Jahre Heroin hast du einfach so abgeschüttelt, und ich war wirklich glücklich. Pot rauchte ich noch, aber ich glaubte, das gehöre heutzutage einfach dazu. Mein Job und alles war wirklich prima. Aber mit dem Job war bald Schluß, und ich hatte mich nicht darauf vorbereitet, irgend was anderes zu tun. Ich wollte schreiben, aber ich tat es nicht.

Als die Wochen vergingen, bekam ich wieder Angst. Ein Wochenendgast erwies sich als rauschgiftsüchtig, und er hatte etwas Zeugs bei sich. Ich verpaßte mir die erste Spritze nach fast zwei Jahren. Da fühlte ich mich wieder richtig gut. Diesmal machte ich es gleich intravenös, dachte, ich könnte es unter Kontrolle behalten. Ich zog nach Kalifornien, hoffte, die Lage würde sich ändern, und jetzt renne ich immer noch hinter H her. In den letzten zwei Jahren habe ich mindestens dreißigmal aufgehört. Ich kann aber nicht mehr ohne auskommen, außer in den seltenen Fällen, wenn ich etwas Dolophon oder Percodan bekomme. Ich finde, daß der Entziehungsschmerz in den ersten paar Tagen genau wie der Schmerz ist, der mich überfällt, wenn ich wochenlang nicht gefixt habe. Ich habe dann das Gefühl, daß es ohne Fixen nicht weitergeht.

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Bis zum letzten Monat kam ich auch gar nicht auf die Idee, daß ich aufhören wollte ... Ich fühlte mich so hundeelend und hatte schon beim Aufwachen morgens solche Schmerzen, daß ich zum erstenmal begriff, daß manche Leute sich umbringen. Ich will nicht sterben. Ich will leben. Ich muß aufhören; es gibt so vieles, wofür ich leben möchte. Rauschgift ist keine Lösung. Rauschgift gebietet meinem Schmerz Einhalt, bringt aber seinen eigenen mit. Rauschgift ist eben Mist. Man muß auf andere Weise leben können. Hilfe.«

 

Dreißig Minuten, nachdem er diesen Brief geschrieben hatte, ging er aus dem Haus und fixte*. Das Wissen um die Gefahren des Heroin und der verzweifelte Wunsch, damit aufzuhören, scheinen bedeutungslos zu sein, wenn ein Mensch leidet.

* Es ist interessant, daß manche Süchtige ihren Betäubungszustand <stoned> - versteinert - nennen, ein Hinweis darauf, daß der Betreffende nichts mehr fühlen will. Fühlen scheint für den Süchtigen unerträglich zu sein.

Wenn einem Drogenabhängigen das Heroin entzogen wird, macht er etwas durch, das wie ein Urerlebnis aussieht. Tatsächlich kam dem Briefschreiber sein erstes Urerlebnis wie ein Drogenentzug vor: die Magenkrämpfe, der Schweißausbruch, das Zittern — und der Urschmerz. Ich bin sicher, daß die beim Heroinentzug anfänglich auftretenden Symptome körperlich sind. Indes glauben Heroinsüchtige, die Urerlebnisse gehabt haben, daß ihr Entziehungssyndrom zum größten Teil ein Urerlebnis ist. Was die Süchtigkeit so intensiv macht, ist offenbar der Urschmerzfundus. Wenn wir Heroin als den Abwehrmechanismus ansehen, können wir verstehen, daß jemand ein Urerlebnis haben wird, wenn der Abwehrmechanismus ausfällt. Ebenso wie Heroin tötet die Primärtherapie den Urschmerz ab, und zwar dadurch, daß sie den Süchtigen den Urschmerz empfinden läßt. Nach meiner Erfahrung ist der Süchtige leichter zu behandeln als so manche Arten von Neurotikern, die ein ausgeklügeltes Netz von Abwehrmechanismen errichtet haben, das abgebaut werden muß. Die Behandlung des Süchtigen geht schnell und trifft ins Schwarze.

In einem sehr wichtigen Punkt verläuft die primärtherapeutische Behandlung anders, wenn es sich um einen Süchtigen dreht. In den ersten ein oder zwei Monaten muß er ständig überwacht und beobachtet werden. Bei anderen Patienten, die das Gefühlshindernis beseitigt haben, werden vielleicht ihre Symptome wieder auftauchen — Kopfschmerzen oder Asthma. Aber wenn der Süchtige auf sein Symptom zurückkommt, ist es gewöhnlich verhängnisvoll. Was immer er auch verspricht, daß er sich der Drogen enthalten oder es sogar melden will, wenn er welche nimmt, all das ist völlig bedeutungslos. 

Ich hatte einen sehr an seiner Heilung interessierten Süchtigen in den ersten Behandlungstagen in seinem Zimmer eingeschlossen, weil die üblichen Krankenhäuser keine Süchtigen aufnehmen. Trotz einer vierundzwanzigstündigen Bewachung gelang es ihm, die Tür aus den Angeln zu heben, und er versuchte, sich davonzustehlen und zu fixen. Niemand auf Erden ist erfindungsreicher als ein Süchtiger, der türmen will.

Wenn wir die erste Behandlungsperiode mit dem Süchtigen durchstehen können, dann haben wir es so gut wie geschafft. Dennoch würde ich während der Primärtherapie zehn bis fünfzehn Wochen hinter Schloß und Riegel empfehlen.

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Zusammenfassung

 

Einige der heutigen Behandlungsmethoden bei Drogenabhängigkeit sind auf hartes Durchgreifen ausgerichtet. Der Süchtige wird als >dumm< bezeichnet, und ihm wird gesagt, er solle sich schämen, erwachsen werden und ein Mann sein. Ich finde diese Methode nicht richtig, denn ich glaube, viele Süchtige haben ohne zusätzlichen sozialen Zwang ein genügend hartes Leben gehabt. Möglicherweise trägt der Zwang der Gruppe, den man in einigen Anstalten für Suchtbehandlung findet, wirklich dazu bei, daß das Verhalten des Süchtigen sich ändert, aber dieser Zwang kann gewiß die starken Bedürfnisse des Süchtigen nach Liebe nicht beeinflussen. Wenn Urschmerz da ist, werden alle Drohungen und Strafen der Welt nichts ausrichten. Wenn der Urschmerz verschwunden ist, wird es nicht mehr nötig sein, den Süchtigen herunterzuputzen oder ihn anzuflehen, sein Verhalten abzustellen.

Ich glaube auch nicht, daß es dem Süchtigen hilft, wenn man ihn dazu bringt, sich >wie ein Erwachsener< zu benehmen. So mancher Süchtige mußte erwachsen sein, ehe er überhaupt Kind war; er hat es eher nötig, sich als das gequälte Kind zu fühlen, statt erwachsen zu agieren. Sozialer Zwang und Drohungen erzeugen meiner Schätzung nach mehr Selbstschutz und nicht weniger. Viele Süchtige sind für eine harte Welt gerüstet. Wogegen sie sich nicht wehren können, ist Freundlichkeit.

Die Leute jagen sich nicht tagtäglich Spritzen in den Arm, weil sie schwach oder dumm sind. Sie sind krank, und ihre Krankheit ist ebenso real und schmerzhaft wie die meisten sogenannten körperlichen Krankheiten. Der Drogenkonsum ist gewöhnlich nicht eine leichtfertige Entscheidung; es ist das unvermeidliche Ergebnis, wenn ein leidender Körper versucht, einen Sinn zu erkennen — Erleichterung von der Krankheit zu finden. Wollte man Moral predigen und jemandem seine Krankheit auszureden versuchen, wäre es dasselbe, als wenn man ihm seinen Urschmerz ausreden wollte. Einen Süchtigen >dumm< zu nennen, ohne dafür zu sorgen, daß Menschen da sind, die ihn betreuen und ihn verstehen oder ihm eine Umgebung zu bieten, die ihm zum Teil Schutz gewährt gegen die schmerzliche Welt, würde meiner Ansicht nach nur die nächste Spritze garantieren.

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Viele private und staatliche Entziehungsanstalten können ausgezeichnete Ergebnisse vorweisen — ein hoher Prozentsatz ist auf Jahre hinaus drogen­unabhängig und funktioniert gut in Beruf und Ehe — und gewiß haben sie eine bessere Suchtremissionsrate als die Bundesanstalten, wo die Rückfallquote zwischen 80 und 90 Prozent liegt.

Ich glaube, es ist wichtig, daß der Süchtige keine gefährlichen Drogen konsumiert; daß das erreicht werden kann, ist jedenfalls nützlich. Aber Nicht-Konsum sehe ich noch nicht als Heilung an. Auch wenn ein Heroinsüchtiger in einer Entziehungsanstalt vielleicht auf eine >gesündere< Sucht wie Zigaretten und Kaffee >umgestiegen< ist (und gewöhnlich beides in großen Mengen konsumiert, solange er kein Heroin nimmt), würde ich ihn dennoch als Süchtigen bezeichnen: hohe Spannungspegel werden nur darauf warten, daß er schwach wird. Solange er schwer arbeiten und den Urschmerz wegrauchen kann und von seiner Umgebung unterstützt wird, ist es möglich, daß er sich jahrelang und vielleicht sogar für immer von Drogen fernhält. Aber jede Veränderung dieser Auslaßventile kann bewirken, daß der Urschmerz (der immer noch da ist) aufsteigt, und dann wird Süchtigkeit die Folge sein.

Wie lange jemand ohne Drogen auskommt, scheint kein Hinweis auf die Suchtanfälligkeit zu sein. Eine unterstützende Umgebung vorausgesetzt, wird sich jemand mit einem hohen Spannungspegel vielleicht ständig der Drogen enthalten. Andere mit einem geringeren Grad von Spannung, die aber wieder auf die Straße geworfen werden, werden vielleicht sofort wieder Rauschgift konsumieren. Fast täglich bekomme ich Anrufe von Männern und Frauen, die jahrelang im Gefängnis waren und fast sofort wieder Rauschgift nahmen. Und das trotz eines intensiven psychotherapeutischen Programms in den kalifornischen Narkotiker­gefängnissen.

Während die Entziehungsanstalten, die jetzt landauf, landab erfolgreich tätig sind, dem höchst nützlichen Zweck dienen, die Leute von körperlicher Süchtigkeit zu befreien und ihnen behilflich zu sein, in der Gesellschaft zu funktionieren, würde ich diese Methode immer noch als eine missionarische betrachten. Der Süchtige wird von wohlmeinenden Menschen aufgenommen, die bestimmte Vorstellungen davon haben, was gutes und was schlechtes Verhalten ist. Vielleicht ist es logisch, wenn sie den Süchtigen eher für dumm als für krank halten, aber wenn Süchtigkeit eine Krankheit ist, dann müssen die Gründe dafür untersucht werden -weit über oberflächliches Verhalten hinaus.

 

  Marihuana  

 

Marihuana hat eine andere Wirkung als Heroin. Heroin vermindert oder <stillt> den Urschmerz und narkotisiert gegen schmerzende Gefühle. Was demjenigen widerfährt, der unter Marihuanaeinfluß steht, hängt von drei Faktoren ab: 1. der Dosis (wieviel geraucht wurde); 2. der Stärke seines Abwehrsystems und 3. dem Ausmaß von Urschmerz, den es abschirmt.

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Bei genügend großen Mengen von Marihuana ist es möglich, eine LSD-ähnliche Reaktion mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen zu erzeugen. Das würde geschehen, wenn ein starker Urschmerz zugrunde liegt, der eine symbolische Flucht erfordert, oder wenn das Abwehrsystem des Betreffenden besonders verletzlich ist.

Zum Beispiel kommt es nicht selten vor, daß jemand, der bereits LSD genommen hat, in einen momentanen (oder auch nicht so momentanen) psychotischen Zustand gerät, wenn er später Marihuana raucht. Der ursprüngliche LSD-Trip ist der erste größere Angriff auf das Abwehrsystem und bringt den Betreffenden seinem Urschmerz nahe; der anschließende Marihuanagenuß könnte das gesamte neurotische System zum Einsturz bringen. Darum ist der fortgesetzte Konsum sowohl von LSD als auch von Marihuana gefährlich. Eine Patientin, die erst LSD nahm und dann Marihuana rauchte, bekam eine obsessive Furcht, durch einen Rasierapparat entzweigeschnitten zu werden. Daraus entwickelte sich eine ständige Furcht, von dem Bett, in dem sie schlief, umklammert zu werden. Diese Symbole wurden zwanghaft und obsessiv, weil das Abwehrsystem gegen Furcht durch Drogen geschwächt war. Diese Ängste wurden dann bald so hartnäckig, daß eine weitere symbolische Reaktion erforderlich war, und die Patientin brach vollständig zusammen.

Im allgemeinen sind Marihuana-Trips erfreulich, weil sich das Abwehrsystem unter der Droge nur <verbiegt> und nicht zerbricht, wie es bei schweren Dosen von LSD der Fall sein kann. So mag der Betreffende bei seinen ersten paar Drogenerfahrungen Euphorie empfinden oder mystische Reisen erleben. Zuletzt wird daraus etwas Ernsteres und Unerfreulicheres.

Primärtherapeutische Patienten, deren Abwehrsysteme beseitigt sind, können kein Marihuana rauchen. Ich erinnere mich eines College-Studenten, dem gegen Ende seiner Therapie eine Marihuanazigarette angeboten wurde, von der er widerstrebend vier oder fünf Züge rauchte. Innerhalb weniger Minuten war er in seinem Schlafzimmer und hatte ein Urerlebnis. Er war überrascht über das, was geschah, denn vor der Therapie hatte er ständig Marihuana geraucht, konnte mit Leichtigkeit zwei oder drei Zigaretten rauchen und war dann nur <gelöst und albern>. Das Fehlen eines soliden Abwehrsystems änderte all das.

Der durchschnittliche Neurotiker, der zum erstenmal Marihuana raucht, wird vielleicht eine ganze Menge rauchen können und nur körperliche Veränderungen erleiden — Herzklopfen, Schwindelgefühl. Bei anderen treten unerfreuliche Angstreaktionen auf.

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Aber Gegenmaßnahmen gegen Reaktionen auf irgendwelche Drogen können nicht ergriffen werden, wenn man nur der chemischen Zusammensetzung der Drogen Beachtung schenkt. Im Fall von Marihuana wird derjenige mit einem guten Abwehrsystem bei seinem ersten <Trip> in seiner Abwehr vielleicht soweit nachlassen, daß sein Urschmerz aufsteigen kann, aber nicht soweit, daß sein Abwehrsystem bedroht ist — denn es werden nur Gefühle von Angst vor seltsamen neuen Empfindungen hervorgerufen.

 

Das gleiche gilt für eine sehr viel vertrautere Droge - Koffein - das im Kaffee enthaltene Anregungsmittel. Gewöhnlich halten wir uns nicht für coffeinsüchtig, aber es gibt viele Leute, denen es schwerfällt, ohne ihren Kaffee am Morgen auszukommen. Ein so stark abgestumpfter Mensch wie ein Heroinsüchtiger kann mit Leichtigkeit ohne spürbare Wirkung zehn Tassen Kaffee trinken. Aber postprimäre Patienten sind nach ein oder zwei Tassen schon enorm erregt. Fast alle haben den Kaffee aufgegeben; ohne ein eingreifendes Abwehrsystem hat jeder chemische Stoff eine unmittelbare und starke Wirkung auf den Körper.

 

Wir sehen also, daß das Abwehrsystem weitgehend bestimmen kann, wie wir auf Drogen reagieren. Dieses System filtert, mildert oder blockiert äußere und innere Stimulantien. Der innerlich-äußerliche Reaktionsprozeß ist interdependent. Man kann also nicht das innere Selbst schützen und im äußeren Leben normal sein; auch kann man nicht psychisch real sein und nicht eine starke und direkte Wirkung von Drogen wie Coffein oder Marihuana spüren. Irreal zu sein bedeutet, körperlich irreal zu sein; real zu sein bedeutet, körperlich real zu sein.

Ich glaube, daß viele Marihuana-Konsumenten zwar versuchen, real zu sein, es aber auf irreale Weise tun. In einer Beziehung ist <high werden> symbolisch. Es bedeutet, so zu tun, als sei man befreit und frei. Aber wirkliche Befreiung bedeutet, daß das gequälte Selbst gefühlt und nicht nur vorübergehend durch Drogen von der Bedrückung durch das irreale Selbst befreit wird.

Im großen und ganzen besteht der Unterschied zwischen dem echten Heroinsüchtigen und dem Marihuana-User darin, daß Marihuana nicht die Schlüssel- oder einzige Abwehr des Pot-Rauchers ist. Der Marihuana-User hat noch andere Abwehr­mechanismen, die ihn davonkommen lassen, wenn auch mit Spannung. Die Abwehrmechanismen des Heroinsüchtigen sind indes erschöpft. Sein Abwehrmechanismus ist das Heroin, und er braucht es, um funktionieren zu können. Im allgemeinen leidet der Marihuana-User weit weniger unter Verdrängung (hat weniger Urschmerz) als der Heroinsüchtige. Marihuana trägt dazu bei, die Verdrängung aufzuheben, so daß sich der gesamte Sinnesapparat des Betreffenden öffnet; er hört Nuancen bei einer Schallplatte und sieht exquisite Farben in einem Gemälde. Dieser Aufhebungsprozeß bringt auch Einsichten mit sich — was bei Heroin nicht der Fall ist.

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Ein Patient beschrieb einen Marihuana-Trip vor seinen Urerlebnissen wie folgt: »Während ich high war, kam mir plötzlich die Erinnerung, daß meine Familie, als ich klein war, sich über mich lustig machte, wenn ich ein bestimmtes Wort aussprach. Ich wurde immer gerufen und mußte es aussprechen, wenn Verwandte zu Besuch da waren, und dann lachten alle. Im Pot-Rausch wurde mir klar, daß ich seit damals Angst hatte, vor Menschen zu sprechen.«

Diese Einsicht entstammte einer verdrängten Erinnerung, die Marihuana ins Bewußtsein zurückgebracht hatte. Die Szene war schmerzlich und wäre normalerweise nicht erinnert worden. Sobald sie einmal bewußt war, konnte die Verbindung zwischen dem jetzigen Verhalten und dem Urschmerz der Vergangenheit hergestellt werden. Das ist Einsicht. Würde dieselbe Erinnerung bei einem Urerlebnis auftauchen, wären der Urschmerz vielleicht quälend und die Einsichten fruchtbarer, und sie würden sich stärker körperlich auswirken.

Es ist kein Geheimnis, daß viele junge Leute sich heute zu Marihuana hingezogen fühlen. Aus irgendeinem Grund ist die Gesellschaft der Meinung, das Problem müsse dadurch gelöst werden, daß die Droge ausgemerzt wird, statt die Gründe zu beseitigen, warum sie genommen wird. Aber wenn der Neurotiker Marihuana raucht, fühlt er sich meistens gut, denn das Fühlen tut ihm gut. Marihuana scheint in geringerem Maße dasselbe zu bewirken wie LSD — Gefühle anzuregen. Viele junge Leute wissen wirklich keinen anderen Weg, wie sie zu ihren Gefühlen gelangen sollen, als durch Drogen. Wegen ihrer frühen Erlebnisse, die dazu beitrugen, daß sie abschalteten, brauchten sie etwas, das sie wieder in Gang bringt - Drogen. Die Frage ist nicht, was sie in Gang bringt. Das Problem ist, was sie zum Abschalten gebracht hat.

Bei vielen Menschen bewirken der Genuß von Marihuana und das Aufsteigen von Gefühlen eine Verstärkung der Abwehr­mechanismen. Der Betreffende wird schallend lachen (weil er fühlen kann, wenngleich es kein reales Fühlen ist) oder herzhaft essen. Was die Droge bewirkt, ist im wesentlichen, daß der Betreffende wieder in seinen Körper versetzt wird. Das unbeherrschte Gelächter ist zum Beispiel für viele Neurotiker ein sehr viel vollständigeres körperliches Erleben als Lachen ohne Droge. Doch postprimäre Patienten, die wieder im Besitz ihres Körpers sind, brauchen kein Marihuana oder andere Drogen mehr, was mir eine viel bessere Lösung des Drogenproblems zu sein scheint.

 

 

   sally   

 

Als Sally zum erstenmal zu mir kam, war sie von der hiesigen Neuropsychiatrischen Klinik als <post-LSD-Psychotikerin> diagnostiziert worden. Der endgültige Zusammenbruch war die Folge eines Acid-Trips und von anschließendem starkem Marihuana-Konsum gewesen. Sallys Behandlung ging sehr rasch, wie es bei vielen der Fall ist, die am Ende ihrer Kraft sind.

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Ich bin einundzwanzig Jahre alt. Mein Leben zu Hause als Kind war ein ständiger Kampf. Meine Eltern zankten und stritten sich und machten aus mir ein Nervenbündel. Außerdem verbrachte ich die ersten vier Schuljahre in einer katholischen Schule, die absolut verheerend für mich war. Ich erinnere mich an mehrere schmerzliche Zwischenfälle, denn ich war bei den Nonnen nicht sehr beliebt und wurde ständig von ihnen bestraft. Meine Strafe bestand gewöhnlich darin, daß ich in der Pause, wenn die anderen Kinder spielten, meine Katechismusaufgabe zehnmal schreiben mußte; mir schien, daß ich Gott dadurch ferner rückte, statt ihm nahezukommen, und ich begriff nie, warum ich eigentlich bestraft wurde. 

Mein Unglücklichsein zeigte sich darin, daß ich mir am Schreibpult in die Hosen machte oder in der Nase bohrte und die Popel aufaß. Niemand sah es oder half mir. Ich erinnere mich, daß ich in diesen jungen Jahren entsetzlich einsam war, eine Furcht, die mich auch im späteren Leben begleitete.

Da das Leben zu Hause beschissen war und die Schule beschissen war, suchte ich meine Zuflucht bei dem einzigen, was verhinderte, daß ich verrückt wurde: mein Gesang. In der Schule, besonders in der Aufbauschule, wurde ich dadurch recht beliebt. Ich hatte eine gute Stimme, sogar schon in den unteren Klassen in der katholischen Schule. Sonntags sang ich im Kirchenchor, und am Tag des heiligen Patrick trug ich in der Schule ein kleines Lied über Irland vor. Wenn ich allein zu Hause war, befand ich mich in einer Welt des Dramas. Ich spielte mir selber Filme vor, ich als Star in den schönsten Kostümen der Welt, und jede Vorstellung trug mir einen Akademiepreis ein. 

Ich wäre verrückt geworden, wenn ich in diesem Alter genau erkannt hätte, was mein Leben war — SCHEISSE —, aber meine Phantasie ließ es schön bleiben. Ich war glücklich, mir selbst etwas vorzuspielen, und vertraute auf den Tag, da ich eine große Sängerin und Filmschauspielerin sein würde. Ich erinnere mich, daß ich ab und zu, wenn ich sang oder ein Stück für mich selbst spielte, von Schmerz gepackt wurde, etwa: »Das ist nicht wirklich; das ist ein Traum.« Manchmal brach ich zusammen und weinte entsetzlich, weil ich nur ein kleines Mädchen war und so gerne wollte, daß sich mein Traum verwirklicht, weil ich so gern jemand sein wollte, denn in Wirklichkeit war ich niemand - tatsächlich niemand, meine Identität für den Rest meines Lebens lag in der Zukunft. Eine Zukunft, die nie kommen würde, denn ich würde sie immer hinausschieben, weil ich nicht herausfinden will, ob ich, wenn ich sie je erreiche, womöglich herausfinde, daß der Erfolg mich nicht fand.

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Wo würde ich dann hingehen, um jemand zu werden? Auch habe ich in meinem ganzen Leben das kleine Mädchen in den Stücken und Musicals nie aufgegeben, und deshalb gelangte ich nie zur Realität. Ich bohrte immer noch in der Nase und aß meine Popel, ich schrie immer noch: »Helft mir, helft mir, erwachsen zu werden!« Aber niemand konnte mir helfen, als ich älter wurde, weil ich diese Hilferufe insgeheim ausstieß. Niemand konnte mir helfen, selbst wenn er gewollt hätte, und eigentlich wollte ich auch gar keine Hilfe.

Es ist komisch, wenn man neurotisch ist. Man wird körperlich erwachsen; man weiß mehr, versteht sehr viel mehr, manchmal benimmt man sich sogar erwachsener, weil es von einem erwartet wird. Aber im Inneren wartet das kleine Mädchen bloß darauf, gestreichelt und geliebt zu werden, daß ihm geholfen und es beschützt werde. Ständig wird ein innerer Kampf um das, was man so dringend braucht, nämlich Liebe, Schutz usw., ausgetragen zwischen dem, was man sein soll (ein Erwachsener), und dem, was man sein will man will erwachsen werden, wie der Körper gewachsen ist und wie die Bewußtheit gewachsen ist, aber ein Teil von einem ist scheintot.

Ich begann im Januar mit der Therapie. Ich ging dort hin wegen Ereignissen, die etwa acht Monate vorher begonnen hatten. Ich hatte LSD genommen. Ein paarmal hatte ich LSD ohne schlechte Folgen genommen. Das letzte Mal, als ich die Droge nahm, wurde das ausgelöst, was ich als Geisteskrankheit bezeichne.

Mein Freund und ich hatten jeder zwei Kapseln Acid genommen. Ich war schlechter Laune, weil ich an dem Abend mit ihm zu einer Party hatte gehen wollen, auf der alte Freunde von mir waren, ehemalige Kollegen von mir. Er wollte nicht mitgehen, so nahmen wir statt dessen Acid.

Zu guter Letzt gingen wir zu einer Party anderer Art. Einige der Leute dort hatten die Droge genommen, andere nicht. Da war ein Junge, der machte schöne Ohrringe, und ich bat meinen Freund, mir ein Paar zu kaufen. Ich fühlte mich besser, bis die Wirkung des LSD einsetzte. Alle meine Sinne wurden geschärft. Ich konnte riechen, wie ich roch. Ich konnte meinen eigenen Körpergeruch riechen. Ich sah mich um, ob jemand anderes es riechen konnte. Offenbar niemand. Ich rannte ins Bad, schnappte mir ein Stück Seife und wusch mir die Achselhöhlen und Arme, um den Geruch zu vertreiben. Ich kam mir so dreckig vor, wie Scheiße. Ich konnte den Geruch nicht loswerden. Als ich aus dem Bad herauskam, sagte ich meinem Freund, etwas stimme nicht. Wir gingen zur Auffahrt, um darüber zu reden. Plötzlich bekam ich einen Anfall, so läßt es sich am besten beschreiben. Es war, als ob ich ein paar Minuten nicht bei Trost war, und als ich dann wieder etwas zu mir kam, wußte ich, daß ich irgendwo hingegangen war, aber ich wußte nicht, wohin, und ich wurde von Entsetzen gepackt, denn ich fürchtete, es könne wieder passieren, und das nächstemal würde ich vielleicht nicht zurückkommen.

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Ungefähr sieben Stunden lang passierte es auch immer wieder. Und jedesmal wußte ich nicht, ob ich da je wieder herauskäme. Ich entdeckte keine Realitäten. Ich nippte immer wieder aus und war dann voll Schrecken und überzeugt, daß ich total verrückt sei.

Nach den sieben Stunden kam ich dann ein bißchen zu mir. Die Anfälle waren vorbei, aber ich war immer noch erregt und voll Furcht. Ich versuchte zu schlafen, aber aus Angst behielt ich die Augen offen. Es war, als ob mein Kopf geplatzt sei und sich nicht wieder zusammenfugte.

Nach ein paar Tagen war ich wieder normal.

Etwa zwei Monate später spürte ich Nebenwirkungen des Acid. Es begann mit einem Alptraum. Ich wachte schreiend auf, weil ich geträumt hatte, ich würde verrückt. Diese entsetzliche Furcht spürte ich im ganzen Körper. Ich konnte nicht wieder einschlafen und weckte meinen Freund, mit dem ich zusammenwohnte, und er versuchte mich zu trösten. Ich wollte nicht getröstet werden. Ich wollte wissen, was los war. Ich mußte es wissen.

Dieser Tag und noch viele Monate danach waren die Hölle. Ich war überzeugt, daß ich verrückt sei. Ich hatte Ideen im Kopf, die mich zu dieser Überzeugung brachten. Zuerst einmal die Tatsache, daß ich nicht verstehen konnte, daß ich Angst vor nichts hatte. Seit zwei Monaten hatte ich kein LSD genommen, warum fühlte ich mich dann, als ob ich den ganzen Tag unter Acid wäre?

Es ist praktisch unmöglich, alle die kleinen Gedanken zu erklären, die dazu beitrugen, mich verrückt zu machen; ich kann nur sagen, daß meine sämtlichen Abwehrmechanismen fix und fertig waren. Damit meine ich, daß ich überhaupt nicht mehr logisch denken konnte. Ich konnte es nicht mehr als gegeben hinnehmen, daß eine Wand eine Wand oder ein Stuhl ein Stuhl war. Mich konnte ich überhaupt nicht mehr fühlen. Mein Verstand war so gelähmt, daß ich keinen Körper oder kein Gefühl mehr hatte, nur noch Furcht. Furcht empfand ich ständig. Mir war, als ob ich in meinem Verstand eingesperrt sei wie in einem Gefängnis, und der einzige Ausweg sei die Gaskammer. Ich hatte keine Hoffnung, diese Krise zu überleben. Bei alledem geschahen Dinge um mich herum, über die ich mir gar keine Gedanken machte. Mein Freund, mit dem ich zusammenlebte, war Drogendealer. Er hatte keine Stellung; ich hatte keine Stellung; wir hatten eine Menge illegales Geld. Dauernd kamen unsere langhaarigen Freunde scharenweise in unsere Wohnung und holten sich ihre Ladung, und ständig lagerten große Mengen Drogen bei uns. Es war ein Drogenparadies. Über all das machte ich mir keine Gedanken, denn es war mir wirklich egal. Ich merkte überhaupt nicht mehr, was um mich herum vorging.

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In dieser Zeit nahm ich gar keine Drogen und wollte es auch nicht mehr. Das einzige, was mich interessierte, war mein Verstand und wie er ausnippte und warum ich es nicht hinnehmen konnte, daß eine Glühbirne eben eine Glühbirne war. Für mich war ich verrückt, und die entsetzliche Angst war das Wissen, daß ich verrückt war, und ich wollte mich vergewissern, daß mein Ende verhängnisvoll sein würde. Ich wollte lieber verrückt werden, als die simpelste Realität akzeptieren, daß eine Glühbirne eine Glühbirne war.

An diesem Punkt wäre ich reif gewesen für ein Urerlebnis, aber leider war das damals noch nicht entdeckt. Als ich dann zuerst zur Therapie ging, weil ich so verzweifelt war, änderte sich die Lage, aber auf eine völlig andere Weise als jetzt. Damals lernte ich, meine Abwehrmechanismen aufzubauen. Ich hatte nicht mehr die ganze Zeit Angst, sondern nur noch meistens. Ich baute eine Abwehr in mir auf, um alles abgleiten zu lassen. Wenn ich Furcht empfand, dann rationalisierte ich, daß es sie in Wirklichkeit nicht gebe, daß ich gar keine Angst habe und es bloß ein gewöhnlicher Acid-Flash sei (was immer das ist). Ich hatte auch jemanden, auf den ich mich stützen konnte, jemanden, von dem ich überzeugt war, daß er die richtigen Antworten wußte, und das war mein Therapeut. Hätte er mir gesagt, der Mond bestehe aus Kräuterkäse, hätte ich es akzeptiert, denn er wußte alles über den Verstand, und es gab keinen Grund, Furcht zu haben. Ich hatte volles Vertrauen zu diesem Mann, den ich im Geist zu einem Gott, Vater und Beschützer meiner geistigen Gesundheit machte.

Als unsere Gruppentherapie etwas über den Urschmerz herauszufinden begann, wollte etwas Starkes in mir (ich selbst) das durchmachen, denn obwohl ich mich dem Leben <anpaßte>, war ich unglücklich. Ich wußte nicht, was ich tun oder sein wollte. Mein erstes Urerlebnis wurde durch einen Entschluß ausgelöst. Ich hatte beschlossen, meinen Freund zu heiraten. Die Lage hatte sich geändert: Er hatte eine gute Stellung, hatte keinerlei Verbindung mehr zu Drogen, und ich hatte auch eine gute Stellung. Wir begannen, wie ein gewöhnliches junges Ehepaar auszusehen.

Nach diesem Entschluß erzählte ich eines Abends in der Gruppe irgendwelchen Unsinn, wie glücklich ich sei, als ich plötzlich mit Reden aufhörte, tief in mich hineinsah und wußte, daß das nicht das richtige war. Daß das mein Leben nicht glücklich machen würde.

Ich legte mich auf den Fußboden und begann tief vom Bauch her zu atmen. Darauf folgten zornige Schreie. Ich kam mir vor wie ein Schiet. Wie der dreckigste Schiet kam ich mir vor. Ich setzte mich auf, und ich erinnere mich, daß Leute in der Gruppe mich etwas fragten, und ich antwortete. Ich kann mich nicht erinnern, was ich antwortete, aber alle schienen zufrieden zu sein und sagten: »Sie haben's geschafft, Sie haben's geschafft.«

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Ich hatte bloß den einen Gedanken im Kopf, daß ich Schiet war, weil ich mein Leben lang mir selbst etwas vorgelogen hatte. Daß mein ganzes Leben nichts als ein großer kranker Witz ohne Bedeutung war. Ich war nichts.

Das war mein erster Durchbruch zur Realität.

Nach diesem Urerlebnis hatte ich noch mehrere. Jedes Urerlebnis beseitigte eine größere seelische Verletzung, die ich in mir verschlossen hatte.

Es war viel einfacher, die Hoffnung auf die Liebe meines Vaters als auf die meiner Mutter aufzugeben, denn mein Vater war immer realer gewesen. Mein Vater hatte einen Posten, den er dreißig Jahre innehatte, aber er trank unmäßig viel. Wann immer sie (meine Eltern) einen Streit hatten, und das war praktisch jeden Tag, ergriff ich die Partei meiner Mutter, wie es auch mein Bruder und meine Schwestern taten. Die arme Mammi war diejenige, die immer verletzt wurde. Sie mußte es sich gefallen lassen, daß sie geschlagen und eine Hure genannt wurde, und mußte mitansehen, daß das Leben für ihre Kinder zur Hölle wurde, weil sie die Familie zusammenhalten wollte.

Pappi war leichter aufzugeben, weil ich zeit meines Lebens wußte, was er war: ein elender Mistkerl.

Bei meiner Mutter war es anders. Ich war überzeugt, daß sie mich innig liebte, und sie wird immer davon überzeugt sein, was es schwierig macht, die Hoffnung auf eine Liebe aufzugeben, von der ich immer glaubte, daß es sie gebe, aber wußte, daß dem nicht so war.

Aber bei einem meiner letzten Urerlebnisse gab ich die Hoffnung auf ihre Liebe auf. Ich lag auf dem Boden und schrie. Ich hatte Bauchschmerzen. Meine Mutter kam aus mir heraus, als ich immer wieder die Worte schrie: »Mammi, Mammi, warum liebst du mich nicht?« Ich wußte wirklich, daß das die Wahrheit war, und hatte es mein Leben lang gewußt. Ich hatte um ihre Liebe mehr als um jede andere Liebe gekämpft, denn sie war die Verheißung der Liebe. Sie sagte mir mit Worten, daß sie mich liebte. Ich wußte, wenn ich ein sanftes kleines Mädchen war, würde ich eines Tages wirkliche Liebe bekommen. Aber sanft zu sein war nicht meine Art. Ich wollte manchmal auf Leute böse sein und anderer Meinung sein als sie, aber ich tat es nicht, weil ich spürte, daß ich deren Liebe verlieren würde.

Nach jedem Urerlebnis wurde meine Stimme ein wenig tiefer. Einmal war sie eine Baßstimme geworden. Mein ganzes Leben war meine Stimme hoch und dünn und zart gewesen. Jetzt hat sich das Hohe und das Tiefe ausgeglichen, und ich habe eine natürliche, reale Stimme.

Meine Sehkraft hatte nach den Urerlebnissen zugenommen. Ich konnte jetzt mehr sehen, weil ich nicht mehr Angst hatte, das Licht zu sehen.

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Meine Gedanken wurden viel klarer. Ich konnte mit Menschen reden und wurde verstanden. Ich hatte Zutrauen zu dem, was ich zu sagen hatte, denn ich war es selbst, die es sagte. Früher hatte ich immer Schwierigkeiten gehabt, etwas klarzumachen. Es waren zwei Menschen in mir, die gegeneinander kämpften. Zu guter Letzt sagte ich dann etwas und hatte selbst das Gefühl, daß es ganz falsch war.

Jetzt gibt es keinen Kampf mehr in meinem Leben, denn was immer geschieht, geschieht. Ich habe einige Entscheidungsfreiheit bei dem, was geschehen wird, und was immer ich tun will, kann ich tun.

Ich bin glücklich geworden, weil ich zu der Erkenntnis gelangt bin, daß wir in einer irrealen Welt leben, deren Bevölkerung zum größten Teil aus irrealen Menschen besteht. Diese Erkenntnis sollten Menschen haben, wenn sie gesund sind, und daß wir in bezug auf das Leben anderer nichts tun können, selbst wenn es unser Leben gefährdet, weshalb sollen wir uns dann also darüber Gedanken machen, was sie tun? Wenn es eine Möglichkeit gibt, uns und andere zu schützen, dann tut man es; wenn nicht, dann läßt man's bleiben. So irreal die Welt sein mag, ich habe meine Realität in ihr gefunden, und meine eigene Realität ist es, die sie real macht - weil es meine ist.

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   Freßsucht   

 

Ich betrachte übermäßiges Essen als Sucht, denn für denjenigen, der ständig essen muß, ist Essen im allgemeinen ein Entspannungs­mittel, sehr ähnlich einer ständigen Drogenspritze. Oft ißt er nicht aus Hunger, sondern aus einem unkontrollier­baren Impuls, der ihn gewöhnlich überkommt, wenn er allein ist und sich mit sich selbst beschäftigen muß. Das Fett, das er durch sein übermäßiges Essen ansetzt, scheint buchstäblich eine Dämmschicht gegen den Urschmerz zu bilden. Aus diesem Grunde sind fettleibige Menschen manchmal schwierige Primärpatienten.

Es besteht ein Unterschied zwischen aufsteigender und absteigender Spannung. Das wird besonders deutlich bei der Behandlung fettleibiger oder übergewichtiger Menschen. Viele dieser Leute sind, wenn sie zur Therapie kommen, zunächst nicht besonders ängstlich. Ihr Urschmerz ist verborgen gehalten worden durch alles, was sie in sich hineinstopfen konnten — Drogen, Alkohol oder Essen. Zugestopft wurde damit ihr reales Selbst — die realen Gefühle, die bereit sind hervorzubrechen, wenn sie nicht durch Essen geschützt werden. Das ist die herabgestiegene Spannung. Sie wird weitgehend gar nicht als Spannung empfunden, sondern ist eher eine nagende Empfindung oder ein Gefühl der Leere, die sich als Hunger tarnt. Eine Patientin erklärte es so: »Ich habe gegessen, um die Spannung wegzuessen, die mich verzehrte.

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Mein ganzes Leben bestand darin, die nächste Mahlzeit zu planen. Es gab sonst so wenig in meiner Familie, daß das Essen für alles herhalten mußte. Es war das einzig Erfreuliche, das ich von meiner Mutter bekam.« Sie aß also, um die ganze Unerfreu­lich­keit ihres Familienlebens nicht fühlen zu müssen.

Zu aufsteigender Spannung kommt es bei dem übermäßigen Esser, wenn ihm eine Zeitlang seine Essens-Abwehr genommen wird. Zum Beispiel leidet der Patient in der ersten Therapiewoche, wenn ihm nur mäßiges Essen erlaubt wird, während seine Abwehr­mechanismen gleichzeitig durch den Therapeuten geschwächt werden, unter starken Ängsten. Er beginnt zu träumen wie nie zuvor, kann nicht stillsitzen, und bald könnte er auch nicht mehr essen, selbst wenn er wollte. Das hegt daran, daß seine Gefühle im Aufsteigen begriffen und so mächtig sind, daß sie die Nahrungsaufnahme behindern. Er wird in den ersten drei Wochen mühelos abnehmen.

Wenn man mehr ißt, als man sollte, dann ist es eindeutig nicht Nahrung, die man zu sich nimmt, sondern etwas Symbolisches. Manche Patienten nennen es »das innere Vakuum vollstopfen«, um die Leere des ganzen Lebens nicht empfinden zu müssen. Andere glauben, das frustrierte kleine Kind in ihnen habe noch infantile orale Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen.

Indes ist übermäßiges Essen nicht lediglich eine Befriedigung vager oraler Bedürfnisse. Bei jedem »Dicken« hat eine besondere Konstellation zu diesem Zustand geführt. Der eine mag jetzt zu viel essen, weil ihm die Mutterbrust vorenthalten wurde, ein anderer, weil ihm während seiner Kindheit die Mahlzeiten die einzige Befriedigung boten. Es gibt viele treibende Kräfte, die beteiligt sind, wenn jemand ein übermäßiger Esser wird.

Entscheidend wichtig ist, sich darüber klar zu sein, daß Essen (ebenso wie zwanghafter Sex) das Auslaßventil für alle möglichen Bedürfnisse ist. Essen unterdrückt Urschmerzen, die nicht mit früher Nahrungsentbehrung zusammenhängen; deshalb ist es allzu oft eine nutzlose Therapie, sich mit solchen Ernährungsproblemen zu befassen. Essen mag das Mittel gewesen sein, um statt durch Drogen oder Alkohol den Urschmerz zu unterdrücken, weil in der Umgebung, in der der Betreffende aufwuchs, zum Beispiel großer Wert auf das Essen gelegt wurde, während Alkohol verpönt war. Der Neurotiker hat falsche Wünsche. Pseudowünsche therapeutisch zu behandeln bedeutet, die realen nicht zu behandeln.

 

Zum Beispiel berichtete eine Frau in der Primärtherapie, sie habe plötzlich in der letzten Woche angefangen übermäßig zu essen. Sie hatte geträumt: »Meine Mutter schwebt am Himmel mit einem Metzgermesser in der Hand, bereit, auf mich herabzustürzen. Ich bin voll Schrecken und versuche zu fliehen. Ich tue so, als sei ich nicht ich — bloß ein häßliches Ungeheuer — aber vergeblich. Sie will mich gerade greifen, da wache ich auf.« 

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Ich ließ sie sich in das Fühlen des Traums versenken, während sie ihn erzählt, als träume sie ihn in eben dem Augenblick. Sie erlebt den Schrecken noch einmal und sieht dann das ganze Bild: Ihre Mutter war von tyrannischer Liebe zu ihrem Vater erfüllt. Die Mutter wollte das flotte, niedliche junge Ding sein, das die Aufmerksamkeit des Vaters auf sich zieht und fesselt. Irgendwann früh im Leben hatte diese Patientin gespürt, daß ihre Mutter sie nicht hübsch und liebenswert haben wollte. Um der Eifersucht aus dem Weg zu gehen, wurde das junge Mädchen dick und blieb es fast ihr ganzes Leben. Sie hatte den Konkurrenzneid ihrer Mutter empfunden, und während ihres Urerlebnisses schrie sie: »Sei nicht böse, Mutter! Ich nehme dir Pappi nicht weg!« etwas, das sie mit ihrer Fettleibigkeit ausagiert hatte. Dick und häßlich zu sein war die Art und Weise, wie sie die Furcht vor ihrer Mutter verleugnete, und als dieses Gefühl in der Woche davor aufzutauchen drohte, begann sie übermäßig zu essen, um das Gefühl abzuwehren. Eine wichtige Bedrohung ihres Daseins war es, schlank und hübsch zu sein. Die Unförmigkeit war ihre Abwehr, und alle bisherigen Therapien und Diätvorschriften hatten keine radikale Änderung ihres Übergewichts herbeiführen können, ehe die zentralen Gefühle empfunden worden waren.

Nach ihrem Urerlebnis konnte sich diese Patientin erinnern, daß sie in ihrer frühen Jugend aktiv, voll Schwung und lebhaft gewesen war. Sie erkannte, daß ihre Mutter in Wirklichkeit nicht wollte, daß sie lebte, und fast methodisch begann, ihr das Leben auszutreiben. Sie duldete es stillschweigend und schob bald mit Hilfe des Essens alles weg und nach unten. Nach dem Urerlebnis nahm sie mühelos ab.

Dieses eine Urerlebnis läßt erkennen, wie kompliziert das Problem der Übergewichtigkeit sein kann. Manche Frauen fürchten sich davor, attraktiv auszusehen, weil das zu sexueller Betätigung führen könnte. Andere essen zu viel, weil Nahrungsmittel zu haben sind, Liebe aber nicht. Manche Neurotiker essen, um das Gefühl abzuwehren, daß kein Mensch ihnen jemals Erfüllung bringen wird. Sie stopfen sich voll, um sich nicht unausgefüllt zu fühlen. Da sie früh im Leben nicht bekamen, was sie brauchten, sind sie zu der Überzeugung gelangt, daß es Essen war, was sie wollten. Eine Patientin erklärte ihre Freßsucht folgendermaßen: »Ich lebte nie in meinem Körper, weil da zu viel Schmerz durch Unerfülltheit war. Statt dessen lebte ich in meinem Kopf und fütterte meinen Körper, um den nagenden Schmerz zu beruhigen.«

Nach dem wohlbekannten Axiom steckt in jedem dicken Menschen ein dünner. Damit wird auf andere Weise gesagt, daß in jedem irrealen Menschen ein realer steckt. Der dicke Mensch zeigt der Welt buchstäblich eine irreale Fassade — die Bekundung eines irrealen Selbst, das versucht, das reale zu schützen und zu isolieren.

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Ich habe festgestellt, daß der Neurotiker seiner Realität und seinem Urschmerz um so näher ist, je normaler der Körper ist. Daher ist bei der Behandlung des übermäßigen Essers in der Primärtherapie die erste Maßnahme, ihn auszuhungern und ihm seine irreale Fassade zu nehmen. In dieser Zeit muß er fast so scharf überwacht werden wie ein Drogensüchtiger, denn die fette Fassade war ein notwendiger Bestandteil seines psycho-physischen Make-up. Wahrscheinlich wird er mit seiner Ernährung mogeln, genau wie der Süchtige, der sich vermutlich Drogen spritzen wird, wenn wir beginnen, seine Abwehr­mechanismen niederzureißen.

Der übermäßige Esser wird solange in Gefahr sein, bis der größte Teil seiner realen Bedürfnisse gefühlt ist. Ein Patient sagte mir: »Würde ich abnehmen, ohne daß das Leben besser wäre als damals, als ich dick war, dann hätte ich keinerlei Hoffnung mehr. Solange ich dick war, bestand wenigstens Hoffnung, nämlich die Hoffnung, schlank zu werden. Darüber hinaus konnte ich das Gefühl haben, mein Dicksein, nicht aber ich selbst, sei der Grund dafür, daß ich gesellschaftlich abgelehnt wurde.« 

Die mit der Fettleibigkeit verknüpfte Hoffnung ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Eine junge Frau wartete auf den Tag, an dem sie so dick sein würde, daß ihre Mutter endlich merken würde, daß etwas mit ihr nicht stimmt, und ihr Hilfe anbieten würde. 

Ein Patient sagte, er mußte etwas haben, auf das er sich freuen konnte, und das war Essen. Abgesehen von den Mahlzeiten war sein Leben völlig öde.

Ein zwanghaftes Bedürfnis nach etwas hat wenig zu tun mit dem Gegenstand selbst (in diesem Fall Essen). Sich von diesen ursprünglichen Bedürfnissen zu befreien ist die einzige Möglichkeit, der Gefräßigkeit Einhalt zu gebieten.

In einem Buch über Fettleibigkeit von einem bekannten Arzt heißt es, daß der Patient zu einer richtigen Ernährung erzogen werden müsse. Er soll lernen, welchen Kaloriengehalt jedes Nahrungsmittel hat, und selbst dann, so wird betrübt festgestellt, muß er sich womöglich noch sein ganzes Leben lang in acht nehmen. Viele meiner Patienten wissen über den Kaloriengehalt von Nahrungsmitteln bestens Bescheid und stürzen dennoch jeden Abend zum Kühlschrank, den Kopf voller Zahlenangaben. Tatsächlich ist der Eifer, mit dem sie jede neue Diät aufgreifen, die müheloses Schlankwerden verspricht, ein Beweis für ihre irreale Hoffnung.

Solange der übermäßige Esser über Essen und Diätvorschriften nachdenken kann, braucht er dem, was wirklich nicht stimmt, nicht ins Auge zu blicken. Darum kann das Problem der Fettleibigkeit nicht erfolgreich gelöst werden, wenn es nur zu einem Teil behandelt wird. Diejenigen, die es diätetisch anpacken, mit Pillen und Spritzen und besonderen Techniken, befassen sich nur mit dem Körper. Und die rein psychologische Methode begeht denselben Fehler mit umgekehrten Vorzeichen.

Auf lange Sicht wird keine Behandlung Erfolg haben, die nicht psycho-physisch ist. Tatsächlich sagte mir ein Kollege, der mit Diätärzten zusammen­arbeitet, daß die Rückfallquote bei Fettleibigkeit etwa genauso hoch ist wie bei Rauschgiftsüchtigen.

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