Gregory BatesonÖkologie des Geistes
Anthropologische,
psychologische,
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1972 648+18 Seiten detopia: |
Inhalt # Ü von H.Holl Einleitung von H. Stierlin (7) Einführung: Die Wissenschaft von Geist und Ordnung (15) Veröffentlichungen von Gregory Bateson (649) Namenregister (659) Sachregister (663) Ich kannte mal einen kleinen Jungen in England, der seinen Vater fragte: <Wissen Väter immer mehr als Söhne?>, und der Vater sagte: <Ja!>. — Die nächste Frage war: <Pappi, wer hat die Dampfmaschine erfunden?>, und der Vater sagte: <James Watt>. Darauf der Sohn: <Aber warum hat sie dann nicht James Watts Vater erfunden?> Von manchen Evolutionstheoretikern wird der Einfluß des gebürtigen Briten Bateson (1904 bis 1980) mit dem Darwins verglichen und von vielen Psychotherapeuten mit dem Freuds. Kaum ein anderer Vergleich könnte den Rang seines Lebenswerks besser illustrieren. Sein Werk ist von einer Variationsbreite und Relevanz, die allen einzelwissenschaftlichen Schranken und Beschränktheiten der akademischen Forschung hohnspricht. Bateson hat Daten, Erkenntnisse und Erfahrungen aus Biologie, Soziologie, Linguistik, Geschichte, Psychologie, Kybernetik und Kunst verglichen und ihre Strukturen und Entwicklungsprozesse analysiert. Der rote Faden, der alle Arbeiten Batesons durchzieht — seien es nun Untersuchungen über die Entwicklung von Stammesstrukturen in Neuguinea, die Kommunikation in Familien mit einem schizophrenen Mitglied, das Lernen der Delphine, die Kunst in Bali oder die Wurzeln ökologischer Krisen — ist die Frage nach der Dialektik von Erkenntnis- und Umweltstrukturen. (Fritz B. Simon)
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Teil 1 Metaloge
Teil 2 Form und Muster in der Anthropologie Kulturberührung und Schismogenese (99) Spekulationen über ethnologisches Beobachtungsmaterial (114) Moral und Nationalcharakter (133) Bali: Das Wertsystem in einem Zustand des Fließgleichgewichts (156) Stil, Grazie und Information in der primitiven Kunst (182) Anmerkung zu Teil II (213) Teil 3 Form und Pathologie in der Beziehung Sozialplanung und der Begriff des Deutero-Lernens (219) Eine Theorie des Spiels und der Phantasie (241) Epidemiologie einer Schizophrenie (262) Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie (270) Die Gruppendynamik der Schizophrenie (302) Minimalforderungen für eine Theorie der Schizophrenie (321) Double bind, 1969 (353) Die logischen Kategorien von Lernen und Kommunikation (362) Die Kybernetik des »Selbst«: Eine Theorie des Alkoholismus (400) Anmerkung zu Teil III (436) Teil 4 Biologie und Evolution Über Hirnlosigkeit bei Biologen und Erziehungsministerien ... 441 # Die Rolle der somatischen Veränderung in der Evolution ... 445 # Probleme in der Kommunikation von Delphinen und anderen Säugetieren ... 468 # Eine Überprüfung von »Batesons Regel« ... 486 # Anmerkung zu Teil IV ... 510 Teil 5 Erkenntnistheorie und Ökologie Kybernetische Erklärung (515) Redundanz und Codierung (530) Bewußte Zwecksetzung versus Natur (549) Auswirkung bewußter Zwecksetzung auf die menschliche Anpassung (566) Form, Substanz und Differenz (576) Anmerkung zu Teil V (598) Teil 6 Krisen in der Ökologie des Geistes Von Versailles zur Kybernetik (603) Krankheiten der Erkenntnistheorie (614) Die Wurzeln ökologischer Krisen (627) Ökologie und Flexibilität in urbaner Zivilisation (634) |
Einleitung von Helm Stierlin (1926-2021) ^^^^
7-9
Ich halte Gregory Bateson für einen der wichtigsten Denker unseres Jahrhunderts.
Deutschsprachige Leser kennen ihn in erster Linie als Schöpfer des Begriffes »double bind«, den ich mit »Beziehungsfalle« übersetzt habe. Ein »double bind« ist Folge und Ausdruck einer zwischenmenschlichen Verstrickung, die durch eine widersprüchliche - aber in ihrer Widersprüchlichkeit schwer durchschaubare - Kommunikation ermöglicht wird.
Mit der Beschreibung dieser Verstrickung ermöglichte Bateson ein neues Verständnis der gemeinhin als Schizophrenie bezeichneten psychiatrischen Störung — obschon (oder weil) Bateson seither deutlich gemacht hat, daß double binds nicht spezifisch für solche Störung sind, sie vielmehr auch bei künstlerischer Kreativität, beim Humor, ja selbst beim Vorgehen vieler erfolgreicher Psychotherapeuten eine Rolle spielen. Dabei ist der »double bind« nur ein - wenn auch wichtiger - Teil seines Beitrages zu einem neuen psychiatrischen und psychotherapeutischen Verständnis. Die familientherapeutische Arbeit unseres Heidelberger Teams wie die vieler anderer Kollegen im Inland und westlichen Ausland wäre undenkbar ohne die Ideen und Anstöße, die Gregory Bateson seit etwa 40 Jahren gegeben hat.
Aber Batesons Denken reicht weit über den engeren psychiatrischen und psychotherapeutischen Bereich hinaus: Er darf als Mitbegründer und -entwickler der ökologischen oder besser: ökosystemischen Sicht der Lebensprozesse gelten. Heute ist es schon fast ein Gemeinplatz zu sagen: das Überleben der Menschheit wird davon abhängen, ob, wie weit und wann sie sich solche Sicht zu eigen macht.
Bateson verdeutlicht wie wohl kaum ein anderer Autor, was ein solches »Sich-zu-eigen-Machen« alles bedeutet — vor allem die Korrektur vieler eingeschliffener Verstehensansätze, Denkgewohnheiten, Wahrnehmungsweisen und Beziehungsmuster.
Das schließt für Bateson auch die Korrektur jener beiden Verstehensansätze ein, die das geistige Klima unserer heutigen Welt überwiegend zu bestimmen scheinen — des psychoanalytischen und marxistischen Ansatzes.
Wie Margaret Mead, die über längere Zeit seine Lebensgefährtin war, ist Bateson von Haus aus Anthropologe. Schon seine frühen Arbeiten weisen ihn als einen sorgfältig beobachtenden Feldforscher aus, der seine Daten häufig unter einem ungewohnten Blickwinkel betrachtet und sie mit Daten aus verschiedensten Wissens- und Erfahrungsbereichen wie Biologie, Soziologie, Kybernetik, Linguistik, Geschichte, Psychologie und Kunst vergleicht. Ich kann mir keinen Autor vorstellen, der wie er in der Form eines Baumblattes, dem Körper eines Krebses und der Grammatik unserer Sprache vergleichbare Organisationsprinzipien hätte entdecken können.
Daß ihm dies so überzeugend gelingt, hat meines Erachtens viel mit seiner Befolgung einer Maxime zu tun, die er in dem vorliegenden Band wiederholt vertritt: Man müsse als wissenschaftlicher Forscher stets sowohl ein strenges wie ein lockeres Denken (strict and loose thinking) zum Zuge bringen können. Eine Mischung (oder wenn man will: Dialektik) von lockerem und strengem Denken kennzeichnet, so scheint mir, alle seine Arbeiten. Dabei scheinen sich neue Einsichten, provokative Aussagen ständig gleichsam wie auf leisen Sohlen einzuschleichen. Wir lesen etwa in seinen Schriften: »Das Lebewesen, das im Kampf gegen seine Umwelt siegt, zerstört sich selbst«; »Wissenschaft beweist niemals etwas«; »Es gibt keine objektive Erfahrung«; »Logik ist ein karges Modell von Ursache und Wirkung« oder »Kausalität wirkt nicht zurück«. Man muß Bateson langsam und mehrmals lesen, sich immer wieder mit ihm auseinandersetzen, um nachvollziehen zu können, wie revolutionär und zugleich einleuchtend er ist.
Bateson legt wiederholt den Vergleich mit philosophischen Autoren nahe, die deutschsprachigen Lesern vertrauter sind als er selbst — z.B. mit Hegel, der ihm im Hinblick auf die Weite der Interessen und die Faszination durch Widerspruch und Paradox verwandt scheint, oder, in neuerer Zeit, mit Victor von Weizsäcker, der hierzulande vielleicht mehr als jeder andere Denker ökosystemische psychosoziale Zusammenhänge bzw. eine Ökologie des Geistes erschaut oder erahnt hat.
Doch mir ist kein deutschsprachiger Autor bekannt, der wie Bateson in seiner Person eine so weitgespannte wissenschaftliche Phantasie, den Blick für das Wesentliche, Witz, Wärme und, last not least, die Fähigkeit zum Understatement vereint.
Abgesehen von mehreren getrennt veröffentlichten Büchern enthält dieser Band die wesentlichen Arbeiten, die Bateson bisher geschrieben hat.
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