III. Eigene Wege in der Krise (234-280)     Start   Anmerk    Weiter

3.1  Katastrophen im Kleinen und Großen - eigenes Krisenmanagement

Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihr nur den
Beigeschmack der Katastrophe nehmen. (Max Frisch,470)

 

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Krisenhafte Ereignisse bleiben im Leben zwangsläufig nicht aus. »Minikrisen« passieren im Grunde täglich: der Bus fährt einem davon, beim Einkaufen drängelt sich jemand vor, die Kinder bringen schlechte Noten heim und der Partner kommt wieder mal abends erst so spät nach Hause. Daraus entstehende Momente und Phasen von Ärger, Niedergeschlagenheit und Resignation sind nichts Ungewöhnliches. Geht es dann eine Nummer größer um einschneidende Ereignisse - der Partner verlässt einen, am Arbeitsplatz gibt es Ärger mit dem Chef, der Stress wird zu groß, ein lieber Mensch aus der Umgebung stirbt -, ist schnell die Grenze der möglichen Bewältigung erreicht und der Weg zu Depression oder Wut nicht mehr weit. Generell tritt dann eine Krise ein, wenn sich eine Lebenssituation wesentlich ändert, insbesondere wenn Hindernisse auftreten, die der Betroffene nicht mit seinen bisherigen Erfahrungen und Methoden bewältigen kann, so dass er in einen Zustand allgemeiner Labilisierung gerät.(471)  Was die komplexen und globalen Probleme betrifft, reichen die bisherigen Erfahrungen und Methoden wohl tatsächlich nicht aus, Labilisierung droht.

  Phasen des Krisenverlaufs

Zunächst einmal kann man eine bevorstehende Krise gut leugnen und verdrängen, im Großen, wie sich bei der Psychologie des Nichtstuns zeigte, aber auch im Kleinen. Ab und zu Konflikte mit dem Partner zu haben, ist das Eine, aber an eine Trennung wird man ja wohl nicht gleich denken. Umso überraschender ist dann die Situation, wenn der andere plötzlich ausgezogen ist und man feststellen muss, dass man das Problem zu lange ignoriert oder unterschätzt hat. Vielleicht zur Vorbeugung späterer Überraschungseffekte und zur Überwindung von Verleugnungsmechanismen erfolgte die Darstellung der ökologischen Krise am Anfang des Buches so ausführlich; auch sie wird im Grunde noch nicht ernst genug genommen.

Schon bei den kleinsten Alltagskrisen zeigen sich die typischen Bewältigungsmuster, ohne dass einem das immer bewusst wird. Der Bus ist weg, man steht konsterniert an der Haltestelle, ist wütend, enttäuscht oder beides zugleich. Automatisch jedoch werden Techniken des Problemlösens herangezogen: man schaut auf dem Fahrplan nach der nächsten Fahrtmöglichkeit, ruft ein Taxi oder geht zu Fuß (und entdeckt hierbei vielleicht die Muße des Gehens, was ohne diesen Anlass nicht geschehen wäre). Versagen diese Mechanismen, fährt also lange kein Bus mehr, kein Taxi steht da und der Weg ist zu weit, wächst das innere Unbehagen, die zunehmende Anspannung mobilisiert weitere innere und äußere Ressourcen, so wird man jetzt vielleicht jemanden anrufen, der einen abholen kann.

Vier Phasen des Krisenverlaufes werden dabei deutlich: zunächst zeigen sich die üblichen Rezepte der Problembeseitigung wirkungslos, dann wächst die innere Anspannung, weil man erkennt, dass man das Problem nicht lösen kann. Diese Anspannung wiederum stimuliert und mobilisiert weitere innere und äußere Kräfte, andere Lösungen werden probiert, das Problem eventuell neu definiert. Bei Ausbleiben von Erfolgen schließlich nehmen Spannung und Unbehagen zu, es kommt zur Desorganisation der Person, also zur Entwicklung von Krisensymptomen, etwa zu Schlafstörungen oder Gereiztheit, in schlimmeren Fällen bis hin zu Aggression, Depression oder Suizidalität.

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Eine seelische wie auch körperliche Krise führt somit zu einem labilen Zustand, der Betroffene hat ein sehr viel größeres Bedürfnis nach Hilfe als sonst und ist folglich auch viel leichter beeinflussbar. Eine spezifische Therapie von außen ist häufig nötig. Ähnlich schwankend zeigte sich 2008 das Banken- und Finanzsystem, es benötigte nun erhebliche staatliche Hilfen, die es sonst stets abgelehnt hatte, und war leicht durch Äußerungen zu beeinflussen, die daher sorgfältig formuliert werden mussten, um den Abwärtstrend nicht noch zu verstärken.472 Die Krise hatte auch hier einerseits die klassischen Bewältigungsstrategien außer Kraft gesetzt und andererseits ein längeres Zuwarten - wie etwa bei der ökologischen Krise - aufgrund drohender Pleiten von Banken und Versicherungen sowie entstandener Rezession nicht mehr erlaubt. Durch die akut und spürbar gewordenen Folgen war die vorherige Verleugnung durchbrochen worden.

   Nachhaltiges Krisenmanagement - mit offenem Ausgang  

Also kam es - um bei der Finanzkrise zu bleiben - zu erheblichen staatlichen Kriseninterventionen. Durch Gewährung von Geldspritzen und Bürgschaften wurde versucht, einen drohenden Bankenkollaps zu vermeiden. Ähnliches gilt auch im persönlichen Bereich: häufig wird durch Zuwendung und Unterstützung akute Hilfe geleistet und so einer weiteren psychischen Dekompensation vorgebeugt.

Doch akutes Krisenmanagement alleine ist nicht nachhaltig, wird also zukünftige Krisen nicht verhindern können. Daher wird im idealen Fall Krisennachsorge betrieben, Helfer und Betroffene forschen gemeinsam nach tieferen Ursachen der Krise und bearbeiten sekundäre Folgen. Im Beispiel der Bankenkrise erfolgte dies allerdings nur halbherzig, mittlerweile droht schon wieder eine neue Finanzblase. Man hätte allerdings das System durchaus bremsen und regulieren können, um dem vorzubeugen.

Grundsätzlich jedoch wäre es einseitig, nur die Bedrohung durch Krisen zu betrachten. Welchen Ausgang Krisen nehmen, bleibt generell zunächst offen, die Prognose ist ungewiss. In Studien haben sich einige Voraussetzungen als günstig für eine gelingende Krisenbewältigung herausgestellt: hilfreich sind demnach eine realistische Selbsteinschätzung sowie Wahrnehmung und Analyse der Situation (was bei der Umweltkrise immer noch gerne vermieden wird);


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weiter sind nützlich intellektuelle Fähigkeiten, Kreativität, Humor sowie die Bereitschaft sich Hilfe zu holen und jemandem anzuvertrauen. Auch in der Krisenliteratur begegnet uns zudem erneut die Fähigkeit, Probleme zu lösen und vorausschauend zu handeln.473

Wurden vorher schon mehrfach Krisen positiv bewältigt, indem sie dafür genutzt wurden, problematisch gewordene Gewohnheiten zu ändern, mag auch im akuten Fall die Chance für eine gelingende Anpassung umso höher sein. Für Süchtige etwa stellen oft ein Führerscheinentzug, ein drohender Arbeitsplatzverlust oder die kurz bevorstehende Trennung des Partners wesentliche Einschnitte dar, durch die zumindest irgendwann im Verlauf die Verleugnung der Krankheit durchbrochen wird, und die dazu motivieren können, mit aufwändigen Therapien die Abstinenz zu erreichen. Die rohstoffabhängige Weltgesellschaft jedoch hat bereits reichlich Stationen zum Umsteuern vorbeiziehen lassen, man denke nur an die Ölkrise der 70er Jahre oder eben die Finanzkrise 2008, als man die üppigen Finanzspritzen leider nicht mit einer wirtschaftlichen und ökologischen Neuorientierung verknüpft hat. Eine Garantie für einen positiven Wandel sind auftretende Krisen somit nicht.

Eine Rolle spielt weiter die Bereitschaft, präventive Warner oder helfende Personen ernst zu nehmen, auch wenn sie unangenehme Botschaften verbreiten. Im Fall der Umweltkrise ist ihre Reichweite aufgrund der noch vorherrschenden Verleugnung bisher gering, bereits vorhandene Symptome werden nicht erkannt, zu der nötigen Problemanalyse kommt es nicht. Ähnlich ist das bei frühen Krankheitsanzeichen, die man gerne beschwichtigend ignoriert mit dem Gedanken, es werde schon nichts sein, man solle nicht zu schwarz sehen, was auch hier mahnende Worte etwa aus der Familie wirkungslos werden lässt. Erst bei Eintritt des Fiebers ist schließlich die Schwere der Krankheit nicht mehr zu verleugnen, zumeist eröffnen sich erst dann Chancen auf Behandlung und Besserung.

Allerdings kann es Situationen geben, in denen Kriseninterventionen trotz erkannter Bedrohung einfach zu spät kommen, weil schon zuviel Unumkehrbares passiert ist. Verschlepptes Fieber und Lungenentzündung können auch tödlich enden. Nach einer schwierigen Phase kann die Entwicklung somit grundsätzlich, einem U-förmigen Verlauf entsprechend, wieder nach oben gehen, genauso gut aber auch einen negativen


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