Bevölkerungsbuch         Start    Weiter

Vorwort des (deutschen) Herausgebers 

Von Paul Reiwald 1950

  Kaufmann zu Widener-1970      Mehnert zu Commoner-1971    Dönhoff zu Metternich-1947

 

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Die Bevölkerung der Erde ist heute in einem Wachstum begriffen, das etwa 1% pro Jahr erreicht. Gegenwärtig ist die Zahl von 2 ¼ Milliarden überschritten, zu Beginn des nächsten Jahrhunderts - manche nehmen an, in vierzig Jahren - wird sie die dritte Milliarde erreichen.

detopia-2014: Es sind doppelt soviel geworden, denn die Wachstumsrate ist ebenfalls gestiegen, auf 2,1 % im Jahre 1970. Vielleicht ist es auch ein Druckfehler.

Bevölkerungsdruck hat zu den verschiedensten Zeiten Anlaß zu gewaltigen geschichtlichen Umwälzungen gegeben. Gegenwärtig tritt er vor allem in China und Indien hervor. China wird bereits 1950 eine Bevölkerung von 470 Millionen zählen, die indischen Massen nehmen alle zehn Jahre um 30 Millionen oder darüber zu (1921-1931: Zuwachs 34 Millionen). Als unmittelbarer Faktor der Politik macht sich das Wachstum bereits jetzt wieder in Japan geltend, wo die Bevölkerung nicht zuletzt dank der Tätigkeit der amerikanischen Gesund­heits­behörden pro Jahr um 1 ½ Millionen Menschen steigt, in wenigen Jahren also von dem jetzigen Stand von 78 Millionen auf 90 Millionen angeschwollen sein wird. 

Japan ist ein besonders eindringliches Beispiel für die Folgen des Bevölkerungsdruckes. Bis 1896 blieb seine Bevölk­erungs­zahl mit etwa 33 Millionen stabil, in erster Linie infolge der Kindestötung, die anstelle der unbekannten Geburtenkontrolle geübt wurde. Die Beseitigung dieser «Sitte» hatte eine Verstärkung des Bevölkerungsdruckes zur Folge, der zu einer der unmittelbaren Ursachen des japanischen Expansionsdranges wurde. 

Seine Form war zuerst Auswanderung, dann Eroberung. Da heute die näheren und ferneren Nachbarn sich gegen eine Aufnahme von Japanern mit aller Energie sperren – das gilt besonders von Australien und der amerikanischen Pazifikküste – ist schwer abzusehen, welchen Weg diesmal der Bevölkerungs­druck in Japan suchen wird.

Mit Besorgnis sehen die Bevölkerungspolitiker auch auf Süd-Amerika, dessen 153 Millionen Menschen in nicht allzu ferner Zukunft sich auf 240, ja auf 290 Millionen erhöhen sollen, denen ein minimaler Lebensstandard prophezeit wird. Es wiederholt sich im zwanzigsten Jahrhundert nur der Vorgang, der in Europa im neunzehnten bereits stattgefunden hat.

Europa hatte nach den Berechnungen, die zuerst von Werner Sombart aufgestellt wurden, im sechsten Jahrhundert eine Bevölkerung von ungefähr 180 Millionen, die sich bis etwa 1800, das heißt etwa bis zum Beginn der industriellen Revolution, stabil hielt. Dann setzte mit der beginnenden Industrialisierung und den außerordentlichen Verbesserungen der Hygiene, die der Epidemien Herr wurde, vor allem aber die Kindersterblichkeit stark herabsetzte, jenes Anschwellen der Menschenmassen ein, dem in der Geschichte nichts Ähnliches zur Seite zu stellen ist. Von 180 Millionen im Jahr 1800 stieg die Bevölkerung Europas auf 540 Millionen im Jahre 1940.

Das Anwachsen der Bevölkerung kann an sich kein schlimmes Zeichen sein. Wenn heute nach dem Vorgang Spenglers noch immer der Untergang des Abendlandes dem erschreckten Europäer vor Augen gerückt wird und unsere Zeit vielfach als eine Epoche des Nihilismus und der Dekadenz gilt, so wird allerdings paradoxerweise auch auf die Bevölkerungs­vermehrung und ihre Folge, die Massenbildung, hingewiesen.

Gerade hierin unterscheidet sich aber unsere Epoche von der römischen Verfallszeit, die so gern zum bestätigenden Vergleich herangezogen wird. Damals war das sichere Zeichen des Niedergangs des römischen Reiches die Abnahme der Bevölkerung; heute zeigt, nach einem unerhörten Anstieg, die Kurve immer noch aufwärts. Damals finden wir Entvölkerung der Provinz und Verödung der Äcker, heute die Industrialisierung der Landwirtschaft.

Trotzdem muß anerkannt werden, daß das Wachsen der Bevölkerung schwere Gefahren in sich birgt. Auch wenn man vielleicht damit rechnen darf, daß die Verlangsamung der Bevölkerungsvermehrung, wie sie in den letzten Jahrzehnten in Europa und Nord-Amerika stattgefunden hat, sich im Weltmaßstab ähnlich dem Wachstumsprozeß wiederholen wird, so besitzen wir einmal hierfür keine Sicherheit, zum anderen werden angesichts der Verschiedenheit der kulturellen Verhältnisse große Zeitspannen hierfür erforderlich sein.

Politik, Wirtschaft und Wissenschaft haben also allen Anlaß, sich mit den so verschiedenartigen, so drängenden Problemen der Bevölkerungs­vermehrung zu befassen.

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Die angewandte Wissenschaft hat bis jetzt auf diese Fragen zwei Antworten gegeben: Geburtenkontrolle und künstliche Nahrungserzeugung. Die Geburten­kontrolle scheint auch in Ost-Europa einen langsamen, aber unaufhaltsamen Fortgang zu nehmen. Wie es damit in absehbarer Zeit in Asien und Süd-Amerika stehen wird, läßt sich nicht voraussagen. — Die künstliche Nahrungs­erzeugung wird auf verschiedensten Wegen in Angriff genommen. Hingewiesen sei nur auf die großartigen Versuche, die in den Vereinigten Staaten stattfinden, um die Photosynthese in die Hand zu bekommen. Es handelt sich um jenen Vorgang, in dem Sonnenenergie vom pflanzlichen Blattgrün zum Aufbau von Kohlehydraten ausgenutzt wird.

Aber wenn auch die Zuversicht der Wissenschaft nicht unbegründet sein mag — das Problem der pflanzlichen Photosynthese wird gegenwärtig mit neuartigen Methoden bearbeitet, die anläßlich der Atombombenproduktion entwickelt wurden — und wenn auch weitere Aussichten ebenfalls Erfolge versprechen mögen, so kann die Menschheit doch nicht an einem, anderen Problem vorübergehen, das erst jetzt in seiner vollen Bedeutung in ihren Gesichtskreis gerückt ist, dem Raubbau am Boden.

Denn wenn ein starkes Nachlassen der Bodenergiebigkeit mit einem gewaltigen Bevölkerungs­anstieg zusammenfällt, dann können unabsehbare Folgen eintreten. Amerikanische Wissenschaftler sind es gewesen, die den Alarmruf ausgestoßen und den Malthusianismus mit ihrer Lehre vom Raubbau am Boden eine neue Begründung gegeben haben. Indessen Malthus' Grundgedanke bleibt: die Nahrungsproduktion kann nicht Schritt halten mit der Bevölkerungs­vermehrung.

Dieser Neo-Malthusianismus hat vielleicht seinen schärfsten Vertreter in William Vogt gefunden. «Unsere Vorväter», so heißt es in seinem <Road to Survival>, «gehörten zu den Gruppen menschlicher Wesen, die am meisten zerstörten, die am meisten den Boden geplündert haben. Sie traten in eins der reichsten Schatzhäuser ein, das sich jemals Menschen geöffnet hat. Was war der Erfolg? In wenigen Jahrzehnten gelang es ihnen, Millionen von Hektar die Fruchtbarkeit zu nehmen.»  

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Ein anderes amerikanisches Buch mit dem Titel <Plowshares into Swords> stammt von Arthur Chew. Es untersucht die Faktoren, die ein Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Industrie herstellen und glaubt an Frieden nur unter dieser Voraussetzung. Sonst steigt der Bevölkerungsdruck in solchem Maße, daß er die Umwelt bedroht.

Die objektivste Schilderung der Folgen und Gefahren, die aus dem Zusammen­treffen von Bevölkerungs­vermehrung und Raubbau am Boden entstehen, dürfte in der vorliegenden Arbeit Fairfield Osborns enthalten sein. 

Der Leser, der den von Osborn dargestellten Tatsachen folgt, wird sich dabei vielleicht an einen Bericht aus dem chinesischen Bürgerkrieg erinnern. Als Peking belagert wurde, durften Züge mit Dung die Linien der Kommunisten wie der Regierungs­truppen passieren. Es gab etwas, was selbst im Bürgerkrieg über dem Gegensatz der feindlichen Ideologien stand: das Gefühl, daß jedenfalls der heimatliche Boden durch den Kampf keinen Schaden leiden sollte. Tatsächlich ist dem Chinesen seit alter Zeit ein besonderes Gefühl für den Boden eigen, eine Verbundenheit, die ihn davor bewahrt, jene zerstörenden Methoden anzuwenden, die große Länder ausgesaugt und sie schließlich zur Wüste gemacht haben. Die kleineren Länder haben im allgemeinen ihren Boden besser behandelt und mehr geschont als die großen. 

Wie die Dinge liegen, gehört zu den dringlichsten Aufgaben unserer Zeit der Abschluß eines Welternährungs­abkommens. Vielleicht ist es auf diesem neutralen Gebiet, an dem alle Volker gleichmäßig interessiert sind, eher möglich, zu einer Verständigung zu kommen als auf politischem und ideologischem. 

Lord Boyd Orr, der unermüdliche Vorkämpfer eines Welternährungspaktes, hat auf dem Kongreß von Saint Cergue, der von der Internationalen Vereinigung der Friedens­organisationen im September 1949 abgehalten wurde, die Notwendig­keit eines solchen Abkommens mit aller Eindringlichkeit dargelegt. Er hat sich auf die Schätzungen von Sachverständigen wie Milton Eisenhower berufen, die berechnet haben, daß die Ernährungs­produktion für den Fall, daß sich die Bevölkerungsrate in gleicher Weise erhöht wie in den letzten Jahrzehnten, in den nächsten fünfundzwanzig Jahren um 110 % gesteigert werden müßte.

Aber er hat auch darüber keinen Zweifel gelassen, daß diese Steigerung nicht mit den bisherigen Raubbau­methoden erzielt werden dürfe. Eine der ersten Klauseln des Welternährungspaktes müßten die gemein­schaftlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Plünderung des Bodens bei allen Völkern sein.

Es genügt, an diese Äußerungen zu erinnern, um die Bedeutung der Ausführungen Osborns in ihr rechtes Licht zu setzen. Ohne Übertreibung darf man sagen: die Geschichte von der Verlagerung der großen Kulturzentren ist auch die Geschichte des Bodens und seiner Bearbeitung.

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Paul Reiwald

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 wikipedia  John_Boyd_Orr,_1._Baron_Boyd-Orr  1880-1971

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