Teil 3 Ökologie |
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Die neue Kosmologie und die zunehmende Erforschung der strukturierten Komplexität liefern uns das intellektuelle Rohmaterial für ein neues Verständnis der Verbundenheit des Menschen mit der Natur. Im Lauf der Zeit, mit genügend Unterstützung durch künstlerisch und visionär begabte Menschen, könnte dieser Wissens- und Theoriekomplex zu einer neuen, auf ökologischer Basis ruhenden Form des Animismus reifen. Wir werden wieder fähig sein, mit der Natur in lebendigen Dialog zu treten.
Innerhalb dieses größeren ökologischen Kontexts nehmen die Begriffe »geistige Gesundheit« und »Wahnsinn« neue Bedeutungen an. Wir erkennen allmählich, daß das urban-industrielle Realitätsprinzip vieles unterdrückt, was für die Gesundheit sowohl des Individuums als auch des Planeten von ausschlaggebender Bedeutung ist: das Primitive, das Organische, das Weibliche, das Kindliche, das Wilde.
Nehmen wir an, daß die Psyche sich wie alle natürlichen Systeme die Fähigkeit zur kreativen Selbstregulierung bewahrt, zumindest innerhalb gewisser Grenzen. Sie ist schließlich ein Abkömmling des größeren Gaia-Systems, das daran arbeitet, das Leben auf der Erde zu stärken.
Wie also reagiert der Planet auf die rücksichtslose Bauernschläue seiner schwierigen menschlichen Kinder? Ist es möglich, daß der Narzißmus, den wir überall in den hochindustrialisierten Gesellschaften auf dem Vormarsch sehen, bei der Zähmung unserer prometheischen Verblendung eine kreative Rolle spielen könnte?
8. Das Krebsgeschwür der Städte und das patriarchale Ego
Städte Weisheit Konservatismus
Die Megapolis in der Agonie
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Stellen wir uns vor, der Planet Erde wäre von einem Satelliten aus im Lauf der letzten Million Jahre gefilmt worden und wir hätten eine Dokumentation des ereignisreichsten Kapitels in der Biographie Gaias — den größten Film, der je gedreht wurde. Stellen wir uns vor, wir ließen diesen Film so schnell ablaufen, daß die Million Jahre auf einige Stunden Laufzeit komprimiert wäre. Was sehen wir?
Über den größten Teil dieses Zeitraums sehen wir nur Ozeane und Wüsten, grasbewachsene Steppen und Wälder, die vereisten Polkappen und die großen Bergketten, die unter den dahinziehenden Wolken sichtbar werden. Es ist keine Spur von tierischem Leben zu entdecken. Dann, als die letzte Filmrolle eingelegt wird, sind Tierherden da, und wir sehen auch unsere fernen Vorfahren, kleine unauffällige Grüppchen, die durch die Wälder und Savannen streifen, Tiere jagen, Beeren pflücken, Wurzeln ausgraben. Davon abgesehen bleibt das Bild des Planeten fast den ganzen Film lang unverändert: eine blau-grüne Kugel mit vereinzelten Streifen sonnengebackenen Sandes und zerfurchten Felsengürteln.
Erst wenn wir die letzten Szenen erreichen — die letzten vier oder fünf Jahrtausende —, werden vereinzelte Spuren menschlichen Wirkens sichtbar, vor allem in den fruchtbaren Flußtälern des Nil, Euphrat, Indus und Huangho: fragile Raster von Bewässerungsgräben, Flecken und Streifen kultivierten Bodens. Vielleicht sieht man auch die ägyptischen Pyramiden oder die Chinesische Mauer, die terrassenförmigen Abhänge der Anden und die seltsamen »Nazca-Linien«, die kolossalen Erdzeichnungen auf den Hochebenen von Peru.
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Aber erstaunlicher als diese gigantischen Artefakte sind die Behausungen, in denen ihre Erbauer wohnen, ein selbstgeschaffenes Habitat, dichte kleine Ballungen von Hütten, Werkstätten, Märkten, an Flußmündungen und Meeresküsten hingesprenkelt. Die Menschen bauen hohe Wälle um diese Gebiete, und innerhalb der Wälle pflastern sie den Boden, auf dem sie gehen, mit Steinen. Sie verbannen das grüne Land, den Wald und alles Wildlebende aus ihren Mauern, so als wollten sie eine Welt für sich werden.
Wir beobachten, wie die ersten Städte entstehen. Es sind nur wenige, und nach unseren Maßstäben sind sie klein, aber wir können bereits spüren, wie sich ein schicksalshafter Wandel im Verhalten der Menschen vollzieht. Die Städter sind ein aufgeweckter und gieriger Menschenschlag. Sie schmieden Pläne, wie sie Reichtümer von fernen Orten an sich ziehen können; sie rüsten Armeen mit Bronze- und Eisenwaffen aus und unterwerfen die Stammesvölker, die in der Umgebung leben. Sie sind selbstherrlich und erfinden zur Selbstbeweihräucherung Mythen über ihren Glanz und ihre Macht, Legenden über gottähnliche Helden, die der Erde den Stempel ihrer brutalen Eroberungen aufdrücken. Könige erscheinen unter ihnen, die sich wie Götter aufführen und gigantische kollektive Projekte organisieren: Straßen, Festungen, Kanäle, die das Wasser der Flüsse dahin umleiten, wo man es haben will. Zum ersten Mal sehen wir die Markierungen des menschlichen Willens auf der Oberfläche des Planeten eingraviert: Wälle, Befestigungen, riesige Konstruktionen — steinerne Botschaften, die auszurufen scheinen: »Hier sind wir! Nimm Notiz von uns!«
Mit diesen Siedlungen beginnt ein kühnes Experiment. Wir sehen, wie ein kleiner Bruchteil unserer Spezies sich in einem winzigen, selbstgeschaffenen Universum behaglich einrichtet. Die Stadt ist eine Arena, ein geschlossener Bühnenraum, in dessen Begrenzungen die Statur der Bewohner größer erscheint und ihre Energien sich vervielfachen. Aber noch sind die Städte nicht mehr als winzige Pünktchen auf der Oberfläche des Globus; auf unserem Gaia-Film ist keine von ihnen ohne die Hilfe eines Teleobjektivs sichtbar.
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Noch sind sie von den riesigen Weiten einer unermeßlichen, unbesiegbaren Wildnis umgeben, die ihre Anmaßung verspottet und sie zwergenhaft erscheinen läßt. Und so bleiben sie für weitere vier- oder fünftausend Jahre, bis wir nicht mehr als zwei Jahrhunderte von unserer eigenen Zeit entfernt sind.
Jetzt kommen wir zu den letzten Sekunden des Films, und wir müssen genau hinschauen, um die merkwürdige Veränderung in der Szenerie zu erkennen. Sie beginnt im Kernland einer kleinen Insel vor dem westlichen Rand der eurasischen Landmasse. Graue und schwarze Punkte bilden sich dort, merkwürdige schwelende Entzündungsherde. Dann breitet die Krankheit sich über die Oberfläche des Planeten aus; von Westeuropa gelangt sie über den Ozean nach Nordamerika und erreicht schließlich die anderen Kontinente. Die häßlichen Flecken vermehren sich und werden größer, wachsen zu einer Plaque zusammen. Mit dem Zoom erkennen wir, daß Schlacke und Schotter sich um sie auftürmen wie wucherndes Fleisch. Der Rauch verdickt sich zu hausgemachten Wolken, die den Himmel verdunkeln. Bäche öligen und giftigen Abfalls quellen aus den qualmenden Entzündungsherden hervor und ergießen sich in die nahegelegenen Flüsse und Seen.
Wir beobachten den Aufstieg und die Ausbreitung der ersten Industriestädte; zuerst sind es nur wenige, aber sie wachsen schnell und planlos an. Tentakel von Schienen und Straßen wachsen aus ihnen hervor und verbinden sie untereinander, bis weit ausgedehnte Landschaftsareale von einem pulsierenden Netzwerk rasender Vehikel überzogen sind. Der urbane Rhythmus wird in die Landschaft hineingetragen. Bald wimmeln die Ozeane von Schiffen, die von überall her in den großen Häfen zusammenlaufen, um ihre Fracht zu entladen; der Himmel brummt von Flugzeugverkehr. Wir beobachten noch ein anderes, vielleicht das bedenklichste Phänomen.
Zu Tausenden, dann zu Millionen verlassen die Menschen das Land und strömen in die Städte, hypnotisch angezogen von dem hämmernden Tempo dieses neuen Lebensstils. Die Städte schwellen zu ungeheuren Ausmaßen an, verschlingen immense Areale offenen Landes; ihre Wachstumsschübe sind gargantuesk: von der Metropolis zur Megalopolis, und dann zum urbanen Ballungsraum, der sich über Kontinente erstreckt, einen urbanen Entzündungsherd mit dem anderen verbindend.
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Gaia ist mit einem metastasierenden urbanen Karzinom geschlagen. Was wir in unserer Zeit erleben, in zahllosen Formen des Unbehagens, der Häßlichkeit, der Krankheit, hat seinen Ursprung in diesem plötzlichen, unkontrollierten Wuchern der Industriestädte. »Plötzlich«, das heißt im Lauf von nur zwei Jahrhunderten, denn die ersten Industriestädte entstanden um 1780 in England. Aber selbst in England, der Wiege der Industriezivilisation, wurde die Bevölkerung nicht vor 1850 vorherrschend urban, und in den Vereinigten Staaten nicht vor 1910. Wir sprechen hier vom letzten Sekundenbruchteil in der Geschichte des Lebens auf der Erde. Und dennoch ist die Industriezivilisation in diesem bloßen Sekundenbruchteil geologischer Zeit zu einem urbanen Imperium geworden, dessen Macht Ozeane und Kontinente überspannt.
Zur Diagnose des urbanen Krebsgeschwürs gehört übrigens nicht nur die Größenordnung der Industriestädte. Wir müssen uns den ungeheuren Appetit auf Ressourcen und politische Macht vorstellen, der von diesen Wucherungen ausgeht wie unsichtbare Fäden, einen Appetit, der Wälder für sich beansprucht, unterirdische Erzablagerungen, Grundwasserdepots, fossile Ölansammlungen, alle denkbaren Energiequellen.
Die Städte besitzen alles, beherrschen alles, konsumieren alles. Ihre Pipelines und elektrischen Versorgungsnetze ziehen sich wie ein Spinngewebe über Wälder, Berge, Dschungel und Tundren; ihre Satelliten patrouillieren an den Grenzen des leeren Raumes. Ihr subtiles Kommunikationsnetzwerk überzieht den Planeten mit einer elektronischen Haut. Ihre Meßinstrumente stehen auf der Oberfläche des Mondes und umkreisen die nähergelegenen Planeten. Die Wildnis ist geschrumpft und zum Spielplatz für erschöpfte Städter geworden. Das Wilde in Flora und Fauna überlebt nur mit Duldung der Städte in eingeschränkten Reservaten, ebenso wie die letzten noch existierenden Stammesgesellschaften.
Die Kultur der Industriestädte ist zur planetaren Kultur geworden; alle anderen Kulturen fristen ein kümmerliches Dasein als Kuriositäten, die der Erforschung durch Spezialisten vorbehalten sind, oder sie führen, wie die islamischen Fundamentalisten, aussichtslose Nachhutgefechte. Völlig unbeirrt von der Oberhoheit der urbanen Industriezivilisation sind nur die Parasiten und Mikroben; sie gedeihen und vermehren sich.
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Nun ist die letzte Spule fast abgelaufen; in den allerletzten Bildern, bevor die Leinwand dunkel wird, sehen wir, wie die Wucherungen auf der Oberfläche des Planeten in Bewegung geraten, wie sie sich krümmen und ballen und verschlingende Strudel bilden. Nichts entgeht ihrem unersättlichen Metabolismus. Sie saugen die Schätze der Erde auf uns, speien Ströme von Waren und Müll aus. Jetzt sehen wir nur noch eine parasitäre Ballung, die frißt und frißt, die Substanz des Planeten aufzehrt und mehr Müll ausspuckt, als die natürlichen Zyklen der Erde wegräumen können. Der urbane Krebs erreicht sein Endstadium.
Der Wahnsinn der Städte
Die moderne Psychologie hatte mit dem Problem der Beweisführung immer ihre Last. In ihrem Bestreben, mehr als rein spekulativ zu sein, mußte sie eine empirische Methode finden, um das unzugängliche Innere der Psyche zu erforschen. Das Bewußtsein ist von seinem eigentlichen Wesen her ein Mysterium; man kann es nicht auf den Seziertisch legen oder mit Röntgenstrahlen durchleuchten. Um mehr über die Bedeutung des menschlichen Verhaltens zu erfahren, als man aus physiologischen Merkmalen und Muskelreflexen ableiten kann, entwarf Freud das Konzept der »Projektion«. Die verborgenen Inhalte der Psyche mußten in irgendeiner Form in die Welt hinein-»projiziert« und so der Analyse zugänglich werden.
Der Anfang war bescheiden. Die ersten Projektionen fand Freud in dem, was seine Patienten ihm erzählten; die Psychoanalyse war die »Redekur«. Auf der Couch enthüllten die Leute ihr Inneres, indem sie ihre Phantasien und Assoziationen aussprachen, einen Bewußtseinsstrom freisetzten, der nicht demselben Maß an Kontrolle und Steuerung unterlag wie das wachsame Tagesbewußtsein. Freud hoffte, daß seine Patienten so schließlich dazu kommen würden, ihm zu sagen, was ausschlaggebend war.
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Indirekt könnte seine Methode von der neuen Technik des Films angeregt worden sein. Zumindest spielte Freud auf diese Verbindung an, als er sagte, der Analytiker solle während der Behandlung wie eine »leere Leinwand« sein und der von Konflikten geschüttelten Psyche als freie Projektionsfläche dienen. Klug eingesetzt kann diese Technik ziemlich produktiv sein, aber es gibt offensichtliche Fallstricke. Die Verdrängung erzeugt verzerrte und irreführende Bilder. Die Erinnerung ist nicht immer das verläßlichste Register der Motivationen, Affekte und Gefühle. Patienten vergessen, übertreiben, lügen. Auf der Suche nach einem direkteren Weg zum Unbewußten stieß Freud auf die Träume, die symbolische Landschaft der Seele.
Das war vielleicht sein wichtigster Beitrag zur Entwicklung der Psychologie, denn dieser Weg eröffnete dem Studium der menschlichen Natur völlig neue Perspektiven. Wenn Träume als Code gelesen werden können, der verborgene Motive und Absichten enthüllt, warum sollte man dann beim Individuum aufhören? Könnte man nicht die gesamte Kultur als kollektiven Traum unserer Spezies auffassen? Dank Freud und dank Jung nach ihm entwickelte die Psychologie sich bald von einer Möchtegern-Wissenschaft, die nichts Solides hatte, mit dem sie arbeiten konnte, zu einer philosophischen Forschungsrichtung, der ein immenses Feld zur Verfügung stand: die Mythen und Überlieferungen, das Wissen, die Kunst, die Literatur und die Religionen der gesamten Menschheit.
So kühn die Psychologie geworden ist, wenn es darum geht, kulturelle Inhalte zur Erforschung des Unbewußten zu benutzen, so zögerlich und ängstlich geht sie in dieser Hinsicht mit sozialen und politischen Institutionen um. Vielleicht liegt das daran, daß Regierungen, Unternehmen, politische Parteien und Armeen sich als Produkte rationaler Überlegung und Vernunft präsentieren und nicht als Phantasiegeburten. Sie erscheinen »realer« als die Erfindungen der Kunst und der Religion. Es blieb Künstlern wie Kafka und de Chirico überlassen, die alptraumhaften Qualitäten darzustellen, die in den Straßen, den Bürokratien und den Gerichtssälen des realen Lebens ihr Unwesen treiben.
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Und was ist mit der Stadt, dieser größten aller menschlichen Institutionen? Sie hat mehr menschliche Energie absorbiert als alles andere, und sie zeigt die Projektionen unserer Wünsche und Ansprüche deutlicher als alles andere. Aber die moderne Psychologie hat sich dennoch nie an eine symbolische Interpretation der Stadt herangewagt. Das hängt zweifellos damit zusammen, daß Psychologen und Psychotherapeuten in der Stadt und von der Stadt aus arbeiten, daß sie von der Stadt abhängig sind, was ihr Alltagsleben, ihren Verdienst, die Anerkennung durch ihre Berufsgruppe und ihre Karrieren angeht.
Für eine Ökopsychologie gibt es aber kein aufschlußreicheres Symptom für unseren kollektiven Seelenzustand als dieses städtische Habitat, das seit seinen Anfängen auf dem schmalen Grat der Psychopathologie balanciert. Ursprünglich ist die Stadt, in ihrer Existenz jetzt gründlich rationalisiert und als »normal« akzeptiert, eine Phantasie megalomaner Pharaos und eroberungssüchtiger Gott-Könige. Sie ist aus Größenwahn geboren, wurde mit den Mitteln gewaltsam durchgesetzter Disziplin ins Leben gerufen und war zur rücksichtslosen Unterwerfung des Menschen und der Natur bestimmt. Die Wälle und Türme, Pyramiden und Zikkurats der archaischen Städte waren eine trotzige Proklamation der ersehnten biologischen Unabhängigkeit von der natürlichen Umgebung.
Viele Jahrtausende lang war diese Isolierung nur partiell; die Wildnis war nie weit weg. Mit der Zeit und mit dem Wachstum der Technologie wuchs unsere Macht, diesen alten Wunsch zu realisieren. Bald werden außerhalb von Zoos und Reservaten keine großen Tiere mehr existieren; bald wird es keine Stammesmenschen mehr geben, die sich an eine andere Beziehung von Mensch und Natur erinnern. Nun haben wir schließlich den Zustand erreicht, in dem wir unseren Omnipotenzwahn voll ausleben können; die Projektion der urbanen Phantasie ist komplett. Wir sehen sie in jeder modernen Großstadt, realisiert in Glas, Beton und Metall. Es ist der archaische Traum der total eingekapselten Existenz, frei von Krankheit und Abhängigkeit, vom Schmutz und Chaos des Organischen, vielleicht sogar vom Tod.
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Als Lebensstil war die Urbanität nur für eine kleine Minorität machthungriger Heerführer, profitgieriger Händler und exzentrischer Intellektueller geplant, für Leute, die von menschlichen Leistungen und menschlicher Macht besessen waren und deren Weltsicht durch die Stadtwälle begrenzt war. Die Industrialisierung, raubgierig in ihrem Umgang mit der Umwelt, die nur noch als Rohstofflieferantin oder als Müllhalde wahrgenommen wird, verfestigte die Entfremdung der Stadt von der Natur noch mehr. Sie hat die psychotischen Gewohnheiten der urbanen Kultur gründlich rationalisiert und institutionalisiert.
Wilhelm Reich prägte für die neurotischen Abwehrmechanismen, die uns von unserer spontanen Lebendigkeit, Sinnlichkeit und Intimität abschneiden, den Begriff »Körperpanzer«. Die Industriemetropole könnte als der kollektive Körperpanzer unserer Kultur betrachtet werden, als pathologische Anstrengung, uns aus dem engen Kontakt mit dem natürlichen Kontinuum, aus dem wir hervorgehen, herauszulösen und ein Maximum an Distanz zu schaffen. Und dennoch praktizieren wir unsere psychotherapeutischen Riten in dieser wahnsinnigen und wahnsinnigmachenden Umgebung, nach Theorien, die nicht einmal ein Quentchen kritischer Reflexion über diesen Kontext enthalten.
Freud und die radikalen Therapeuten dachten weit genug, um die Möglichkeit eines »kollusiven Wahnsinns«, der die gesamte Gesellschaft in seinen Fängen hält, zu erwägen. Aber auch sie stellen ihre Hypothesen als von der Stadt Eingeschlossene auf; sie betrachten die Welt und die Geschichte durch eine verzerrende Linse. Sie sind wie Astronomen, die den Himmel und die Sterne jenseits des leuchtenden Dunstschleiers der Städte nicht sehen können, bis sie diese Städte verlassen und sich an ferne, unbesiedelte Orte begeben, wo keine Ströme künstlichen Lichts ihre Beobachtungen stören. Was sie als Therapie anbieten, selbst in den einfühlsamsten Formen, ist nur ein Kunstprodukt desselben urbanen Intellekts, der die »Megamaschine« hervorbrachte, wie Lewis Mumford den Beginn der Urbanität in den frühen Flußtalkulturen nannte. Ihre Wissenschaft ist außerdem mit den Techniken und der Politik der Massenvernichtung verbunden.
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Wir können uns die Situation etwa so vorstellen: Nehmen wir einen Psychotherapeuten bei der Arbeit, einen guten, liebevollen, fürsorglichen, sogar begabten Psychotherapeuten. Sein Wartezimmer ist voll, es ist eine gutgehende Praxis. Die Leute kommen nacheinander zur Behandlung herein. Ein anspruchsvolles Völkchen haben wir da, das die gesamte Bandbreite der emotionalen Störungen zeigt: hysterische Zustände, suizidale Depressionen, Halluzinationen, katatone Starre, Alpträume, Verzweiflung, paranoide Vorstellungen, Verfolgungswahn. Die Leute kommen der Aufforderung des Psychotherapeuten geduldig nach: Sie erzählen ihre Träume, beichten ihre Ängste, sprechen ihre verborgenen Phantasien aus, enthüllen ihre schuldbeladenen Geheimnisse. Der Psychotherapeut hört zu, denkt über jeden einzelnen Fall nach, müht sich heroisch ab, den Leuten zu helfen. Aber Heilungserfolge sind selten. Die Höllenängste und die quälenden Wahnvorstellungen der Leute werden schlimmer und schlimmer. Der Psychotherapeut ist der Verzweiflung nahe, aber er macht unermüdlich weiter, tut, was er kann.
Nun fahren wir die Kamera immer weiter zurück, von der Nahaufnahme zur Totale: Wir sehen das Behandlungszimmer, das Wartezimmer, das Haus von außen, den Ort, an dem das Haus liegt. Der Ort heißt Buchenwald. Nicht weit vom Haus entfernt sehen wir Stacheldraht, die Pfähle, an die man die Häftlinge zur Strafe fesselt, die Schornsteine, aus denen der Rauch der Verbrennungsöfen aufsteigt.
Was würden wir von einem Psychotherapeuten halten, der Leute an einem Ort zu heilen versucht, der die Ausgeburt des höllischsten Wahnsinns ist? Was könnte »heilen« an einem solchen Ort bedeuten? Würde es bedeuten, die Leute zu beschwichtigen, sie mit ihrer Lage zu versöhnen, ihnen ihre Alpträume auszureden? Psychiatrie und Psychotherapie, wie wir sie kennen, von Städtern an Städtern in einer urbanen Umgebung praktiziert, kommt dieser Art von Vorhaben sehr nahe. Wenn weder der Arzt noch die Patienten die Dinge so sehen können, liegt es vielleicht daran, daß Leute, die in einem Hochsicherheitstrakt geboren und aufgewachsen sind, keinen Grund haben zu glauben, es gäbe überhaupt einen anderen Ort, an dem man sein könnte — insbesondere, wenn das Gefängnis sich so weit ausgedehnt hat, daß es die ganze Welt umspannt.
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Der Traum von der wilden Weisheit
»Der amerikanische Indianer ist der rächende Geist, der im Hintergrund des gequälten amerikanischen Bewußtseins lauert. (...) Dieser Geist wird die nächste Generation als sein Eigentum beanspruchen. Wenn das geschieht, werden die Bürgerinnen und Bürger der USA schließlich anfangen, Amerikaner zu werden, wirklich zu Haus zu sein auf diesem Kontinent, sich in ihr Land zu verlieben. Der Refrain eines Liedes, das die Cheyenne beim Geistertanz singen, lautet <hiniswa' vita' kini'> — wir werden ins Leben zurückkehren.« Gary Snyder
Gaia ist krank. Sie hat Fieberträume. Sie träumt durch die Seelen ihrer sensibelsten menschlichen Kinder, der einfachen Stammesleute, die einst leicht auf ihrem üppigen Leib dahingingen, wenig nahmen, für jede Gabe eine Gegengabe boten, in Ehrfurcht und Scheu vor ihrer Größe und Erhabenheit standen. Bilder des edlen Wilden gehen in der modernen westlichen Welt um — ein gesundes Zeichen des Selbstzweifels.
Bezeichnenderweise war es eine Frau, die englische Schriftstellerin Aphra Behn, die im siebzehnten Jahrhundert die Gestalt des edlen Wilden schuf. Selbst eine Außenseiterin in der homogen männlichen, intensiv rivalisierenden intellektuellen Welt ihrer Zeit, fiel es ihr leicht, sich die Würde jener vorzustellen, die ihren Status des Ausgestoßenseins teilten. Sie erfand die Figur des Oroonoko, des königlichen Sklaven, als kritisches Korrektiv zu der blasierten Selbstgerechtigkeit der Londoner Intelligenzia, in der sie als amüsante Kuriosität galt.
Die Gestalt des edlen Wilden hatte immer eine traumartige Doppeldeutigkeit an sich; widersprüchliche Vorstellungen überlappen sich in ihr. Die zivilisierte westliche Welt sah in den realen Mitgliedern von traditionellen Gesellschaften lange Zeit »Heiden« und »Primitive«, unterentwickelte Menschen, die nicht fähig waren, eine »Kultur« zu schaffen, und auf die man herabsah.
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Noch im frühen zwanzigsten Jahrhundert betrachteten viele Anthropologen ihre unzivilisierten Studienobjekte als erbärmlich zurückgeblieben und fanden es daher nur folgerichtig, daß ihre Kulturen dem Untergang geweiht waren. Die populären und die gelehrten Vorurteile trafen sich in diesem arroganten Ethnozentrismus. Die »Wilden« waren zurückgeblieben, weil sie abergläubisch waren, abergläubisch, weil sie zurückgeblieben waren, und was sie brauchten, war Christianisierung, Entwicklung, Zivilisation. (In der Realität fielen sie allerdings oft genug der totalen Vernichtung durch die Hände ihrer weißen Eroberer anheim.)
Feindselige Ablehnung des »Primitiven« war die Parteilinie der Revolutionäre ebenso wie der kolonialen Profitmacher. Marx sah das Ziel einer progressiven Politik in der Abschaffung des ländlichen Lebens und allem, was ihm vorausging, zugunsten des industriellen Fortschritts. Unter den politischen Philosophen der frühen industriellen Ära behaupteten sich nur gefühlvolle Anarchisten wie William Morris oder Peter Kropotkin gegen diesen ideologischen Konsensus und beriefen sich, wie die Romantiker vor ihnen, auf einen legendären Naturzustand, in dem kleine dörfliche oder Stammesgemeinschaften in einer Art Urdemokratie nach dem Gleichheitsprinzip zusammenlebten.
Gleichzeitig tauchte in der Literatur jeder Generation irgendeine fiktive Version der primitiven Würde und Unschuld auf, die den Sinn und die Richtigkeit der zivilisierten Lebensweise radikal infragestellte. Gestalten wie Oroonoko, Uncas, der letzte Mohikaner, der heldenhafte Winnetou, Robinson Crusoes Begleiter Freitag und Tarzan (der das weiße Europäertum und die Wildheit des Dschungels in sich vereinte) genossen — und genießen bis heute — eine ungeheure Popularität, die verrät, wie fasziniert wir von den Tugenden sind, die dem Zivilisationsprozeß entweder schon geopfert wurden oder zum Opfer zu fallen drohen.
Im neunzehnten Jahrhundert sah man die Würde der edlen Wilden in ihrer moralischen Überlegenheit; sie waren unverdorben und rein, die wahren Kinder des Gartens Eden, unberührt von der Erbsünde. Dieses Bild ist auch heute noch in uns lebendig. In den frühen achtziger Jahren wurde ein südafrikanischer Film mit dem Titel »Die Götter müssen verrückt sein« in den USA zum Kultfilm und erreichte in den Kinos Rekordlaufzeiten.
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Abgesehen von einigen verrückten Slapstick-Szenen hatte das Werk keine besonderen Meriten; die völlig unerwartete Popularität des Films hatte offensichtlich damit zu tun, daß er lebendiges Anschauungsmaterial über das Leben von Buschmanngruppen in der Kalahari bot. Das Publikum, vor allem in Universitätsstädten und besseren Wohnvierteln, war bezaubert vom naiven Charme der vertrauensseligen »Wilden«, die den perfekten Hintergrundkontrast für die idiotischen Verhaltensweisen der zivilisierten Weißen abgaben.
Vergessen wir nicht: Dies war kein Dokumentarfilm; manche der Buschmann-Männer und -Frauen waren vielleicht professionelle Schauspieler. Sie alle spielten ihre Rollen, klischeehafte Rollen sogar; sie boten das altvertraute Bild der edlen, unverdorbenen Naturkinder. Trotzdem: Das Publikum war hingerissen. Implizit in diesem Bild enthalten ist die Botschaft, daß die moralische Überlegenheit der unzivilisierten Menschen sich aus ihrem Leben in enger Berührung mit der ungezähmten Natur erklärt. Oft wurde der Wildnis innerhalb dieser Vorstellung jedoch kaum mehr als die Funktion eines Schutzwalls zugestanden, der die Kinder der Natur von den Lastern der Städte fernhielt. Zu unterschiedlichen Zeiten wurden unterschiedliche heroische Qualitäten auf die Wilden in ihrer Abgeschiedenheit projiziert.
In der Zeit der Aufklärung und der Romantik schrieb man ihnen vor allem ein angeborenes Empfinden für Ehre und Freiheit zu, das besonders anziehend erschien. Zuweilen war es auch ihre kindliche Unschuld, die eine etwas herablassende Bewunderung auf sich zog. »Der Wilde«, so drückte Shelley es aus, »ist für die Zeitalter, was das Kind für die Lebensspanne des Menschen ist.« Später, unter den Sozialdarwinisten und Nietzscheanern, fanden vor allem die kriegerischen Tugenden, die Tapferkeit und Zähigkeit der »Wilden« den Beifall der zivilisierten Welt. Der Wilde zeigte mehr Selbstverleugnung und Härte, mehr Enthaltsamkeit, Ausdauer und Mut als der »überzivilisierte Mensch«, wie der chauvinistische Teddy Roosevelt sich ausdrückte. (Gleichzeitig fand Roosevelt, daß ein Krieg gegen die Wilden »unbedingt gerecht« sei.)
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Freud, der sich die prähistorischen Menschen als von ungehemmten sexuellen und primitiv egoistischen Motiven beherrscht vorstellte, führte einen neuen Aspekt in das Bild vom edlen Wilden ein. Durch seine Schriften angeregt, schilderten Romanciers wie D.H. Lawrence die Primitiven als Wesen, die mit überlegener erotischer Potenz begabt waren und ein schuldgefühlsfreies Unverständnis für die Hemmungen der zivilisierten Mittelklasse an den Tag legten; sie lebten in harmonischer Übereinstimmung mit ihren elementaren Trieben, gingen in stolzer Nacktheit durch die Welt und frönten der Fleischeslust ohne Scham.
Was keine dieser schmeichelhaften Phantasien den Wilden zugestand, war intellektuelle Kompetenz, die Fähigkeit, die Welt besser zu verstehen und ihre Ressourcen vorteilhafter und sinnvoller zu nutzen, als die zivilisierten Gesellschaften es taten. Die »Primitiven« waren per definitionem unterentwickelt. Sie hatten keine Wissenschaft, sie verfügten nicht über technologische Fertigkeiten und Kenntnisse. Das mochte vorteilhaft sein, was ihren moralischen Status anging, war aber nachteilig für ihr wirtschaftliches Vorankommen.
Die Wilden waren edel trotz ihrer Unwissenheit, Rückständigkeit und Armut. Erst jetzt, da das Imperium der Industriestädte die Wildnis so weit verdrängt hat, daß sie nahezu nicht mehr existiert, tritt eine faszinierende neue Variante des alten Themas hervor: das wilde Leben als ökologische Weisheit, als Geheimnis des Überlebens und des sinnvollen Umgangs mit natürlichen Ressourcen. Gerade die technologische Einfachheit und die Abwesenheit von Wissenschaft machen die ökologische Harmonie aus, in der, so nimmt man an, traditionelle Gesellschaften leben. Ihre »abergläubischen Vorstellungen« erweisen sich nun als überlegene Weltauffassung, die eine eigene Würde hat und sich außerdem durch Brauchbarkeit auszeichnet.
Wir wissen nun, daß die Beständigkeit der traditionellen Gesellschaften in hohem Maß von den Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung abhing, dem charakteristischen Merkmal der animistischen Weltauffassung. Manche Anthropologen erkannten den Wert eines »rituell regulierten Ökosystems«, das der Plünderung der Natur durch den Menschen religiöse Beschränkungen auferlegt. Einige bemerkenswerte Beispiele für diesen Lebensstil existieren noch.
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In manchen Fällen scheinen sie so interessante und praktikable Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme der Gegenwart zu bieten, daß sie die Aufmerksamkeit von Experten auf sich gezogen haben. Im Amazonasgebiet Kolumbiens zum Beispiel waren indianische Stammesgruppen so erfolgreich darin, den Regenwald unversehrt zu erhalten, daß es in den späten achtziger Jahren zur offiziellen Politik wurde, ihnen das Land wiederzugeben, von dem sie durch Kautschuk-Gesellschaften und andere industrielle Vandalen vertrieben worden waren. Ihre spirituellen Traditionen spielen eine ausschlaggebende Rolle dabei, daß sie von den üppigen, aber gefährdeten Ressourcen des Dschungels weise Gebrauch machen. Ein Anthropologe, der diese Gesellschaften studiert (es sind mehr als fünfzig ethnische Gruppen, die zusammen eine Bevölkerung von rund 70.000 Menschen ausmachen), bezeichnet den Schamanen, den Bewahrer der halluzinogenen Riten, als einen »Ökologen kultureller Prägung«, einen Mittler zwischen den Menschen und den Wächtern der Pflanzen und Tiere, der über die Jagd- und Sammelrechte des Stammes entscheidet.1
Eine interessante Entwicklung gab es auch auf Bali; dort gelang es einem amerikanischen Anthropologen, die katastrophalen Auswirkungen der durch den Westen eingeführten »grünen Revolution« in der Landwirtschaft zu begrenzen. Steven Lansing untersuchte mit großer Sorgfalt das traditionelle Wasserverteilungssystem der Insel. Mit Hilfe einer raffinierten Computersimulation analysierte er, welche Funktionen die uralten Schreine der Wassergottheiten erfüllten, die jeweils unter der Obhut eines Priesters standen. Der rituelle Umgang mit den Wasserreserven sicherte den Reisbauern jahrhundertelang eine bemerkenswert effiziente und gerechte Wasserverteilung, die darüber hinaus als eine Form der Seuchenkontrolle diente.2
Auch in anderen Teilen der Welt denkt man neu über das Problem der Wasserversorgung nach. In Afrika zum Beispiel stellt die Wasserknappheit eines der größten Entwicklungshindernisse dar. Manche der grandiosen Staudämme, die im Lauf der letzten fünfzig Jahre in Nigeria, Ägypten und Sambia gebaut wurden, haben sich mittlerweile als gigantische Fehlschläge erwiesen.
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Als Alternative zu solchen westlich inspirierten Techno-Megalomanien versucht man auch hier, wieder auf traditionelle Techniken zurückzugreifen und Regenwasser mit Hilfe von Gräben, Wällen, Kanälen und Kleinstreservoiren zu speichern. Diese billigen, dauerhaften und flexiblen Methoden entstammen jahrhundertlanger Erfahrung des Lebens in Dürregebieten. In einer kürzlich erschienenen Studie über Wasserspeicherungstechniken kommt der Archäologe David Gilbertson zu dem Schluß, daß »die Weisheit der alten Völker im Umgang mit diesen kargen Landschaften unseren Methoden weit überlegen war«.3
Eines der ältesten und effektivsten Ökosysteme, das sich auf spirituelle Traditionen gründet, finden wir in den Anden Boliviens. Der Anthropologe Joseph Bastien studierte das »metaphorische Wirtschaftssystem« von Dorfgemeinschaften, die an den extremen Steilhängen des Mount Kaata überleben. In den Zeiten der Inka entstand ein phantasievoller Mythos, der den Berg als riesenhaften menschlichen Körper darstellt. Bis heute hat jede Stammesgruppe ihren besonderen Platz in der Geo-Anatomie dieses gigantischen Körpers.
Es gibt Hirten, die das weitgehend unfruchtbare Hochland auf dem »Kopf« des Berges bewohnen; die Felder um das Dorf Kaata herum sind der »Bauch« und das »Herz«. Weiter unten am Abhang siedeln Maisbauern, die sich als die »Zehennägel« des Bergwesens betrachten. Das anatomische Paradigma legt die wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen den Dorfgemeinschaften fest, aber es drückt sich darin auch eine grundlegende spirituelle Lehre aus. Ganzheit gilt unter den Andenindianern als heilig; die Unversehrtheit der Region steht im Mittelpunkt ihrer Riten. Die Stammeswahrsager betrachten die Opferzeremonien, die sie durchführen, als den spirituellen Stoffwechsel des Berges. Die Funktion der Riten liegt darin, daß »Leben und Energie durch alle sozialen und ökologischen Ebenen zirkuliert; sie setzen die vitalen Prinzipien in Bewegung, die den Berg zu einem sozialen und metaphorischen Ganzen vereinen.«4
Wie markant hebt sich die Ehrerbietung, die sich in diesen Beispielen ausdrückt, doch von unseren eigenen Reaktionen auf unsere Umwelt ab! Und dabei werden Ritus und Metapher in einer Weise eingesetzt, die selbst vom pragmatischen Nützlichkeitsstandpunkt aus betrachtet vernünftig und durchaus vertretbar erscheint.
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In jedem Beispiel zeigt sich auch die persönliche Beziehung zwischen den Menschen und der natürlichen Welt, die den eigentlichen Kern der traditionellen Psychotherapie bildet. Wirtschaft und Psyche werden in diesen Kulturen nicht als getrennte Lebensbereiche behandelt, sondern so miteinander vermischt, daß Physisches und Spirituelles sich wechselseitig stärken und steigern. Selbst wenn wir hier wenig finden, das wir unmittelbar auf unser Leben übertragen und benutzen können, wird sich die neue Würdigung der Kreativität traditioneller Wege und Methoden vielleicht als die wertvollste Quelle im Umgang mit unserer kritischen ökologischen Situation erweisen.
Zugegeben, es lassen sich sicherlich auch genügend Beispiele für Stammesgesellschaften finden, die ihr Habitat mißbrauchten und ruinierten. Vor rund siebentausend Jahren wurden die Wälder und Grasebenen des mediterranen Beckens von ihren nomadischen und seßhaften Bewohnern so gründlich abgeholzt und abgeweidet, daß die Spuren der daraus resultierenden Bodenerosion bis heute zu sehen sind. Die Naturverehrung, die diese Völker praktizierten, konnte den langfristigen Schaden, den sie in ihrem Habitat anrichteten, nicht verhindern. Dennoch finden wir in der gesamten Geschichte der Menschheit nichts, das dem geballten Angriff auf die globale Umwelt, den wir in unserer Zeit beobachten, auch nur entfernt gleichkäme. Und dieser Angriff geht von den zivilisierten, hochentwickelten Industriekulturen aus, die doch alles besser zu wissen glauben.
Wenn es darum geht, die Natur in ihrer ganzen Komplexität zu begreifen, ist dieses Wissen — das Wissen, das die moderne Biologie, Geographie und Geologie zur Verfügung stellen — zweifellos sehr wichtig. Es steht aber ebenso fest, daß Faktenwissen allein nicht ausreicht, wenn es um die Erhaltung und Rettung der Umwelt geht. Da muß mehr ins Spiel kommen, und die Minimalvoraussetzung ist die Abwendung von unserer ethnozentrischen Arroganz, eine angemessene Bescheidenheit und die Bereitschaft, die grundlegenden Fehler und Irrtümer unseres kollektiven Weges einzugestehen.
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Darüber hinaus müssen wir die Seelengröße aufbringen, Rat zu suchen, wo wir Rat bekommen können, und Belehrung anzunehmen, auch wenn sie von den schriftlosen, nichturbanen Kulturen kommt. Solche Tugenden waren den zivilisierten Gesellschaften in ihrem Umgang mit den sogenannten Primitiven völlig fremd — bis in die jüngste Zeit.
Neolithischer Konservatismus und das ethische Unbewußte
Die Neubewertung des Primitiven, insbesondere unter dem Aspekt der ökologischen Weisheit, ging von den unterschiedlichsten Bereichen aus und war manchmal ebensosehr mit politischen wie mit ökologischen Inhalten befrachtet. Das zeigt sich lebhaft in dem utopischen Anarchismus, den Paul Goodman in den sechziger Jahren propagierte. Goodman bezeichnete sich mit einem ironischen Augenzwinkern gern selbst als einen »Konservativen« und erklärte, ihm läge vor allem an
(5) wikipedia Paul_Goodman 1911-1972»grünem Gras und sauberen Flüssen, Kindern mit glänzenden Augen und gesunder Hautfarbe - egal welche Hautfarbe -, Leuten, die davor sicher sind, herumgestoßen zu werden, so daß sie sie selbst sein können. Wie es scheint, sehnen Konservative sich heute nach den Zuständen zurück, die unter der Verwaltung McKinleys herrschten. Aber wenn die Menschen einem universellen >social engineering< unterworfen werden und die Biosphäre selbst in Gefahr ist, dann brauchen wir einen neolithischen Konservatismus.«
Im Gegensatz zu den »verlogenen Konservativen« in der Politik, die sich vor allem um das Wohlergehen der Spekulanten und Industriebarone sorgten, suchte Goodman seine historische Basis in der Einfachheit des prähistorischen Stammeslebens. Der Konservatismus, den er meinte, lag so weit jenseits des Imperiums der Industriestädte, daß er zur Basis einer neuen Radikalität wurde.
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Goodman war durch und durch New Yorker, ein hochgebildeter, kultivierter Intellektueller, aber wie so viele romantische Anarchisten vor ihm hing er mit einer aufrichtigen, wenn auch etwas sentimentalen Loyalität am einfachen Leben. Es war sein Ziel, diese tradierten Werte innerhalb des Kontexts der modernen Metropole wiederzubeleben. Wie E.F. Schumacher vertrat er die Auffassung »small is beautiful« und sprach sich dafür aus, überschaubare Bereiche im Rahmen des Großen durch Dezentralisierung und innere Differenzierung neu zu etablieren. Seiner Auffassung nach lag darin nicht nur die Lösung für viele unserer politischen Probleme, sondern auch Heilung für das verkrüppelnde Gefühl der Machtlosigkeit, das zur eigentümlichen Psychopathologie der Industriegesellschaft gehört. Das ideale Dorf für die moderne Zeit war für Goodman so etwas wie der New Yorker Stadtteil Greenwich Village in seiner Blütezeit, eine bunte, lebhafte Gemeinschaft von Künstlern und Intellektuellen, die mit kulturellem Urteilsvermögen begabt waren. Grundvoraussetzung war ein gerüttelt Maß an Stadtteilautonomie in der sonst erdrückenden Betonwüste New York.
In seinem Bemühen, den Geist der neolithischen Einfachheit innerhalb der hochindustrialisierten Gesellschaft wiederzubeleben, folgte Goodman dem Weg, den Prinz Peter Kropotkin (dessen Entdeckung der Kooperation zwischen den Arten wir im fünften Kapitel erwähnten) vorgezeichnet hatte. Kropotkins Stellung als Mitbegründer der modernen Ökologie ist unangefochten; er gehörte zu jenen, die das Konzept des Ökosystems einführten. Weniger bekannt ist, daß Kropotkin aus seinen Studien auch eine psychologische Theorie ableitete, die ihn als einen der ersten Ökopsychologen qualifiziert.
Kropotkin wies immer wieder daraufhin, daß es sich bei der wechselseitigen Hilfe zwischen Lebewesen, die er beobachtet hatte, nicht in erster Linie um eine altruistische Tugend handelte. Er sah dieses Verhalten vielmehr als einen elementaren, völlig spontanen und instinktiven Impuls, der tief im Tierbewußtsein verankert ist und während der Geschichte des Lebens auf der Erde eine kontinuierliche Evolution durchlaufen hat. Der Kontrast zu Freud könnte nicht drastischer sein.
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Aus seinen ausgedehnten Studien an wildlebenden Tieren, die er sein Leben lang betrieb, und aus seinen Erfahrungen mit Stammesgesellschaften in Sibirien und in der Mandschurei (ein größerer Komplex an Tatsachenwissen, als Freud in seinem Behandlungszimmer je ansammeln konnte) schloß Kropotkin, daß die menschliche Natur fundamental ethisch sei; Verwandtschaftsgefühl und moralische Verantwortung stellen sich beim Menschen auf ebenso natürliche Weise ein wie die Fähigkeit zu fliegen bei Vögeln. An der Basis des Unbewußten liegt laut Kropotkin das Gewissen, die moralische Energie der Persönlichkeit, die ebenso fest in der Psyche verankert ist wie die von Freud postulierte vatermörderische Eifersucht der Urhorde oder der Todestrieb — oder vermutlich noch viel fester als diese:
6»Es ist nicht Liebe, nicht einmal Zuneigung, auf der die menschliche Gesellschaft basiert. Es ist das Gewissen - und sei es auch nur in instinkthafter Form - als Ausdruck der menschlichen Solidarität. Es ist das unbewußte Gewahrsein der Kraft, die jedem Menschen durch die Praxis der wechselseitigen Hilfe verliehen ist, das tiefe Wissen darum, daß das Glück jedes einzelnen vom Glück aller abhängig ist, und der Gerechtigkeits- oder Gleichheitssinn, der das Individuum dazu bringt, die Rechte jedes anderen Individuums als den seinen gleichgeordnet zu betrachten. Auf dieser breiten und notwendigen Basis entwickeln sich die höheren ethischen Gefühle.«
Für Kropotkin war es das angeborene Gewissen, das aus der menschlichen Gemeinschaft sehr viel mehr macht als eine Ansammlung von Leuten, die durch einen sozialen Kontrakt aneinander gebunden sind. Gemeinschaft ist ein biologisch tief verankertes, komplexes System. Totalitäre Herrschaft, die in der Bevölkerung die untergeordneten Zelleinheiten des Staatskörpers sieht, ist eine verzerrte, pathologische Form; Kropotkin sah eine aus autonomen Menschen bestehende Gesellschaft vor sich, in der jede Person durch ethische Verantwortung an die andere gebunden ist. Mehr ist nicht nötig, keine Polizeigewalt, kein bürokratischer Apparat.
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Aber natürlich haben wir Polizei und Bürokratie, und zwar seit langer Zeit. Warum? Wozu werden sie gebraucht, wenn es ein ethisches Unbewußtes gibt, das für eine verläßliche soziale Bindung sorgt? Anarchisten konnten auf diese Frage nie eine schlüssige Antwort geben; was den Ursprung des Bösen angeht, hatten sie keine besseren Erklärungen parat als der Rest der Welt. Aber eines ist dennoch unbestritten: Wenn es kein ethisches Unbewußtes gäbe, würde kein Aufwand an Polizeigewalt und Bürokratie genügen, um irgendeine Gesellschaft zusammenzuhalten. Wir gesellen uns spontan zur Familie, zum Clan, zur Gruppe, zum Stamm, zur Gilde, zum Dorf, zur Stadt. Das ist soziale Ökologie in Aktion. Die Anarchisten fragen: Wie weit kann diese instinktive Gesellungsfähigkeit dazu benutzt werden, die sozialen Übel zu beseitigen, die uns heimsuchen?
Freud, der mit den Opfern des bourgeoisen industriellen Europa zu tun hatte, konnte in Natur und Psyche nichts außer rachsüchtigem Egoismus entdecken, und jenseits davon lag nur die fremde Leere eines toten Universums. Kropotkin dagegen, der sich mit wildlebenden Tieren und robusten, naturnahen Stammesleuten befaßte, postulierte ein ethisches Unbewußtes, das sich aus der biologischen Symbiose herleite. Goodman, der von demselben zuversichtlichen Glauben an die menschliche Natur ausging, als er seinen neolithischen Konservatismus entwarf, erweiterte das Konzept. Er war unter den ersten, die das politische Ideal der Dezentralisierung und eine gesunde Ökologie mit dem Geist der taoistischen Tradition verbanden. Im Tao, so wie er es verstand, fand Goodman das Grundprinzip der organischen Selbstregulierung, sei es in bezug auf den Körper, die Gemeinschaft oder auf die Umwelt. Die schlichte Mystik Lao Tses, des legendären chinesischen Weisen, wurde zur eigentlichen Grundlage von Goodmans Gestalttherapie, einer wichtigen Revision der Freudschen Orthodoxie und einer einflußreichen neuen therapeutischen Schule, die das Vertrauen in die Fähigkeiten des Körpers, der Sinne und der natürlichen Umgebung lehrte, ihre Probleme auf ihre eigene, spontane Weise zu lösen.
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Die Gestaltpsychologie entstand in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts als neuer Ansatz in der Wahrnehmungspsychologie. Im Gegensatz zu den Behavioristen, die Wahrnehmung im wesentlichen als passiv und rezeptiv betrachteten, konzentrierten sich die Gestalttheoretiker Wolfgang Köhler und Kurt Koffka auf die bemerkenswerte Fähigkeit der Sinnesorgane, sinnvolle Muster (Gestalten) zu bilden, selbst wenn sie mit anscheinend Chaotischem konfrontiert sind.
Das Bewußtsein schafft Bedeutung, selbst wenn es wenig hat, womit es arbeiten kann. Diese Erkenntnis warf faszinierende Fragen auf. Wie weit geht diese formbildende Tendenz über das Sehen, Hören und das Tastgefühl hinaus? Ist sie vielleicht im gesamten Organismus präsent, in allen Teilen des Körpers und des Bewußtseins? Läßt sie sich in unseren Beziehungen zu anderen Menschen und zur Umwelt insgesamt nachweisen? In den vierziger Jahren bauten Goodman und der Einzelgänger Fritz Perls von diesen Fragen ausgehen die Gestaltpsychologie zu einer neuen psychotherapeutischen Richtung aus; die Gestalttherapie war die erste psychotherapeutische Schule, die das Wort »Ökologie« benutzte, um die spontane Anpassungsfähigkeit des Organismus an seine Umgebung zu beschreiben. Die Gestalttherapie ging von einer angeborenen gesunden Funktionsweise des Organismus aus. Wenn Neurosen auftraten, dann mußte die psychotherapeutische Frage lauten: »Was hemmt diese natürlichen gesunden Funktionen, was steht dem spontanen Selbstregulierungsprozeß im Weg?«(7)
Das charakteristische Merkmal dieses frühen Versuchs, Psychologie und Ökologie zu kombinieren, ist Optimismus. Wie Kropotkin gesteht auch Goodman der menschlichen Natur eine angeborene Unschuld zu. Menschen sind gesellige Wesen und verhalten sich als solche; dazu bedarf es keiner Gewalt und keiner strafenden vatergöttlichen Autorität. Die Politik der Unterdrückung beginnt damit, daß selbsternannte Autoritäten anderen Menschen erzählen, der Körper, die Psyche, die Gemeinschaft und die Natur insgesamt seien unzuverlässig, inkompetent und feindselig und müßten daher von höherer Seite aus überwacht werden. Autoritäre Politik baut auf Schuldbewußtsein auf.
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Sie vermittelt den Menschen, sie könnten weder einander noch sich selbst vertrauen. Der Zen-Dichter Gary Snyder faßt diese Gesellschaftskritik treffend zusammen. Seine Poesie beschwört die »Große Subkultur«, die sich »in ununterbrochener Folge von den paläo-sibirischen Schamanen und den Höhlenbildern des Magdalenien über die Megalithen und Mysterien, die Astronomen und Alchimisten direkt fortsetzt bis zu den Hippies im Golden Gate Park«. Alles, was die Anhänger der Gegenkultur in San Francisco in den sechziger Jahren glaubten und taten,
8»ist subversiv für die Zivilisation, denn die Zivilisation ist auf Hierarchie und Spezialisierung aufgebaut. Eine herrschende Klasse, die überleben will, muß ein Gesetz formulieren; ein Gesetz, das wirksam sein soll, muß einen Angelhaken in der sozialen Psyche haben, und der beste Weg, das zu erreichen, ist, Zweifel zu säen, Leute zu veranlassen, ihren natürlichen Wert und ihre Instinkte in Zweifel zu ziehen, insbesondere auf der sexuellen Ebene. Wenn man die menschliche Natur suspekt macht, dann macht man auch die größere Natur, die Wildnis zur gefährlichen Widersacherin. Das ist der Grund für die heutige ökologische Krise.«
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet nehmen Kropotkin, Goodman und Snyder sich mit ihren Verallgemeinerungen über »ursprüngliche Gesellschaften« (Gary Snyders Bezeichnung für Stammeskulturen und traditionelle Gesellschaften) große Freiheiten heraus, wenn auch, so könnte man hinzufügen, immer noch weniger als Freud. Dennoch definieren sie damit grundlegende Prinzipien für eine neue Psychologie, eine Psychologie, die der Gesamtheit unserer kulturellen Erfahrungen als Menschen gerecht zu werden versucht, den ursprünglichen Erfahrungen aus der Stammesvergangenheit ebenso wie den Erfahrungen des zivilisierten Lebens. Das Resultat ist eine bedeutsame Kritik der Vernunft, die an der Basis der urban-industriellen Gesellschaft liegt. In dieser Hinsicht ist der Mythos von der wilden Weisheit, wie die »neo-lithischen Konservativen« ihn entwickelten, ein guter Mythos, der uns Toleranz lehrt und uns zur Selbstkritik aufruft; und diese Qualitäten, Toleranz und Selbstkritik, waren und sind die höchsten Tugenden des zivilisierten Lebens.
Die Neubewertung der Weltauffassung der Stammeskulturen als Basis für eine Politik der Gegenwart und für die individuelle geistig-seelische Gesundheit ist eine bedeutsame und bemerkenswerte Leistung. Sie ist ein seltener Akt des kulturellen Verzichts. Schließlich gehört das kulturelle Leben in der modernen Welt — all seine nationalen, ethnischen oder ideologischen Variationen eingeschlossen — den städtischen Intellektuellen, einer internationalen Klasse, deren Gemeinsamkeit in der Bindung an den urbanen Lebensstil liegt. Sie monopolisiert den kritischen Dialog. Alle Fragen der Gerechtigkeit, die vielleicht feindliche Fronten zwischen den Ethnien, den gesellschaftlichen Klassen und den Geschlechtern schaffen, werden innerhalb der Kultur der Städte aufgeworfen und zwischen Mitgliedern dieser Kultur ausgetragen. Daher zeigen diejenigen, die für die nicht-urbanen und prä-urbanen Menschen sprechen, ebenso wie jene, die sich der Lebensrechte der gefährdeten Arten annehmen, eine einzigartige Sensibilität für das Universelle.
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Von Theodore Roszak 1992