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Teil 1

Psychologie

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21-40

Tief in unserem Inneren wissen wir, daß in der Art, wie wir die planetare Umwelt mißbrauchen, etwas Wahnsinniges, Besessenes liegt. Das Aussterben von Arten, die Zerstörung der Ozonschicht, die Vernichtung des Regenwaldes — wie oft lesen wir Berichte über die Verwüstung unseres Planeten und sagen: »Das ist Wahnsinn!«

Wir benutzen das Wort, aber in diesem Zusammenhang hat »Wahnsinn« keine diagnostische Bedeutung. Die instinktive Art, in der unsere Angst um die Umwelt sich äußert, ist kaum mehr als ein »Au!«, ein schmerz­erfüllter Aufschrei, der uns nicht sagt, warum wir leiden oder wie wir die Wunde heilen könnten. Wir wenden uns an die Psychologen und Psychiater in der Hoffnung, daß sie uns über den Wahnsinn aufklären werden, aber unsere offiziell anerkannten psychotherapeutischen Schulen sind selbst Produkte eben der wissenschaftlichen und industriellen Kultur, die den Planeten jetzt so brutal niederdrückt. Selbst jene, die von der Freudschen Orthodoxie abweichen, bleiben eng auf das Phänomen fixiert, das Jung die »urbane Neurose« nannte. 

Sie ignorieren die größere ökologische Realität, die die individuelle Psyche umgibt, so als könne die Seele gerettet werden, während die Biosphäre zusammenbricht. Das Bezugsfeld der Psychiatrie endet an den Stadtgrenzen; die nichtmenschliche Welt, die jenseits davon liegt, bleibt ein ebensogroßes Mysterium wie die Tiefen der Seele. Wohin sollen wir uns wenden, um einen Maßstab für Vernunft und geistige Gesundheit zu finden, der den Zustand unserer planetaren Umwelt mit einbezieht?

 

1  Ich bitte noch um etwas Suppe, Sir!  - Das Zusammenwirken von Psychologie, Kosmologie und Ökologie

Anna    Erde   Kollision 

   Anna im Reich des Überflusses  

In den frühen achtziger Jahren lernte ich eine junge Polin kennen, die der Solidarnosz-Bewegung angehörte und als eine Art selbsternannte, inoffizielle Botschafterin durch Kalifornien reiste. Auf dem Hintergrund der desolaten Bedingungen, die zu diesem Zeitpunkt in Osteuropa herrschten, hatte ihre Reise etwas Verstohlenes, und ihr Stolz war mit einem Hauch von Verzweiflung durchmischt.

Ich wußte gleich, daß Anna keine klare Vorstellung hatte, was sie auf ihrer Reise in den Westen eigentlich zu finden hoffte. Ihr Besuch war eine Art Pilgerfahrt, eher eine Suche nach Inspiration als ein politisches Anliegen. Ich war einer unter mehreren Schriftstellern, die sie aufsuchte, um Bücher zu erbitten und zu diskutieren. Also sprachen wir miteinander, und ich gab ihr Bücher. Aber während wir über die großen Themen diskutierten, sagten Annas Augen immer mehr als ihr Mund. Vielleicht wollte sie die Außenwelt einfach nur wissen lassen, daß Solidarnosz existierte, daß sie, Anna, existierte, und daß wir uns in den kommenden unruhigen Zeiten bitte daran erinnern sollten.

Nachdem sie abgereist war, erzählten mir die Leute, bei denen sie gewohnt hatte, die folgende Geschichte: Sie hatten Anna am Flughafen von San Francisco mit dem Auto abgeholt. Auf dem Weg nach Haus hielten sie an einem großen Supermarkt an, um Lebensmittel einzukaufen. Anna bat darum, sie in den Laden begleiten zu dürfen. Sie hatte von Supermärkten gehört, aber nie einen mit eigenen Augen gesehen. 

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Nachdem die automatische Tür sich einladend für sie geöffnet hatte, blieb sie lange stehen und schaute sich verwundert nach allen Seiten um. Dann weinte sie. Sie wanderte langsam durch die Regalreihen, während die Tränen immer weiter flossen. Jetzt, rund zehn Jahre später, wissen wir, daß Annas Überraschungs­schock eine politische Bedeutung hatte, eine Bedeutung, die Schlagzeilen machen sollte. Man könnte fast sagen, daß der Aufruhr, der die kommunistische Welt erschüttert, sich unter anderem dadurch erklären läßt, daß zu viele Leute zu lange darauf warten mußten, in den Supermarkt zu kommen.

Trivialisiert das den revolutionären Gärungsprozeß, den wir allenthalben beobachten, nicht nur in den marxistischen Gesellschaften? Durchaus nicht, wenn man das Problem in den richtigen Kontext einordnet. 

Wie Marx selbst erklärte, ist die schiere physische Not nicht die schlimmste Form des Leidens. Weitaus schlimmer ist das Elend, das entsteht, wenn Entbehrung die Folge von Ungerechtigkeit, Inkompetenz und Korruption ist. Dann wird das Leid durch die erniedrigende Erfahrung verschlimmert, zum Opfer gemacht zu werden.

Es gibt eine Form von materiellem Hunger — nach mehr als dem schier Lebensnotwendigen —, der die Bedürfnisse des Körpers übersteigt. In diesem Sinn kann der freie Zugang zu materiellen Gütern, selbst der unsinnigsten, überflüssigsten Art — Fastfood, Jeans, Transistorradios, T-Shirts —, manchmal zum Ausdruck von Selbstachtung und Unabhängigkeit werden. Es geht dabei nicht um den primitiven Wunsch nach maßlosem Konsumieren. Anna berichtete, daß sie in Warschau einen großen Teil ihres Lebens damit verbrachte, in endlosen Warteschlangen nach den dürftigsten Gütern des täglichen Bedarfs anzustehen. Welch eine vernichtende soziale Disziplinierungs­maßnahme: warten müssen, seine Lebenszeit verschwenden müssen, Zentimeter für Zentimeter vorrücken, um ein Stück Seife zu kaufen, ein Kilo Kartoffeln. Und wie ist einem zumute, wenn man dann endlich bis an den Tresen vorgerückt ist, und es gibt keine Seife mehr, keine Kartoffeln? 

Schlimmer noch: Wie fühlt man sich, wenn man mit leeren Händen fortgehen muß und weiß — aus Zeitungen, Filmen und Fernsehsendungen —, daß anderswo Leute, die auch nicht besser sind als man selbst, in diesem Augenblick mit Waren beladen nach Haus gehen?


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Da die marktwirtschaftlichen Systeme der Welt von Gier und unmoralischem Wettbewerb zersetzt sind, übersehen Kritiker leicht die Möglichkeit, daß sie, wenn auch auf eine pervertierte Weise, wichtige menschliche Bedürfnisse befriedigen. Da wir daran gewöhnt sind und ständig beobachten, wie Profitmacher unser Wirtschaftssystem ausbeuten, erliegen wir leicht der Versuchung, die Bedürfnisse, die von Menschen an den Markt herangetragen werden, mit derselben Verachtung zu behandeln wie den dubiosen Werberummel, der diese Bedürfnisse manipuliert. Aber es ist die erste Regel einer humanen Soziologie, die authentischen Wünsche der Menschen von den pervertierten Formen zu unterscheiden, in denen sie sich oft ausdrücken. Eine so schlichte und scheinbar von reiner Habgier bestimmte Aktivität wie der Einkaufsbummel kann Gelegenheit bieten, Entscheidungen zu treffen, Geschmack zu beweisen. Zugegeben, das ist ein sehr niedriges Niveau der Ausübung von sozialer Autonomie, aber es ist offensichtlich von machtvoller Anziehungskraft für Millionen in der modernen Welt.

Charles Dickens zeichnete das klassische Bild des Elends im Frühkapitalismus in der Gestalt des Oliver Twist, des ausge­hungerten Jungen im Arbeitshaus, der vortritt, um eine zweite Portion dünner Hafergrütze zu verlangen: »Ich bitte noch um etwas Suppe, Sir!« Aber er bekam nichts. Seine unverschämte Forderung wurde mit einer Tracht Prügel beantwortet.

 wikipedia  Oliver_Twist     wikipedia  Charles_Dickens  1812-1870

Marx entwarf seine Lehre vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der Schreckens­geschichten wie diese an der Tagesordnung waren, in der selbst die Hafergrütze nicht für alle ausreichte. Generationenlang war es das Ziel von Reformen und Revolutionen in den Industrie­gesellschaften, das Existenz­notwendige gerecht zu verteilen, der notorisch unsicheren Wirtschaft einen festen Boden einzuziehen und natürlich jene zu bestrafen, die mehr nahmen als ihnen zustand.

Was Marx verständlicherweise übersah, war die Möglichkeit, daß eines Tages selbst unter den Elendesten dieser Erde ein neues, höheres Niveau von Erwartungen entstehen könnte, ein Hunger nach Wohlstand, der mehr verlangt als das garantierte Existenz­minimum, ganz unabhängig davon, wie gerecht die Güter verteilt werden. 


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George Orwell nahm das in seiner Anti-Utopie »1984« vorweg. In seiner Fiktion herrscht nicht nur die allgegenwärtige physische Brutalität des undurch­sichtigen Polizeistaats; der menschliche Geist muß darüber hinaus eine konstantere und perfidere Disziplinierung erdulden: ein Leben in unablässiger Freudlosigkeit und Uniformität. Alle bekommen von allem das gleiche, aber ohne individuelle Wahl, ohne Anrecht auf einen auch nur minimalen Freiraum des Persönlichen und Privaten. Das wird schließlich zum Anlaß für die kleinen, traurigen Gesten der Rebellion, die noch vorkommen: den geheimen Ausdruck sexueller Andersartigkeit, das beharrliche Verlangen nach Schönheit, Farbigkeit, sogar Prunk. Viele Menschen, die sozialistische Gesellschaften besuchten, berichteten nach ihrer Rückkehr, daß sie die Reklametafeln vermißten, die grelle Werbung, den Hauch von Luxus.

In vielen Gesellschaften der dritten Welt macht dieses andere Erwartungsniveau sich bemerkbar, noch ehe die Hafergrütze an alle verteilt ist. Wunschbilder westlicher Opulenz, aus Filmen und Fernsehserien entnommen, überzeugten Millionen in der marxistischen Welt davon, daß der Kapitalismus die Güter bereitstellt, die der Kommunismus nicht liefert. Sie fragen sich: Wird es in unserer Speisekammer jemals mehr als Hafergrütze geben?

Ich möchte dies nicht als selbstgefällige neo-konservative Hetzrede verstanden wissen und füge daher eilends hinzu, daß ich nicht vorhabe, eine Hymne auf die Wonnen grenzenlosen Konsums in der neuen Weltordnung anzustimmen. Der verschwenderische Exzeß der westlichen Wirtschaftssysteme ist das Problem, das in diesem Buch angesprochen wird, und nicht etwa die Lösung. Denn ich habe noch eine andere Geschichte über Supermärkte zu erzählen:

Von Zeit zu Zeit stelle ich meinen Studentinnen und Studenten eine Aufgabe. Ich fordere sie auf, ihre gewohnten Supermärkte aufzusuchen, nicht um einzukaufen, sondern um zu beobachten, durch die Gänge zu wandern und die Regale zu studieren. Sie sollen sich überlegen: 

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Wieviel von dem, was ich hier sehe, ist authentische Nahrung, die zum Überleben und für die Gesundheit notwendig ist? Wieviel ist Vergeudung, teuer verpackter, fabrikneuer Müll? Wieviel von der Verkaufsfläche könnte wegfallen, wenn der Laden sich darauf beschränkte, das zu verkaufen, was die Leute wirklich brauchen? In welchem Maß wurden Nahrungs­mittel zu Novitäten ohne Nährwert verarbeitet, zu Knusperflocken, Chips und Kräckern, dem Stoff, aus dem Verdauungsstörungen und Zahnverfall entstehen?

Dann beobachtet, sage ich ihnen, was die Leute kaufen — selbst jene, die mit Gutscheinen vom Sozialamt bezahlen müssen. Stellt euch neben die Kasse und schaut zu, welche Waren über das Band laufen: Kosmetika, Tabak und Schnaps, Fertiggerichte, Flaschen mit gefärbtem Zuckerwasser, Papier- und Plastikprodukte. Was sagt uns das über unseren Lebensstandard, über den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen?

Das ist als Studie in angewandter Ökologie gedacht.
Aber jetzt denke ich jedesmal, wenn ich diese Aufgabe stelle, an Anna, die angesichts des Überflusses in Tränen ausbrach. 

 

   Sind wir für die Erde tragbar?  

 

Im Augenblick scheint es so, als liege unsere einzige Hoffnung, den Frieden in der Welt zu retten, darin, mehr und mehr Leuten den Überfluß zugänglich zu machen, die Unzufrieden­heit zu beseitigen, die Feindseligkeiten der Nationen in ökonomischen Wettbewerb oder sogar wirtschaftliche Kooperation zu verwandeln. In den ehemals kommunistischen Gesellschaften wurde die Forderung nach freiem Zugang zu Konsumgütern zu einer Kraft, die festverankerte Regime in ihren Grundfesten erschütterte. In unseren westlichen Gesell­schaften stellt eine Unterschicht, die in innerstädtischen Ghettos oder Obdachlosen­siedlungen wegge­schlossen ist, im Grunde dieselben Forderungen, die sich in der Praxis in Gelegenheitskriminalität, in der Gewalttätigkeit des Drogenhandels, in rassistischen Exzessen äußert.

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Wenn die Dinge so weiterlaufen, werden im Lauf der nächsten zehn oder zwanzig Jahre etwa dreißig Nationen über die ganze Welt verteilt lautstark ihr Stück vom Kuchen des industriellen Wohlstands verlangen. Regierungen, ob liberal oder totalitär, stellen fest, daß sie sich nicht lange an der Macht halten können, wenn sie ihre Versprechungen in bezug auf Wohlstand und hohen Lebensstandard nicht einlösen. Wenn Ost­europa, China, Indien und Pakistan, Korea, Taiwan, Brasilien und eine Reihe anderer Länder den Lebensstandard erreicht haben werden, den die amerikanische Mittelschicht jetzt genießt, wird sich in den alten Industrie­gesellschaften bereits ein höherer Standard etabliert haben, und das Rennen wird von vorn beginnen. Vorwärts und aufwärts, zu einem immer höheren Niveau von Produktion und Konsum.

Die harte Wahrheit ist aber: Vielleicht wird nichts davon je verwirklicht werden, weil die Erde sich das nicht einmal annähernd leisten kann.

Grenzenlos weiterwachsender Wohlstand existiert nur im Wunschdenken von Leuten, die nichts über die biologischen Grundlagen des Lebens auf unserem Planeten wissen. Nach einer Studie, die auf Hochrechnungen der Environmental Protection Agency basiert, werden die Kosten für existierende Umwelt­schutz­maßnahmen allein in den USA für die neunziger Jahre rund 1,6 Billionen Dollar betragen. Nicht in dieser Summe enthalten sind die Kosten vielleicht notwendiger neuer Maßnahmen, die sich auf Probleme wie die globale Erwärmung oder die Zerstörung der Ozonschicht beziehen — Kosten, die wir nicht einmal annähernd schätzen können.(1)

Wieviel ist das eigentlich, 1,6 Billionen Dollar? Das ist nicht leicht zu beantworten. Verglichen mit dem Brutto­sozialprodukt der Vereinigten Staaten (5,5 Billionen $ pro Jahr) scheint diese Summe immerhin noch im Rahmen des Erschwinglichen zu liegen. Nur sind Zahlen wie das Bruttosozialprodukt eher eine Fiktion, eher ein Teil des Problems als eine Lösung. Im Brutto­sozialprodukt sind die Formen von Produktivität, die zur Zerstörung der Umwelt führen, und die Kosten für die Beseitigung des Unrats wahllos zusammen­geworfen. 


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Ökologische Vernunft muß zweifellos fordern, daß diese Art von »Produktivität« eliminiert wird; das würde zwangsläufig auch zu einem verminderten Bruttosozial­produkt führen. Erst jetzt, da unsere Umweltsünden massiv auf uns zurückfallen, kommen wir allmählich zu der Erkenntnis, daß auch die Wohlstands­gesell­schaften vielleicht nicht so reich sind, wie sie glaubten. Wie reich oder arm sind wir also? Wir haben keine universell akzeptierte Form der Wirtschaftsanalyse (mit Sicherheit keine, die in der Lage wäre, politische Führer und die verunsicherte Öffentlichkeit zu überzeugen), die uns sagt, wie nahe wir dem Grenzbereich gekommen sind, in dem die unabwendbaren Kosten für den Schutz der Biosphäre den Reichtum übersteigen, den unsere industriellen Wirtschafts­systeme hervorbringen können. 

Die oben erwähnte Studie wurde vom Center for the Study of American Business in Auftrag gegeben; sie reflektiert den Standpunkt eines einflußreichen Teilnehmers der Umweltdebatte, des amerikanischen Unter­nehmertums, das den angeblich übertriebenen Forderungen, die von vielen ökologischen Gruppierungen vorgetragen werden, mit tiefer Skepsis gegenübersteht. Die Unternehmer fürchten, die existierende Umweltpolitik könne »zu einer zunehmenden Belastung für die amerikanische Wirtschaft« werden, zu einem »Blankoscheck« ohne angemessene Kontrollmöglichkeiten. Die Warnung ist eindeutig: »Eine Politik, die den wirtschaftlichen Kuchen schrumpfen läßt, wird weitreichende Konsequenzen für das Wohlergehen der Bevölkerung haben«; sie steht »nicht in Überein­stimmung mit den Wünschen der meisten Amerikanerinnen und Amerikaner«.

Das ist wohl wahr. Vielleicht nähern wir uns dem Punkt, an dem sowohl die Unternehmens­eliten als auch die Bevölkerung, die auf Arbeitsplätze angewiesen ist, um das Lebensnotwendige zu erwerben und sich die Annehmlichkeiten der Konsumgesellschaft leisten zu können, nicht mehr bereit sein werden, für die Beseitigung der ökologischen Schäden, die zwei Jahrhunderte industrieller Expansion uns hinterlassen haben, zu zahlen. Der private Sektor unserer Wirtschaft tut alles, was in seinen Kräften steht, um der Bevölkerung diese Entscheidung zu erleichtern. 


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Animiert durch ihren plötzlichen und unerwarteten Triumph in der Zeit des Kalten Krieges fühlen die großen Unternehmen der westlichen Welt und Japans sich berechtigt, ihre Wertvorstellungen, ihren Glauben an die eigene Kompetenz und ihren Anspruch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit aggressiver denn je zur Schau zu stellen. Aber die pessimistischen Szenarien, die von Ökologen entworfen werden, können sich dennoch bewahrheiten. Es kann durchaus geschehen, daß in dieser Debatte nicht die vox populi, sondern die vox terrae das letzte Wort hat. Sollte dem so sein, ist der gegenwärtige amerikanisch-japanisch-westeuropäische Lebensstandard nur ein vorübergehendes Intervall fragwürdiger Maßlosigkeit. Das gesamte industrielle Experiment nähert sich wahrscheinlich einer unüberschreitbaren Grenze und wird zwangsläufig bald einen Rücksturz erleben.

Etwas Ähnliches ist in der Vergangenheit schon einmal geschehen. Im späten Mittelalter, nach einer langen Phase wirtschaftlicher Expansion, wurde das junge, vitale Europa fast vollständig in Schutt und Asche gelegt. Eine plötzliche Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts, die es nicht verstand und nicht einmal sehen konnte, zwang es in die Knie: ein Virus, übertragen von Flöhen, die im Pelz von Ratten lebten.

Das katastrophale Wüten des »Schwarzen Todes« rottete eine Zivilisation fast vollständig aus. Während des nächsten Jahrhunderts oder länger sanken die einst vielversprechenden Indikatoren eines wirtschaftlich expansiven Europa auf den absoluten Tiefstand, das Bevölkerungswachstum eingeschlossen — nicht nur wegen der hohen Zahl der Todesopfer, sondern auch aufgrund eines rabiaten Rückgangs der Geburten bei den Überlebenden. Das Leben schien so hoffnungslos, daß mehr Männer und Frauen als je zuvor sich in die Klöster flüchteten, um der Welt zu entsagen.

Im Verlauf weiterer zweihundert Jahre erholte Europa sich allmählich. — Wenn es sich bei der Bedrohung um nichts Schlimmeres handelt als einen grassierenden Virus, kann das Immunsystem den Schaden schließlich reparieren. Zumindest galt das für die vorindustrielle Zeit. Heute sorgen moderne Verkehrsmittel und eine zunehmend reiselustige Bevölkerung dafür, daß eine Krankheit wie AIDS sich innerhalb weniger Jahre über den gesamten Globus verbreiten kann.


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Die ökologische Krise unserer Zeit ist entweder ein weiterer Umweg, der schließlich auf die offene Schnell­straße des wirtschaft­lichen Fortschritts zurückführt, oder sie warnt vor einer Sackgasse gleich um die Ecke, einer Katastrophe, die weitaus schlimmer ausfallen könnte als der Schwarze Tod und von der es vielleicht jahrtausendelang keine Erholung geben wird. 

Die Unwägbarkeiten beim Versuch einer Einschätzung der globalen Umweltbedingungen sind so immens, daß beide Standpunkte richtig sein könnten. In manchen Fällen, zum Beispiel bei der Einschätzung der Langzeit­folgen des Treibhauseffekts, der Zerstörung der Ozonschicht, des sauren Regens — alles Phänomene, die, anders als die mittelalterliche Pest, potentiell irreparabel sind —, gelangen selbst die gescheitesten Köpfe nicht zu über­ein­stimmenden Aussagen.

Wir messen und rechnen, rechnen und messen. Aber haben wir die richtigen Daten? Haben wir genügend Daten? Weisen die Daten auf eine vorüber­gehende Fluktuation hin oder auf eine Langzeitströmung? Unsere Angst ist geweckt, Theorien und Möglichkeiten wurden vor uns ausgebreitet. Wir müssen wählen, aber viele fühlen sich unfähig, eine Wahl zu treffen. Es gibt nicht genügend Beweise, weder für die eine noch für die andere Tendenz. Die Gefahr könnte so groß sein, daß sogar das Überleben der menschlichen Spezies auf dem Spiel steht, aber wir wissen in dieser Angelegenheit einfach nicht, wo wir stehen.

Diese Position totaler Ungewißheit ist schlimmer als die Angst angesichts von Katastrophenwarnungen der düstersten Art, denn sie läßt uns ohne die Entschlossenheit dastehen, die wir für die eventuell von uns geford­erten radikalen Entscheidungen brauchen. Solange Argumente für apokalyptischen Pessimismus nicht mit schlagenden Beweisen untermauert werden können, fragen wir uns verständlicherweise, ob letzten Endes nicht doch jede ökologische Dysfunktion durch eine technologische Patentlösung beseitigt werden könnte. Und wenn dem so wäre, dann sollten wir unsere Energie vielleicht auf das Ziel konzentriert halten, auf das sie sich jetzt richtet: die grenzenlose Expansion unserer industriellen Macht. 


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Das Trägheitsmoment ist die stärkste aller sozialen Kräfte; Menschen verändern vertraute, seit langem etablierte Lebens- und Verhaltensmuster nicht freiwillig — insbesondere jene, die sich in der Vergangenheit als so vorteilhaft erwiesen haben —, es sei denn, sie wären überzeugt, daß sie mit einer unbezweifelbaren Notwendigkeit konfrontiert sind.

Außerdem ist kaum anzunehmen, daß die Entwicklungsländer auf ihr Recht verzichten werden, am industriellen Reichtum unserer Zeit teilzuhaben. Für sie, die neiderfüllten, hungrigen Milliarden, die sich ihren gerechten Anteil vom reich gedeckten Tisch nehmen wollen, könnten die ökologischen Warnungen, die uns mittlerweile so vertraut sind, ebensogut in einem Geheimcode abgefaßt sein. Oder, schlimmer noch, sie könnten als perfide, organisierte Konspiration der reichen Welt gegen die Elenden dieser Erde gedeutet werden. Die politisch wachen Kräfte der dritten Welt haben guten Grund, den Absichten der ersten Welt mit Mißtrauen zu begegnen. 

Was sollen sie zum Beispiel von einem gewissen Memorandum halten, das unter der Hand in den obersten Rängen der Weltbank­zentrale in Washington zirkulierte und 1991 an die Presse durchsickerte? Das Papier empfiehlt in zynischer Weise die beschleunigte Verlagerung umweltschädigender Industrien in arme Länder, mit dem Argument, es sei eine »wirtschaftlich logische und einwandfreie Lösung, toxische Abfälle in Niedrig­lohn­ländern abzuladen«, und wir sollten uns dieser Tatsache stellen. Der Autor, einer der führenden Wirtschaftsexperten der Weltbank, weist darauf hin, daß »reine Luft, klares Wasser und unkontaminierter Boden« die wertvollsten Ressourcen sind, die viele arme Länder zu bieten haben — warten sie nicht geradezu darauf, als internationale Giftmülldeponien benutzt zu werden? (2) 

Unglücklicherweise ist das Mißtrauen, das die dritte Welt den industriellen Supermächten entgegenbringt, mittlerweile zu einer breiten Front der Feindseligkeit angewachsen, die sich über Regierungen und Großkonzerne hinaus auch generell gegen westliche Ökologen richtet. 1991 sprachen das World Resources Institute und andere ökologische Gruppierungen sich gegen Pläne der chinesischen Regierung aus, die Förderung und Nutzung von Kohle im eigenen Land zu steigern. 


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Der wissenschaftliche Direktor von Greenpeace schloß sich der öffentlichen Kritik mit den Worten an, Chinas Entscheidung könne möglicherweise »den letzten, tödlichen Ausstoß von Treibhausgasen« und damit eine irreversible Änderung des globalen Klimas zur Folge haben. Vielleicht hatte er damit recht, aber zwei indische Wirtschaftsexperten wiesen die Kritik empört als »ökologischen Kolonialismus« zurück. Sie erinnerten daran, daß die natürlichen CO2-Filter des Planeten (die Ozeane und die Wälder) eine Art globale Recycling-Bank darstellen und daß die reichen westlichen Nationen (insbesondere die »dreckigen Fünf«, zu denen auch die Vereinigten Staaten zählen) ihr Konto weit überzogen haben. Nicht so die Länder der dritten Welt; sie haben noch viel »Kredit«, was ihre Kohlendioxid-Konten angeht. »Diese Länder sollten dafür gerühmt werden, daß sie durch ihren sparsamen Energieverbrauch die Welt im Gleichgewicht hielten, trotz der Vergewaltigung und Plünderung der globalen Ressourcen durch die westlichen Industrienationen.«3

 

Ramachandra Guha, ein weiterer indischer Kritiker der westlichen Ökologie-Bewegung, meint, daß die Ziele der »Umwelt­schutzelite« — Erhaltung der Artenvielfalt, radikaler Landschaftsschutz, eine Wirtschaftspolitik des stabilen Gleichgewichts — letztlich nur auf einen neuen Imperialismus hinauslaufen. Wenn man die wirtschaftlichen Konsequenzen von Maßnahmen wie der Etablierung großer Wildreservate zur Erhaltung gefährdeter Arten zu Ende denkt, stellen sie einen »direkten Transfer von Ressourcen aus den armen Ländern in die reichen dar«.

In den Entwicklungsländern hat das bloße Überleben oberste Priorität; das Gleichheits­prinzip und soziale Gerechtigkeit stehen auf der wirtschaft­lichen Tagesordnung an erster Stelle. Angesichts der existentiellen Not von Millionen von Menschen ist es moralisch kaum gerechtfertigt, vom »selbstverständlichen Lebensrecht der Natur« zu sprechen. »Die Ökologie-Bewegung läuft parallel zu den westlichen Konsum­gesell­schaften, ohne ihre ökologische und sozialpolitische Basis ernsthaft zu hinterfragen«, klagt Guha an. Seiner Auffassung nach liege der sinnvollste Beitrag, den die Industrienationen zur globalen Umweltpolitik leisten könnten, darin, sich um ihre eigene Überkonsumtion zu kümmern, ihre militärischen Ausgaben zu kürzen, und im übrigen die dritte Welt ihre eigenen wirtschaftlichen Prioritäten setzen zu lassen.4


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Die sozialistischen Wirtschaftssysteme kollabierten unter dem Ansturm des unbezähm­baren Verlangens der Bevölkerung nach Wohlstand und Gerechtigkeit, aber ihr Zusammenbruch reißt die einzige ernsthafte historische Alternative der modernen Welt zur hemmungslos profitorientierten Marktwirtschaft mit in den Abgrund. Nationen und Kulturen, die überleben wollen, müssen den urbanen Industrialismus in seiner wahnwitzigsten und aggressivsten Form übernehmen. Die aufgeklärten reformerischen Kräfte in den früheren sozialistischen Gesellschaften und die progressiven Kräfte in den Ländern der dritten Welt setzen ihre Hoffnungen jetzt auf Wirtschaftswachstum und bringen ihre Substanz als Einsatz ein. Aber wird der Planet in der Lage sein, bei diesem Glücksspiel weitere Gewinne abzuwerfen? Selbst jenen, die mit der größten Zuversicht auf technologische Lösungen für die Umweltprobleme unserer Gesellschaft hoffen, muß bei der Aussicht, daß Milliarden von Menschen es uns im Streben nach unbegrenztem Wohlstand gleichzutun gedenken, ängstlich zumute werden.

Bedenken wir nur eine unter vielen Möglichkeiten: Wenn die Brasilianer und die Indonesier ihre Regenwälder (oder vielmehr unsere Regenwälder, wie wir gern sagen) weiterhin in demselben leichtsinnigen Tempo abholzen und niederbrennen, wird das zu massiven Störungen in den globalen Klimastrukturen führen. Das Amazonasbecken allein speichert zwei Drittel der nicht-polaren Frischwasser­vorräte der Welt. Die Biomasse dieser riesigen Wälder macht mehr als ein Drittel des lebenden Kohlenstoff­reservoirs der Erde aus; nach der Ansicht von Experten ist das zügellose Niederbrennen des Dschungels für ein Viertel der Gesamtmenge an Kohlen­dioxid verantwortlich, die jedes Jahr in die Atmosphäre entlassen wird. Das Laubdach des Amazonasdschungels - ein Areal, das größer ist als der Süden der Vereinigten Staaten - spielt eine zentrale Rolle bei der Regulierung der Hitze, die unser Planet ins All zurückreflektiert. 


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Dies alles sind Phänomene, die der Erde dazu dienen, ihr Klimagleichgewicht aufrechtzuerhalten. Manche »Katastrophen«-Klimatologen sind der Meinung, schon die geringste Verschiebung in diesen geophysik­alischen Variablen könne plötzlich hereinbrechende, verheerende Folgen haben. Selbst im günstigsten Fall muß die brutale Veränderung so ausschlaggebender Parameter, wie die Regenwälder sie darstellen, zwangsläufig zu unberechenbaren globalen Fluktuationen in bezug auf Nahrungsmittelproduktion und Bevölkerungsdichte führen. In biosphärischer Hinsicht dürfte das die einzige gesicherte Aussage sein, die wir zur Zeit machen können.

Die Vernichtung der Regenwälder, insbesondere in Brasilien und Zentralamerika, ist das Paradebeispiel für soziale und ökologische Blindheit in gigantischen Ausmaßen. Für kurzfristige Profite mit billigem Rindfleisch und tropischen Harthölzern, die zum größten Teil in die Taschen ausländischer Investoren fließen, wird die eingeborene Bevölkerung ausgebeutet — im Rahmen eines fehlgeleiteten Entwicklungs­programms, das mit dem Land katastrophalen Raubbau treibt. Stammeskulturen werden vernichtet, Arten werden zu Hunderten ausgerottet, die kostbare biologische Vielfalt des Planeten ist gefährdet, das globale Klima gerät durcheinander. Die Presse hat zu diesen Gefahren nicht geschwiegen, aber die öffentliche Aufmerksamkeit bewirkte keine ernsthaften, langfristigen Reformen im Umgang mit den Regenwäldern.

Die Weltbank, die als einzige Institution die Macht hätte, die politischen Führer dieser in die Enge getriebenen Nationen zu einer Veränderung ihrer Vorgehensweisen zu bewegen, legt extreme Trägheit an den Tag, wenn es darum geht, den notwendigen Druck auszuüben, um der Zerstörung Einhalt zu gebieten. Das liegt vermutlich daran, daß Unternehmen, deren zentrale Standorte einige der reichsten Mitgliedsländer der Weltbank sind — Volkswagen, Mitsubishi, Nestle, Swift, Armour —, zu den Hauptnutznießern der hemmungslosen Abholzung gehören. Unter diesen Umständen geht Politikern der dritten Welt das Argument, mehr ökologische Zurückhaltung könnten ihre Länder sich einfach nicht leisten, um so leichter über die Lippen. 


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Sie könnten sogar noch weiter gehen und ihr Recht einklagen, genauso zu handeln, wie wir gehandelt haben: das Land auszurauben, die Wälder zu plündern, riesige Städte zu bauen mit rauchenden Fabrik­schloten und brausendem Verkehr, den Müll in die nächstliegenden Flüsse und Ozeane zu kippen. Die Brasilianer und Indonesier könnten uns daran erinnern, daß von den Urwäldern, die den amerikanischen Kontinent bedeckten, als die ersten weißen Siedler ankamen, weniger als zehn Prozent erhalten geblieben sind. Die uralten amerikanischen Wälder überlebten nur in winzigen Enklaven im pazifischen Nordwesten. Und welches Schicksal steht den noch existierenden großen Waldgebieten vor unserer Haustür bevor? Die Wälder Oregons, Washingtons und British Columbias sind in großer Gefahr, vom Antlitz der Erde zu verschwinden, lange bevor das Amazonas­becken abgeholzt ist. 

Wenn diese Zerstörung weniger publik wird, liegt das unter anderem daran, daß die Vernichtungs­methoden raffinierter sind und geschickter getarnt werden. Von Umweltschützern unter Druck gesetzt, greifen nordamerikanische Firmen, die Abholzung in industriellem Ausmaß betreiben, zu Täuschungsmanövern wie »Sichtblenden«, schmalen Waldstreifen zu beiden Seiten großer Autobahnen, die man stehen läßt, um den Kahlschlag zu verbergen, der sich dahinter abspielt. 

Manche Firmen machen sich überhaupt nicht die Mühe, Vorwände oder Entschuldigungen für ihre destruktiven Praktiken zu finden. In einer Fernseh­dokumentation von 1990 bezeichnete ein leitender Manager des Unternehmens Northwest Timber die Bäume, die er fällen läßt, als »einen Haufen Geld, der im Wald herumsteht«. Uralte Bäume sind nichts anderes als ein Haufen Geld »auf alten Baumstümpfen«.5

 

   Die Kollision der Ideologien  

 

Wenn die Länder der dritten Welt auf die Industrieländer schauen, um Leitlinien für die Formulierung ihrer Umweltpolitik zu finden, sehen sie Regierungen und Wirtschaftseliten vor sich, die geschäftiger denn je an der Freisetzung von Marktkräften arbeiten, von denen sie sich noch größere Produktivität, noch höhere Profite erhoffen.


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»Wachstum« ist immer noch das Zauberwort, das die herrschende Wirtschafts­politik in ihren Überlegungen und Planungen bestimmt. Wir blicken auf eine Generation ökologischer Forschung und Bericht­erstattung zurück und sind umfassend darüber aufgeklärt, daß - und in welchen Formen - unbegrenztes Wachstum sich für den Staatskörper als krebserzeugend erweisen kann. Auf manchen Ebenen unserer Gesellschaft wurde die Lektion gelernt; in einer zunehmenden Zahl von Gemeinden - gewöhnlich den mittelständischen und wohlhabenden - wurden Umweltverordnungen erlassen mit dem Ziel, wirtschaftliche Expansion zugunsten einer besseren Lebensqualität einzuschränken. Dennoch wird das Wachstum der Wirtschaft - ohne jede Differenzierung oder Spezifikation - weiterhin als Allheilmittel beschworen, das Arbeitslosigkeit beseitigen, unter­nehmerische Initiative stimulieren, zu Investitionen anregen, die Stimmung der Bevölkerung heben und alle sozialen Probleme lösen soll. Und wenn die Umwelt dabei zu Schaden kommt...? 

Der amerikanische Markt hat ausgefeilte Methoden für den Umgang mit den unwillkommenen und sozial destruktiven Folgen unternehmerischer Politik entwickelt: Nicht die Unternehmenspolitik wird verändert, sondern die Rhetorik und die Bildersprache. Unterstützt von den einfallsreichsten Public-Relations-Talenten, die man für Geld kaufen kann, findet die Privatwirtschaft immer raffiniertere Wege, ihre schlechten ökologischen Gewohnheiten zu verbergen. 

Die Taktik, »Greenwashing« genannt, besteht in einer geschickten Nutzung der Medien, um einer Unternehmens­politik, die möglicherweise das Gegenteil von dem ist, was sie zu sein behauptet, ein vorteilhaftes Image aufzusetzen. Dieser Tage nimmt jedes Produkt auf dem Markt für sich in Anspruch, ökologisch einwandfrei, recycelbar und zu hundert Prozent natürlich zu sein. Oft sind die grünen Lettern auf der Verpackung jedoch die einzige Modifikation. Plastiksäcke, die auf Müllhalden gut und gern tausend Jahre überstehen werden, tragen die Bezeichnung »zu hundert Prozent biologisch abbaubar«, denn eines fernen Tages werden sie mit Sicherheit zerfallen.


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Ein völlig nutzloses Kosmetikprodukt, das als Pumpspray, also ohne Treibgas, auf den Markt kommt, brüstet sich mit dem Slogan »gut für die Ozonschicht«, aber bei seiner Herstellung werden mehr Arbeits­kraft, Kapital und Rohstoffe verschwendet, als wir uns leisten können.

Gefährlicher als die heuchlerischen Strategien der Werbung sind jedoch die Aktivitäten finanz­kräftiger Lobbies und Interessen­gruppen, die umweltpolitische Maßnahmen der Regierung auf betrügerische Weise unter­minieren, indem sie sich in die Rhetorik ernsthafter ökologischer Besorgnis hüllen. Wer steht hinter der »Vereinigung für eine verantwortungsbewußte FCKW-Politik«? Die Chemiekonzerne DuPont, Dow und Amoco, die gegen den geplanten stufenweisen Abbau der ozonzerstörenden Fluorchlorkohlen­wasserstoffe sind.

Die »Initiative für vernünftige Maßnahmen gegen sauren Regen« ist eine Handels­vereinigung von kohle­fördernden Industrien, organisiert mit dem Ziel, die Regierungsverordnung zur Sauberhaltung der Luft zu unterlaufen.

Die »Vereinigung verantwortungs­bewußter Industrie­betriebe für eine saubere Umwelt« ist die Kreation eines nationalen Verbands der agrarchemischen Industrie, der verhindern will, daß die Produktion von chemischen Düngemitteln und Pestiziden durch Vorschriften der Regierung eingeengt wird. Und die »Wise Use Agenda«, ein Programm zur »bewußten Nutzung natürlicher Ressourcen«, das kürzlich großen Widerhall in der Presse fand, ist nichts anderes als ein Programm­papier, das die Holz- und Bergbauindustrien und die landwirtschaftlichen Großbetriebe formulierten, um das höchstmögliche Maß an kommerziellem Zugang zu Nationalparks, Wildschutz­gebieten und öffentlichem Gelände zu erlangen.

Vor der Öffentlichkeit versuchen solche Interessengruppen gewöhnlich, ein Bild zu projizieren, das den bodenständigen Charakter spontaner Bürgerbewegungen hat. Sie geben sich den Anstrich, auf der Seite der kleinen Leute zu stehen, die nichts anderes wollen, als die einfachen Freuden des Lebens zu genießen.


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Großkonzerne finanzieren Pseudo-Bürgerinitiativen, die vorgeben, die Interessen von Freizeit­wanderern, -jägern, -fischern und Radfahrern zu vertreten, den »Opfern« ökologischer Gruppierungen, die sich um die Erhaltung natürlicher Landschaften und den Schutz gefährdeter Arten bemühen. Wo immer sich ein Weg findet, werden Umweltschützer als tyrannische Spielverderber porträtiert. Ein Sprecher der »Alliance for America«, einer von Großunternehmen finanzierten Vereinigung von Jägern, Fischern und Campern, bezeichnet die ökologische Bewegung als »den idealen Buhmann« und gibt offen zu, er sehe sein Ziel darin, sie »zu zerstören«.(6)

Subtile Manipulation geht in offene Aggressivität über, wenn die Opposition so maßlose Züge trägt. Und an diesem Punkt verändert sich der Ton und der Charakter von Umweltpolitik. Sie wird zu einer häßlichen Kollision der Ideologien, die für den Planeten potentiell gefährlicher ist als jeder mit Waffen ausgetragene internationale Konflikt, abgesehen vom thermonuklearen Krieg.

Seit dem Aufkommen der Ökologiebewegung in den siebziger Jahren wurden Umwelt­schützer in der Öffentlichkeit vorwiegend als heldenhaft wahrgenommen. Man sah sie als Naturliebhaber und verantwortungs­bewußte Bürger, die für saubere Flüsse und gesunde Wälder kämpften und niedliche, großäugige Robbenbabys gegen blutrünstige Jäger verteidigten. Selbst jene Kräfte in Wirtschaft und Politik, die den Zielen der Bewegung ablehnend gegenüberstanden, mußten zugeben, daß ihre ökologischen Kritiker Männer und Frauen mit hohen Prinzipien und einer grundlegend idealistischen Motivation waren.

Dieses Zugeständnis wird mehr und mehr zurückgenommen. Jetzt, da die Schrecken des Kalten Krieges verblassen, nehmen konservative Elemente in den USA die Umweltschützer in immer aggressiverer Weise aufs Korn und weisen ihnen die Rolle des Bösewichts zu, die früher von der marxistischen Opposition ausgefüllt wurde.(7)  Anmerkung

In der Konterattacke des fanatischen Flügels der Privatwirtschaft gegen die ökologische Kritik liegt eine traurige Ironie. Sie droht den einzigen wertvollen Beitrag in Sachen Umwelt, den das kapitalistische System — zum größten Teil unfreiwillig — geleistet hat, zunichte zu machen: nämlich eine innerhalb dieses Systems entstandene Opposition, die vital genug ist, um ihr Anliegen hinaus auf die Straßen zu tragen, die Medien für sich zu interessieren und bei der Regierung Gehör zu finden.


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Wenn es um das Schicksal der Biosphäre geht, macht eben diese Tatsache den Unterschied in den ökolog­ischen Leumundszeugnissen des Ostens und des Westens aus.

So destruktiv die marktwirtschaftlichen Systeme in ihrem Umgang mit der Umwelt auch waren, wir wissen nun, daß die sozialistischen Wirtschafts­systeme ein noch schlimmeres Erbe hinterlassen haben. Glasnost gab den Blick auf eine verwüstete Landschaft frei, die sich von der Donau bis an die Bering-See erstreckt. Soweit wir wissen, erhob niemand Einspruch gegen die Zerstörung; wenige wußten, daß sie stattfand. Es ist durchaus nicht so, daß der Sozialismus von seiner Struktur her umwelt­feindlicher wäre als der Kapitalismus; vielmehr war die politische Organisation des Sozialismus weitaus effektiver darin, jede Form von Widerstand gegen zentralisierte Macht zu brechen. 

Das Hauptcharakteristikum linker Politik war von Anbeginn eine strikte, ausschließliche, zornige Konzentration auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit; Interesse an ökologischen Problemen wurde nicht unterstützt. Schlimmer noch: Die diktatorischen Methoden sozialistischer Führungseliten ließen Anders­denkenden nie die Freiheit, sich der Problematik anzunehmen. In einer Gesellschaft wie der Sowjetunion unter Stalin, die bereit war, ihre eigenen Mitglieder zu Millionen umzubringen, war kaum damit zu rechnen, daß Menschen sich im Kampf um die Erhaltung der Seen und Wälder aufreiben würden. Im Unterschied dazu bot der kapitalistische Westen soviel pluralistischen Spielraum, daß eine Ökologie­bewegung entstehen und effektiven Widerstand aufbauen konnte.

In einer von harten politischen Realitäten und unbefriedigenden Alternativen geprägten Welt ist das keine geringe Leistung. Wir könnten großen ökologischen Nutzen aus dem Ende des Kalten Krieges ziehen, wenn wir von diesem Pluralismus Gebrauch machten, um weltweit eine gründliche Überprüfung und Neueinschätzung der urban-industriellen Wertvorstellungen einzuleiten. Wenn man unseren ideologischen Pannen irgendeine Bedeutung für die Erde zuschreiben kann, dann liegt sie hierin.

Aber das Ende des Kalten Krieges bedeutet vielleicht auch, daß dieser zentrale Unterschied zwischen den marktwirtschaftlichen und den marxistischen Systemen zugrundegeht. Westliche Unternehmenseliten und die vielen Strategie­kommissionen, die sie im Lauf des letzten Jahrzehnts begründeten, gehen mit harten Bandagen gegen den »Öko-Radikalismus« vor, den sie jetzt als schlimmeres Hindernis für ihre Ziele betrachten als jede der traditionellen linken Ideologien. 

Jene, die unbedingt einen Erzfeind brauchen, um ihren politischen Spleen auszuleben, werden vielleicht noch eine Hexenjagd gegen die Ökologiebewegung anzetteln, ähnlich der Denunziations- und Verhaftungswelle in der McCarthy-Ära, die jede politische Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft zum Erliegen brachte. Angesichts der jüngsten Polizei- und FBI-Schikanen gegen militantere ökologische Gruppierungen wie Green­peace und Earth First äußern aufmerksame Beobachter bereits die Befürchtung, die ökologische Bewegung könnte zu einer »grünen Gefahr« hochstilisiert werden, die allzuviel Ähnlichkeit mit der »roten Gefahr« früherer Tage haben werde.

In dem Maß, in dem die ehemals kommunistischen Gesellschaften es der dritten Welt gleichtun und sich ausländischem Kapital und Know-how öffnen, steigt der Anreiz, gegen Umweltschützer mit brutalen Schlag­ring-Taktiken vorzugehen. Es gibt bereits Anlaß zur Besorgnis. Die großen Wälder Sibiriens gehören zu den wichtigsten Kohlendioxid-Auffangbecken, die das Klima unserer Erde regulieren und den Treib­haus­effekt abschwächen. Aber die neue russische Regierung führt bereits Verhandlungen mit europäischen, japanischen und koreanischen Unternehmen über die kommerzielle Ausbeutung dieser empfindlichen Öko­systeme.

Die global folgenreiche Katastrophe, die über die tropischen Regenwälder hereingebrochen ist, könnte sich hier leicht wiederholen. Im zerfallenden Reich der ehemaligen Sowjetunion finden Emissäre ausländischer Holz- und Bergbau­unternehmen, die von Stadt zu Stadt reisen, viel Gelegenheit, aus der Not Kapital zu schlagen; bedürftige und verzweifelte Bürger sind nicht in der Position, ökologische Schutzmaßnahmen zu erzwingen.(8) Es ist paradox: In den kommenden Jahren könnten die Landschaften, Wälder und Gewässer im ehemaligen »Reich des Bösen« zu den schlimmsten Opfern unternehmerischer Gier werden.

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 Theo Roszak 1992  Ökopsychologie