Carl Amery

Global Exit

 

Die Kirchen und
der Totale Markt

 

 

2002 bei Luchterhand

2004 im BTB-Taschenbuch

Carl Amery (2002) Global Exit - Die Kirchen und der Totale Markt

2002    (1922-2005)

240 Seiten 

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Umweltbuch    2000-Buch 


Amery-1994     Amery-2005


Schui   Ferst   Rügemer   Krysmanski 

 

Grundriß

Es ist vorauszusehen, daß die Lebenswelt, wie wir sie kennen und bewohnen, im Laufe des anhebenden Jahrtausends zusammen­brechen und unbewohnbar werden wird. Es ist vorauszusehen, daß die Kirchen der Christenheit sehr bald, vielleicht im Laufe dieses Jahrhunderts, in völlige Bedeutungslosigkeit absinken werden. Es soll gezeigt werden, daß diese beiden Aussichten, wenn zusammen­geführt und ineinander gespiegelt, eine gewaltige Pflicht enthüllen – und eine gewaltige Chance gebären.

 


Verlagstext

 

Carl Amery, der jahrzehntelang die politische Diskussion in der Bundes­republik Deutschland entscheidend mitgeprägt hat, quält sich seit Jahren mit der Frage, wie die Erde als von Menschen bewohnbare Biosphäre überleben kann, wie wir für unsere Nach­kommen wieder eine Lebens­perspektive zurück­gewinnen können.

 

Es ist vorauszusehen - sagt er in seiner brisanten neuen Streitschrift - daß unsere Lebenswelt im Lauf des anhebenden Jahrtausends zusammen­brechen und unbewohnbar werden wird. Dieser Prozeß wird beschleunigt und unumkehrbar gemacht durch den Sieg des totalen Marktes, der auf dem Zenit seiner Macht und Wirksamkeit alle natürlichen Ressourcen verzehrt und sich wie eine allmächtige Religion als alternativlos darstellt.

 

Im zweiten Teil seiner schonungslosen Analyse sagt Carl Amery, daß die Kirchen der Christenheit sehr bald in völlige Bedeutungs­losigkeit absinken werden und daß sie nur durch die Übernahme des zivilisatorischen Auftrags, an nach­haltigen, biosphärisch verantworteten Kulturen zu arbeiten, ihre Vitalität und ihre heilsgeschichtliche Bedeutung zurückgewinnen können.

 

Folglich sieht er für die historischen Kirchen der Christenheit im 21. Jahrhundert einen einzigen zentralen zivilisa­torischen Auftrag, nämlich den Kampf gegen die Religion des totalen Marktes aufzunehmen und für eine bewohnbare Zukunftsgesellschaft zu wirken.

Die lateinamerikanische Befreiungskirche könnte ein Beispiel sein für den Exodus aus dem »Sklavenhaus des globalen Kapitalismus«.

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Lesen bis Seite 33 vom Verlag - pdf

 

Widmung, Hesekiel

Grundriß (9)

 

I. Die Reichsreligion

1. Zeit-Raum des Totalen Marktes (13) – 2. Ohnmacht und Allmacht (29) – 3. Hausmeister und Müllkutscher (35) – 4. Die Magd des Herrn (53) – 5. Seelsorge und Seelenentsorgung (66) - Fazit (82)

II. Christen im Pantheon

1. Amarillo, Texas: der eine Mexikaner – 2. Raum-Zeit der Christentümer – 3. Glück im Container – 4. Die Erblast oder: Kleider machen Leute – 5. Die gute Meinung – 6. Die wahre Lage: Exempel? Exil? Exodus? - 7. Kriterien der Befähigung – 8. Exkurs: Los hijos de la chingada -- Fazit

III. Das Notwendige – Wort und Tat

1. Zweckmäßig: Kreuzzug / Auszug – 2. Hindernisse weltlicher, akademischer und geistlicher Art – 3. Ziele und Ressourcen – 4. Die Füße des Idols (I) – 5. Die Füße des Idols (II) – 6. Und die Politik? -- Fazit: 1. Exitus?  2. Exodus!  3. Exit 

 

Nachwort (239)

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Eine Rezension
von Marko Ferst

 

Die Schattenseiten der Globalisierung aus dem Blickwinkel der politischen Kulturkritik Carl Amerys

Zur Kritik des Dogmas
vom totalen Markt

Notizen zu seinem neuen Buch *Global Exit*

umweltdebatte.de

 

 

(1) Erich Fromm; Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, München, 1991, S.141

 

(2) Hermann Scheer
Zurück zur Politik. Die archimedische Wende gegen den Zerfall der Demokratie,
München, 1995, S.31, 34  

 

 

 

Als Autor reicht Carl Amery weit über das Etikett eines Globalisierungskritikers hinaus. In seinem neuen Buch <Global Exit> gerät die gesamte Kultur­entwicklung des Menschen auf den Prüfstand, die demokratische Einbettung ebenso wie die ökologische Tragekapazität, die Frage nach der erneuerten kriegerischen Logik. All dies behandelt er unter dem zentralen Brennpunkt globalisierter Wettrenn-Gesellschaften.

Konnte im östlichen Lager von Gorbatschow vor der 89er Wendezeit noch von einem "neuen Bewußtsein" gesprochen werden, das nötig sei für eine emanzipatorische Entwicklung des Weltgeschehens, wie diffus das auch immer verortet war, so wird späterhin deutlich: Der neue Mensch hat sich der Verherrlichung des totalen Marktes unterzuordnen, so Amery. 

Freilich ist die individuelle Verarbeitung solcher sich verändernden Lebenswelten verschieden, doch den vom Autor skizzierten Menschen, der immer bereit ist zur sublimsten und allerhöchsten Dienstbereitschaft, wird man auf jeder beruflichen Qualifikationsstufe finden. Die sozialen Freiräume zum Ausscheren geraten immer enger, gleichwohl werden sie auch zu wenig neu besetzt. Sehr wahrscheinlich sind nicht wenige Menschen sozialpsychologisch gesehen schon zu sehr in jenen Denkstrukturen, die der totale Markt begünstigt, verfangen.

Der heutige Arbeitnehmer hat flexibel zu sein und soll jedes private Interesse nach Selbstverwirklichung, persönlicher Würde, die eigene Familie, demokratisches Engagement hinten anstellen, so dies hinderlich ist für den selbstlosen Einsatz in der Firma, für die er gerade arbeitet, führt der Autor aus. Kann der Arbeitnehmer aufsteigen in die nächstbessere Kategorie von abhängiger Lohneinkunft oder Scheinselbständigkeit, steht der Arbeitgeber gleichermaßen zur Disposition, doch das dürfte meiner Meinung nach eher die Option einer kleinen Minderheit sein.

Die Ausbreitung des Marketing-Charakters als immer stärkere sozialpsychologische Realität im Menschen wird durch die Anforderungen marktkonformer Lebensweise massiv verstärkt. Dieses Ich-bin-so-wie-ihr-mich-braucht zerstört die geistig-seelische Integrität der Gesellschaft, und zwar auf subtilere Weise, als dies über den Bevölkerungsschnitt gesehen im späten Pseudosozialismus möglich war.

Zwar kann die subtile Anpassung in den östlichen Verhältnissen, denke ich, nur unterschätzt werden, aber die Widerstände gegen diese Fremdbestimmung hatten sehr viel mehr Massenbasis als der heutige Protest gegen die Auswüchse weltumspannender Plutokratie.

Nach demokratisch-kapitalistischer Doktrin sollte die Marktwirtschaft gesteuert und beschränkt werden durch die Politik und die Kräfte der Zivilgesellschaft, schreibt Amery. Diese Bedingung läßt sich immer weniger erfüllen, auch wenn sie idealtypisch noch nie eingelöst wurde. Doch indem der totale Markt über seine ökonomische Machtakkumulation die Fundamente emanzipatorischer Gesellschaftsgestaltung unterminiert und zerstört, sprengt er auch jegliche zivilisatorisch-demokratische Ordnung.

Amery sieht den Kapitalismus als Parasiten des Christentums, der sich durch die Jahrhunderte hinweg immer erfolgreicher, oft genug durch religiöse Verkleidung getarnt, an allen Barrieren vorbei zu einer eigenen Reichsreligion entwickeln konnte. Zwar würde dies nicht ganz den strikten religionswissenschaftlichen Kategorien entsprechen und bringt sicher Einsprüche von säkularisierter wie religionsinteressierter Seite auf. Er verweist in diesem Kontext jedoch auf Walter Benjamins Auffassung, der Ähnliches schon viel früher festgestellt hatte. 

Die kapitalistische Religion funktioniere als Kult ohne Dogma. Anfügen könnte man auch Erich Fromms Interpretation, der in seinem Buch "Haben oder Sein" von einer Religion des Industriezeitalters spricht. Heilig seien darin die Arbeit, das Eigentum, der Profit und die Macht. Die Auflösung der Bande menschlicher Solidarität durch die Vorherrschaft des Eigennutzes und des gegenseitigen Antagonismus seien Charakteristika eines neuen Gesellschaftscharakters, auf den sich diese geheime Religion, die sich hinter der christlichen Fassade entwickeln konnte, stützen könne (1).

Der Glaube an den totalen Markt ist nicht nur von wirtschaftlichen Interessen konstituiert, er ist nicht nur ein fundamentalistisches System mit seinen eigenen Zeremonien. Amery sieht ihn in der hochpolitischen Funktion einer Reichsreligion nach Art des Imperium Romanum aufgestiegen, also einer heidnischen Religion wie sie vor der konstantinischen Wende von 312 herrschte. Man durfte unzähligen Göttern huldigen, aber gültig war und blieb, der Kaiserkult und dies galt als alternativlos.

Das Dogma globalisierter Marktmacht heißt: Alles hat seinen Preis, um gekauft zu werden. Wo der Preis noch fehlt, wird er festgestellt und verordnet. Mit diesem Herangehen wird der fundamentalistische Charakter dieser Art von religiöser Wirtschaftsordnung offenbar. Sie toleriert nichts anderes neben sich, gleicht darin dem angesprochenen Kaiserkult und kolonisiert den gesamten Lebensprozeß bis tief in die menschlichen Seelenstrukturen hinein.

In seinem 1994 erschienen Buch "Die Botschaft des Jahrtausends" spricht Carl Amery davon, unsere derzeitig herrschende Wirtschaftsreligion sei im Grunde ein System der Entrückung, ein geschlossenes System ohne wesentliche Berücksichtigung der Lebenswelt. Die Volkswirtschaftslehre werde unterrichtet wie eine Frohbotschaft. Hermann Scheer kombiniert die wirtschaftliche und politische Sphäre stärker und spricht von einer Selbstideologisierung des westlichen Systems. Es sei von sich selbst besessen, darin liege seine fundamentalistische Anlage. Es gehe um eine gezielte Ausdehnung der Einflußnahmen und Ausweitung seiner Operationsräume (2).

Was die heutige Heilslehre über die Segnungen globalisierter Marktmacht radikal vom römischen Kaiserkult unterscheide, sei die ungeheure Wirkmacht, führt Amery aus. Die Einschlagtiefe der heutigen Megamaschine in die biosphärischen Gleichgewichte stelle eine regelrechte Todesspirale dar. Der totale Markt sei die gesellschaftliche Ausformung eines Bierhefeprogramms. Die Crux dabei ist: weil der materielle Fortschritt so erfolgreich in dieser Konstellation gedeiht, bricht das Ganze an seinem Erfolg zusammen, wie eine üppig wuchernde Bierhefekultur. Daß zuvor durch den Freihandel extreme soziale Schieflagen produziert werden, bleibt ein Binnenproblem dieses Prozesses. 

Die Grenzen des Wachstums sind längst überrannt, und wer Nachhaltigkeit ohne eine Reduzierung unserer Energie- und Stoffverbräuche erreichen will, der lügt. Notwendig sei eine Schrumpfung unseres Wirtschaftsvolumens.

Als völlig unzureichend bezeichnet Amery auch die Ökoablaßkrämerei, wo dann in die bisherige unökologische Industriestruktur ein Stockwerk Umwelttechnologie eingesetzt wird. Reparaturbetrieb und ein Schrebergarten "Politikfeld Umwelt" seien nicht mehr hinnehmbare Denkfaulheiten. Gemeint ist, daß die Rahmenbedingungen für die Existenz unserer Zivilisation ausgeblendet bleiben. Wenn das Weltklima in einen völlig neuen Zustand gesprungen sei, schwer überlebensfähig für die Gattung Mensch, dann wäre das für jedermann offenkundig. Nur dann mit dem gesellschaftlichen Lernen anzufangen dürfte gründlich zu spät sein. Wir bräuchten eine solare Energiewende, eine Revolution bei der Effizienz im Gebrauch unserer Ressourcen und eine Abkehr von Konsumidiotie, also eine kreative, intelligente Selbstbegrenzung.

Wie ist das nun aber mit dem Widerstand gegen die totale Globalisierung, deren Widerparte sich in Buchstabeninstitutionen wie: WTO, IWF, GATT etc. verschanzen?

Amery thematisiert die Welle des Unmut und der Revolte, die immer stärker die Arena öffentlicher Aufmerksamkeit erreicht. Er schätzt ein, die Dichte des Widerstandes ist nach wie vor zu gering und die Ziele der Bewegung sind, soweit erkennbar, zu weit auseinanderliegend. Fehlen würde nach seiner Meinung die Festigkeit der Perspektive. Der Angriff auf die Religion des totalen Marktes müsse sehr genau auf ein erkennbares Ziel gerichtet werden. Die Globalisierung sollte in ihrer weltsozialen Ungerechtigkeit und ökologischen Zerstörungskapazität als eigene existentielle Bedrohung erkannt und erfühlt werden.

Amery sieht, daß die Kirchen in diesem Jahrhundert zu völliger Bedeutungslosigkeit herabsinken könnten. Jedoch verfügen sie über einen eminenten Vorzug. Sie brauchen nicht wie Parteien der Demoskopie hinterherzuhecheln oder werden von Aktionären und Pensionsfonds über die Quartalsbilanzen geprüft. Sie hätten die Freiheit, die Konfrontation mit dem herrschenden Mammon zu wagen. Das Herangehen des Autors läßt aber auch darauf schließen, er sucht zunächst mal eine Adresse, die er ansprechen kann. Gemeint ist am Ende schon jeder der mit wachem Auge diese Prozesse verfolgt.

Recht sparsame Auskünfte erteilt die politische Streitschrift unter dem Gesichtspunkt, wie könnte denn alternative Gesellschaft gestaltet sein.

Ich bezweifle, daß man dies immer wieder in die Zukunft hinein vertagen kann. Schmidt-Bleek dürfte von der Dimension her richtig liegen, wenn er eine Dematerialisierung unserer Industriegrundlast um den Faktor Zehn hierzulande für notwendig hält, blanke Ketzerei also für eine Politik und Wirtschaftswelt, die permanent auf ökonomische Zuwachsraten stiert. Das würde natürlich Konsequenzen gravierendster Art für die materiell-technische Infrastruktur und die sozialen Strukturen unserer heutigen Lebenswelt haben.

Einige Hinweise gibt der Autor aber schon: 

Die globalen Finanzspiele sind auch gespeist aus unseren eignen Spareinlagen, Aktien, Fonds und Renten. In jedem Fall sind sie Teil der Mammonmacht, und wir sollten unsere Verantwortung dafür wahrnehmen. Wird damit gerade das nächste Stück Regenwald abgeholzt, von überbezahlten Wissenschaftlern die viereckige Tomate erschaffen oder das nächste klimaschädliche Kohlekraftwerk errichtet? Ein wichtiger Entscheidungspunkt ist auch der Erbgang. Jedes Jahr werden riesige Summen auf die Nachkommen übertragen. 

Eigentlich soll es der nächsten Generation davon (in aller Regel jedenfalls) besser gehen. Doch dieser Sinn wird in sein Gegenteil verkehrt, und man zerstört in raschester Folge das biosphärische Erbe mit diesem Angesparten. Das ausbeuterische Treiben der Renditewirtschaft sollte besser mit einer kommunitären Initiative konfrontiert werden, in Form von alternativen Stiftungen, mit denen regenerative Energien gefördert würden, eine kindgerechtere Pädagogik und anderes mehr.

Kreditsysteme mit Niedrigzinsen könnten ökologisch wirtschaftenden Kooperativen unter die Arme greifen. #

 

 

 

 Lesebericht DLF

Politische Literatur

Deutschlandfunk 18.2.2002

PDf-DLF

Von Bernd Leineweber 

Moderation: Karin Beindorff

URL

dlf  carl-amery-global-exit

 

 

"Ich glaube an Gott; und ich glaube an den freien Markt", so lautet das Lebensbekenntnis von Kenneth Lay. Lay war der Boss des New Economy Konzerns Enron, der gerade die US-amerikanischen Gerichte beschäftigt. Sie müssen nun herausfinden, wie die betrügerische Pleite dieses Unternehmens zustande kam.

 

Frömmigkeit und die feste Überzeugung, ein freier Markt ohne jeglichen regulierenden oder kontrollierenden Eingriff des Staates sei das Beste für die Menschheit, gehören in den USA - und nicht nur dort - oft zusammen.

Der feste Glaube an Gott hindert das eine oder andere Schäfchen aber nicht daran, sich die Taschen vollzuschaufeln, auch wenn, wie im Falle Enrons, Tausende Mitmenschen dabei in den sozialen Abgrund gerissen werden.

Bloßes Gottvertrauen kann es bei Kenneth Lay offenbar auch nicht gewesen sein, denn er hat in die politische Karriere von George W. Bush vorsichtshalber knapp 600.000 Dollar investiert.

 

Manch anderem frommen Zeitgenossen ist der ungehemmte Markt eher ein Dorn im Auge. Zu ihnen zählt der Schriftsteller Carl Amery. Er gehörte einst zur Gruppe 47, war PEN-Präsident und hat sich mit zahlreichen Schriften gegen Aufrüstung, Umweltzerstörung und das Treiben der katholischen Kirche einen Namen als provokanter Kritiker gemacht.

In seinem neuesten Buch nimmt sich Amery das Verhältnis der Kirchen zum schrankenlosen Markt vor.

 

"Global Exit" heißt das Werk, und Bernd Leineweber hat es für uns gelesen.

 

 

 

"Sprich als Prophet", sagt Gott zu Hesekiel im Anschluss an die Klage des Propheten über die Totengebeine, die Carl Amery seinem neuesten Buch als Motto voranstellt. Und so spricht er als Prophet, schärfer, böser, unerbittlicher denn je, er schimpft und wettert, denn alle reden vom Wetter, aber viel zu wenige nehmen die sich anbahnende Klimakatastrophe wirklich ernst.

Brauchen wir daher nicht tatsächlich Propheten, die uns aufrütteln, die millenarischen Posaunen, die zu Jahrtausendwenden aufhorchen lassen, und die apokalyptischen Szenarien, die der Terror verbreitet, um endlich zu begreifen, dass unsere biologische Existenz auf dem Spiel steht, nachdem uns Wissenschaftler über das Ausmaß der biosphärischen Krise im Unklaren lassen und die Philosophen schweigen?

Nur mit der Sprache des Mythos scheint es noch, wenn wir Amery folgen, möglich zu sein, die Sache beim Namen zu nennen:

Die biosphärische Krise [ist die] bedeutendste Herausforderung der Menschheit seit der Sintflut.

Amery ist einer der letzten noch übrig gebliebenen Propheten des ökologischen Desasters, nachdem es zu Beginn der Ökobewegung deren viele gegeben hat. Von Leuten wie Ivan Illich, E.F.Schumacher, Murray Bookchin, Barry Commoner oder Herbert Gruhl ist kaum noch die Rede, auch nicht in der grünen Partei.

Dafür, dass es zunächst einmal aus ist mit dem alten Radikalismus der grünen Bewegung, ja überhaupt mit klaren Benennungen der sich unter unseren Augen beschleunigenden Katastrophe, bietet Amery eine historische und politische Erklärung an: Es ist der Totale Markt, der seit dem Zusammenbruch des Sowjetreichs alternativlos gewordene und neoliberalistisch entfesselte Kapitalismus, der alle nennenswerten politischen Gegenkräfte neutralisiert oder vereinnahmt und damit eine destruktive Macht erlangt, gegen die der totale Krieg der Nazis, wie Amery meint, nichts weiter als ein Vorspiel war.

Der schrankenlose, von sozialpolitischen Einschränkungen entbundene, "deregulierte" und von der Konkurrenz mit sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen befreite Kapitalismus ist Amery zufolge eine Religion ohne Transzendenz, die nur - wie im Römischen Reich vor Konstantin - Unterwerfung und einen Kult verlangt, den Kult des Profits und des Konsums.

Der Totale Markt erfüllt alle Kriterien einer Religion. Sein Dogmenbestand ist transzendenzarm und banal; seine oberste Maxime lautet: Alles hat seinen Preis, und wenn etwas noch keinen hat, wird er ihm angeheftet. Trotzdem (oder gerade deshalb) ist er zur alternativlosen Instanz der globalen Entscheidungen geworden. Nach der demokratisch-kapitalistischen Doktrin sollte der Markt einerseits durch die Politik, andererseits durch die Kräfte der Zivilgesellschaft gesteuert und in Schranken gehalten werden. Weder die Politik noch die Zivilgesellschaft erfüllen diese Bedingung. Sie ist zunehmend unerfüllbar, weil der Totale Markt selbst ihr Fundamente zersetzt... Der Totale Markt nimmt die Funktion einer Reichsreligion wahr, die strukturell ziemlich genau der des spätrömischen Kaiserkults entspricht... Was ihn jedoch radikal vom römischen Kaiserkult unterscheidet, ist seine Wirkmacht: In der evolutionär entfalteten Biosphäre wirkt der Totale Markt als Todesmaschine.

Was der religiöse Gehalt des Totalen Marktes in religionswissenschaftlicher Hinsicht ist, darüber will sich Amery nicht weiter äußern. Ihm kommt es darauf an, sich mit seiner Analyse des Totalen Marktes als einer Religion ohne Gott - bzw. einer Religion des Gottes Mammon - eine Plattform für den letzten noch denkbaren Widerstand gegen die "Todes­maschine" zu schaffen: Es sind die Kirchen, die sich auf die Rolle besinnen müssen, die das Christentum gegenüber der alten Reichsreligion gespielt hat. Wenn der Totale Markt als "Reichsreligion" definiert wird, die politische Alternativen nicht zulässt, dann kann der Widerstand nur durch echte Religiosität kommen:

Es liegt an den Kirchen, ob sie die drohende erd- und menschheitsgeschichtliche Katastrophe in einem heilsgeschichtlichen Zusammenhang, also in einem religiös bedeutungsvollen Zusammen­hang, sehen oder nicht. ... Tun sie dies nicht, bleibt ihnen nur der Rückzug in den naiven Fundamentalismus, der die Verantwortung zurückweist und auf Erlösung von außen und oben setzt, ohne sich der Vermessenheit solcher Hoffnung bewusst zu werden... Wenn man sich den religiös-fundamentalistischen Charakter und vor allem die Allmachtpraxis des Totalen Marktes klargemacht hat, ist es schwierig nachzuvollziehen, wie die Christentümer eine solche Konfrontation vermeiden wollen, ohne ihre eigene Zukunft und vor allem ihren Heilsauftrag in Frage zu stellen.

Was Amery, der aufsässige und ungeliebte, aber verzweifelt treue Sohn seiner Kirche hier unternimmt, ist der zweifelhafte Versuch, die Zukunft der planetarischen Lebenschancen mit denen der Kirchen zu verkoppeln. Angesichts der religionswissenschaftlich ungeklärten Charakterisierung des heutigen wirtschaftlichen und politischen Systems als einer Religion und der Art und Weise, wie Amery diese Argumentation entfaltet, fragt man sich manchmal, worum es ihm mehr geht: die Rettung der Biosphäre oder die Rettung der Kirche.

Es ist jedenfalls eine verzweifelte Argumentation, und das nicht nur, wenn man an den Rückhalt und die Einfluss­chancen der Kirchen in den heutigen westlichen Gesellschaften denkt. In Europa sind die Kirchen nahezu bedeutungslos geworden, und in den USA sind sie Propagandazentralen der überwiegend neoliberalistisch eingestellten moral majority.

Verzweifelt ist diese Argumentation auch nicht nur, wenn man sich die historischen Erfahrungen des Umgangs der Kirchen mit den jeweiligen weltlichen Mächten vor Augen hält. Sondern wie ist eine, wenn auch wünschenswerte, Radikalopposition der Kirchen denkbar, wenn es doch vor allem das Christentum und die Kirchen selbst waren, die mit der jahrhundertelang gültigen katholischen Arbeitsethik und protestantischen Erwerbsethik zur Entstehung unserer modernen Wirtschaftsmentalität beigetragen haben?

Der "Geist" des Kapitalismus ist christlichen Ursprungs, er ist geprägt worden durch die christliche Glaubensauffassung von der Ebenbildlichkeit des Menschen mit dem monotheistischen Schöpfergott und durch dessen Auftrag: "Macht euch die Erde untertan". Aus dieser theologischen Grundannahme des Christentums ging das Menschenbild der "Krone der Schöpfung", des Herren über die Natur, des Schöpfers und Schaffers hervor, das nur noch säkularisiert zu werden brauchte, damit die moderne Wirtschaftsgesellschaft mit ihrem auf den systematischen Einsatz von Wissenschaft und Technik gestützten, aktivistischen und produktivistischen Vorurteil die physischen und kulturellen Ressourcen der Erde bis zum absehbaren Ende ausbeuten kann. Über diese Frage darf sich das beeindruckende Engagement des großen alten linkskatholischen Ökoradikalen nicht hinwegsetzen, sondern hier besteht ein religionswissenschaftlicher Klärungsbedarf, der über den Sinn seiner Kapitalismuskritik entscheidet.

Denn wenn das Weltbild, das dem Totalen Markt zugrunde liegt, und das christliche - das sich in dieser Hinsicht von allen anderen Religionen unterscheidet - grundsätzlich darin übereinstimmen, dass Natur und Menschenwelt "Schöpfung" sind und die Menschen mit oder ohne göttlichen Auftrag gehalten sind, die nichtmenschliche, von ihnen absolut wesensverschiedene Natur sich untertan zu machen und ihre Lebensbedingungen mit immer perfekteren Mitteln der Naturbeherrschung zu ihrem immer größeren Wohl permanent umzuformen, dann taugt das Christentum nicht zum Einspruch gegen den entfesselten Kapitalismus. Vielleicht wäre eher von der Annahme auszugehen, wie es viele Ökokritiker tun, dass der Totale Markt nicht eine Religion, sondern das Ergebnis der Säkularisierung und Profanisierung der christlichen Religion ist. Dann läge die Rettung bei einem kulturell anders codierten Verhältnis zwischen Mensch und Natur und nicht bei einem Gott, der von dem Verderben erlösen soll, das er selbst in die Welt gesetzt hat.

Bei Carl Amery kann jedenfalls der Eindruck entstehen, dass er, wenn er die Kirchen zur Opposition gegen die biosphärische "Todesmaschine" aufruft, den Teufel mit Beelzebub austreiben will. 

 

Von Bernd Leineweber 

 

 

Der Zornige - Carl Amerys säkulare Predigt gegen den totalen Markt

 

Aus: Süddeutsche Zeitung

9.4.2002 

MATTHIAS DROBINSKI

 

Quelle:

www.sueddeutsche.de  

 

 

Es ist ein wütendes Buch, sarkastisch und zugleich von verzweifelter Hoffnung. Man kann es als literarisches Vermächtnis lesen - Carl Amery, der große Linkskatholik, Überlebender des NS-Terrors, redet Kindern und Kindeskindern ins Gewissen: Kehrt um. Zieht fort von den Fleischtöpfen Ägyptens. Oder ihr werdet untergehen, als Götzendiener einer weltzerstörenden Reichsreligion.

Es herrscht eine Reichsreligion in der westlichen Welt, sagt Amery in Anlehnung an Walter Benjamins Aufsatz "Kapitalismus als Religion": der "totale Markt". Diese Religion kommt, wie der römische Götterdienst, ohne Transzendenz aus; er duldet Götter neben sich und hat selbst nur ein Dogma:
Alles hat seinen Preis. In der Hölle landen die Zahlungsunfähigen, vor allem in der "Dritten Welt". "Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultes", zitiert Amery Benjamin.
Verweigert sich einer, kommt die Marktpolizei, am Ende mit Schusswaffengebrauch.
TINA, auf diese Abkürzung lasse sich alles reduzieren: "There is no alternative". Weil aber die Zerstörung der Lebensgrundlagen droht, steht nun die Alternative an, der Auszug aus Ägypten, der Bruch mit der Reichsreligion. Und wie Moses sein Volk den unbequemen Weg von den Fleischtöpfen in die Wüste trieb, so sollen die christlichen Kirchen das Volk vor dem ökologischen und sozialen Desaster retten.

Ja, Amery hat Recht, wie ein Literat Recht haben kann, der eine Fastenpredigt wider das Fressen ad nauseam geschrieben hat, eine trotz des ökopaxbewegten Wörtervorrats konservative Polemik gegen den Materialismus der Satten, die das Nächstliegende zum Einzigen erklären, um nicht weiterdenken zu müssen: TINA.
Er hat Recht, wenn er die Mode geißelt, das Leben und alle seine Äußerungen als ökonomische Rechnung zu betrachten: Spätestens dann wird die Mode zum Zynismus, wenn die Gutmenschen unter den Ökonomiegläubigen beginnen, den Wert eines behinderten Kindes für die Gesamtgesellschaft zu errechnen. Er hat Recht, wenn ihm vor den Regierungen der Industrieländer graust, die sich von Klima-Konferenz zu Umweltkongress in die Öko-Katastrophe tanzen. Und auch, wenn er sich von den Kirchen wünscht, sie mögen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zum Status Confessionis erklären.

Da verzeiht man Amery, dass unter dem Schwung der Predigt die Genauigkeit leidet, er Markt mit Kapitalismus verwechselt, er sich, wenn es um Ökonomie geht, mehr auf den Holzschnitt als auf den Kupferstich versteht. "Global Exit" muss in keiner Fachdiskussion bestehen, es ist ein Werk zur Aufrüttelung der halb und ganz Überzeugten.
   Andererseits - kommt nicht genau daher die leise Langeweile: dass man schnell ahnt, wie das Buch enden wird? Dass man vielleicht nicht so heftig zum Kopfnicken gebracht werden möchte, wenn man ein globalisierungskritisches Buch liest?

 

In welche Gefahren das Stilmittel der säkularen Predigt Carl Amery bringt, zeigt sich, wenn es um die Alternativen geht.

Er landet, nicht unlogisch, bei den Nachfahren von Silvio Gesell, bei den Zinskritikern, den Anhängern des Schwundgeldes: Geld, das auf der Bank liegen bleibt, wird auf Dauer nicht mehr, sondern weniger wert.

Schwundgeld zwingt zum Konsum, zum exzessiven Wachstum, zur überhitzten Konjunktur - alles, was Amery auf den Seiten zuvor gegeißelt hatte. Und so geht es ihm wie den meisten Malern des apokalyptischen Genres: Die Hölle kriegen sie farbig hin. Der Himmel aber bleibt blass.

 

 

 

Hans Steiger  neuewege.de   

Exakt zum Frühlingsbeginn wurde nach zehn Jahren intensiver Forschung der Schlussbericht des Schwerpunktprogramms Umwelt Schweiz vorgelegt. Fazit: Wir sind der Nachhaltigkeit seit der Alarmphase nicht näher gekommen. Und was mit der "Vision Lebensqualität" als "ökologisch notwendig, wirtschaftlich klug, gesellschaftlich möglich" skizziert wird, dürfte heute in einer breiteren Öffentlichkeit kaum noch Interesse finden.

Carl Amery, der sich als einer der Ersten den ökologischen Fragen stellte und von den einstigen Mahnern nun als einer der Letzten an ihrer zentralen Bedeutung festhält, zieht in seinem neuesten Buch noch radikaler Bilanz: "Wir stecken im grössten Fauna- und Floraschnitt der Erdgeschichte." Mit den menschlichen Errungenschaften wurde eine Dynamik ausgelöst, die nun vielleicht zum ersten Mal "die ausgleichenden Fähigkeiten der Biosphäre übersteigt". Und politische Abhilfe ist nicht in Sicht. Selbst die Parteien, welche in vielen Wohlstandsländern mit dieser Absicht antraten, "verschwinden im Konsens, weil sie wie alle andern von Mehrheitsstimmungen abhängig sind". Wie die anderen leisten sie heute Ordnungs- und Entsorgungsarbeiten für den Totalen Markt, betreiben Öko-Ablass-Krämerei. Nachhaltigkeitsreden werden dann zu Lügen.

Hoffnung, wenn überhaupt, gibt es für Amery nur, wenn mit der Religion des Totalen Marktes gebrochen wird. Diese übernahm als neue "Reichsreligion" die Macht, teils mit Hilfe des Christentums, teils an diesem vorbei. Sie kultiviert in unseren Breiten "eine nekrophile Harmonie", einen "Heroismus des kollektiven Selbstmords". Dass der Autor, bekannt als kritischer Katholik, nun ausgerechnet die Kirchen als mögliche Träger des Widerstands sieht, überrascht. Doch seine Erinnerung an den grossen Aufbruch der Befreiungstheologie, der in Lateinamerika mit Rückendeckung der Bischofs­konferenz erfolgte, ist tatsächlich mitreissend. Wo ist sie geblieben? Sie scheint gescheitert, hat sich aber "metastasenartig über alle Kontinente der Armut verbreitet". An sie muss eine Kirche heute anknüpfen, die Zukunft haben will. Oder sie geht unter, taucht wirkungslos ab "in trauliche sektiererische Seitenkapellen". Mit modischer "Anpassung an die Marktseelsorge" wird der Zerfallsprozess nur noch beschleunigt.

Wenn die Kirche in unserer Zeit verantwortlich handeln will, gegen die "immer raschere Zersetzung der sozialen Gewebe, die immer raschere Zerstörung unserer moralischen und physischen Lebensgrundlagen", gegen die "Zerstörung der Schöpfung, wie wir sie kennen", dann heisst das Konfrontation. Kampf ist angesagt. Nicht für eine neue Utopie, sondern "gegen die sehr schlechte, in der wir leben".

Die christlich-kapitalistische Symbiose muss beendet werden. Statt dessen braucht es Zusammenarbeit mit allen gesellschaftlichen Kräften, die diese Notwendigkeit erkennen. Längst sind engagierte Christinnen und Christen in deren Reihen. Carl Amery sieht wertvolle Guthaben, materielle wie immaterielle, die einzubringen wären. "Bodenbesitz, Gebäudekomplexe, jede Menge grosse Kirchendächer in Südlage", erprobte Formen der kleinräumigen Organisation, auch eine überdurchschnittliche, oft sogar opferbereite Loyalität: "Der lange Atem". Für den neuen Weg ist eine tiefe Selbstreflexion nötig. Und dabei wäre "viel, ja fast alles von der Frömmigkeit agnostischer Biologen, Astrophysiker, Systemanalytiker zu lernen".

Weil ich zuvor - einer Empfehlung im Januarheft der Neuen Wege folgend - von Carola Meier-Seethaler "Jenseits von Gott und Göttin" las, befremdete mich die Frömmigkeit als Begriff in diesem Zusammenhang nicht mehr. Die neue spirituelle Ethik, welche diese Autorin als Basis für neue ethische Entscheidungen postuliert, macht solche Brücken vorstellbar. #


 

Die Kirchen und der totale Markt - Von Armin Kratzert

Dieser Mann hat eine Mission. Er trägt seine Botschaft in die Welt, und die lautet: Stoppt den allmächtigen Kapitalismus, bevor er unsere ganze Welt in den Untergang reißt. Carl Amery redet und kämpft und schreibt, unerschütterlich, und das seit Jahrzehnten. Nach vielen erfolgreichen Romanen ("Das Königsprojekt") und Sachbüchern ("Die Kapitulation", "Hitler als Vorläufer") erschien jetzt, kurz vor Amerys 80. Geburtstag, sein neues Buch "Global Exit. Die Kirchen und der totale Markt", eine kämpferische Streitschrift, die wortgewaltig analysiert, wie der moderne globalisierte Kapitalismus, den Amery eben als "totalen Markt" bezeichnet, unsere Lebenssphäre gänzlich und unumkehrbar zu vernichten droht.

Carl Amery, der Katholik und Mitbegründer der Grünen, der sieht, wie Politik und Gesellschaft inzwischen außerstande sind, die Globalisierung zu kontrollieren, fordert, dass die Kirchen, selbst davon bedroht, in Bedeutungslosigkeit zu versinken, ihren Auftrag neu definieren und den Kampf gegen die "Religion des Totalen Marktes" aufnehmen.

Amerys Buch ist eine brillant geschriebene Provokation, anschaulich, mitreißend, voll desillusionierter Analysen und kluger Beobachtungen. Ob man die globalisierte Marktwirtschaft gleich als "Reichsreligion" bezeichnen muss, ob es notwendig ist, vom "Totalen Markt" in Analogie zu Hitlers "Totalem Krieg" zu sprechen und ob es wirklich logisch ist, auf die Kirchen als Kontrollorgan wirtschaftlicher Entwicklungen zu setzen, statt darüber nachzudenken, wie Politik und Gesellschaft wieder instand gesetzt werden können, ihre Aufgaben wahrzunehmen, darüber lässt sich trefflich streiten: Und genau das anzuregen, ist wohl auch Carl Amerys Absicht… #

 


 

Carl Améry kämpft für ein Erbarmen mit der Welt      von Elisabeth von Thadden  

Aus: Die Zeit, 15/2002   Quelle: die-zeit.de

Es gibt noch Worte, wenige, die sich gegen reine Weltlichkeit sträuben, die also menschliche Geschichte, außermenschliche Natur und den Gott der Bibel nah beieinander halten: Solch ein (zumal unter Intellektuellen) fast unübliches Wort ist das Erbarmen. "Was blieb, was dem Christentum, auch nach dem Urteil Außenstehender, bis heute verblieb, war und ist das Erbarmen. Es blieb und bleibt den Kirchen angeheftet, ob sie selbst es deutlich gewahren oder nicht."

So steht es in Global Exit, dem neuen Buch von Carl Améry, das - ohne weiteren Aufschub zu dulden - die Kirchen auffordert, gegen den Kult eines "Totalen Marktes" anzutreten, der mit der Schöpfung ohne Erbarmen verfährt.

Das Erbarmen als "Erbbestand der europäischen Kultur" zu verstehen, das sich in den "großen säkularen Aufständen der Neuzeit" - nein, nicht manifestiert, sondern eben "offenbart", das vermag nur ein Intellektueller, der die Unerlöstheit der Kreatur und das politische Handeln zusammendenken will. Sei es um den Preis, dass sich diese Haltung in der Theorie nicht begründen lässt; sich also rhetorisch statt des Arguments oft der Assoziation, der Metapher, des Appells bedient.

Ein solcher Denker, weltlich in seiner Lebensfreude und Bildung, schöpfungsfromm, katholisch in seinem weltumspannenden Kirchenverständnis, politisch in seiner - beinahe - verzweiflungsresistenten Orientierung aufs dezentrale Handeln, ist der Schriftsteller Carl Améry, der am 9. April 80 Jahre alt wird. Fünffacher Vater übrigens, verheiratet seit einem halben Jahrhundert. Ein politischer poeta vates, ein Warner und Seher unter den Dichtern, zugleich mit der luziden Wahrnehmung des Tagesgeschehens begabt, der sich nicht an die Vorstellung gewöhnen will, dass eines Tages auf Erden kein Mensch mehr wohnt, weil jede Ressource verbraucht, jede Quelle versiegt ist.

Eine "Kultur der kollektiven Selbstmordvorbereitung": So nennt Améry in Global Exit eine Kultur, die sonst meist das zivilisierte Abendland heißt. Deren oberstes Gebot lautet: "Alles hat einen Preis - ergo, alles kann gekauft werden", und weil Améry diesen Grundsatz verantwortlich macht für den Ruin der Welt, für die Suggestion, dieses Gebot sei ohne Alternative, ringt er um die Alternative. Sie offenbart sich nur, würde der alte Mann wohl sagen, wenn wir kämpfen. #

 

 

 

 

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Ist das nicht das, was wir täglich in den MEDIEN serviert bekommen?    2007   Von K. Gerald, Bad Mitterndorf 

Bei allem Respekt vor Amery: Ich weiß nicht, was ich zu diesem Buch sagen soll - ich hab' es bald weglegen müssen: Es ist sehr schwierig zu lesen, es überfrachtet einen mit Aussagen, die wir schon lang kennen. Dem, dem die KONSUMWELT und alles, was dazu gehört, schon längst auf die Nerven fällt, bringt es nicht viel Neues.


Ein tolles Buch   2002  aus Wien

Selten in den vergangenen Jahren habe ich ein so fesselndes Buch gelesen. Visionär und mit großem Weitblick beschreibt Carl Amery den derzeitigen Zustand der Welt und wie die christlichen Kirchen, ja jeder Einzelne darauf reagieren können. Die Einordnung unter dem Oberbegriff "Umwelt" wird dem Buch nicht gerecht, genausogut könnte - und sollte - es unter Religion, Politik oder Geschichte zu finden sein.


Kirche gegen den Totalen Markt?     2002  Joachim Kappler aus Hosena

Carl Amery definiert die globalisierte Weltwirtschaft, den "Totalen Markt", als neue "Reichsreligion" analog zum Kaiserkult des antiken römischen Reiches. Von den Kirchen erwartet er offensiven Widerstand, so wie sich damals die Urchristen der scheinbaren Alternativ­losigkeit nicht beugten. Bei seiner Analyse verwendet C. Amery anschauliche Texte und Symbole aus der Bibel. Es fällt aber auf, dass er die genau dazu passenden Bilder aus der Offenbarung des Johannes, Kap. 14-18, meidet. Ein lesens- und nachdenkenswertes Buch, das besonders in den Kirchen diskutiert werden sollte.

 


 

Die Kirchen und der totale Markt - nicht nur für Kirchgänger   2002 von doris aus München  

Der gläubige Katholik Carl Amery sorgt sich um den Zustand der Welt und er ist überzeugt, dass die Kirchen viel zu seiner Heilung tun können, wenn sie sich von der zur Zeit herrschenden Staatreligion, der Anbetung des Gottes Mammon, abwenden.
Die Situation im spirituellen Bereich ist heute mit der vor dem Jahr 312, der konstantinischen Wende, vergleichbar. Auch damals gab es im römischen Kaiserreich eine schier unüberschaubare Vielfalt von Religionen und Kulten und alle wurden toleriert – unter einer Voraussetzung: Sie mussten die Reichsreligion, die Göttlichkeit des Kaisers anerkennen und ihm das eine Körnchen Weihrauch opfern, das diese Anerkennung symbolisierte. Heute hat der totale Markt diese Rolle übernommen und auch er toleriert alle Religionen unter der gleichen Voraussetzung. Wobei aus dem „einen Körnchen Weihrauch“ Konsum und markt­gerechtes Verhalten geworden ist.
   So ist auch dieses Körnchen Weihrauch zum Grundproblem geworden. Die Biosphäre kann den unbegrenzten Konsum nicht mehr lange aushalten. „Es ist vorauszusehen, daß die Lebenswelt, wie wir sie kennen und bewohnen, im Laufe des anhebenden Jahrtausends zusammenbrechen und unbewohnbar werden wird,“ schreibt Amery. Er macht noch eine zweite Aussage : „Es ist vorauszusehen, daß die Kirchen der Christenheit sehr bald, vielleicht im Laufe dieses Jahrhunderts, in völlige Bedeutungslosigkeit absinken werden.“ Und schließt daraus: „Es soll gezeigt werden, daß diese beiden Aussichten, wenn zusammengeführt und ineinander gespiegelt, eine gewaltige Pflicht enthüllen und eine gewaltige Chance gebären.“
   Fordert Amery womöglich den Rückzug ins stille Gebet? Nein, mit so einem kuscheligen Container, in dem man mit Gleich­gesinnten auf den Weltuntergang wartet, ist niemandem geholfen. So eine Einstellung kann den Untergang höchstens beschleunigen. Es ist nötig, sich der Verschwendung aktiv entgegenzustellen, das Opfer dieses einen Körnchen Weihrauchs verweigern und mit der Entwicklung einer neuen Kultur zu beginnen.
   Amery vergleicht diesen Widerstand mit dem Auszug aus Ägypten, bei dem die Juden aktiv die „Fleischtöpfe des Sklavenhauses“ verließen und in die Wüste zogen. Dieses Bild entspricht der jetzigen Situation. Der Kampf gegen den Götzen Mammon wird sicher eine entbehrungsreiche Wüstenwanderung.
Schon einmal in jüngster Vergangenheit haben die Menschen unter dem Dach der Kirche eine scheinbar unbewegliche Gesell­schaft komplett verändert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das ein zweites Mal gelingt. Allerdings wird diese Wüsten­wanderung bestimmt noch schwieriger.


 

 

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Carl Amery  Global Exit  Die Kirchen und der Totale Markt  2002