Friedrich Heer

Das Wagnis der
Schöpferischen
Vernunft

 

 

 

1977 bei Kohlhammer in Stuttgart

2003 im Verlag Böhlau, Wien

Das Wagnis der schöpferischen Vernunft (1977) Von Friedrich Heer

1977     400 Seiten

wikipedia.Autor *1916 in Wien bis 1983 (67)

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Rudolf.Bahro   Löbsack-1974

 

Aus: Rudolf Bahro, S. 157 (1987)

Wer die psycho-physiologische Verankerung dieser Struktur, ihre Verflechtung mit dem Selbstideal des Wissen­schaftlers im weitesten Sinne, des Durch­schnitts­priesters der Megamaschine, noch verdeutlicht wünscht, der lese Friedrich Heers Buch <Das Wagnis der schöpferischen Vernunft>. 

Auf den ersten zehn Seiten seines Kapitels <Vom Wahnsinn der reinen Vernunft und der reinen Wissenschaft> porträtiert er Rene Descartes, der die moderne wissenschaftliche Methode begründete.

Das Beispiel dieses Menschen spricht gerade auf der Ebene der Psychographie Bände über die große Selbst­veränderung, der wir uns überlassen müssen, wenn eine naturverträgliche Wissenschaft herauskommen soll. 

Ausgehend von dem <Ulmer Traum>, in dem Descartes die Ansprüche seiner "Unterwelt" abwehrte, schreibt Heer u.a.:

Für die neuen Mönche, die reinen Wissenschaftler, wird die Wissenschaft zu einer für andere, "unreine Geister", für "unwissenschaftliche" Freibeuter unberührbare Göttin, die vor dem "Obszönen", vor den nicht der "Disziplin" gehorsamen "Zuchtlosen" zu verteidigen ist. Auch durch Scheiterhaufen, auf jeden Fall durch Exkommunikation durch die "neue Kirche" des Protestantismus, die Universität (Hegel: "Unsere Kirche ist die Universität.")

"Vorbildlich" für das schizophrene Leben des "reinen Wissenschaftlers" des 20. Jahrhunderts, der "seelenruhig" mit Menschen und Atomen experimentiert, führt Descartes ein Doppelleben. Er hat jeweils zwei Räume: einen salon de reception und dahinter ein unzugängliches Laboratorium, worin er Tiersektionen (so auch Vivisektionen an Kaninchen), das Schleifen von Teleskoplinsen und andere naturwissenschaftliche Arbeiten vornimmt.

Der teuerste Preis, der für die "Unterjochung" der Natur, der "Triebe", der "Lüge" (hier werden alle Poesie, alle Produktionen der schöpferischen Einbildungskraft mit verdammt, wo sie sich nicht instrumental verwenden ließen im Dienste der "reinen Theologie" und der "reinen Wahrheit" der "reinen Wissenschaft"), für die Unterjochung des Geschlechts, der Frau, der Kindhaftigkeit des Menschen bezahlt werden mußte (und heute noch in der Zivilisation des weißen Mannes bezahlt wird), ist die Neue Furcht.

Diese Neue Furcht gilt dem gesamten leibseelischen Untergrund der Person, der Weltgeschichte, der Menschengeschichte, die als ein "Chaos", als ein "Werk des Teufels", der "Dämonen", als "Irrsinn", "Wahnsinn", "Verbrechen" abgetan wird.

Während ihn, im Traum, der unheimliche Wind herumwirbelt, wird er ständig von der Furcht gequält, zu fallen — die Erde, das heißt die, Wirklichkeit, das Weiblich-Mütterliche (den Schoß aller Poesie, aller Einung der schöpferischen Kräfte des Menschen) zu berühren.

Descartes baut seinen Mythos der Wissenschaft... in der Überwindung dieser als teuflisch erfahrenen "Anfechtung", "Versuchung" durch die bösen Geister aus seiner Tiefe auf. Er erfährt, weiterträumend, sein Pfingsterlebnis: sein Ergriffenwerden durch den reinen Geist, durch den heiligen Geist der Wissenschaft. "Die universale Wissenschaft erhebt unsre Natur zu ihrem höchsten Perfektionsgrad." In diesem seinem Pfingsten der Vernunft... erlebt er in heiliger Ergriffenheit: diese reine Wissenschaft (seine Wissenschaft) ist die Wissenschaft Gottes und der Engel.

Descartes: "Ich werde annehmen, daß Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne und das Gesamt alles Äußeren nichts anderes sei als ein Gaukelspiel der Träume, durch das er meiner Leichtgläubigkeit hinterlistig Fallen stellt; ich will mich selbst so ansehen, als hätte ich keine Hände, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut, nicht irgendwelche Sinne, sondern meinte bloß fälschlich, dies alles zu haben."

 

 

 

 

 

   

Inhalt   - Wagnis-1977

 

1. Israel: Explodierende Geschichte  (7)

2. Ein-Bildungen des Christentums  (102)

3. Vom Wahnsinn der reinen Vernunft und der reinen Wissenschaft  (172)

4. Eine große Kunst: Die Historie  (202)

5. Fragen  (267)

6. Die große Kunst der Philosophie  (272)

7. Das weite Land  (294)

8. Für eine Wiedergeburt der Freien Künste  (323)

9. Die freieste der Freien Künste: Die Dichtung  (345)

10. Epilog  (375)

Anmerkungen  (380)    Auswahlbibliographie (398)

 


 

Aus Wikipedia 2015:

 

Heer begann als Mittelalter-Historiker: in seiner Dissertation und in seinem ersten großen Werk, dem Buch <Aufgang Europas> von 1949, dem 1952 als zweiter Band <Die Tragödie des Heiligen Reiches> folgte. (Das Heilige Römische Reich war dann auch Thema und Titel eines Buches von 1967.) 

Der Titel des Buches <Gespräch der Feinde> (1949) wurde von Gegnern und Freunden als „Lebensmotto“ Heers erkannt. Auch Heer selbst betrachtete dieses Buch als „Angelpunkt“ seines kultur- und kirchenkritischen Werkes.

Das Mittelalter wurde für Heer erneut zum Thema eines ganzen Buches im Rahmen von Kindlers Kulturgeschichte, für die er 1961 den Band <Mittelalter> schrieb. Seine Werke nach 1952 stellen das Mittelalter jedoch zunächst in größere Zusammenhänge, so in der ersten großen Synopsis Europäische Geistesgeschichte (1953), die einen Bogen vom Frühchristentum bis in die Gegenwart schlägt. 

Als (sehr umfangreiche) Ergänzungen und Erweiterungen der Europäischen Geistesgeschichte können die Bücher <Europa. Mutter der Revolutionen> (1964), das speziell die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts zum Thema hat, und <Die dritte Kraft> (1959), in dem es um das 16. Jahrhundert und den Humanismus geht, betrachtet werden.

Für die Fischer-Bücherei konzipierte Heer Einführungen zu Hegel (1955), Meister Eckhart (1956), Leibniz (1958) und Erasmus von Rotterdam (1962), die jeweils einen einleitenden Text Heers und seine Auswahl aus den Werken der Denker enthalten.

In einigen seiner bedeutendsten Werken setzte Heer sich kritisch mit einzelnen kirchlichen Traditionen auseinander: mit dem Antisemitismus in den beiden zusammengehörigen Werken <Gottes erste Liebe> (1967) und <Der Glaube des Adolf Hitler> (1968), die bei ihrem Erscheinen großes Aufsehen erregten. Das Werk <Kreuzzüge – gestern, heute, morgen?> (1969) macht die Kriegstheologie zum Thema, <Abschied von Höllen und Himmeln> (1970) die christliche Eschatologie.

In seiner Geschichtsdeutung hatte Heers Heimatland Österreich immer einen besonderen Stellenwert, so erstmals in der Aufsatzsammlung <Land im Strom der Zeit> (1958) und dann in <Der Kampf um die österreichische Identität> (1981), das eines seiner Hauptwerke ist.

<Das Wagnis der schöpferischen Vernunft> (1977) bezeichnete Heer als sein „geistiges Testament“. 

Neben seinen Hauptwerken veröffentlichte er zahlreiche Sammelbände seiner Aufsätze, so z. B. <Sprechen wir von der Wirklichkeit> (1955), <Quellgrund dieser Zeit> (1956) und <Experiment des Lebens> (1957).

Neben seinen geisteswissenschaftlichen Studien schrieb Heer Romane (<Aster und der Alte>, <Scheitern in Wien> und <Der achte Tag>).

 


 

https://www.perlentaucher.de/buch/friedrich-heer/das-wagnis-der-schoepferischen-vernunft-ausgewaehlte-werke-in-einzelbaenden-band-1.html

 

Rezensionsnotiz zuFrankfurter Allgemeine Zeitung, 05.12.2003

Kein gutes Haar lässt Friedrich Wilhelm Graf am ersten Band der von Konrad Paul Liessmann herausgegebenen "Ausgewählten Werken" des 1916 geborenen Philosophen Friedrich Heers. Schlechter als mit dem "Wagnis der Schöpferischen Vernunft" hätte die Heer-Edition nicht starten können, befindet Graf. Schließlich sieht er in dem "hastig verfassten" Werk des "einst brillant schreibenden Autors" und "österreichischen Vorzeigeintellektuellen" die "katastrophalen Schwächen" seiner "mäandernden Vielschreiberei" "grell zutage" treten. Daran kann auch Liessmanns Versuch, Heer in die Nähe von Adorno, Horkheimer, Feyerabend und Derrida zu rücken, nichts ändern. Grafs bescheinigt Heers Schriften böse das "Niveau schnell zusammengestoppelter Proseminararbeiten", eine "chaotische Themenvielfalt", "wabernde Allassoziation und diffuses Geraune", ein "einziges Erzählmuster", das ermüdend repetiert werde, "intellektuellen Kontrollverlust", "zahllose Zitatfetzen" und vieles Negative mehr.


Rezensionsnotiz zuSüddeutsche Zeitung, 06.10.2003

Dass Friedrich Heer, "einer der großen Polemiker unter den europäischen Historikern", es nie zu einem Ordinariat brachte, wundert Rezensent Wolf Lepenies nicht, und das sowohl im schlechten als auch im guten Sinne, denn Heer war seinem Wesen nach "kein ordentlicher Professor", sondern ein "außerordentlicher". In diesem Buch schlage sich diese Außerordentlichkeit aufs Deutlichste nieder: Auf 400 Seiten, die dem Leser laut Lepenies wie 4000 scheinen, geht es um Gott und die Welt, ohne allerdings den lesensnotwendigen "roten Faden", sieht man einmal vom durchgängigen "Zorn des Verfassers" ab. Der gelte einem einzigen "roten Tuch", nämlich der "Selbstüberschätzung der abendländischen Vernunft". Als ersten Selbstüberschätzer brandmarke der Autor Rene Descartes, der sich, aus Angst dem Dämonischen zu erliegen, zum "Diktator der Vernunft" erhoben habe. Und genau diese "Atmosphäre der Angst" sei es, so laute Heers These, die alle "großen Geisteskonstruktionen des Abendlandes" hervorgebracht habe: Angst vor dem Teufel, vor den Tieren oder vor dem Wahnsinn. Nur aufgrund dieser permanenten und vielfältigen Angst übe das Vernunftdenken eine so große Anziehungskraft auf die Europäer aus, und habe ihre Geistesgeschichte so grundlegend gestaltet. Doch in seinem Feldzug gegen die sich selbst überschätzende Vernunft ist Heer in Lepenies' Augen "brillant gescheitert". Er habe ein durch und durch "unvernünftiges" Buch geschrieben, "frei von Methode und ohne jede Disziplin", "ausschweifend" und den Leser fast immer "überfordernd". Will man der Vernunft kritisch begegnen, so Lepenies, braucht man einfach Disziplin.


 

 

 

 

 

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 Das Wagnis der schöpferischen Vernunft  - Autor: Friedrich Heer