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Petra K. Kelly 1982

Ein Kapitel Bewegungsgeschichte  

Wie sich die Ökologiebewegung zur Friedensbewegung erweiterte 

»Geh' nicht sanft in jene Nacht — Wüte, wüte 
gegen das Sterben des Lichtes«  Dylan Thomas

»Wer Beton statt Bäume will, wem Eigentum vor Leben geht 
und Gesetze vor Menschlichkeit, dem erlauben wir nicht mehr uns zu regieren.«

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In den 70er Jahren erlebte die Bundesrepublik den Aufschwung zweier ungewöhnlich starker politischer außerparlamentarischer Bewegungen: der Ökologie- und der Friedensbewegung. Die Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Wyhl im Jahre 1975 und die schneeballartige Ausbreitung der verschiedensten Bürgerinitiativen und Aktionsgruppen im Umweltbereich sowie die Ausbreitung von Friedensinitiativen seit dem Jahre '79, nach dem NATO-Doppelbeschluß, sind Kristallisationspunkte einer neuen alternativen politischen außerparlamentarischen Kultur.

Das Wort »Umweltschutz« kam für mich zu einer Zeit zur Geltung, die man heute, fast nostalgisch, »Hochkonjunktur« nennt. Es war das Ende der 60er und der Anfang der 70er Jahre — das Zeitalter des Überflusses, des sogenannten Wohlstandes, das Zeitalter des kapitalistischen Schlaraffen­landes. 

Doch das Bild war Anfang der 70er Jahre nicht ungetrübt. Da und dort gab es Symptome, Indizien für Störungen, und so wurde Anfang der 70er Jahre der <Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V.> (BBU) gegründet. Die verschiedenen Umweltinitiativen der frühen 70er Jahre waren die Vorhut einer neuen ökologischen und blockübergreifenden Friedensbewegung.

Der Zuwachs der Bürgerinitiativen im Ökologiebereich zeigte auch das Bedürfnis der vielen jungen und älteren Menschen in der Bundesrepublik (vom Kaiserstühler Winzer bis zu den Frauen in Gorleben), selbständig an öffentlich-politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. 

Menschen unterschiedlicher Generationen, aus und mit unterschiedlichen politischen Schattierungen zeigten ihr Engagement für eine bessere Lebenswelt und machten deutlich, daß der Planet Erde keinen Notausgang habe. Die ersten gewaltfreien Aktionen, gewaltfreien Blockaden sowie die gewaltfreien Besetzungen des Bauplatzes in Whyl, initiiert von den engagierten Winzerfrauen und Bauern und umweltbesorgten Städtern (Wyhl, Brokdorf), hatten eine bundesweite öffentliche Diskussion über das Sicherheitsproblem der Atomenergiepolitik entfacht. 

Während die Regierungen, die Parteien sowie die Gewerkschaften das verheerende Ausmaß möglicher ökologischer Katastrophen verschwiegen hatten, nahmen die verschiedenen Umwelt- und Ökologieinitiativen das Interesse des Gemeinwohls in diesem Problemfeld wahr. Das Handeln der vielen ökologischen Initiativen besaß und besitzt in vielen Fällen eine ganz neue Qualität politischer Verantwortung, insofern über Generations­zeiträume gedacht wird, nicht bloß bis zum kommenden Wahltermin. 

In den Jahren der Wyhler und Brokdorfer Auseinandersetzungen, in einer Zeit, in der die Betroffenen für die Probleme ihrer Lebenswelt Alternativen vorschlagen oder durchsetzen wollten, suchte die staatliche Verwaltung solche Willensartikulationen zu unterdrücken und die Einordnung ins gesell­schaftliche System zu beschleunigen: Der Atomstaat stand vor der Tür. Staatliche Politik hatte versucht, das Programm des Wirtschaftswachstums gegenüber den Bürgern mit Polizeipanzern und Hubschraubern und Wasserwerfern durchzusetzen, hiermit kam offen zutage, wie gefährlich das politische System in Abhängigkeit vom ökonomischen Diktat blinder Wachstumstechnokratie geraten war. 

Im Zuge der Antiatom- und Ökologiebewegung haben Bürgeraktivitäten nicht nur den Richtungssinn des technologischen »Fortschritts« grundsätzlich in Frage gestellt, sondern — ein entscheidender Schritt hinaus — entwickeln in kleinen Schritten auch menschlichere Lebensformen im Alltag der Industrie­gesellschaften. Das heißt: Die Suche nach alternativen Lebensformen war eine weitere entscheidende Triebkraft der neuen politischen Kultur innerhalb der Ökologiebewegung, die sich von unten, aus dem Befreiungswunsch der Menschen aufbaut.

Ich erinnere mich aber noch sehr wohl an Referate und politische Vorträge, die ich im Jahre 1975 und 76 im Kaiserstühler Raum zusammen mit Roland Vogt und anderen ökologischen Weggefährten und Genossen und Genossinnen gehalten habe. Antimilitaristische Themen wurden oft mit großem Mißtrauen aufgenommen. 

Fürchtete die Ökobewegung — nicht zuletzt die teils bürgerlich-wertkonservative Basis — durch die Aufnahme solcher Themen in die linke Ecke gedrängt zu werden, so war manchen linken Antimilitaristen die Absage der Umweltschützer an innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Befriedungs­träume durch allseits wachsenden Wohlstand suspekt. 

Zu kraß war der Gegensatz in dieser Zeit zwischen dem früheren Ideal vom Wachstum der befreiten Produktivkräfte ins Reich der Freiheit einerseits und den spartanischen Wehrstaaten andererseits, wie sie bürgerliche (Gruhl) oder sozialistische (Harich) Ökotheoretiker entwarfen.

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Das politische Engagement der Ökologiebewegung in den 70er Jahren hatte sich vor allem an zwei Themen entzündet, der Atomenergie (hauptsächlich die zivile Nutzung) und der Umweltzerstörung. 

Dagegen haben weder die Hungerkatastrophen in der Dritten Welt noch die Bevölkerungsexplosion zu vergleichbar breit angelegten Aktions­zusammen­schlüssen geführt, und das ist sehr bedauerlich. 

Auch die Gefahr des Atomkrieges schien lange Zeit kein politisches Prioritätsthema innerhalb der Ökologiebewegung zu sein. Erst die sogenannte Nachrüstungsdebatte nach dem 12.12.79 hat dies gründlich geändert. 

Einzelne engagierte Personen innerhalb der Ökologiebewegung hatten in den Jahren 1974-1979 unmißverständlich deutlich gemacht, daß die Ökologie- und Friedensbewegung sowie die Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung außerparlamentarisch zusammenarbeiten und -mobilisieren müssen.

Die Ökologiebewegung hatte in den 70er Jahren ein breit gefächertes Repertoire der gewaltfreien Aktionsformen bekannt gemacht (Aktionskatalog des BBU). Diesen Bemühungen war von Anfang an ein bemerkenswerter Erfolg beschieden. Der ökologischen Bewegung schlug eine durchaus positive Resonanz entgegen. Dies gilt besonders für Fälle, in denen die Bevölkerung sich durch konkrete Großprojekte (Atom, Chemie) selbst bedroht oder beeinträchtigt fühlte, an Bauplätzen für Atomkraftwerke, an Bauplätzen für Chemieanlagen (Marckolsheim), Autobahnen, Flugplätze. 

Als besonders wirksamer Weg hatte sich in diesem Zusammenhang die Anrufung der Gerichte erwiesen. Schon dieser Schritt war ein Teil des gewaltfreien Weges durch die Institutionen, obwohl die Ökologiebewegung stets ihre Überparteilichkeit demonstrierte und sehr lange mit einer grünen Parteienbildung nichts zu tun haben wollte. Die Anrufung der Gerichte durch die Bürgerinitiativen im Umweltbereich führte zu heilsamem neuen Nachdenken. 

Die insgesamt erzielte Wirkung, so Martin Neuffer in seinem Buch <Die Erde wächst nicht mit>, ist auf dem Gebiet der Atomenergie vergleichsweise enorm. Das Bauprogramm ist an vielen Stellen in der Bundesrepublik auf Jahre hinaus zum Stillstand gekommen. Die Sicherheits­anforderungen wurden wesentlich erhöht, und das Projekt einer großen, mit der Endlagerung verbundenen, Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben ist als politisch zu brisant fallengelassen worden. Der Bau von Zwischenlagern ist ein heißes Eisen, das Politiker überhaupt nicht anpacken wollen. Die Zukunft der Atomenergie ist durch das Engagement der Bürgerinitiativen ins Wackeln gekommen.

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Diverse gemeinsame Veranstaltungen zwischen BBU und DFG-VK in den Jahren 1978-1980 sowie das Projekt <nukleare Lagekarte> und die Beschäftigung des Bundes Umwelt und Naturschutz in der Bundesrepublik mit Kriegsfolgen in der Bundesrepublik sowie die Übernahme friedens­politischer Forderungen in das Programm der »Grünen« waren deutliche Signale, daß die Ökologie- und Friedensbewegung durchaus in der Lage waren, zusammenzuarbeiten und zusammen ein gemeinsames Ziel, den Ausstieg aus der ökologischen und aus der atomaren Abschreckungs­katastrophe, anzusteuern.

 

Man sollte aber in diesem Zusammenhang nicht die Neugründung der politischen Vereinigung »Die Grünen« im Jahre der europäischen Parlaments­wahlen 1979 vergessen. Mit großer Sorge beobachteten viele engagierte Mitglieder der Bürgerinitiativen und der Ökologiebewegung die ersten Prozesse der Neugründung solch einer Partei. Damals in 1979 mußten die BBU-Vorstandsmitglieder Roland Vogt sowie die Autorin dieses Artikels ihr Mandat innerhalb des BBU ruhen lassen, während sie als Listenführer der grünen Liste zur Europawahl angetreten waren. 

Die Befürchtung, daß eine außerparlamentarische sowie überparteiliche Ökologiebewegung, insbesondere der BBU, von einer grünen Partei eingeengt wird oder von ihr vereinnahmt werde, war sehr groß. Die Angst war groß, daß auch eine grüne Partei fundamental oppositionelle außerparlamentarische und überparteiliche Strömungen zu integrieren versuche. Die Gefahr bestand aber schon 1979, daß eher eine Integration in die bestehenden Parteien stattfinden könne, da zum Beispiel mehrere Sprecher des BBU der SPD angehörten und weiterhin angehören. 

Die Diskussion in bezug auf die Partei »Die Grünen« und die Zusammenarbeit mit dem BBU hat sich dann aber ab 1980 weitgehend entkrampft, und es wurde sehr deutlich, daß der BBU wie auch die »Grünen« nicht einen Machterwerb anstreben, sondern Machtabbau bzw. Machtkontrolle betreiben wollen.

Die Erfolge der »Grünen« nicht nur auf dem parlamentarischen Wege, sondern auch in ihrem außerparlamentarischen Engagement haben gezeigt, daß eine Verschärfung der großen Krisenprobleme und ihre verbreiterte Erkenntnis den Handlungsweg über neue sogenannte ökologische Antiparteienparteien als aussichtsreich erscheinen lassen — und dies natürlich um so mehr, je weniger die etablierten Parteien die Krisenthemen selbst als zentrale Aufgaben erkennen und glaubhaft an die erste Stelle ihrer Bemühungen rücken.

Die Erfolge der grünen Partei in einer Reihe von Landesparlamenten haben gezeigt, daß es in vielen Bereichen aus dem Spektrum der großen Weltkrisen gelingen konnte, eine neue Parteiengründung von unten als Antiparteienpartei bis zur realen Erfolgschance voranzutreiben. Neben den »Grünen« oder Alternativen ist aber auch die große Anzahl der örtlichen ökologischen und friedenspolitischen Gruppen mit begrenzten Zielen angestiegen, die nicht die Absicht haben, sich als Mitglieder einer Partei zu formieren, doch ist der politische Wille sehr deutlich, mit solch einer grünen Partei zu arbeiten. 

Zusammen mit der außerparlamentarisch-parlamentarischen Partei »Die Grünen« haben sich viele Interessengemeinschaften und Bürgerinitiativen bemüht, gemeinsam innerhalb der Ökologie- und Friedensbewegungen zu agieren und überall, auf der Straße, auf dem Bauplatz, im Parlament, vor den Atombasen, gewaltfreie Einwirkungs­möglichkeiten anzustreben. Sicher hat es in den letzten Jahren noch nie so viele und so wirksame Bürgeraktivitäten von unten gegeben.

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Ende der 70er Jahre, nach dem NATO-Doppelbeschluß vom 12.12.79 haben sich viele lokale Friedensinitiativen entwickelt, Teile davon aus der alten Friedensbewegung kommend und weitere Teile sich einer neuen blockübergreifenden Friedensbewegung zuordnend. Diese lokalen Friedensinitiativen unterscheiden sich erheblich von den allgemein politischen Orientierungen der herkömmlichen friedenspolitischen Organisationen. Viele dieser Gruppen folgen unverkennbar dem Vorbild ökologischer Bürgerinitiativen. Sie wenden sich gegen die Auswirkungen militärischer Einrichtungen in ihrem unmittelbaren Lebensraum, gegen die militärische Nutzung von Erholungsräumen, die Zerstörung von Naturschutzgebieten, gegen Fluglärm durch Militärmaschinen usw.

Diese lokalen Initiativen bildeten eine Grundlage für den späteren friedenspolitischen Aufschwung. Die Bedrohung des Lebensraumes auf dem Planet Erde wurde eine gemeinsame Erfahrung für die Ökologie- und Friedensbewegung der späten 70er Jahre. Der sogenannte Nach-(Vor-)Rüstungsbeschluß der NATO hatte die unmittelbare Bedrohtheit des europäischen Lebensraumes einer großen Öffentlichkeit sehr schmerzhaft bewußt gemacht. Der Atomkrieg ist nichts Abstraktes, er findet, wenn es dazu kommt, vor unserer Haustür statt. 

Auch die militärische Technologie greift unmittelbar in den Lebensraum ein. Viele Gemeinden sorgen sich über ihre Rolle als Stationierungsorte für die eurostrategischen Mittelstreckenwaffen. Und auch die konventionelle militärische Raumnutzung, der Bedarf an Depots, Übungsplätzen wird weiterhin zunehmen. Die Friedensbewegung sowie auch die Ökologiebewegung haben es mit vergleichbaren Problemstellungen zu tun. 

Harald Müller beschreibt dies als die konkrete und sichtbare Bedrohung des Lebensraumes durch die Folgewirkungen großtechnischer Entwicklungen.

»Beide sehen sich verwandten und miteinander verknüpften Wachstumsprozesen gegenüber. (...) Die Kritik an den Folgen unkontrollierten Wachstums, die von der Ökobewegung in den 70er Jahren geleistet wurde, und das begründete Mißtrauen in die angeblichen Sachzwänge der Großtechnologie haben die Aufnahmefähigkeit für strukturell gleichgerichtete kritische Argumente gegenüber dem Rüstungssektor ohne Zweifel erhöht.«

Die Gemeinsamkeiten der Ökologie- und Friedensbewegung und der schnelle Aufschwung dieser beiden Bewegungen überraschen nicht mehr. Auch die gemeinsame Frustration und die Ohnmächtigkeit in bezug auf Teilhabe an den politischen Entscheidungen überraschen nicht mehr. Denn die Entwicklung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger im Umkreis eines raumwirksamen Industrieprojekts hat mit dem Wachstum der Raumwirksamkeit keinesfalls mitgehalten.

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Im Gegenteil, Planungskompetenzen sind zentralisiert, die Einflußmöglichkeiten des Bürgers auf seinen Lebensraum entsprechend verringert worden. Die Gemeindereform der frühen 70er Jahre ist hierfür ein plastisches Beispiel. Dieser Verlust an Teilhabe wurde zunächst auch akzeptiert, weil der durch zentrale Planung erreichte Nutzen dafür reichlich zu entschädigen schien. Doch mit der Bewußtwerdung lebensräumlicher Bedrohung stellte sich nun auch das Problem der Teilhabe neu. Umweltgruppen erfuhren, daß Großtechnologie nicht ein wucherndes gesellschaftliches Neutrum ist, sondern in einem interessengeprägten wirtschaftspolitischen Umfeld existiert. Das gleiche gilt auch für die Friedensbewegung: Beide haben es mit einer strukturell ähnlich formierten Gegnerschaft zu tun. (Die Verfilzung in der Wirtschaft, Staatsbürokratie, in der Wissenschaft und auch in Teilen der Gewerkschaftsführung, die als militärisch-industrieller, atomindustrieller Komplex bezeichnet sind.) 

Der Einfluß solcher Gruppierungen auf einzelne politische Entscheidungen ist nachgewiesen. Solche Formationen ergeben sich aus der Zusammen­arbeit der Planungs- und Verwaltungsbehörden mit industriellen Partnern. Genehmigungsverfahren garantieren den Bürgern zwar Gehör, doch oft sind Einfluß­möglichkeiten gering, da in den meisten Fällen die eng mit der Industrie kooperierende Planungsbehörde zugleich Genehmigungsbehörde für die Anträge der Industrie ist. Dies gilt in noch stärkerem Maße für den militärischen Sektor. Die Verfahren militärischer Raumnutzung enthalten kein Einspruchs­recht für die Betroffenen, nur ein indirektes Anhörungsrecht der Gemeinden. Und strategische Entscheidungen werden in unzugänglicher Ferne hinter verschlossenen Türen im NATO-Rat getroffen.

Es ist ja nichts Ungewöhnliches, daß zum Beispiel Minister in Aufsichtsräten von Unternehmen sitzen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Vor allem sitzen sie, die verschiedenen Landesminister, in den Kontrollgremien von Planungsgesellschaften, Energieversorgungsunternehmen und Bankinstituten, sofern Bund oder Länder Anteile der Gesellschaften halten. Die Interessenkonflikte sind eigentlich recht groß, doch spüren die Minister in den Aufsichtsräten sehr wenig davon.

Laut Aktienrecht ist ein Mitglied des Aufsichtsrats verpflichtet, all seine Fähigkeiten und Kenntnisse zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen, andererseits hat er als Minister neutral und sachlich zu prüfen, ob dem Antrag auf Planfeststellung zugestimmt werden kann. Die Bonner Minister haben zum Beispiel ihre Aufsichtsratsmandate zurückgegeben, als sie ihr Amt übernahmen. Über Einfluß auf diese Unternehmen, auch personell, verfügen sie dennoch. Statt ihrer selbst sitzen dort nämlich ihre Staatssekretäre, Ministerialdirigenten, Ministerialdirektoren oder Ministerialräte. Bis zu sechs verschiedene Aufsichtsratsposten haben einige dieser Herren inne.

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Das Anwachsen der Ökologie- und Friedensbewegung hat deutlich gemacht, daß der interessierte Bürger sich nicht weiterhin als teilhabeloses Opfer einer unkontrollierbaren techno-militär-politischen Entwicklung demütigen läßt. Aus dieser Perspektive werden die verstärkten Forderungen nach mehr Partizipation, nach Dezentralisierung und Mit- und Selbstbestimmung verständlich und wichtig.

 

Die Grundlage der Gemeinsamkeit zwischen Ökologie- und Friedensbewegung ist die Lebensbedrohung, die gleichermaßen von moderner Waffenentwicklung und industrieller Großtechnik ausgeht. So sind beide Bewegungen Überlebensbewegungen geworden: In der Zielsetzung, eine globale Menschheitskatastrophe abzuwenden. Der drohende Nuklearkrieg, der das Leben auf dieser Erde auslöschen kann, und die schleichende Natur- und Umweltzerstörung durch hemmungslose Industrialisierung!

Wir haben die Wahl zwischen dem plötzlichen Tod und dem schrittweisen ökonomischen und ökologischen Selbstmord.

Die größte Enthüllungs­geschichte unserer Zeit wäre es, die finsteren Zusammenhänge von Militärhaushalten und Staatsverschuldung, Energiekrisen und Inflation und multinationalen Konzernen aufzudecken. Die Ökologie- und Friedensbewegung haben auch begriffen, daß, ähnlich wie ein Organismus, auch die Ökonomie erkranken kann. Das System erzeugt dann falsche Lenkungssignale. Beim Krebs erhalten die befallenen Körperzellen Signale, sie beginnen zu wuchern und den ganzen Organismus zu zerstören.

In ganz analoger Weise ist das Umweltproblem ökonomisch als ein Krebsschaden aufzufassen: 

Seine eigenen Lenkungssignale treiben das System dazu an, umweltschädigende Aktivitäten über alle Maßen auszudehnen, obwohl eigentlich niemand das selbst ernsthaft will. Das gesamte System steht unter Hochdruck. Wie Dorothee Sölle schreibt: 

»Der bestehende Weltzustand, die internationale Arbeitsteilung zwischen uns, den reichen, den Exporteuren der großen Technologien, und den Zonen der niedrigsten Gehälter und billigsten Arbeitskräfte, muß militärisch abgesichert werden. Die Verelendung der Länder, in die zu investieren nicht lohnt, weil sie anders als Südafrika, Brasilien oder Gabun keine Diktatoren haben, die für Ordnung und Profit sorgen, ist eingeplant, zum Beispiel in den Vorstellungen der trilateralen Kommission, das bestehende Gleichgewicht zu erhalten. Die Form von Ungerechtigkeit, in der wir leben, braucht Verteidigung; die Apartheid, die wir unterstützen, technologisch und handelsmäßig, braucht Sicherung. Unser Wohlstand braucht Eroberungskriege, das ist in den letzten Äußerungen des CDU-Wehrexperten Wörner klargeworden. Mehr denn je gehören Eigentum und Militarisierung, Märkte und Waffen zusammen.« 

Dorothee Solle hat mit diesen Zeilen den jetzigen herrschenden Weltzustand beschrieben.

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Solange wir aus den Schwertern noch keine Pflüge gemacht haben, statt Mittelstreckenraketen noch keine Traktoren und Schulbusse hergestellt sind, ist unser gewaltfreier Weg, diese Tötungsmaschinen unbrauchbar zu machen, noch ein sehr langer und schwerer. 

Wir brauchen das klare »Nein« zum Militarismus und das klare »Nein« zum ökologischen Selbstmord. 

 

Der Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Atomkraftnutzung muß verstärkt Berücksichtigung finden, denn ab 1990 fehlen der US-Atomkriegswirtschaft 14.000 neue Atomsprengköpfe. Um diese Lücke zu schließen, forciert die Reagan-Regierung seit über einem Jahr den Bau neuer ziviler Wiederaufarbeitungsanlagen und Schneller Brüter. Denn in beiden wird Plutonium gewonnen und weiterverarbeitet.

Durch diese Überlegungen des Pentagons ist die letzte Barriere zwischen der friedlichen und militärischen Nutzung der Atomenergie gefallen. Jedes AKW gewinnt dadurch eine Funktion in der Plutoniumwirtschaft, in der Produktion von Atombomben. Der Export von ganzen Atomanlagen (wie z. B. nach Argentinien und Brasilien) wie aber auch von Teilen und technischem know-how bedeutet also jedesmal einen weiteren Schritt in der Weiterverbreitung von Atomwaffen. Die israelische Attacke auf den irakischen Forschungsreaktor hat Prognosen bestätigt, wonach die Entwicklung ziviler Kernanlagen das Sicherheitsdilemma in Konfliktregionen verschärft.

Nuklearanlagen in der Bundesrepublik hätten im Kriegsfalle den Effekt, den Schaden auch bei kleineren Angriffen zu vervielfachen. Dies träfe vor allem auf eine WAA zu. Die Atomanlagen untergraben sowieso schon längst die Verteidigungsfähigkeit (NATO-Sprache) der Bundesrepublik. Die Bedeutung der Nuklearanlagen im Kriegsfalle müßte auch eine größere Rolle in der Diskussion spielen.

Das Militär trägt direkt und indirekt zur Ressourcenverschwendung und Umweltschädigung bei.

Die Ökologie- und die Friedensbewegung weisen gemeinsam auf die Rolle von Militär und Rüstung als größte Verschwender von Energie, Rohstoffen und menschlicher Arbeit hin.

Diese wertvollen Ressourcen gehen der Masse der Menschen nicht nur verloren, sondern lassen Militär und Rüstung zu den größten Zerstörern von Menschen und sozialer Gerechtigkeit »im Frieden« werden. Ein weiterer wichtiger gemeinsamer Aspekt ist die Frage der Umstellung von der Rüstungsproduktion auf zivile, sozial notwendige wirtschaftliche Aktivitäten. Umstellung hat aber wenig Sinn, wenn statt des Rüstungsproduktes ein anderes umweltbelastendes Produkt hergestellt wird. Deswegen muß auch in dieser Diskussion ein gemeinsames Konzept für sozial nützliche Güter erarbeitet werden.

Besonders wichtig aber sind jene ökologischen Problemlagen, die selbst zur Ursache von Rüstungsanstrengungen und Krieg werden können. Die Ölfrage (Nahost) ist hier nur die Spitze des Eisberges, und sie ist mit der Einrichtung der amerikanischen Eingreiftruppe und einer entsprechenden Arbeitsteilung in der NATO bereits Gegenstand konkreter Planung geworden.

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Global betrachtet existieren enorme Konfliktpotentiale dieser Art, von den Rohstoffressourcen Südafrikas über die internationale Fischerei und die Erschließung der Antarktis bis zu der Wassernutzung der großen Flußläufe. Ökologische Politik, die den Ressourcenbedarf reduziert, hilft auch Konfliktpotentiale abbauen und gewinnt somit an friedenspolitischer Bedeutung. So sollen und müssen Ökologie- und Friedensbewegung weitere programmatische Verflechtungen entwickeln und gemeinsame langfristige Ziele und Forderungen in bezug auf die Entmilitarisierung der Gesellschaft stellen. Wir müssen die Anfänge einer gewaltlosen und ökologischen Gesellschaft leben, als Alternative zu den jetzigen Gesellschaftssystemen.

 

Eines der wichtigsten Argumente, das die Ökologiebewegung gegen die Atomenergie vorgebracht hat, liegt aber im politischen Bereich. Dieses Argument kann man mit dem Stichwort »Atomstaat« zusammenfassen. Die erforderte Bewachung wie auch die Kontrolle der Mitarbeiter in einem Atomstaat wegen der radioaktiven Stoffe, die produziert, verarbeitet, transportiert und gelagert werden, führen eben zu diesem Atomüber­wachungsstaat.

Es ist absehbar, und man kann schon heute viele Beispiele für die Richtigkeit dieser Befürchtung nennen, daß solche Sicherheitsmaßnahmen künftig immer häufiger auftreten werden, daß sie immer mehr Menschen betreffen werden, daß dadurch die bürgerlichen Freiheiten immer mehr eingeschränkt werden und daß schließlich der Staat, der versuchen will, auch nur annähernd mit den Problemen fertig zu werden, im Laufe der Zeit nahezu totalitäre Formen annehmen könnte.

Die Friedens- und Ökologiebewegung muß deutlich machen, daß der zivile Ungehorsam, der gewaltfreie Widerstand, einen wichtigen Platz in der parlamentarischen Demokratie hat. Wir haben es bei der Bürgerinitiativbewegung mit einem reformbedachten zivilen Ungehorsam zu tun, denn Bürgerinitiativen stehen mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie sind entschlossen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Staates zu schützen. Bürgerinitiativen und Friedensbewegung wollen zusammen ein Stück lebendiger bürgernaher Demokratie von unten bis ins letzte Glied praktizieren. 

Für uns ist der zivile Ungehorsam ein in einer demokratischen Gesellschaft zulässiges Mittel der Konfliktlösung. Der zivile Ungehorsam ist keine Gefahr, sondern ein Prüfstein für eine Demokratie. Ich möchte dieses Kapitel mit einem Zitat Mahatma Ghandis beenden, des politisch wohl bedeutendsten Vertreters der Idee vom zivilen Ungehorsam:

»Ich wünschte, ich könnte jedermann davon überzeugen, daß ziviler Ungehorsam das angeborene Recht jedes Bürgers ist. Er kann es nicht preisgeben, ohne sein Menschsein preiszugeben. Ziviler Ungehorsam führt niemals zu Chaos und Gesetzlosigkeit. Krimineller Ungehorsam hingegen kann dazu führen. Jeder Staat unterdrückt kriminellen Ungehorsam mit Gewalt.

Anderenfalls würde er zugrunde gehen. Doch zivilen Ungehorsam zu unterdrücken heißt, das Gewissen in Ketten legen zu wollen. Ziviler Ungehorsam kann nur zu Stärke und Lauterkeit führen. Ein Anhänger des zivilen Widerstandes greift niemals zu den Waffen und ist deshalb für einen Staat, der zumindest bereit ist, der Stimme der öffentlichen Meinung sein Gehör zu schenken, keine Gefahr. (...) Ziviler Ungehorsam wird zu einer heiligen Pflicht, wenn der Staat den Boden des Rechts verlassen hat.«

Der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel hatte einmal in einer Rede zur Verleihung des Heuss-Preises gesagt: 

»Es ist unsere Überzeugung, daß der Bürger das Recht hat zu sagen: Der Staat bin ich. Der Bürger ist der ursprüngliche Träger der staatlichen Gewalt. Alle demokratischen Institutionen haben ihren Grund und ihre alleinige Legitimation in dieser Souveränität des Bürgers; sie sind verfaßte Organe seines Willens.«

Die Auseinandersetzung um die Atomenergie ist ein Musterbeispiel dafür, wie die Herrschenden mit denen, von denen sie ja angeblich ihre »alleinige Legitimation« haben, umspringen. Ziviler Ungehorsam kann in einer Demokratie ein wichtiges Korrektiv sein und ist für den Fall gegeben, daß die demokratischen Entscheidungs­gremien ihre Aufgabe nicht richtig wahrnehmen und versagen. Gerade in Sachen Atomenergie und NATO-Nachrüstungs­beschluß können wir die Manipulationsversuche der Regierung und der Industrie- und Rüstungslobby verfolgen. 

Die Manipulation hat durch die Wahl der Worte schon die Ausmaße von Georg Orwells »double thinking« angenommen.

Es muß daran erinnert werden, daß derjenige, der letzten Endes zivilen Ungehorsam begeht, um Militarisierung und Atomarisierung zu verhindern, durchaus seine Achtung vor den Gesetzen des Gemeinwesens, in dem er lebt, ausdrückt durch seine Bereitschaft sich zu erklären, für seine Handlung die Verantwortung zu übernehmen und gegebenenfalls die Strafe auf sich zu nehmen. Er entzieht sich damit nicht dem Gesetzessystem seines Gemeinwesens, sondern versucht es an wichtiger Stelle, wo es ihm ungerecht erscheint, zu korrigieren. Ghandi hat einmal gesagt:

»Nur wenn jemand solchermaßen den Gesetzen der Gesellschaft genau gehorcht hat, ist er in der Lage zu beurteilen, welche besonderen Gesetze gut und gerecht und welche ungerecht und schlecht sind. Nur dann erwächst ihm die Berechtigung, gewissen Gesetzen unter genau bestimmten Umständen zivilen Ungehorsam zu leisten.«

Die Ökologie- und Friedensbewegung fordert deswegen den mündigen Bürger, der sich für gewaltfreie Veränderungen einsetzt.

»Wenn man den Ernst unserer Lage erkennt — den Krieg, den Rassismus, die Armut auf der Welt — dann wird einem klar, daß man sie nicht durch Worte oder Demonstrationen ändern kann. Wir müssen unser Leben einsetzen, wir müssen unser Leben von Grund auf ändern.« (D. Day) 

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