1. Die Mikrobe Mensch (Taylor-1970)
1 Kassandrarufe — 2 Raumschiff Erde — 3 Superverschmutzung —
4 Viele Leute, große Sorgen — 5 Ein Pyrrhussieg
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Gibt man Bakterien in ein Reagenzglas, fügt Nährstoffe hinzu und sorgt für Sauerstoff, so werden sich diese Mikroorganismen explosionsartig vermehren, alle zwanzig Minuten etwa ihre Zahl verdoppeln, bis sie schließlich eine feste, auch dem bloßen Auge sichtbare Masse gebildet haben. Dann aber wird die Vermehrung aufhören, je mehr die Bakterien sich durch ihre eigenen Abfallprodukte vergiften. Im Mittelpunkt dieser Masse wird ein Kern von toten und sterbenden Bakterien liegen; undurchdringliche Nachbarn haben sie von den Nährstoffen und vom Sauerstoff abgeschnitten. Die Zahl der lebenden Bakterien wird fast auf Null sinken, es sei denn, die Abfallprodukte werden beseitigt.
Die Menschheit befindet sich heute in einer ähnlichen Situation. Die Bevölkerung wächst explosionsartig, und die Abfallprodukte ihrer Technologie beginnen bereits, ihre Opfer zu fordern. Was unser Wasser und unsere Luft verseucht und vergiftet, sind nicht nur bedauerliche Nebenprodukte des technischen Fortschritts. Sie bedrohen das Leben des Menschen gerade wegen der ungewöhnlich raschen Zunahme der Weltbevölkerung. Sie scheinen geradezu Teil eines Rückkoppelungsmechanismus zu sein, durch den die Natur versucht, das übermäßige Wachstum selber wieder in den Griff zu bekommen und zu begrenzen.
Die eigentliche Katastrophe steht aber noch aus. Nimmt man die Erfahrungen an anderen Gattungen zur Richtschnur, so müßte die Bevölkerung auf etwa ein Drittel der Höchstzahl absinken. Bei allen Tierpopulationen kennt man solche immer wiederkehrenden Bevölkerungsexplosionen, die stets in einer Katastrophe enden.
Wird der Mensch die einzige Ausnahme sein? Oder wird er dank seines technologischen Könnens seine Apokalypse aufzuschieben wissen? Wird er nur darum höher fliegen, um desto tiefer zu stürzen?
Der Mensch ist nur eine von Millionen Arten auf dieser Erde. Aber schon heute verbraucht er mehr Nahrungsstoffe als alle anderen Landtiere zusammen. Grob geschätzt ist die Zahl der Angehörigen irgendeiner Art umgekehrt proportional zu ihrer Körpergröße. Aus leicht ersichtlichen Gründen gibt es sehr viel mehr Moskitos als Elefanten. Entsprechend seiner Größe war auch der Mensch einmal eine seltene Art. Die Gesamtbevölkerung zur Steinzeit hat man auf etwa eine Million geschätzt.
Der Neandertaler lebte ungeheuer verstreut; man hat ausgerechnet, daß eine Person auf etwa 10 Quadratkilometer kam. Seine Bevölkerungszahlen richteten sich nach der Dichte und Verteilung von jagdbarem Wild und eßbaren Pflanzen, aber auch nach den Risiken, denen er durch Raubtiere und Fieber ausgesetzt war. In der Gesamtbilanz wurde jeder Verlust gerade wieder ausgeglichen, und wenn eine Glückssträhne zu einem Bevölkerungsanstieg führte, so konnten durch Abtreibungen, Kindstötungen oder einfach durch Verlängerung der Stillzeit die Bevölkerungszahlen wieder korrigiert werden.
In den Zwischeneiszeiten jedoch fanden dramatische Änderungen statt: Dank einer Reihe technischer Erfindungen begann die Zahl der Menschheit stetig zu wachsen. Trotzdem erreichte die Menschheit ihre erste Milliarde erst im Jahre 1850. Die zweite Milliarde war aber schon 1930 hinzugekommen — bloße 80 Jahre später, 1960 dann war die 3-Milliarden-Grenze überschritten — ganze 30 Jahre später. Knappe 15 Jahre brauchen wir für die vierte Milliarde: 1975. Aber das Wachstum wird immer rasanter: 5. Milliarde 1985, die 6. etwa 1993, und um das Jahr Zweitausend werden wir 7 Milliarden Erdenbürger zählen.
* (d-2010:) es ist etwas flacher gekommen bzw. etwas Zeitgewinn vgl wikipedia Weltbevölkerung 7.Milliarde 'erst' jetzt: 2011
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Dies ist eigentlich keine richtige Explosion, denn bei einer Explosion werden die ausgeschleuderten Splitter immer langsamer; bei der Bevölkerungsexplosion dagegen wächst die Geschwindigkeit beständig. Ganz sicher kann die Expansion bei dieser Geschwindigkeit nicht beliebig lange andauern; von irgendwelchen Bremsvorgängen ist aber bisher nicht die Rede. Gerade in diesem Augenblick, da Sie diese Zeilen lesen, wächst die Erdbevölkerung mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Menschen pro Minute.
Wenn wir jetzt schon Probleme mit Überbevölkerung, mit Luft- und Wasserverschmutzung haben und wenn heute schon die Natur durch den Menschen aus dem Gleichgewicht geraten ist, wie wird es erst in dreißig Jahren aussehen? Die Situation wird im wörtlichen Sinn unerträglich werden, wenn nicht irgendwelche dramatischen Eingriffe erfolgen. Durch die ungeheure Zunahme von Menschen wird unsere Umgebung nicht einfach noch etwas verschmutzter und unansehnlicher. Sogar das Klima könnte sich drastisch ändern und das Gleichgewicht in der Natur sich derart radikal verschieben, daß nicht einmal mehr für die gegenwärtige Bevölkerungszahl Lebenschancen gegeben wären.
Die Existenz des Menschen hängt von vielen anderen Tier- und Pflanzenarten ab, von denen er sich ernährt und die wiederum von vielen anderen abhängen. Aber Leben wird nicht allein durch Nahrung bedingt. Ebenso wichtig sind Bakterien, die tote Organismen beseitigen, und Lebewesen, die der Luft den Sauerstoff zurückgeben, den Mensch und Tiere verbraucht haben. Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, welch überaus feines Netz der verschiedensten Beziehungen zwischen den Lebewesen existiert, und gerade diese Beziehungen sind in Gefahr.
Warum aber haben uns die Wissenschaftler nicht schon lange gewarnt? Die Antwort: Sie haben es getan, aber erst jetzt greifen die Massenmedien die Warnungen auf. Kassandra ruft dieses Mal nicht nur, weil es einige Schwierigkeiten gibt, sondern weil eine Katastrophe auf uns zukommt.
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1 Kassandrarufe
Schon 1959 sagte David Price vom amerikanischen Gesundheitsministerium: »Wir alle leben in der beklemmenden Furcht, daß irgend etwas unsere Umgebung so weit zerstören könnte, daß der Mensch, wie seinerzeit die Dinosaurier, als veraltet ausrangiert wird.« Vielsagend fügte er hinzu: »Was diese Gedanken ganz besonders unangenehm macht, ist die Vorstellung, daß unser Schicksal schon besiegelt sein könnte, lange bevor sich die entscheidenden Symptome zeigen.«
Noch etwas früher, nämlich 1957, schrieb Professor Fosberg:
»Es ist sehr wohl möglich, daß der Mensch die von ihm verursachten Veränderungen seiner Umgebung nicht überlebt, entweder weil ihm die Rohstoffe ausgehen wegen der Kriege, die er um die schwindenden Vorräte führen wird, oder einfach weil sein Nervensystem nicht in der Lage ist, sich so schnell auf die veränderten Umweltbedingungen einzustellen, wie dies erforderlich wäre.«
Die Welt blieb bemerkenswert ungerührt, und im Jahre 1968 mußte Fraser Darling, ein gebürtiger Schotte, wissenschaftlicher Direktor der Naturschutzbehörde in Washington, den Delegierten von 70 Nationen anläßlich eines Kongresses über diese Probleme sagen: »Uns alle erfüllt jetzt die Furcht, ob wir die Verhältnisse noch in den Griff bekommen oder ob Ursache und Wirkung sich schon so weit verselbständigt haben, daß wir nicht mehr eingreifen können.«
Allein daß ein solches Treffen einberufen wurde, ist ein Zeichen des Fortschritts, und die Delegierten empfahlen mit einer Einmütigkeit, die auf internationalen Treffen selten ist, eine Fülle von Maßnahmen, die brisanten Probleme anzugehen.
Nun, diese Männer waren von Amts wegen mit Fragen der Gesundheitspolitik und des Naturschutzes befaßt. Wie aber steht es mit den schwerfälligen Verwaltungsleuten? Der Präsident der Rockefeller-Stiftung schrieb in einem Bericht, der etwa zur Zeit des Pariser Kongresses herauskam: »Wir stehen an der Schwelle einer neuen ökologischen* Krise, denn es ist uns nicht gelungen, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen unseren Rohstoffen, ihrem Abbau und unseren Bedürfnissen.«
* Ökologie = Lehre von der Umwelt
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Der Erfinder des Begriffs <Ökosphäre>, Professor L. Cole, formulierte es noch schärfer. In einem Artikel mit dem provozierenden Titel <Kann die Welt gerettet werden?> beklagte er, daß »der Mensch offensichtlich beabsichtige, die Ökosysteme, von denen er abhängt, so zu beschädigen, daß sie nicht mehr repariert werden können«.
Aber nicht nur Amerikaner fühlen sich verantwortlich. So stellte der schwedische Wissenschaftler Goran Löfroth beispielsweise fest: »Es gibt zumindest die Möglichkeit einer menschlichen Tragödie globalen Ausmaßes, wenn wir unsere gegenwärtigen Gewohnheiten unkontrolliert beibehalten. Müssen wir denn wirklich die ersten Zeichen der Katastrophe sehen, bevor wir handeln?«
Diese Liste ließe sich leicht erweitern, doch möge ein Zitat von Professor Barry Commoner, Direktor des Forschungszentrums für die <Biologie natürlicher Systeme> an der Washington-Universität in St. Louis, genügen. In seinem Buch <Science and Survival> (Wissenschaft und Überleben, 1963) erklärt er:
»Viele Substanzen, die unsere Umwelt verseuchen, können kumulieren, sie können sich zusammentun und sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken, und ich glaube, daß all dies für die komplexen Zusammenhänge in der Biosphäre tödlich sein kann. Und da der Mensch schließlich ein Teil dieses Systems ist, glaube ich, daß die Erde aufhören wird, ein für das menschliche Leben geeigneter Platz zu sein, wenn die Verseuchung weiter unkontrolliert andauert.«
Man kann es eigentlich kaum deutlicher sagen. Alle diese Aussagen, so ungeheuerlich und unmißverständlich sie sind, hatten nur wenig Einfluß.
Der Mensch lebt keineswegs so, als drohe unser Planet in Kürze unbewohnbar zu werden. Die Bedrohung ist zu ernst, als daß man sie ernst nehmen möchte. Übertreiben diese Wissenschaftler nicht maßlos, um Aufmerksamkeit zu erregen? Wenn ja, dann hätten sie ihrer eigenen Sache sehr geschadet. Oder meinen sie es ernst, und nur wir sind einfach zu selbstgefällig oder auch einfach zu phantasielos, um sie zu verstehen?
*(d-2014:) detopia B.Commoner detopia H.Liebmann
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Ich vermute, daß ein Teil der Schwierigkeiten daher kommt, daß die Wissenschaftler ihre Voraussagen nicht detailliert genug formuliert haben. Wenn sie etwa vom <komplexen Zusammenhang der Biosphäre> sprechen, dann ist dies viel zu allgemein und zu abstrakt, als daß es für irgend jemanden etwas bedeuten könnte, der kein Biologe ist; die meisten haben vermutlich das Wort <Biosphäre> noch nie gehört.
Dieses Buch setzt sich daher zum Ziel, den vorausgesagten Zusammenbruch so klar wie möglich darzustellen, soweit es eben unsere heutigen Kenntnisse erlauben.
Es ist ein Buch über die nächsten 30 Jahre — ein Überblick über die drohenden Probleme, nicht eine Zusammenfassung der Schwierigkeiten, die wir heute schon kennen. Es ist daher nur noch wenig von Smog und industrieller Verschmutzung die Rede, vielmehr vom Klima und den großen Zusammenhängen, die für alles Leben wichtig sind.
2 Raumschiff Erde
Für Millionen von Jahren lebten wir in einer Welt unerschöpflicher Möglichkeiten. Wie schnell wir auch Bäume fällten, die Natur ersetzte sie ohne unser Zutun. Wie viele Fische wir aus dem Meer fischten, die Natur füllte ihre Vorräte wieder auf. Wieviel Schmutz wir auch in die Flüsse pumpten, die Natur reinigte ihre Gewässer, so wie sie die Luft reinigte, wieviel Rauch und Staub wir auch in sie hinaufbliesen. Heute wissen wir, daß es nicht mehr ausreicht, auf eine Selbstreinigung der verseuchten Gewässer zu hoffen; wir haben erkannt, daß das Meer <ausgefischt> werden kann und daß Wälder gepflegt werden müssen, wenn sie nicht von der Landkarte verschwinden sollen.
Trotzdem wahren wir unseren primitiven Optimismus gegenüber Wasser und Luft: Es wird immer genügend Regen fallen, um unsere Bedürfnisse zu stillen; die Luft kann all den Schmutz aufnehmen, den wir erzeugen. Noch weniger sorgen wir uns darum, daß einmal der Sauerstoff ausgehen könnte. Ganz sicher ist doch genug Luft zum Atmen da? Wer fragt sich schon, woher der Sauerstoff eigentlich kommt? Wir sollten aber danach fragen, denn wir verbrauchen heute jährlich etwa 10 Prozent des Sauerstoffs der Atmosphäre. Daran sind die vielen Formen der Verbrennung schuld: Jedes Auto, jedes Flugzeug, jedes Kohlekraftwerk vernichtet den Sauerstoff in einem Umfang, demgegenüber die Atmung der Menschen kaum mehr ins Gewicht fällt.
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Tatsache ist, daß wir heute die Möglichkeiten unserer Erde bis an ihre Grenzen beanspruchen. Mehr und mehr müssen wir darauf achten, was wir mit unserem Wasser oder Sauerstoff anfangen, so wie wir uns darum zu kümmern haben, daß wir nicht zu viele Fische fangen und nicht zu viele Bäume fällen. Uns ist die Erkenntnis gedämmert, daß die Erde ein Raumschiff ist mit sehr beschränkten Reserven. Diese Reserven müssen auf die Dauer in einer Art Kreisprozeß immer wieder in Verkehr gebracht werden, entweder von der Natur selber oder durch den Menschen.
Genauso wie der Urin des Astronauten gereinigt wird, um wieder Trinkwasser zu liefern, oder wie seine ausgeatmete Luft regeneriert wird, damit er sie von neuem einatmen kann, genauso müssen alle Vorräte der Erde wiederverwertet werden, früher oder später. Bis jetzt hat die langsame Geschwindigkeit, mit der die Natur sich regeneriert, ausgereicht. Aber der Spielraum wird kleiner, und wenn noch mehr Menschen noch mehr Rohstoffe verbrauchen, dann wird man die Geschwindigkeit der Wiederverwertung künstlich beschleunigen müssen.
Alles, was wir haben, ist ein dünnes Kissen verwertbarer Atmosphäre von nicht mehr als 12 Kilometer Höhe, eine dünne Landkruste, von der nur ein Achtel der Fläche zum Wohnen wirklich geeignet ist, und schließlich ein begrenzter Vorrat an Trinkwasser. Im Boden besitzen wir ein stattliches Kapital fossiler Brennstoffe und Erze, die wir ständig abbauen mit einer Geschwindigkeit, die millionenfach größer ist, als die Natur diese Vorräte ergänzen kann. Alle diese Vorräte sind miteinander durch ein komplexes Netz von Beziehungen verknüpft: Die Luft hilft das Wasser zu reinigen, das Wasser versorgt die Pflanzen, und diese wiederum helfen, die Luft zu erneuern.
Achtlos kommen wir diesen Wechselwirkungen in die Quere. Wir holzen beispielsweise riesige Wälder ab, die Wasser und Sauerstoff abgeben; wir bauen Dämme und Pipelines und schränken so die Bewegungsmöglichkeiten der Tierwelt ein; wir betonieren die Erdoberfläche und bauen Staudämme und verändern so den Wasserkreislauf. Bisher ist die Natur mit diesen Verwundungen fertig geworden, als ob es Nadelstiche wären. Aber jetzt fangen diese Stiche an wehzutun: Wir werden zu stark, zu zahlreich und zu raffiniert.
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Am offenkundigsten wurde unsere Arroganz beim Problem der Verschmutzung. Jetzt erkennen wir, daß wir unsere Gesundheit und die Lebenschancen der Tierwelt aufs Spiel setzen. Neueren Datums ist die Erkenntnis, daß auch Pflanzen durch unsere Verschmutzungen vergiftet werden. In den Vereinigten Staaten schätzt man den Schaden bei Baumschulen und bei Gemüseplantagen auf 500 Millionen Dollar jährlich, nicht eingerechnet mögliche indirekte Verluste durch eine Veränderung des Klimas durch großräumige Verschmutzung. Allein in einem Landkreis in Florida mußten Bauern 60.000 Hektar Weideland verlassen. Die meisten Orchideenzüchter sind aus New Jersey ausgewandert, weil das Aethylen aus den Abgasen der Autos die Blumen in Mitleidenschaft zog. In Kalifornien wurden 4000 Hektar Kiefernwälder beschädigt. In der Nähe der Niagarafälle ist die Landwirtschaft so gut wie ausradiert. Diese Tatsachen kamen erst ans Tageslicht, als die Gesetzgebung sich 1967 um saubere Luft bemühte.
3 Verschmutzung und Superverschmutzung
Die Verschmutzung — als einfacher, sichtbarer Dreck — ist heute weltweit verbreitet. Als Apollo 8 die Erde rundum photographierte, entdeckte es den scheußlichsten Smog nicht über Los Angeles — das ja als die Stadt mit dem größten und häßlichsten Smog gilt —, sondern über Osaka und Tokio in Japan. Dort fallen 22 Tonnen Schmutz auf jede Quadratmeile, während in New York bloß 15 Tonnen herunterrieseln. Küstendampfer stoßen regelmäßig zusammen oder laufen auf Grund, weil sie sich trotz Tageslicht nicht sehen können oder weil die Lichtbojen unsichtbar bleiben. Verkehrspolizisten gehen alle vier Stunden zurück auf ihre Polizeistation, um reinen Sauerstoff aus Flaschen zu inhalieren und so ihr monoxydvergiftetes Blut wieder zu regenerieren. In Cafes und auch auf der Straße stehen Münzautomaten, die den Einkäufern Sauerstoff spenden, wenn sie sich einem Kollaps nahe fühlen. In der Schule tragen die Kinder Gesichtsmasken, wenn sie an Smogtagen zum Unterricht kommen.
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Smog findet man heute in der Nähe fast jeder großen Stadt, und es ist nicht wahr, daß erst eine Temperaturumkehr in den erdnahen Luftschichten (Inversion) ihn auslöst; Sonnenlicht allein reicht aus. Für Smog gibt es gute Bedingungen in der Poebene genauso wie in Durban in Afrika, in Rio de Janeiro, Sydney und natürlich in New York und London. Jeder, der einmal über den Atlantik nach Amerika geflogen ist, hatte die Gelegenheit, die scharfe Dunstgrenze beim Anflug auf die Küste zu sehen. Wenn er dann nach Chicago weiterflog, wird er an den meisten Tagen die dichte Decke über den Städten bemerkt haben, sei es über Buffalo, Detroit oder über Chicago selbst.
Als ich für dieses Buch recherchierte, flog ich zum Oak Ridge National Laboratorium, 30 Kilometer von Knoxville in Tennessee entfernt. Draußen in Oak Ridge war die Luft kristallklar; aber als wir uns Knoxville näherten, wurde sie immer diesiger, und nach dem Start in Knoxville konnte ich den großen Smogteppich sehen, der windabwärts von der Stadt lag. Dabei ist Knoxville, verglichen mit Los Angeles, eine ziemlich kleine Stadt und Tennessee ein recht abgelegener und überwiegend ländlicher Staat.
Jedermann weiß, daß der Erie-See in den Vereinigten Staaten arg verschmutzt ist. Aber nur wenige wissen, daß die meisten der großen Seen in Europa bereits tot sind oder sterben. Der Zürichsee ist ohne Leben seit der Einführung eines sanitären Kanals Ende des 19. Jahrhunderts. Der Tegernsee, den viele für den schönsten See Deutschlands halten, wurde durch die Abwässer der anliegenden Hotels zu einem toten Gewässer. Die norditalienischen Seen, mit Ausnahme des Gardasees, wurden entweder durch industrielle oder städtische Abwässer oder durch beide verschmutzt. Der Ortasee mit seiner Insel und der alten Basilika ist völlig tot, schon seit den zwanziger Jahren. Die Liste geht weiter, vom Schliersee in Bayern über viele schwedische Seen bis zum Balatonsee in Ungarn.
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Sogar die Russen haben Verschmutzungsprobleme, und zur Zeit sind Bemühungen im Gange, den Baikalsee, den tiefsten Süßwassersee der Welt, vor den Abwässern einer wachsenden Holz- und Papierindustrie zu schützen. Der Baikalsee ist um ein Drittel größer als der Eriesee und spielt für die Russen eine beinahe mystische Rolle als Szenerie manch alter Legenden. Auch mit seinen Flüssen hat Rußland Verschmutzungssorgen. Darüber hinaus schaffen sich die Länder gegenseitig Probleme. Die Holländer an der Mündung des Rheins bekommen deutschen Schmutz frei Haus. Die Schweden beklagen sich, daß ihre Flüsse durch Schwefeldioxyd angesäuert werden, das aus deutschen und englischen Stahlwerken stammt und mit dem Regen herübergetragen wird.
Professor Larry Slobodkin vom Department für Biologie an der New Yorker Universität erzählte mir, warum schottische Fischzüchter Schwierigkeiten bekamen. Sie hatten bei ihren <Lochs> (Seen) die Ausflüsse verstopft, junge Fische eingesetzt, Futter in das Wasser gegeben und so große Mengen leicht zu fangender Fische gezüchtet. Die Nahrung, von der die Fische lebten, waren Larven von Krebsen aus der Bucht von San Francisco. Diese überstehen <schlafend> die Strapazen eines Transportes und liefern so ein gutes lebendes Futter.
Als aber die Bucht immer mehr verschmutzte, versiegte der Krebsvorrat, und man mußte eine andere Lösung finden. Der Große Salzsee bei Salt Lake City lieferte die gleichen Larven, aber als man diese in die <Lochs> einbrachte, starben alle Fische. Es stellte sich heraus, daß die Farmer in Utah Riesenmengen von Schädlingsbekämpfungsmitteln einsetzen, die dann schließlich auch in den Großen Salzsee gelangen und dort von den Krebslarven aufgenommen werden. Die Mengen reichten noch nicht aus, um sie zu töten; aber wenn die schottischen Forellen einige Hundert von ihnen verzehrt hatten und das Gift sich in ihren Geweben konzentrierte, erreichte die Giftkonzentration die tödliche Grenze. Auf diese Weise verhindert der Wunsch der Farmer in Utah, mehr Getreide zu bauen, die schottischen Bemühungen, mehr Protein zu produzieren.
Zweifellos hat man endlich die Umweltverseuchung als ein Hauptproblem erkannt; aber die Verseuchung ist nur das halbe Problem. Wir belasten nicht einfach unsere Umwelt mit Gasen, Säuren, Metallen und bestimmten Giften, die unsere Gesundheit gefährden. Wir verändern sie vielmehr auf jede nur mögliche Weise. Wir heizen sie auf und verschmutzen sie mit Staubpartikeln. Wir fällen ganze Wälder und legen freies Land unter Betonkrusten; wir rotten eine Tierart aus und züchten eine andere; wir sind ungeheuer laut und hinterlassen überall unsere Abfälle. Doch ist diesem Treiben eine Grenze gesetzt.
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Wenn wir im kleinen Maßstab Abwässer in Flüsse leiten, dann können die Flüsse sie auflösen und wegreinigen. 20 Kilometer flußabwärts ist dann das Wasser wieder sauber. Wenn wir aber große Mengen Abwässer ablassen, so töten wir schließlich die reinigenden Bakterien, und der Strom hat seine Reinigungskraft verloren. Dann wird er nicht einmal wie früher mit den kleinen Abwässermengen fertig. Das System ist zusammengebrochen.
Für diese gigantische Variante der Verschmutzung brauchen wir einen neuen Begriff: Ich will sie Superverschmutzung (super-pollution) nennen.
Das gleiche gilt ganz allgemein für alle Eingriffe des Menschen in seine Umwelt. Diese kann eine ganze Menge Wärme aufnehmen und eine ganze Menge Staub verkraften; sie übersteht einen beträchtlichen Aderlaß an Wäldern und nimmt es hin, wenn nennenswerte Anteile ihrer Oberfläche überbaut werden. Aber irgendwann wird der Punkt erreicht, an dem das ganze System zusammenbricht. Dies nennen wir eine ökologische Katastrophe, und wir wissen nicht, ob solche Katastrophen je wieder überwunden werden. Sie können unwiderruflich sein; genauso katastrophal wäre es aber, wenn man zu viel Zeit brauchte, um die Schäden noch einmal zu beheben.
Der Zusammenbruch, der die Biologen heute am meisten alarmiert, ist nicht eine einfache physikalische Veränderung der Luft oder des Wassers, sondern ein Zusammenbruch der biologischen Ketten von Ursache und Wirkung. Sie denken an Prozesse, wie sie Konrad Lorenz in seinem Buch <Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen> am Beispiel eines Aquariums beschreibt:
»Schon manchen, gleichviel ob Kind oder Erwachsenen, kam die Versuchung an, nur noch diesen einen schönen Fisch in den Behälter gleiten zu lassen, der ohnehin schon bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit seiner grünen Pflanzen mit Tieren besetzt war. Und gerade an diesem einen Fisch kann die so sorgsam gehütete und geliebte Welt des Aquariums zugrunde gehen. Denn sind zuviel Tiere darin, entsteht Sauerstoffmangel. Dem erliegt bald irgendein Organismus, dessen Sterben man vielleicht gar nicht bemerkt. Die faulende Leiche verursacht eine ungeheure Vermehrung der Bakterien im Aquarium, das Wasser wird trüb, sein Sauerstoffgehalt nimmt dadurch weiter stark ab, daran sterben weitere Tiere, und in lawinenartigem Anschwellen greift die Vernichtung um sich ...«
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Jede geschlossene Gesellschaft von Organismen, deren Leben vom Leben anderer abhängt, wird ein Ökosystem genannt (oikos griechisch für Haushalt). Aquarien und Raumschiffe sind einfache Beispiele, die nur wenige Arten enthalten, deren Beziehungen zueinander und zu ihrer Umgebung leicht zu verstehen sind. Das Raumschiff Erde ist ein riesiges Ökosystem — gelegentlich auch Ökosphäre genannt —, von dessen inneren Beziehungen wir immer noch sehr wenig wissen. Die Ökologen greifen sich daher bequeme Teilstücke heraus, wie beispielsweise einen Laubwald; sie untersuchen dann dieses Teilstück und vergessen dabei die weitere Umgebung und nehmen Erde und Klima als gegeben hin.
Die Katastrophe, die die Wissenschaftler erkannt haben, ist eine ökologische Katastrophe. Ihre Warnungen fanden deswegen so wenig Resonanz, weil nur einige wenige wissen, wie leicht zerstörbar und wie kompliziert solche Ökosysteme sind.
Superverschmutzung ist in einem noch viel umfassenderen Sinne ein weltweites Problem geworden wie die <einfache> Verschmutzung. Kohlenstoffdioxyd und Staubpartikeln, die schon heute beginnen, unser Klima zu beeinflussen, werden über die Atmosphäre weltweit verschleppt. Über Indien findet man Staub in einer Höhe von etwa 7 Kilometern über der Erdoberfläche. In dieser Höhe gibt es auch DDT*, und im Körper der Inder gibt es beinahe doppelt soviel DDT wie in dem eines Amerikaners, der wiederum doppelt soviel enthält wie der eines Briten. DDT ist in der gesamten Tierwelt verbreitet, sogar in den Pinguinen.
Der Bleigehalt des Pazifik und der Luft über dem Pazifik ist beträchtlich gestiegen, wenn man ihn mit den Werten der vorindustriellen Zeit vergleicht oder mit den Schneefeldern der Arktis. Cadmium kommt in den Nieren von Japanern in größeren Mengen vor als in Amerikanernieren. Es ist unmöglich geworden, einen Eimer Wasser irgendwo aus dem Meer zu schöpfen, ohne darin meßbare Mengen vom Menschen erzeugter Radioaktivität zu finden.
* Abkürzung für Dichlor-Diphenyl-Trichlorarethan, ein vor allem zur Schädlingsbekämpfung verwendetes Nervengift.
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Ist dies wirklich wichtig für uns? Der Mensch hat seine Umwelt auch in früheren Jahrhunderten mißbraucht. Die meisten der großen Wüsten entstanden durch Mißbrauch von Boden und Wasser. Die Rajputana-Wüste in Indien mit ihren 65.000 Quadratkilometern war einst dicht bevölkert. Dann aber wurde der hartgetretene Boden, der seine Vegetation verloren hatte, vom Wind weggeblasen. Der Sandboden veränderte das Wetter, und Regenfälle wurden immer seltener. Zu Zeiten der Römer lagen die Kornkammern des Reiches in Nordafrika; heute noch zeugen Schiffsanker und Ruinen von Landhäusern längst versunkenen Reichtums. Aber der Prozeß der Wüstung hat noch lange nicht aufgehört: Jedes Jahr verschlingt die Sahara weitere 27.000 Hektar.
Die Situation des Menschen unterscheidet sich in zwei wichtigen Punkten von der der Bakterien im Reagenzglas. Erstens ist er nicht unter sich, sondern ist nur eine von Millionen Arten, deren Existenz wiederum von vielen anderen abhängt. Die Vernichtung irgendeiner Art, von der der Mensch abhängt, kann daher den Menschen treffen, als ob er unmittelbar betroffen wäre. Zweitens lebt er nicht in einem unbeteiligten Glaskasten, sondern in einer sehr komplexen Umwelt aus Wasser, Luft, Erde und Energie. Die Beschädigung dieser Umwelt kann wiederum den Menschen direkt treffen oder auch indirekt, nämlich immer dann, wenn Arten betroffen sind, von denen er abhängt.
4 Viele Leute, große Sorgen
Wir sind zuviel Menschen, das ist unser Hauptproblem. Hätten wir eine Weltbevölkerung von 10 oder 15 Millionen, dann könnten wir unsere Umwelt verschmutzen, soviel wir wollten. Das Meer würde anstandslos alles Blei, alles Quecksilber und sonstigen ausgewählten Schmutz aufnehmen.
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Höchstens wenn wir uns, aus irgendeinem unwahrscheinlichen Grund, in einem halben Dutzend von Großstädten zusammendrängen würden, könnten wir einen ernst zu nehmenden Smog erzeugen. Unsere Energie und unser Staub hätten keinen meßbaren Effekt auf das Klima. Die gesamte Bevölkerung Englands zur Zeit Königin Elisabeths I. hätte mit einer einzigen Kernenergieanlage versorgt werden können. Natürlich könnten auch kleinste Strahlungsmengen bei Lebewesen Schäden anrichten, doch die Gefahr für das einzelne Individuum wäre sicher stark reduziert.
Umgekehrt haben bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden oder mehr auch die primitivsten Technologien gefährliche Auswirkungen. Die Abwässer, die diese sieben Milliarden produzierten, ließen sich nicht mehr von den Flüssen absorbieren. (Natürlich könnten wir derart viele Menschen nicht mit einer primitiven Technologie ernähren. Wir wären sicherlich auf Transportsysteme angewiesen, die die Nahrungsmittel vom Erzeuger zum Verbraucher bringen, ganz zu schweigen von Düngemittelfabriken und Motorpflügen.)
Kurz, je mehr Menschen es auf dieser Welt gibt, um so sorgfältiger müssen wir uns um unsere Technologie und ihre Nebenprodukte kümmern, um so enger wird unser Spielraum.
Die Weltbevölkerung, die sich zur Zeit alle 35 Jahre verdoppelt, soll um das Jahr 2000 etwa 7 Milliarden erreicht haben. Dies ist wahrscheinlich keine Überschätzung, denn alle früheren Vorhersagen haben sich als zu niedrig erwiesen — die Demographen glauben offensichtlich nur sehr ungern an ihre eigenen Zahlen und hoffen auf eine Abnahme der Wachstumsgeschwindigkeit. Aber bis jetzt gibt es dafür keine Anzeichen. Natürlich wird das Wachstum nicht aufhören, wenn die 7 Milliarden erreicht sind. Nach weiteren 30 Jahren könnten es wieder doppelt so viele sein — falls die Welt Mittel und Wege gefunden hat, 14 Milliarden wirklich zu ernähren.
Diese Riesenbevölkerung wird — so müssen wir annehmen — sehr viel weitgehender industrialisiert sein als heute. Entwickelte Länder — so erwartet man — werden ihre Produktion mindestens auf das Fünffache gesteigert haben. Auch die Entwicklungsländer werden zumindest weiterverarbeitende Industrien aufgebaut haben, gestützt auf ein ausreichendes Netz von Straßen, Flughäfen und Kraftwerken, und sie werden versuchen zu exportieren, was sie können, um eingeführte Nahrungsmittel und technische Hilfsmittel zu bezahlen.
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Die Technologie selber wird komplizierter und vielseitiger geworden sein. Zweifellos wird man neue Materialien erfunden haben, die man noch schwerer loswerden kann als Glas und Kunststoffe. Neue Arzneimittel, neue Chemikalien, neue Schädlingsbekämpfungsmittel mit unbekannten und unvermuteten Nebeneffekten werden erfunden werden. Es wird eine Fülle neuer Transportmittel geben: Luftkissenfahrzeuge werden dröhnend über Seen und Wiesen schweben und überall eindringen, wo es bisher noch Oasen der Ruhe gab, genauso wie heute schon das Schneemobil die Ruhe des Winters zerschneidet. Eine wilde Schar von Raketenenthusiasten wird wie Heuschrecken umeinanderhüpfen, während über allem die Super-Jumbos mit ihren Überschallknallen in 5 Stunden um die Erde kreisen.
Mehr Menschen mit mehr Technik werfen mehr Schmutz ab, sie zerstören in größerem Maße unsere Umgebung; es wird noch weniger Privatsphäre geben. Viel Schaden wird allein daher rühren, daß man notwendigerweise versuchen wird, die immer steigenden Zahlen hungriger Münder zu füllen und ihren Besitzern eine Behausung zu verschaffen. Das Dröhnen gefällter Bäume wird in den Explosionen ein Echo finden, mit denen man Kanäle und neue Häfen in die Landkarte sprengt.
Es ist offensichtlich, daß dieser Prozeß nicht endlos weitergehen kann: Wann werden wir den Katastrophenpunkt erreicht haben? Einige behaupten, die Erde könne 15 Milliarden Menschen ernähren, manche schätzen diese Zahl auf 30 Milliarden. 15 Milliarden könnten unsere Zeitgenossen noch erreichen, und diese Frage ist daher durchaus keine akademische.
Ich glaube, daß der Katastrophenpunkt schon viel früher erreicht sein wird, vielleicht sogar schon sehr bald.
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5 Ein Pyrrhus-Sieg
Wenn die Probleme dringlicher werden, wird der Mensch versuchen, ihnen zu begegnen; das ist ganz natürlich. Aber da er kaum etwas über die komplizierten Baugesetze seiner Umwelt weiß, könnten gerade seine Versuche, die Krise aufzuschieben, sie erst recht auslösen. Vielleicht wird die Natur selber Hand anlegen: Hungersnöte, Pest und Krieg waren die klassischen Mittel der Bevölkerungskontrolle. Eines dieser drei oder auch alle zusammen könnten die Weltbevölkerung drastisch reduzieren, bevor unsere Umwelt zusammenbricht, und dies würde eine neue Gnadenfrist bedeuten, eine neue Chance, die alten Dummheiten zu wiederholen.
Wir wissen heute, daß die Natur noch eine andere Trumpfkarte in der Hinterhand hat: Wenn Überbevölkerung Spannungen erzeugt, kann sie die Fruchtbarkeit an vielen Stellen unterminieren; Streß allein kann zu Tod und Krankheit führen. Dies ist die wahrscheinlichste Lösung, und es gibt Hinweise, daß sie sich heute schon abzeichnet.
Ich für meinen Teil glaube, daß der Mensch die meisten der in diesem Buch beschriebenen Gefahren meistern wird, aber nur mit ungeheuren Kosten und knapper Not. Ich fürchte, daß er gezwungen wird, ein Leben zu führen, das sich kaum noch zu leben lohnt. Durch ungeheure technische Anstrengungen könnte es ihm gelingen, den Boden wieder zu entgiften; er könnte wieder einen sauberen Himmel herrichten und wenigstens einige Flüsse wieder reinigen. Er könnte Hungersnöte vermeiden, wenn er verzichtet, Beefsteaks zu essen und statt dessen Algen und umgewandeltes Erdöl verzehrt, wenn er unnötigen Luxus wie Zucker und Alkohol opfert. Er müßte auf sein Privatauto verzichten und auch den Luxus eines Vollbades aufgeben.
Er wird vielleicht in Hallen und Tunneln in der Arktis leben müssen oder auf Meeresinseln. Einen Garten sein eigen zu nennen, wird er nicht mehr in der Lage sein, er wird nicht einmal mehr den Geruch frischen Grases nach einem Regen einatmen können.
Vielleicht könnte man die Menschen mit Drogen und durch besondere Erziehung dahin bringen, daß sie ein solches Leben ohne allzuviel Bedauern akzeptieren, aber was würde dies für ein Sieg sein?
Science-fiction-Autoren ernsteren Genres, George Orwell voran, haben uns vor einem Alptraum gewarnt, in dem der Mensch zwar weiter existiert, aber ohne Hoffnung, ohne Sinn, total frustriert.
Wieviel Befriedigung gäbe es in einer Welt, in der alle Gewässer zwar nicht völlig wertlos, aber doch zu verschmutzt wären, als daß man noch darin schwimmen könnte; in der man keinen Apfel mehr von einem Baum pflücken könnte, ohne eine Vergiftung zu riskieren, was hätten wir von einer Welt ohne Privatleben und ohne Ruhe, ohne grüne Felder und blauen Himmel... von einer Welt, in der die Menschen wie Hühner in einer Hühnerfabrik leben müßten. Gerade diese Lösung aber scheint die wahrscheinlichste.
Was wird das für ein Sieg sein? Eine Welt, in der jeder viele Stunden arbeiten müßte, um nur annähernd die Annehmlichkeiten zu erreichen, die die Natur bei einer geringeren Bevölkerungsdichte gratis liefern würde. Die Technologie wäre dann zum Hohn geworden. Wir würden in einer modernen Tretmühle leben, in der jeder wie wild treten muß, um überhaupt nur auf der Stelle zu bleiben. Und auch diese Lösung ist nur dann möglich, wenn irgendwann einmal die Bevölkerungszahlen stabilisiert und unter Kontrolle gebracht sein werden.
Was aber können wir tun?
Der erste Schritt ist immer noch der, so unglaublich das klingt, mehr Einblick in die Probleme zu gewinnen. Obwohl die Umweltverseuchung im engeren Sinne langsam anfängt, Blickfang öffentlichen Interesses zu werden — gegen den erbitterten Widerstand der <Verseucher> —, gibt es kaum eine tiefere Einsicht in das umfassendere und viel gefährlichere Problem, wie sehr wir unsere Umwelt als Ganzes zerstören. Darum geht es in diesem Buch. Es nennt die Probleme und diskutiert, was wir dagegen tun sollten.
Unser Feind ist die Zeit. Die Frage ist nicht: »Können wir mit den Problemen fertig werden?«, sondern: »Können wir in der Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, damit fertig werden?« Oder ist es bereits zu spät?
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Das Selbstmordprogramm (1970) The Doomsdaybook Von Gordon Ratray Taylor