Lewis Mumford

Die Verwandlungen
des Menschen

Hoffnung oder 
Barbarei

The Transformation of Man

 

1956 bei Lewis Mumford

1960 bei Ullstein

1981 im Eichborn-Verlag

Lewis Mumford (1956) Hoffnung oder Barbarei - Die Verwandlungen des Menschen 

1956   (*1895) 

222 Seiten 

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»Der Augenblick für eine erneute große geschichtliche Verwandlung des Menschen ist gekommen«,
schreibt Lewis Mumford in diesem wohl heraus­forderndsten und anregendsten seiner vielen Bücher über Kultur und Zivilisation. 

Er vergleicht die nächste Verwandlung mit der Revolution, die den Menschen aus der Steinzeit herausriß, und sieht ein neues Leben voraus, das so fundamental verschieden von dem uns bekannten ist wie ein Marmortempel von einer Lehmhütte.


Noch hat der Mensch Zeit, die höchste Entwicklung seiner Möglichkeiten zu erreichen, glaubt Mumford, doch warnt er, daß die menschliche Natur jetzt durch eine »Barbarei, elementarer als sie jemals in der Geschichte anzutreffen war«, bedroht sei. 

Die geistigen, persönlichen und technologischen Hilfsquellen, die wir besitzen, um dieser Bedrohung zu begegnen, werden einer eingehenden Prüfung unterzogen; ihr Ergebnis ist die Hoffnung erweckende Botschaft, daß der Mensch jenseits der Diktatur von Wissenschaft und Technik zur Verwirklichung seines innersten Selbst kommen kann und wird.


Dies ist ein Band der Reihe Weltperspektiven.   Inhalt.pdf

Herstellung: Fuldaer Verlagsanstalt     Umschlag: Bojko / Holub     Übersetzt von Leopold Völker.

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Inhalt

  Vorwort  (7)

Vom Tier zum Menschen (11)

Der archaische Mensch (30)

Der zivilisierte Mensch (45)

Der axiale Mensch (69)

Der Mensch der Alten Welt (96)

Der Mensch der Neuen Welt (112)

Der posthistorische Mensch (140) 

Weltkultur (159)

Ausblicke (196)

   

Vorwärts nach Nirgendwo

 Anstelle eines Vorwortes ein Abschnitt aus Mythos der Maschine (S. 557)

7-10

Nicht dem Wissenschaftler oder Techniker von heute gebührt die Ehre, die volle Bedeutung der Automation begriffen zu haben, sondern dem viktorianischen Satiriker Samuel Butler — ein würdiger Nachfahre Jonathan Swifts, der so viele Absurditäten und offenkundige Trivialitäten unserer heutigen Gesell­schaft in seiner Beschreibung von Laputa in <Gullivers Reisen> vorweg­genommen hat. 

Butlers erster Brief an <The Press> in Christchurch, Neuseeland, wurde 1863 veröffentlicht und später in seinen <Notebooks> abgedruckt. 

Als junger Schafzüchter, der Zeit hatte, um über Darwins <Entstehung der Arten> nachzudenken, und mutig genug war, Schluß­folgerungen zu ziehen wie sie kein junger Doktor der Philosophie heute wagen würde, auch wenn er die Zeit dazu hätte, suchte Butler die weitere Entwicklung der in der Gesell­schaft wirkenden Kräfte vorherzusehen. 

Butler erkannte als erster, daß Darwins Evolutions­theorie, wenn sie stimmte, nicht willkürlich bei der physischen Entwicklung des Menschen haltmachen oder annehmen konnte, daß dieser äonenalte Prozeß nun beendet wäre. Wie die meisten seiner - und unserer - Zeitgenossen, glaubte er, daß »es wenige Dinge gibt, auf die die gegenwärtige Generation mit mehr Recht stolz ist, als die wunderbaren Verbess­erungen, die Tag für Tag an allen möglichen Vorrichtungen vorgenommen werden«

Aber er konnte nicht umhin, zu fragen: »Was soll das Ende dieser gewaltigen Entwicklung sein? In welche Richtung bewegt sie sich? Was wird dabei heraus­kommen?«

Seine Antwort war: Wie das Pflanzenreich sich aus dem Reich der Minerale entwickelt und das Tier die Pflanze übertroffen hat, ist nun »in den letzten Jahrtausenden ein ganz neues Reich entstanden, von dem wir vorläufig nur das gesehen haben, was eines Tages als die vorsintflutlichen Prototypen der Art betrachtet werden wird« nämlich das Reich der Mechanik.

Indem der Mensch täglich die Konstruktion der Maschinen verschönerte und verfeinerte, meint Butler, erzeugt er seine eigenen Nachfolger, 

»denen er mehr Kraft gibt und durch Vorrichtungen aller Arten die Fähigkeit der Selbstregulierung und Selbsttätigkeit verleiht, die für sie das sein wird, was der Verstand für die Menschen war. Mit der Zeit werden wir uns als die unterlegene Rasse erweisen.«

Diese Übertragung von Leben auf mechanische Gebilde wird - so erklärt Butler - die größte Schwierigkeit des Menschen aus dem Weg räumen: die der Entwicklung seiner eigenen Fähigkeit, menschlich zu werden. In der moralischen Eigenschaft der Selbstkontrolle würden die Maschinen so überlegen sein, daß der Mensch 

»zu ihnen aufblicken wird als dem Gipfel all dessen, was der beste und weiseste Mann je anzustreben wagte. Keine bösen Leiden­schaften, keine Eifersucht, kein Geiz, keine unreinen Wünsche werden die ruhige Macht jener herrlichen Wesen stören. Sünde, Schande und Sorge werden keinen Platz unter ihnen haben ... Wenn sie Gefühl wollen (wir geben allein schon mit dem Gebrauch dieses Worts zu erkennen, daß wir sie als lebende Organismen ansehen), werden sie von geduldigen Sklaven bedient werden, deren Pflicht und Aufgabe es sein wird, dafür zu sorgen, daß ihnen nichts fehlt.« 

Norbert Wiener vorwegnehmend, schloß Butler sogar die Möglichkeit, daß eine Maschine eine andere Maschine reproduziert, zumindest als entfernte Perspektive nicht aus.
»Tag für Tag«, schloß Butler, 

»gewinnen die Maschinen uns gegenüber an Boden; Tag für Tag werden wir abhängiger von ihnen; täglich werden mehr Menschen als Sklaven verpflichtet, sie zu bedienen, täglich widmen mehr Menschen ihre gesamten Lebens­energien der Entwicklung des mechanischen Lebens. Der Erfolg ist einfach eine Frage der Zeit, aber daß die Zeit kommen wird, da die Maschinen die Herrschaft über die Welt und deren Bewohner ausüben werden, kann von keinem Menschen mit wahrhaft philosophischem Geist auch nur einen Augenblick lang bezweifelt werden.«

Hat Butler auch genau das vorausgesehen, was heute tatsächlich, geschieht, so handelte er seiner eigenen Logik entgegen, indem er, offenbar ironisch, ein absurdes Heilmittel vorschlug: 

»Man sollte den Maschinen unverzüglich den Krieg bis aufs Messer erklären ... Laßt uns zum Urzustand der Mensch­heit zurückkehren. Sollte jemand behaupten, dies sei beim gegenwärtigen Stand der mensch­lichen Verhältnisse unmöglich, so beweist dies nur, daß das Unglück schon geschehen ist, daß unsere Knechtschaft in allem Ernst begonnen hat, daß wir ein Geschlecht von Wesen aufgezogen haben, das zu vernichten nicht mehr in unserer Macht liegt, und daß wir nicht nur versklavt sind, sondern uns auch gänzlich mit unserer Sklaverei abgefunden haben.«

Butler dürfte vor seinen eigenen Ahnungen erschrocken sein so sehr, daß er sich sogleich Sicherheit zu schaffen suchte, wie es zweifellos auch viele Leser dieser Seiten tun werden, indem er sich den Befürwortern der totalen Automation anschloß. 

In einem zweiten Brief an dieselbe Zeitung trat Butler - nun auf Gegenkurs - als Anwalt der technischen Entwicklung auf, von der elementarsten Feuersteinaxt bis zur raffiniertesten automatischen Maschine. Er verwies ganz richtig darauf hin, daß die Maschine eine Erweiterung der organischen Eigenschaften des Menschen ist, eine Weiterentwicklung seiner körperlichen Fähigkeiten, deren Umfang sie vergrößert und denen sie neue Qualitäten hinzufügt, so wie Musikinstrumente Umfang und Qualität der menschlichen Stimme erweitern. Als gefügige Sklaven seien Maschinen so unschuldig und so hilfreich wie die Finger einer Hand.

Doch es ist ein Unterschied, ob man die Maschine benützt, um menschliche Fähigkeiten zu erweitern, oder sie dazu verwendet, menschliche Funktionen einzuengen, über Bord zu werfen oder zu ersetzen. Im ersten Fall wendet der Mensch noch die Macht für sich selbst an; im zweiten übernimmt die Maschine die Macht, und der Mensch wird zu ihrem Gehilfen. Dies brachte Butler zu dem Problem zurück, dem er leichtfertig ausgewichen war, als er vorschlug, die Maschine zu vernichten: zur Frage, welche Veränderungen notwendig sind, um die Macht des Menschen über seine eigenen Schöpfungen wiederherzustellen und zu stärken.

Als Butler in seiner Satire <Erewhon> (Umkehrung von Nowhere = Nirgendwo), in der alles auf den Kopf gestellt wird, zu diesem Problem zurück­kehrte, nahm er Zuflucht zu einem humoristischen Kompromiß, indem er eine bestimmte Grundausrüstung mit traditionellen Maschinen zuließ, aber die Zerstörung von Maschinen, die nach einem willkürlich gewählten Zeitpunkt erfunden wurden, und die strenge Bestrafung aller künftigen Erfindungsversuche vorsah. Das war ein bedenkliches Ausweichen vor dem eigentlichen Problem: eine Methode der Bewertung, Selektion und Kontrolle zu finden. 

Doch Butler verriet, bei aller phantastischen Tarnung, größeres Verständnis für die Schwierigkeiten, denen die Menschheit heute tatsächlich gegenübersteht, als die meisten unserer Zeitgenossen, denn ein großer Teil des fortgeschrittenen Denkens in Wissenschaft und Technik ist heute darauf gerichtet, immer mehr menschliche Komponenten auf die Maschine zu übertragen, ohne sich auch nur im geringsten darüber Sorgen zu machen, was vom Leben des Menschen übrigbleiben wird, wenn dieser Prozeß endlos weitergeht.

Es war Butlers Verdienst, diese technologische Besessenheit zu durchschauen; er wies darauf hin, daß nicht die Menschen aus der totalen Mechanisierung Nutzen ziehen würden, sondern die Maschinen, die sich in Ersatz-Liebesobjekte verwandelt hatten und bald aus bloßen Fetischen zu Göttern werden sollten. Butler sah, daß die Mechanisierung dazu führen würde, den Menschen nicht mächtiger und intelligenter, sondern völlig überflüssig zu machen – zu einem trivialen Beiwerk der Maschine, zu einem lobotomisierten Zwerg, dessen ungeheure organischen Fähigkeiten amputiert wurden, damit er den Anforderungen der Maschine entspreche. Mit prophetischem Blick erkannte Butler die Mauer am Ende dieser Sackgasse: 

»Die Macht der Gewohnheit ist enorm, und die Veränderung wird so allmählich sein, daß das Gefühl des Menschen für das ihm Gebührende zu keiner Zeit grob verletzt sein wird. Die Knechtschaft wird uns lautlos und unsichtbar befallen; und es wird auch nie zu einem offenen Zielkonflikt zwischen Mensch und Maschine kommen, der zu einer ernsten Auseinandersetzung zwischen ihnen führen würde.« 

Noch exakter formulierte Butler es in einem anderen Absatz in seinem späteren phantastischen Roman <Erewhon>

»Wir können keine entsprechenden Fortschritte in den intellektuellen und physischen Fähigkeiten des Menschen einkalkulieren, als Ausgleich für die weit größere Entwicklung, die der Maschine bestimmt zu sein scheint. Manche Leute mögen sagen, der moralische Einfluß des Menschen werde genügen, um sie zu beherrschen; doch ich kann nicht glauben, daß man jemals auf das Moralempfinden einer Maschine wird vertrauen können.«

Von der satirischen Überspitzung abgesehen, hätte man die Ereignisse, die Institutionen und die Mentalität von heute nicht realistischer voraussehen können. Aber weder in den Lehrbüchern über Physik und Maschinenbau noch in den modernen standardisierten Vorhersagen der technisierten Zukunft ob sie sich nun als Soziologie oder als Science-Fiction gibt, kann man diese Dinge finden. Denn Butler beschäftigte sich nicht nur mit den greifbaren Erfindungen und Entdeckungen seiner Zeit; er hatte die Möglichkeit eines tiefergehenden und allgemeineren Wandels begriffen: eines Wandels, der den menschlichen Organismus zerstückeln würde, um ihn als Leben simulierende, Leben ersetzende kollektive Maschine zu reproduzieren.

Butler schreckte vor diesem Nihilismus zurück und tat ihn als einen bitteren Scherz ab. Wäre er aber ein religiöser Prophet und kein Satiriker gewesen, so hätte er das letzte Wort über diese ganze Entwicklung sprechen können, das lange zuvor schon von Jesaja ausgesprochen wurde: 

»Wie seid Ihr so verkehret! 
Gleich als wenn des Töpfers Ton gedächte, 
und ein Werk spräche von seinem Meister: 
Er hat mich nicht gemacht; 
und ein Gemächte spräche von seinem Töpfer: 
Er kennet mich nicht.« 

Ein Jahrhundert nach Butler dröhnen diese Fragen nun drohend in unseren Ohren.

10

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Hoffnung oder Barbarei - Die Verwandlungen des Menschen - Lewis Mumford - 1956