Rückbindung an den Ursprung
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Jede Kulturrevolution der Menschheit hat eine teilweise — und das heißt von der Aufstiegsorientierung gesteuerte — Regression eingeschlossen, einen erneuten Durchgang durch die Ursprungskräfte, durch die anthropologische Substanz, durch die Urprobleme der menschlichen Existenz, also auch durch ihre Urängste.
Es handelt sich um Faustens Gang zu den Müttern, zu den Quellen unserer Vitalität. Natürlich kommt es darauf an, daß "Faust" geht und nicht jener "Knecht" in uns, von dem Hölderlin sagt, wen wundert es denn, daß der hohle Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an die Wand wirft.
Den Geist, indem wir uns auf den Weg zu den Müttern machen müssen, hat wieder kein anderer besser gekennzeichnet als Lewis Mumford in seinem wohl visionärsten Buch, in seiner eben schon erwähnten <Transformation of Man>. Er antizipierte das <New-Age> von vornherein jenseits der geistigen Billig- und der finanziellen Höchstpreise.
Angesichts der Sackgasse des "postmodernen Menschen" als einer denkenden Ameise, die sich dem Selbstlauf ihrer entäußerten Wesenskräfte überläßt und "auf sich selbst die gleichen Prinzipien anwendet, nach denen sie mit der physikalischen Welt verfährt",114 kommt er zu dem Schluß:
Doch um den blinden Drang zum Automatismus zu überwinden, muß die Menschheit als Ganzes bewußt in die lange Bahn der Entwicklung zurücksteuern, die im Anfang die Hominiden zu Menschen werden ließ.(115)
Die wichtigste Aufgabe des heutigen Menschen ist es, ein neues Selbst zu schaffen, das fähig ist, die Kräfte zu bändigen, die jetzt so ziellos und doch so zwingend am Werk sind. Dieses Selbst wird in sein großes Werk die ganze Welt einbeziehen, die bekannte und die erkennbare, und wird nicht versuchen, ihr eine mechanische Uniformität aufzuzwingen, sondern sie zu einer organischen Einheit zu gestalten ...
... viele soziale Kräfte, die jetzt auf die Vernichtung des Menschen hinarbeiten, wie z. B. die Wissenschaft, werden einen großen Beitrag zu dieser Verwandlung leisten, wenn einmal die Uridee - [hier hat Mumford an Sprecher wie Jesaja, Mo Di und Joachim Di Fiore erinnert; R.B.] - mit ihrer großartigen Zukunftsschau allen Menschen bewußt geworden ist.(116)Mumford versteht natürlich die Wissenschaft als menschliche Funktion, nicht als das Werk von Spezialisten, die sich darüber eine soziale Identität gegen Andere sichern wollen. Sein Blick ist auf Ganzheit und Gleichgewicht in der menschlichen Subjektivität gerichtet:
In dieser Neuorientierung der Person werden Elemente des menschlichen Organismus, die seit langem unterdrückt oder der bewußten Kontrolle entzogen waren, wieder ans Licht gebracht, wiedererkannt, anerkannt, neu bewertet und neu ausgerichtet. Die Ausbildung der Fähigkeit, das eigene Selbst in seiner Ganzheit zu erkennen und jedes seiner Teile einer einheitlicheren Entwicklung unterzuordnen, muß sowohl Gegenstand der objektiven Wissenschaft als auch Anliegen der subjektiven Selbsterkenntnis sein.
Hier deckt sich Mumfords Perspektive völlig mit der von Gebsers <Homo Integralis>, die ich weiter hinten einbeziehe; er fährt fort:
Es ist unmöglich, die erstrebte Ganzheit zu verwirklichen, ohne den wahrhaft integrierenden Elementen der Persönlichkeit, der Liebe, der Vernunft und dem Drang zur Vollkommenheit den Vorrang zu geben.117
Nicht also wahl- und ziellose "Freisetzung von ins Unbewußte verdrängten Impulsen" (wonach ein Psycho-Wochenende schon bloß deshalb gut war, weil "viel hochgekommen" ist).
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Die größte Schwierigkeit für den heutigen Menschen besteht vielleicht darin, daß er aufgrund eines allgemeinen Mißtrauens gegenüber den von der Wissenschaft des 17. Jahrhunderts postulierten Werten nicht wahrhaben will, daß Ganzheit nur durch Anerkennung, Förderung und Belohnung der höchsten, edelsten Impulse der Persönlichkeit erreicht werden kann. Die Integration des Menschen beginnt oben, mit einer Idee, und wirkt nach unten, bis sie das sympathische Nervensystem erreicht, wo sich eine organische Integration vollzieht, die nun wieder nach oben wirkt, bis sie als Impuls zur Liebe oder als richtungsweisendes Denkbild ins Bewußtsein tritt ... Der geeinte Mensch muß das Es anerkennen, ohne ihm einen Vorrang zuzugestehen; er muß das Super-Ich fördern, ohne es die Energien unterdrücken zu lassen, die es zu seiner eigenen Entfaltung braucht.(118)
Obwohl Mumford hier terminologisch noch Freud verhaftet ist, weniger der späteren Entwicklung, meint er jedenfalls nicht das repressive, von den entfremdeten sozialen Mächten her in uns moralisierende Über-Ich, sondern viel mehr jene Instanz, die wir heute lieber unser wahres Selbst nennen. Analog verhält es sich mit seinem Begriff der Persönlichkeit, der gleichfalls von innen und die egozentrische Expansion überschreitend gedacht ist.
Es geht ihm um die Ansprüche, die der Mensch mit seiner eigenen bisherigen Aktivität an sein heutiges Selbst stellen muß, wenn er seine Praxis wieder einholen und unterordnen will. Dann müssen wir uns noch mehr (und allerdings Besseres) abverlangen als die von den Meistern der Achsenzeit ausgelöste Sublimation:
Um mit allen Teilen der Menschheit auf gutem Fuß zu stehen, müssen wir mit jedem Teil unseres eigenen Selbst im reinen sein, und um den formenden Kräften in der Weltkultur gerecht zu werden.... müssen wir die formenden Kräfte im menschlichen Selbst mit mehr Nachdruck fördern als selbst der axiale Mensch. Denn wir können keine geeinte Welt schaffen mit gespaltenen, gehemmten, fragmentarischen Persönlichkeiten, die ihrem Wesen nach zwangsläufig Komplikationen, Konflikte, Zwiespalt und Zerfall verursachen würden. Nur die Idee des ganzen Menschen, der sich des Ganzen bewußt ist, wird allen Persönlichkeitstypen, allen Kulturformen und allen menschlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten gerecht.119
Besser als mit Mumford kann ich die Grundhaltung nicht ausdrücken, mit der ich mich auf das politische Problem einlasse, zwischen dem Umgang mit unseren Ich-Strukturen und dem Umgang mit unseren Institutionen eine Brücke zu schlagen.
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Denn es ist ja Mumfords Grundgedanke, daß wir, um eine lebbare Weltkultur zu erlangen, ein neues Selbst, d.h. eine Neuintegration unserer subjektiven Wesenskräfte schaffen müssen. Selbstverständlich wird das, was wir institutionell umsetzen können, dann zurückwirken, um den Strom der neuen Subjektivität zu verbreitern. Ich will dem Zitierten nur einen einzigen Akzent hinzufügen: Wenn wir das wahre Selbst fördern wollen, "ohne es die Energien unterdrücken zu lassen, die es zu seiner eigenen Entfaltung braucht", dürfen wir den Durchgang durch Momente der Desintegration, des Nichts und des Chaos nicht scheuen, weil ja die "höchsten, edelsten Impulse" ohne dies Risiko ihr repressives, apollinisches, verdrängerisches Moment nicht loswerden, das zum Beispiel so viele Anthroposophen so melancholisch aussehen läßt.
Ohne den Mut, Dionysos zu rufen, mit seiner vorsorglichen Diffamierung als "faschistoid", werden wir nicht davonkommen, vielmehr wird er uns dann erneut erst recht als Satan erscheinen. Ein gewisser psychologischer "Antifaschismus" zeigt genau die Angst, die den Hund darüber belehrt; daß er hier beißen soll.
Ganz ohne Frage kann die Integration nur ein Vorgang nach vorwärts und aufwärts sein, der jede partielle Regression übergreift. Aber die apollinische Angst vor den Tiefenkräften will dafür sorgen, daß wir bei der Flucht nach vorn und nach oben bleiben, die so charakteristisch für den männlichen Geist ist, und sie will einfach nicht wahrhaben und einrechnen, daß sie den Dionysos selbst zum Teufel umgeschaffen hat. Wir müssen an die Bruchstelle zurückkehren, müssen uns endlich von dieser Angst heilen. Freilich ist der Dionysos schon ein Gott der gekränkten Großen Mutter gewesen, der den Mann auch zerreißen wollte (siehe Neumanns Buch über die Große Mutter). Der Mensch — Mann und Frau — sollte jetzt die Reife erlangt haben, anders mit diesem Urproblem des Sexus und des Geistes umzugehen, aber jedenfalls mutig umzugehen, anstatt es zu ignorieren und weiter in der Verdrängung zu halten.
Goethes Faust hatte sich erst vollends "der Magie verschrieben" und sich vom Teufel mit den "Reichen der Welt und ihren Herrlichkeiten" belehnen lassen, nachdem der Kontakt mit dem Weltgeist und mit dem näheren Erdgeist (doch wohl der Sphäre der Mütter) ihn überfordert hatte.
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An den Diensten Mephistos ist ja der Ersatzcharakter der Projekte und Befriedigungen, denen Faust nachjagt, immer ausgesprochen. Wie ist denn der Kontakt mit dem, "was die Welt im Innersten zusammenhält", verlorengegangen, wie ist er abgerissen, so daß wir uns jetzt unsere Zugehörigkeit zum Leben durch Erkenntnis der äußeren Welt bestätigen müssen, weil wir sie nicht mehr unmittelbar organismisch "wissen"? Denn in diesem Bruch, darin, daß sich das Selbstbewußtsein in Gestalt des männlichen, besonders des europäisch-männlichen Logos angstvoll abwehrend gegen die Natur, den Körper, die Frau, das Weibliche gestellt hat, liegt die Wurzel dei ökologischen Katastrophe, der Trieb zur kompensatorischen Akkumulation von Insignien und Sachen, Erkenntnissen und Siegen.
Jean Gebser hat in seinem "Ursprung und Gegenwart" fünf Bewußtseinsverfassungen der Gattung Mensch als mehr oder weniger nacheinander durchlaufen ausgemacht und die Schritte gekennzeichnet, die sie zu unserer kulturellen Evolution verbinden. Ich komme später auf seine Quintessenz, in dem Abschnitt über den "Homo integralis". Hier interessiert mich zunächst sein Schema als solches, seine Wegkarte, und es interessieren mich besonders die durch verstärkte Zeichnung von mir hervorgehobenen abwärtsweisenden Pfeile. Sie sollen den Abstoß, den Rückstoß andeuten, der jeweils den Vorstoß auf die nächsthöhere Entwicklungsstufe begleitet (jetzt, bei dem Evolutionsschritt zum "Integrat", sollte dieser Abstoß vermieden werden, macht sich jedoch in der Aversion gegen alles Mental-Rationale nur zu bemerkbar).
Die kleinen Pfeile zur Seite sollen das Kritischwerden, das Ineffizient-, Gebser sagt das Defizientwerden, Überholtwerden, Versagen der jeweiligen Bewußtseinsverfassung symbolisieren, das teils in Sackgassen bzw. ins Leere führt, teils den nächsten Schritt anstößt.
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Oft, wenn uns die nächste Stufe, die wir erreichen sollen, als bedrohlich überfordernd erscheint, möchten wir in ältere Zustände zurückflüchten, und gegen diese Tendenz richtet sich die Abstoß-Energie.
An den historischen Sprungstellen waren das einmal akute Probleme, zumal die alte Bewußtseinsverfassung, in Riten und Sitten verfestigt, die neue so wenig freiwillig losgibt wie eine Brombeerhecke ihren Prinzen. Heute sind die früheren, vor-mentalen Zustände zumindest für das vollentfaltete rationale Ich gewiß nicht mehr das, was sie einmal waren, als sie noch dem Umfang und der Reichweite der Gemeinwesen entsprachen, die mit diesen weniger entwickelten Kommunikationsmustern auskamen. Weder sind sie noch so mächtig, noch sind sie so effizient wie damals. Wir, bei unseren Regressionen, landen eher bei Splittern der einstigen Strukturen, in die sie zerfielen, als sie defizient wurden.
Schon Gebser hat vor Rückfällen gewarnt, und aufgrund entsprechender Einblicke in die aktuelle Psychoszene und in das New-Age-Feld hat Ken Wilber es unterstrichen: Anders als momentan zum Zwecke der Integration nach "oben" (wozu sie bewußt vergegenwärtigt werden müssen) hat das Einlassen auf die älteren Bewußtseinsverfassungen und ihre Elemente keinen Sinn.
Aber es gibt ein großes Problem, das in der Realität nicht so leicht von dem oben erwähnten Aspekt unterscheidbar ist. Es ist die Ursache für den Hang zur Regression und begründet bis zu einem gewissen Grade ihre Notwendigkeit: Die Ablösung von einer überholten Stufe sowohl in der persönlichen als auch in der Stammesgeschichte geht nicht ohne Konflikt und Kampf ab. Gegenüber dem bergenden "archaischen Schoß" ist die Einzelpsyche, die ihm entwächst, relativ ohnmächtig und unsicher, fühlt sich auch zurückgehalten. Ja, die Muttermächte "verfluchen" häufig die Entfernung aus ihrem Anziehungsbereich. Machtmagisch kehrt sich die Psyche dann gegen den allgemeinen Grund, den Ursprung, aus dem sie kommt.
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Das wiederholt sich im "Drachenkampf" des mythischen Bewußtseinshelden gegen die psychisch" Struktur der Großen Mutter (Neumann, wie erwähnt), um aus der "Höhle" ins volle Licht der Sonne freizukommen. Und für den nächsten Schritt hat Julian Jaynes den Übergang vom Mythischen zum Mentalen als überaus dramatischen und leidvollen "Zusammenbruch des Zweikammergeistes" (in welchem die Götter aus unserer eigenen rechten Hirnhälfte zu uns gesprochen hatten) beschrieben, indem er dessen Charakter als soziale Katastrophe hervorhob.
Jedesmal fand eine "Schlacht" statt, bei dem die frühere Bewußtseinsverfassung — wegen ihrer Verteidigung durch den sozialen Apparat, der mit ihr entstanden war — feindlich behandelt wurde. Andererseits besaß auch die spätere noch nicht die Souveränität zur Integration, sondern neigte von sich aus dazu, sich angstvoll gewaltsam abzustoßen oder zumindest zu entziehen. Nur bei dem kaum erst begonnenen Aufstieg vom mentalen zum integralen Bewußtsein auf dem Wege der "Individuation" (der Begriff stammt aus der Schule C.G. Jungs) verspricht es, anders zu werden. Noch aber ist der vorige Übergang für viele Menschen und Völker nicht abschließend vollzogen, und zugleich ist dessen Ziel, die effiziente mentale Ichstruktur, wie sie einst ein Sokrates errungen hatte, blockiert und diskreditiert, weil statt ihrer der rationalistische Dämon herrscht, verschanzt in der westlichen Megamaschine.
Neulich haben wir — "Vater-Mutter-Kind" — die Schule besichtigt, in die "Kind" nun von der 5. Klasse ab gehen soll, ein opulentes Glanzstück an Ausrüstung aus den fettesten Jahren der Bundesrepublik und ihrer Bildungspolitik. Ich habe drüben in den 50er und 60er Jahren naturwissenschaftliche Universitätsinstitute gesehen, die dahinter zurückstanden. In diesem Schulbau wird nun die mentale Struktur in extenso vermittelt. Wer nicht hindurchgeht, bleibt "ungleichzeitig".
Entweder also lähmende Angst und dumpfer Analphabetismus vor der Megamaschine — oder Zutraulichkeit zu ihr bis zum sicheren Verschlungenwerden von diesem ungeheuerlichsten Drachen, mit dem sich der Mensch jemals zu schaffen machte?! Denn was dort gelehrt wird, ist jenseits allen guten Willens der Lehrerinnen und Lehrer diese nekrophile, mörderische und selbstmörderische rationalistische Kultur.
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Gebser gibt als allgemeines Kriterium dafür, daß eine Bewußtseinsverfassung, eine soziale Kommunikationsstruktur unzulänglich, daß sie "defizient" geworden ist, die Inflation der Quantität an, damals der magischen Objekte, die sich durch den Kulturaustausch wie durch den Verfall der Stammesmuster krebszellenartig vermehrten, dann der immer obskurer, dekadenter und zusammenhangloser werdenden Mythologie in der hellenistischen Zeit, jetzt der "Fakten" und Massenprodukte (es ist eben gar nicht wahr, daß sich das Wissen alle paar Jahre verdoppelt, bloß weil sie in den Silos der Big Science so unentwegt Informationen produzieren).
Schon 1953 schrieb Gebser:
Die Gebetsmühlen (des alten Tibet - R. B.), die Mythenzersplitterung, die Computer sind Ausdruck des Menschen, der in seiner Bewußtseinsfrequenz verharrt, während die notwendende neue Bewußtseinsmutation die erschöpfte Bewußtseinsstruktur bereits zu überlagern beginnt. Jedes Übermaß an Quantifizierung führt zu Ohnmacht, Leere und Hilflosigkeit. Wo dies offensichtlich wird, ist die nicht mehr genügende Bewußtseinsstruktur bereits überwunden. So gesehen sind die Computer ein negatives Wahrzeichen der neuen Bewußtseinsstruktur und ihrer Kräfte.120
Das klingt zu optimistisch, aber er fügte hinzu, wenn die Aufgabe des Übergangs nicht "in Bälde gelöst wird", werde "ihre Lösung unausdenkliche Opfer heischen". Und: "Die Zahl der Menschen, welche die Lösung erleben werden, hängt von der zeitintensiven Bewußtwerdung der neuen Struktur ab." Und schließlich: "Aus der erschöpften Struktur geht keine neue hervor; aber aus dem, was ursprungsgegenwärtig ist, aus der Ganzheit heraus."121
Gemeint ist mit dem hervorgehobenen Wort, daß der Genotyp jene Kräfte, aus denen die Bewußtseinsverfassungen gebildet wurden, auch jene Dispositionen, die in die effizienten alten eingingen, stets auch hier und jetzt gegenwärtig hat, nur ge- und befangen in der herrschenden Struktur. Wie sehr sie aber verhaftet sind, weil wir uns vom Ursprung abstoßen und die Verbindungen bis in die Sensibilität und Physiologie hinein abgebrochen haben — diese beispiellose Dimension der Entfremdung hat er zu wenig betont. Wir sind abgesperrt und abgespalten durch die Sozialisation für unsere Megamaschine.
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Und andere Partien unserer Psyche sind in die Zersplitterungen älterer Bewußtseinsverfassungen gebannt; auch diese Ungleichzeitigkeit, verbreiteter denn je, ist ein ungeheures, den solidarischen Zusammenschluß erschwerendes Problem.
Gerade die effiziente mentale Struktur (oder sagen wir ihr effizienter Anteil, der sie legitimiert) unterdrückt unweigerlich alles psychische Reagieren, das in älteren Weltverhältnissen wurzelt. Menschen, die noch dort ihren Schwerpunkt haben und darin häufiger ihrer Ursprungskräfte gewärtig sind (Kinder und sehr viele Frauen) leiden direkt unter dem Gesamtdruck einer Kultur, die das Abstrakte, das Antileben auf den Thron gesetzt hat. Das bedeutet keineswegs, daß sie nicht denken können, aber sie sind vielleicht hauptsächlich negativ beeindruckt von der Fähigkeit des listenreichen Odysseus, undurchschaubar lügen zu können — ein Bewußtseinsfortschritt, für den er gepriesen ward.
Schon Sokrates war dem konkreten Leben feind, er setzte den Kontakt mit der Natur, dem Alltag, dem Körper, der Frau herab. Es ist etwas grundsätzlich Lebensfalsches in dieser "Mentalität".122 "Staatsgeschäfte und Philosophieren" waren bekanntlich die einzigen würdigen Beschäftigungen für den Mann der Polis. Das ist schon damals abstrakt genug. Wie erst bei der heutigen Größe und Komplexität der mentalen Sphäre, die korrelativ zur Megamaschine ist. Wer sich, um "zeitgleich" zu sein, auf Wissenschaft, Technik, Weltmarkt, Staat konzentriert, muß sein konkretes Leben verlieren und wird bis in die Intimsphäre seiner Mitlebenden Frustration und Unglück um sich verbreiten.
Wie sich zeigte, nistet das Unheil in der Abtrennung, der Abspaltung vom Ursprung, in dem antagonistischen Abstoß selbst. Sie ist offenbar weder in der Geschichte noch im individuellen Leben von vornherein vermeidbar, so daß wir eine Praxis der Wiedervereinigung, der Integration brauchen, gesellschaftlich und individuell, eingedenk des Goethewortes "Nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen das ist außen."
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Seien wir uns erneut darüber klar, daß das Dilemma mit unserer größten Errungenschaft zusammenhängt, mit der gegen die Welt befestigten Persönlichkeit. Dafür sind wir — es vollzieht sich in jedem individuellen Leben neu — aus dem Paradies ausgetrieben, von der Welt außerhalb unserer Haut, oft vom eigenen Körper, ja von den eigenen unerwünschten Ich-Anteilen (vielleicht den vitalsten?!) abgetrennt, und es kann uns das jeweils Ausgegrenzte zum Feinde werden.123 Hinzu kommt das Desensibilisierungstraining des städtischen, des industriellen Alltags, noch viel mehr beim Geistesarbeiter (auch im Büro). Wie wir ursprünglich beim Ausgang aus der Tierheit für unsere Freiheit unsere Instinkte lassen mußten, so haben wir später für die Zivilisation unsere älteren Bewußtseinsverfassungen mit ihrem so viel befriedigenderen sinnlichen Weltkontakt gelassen.
Das Ich bzw. der Charakter oder — von der sozialen Seite — die Persönlichkeit ist die Wächterinstanz hinter allen diesen Abtrennungen: die Persönlichkeit nicht als gewählte Gestalt, sondern als das mehr oder weniger unreflektierte, unerleuchtete Sozialisationsprodukt. Unsere europäische Kultur ist ausgezeichnet durch den Spielraum, den sie ihr zur Entfaltung bietet. Doch die wölfische Bindungslosigkeit, die dabei herausgekommen ist, dieses unvermeidliche Mißverständnis der Freiheit, ist zugleich ihr Fluch. Wir sehen es jetzt.
Man liebt es, Hegel zu rügen für seinen — dann immer schon verkürzt verstandenen — Satz, Freiheit sei Einsicht in die Notwendigkeit. Aber Notwendigkeit war für diesen rationalen Mystiker natürlich auch in uns, und sie war identisch mit unserem Höchsten, mit dem göttlichen Funken des Meister Eckhart. Freiheit, recht verstanden, meint bei Hegel, daß wir unsere innere Wesensgleichheit mit der Gottheit erkennen, daß wir uns identifizieren sollen mit dieser unserer höchsten Notwendigkeit. Dagegen ist der übliche anarcho-individualistische Freiheitsbegriff samt dem zugehörigen Persönlichkeitskonzept ein Schmarren.
Der "positive" Inhalt der bürgerlichen Persönlichkeit ist vor allem ihre Position der größtmöglichen Unverletzlichkeit, Versorgungssicherheit, Situationskontrolle und Bequemlichkeit, insgesamt eben eine egozentrische aktive oder passive Machtposition, auf der sich die Liebe nicht entfalten kann.
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Dieses Ich-Profil ist untrennbar von dem Freiheits- und Unabhängigkeitsideal der bürgerlichen Gesellschaft, das ich in dem Kapitel über den kapitalistischen Antrieb und besonders in dem dortigen Abschnitt über Geld und Freiheit gewürdigt und kritisiert habe als ein Menschenbild, über das wir innerlich hinaus müssen. Zuwendung und Kommunikation unterliegen bei uns eindeutig den so postierten Ich-Interessen. Differenz und Konkurrenz der Persönlichkeiten dominieren so, daß Kommunion im Grunde unmöglich ist. Alle Lebenskraft wird in die Unterscheidung, die Trennung, die Entfremdung des Menschen vom Menschen, und in diese gerade eingangs erwähnten Selbstentfremdungen vom Körper und von den eigenen Schattenmächten gesteckt.
Freiheit in jenem großen Hegelschen oder Eckhartschen Sinne wäre gerade, dies zu überwinden. Guardini hat einmal von jener Mitte gesprochen, in der Mensch sich fände und Gott. Dort ist Freiheit, und — dort sind wir trotz aller Unterschiede im individuellen Genotyp weitgehend eins. Soll es denn unmöglich sein, darauf Gesellschaft, Gemeinschaft zu gründen? Die Differenzen müssen ja deshalb nicht glattgemacht werden. Hegel, Hölderlin, Schelling, als sie ihre Losung vereinbarten: "Reich Gottes!" — haben sie etwa die Freiheit nicht geliebt? Haben sie sich nicht im gleichen Atemzug verschwören können für "Vernunft, Freiheit und die Unsichtbare Kirche"?! Diese Quaternität — ich wiederhole: Reich Gottes, Vernunft, Freiheit, die Unsichtbare Kirche — zusammen denken zu können, das ist der Gipfel des europäischen Geistes, und das ist zugleich der Schritt über die Schranke Europas hinaus.124
Ich komme noch auf Fichte, später, der vielleicht am größten in diesem Überschreiten war, weil er — wie neben ihm noch einer, der dieselbe Bahn hatte, Beethoven — bis zum Äußersten aufs souveräne Ich gesetzt hatte und dann in einem riesigen Bogen bei Laudses Kritik am "Selbst", am großen subjektiven Ich einkam, nicht demütig, nein, sondern mit offenen Armen, und nicht etwa quietistisch, sondern um die Zeit seiner Reden an die deutsche Nation. Nicht als Zurücknahme, sondern als Transfiguration. Aber ich greife vor.
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Sie haben das damals hauptsächlich im Kopf errungen, es waren eben solche Zeiten. Es war sozusagen deutsches Jnana-Yoga.125 Sie waren Boddhisattvas wie nur welche. Sie alle kannten Verzückung. Und sie flohen die Frauen nicht. Da war Diotima-Susette. Da waren Josephine und Antonie, die Unsterblichen Geliebten des berühmten Briefes (es gibt ein tiefes und geistreiches Buch von Harry Goldschmidt darüber: "Die Geliebten Beethovens"). Da war Caroline Schelling. Es ist der freie Gebrauch aller unserer Kräfte, der die Freude macht, und wir brauchen dazu die Kommunion mit dem gesamten unseren Sinnen, unserer Seele, unserem Geist erreichbaren Universum.
Gewiß, das wünscht sich die Persönlichkeit. Sie hat sich da hinaufkasteit um solchen Gewinnes willen, um der Liebe willen, um — sie zu verdienen, ihrer würdig zu sein. Aber es geht dabei das Geliebtwerdenwollen vor das Lieben, und so widerspricht der Weg weithin dem Ziel. Niklas Luhmann hat sehr detailliert und treffend gezeigt, wie die erotische Liebe scheitert, weil wir einander nicht nur unsere Festungswerke zukehren, sondern uns als immer differentere, aber darin Bestätigung fordernde Welten begegnen. Unser empirisches Ich wollen wir geliebt, suchen "Validierung (d. h. positive Bewertung) seiner Selbstdarstellung"126, wo ein Novalis die Liebe auf die beiderseitige Transzendenz in "das Ich unseres Ich", in unser höheres Selbst gezielt gesehen hatte. Ist es etwa nicht so, wie Luhmann konstatiert: "Die Individualität ... wird zum Anspruch auf Anerkennung eigensinniger Welt- und Selbstauffassungen und wird dadurch zur Zumutung"127 und daß "die Konfliktträchtigkeit steigt, wenn die Partner ihre Beziehungen intensivieren"?128
Die Persönlichkeit ist eine Fehlkonstruktion, sie wird zumindest dazu, ist dazu geworden.
Ich habe das andeuten wollen, ehe ich mich noch etwas näher mit Jean Gebsers Konzept des homo integralis befasse, um es ein wenig fortzuentwickeln, weil so das Blut in die abstraktere Materie einströmt, die er bietet. Schon im Blick auf die folgende Skizze will ich zur Orientierung sagen, daß die Persönlichkeit, wie ich sie, zugegeben sehr spitz, als zu überwinden dargestellt habe, das Ich der Gebserschen mentalen Stufe ist, und demgegenüber das, worauf die Klassiker samt Tagore alle zielen, das integrale Selbst. Gebser führt an ein paar Strategien heran, wie wir mit dem Ausgegrenzten, Abgespaltenen umgehen sollen, damit der Aufstieg zum integralen Selbst gelingt. Denn hier ist der gerade Weg des senkrechten Pfeils von der mentalen zur integralen Bewußtseinsverfassung bestimmt nicht der kürzeste, weil eben das mentale Ich allzu viele Hohlstellen hat, den Stoff nicht repräsentiert der zu integrieren ist.
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Ich diskutiere das Modell um der verschiedenen gebogenen Pfeile willen, die ich hinzugefügt habe. Das Drumherum, den verbalen Schematismus habe ich nur mit herausgezogen, um Gebsers weiteren Horizont wenigstens anzudeuten, ohne da näher referieren zu wollen. Aber beginnen muß ich mit der Struktur als solcher.
Schon weiter oben (S. 264) hatte ich mich auf den Grundaufbau dieses Schemas und den Abstoß-Charakter der bisherigen Mutationen bezogen. Das ist nun der Ausgangspunkt: Wir haben Stufe um Stufe nicht vermocht — und ganz besonders in unserer eiligen Konkurrenz wir Weißen nicht —, die Wurzeln des Bewußtseins zu integrieren. Wir haben das in doppelter Hinsicht verfehlt, nämlich sowohl im Hinblick auf die kulturell bedingten Bewußtseinsstufen (selbst die archaische ist eine Kulturleistung) als auch auf die noch weiter zurückliegenden soziobiologischen Evolutionsschritte, die zu unserer Bewußtseinsqualität hinaufführten.
"Archaisch" korrespondiert mit dem Rückenmark und dem reptilischen Gehirnstamm. D. h. in jenem Zustand herrscht noch die durch diese Organe bestimmte Befindlichkeit vor (obwohl es schon früh auch abstrakte mentale Operationen gibt).
"Magisch" korrespondiert mit dem limbischen System, und unser "Säugetierkörper" hat die Führung inne (bei Wilber: der Typhon).
"Mythisch" korrespondiert schon mit dem Großhirn, aber — wie es Jaynes in seinem Buch über den "Zweikammergeist" aufgedeckt hat — mit dessen objektiver, dessen Organweisheit: Während der Mensch damals noch glaubte, das Herz sei das Denkorgan sprachen aus seiner intuitiven rechten Hirnhälfte die Götter in seine linke hinein; noch hat das Großhirn viel mehr ihn als daß er es hätte.
"Mental" erst korrespondiert mit dem Großhirn als unserem Organ. Das Ich versucht sich endgültig als Reiter des Körperpferdes, aber es sortiert und grenzt sich ab; dazu war schon genug gesagt.
"Integral" - das ist das gleichfalls bereits angeschlagene Thema dieses Abschnitts.
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Schema der Bewußtseinsmutationen (frei nach Gebser)
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Auf jeder älteren Stufe sind wir unbefangener, weil ichloser in Bezug auf unsere elementaren Lebensprozesse. Jede neuere, höhere Stufe stört erst einmal tendenziell die Weisheit des "objektiven", des "an sich seienden" Geistes, der im Code des Lebens selber steckt. Wir entfernen uns von der immanenten Gottheit, schütten die Zugänge dazu zu. Wir lassen sie zurück, anstatt sie sukzessiv mitzuentfalten. Unser wahres Selbst, der Anteil am Urgrund, den wir in uns haben, kommt vor lauter eigenwilligen Steuerungen von oben nicht mehr zu seinem Willensausdruck.
Selbstverständlich haben wir alle mehr oder weniger an allen fünf Bewußtseinsverfassungen teil, und ebenso am männlichen und am weiblichen Geist. Aber die Zentren unserer Identitäten liegen verschieden. Das ist ebenso wie bei den Chakras und Schaltkreisen, deren Stufenleiter in gewisser Hinsicht eine ausführlichere Aufgliederung derselben Historie ist. Gebser konzentriert sich auf die intellektuelle Funktion, auf den Aspekt der rationalen Erkenntnis und ihrer Veränderung, bezieht sich dabei aber direkt auf deren Kopplung mit gesellschaftlichen Weltzuständen. Wilber ist ihm darin noch umfassender gefolgt.
Wie die Individuen auf diesen verschiedenen Ebenen heimisch sind, damit hängen die tiefsten sozialen Spannungen, die allgemeinsten Dimensionen der Ungleichheit zusammen, etwa das Verhältnis zwischen Dominanz und Unterwerfung innerhalb von Verbänden, die in ihrem Klasseninteresse vereint sein mögen. Kaste geht über Klasse, und letztlich gehörten eben beispielsweise Bismarck und Lassalle derselben Kaste an. Daran, in welcher Bewußtseinsverfassung, über welchen Schaltkreis, über welche der jeweils drei Kasten eines (Leary-Wilsonschen) Schaltkreises wir vornehmlich mit der Welt kommunizieren, scheiden sich im wahrsten Sinne des Wortes die Geister.
Wo Ernst Bloch von "Ungleichzeitigkeit" sozialer Gruppen spricht, ist eigentlich dies gemeint; die Bauern etwa gehören nicht nur bis zum gewissen Grade älteren (feudalen bzw. vorfeudalen) Gesellschaftsformationen an als industrielle Arbeiter und Kapitalisten, sondern sie leben insoweit psychisch in einer anderen Welt, und das ist für ihre Subjektivität grundlegender als irgendwelche soziologisch zurechenbaren Qualitäten, die ins Schema der kapitalistischen Moderne passen.
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Auch die Gesellschaften einer Zeit und eines Landes sind u.a. so geschichtet, wie es die erste Spalte in dem soeben zitierten Gebserschen Schema der Bewußtseinsmutationen andeutet: Es leben unter uns (cum grano salis) Hordenmenschen, Stammesmenschen, Städter, rationalistische Moderne und spirituelle Postmoderne. Und trotz aller von unten nach oben wirkenden und durch ihre Unterdrückung verstärkten Trägheits- und Störfaktoren liegt die Initiative "oben". Die Zukunft wird in der Auseinandersetzung zwischen den mentalen und den integralen Eliten entschieden, wobei natürlich die Frontlinie häufig mitten durch ein und dieselben Individuen hindurchgeht und immer auch Elemente älterer Bewußtseinsverfassungen im Spiele sind.129 Es kommt entscheidend auf die Integration an: Das höhere Bewußtsein setzt sich durch, indem es seine Vorstufen und Gegensätze ein- anstatt ausschließt und alles Abgespaltene versöhnt, wie es etwa Hölderlin vorausempfunden hatte: "Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder."
Mit den gebogenen Pfeilen, die ich in Gebsers Schema eingezeichnet habe, will ich die Bewegung (die dynamische Struktur der Bewegungen) symbolisieren, die diesen Integrationsprozeß ausmacht. Denn auch wenn ich die integrale Stufe schon als manifest in das Bild eingesetzt habe: in Wirklichkeit entsteht sie natürlich erst; und das muß durchaus nicht ausschließen, daß sie — als genetisch von weither vorgesehen, vorprogrammiert — bereits kräftig "zieht": Ich habe ja dem Impuls, mit dem sie auf die mentale Bewußtseinsverfassung einwirkt, in der Skizze die größte Bedeutung beigemessen.130
Integriert werden soll also nicht so sehr die ausgebreitete Vielfalt der Produkte und Kenntnisse (darauf hatte die politische Linke immer die Aufhebung der Entfremdung zugespitzt), sondern das anthropologisch unverzichtbare Stufenfundament, auf dem sich — wie antagonistisch auch immer — das moderne Bewußtsein undankbar erhebt. Nicht die Entfremdung von den Sachen, die wir machen, ist die Crux, sondern die Entfremdung von unserem natürlichen Potential, einschließlich des Potentials zur Weiterentwicklung unserer geistigen Fähigkeiten, das wir durch den Dienst an der Quantität absorbieren und erstarren lassen.
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Die spontane Weisheit und Vitalität der archaischen, magischen und mythischen Bewußtseinsverfassung ist ein unersetzlicher Regulator. Aber wir treiben sie uns schon im frühen Kindheitsstadium aus. So wird Machtstreben, Es-der-Welt-beweisen-Wollen die nächstliegende Kompensation für den unterdrückten Eros, für den ins Melancholische abgedrängten allgemeinen Tonus.
So sollen die vom Mentalen absteigenden (einfachen) Pfeile links schematisch eine Notwendigkeit des männlichen, die aufsteigenden Pfeile rechts umgekehrt eine des weiblichen Geistes heute charakterisieren. Männlich und weiblich sind zwar nicht ohne weiteres dasselbe wie Mann und Frau. Doch werden Männer in unserer Zivilisation entschieden häufiger einseitig mental, zerebral fixiert sein, rational-maschinenmäßig funktionieren, und Frauen werden häufiger und stärker noch zu den Bewußtseinsstrukturen Kontakt haben, in denen überhaupt die Wurzeln der menschlichen Kultur zu suchen sind; andererseits werden sie oft inadäquat reagieren, weil die dort wohnenden Mächte deformiert und abgedrängt, nicht an ein ausgewogenes Ganzes angeschlossen sind.131
Wir können kaum hoffen, einfach "gradlinig" von der mentalen zur integralen Struktur aufzusteigen, weil gerade diejenigen, die mit ihrer schizoiden Ichgrundlage am repräsentativsten für die "Mentalität" sind und deren eigentümliches Gehäuse — Ersatz für den Uterus — die Megamaschine ist, den Ursprung weitgehend nicht mehr spüren. Andererseits hat der patriarchale Geist, erst recht in seiner heutigen defizienten Form, allen Menschen, die ihren existentiellen Schwerpunkt lebensnäher haben, darunter den meisten Frauen, den Aufstieg zum mentalen Ich und über das mentale Ich verleidet.
Zugleich bewegt sich das weibliche Denken in den letzten 200 Jahren immer mehr darauf hin, diese Position dennoch zu erobern. Teilweise geht jedes moderne weibliche Bewußtsein — nicht ohne Anzeichen verschärfter Selbstentfremdung — da hindurch. Ein selbstbewußtes (im Sinne auch von selbsterkanntes) Ich, insofern also eine möglichst selbstbestimmte Psychoanalyse (im allgemeinen, nicht unbedingt therapeutischen Sinne) ist zur Mitbedingung der Individuation geworden. Und doch sollte es im ganzen vermeidbar sein, daß noch Menschen — von Kind auf — neu durch diese disfunktionale Bewußtseinsverfassung hindurchgejagt werden.
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Die Aneignung der Rationalität müßte von der integralen Ebene her neugefaßt werden. Deshalb habe ich rechts die gebogenen Pfeile, die vom Archaischen, Magischen und Mythischen zum Integralen aufschließen, am Mentalen vorbeigeführt, um sie es in einer Schleife, gewissermaßen von oben, berühren zu lassen.
Mit den absteigenden Pfeilen auf der linken Seite will ich das Zurücktauchen, die partielle Regression in die älteren und grundlegenderen Schichten, und dann im Wiederaufstieg die mentale und integrale Einordnung der Reise in die Unterwelt andeuten. Dieser Durchgang ist nicht nur biographisch höchst bedeutsam für die Individuation (im Jungschen Sinne), sondern vor allem sozial überaus wichtig. Betrifft sie doch sowohl die Auflösung der Herde, an denen sich der Streß in bösen Verdrängungen angesammelt hat, wo sie auf ihren Durchbruch bei krisenhaften Gelegenheiten warten, als auch die Verständigung mit den "ungleichzeitigen" Potentialen, denen Wege der Integration und Versöhnung geöffnet werden. Nicht zuletzt erfährt das mentale Ich die Wiederbelebung, die Revitalisierung seines eigenen biopsychischen Fundaments. Der Energiezustrom nach oben verbreitert sich.
Die Disziplin der rationalen Ebene muß keineswegs aufgegeben werden. Die "indische" Kritik am "mind" richtet sich gegen den Automatismus, das roboterhafte Funktionieren des Denkapparats, nicht gegen präzises, klares Denken, von dem wir mehr und nicht weniger brauchen. Übrigens ist Emotion im Durchschnittsfalle viel automatisierter als Verstand, der nur oft von den Versorgungs- und Statusinteressen in Dienst genommen und korrumpiert wird. Der Schlüssel zu dem vernünftigen Egoismus, von dem ich sprach, ist natürlich die Vernunft. Mit anderen Worten: der Prozeß der Integration muß auch selbst integral verstanden werden. Die denkfeindlichen Motive sind bloß Schaum auf den Wogen. Die für das New Age wichtigen konzeptionellen Entwürfe und selbst die Reden der "mind"-kritischen Gurus sind meist auch intellektuell anspruchsvoll.
Was wir ausschalten wollen, um uns auf die Reise in die Unterwelt zu machen, das ist die Zensur, zu der uns der Intellekt nur etwas raffiniertere Mittel liefert — wie wir ihn auch benutzen können, schöne Barrikaden gegen die Aufgabe der egozentrischen Grundposition zu errichten.
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Aber diese Grundposition, nicht ihr intellektuelles Mittel, ist das Problem. Wir können den Verstand genau so gut dazu benutzen, uns klarzumachen, daß allerdings der wirkliche Schritt, der in den Integrationsprozeß hineinführt, die ganzheitliche, also körperlich-seelisch-geistige Kontaktaufnahme mit dem Abgetrennten und Verdrängten ist. Und dann brauchen wir die kritische Vernunft, um die Erfahrung zu bewältigen, sowie einige durchaus altmodische Disziplin, um uns nicht einfach der Inflation der psychischen Erscheinungen zu überlassen, denen wir in der Unterwelt wiederbegegnen.
Integration (Individuation) ist der Hauptweg des Ausstiegs aus dem todgeweihten alten Kulturzusammenhang. Die Methoden laufen alle auf das eine hinaus: uns von der bis in die Tiefenschichten verinnerlichten, beschränkten Sozialisation zu befreien, mit der wir für diese exterministische Zivilisation zubereitet sind. Über die Neukonfiguration unserer inneren Gestalt — die jedenfalls näher an unserem mitgeborenen Inbild liegen wird als unsere übliche Rüstung und Maskierung — bestimmt kein Therapeut und kein Guru, sondern das befreite vitale Potential selbst. Der Mensch wäre nicht bis hierher aufgestiegen, hätte sich nicht immer wieder über seine Selbstdemütigungen erhoben, wenn dieses Potential nicht letzten Endes positiv gestimmt wäre. Wir müssen es von den Resten des mit dem Kultureintritt erfahrenen Traumas befreien, das in der Konzeption der Erbsünde seinen ebenso erklärlichen wie lebensfeindlichen Ausdruck gefunden hatte.
Auch geschichtlich, nicht nur individuell fruchtbar wird der ganze Prozeß, in dem wir uns unsere Wesenskräfte wieder aneignen, nur dann, wenn wir auch schon ein sozusagen mitwachsendes Modell des neuen "objektiven Geistes" im Kopf haben: einen im Netzwerk der Umkehrbewegung zirkulierenden anderen Gesellschaftsentwurf. Homo integralis (der bei uns in Europa selbstverständlich auch den homo occidentalis, den homo conquistador aufgehoben in sich enthält) meint ebensosehr das Individuum wie das soziale Ensemble, das seine freigesetzten Kräfte in die Richtung der Rettung lenkt.
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Alle Stufen der Bewußtseinsentwicklung sind Stufen der Ich-Entwicklung. Die Ich-Transzendenz, die Überwindung der egozentrischen Position, setzt das Ich voraus. Es wird überstiegen, nicht ausgelöscht in dem höheren Selbst. Alle von Gebser und Wilber wie auch von Mumford und vielen anderen herausgearbeiteten Geschichtsepochen leiten sich von vorherrschenden Individualitätsformen ab. Das neue Selbst Mumfords, der "überbewußte" homo integralis oder wie immer wir das nennen wollen, ist nicht die erste, sondern eine umfassendere Integration. Der entscheidende Unterschied zwischen "Ich" und "Selbst" besteht offenbar darin, daß die egozentrische Perspektive abgelöst wird durch die gelebte psychische Grundposition "Das Zentrum ist überall" (und "Das Ganze greift über" bzw. "Die Wahrheit ist das Ganze" — Hegel).
Die verhängnisvolle Position des Top-Parasiten zu verlassen, bedeutet nichts anderes als diesen Übergang, bei dem wir die fundamentalen menschlichen Interessen, die mit unserer mikrokosmischen Funktion im Ganzen, gegeben sind, über unsere unmittelbaren Interessen stellen, gleichermaßen unsere langfristigen Interessen (sogar über die eigene Lebenszeit hinaus) höher als unsere kurzfristigen und die gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen höher als unsere individuellen stellen.
Allerdings verlieren diese Gegenüberstellungen ihre Bedeutung, wenn der Sprung einmal gelungen ist, denn dann stellt sich heraus, daß so auch die unmittelbaren, kurzfristigen und individuellen Interessen am besten gewahrt werden. Wie der in Amerika lebende Tibeter Tarthang Tulku sagt, kommt aber die Ausschließung der fundamentalen, langfristigen und allgemeinen Interessen heraus, wenn man von der selbstischen Existenz ausgeht. Dann nämlich besetzt man ausschließend und aggressiv eine Nische, und dann hat man eine Position inne, auf der "aller Unterhalt und aller Kontakt nur erlangt werden können, indem man nach ihnen ausschickt".132
Stellen wir uns das zu erfahrende Weltganze als eine Kugel vor, so kann der egozentrische Beobachter aus seiner Perspektive, selbst wenn er die Position im Mittelpunkt bezieht, immer nur wenig von den "zehntausend Wesen" aufnehmen. Jede einzelne Wissenschaft, Kunst, handwerkliche oder Lebenspraxis bedeutet eine andere Perspektive, jedenfalls soweit der Handelnde von sich abzusehen versucht wie der Objektive Beobachter in der Wissenschaft.
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Um aber des Ganzen teilhaftig zu sein, müßten wir es nicht nur auch von jedem Punkt der Kugelperipherie, sondern überhaupt von jedem Ort in der Kugel zugleich wahrhaben. Dies meint die Formel "Das Zentrum ist überall". Wenn nicht einzeln so doch als Menschheit können wir das annähernd realisieren. Es hängt davon ab, ob wir einzelnen es einerseits zu einer Distanzierung von unseren unmittelbaren Interessen, andererseits zur Kommunion mit den anderen bringen, über die wir Anschluß an alle möglichen Perspektiven finden können (was zwei Seiten einer Medaille sind).
Der Gedanke ist nicht einmal neu. Der erste, der diese Ablösung der Ego-Perspektive zugleich politisch und spirituell verlangt hat, war Laudse, und er kommt unserem Verständnis insofern sehr entgegen, als er in der Eigenart asiatischen Denkens nicht — wie unvermeidlich etwa unser Meister Eckhart — erst über Gott zur Gottheit kommt.
Spinozas große Errungenschaft, Gott gleich der Natur zu setzen, hätte Laudse wegen des Umwegs verwundert. Er sagt von vornherein "Welt", wenn er das Ganze bezeichnen will, zu dessen Organ der Mensch berufen ist, und entwickelt von hier aus sein Fürstenbild. Sehen wir uns das zum Schlüsse dieses Abschnitts noch etwas näher an, einerseits als so ein Stück notwendiger Regression, andererseits als ein Stück Integration nach vorwärts, denn der Alte Meister war uns zugleich voraus. Jedenfalls interessiert mich der homo integralis genau in dieser Dimension politischer Verantwortung, der dafür tragfähigen Subjektivität.
In seinem Daudedsching sind der erleuchtete Weise und der, welcher infolge seiner Übereinstimmung mit der Natur der Dinge berufen wäre, "Herr der Welt" zu sein, ein und dieselbe Figur, und die ist zugleich identisch mit dem Subjekt der ganzen Lehre. Jeder Mensch sollte wert sein, Herr der Welt zu sein. Oder Herrin der Welt: Michael Endes Kindliche Kaiserin popularisiert dieselbe Gestalt, wenn sie auch nicht so politisch konkret wird wie es die des Laudse jedenfalls für sein China war. Weisheit und Kaisertum sind. in jedermann, in jederfrau. Nur ist dieser in uns angelegten Figur durch die Ichbezogenheit, durch das Selbst im Sinne des Selbstischen, des subjektivistischen Eigensinns, der Weg abgeschnitten:
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befallen werde ich von großen übeln
weil ich ein selbst besitze
wäre ich frei vom selbst
welches übel gäbe es für mich?
dem aber, der die welt macht zum selbst
mag man die welt überlassen,
dem, der' liebend der welt gleichsetzt sein selbst
mag man die welt anvertrauen.133) (13. Spruch)Und wer in diesem Geiste "eines landes unglück auf sich nimmt", heißt es an anderer Stelle, sei "wert herr der welt zu sein". Ein solcher "tut nichts für sich und will nicht gepriesen sein". Die Welt zum Selbst machen, als das Subjekt ansehen anstelle des kleinen privaten Ichs - das ist schon bei Laudse diese "Aperspektive", die Gebser als wichtigstes Charakteristikum des homo integralis ausgemacht hat. Nicht ich-, sondern weltidentifiziert ("gottheitidentifiziert") sein, und dann, um es zu wiederholen: "dem, der liebend der welt gleichsetzt sein selbst mag man die Welt anvertrauen."
Laudse selbst hatte seine Position, die in Wirklichkeit höchst avanciert war, als eine wiedergewonnene archaische interpretiert und sich gegen die Geschichte gestellt. In der Zeit der Streitenden Reiche darüber erschrocken, was der selbstisch gewordene Geist anrichtet, wollte er sie nicht nur beenden, sondern rückgängig machen. Er wollte nicht nach oben integrieren, was sich herausdifferenziert hatte, sondern es nach unten auflösen, Namen, Werkzeuge (Arbeitsteilung), kompensatorische Moral, nachträglich ordnende Institutionen usw. wieder stillegen bzw. überflüssig machen. (Der andere, konfuzianische Weg versprach ja nicht, all das harmoniestörende Wissen in einem höheren Bewußtsein aufzuheben, sondern nur, ihm Schranken zu setzen — was die Epoche des unglücklichen Bewußtseins bloß verewigen würde.)
Ein Bewußtsein, wie wir es jetzt brauchen, das imstande wäre, "Kosmos und Geschichte" (so der Titel von Eliade's einschlägigem "Grundbuch") wieder zu versöhnen, den Pfeil der Entwicklung in den Zyklus der ewigen Wiederkehr zurückkehren zu lassen (die bisher nicht besonders reale Idee der "Spirale", die Kreis und aufsteigender Pfeil in einem ist) — ein solches Bewußtsein war damals noch nicht vorstellbar.
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Laudses Geist erinnert an Grof's zweite Geburtsmatrix: dem Schrecken, der mit der Einleitung des Geburtsvorgangs verbunden ist, während nach vorn noch alles zu ist, antwortet die Sehnsucht nach Rückkehr in die vorige "ozeanische" Geborgenheit. Das Dau beschreibt die Kosmogonie im Mutterleib als einen Pol einer naturgerechten Ordnung, den Pol des sie tragenden Urvertrauens.
Mir ist durch die tantrische Rebirthing-Praxis, wie sie Grof darbietet, die Frage gekommen, was es bedeuten könnte, wenn wir alle den Rückweg in dieses Paradies des Laudse real erleben könnten, nicht um dort zu verharren, wo der individuell bewußte Geist noch leer ist, einfach nicht existiert, sondern um aus dieser Geborgenheit und Gelassenheit heraus die anderen Modi und die späteren Stufen unserer Existenz zu entfalten und insbesondere unaggressiv die Dämonen kurzzuhalten, die aus den nächsten beiden Geburtsmatrizen in unserem Unbewußten lauern.
Wir müssen annehmen, daß unsere gesellschaftlichen Verhältnisse mit jedem Fortschritt unserer sich vom Urgrund abstoßenden Kultur immer stärker die negativen Erfahrungen aus unserem Unbewußten bestätigt und rückverstärkt haben. Das Rad hat sich einfach falsch herum gedreht. Deshalb bemühen sich humanistische Psychologie und Meditation darum, die Richtung umzukehren, die Gewichte ins Positive zu verschieben, von daher dann auch die Dämonen zu integrieren, die viel von ihrer Macht verlieren, wenn sie in der Wiederbegegnung lokalisiert und als Teilkräfte erkannt werden. Die Unterscheidung der Geister, die uns mitunter führen, will geübt sein, dann werden wir weniger leicht auf die falschen hereinfallen.
Laudse hatte sich — was ihm, näher an der weiblichen Zeit der ewigen Wiederkehr, in der er spirituell zu Hause war, und geborgen in seiner tantrischen Atempraxis sicher natürlicher war als es uns ist — seines Urvertrauens so wiederversichert, daß sein Dau Zerstörung, Leid, Gefährdung, Tod nicht etwa ausschließt. Die Widersprüche, genauer gesagt, die Polaritäten, sind alle da — die soziale Welt bleibt in Ordnung, wenn man die Polaritäten annimmt, anstatt eine aus ihnen flüchtende Kultur zu schaffen, die vor lauter Sicherheitspolitik exterministisch wird.
Laudse weiß auch — nicht darin überkreuz mit dem Konfuzianismus —, die Menschen sind kraft ihrer Individualität, ihres Eigen-Sinns schon zu jedem beliebigen Zeitpunkt vom Dau abgewichen.
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Sie müssen also kulturell dafür sorgen, daß der von ihnen ausgehenden Harmoniestörung eine Rückregelung gegenübersteht. Deshalb haben sie immer eine religiöse, sittliche, moralische und rechtliche Ordnung, die vor allem die spezifischen Urphänomene menschlicher Existenz — ihre entbundene Geschlechtlichkeit, ihre Intelligenz, ihre Individualität, ihr eingreifendes Umweltverhältnis — im Maß halten muß. Aber sein Weg war, dieses Maß nicht restriktiv von außen zu setzen, sondern im Geiste jene Selbstregulation zu imitieren, die für die Bedürfnisbefriedigung des Fötus im Mutterleib geschaffen ist. Diese Mutter-Kind-Dyade muß nicht wissen, weil sie weiß, muß nichts tun, weil alles geschieht.
Die Weisheit des Bios verhaltensmäßig annähernd wiederzuerreichen, das ist Laudses Weg.
Daß er ihn regressiv verabsolutiert hat, ist heute ganz nebensächlich, wir können kaum genug in dieser Richtung korrigieren. Es gehört gewiß auch zum Menschen, nicht nur zum Manne, Krieger zu sein (die dritte Geburtsmatrix) und Sieger (die vierte). Im Daudedsching steht, wie der Mensch Krieger und Sieger ist bzw. sein kann, wenn er in diesem Urvertrauen wurzelt und selbst den Tod nicht fürchtet. Es ist ein anderer Grundton auch noch als der machtmagische des Don Juan bei Castaneda oder gar der des Samurai.
"Wo sich im Kampfe gleiche Gegner messen, siegt der mitleidige", sagt Laudse(134) und:
gut ist siegen - und damit genug
man wage nicht, zwingherr zu sein
siegen und sich nicht brüsten
siegen und sich nicht rühmen
siegen und nicht stolz auf den sieg sein
gezwungen nur sei man ein sieger -
nicht, um zu zwingen135Die Assoziation zwischen Laudse und der Praxis der Grofs zeigt die Identität des Stoffes, mit dem Spiritualität und Bewußtseinsforschung umgehen. Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, nach C. G. Jung hätte die Hälfte seiner Patienten keine Therapie gebraucht, sondern Religiosität (womit er gewiß nicht das Drücken von Kirchenbänken meinte), und Menschen etwas über 40 brauchten überhaupt keine Therapie, sondern müßten beten lernen.
Therapie erzeugt ja die Selbstdefinition des Menschen als "Patient" und richtet sich auf die Korrektur eines Mangels, um den sich erst einmal die Person sammelt.
Meditation dagegen (in der Vielfalt ihrer Formen, das Rebirthing kann man darunter zählen) schafft der jenseits von "Gesundheit" und "Krankheit" wartenden Naturkraft unseres Genotyps Raum zum Wirken, sie heilt, d.h. sie harmonisiert von unten, von den Wurzeln her und setzt die schwächenden und deformierenden Muster, die den natürlichen Energiefluß hemmen, außer Kraft oder dämpft sie jedenfalls.
Vieles wird lächerlich oder unerheblich, was einem sonst am Herzen frißt.
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Rudolf Bahro 1987 Logik der Rettung