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Petra K. Kelly

 

1982

Der Friedenspriester
 
wikipedia  Philipp Berrigan
*1923 in Minnesota bis 2002:

Das System ist bankrott
 — eine neue Kraft muß
her: Ökopax

Ökopax heißt: für das Leben einzutreten,
einschließlich des Wider­standes gegen jede
Bedrohung des Lebens. ... Die einzigen, die
begriffen haben, was Revolution heißt, sind diejenigen,
die eine gewalt­lose Revolution für möglich halten.

124-139

C. Weizsäcker schreibt in seinem Vorwort zur Studie <Kriegsfolgen und Kriegsverhütung>: »Die Öffentlichkeit selbst muß begreifen, daß das eigene Überleben davon abhängen kann, ob der Strukturwandel der Welt, der zum politischen garantierten Weltfrieden führt, die erste Priorität der Politik ihres eigenen Landes ist.«  ( 1971, dnb.Buch  mit Inhalt, 700 Seiten, Hanserverlag )

Und Prof. Barnaby, ehemaliger Direktor des Sipri-Instituts, mahnt:    wikipedia  Stockholm_International_Peace_Research_Institute  SIPRI

»Die größte Hoffnung für die Zukunft, wenn nicht überhaupt die einzige, liegt in der Möglichkeit, daß die Fakten rechtzeitig der Öffentlichkeit bekannt werden und daß eine aufgerüttelte öffentliche Meinung die wider­strebenden Politiker dazu zwingt, das Wettrüsten zu stoppen und abzurüsten. Wenn wir die Politiker sich selbst überlassen, werden sie nicht in der Lage sein, den atomaren Holocaust zu verhindern — selbst wenn sie nichts sehnlicher wünschen. Die Öffentlichkeit hingegen würde, wenn ihr die Wahrheit über das atomare Wettrüsten bekannt wäre, darauf bestehen, daß die Politiker es beenden.« 

Es herrscht die Zeit, wo die autoritären Herrschaftseliten sich mehr auf die Zukunft ihrer Herrschaft als auf die Zukunft der Menschheit zu konzentrieren pflegen. Es bleibt uns allen nichts anderes übrig, als mehr Demokratie zu wagen. Wir werden die etablierten Parteien und Parlamente und Gerichte nicht aus ihrer Verantwortung entlassen oder gar herausdrängen. 

Von den Parteien gehen Wissensströme in die Gesellschaft aus, doch ist auch der umgekehrte Vorgang wichtig, denn Parteien und Gewerk­schaften sind Resonanzböden für die Schwingungen, die in der Gesellschaft entstehen. Die politische Willensbildung im parlamentarischen System muß nicht nur ergänzt, sondern auch belebt und vorangetrieben werden: Über eine gewaltfreie und phantasievolle Ökologie- und Friedens­bewegung sowie über eine kompromißlose Antiparteien­partei namens »Die Grünen«. 

Der Zeitdruck einer Übergangsepoche (ökologischer oder atomarer Holocaust) verlangt Transmissionsriemen zwischen Gesellschaft und etablierten abgehobenen Parteien, weil sonst im taktischen Spiel um die Macht, die entscheid­enden Probleme so lange umgangen und kaschiert werden, bis sie uns endgültig über den Kopf gewachsen sind (Erhard Eppler).

Der jahrhundertalte, selbstverständliche Fortschrittsglaube des europäischen Menschen hat sich ad absurdum geführt; jetzt geht es um ein menschen­würdiges Überleben, das nicht nur einen bislang unvorstellbaren Lasten­ausgleich zwischen Nord und Süd, sondern eine radikale Umstellung in nahezu allen Sparten unserer Politik verlangt.

Robert Mc Namara beschrieb 1974 in seinem Buch <Die Jahrhundertaufgabe: Entwicklung der Dritten Welt> den Zustand der absoluten Armut. Ein Drittel bis zur Hälfte der zwei Milliarden Menschen in den Entwicklungs­ländern hungern oder leiden an Unterernährung. 25% ihrer Kinder sterben vor dem fünften Geburtstag. Täglich starben in den vergangenen 12 Monaten 40.000 Kinder bevor sie ihr fünftes Lebensjahr vollenden konnten. Mehr als 14 Millionen also, und die Tendenz für 1983 deutet darauf hin, daß sich diese erschreckende Bilanz eher noch verschlimmern wird. (»Frankfurter Rundschau«, 18.12.81)  wikipedia  Robert_McNamara 1916-2009

Wie eine UNICEF-Studie zeigt, waren kaum 10% der über 14 Millionen Kinder, die in diesem Jahr starben, gegen die sechs häufigsten und gefährlichsten Kinderkrankheiten geimpft. Alle Kinder der Dritten Welt zu impfen, kostet nicht mehr als 12 Mark pro Kind. Aber es zu unterlassen, kostet 5 Millionen Leben pro Jahr. Die gesellschaftliche Erscheinung, die McNamara umschrieben hat, bezeichnet nichts anderes als das, was in der kritischen Friedens­forschung seit Jahren mit dem Begriff der strukturellen Gewalt bezeichnet wurde: Nämlich die Tatsache, daß gesellschaftliche Verhältnisse krasser sozialer Ungerechtigkeit Verhältnisse des Unfriedens oder organisierter Friedlosigkeit sind, weil in ihnen Menschen per Gesellschafts­ordnung vorzeitig getötet werden.   wikipedia  UNICEF 

Worauf Sozialwissenschaftler an Ort und Stelle in den Ländern der Dritten Welt selbst seit Jahren eindringlich hinwiesen, wird erst heute allmählich hier begriffen: Daß es nämlich ein Wachstum ohne Entwicklung gibt, wobei wieder­um unter Entwicklung die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse der Mehrzahl der Menschen dieser Gesellschaften verstanden wird. (Solche Bedürfnisse wie Arbeit, Nahrung, Gesundheit, Alphabetisierung und Wohnung.)

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Das System ist bankrott, wenn auf dieser Erde pro Minute 2,3 Millionen Dollar dafür ausgegeben werden, die Vernichtungsmaschine zu vervollkommnen, während gleichzeitig die Mittel zum Unterhalt des Lebens immer knapper werden. 

Das System ist bankrott, wenn wir in den reichen Ländern tagtäglich mit einer glitzernden Flut von Gütern genötigt werden, immer raffiniertere Bedürfnisse für dringlich zu halten, während doch gleichzeitig das eine, allen anderen zugrunde liegendem Bedürfnis, der Wille zu leben, von Minute zu Minute weniger respektiert wird. 

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Das System ist bankrott, wenn man für alle Namen der Unvernunft vernünftige Namen erfunden hat. Doch es sind die falschen Namen, auf die wir uns nicht mehr einlassen können, die wir nicht mehr über uns ergehen lassen können. Sie sagen uns zum Beispiel, daß wir ein Ministerium haben, daß für unsere Sicherheit zuständig ist. Es trägt den Namen »Verteidigungsministerium«. Doch nach allem, was wir wissen, gibt es für die BRD, wenn es zum Krieg kommt, den Verteidigungsfall nicht mehr. Es gibt nur noch den Vernichtungsfall. So nennen wir es doch lieber bei seinem Namen: Vernichtungsministerium! Und sie nennen es »Sicherheitspolitik« in West und Ost. Und sie sagen, sie seien Experten für unsere Sicherheit. Doch Tatsache ist, daß diese Sicherheitspolitik uns in die extremste Unsicherheit geführt hat, der sich die Menschheit je gegenübersah. 

Die Politik der nuklearen Konfrontation verpflichtet uns zu einem Meta-Wahnsinn, der nicht anders lautet als: Um die Freiheit zu verteidigen, müssen wir bereit sein, das Leben selbst zu zerstören. Oder »wenn du mich bedrohst, so begehe ich atomaren Selbstmord«. Um dieses wahnsinnige Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, fügen die USA wie auch die Sowjetunion jeden Tag neue Massenvernichtungswaffen einem Arsenal hinzu, das bereits für jeden einzelnen von uns auf dieser Welt 2 t TNT bereithält. 

Das System ist bankrott, denn mit diabolischem Humor haben die Generäle und Politiker diese technologische Variante von Gruppenloyalität MAD genannt — Mutual Assured Distruction (garantiert wechselseitige Vernichtung). Das System ist bankrott, wenn sich das Gehirn selbst gegenüber der Erkenntnis abschottet, daß es dabei ist, sich selbst zu zerstören. Wie Sam Keen aus Harvard geschrieben hat: Solange wir auf unseren Lagern von Nervengas, und Atomwaffen sitzen, gehören wir alle der Sekte der irrationalen Gewalt an. Der riesige weltweite Aufwand für Energie, wissenschaftliche Phantasie und Reichtum zugunsten des Militärs sind die Haupt­faktoren für Armut, Inflation und Verzweiflung in der Welt. 

Das System ist bankrott, wenn »die tageszeitung« am 23.7.82 berichten muß, daß ab 1990 der US-Atomkriegswirtschaft 14.000 neue Atomsprengköpfe fehlen. Um dieser drohenden Lücke zu begegnen, forciert die Reagan-Regierung seit über einem Jahr den Bau neuer ziviler Wiederaufarbeitungsanlagen und Schneller Brüter. Die letzte Barriere zwischen der friedlichen und militärischen Nutzung der Atomenergie ist gefallen, und so gewinnt dadurch jedes Atomkraftwerk eine wichtige Funktion in der Plutoniumwirtschaft, in der Produktion von Atombomben. Der Export von ganzen Atomanlagen, so wie es die BRD zur Zeit betreibt, wie aber auch von Teilen und technischem know-how bedeutet also jedesmal einen weiteren Schritt in der Weiterverbreitung von Atomwaffen.

Das System ist bankrott, weil die NATO nicht auf den Ernsteinsatz atomarer Waffen verzichtet. Und das System ist bankrott wegen der je rund 6000 Sprengköpfe für Kurzstreckenwaffen, die in West- und Osteuropa gelagert sind. 

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Das System ist bankrott, weil der Rüstungswettlauf im Weltall, im Vergleich zu dessen Kosten das Wettrüsten auf der Erde zwergenhafte Dimensionen hat, keine Grenzen kennt. Das gegenseitige Mißtrauen in diesem Punkt ist grenzenlos. Die Militärherrschaft im All ist fest installiert. So härten die USA ihre Satelliten gegen die Blendwirkung, die ein elektromagnetischer Impuls bei einer Nukleardetonation im All erzeugt. Die Gefahr ist groß, schrieb kürzlich das Sipri-Institut, daß der Weltraum eine neue Zone der militärischen Konfrontation wird. Die militärischen Programme beider Seiten lassen heute nur düstere Prognosen zu. 

Das System ist bankrott, weil die Mikroelektronik das Modell der Abschreckung unterläuft. Raketen, deren Zielgenauigkeit 50 Meter beträgt, könnten die Arsenale des Gegners unmittelbar unter Beschuß nehmen. Sie dienen in ihrer Fähigkeit also nicht mehr der reinen Abschreckung, sondern seien als nukleare Kampfwaffen zu werten (»Frankfurter Rundschau«, 5.2.82). Der Mikrochip ermöglicht die Produktion von Erstschlagtechnologien und läßt sie offenbar als lohnend erscheinen. Nicht so sehr das Overkillpotential an Sprengstoff, das die beiden Supermächte in dem irrsinnigen Volumen von mehr als einer Million Hiroshima-Bomben aufgehäuft hätten, müsse die Welt in Alarmstimmung versetzen, sondern die neue Dimension der Bedrohung ergebe sich aus der Verfeinerung der Steuersysteme, so die Friedensforscher aus dem Club of Rome

Das System ist bankrott, wenn die Ärzte vor dem Atomkrieg warnen müssen. Wenn sie in großen Inseraten Erklärungen über die unmittelbaren und langfristigen Folgen der atomaren Explosionen abgeben müssen. Die Ärzte verweisen darauf, daß es keine wirksame Hilfe gegen die Vielfalt von Krankheiten und Verletzungen bei einem Atomkrieg gebe, insbesondere nicht gegen die Strahlenkrankheit. Alle Vorkehrungen für einen Atomkrieg, Gesetzes­vorlagen und Zivilschutz können daran nichts ändern. 

Das System ist bankrott, wenn wir wissen, daß Strahlung die Nahrungskette gefährdet. Die schädlichen Folgen der Versenkung von Atomabfällen ins Meer werden stark unterschätzt. Aus solchen Nuklearabführungen ergeben sich große Gefahren für die Menschheit, weil Fische, die für menschlichen Konsum bestimmt sind, durch radioaktive Strahlung verseucht werden.

Das System ist bankrott, wenn in einem Jahr über 3000 Zwischenfälle in US-Atomkraftwerken festgestellt worden sind. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß es keine unbedeutenden Unfälle in Atomkraftwerken gibt, da sich auch scheinbar kleine Zwischenfälle zu einer ernsten Gefahr ausweiten können. Das System ist bankrott, wenn die Stillegung eines Atomkraftwerkes rund 200 Millionen Mark kostet. 

Das System ist bankrott, wenn die Elektrizitätswerke erklären, daß die Restradioaktivität bei einem stillgelegten Atomkraftwerk rasch abklinge und bei gesichertem Einschluß niemanden gefährden würde, und dann erklärt, daß auf dem Standort früherer Atomkraftwerke sehr bald wieder grüne Wiesen wachsen werden.

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Das System ist bankrott, wenn in der Eifel, 60 km von Bonn entfernt, ein Atombunker, ein Bonner Bonzenbunker, für die Regierung zur Verfügung steht. Das Herumspazieren auf diesem Bunker, in den Weinbergen versteckt, vermittelt ein eigenartiges Gefühl, wenn man sich vorstellt, daß tief im Berg 6000 Privilegierte sitzen, für Jahre bestens versorgt, während die Bundesrepublik ein atomarer Friedhof von 60 Millionen Leichen ist. 

Das System ist bankrott, wenn in der Elbe und im Hamburger Hafen insgesamt 1218 t Schwermetalle diese bereichern, darunter 321 t Kupfer, 621 t Zink und 124 t Blei. Mit Kupfer, das bei Menschen Brechdurchfall verursacht und bereits in geringen Mengen Kleinlebewesen abtötet, war der Schlamm des Kanals z.B. um das 314fache über dem Normalwert angereichert. Quecksilber, das schwere Nervenschäden und Lähmungen hervorruft, lag 70fach darüber. Krebserzeugendes Arsen 63fach, Blei, das Gehirn und Blut angreift, 32fach und Cadmium 29fach. Diese Entdeckungen hätten eigentlich alle Alarmglocken bei den zuständigen Behörden läuten lassen müssen. Doch nicht die chemische Industrie, wie z.B. das Chemiewerk Boehringer oder die Raffinerie sollen stillgelegt werden, sondern die »Hamburger Wasserwerke«. Nun soll Trinkwasser für die Stadt Hamburg vorsorglich ab 1982 aus dem Naturschutzgebiet Lüneburg/Heide bezogen werden, dessen Feucht- und Waldgebiete nach allen einschlägigen Erfahrungen dadurch hochgradig gefährdet sind. 

Das System ist bankrott, wenn der Staat die Forschung und die Baukosten für Kalkar (bisher 10 Milliarden Mark) finanziert.

Das System ist bankrott, wenn allein die Kürzungen des Sozialetats 1982 8 Milliarden Mark betragen.

Das System ist bankrott, wenn die Garagen größer sind als die Kinderzimmer — wenn die Kinder vor der Haustür alle Rechte an die Terrorautos verloren haben.

Wir, die wir mit Tränen in den Augen und Fackeln in der Hand bei Willy Brandts Wahlsieg vor dem Kanzleramt gestanden haben, erkennen nach einem Jahrzehnt sozialliberaler Regierung: Nicht einmal kleine Schritte zu Reformen, zur Demokratisierung, zu erweiterten Mieterrechten (abgesehen vom Kündigungsschutz) wurden getan. Unsere Illusionen sind zerstoben. Wir glauben ihnen, den etablierten Parteien da oben, kein Wort mehr. Wir malen kein Kreuz* mehr für sie. Wir glauben nicht mehr, daß es mit denen da zusammen geht. Wir vertrauen nur noch auf uns.   *detopia-2024: auf Wahlzettel

Wer uns Kritikern heute sagt: Geht doch nach drüben, dem können wir heute nachweisen, daß das Prinzip von drüben zum Beispiel im Wohnbereich auch bei uns gilt: Versorgung auf Minimalebene und Zementierung der Unmündigkeit. Das System ist dasselbe. Die Unterschiede sind graduell. 

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Das System ist bankrott, wenn die Sparbeschlüsse der Koalition sich im starken Rückgang des Etats für Arbeit und Soziales um 9,8% auswirken.

Das System ist bankrott, wenn keiner mit der auf seine Art gewollten Umverteilung des Haushalts ernst machen kann, weil ihm in der Verbändedemokratie, die in die Partei hineinragt, immer ein Interessengegner im Weg steht.

Das System ist bankrott, wenn behindertengerechter Nahverkehr als zu teuer und zu zeitaufwendig eingestuft wird.

Das System ist bankrott, wenn von den rund 9,5 Milliarden Mark, die eingespart werden sollen, etwa 8 Milliarden Mark zu Lasten von Arbeitslosen, Rentnern, Schwerbeschädigten, Kranken und den übrigen Arbeitnehmern gehen (Ernst Breit, DGB-Gewerkschaftsvorsitzender).

Das System ist bankrott, wenn eine menschenunwürdige Verdatung stattfindet. Mit neuen Werksausweisen, die vom Computer gelesen werden können, geht es los. Automatische Kantinenabrechnung, optimaler Parkplatz­zugang und bargeldloses Tanken per Computerausweis. Die bittere Pille folgt in Form lückenloser Torkontrolle, sekundengenauer Gleitzeiterfassung direkt am Arbeitsplatz und ausgeklügelter Zeit- und Leistungskontrollen.

Das System ist bankrott und alles steht noch dahin, wie Marie-Luise Kaschnitz gedichtet hat:    wikipedia  Kaschnitz  *1901 in Karlsruhe bis 1974 

»Ob wir davonkommen, ohne gefoltert zu werden,
ob wir eines natürlichen Todes sterben,
ob wir nicht wieder hungern,
die Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen,
ob wir getrieben werden in Rudeln,
wir haben's gesehen.

Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein
weißes Bett oder zugrunde gehen am
hundertfachen Atomblitz,
ob wir es fertigbringen
mit einer Hoffnung zu sterben,
steht noch dahin,
steht alles noch dahin.«

Erhard Eppler erklärte in der <Zeitschrift für Demokratie und Sozialismus> (Nov. 81): »Wir wollen uns eingestehen: Auf keinem der Gebiete, in denen sich entscheidet, wie - und ob - wir leben sollen, gibt es in der Bundes­regierung überzeugende, eigene, unverwechselbar sozialdemokratische Ansätze.« Wir können nicht länger auf etablierte Parteien setzen und wir können auch nicht länger auf den außerparlamentarischen Weg setzen.

Das System ist bankrott, doch eine neue Kraft im außerparlamentarischen und parlamentarischen Sinne muß her. Ein Teil dieser Kraft ist repräsentiert durch die Antiparteienpartei, die »Grünen«. Es wird in der Bundesrepublik immer wichtiger, das zu wählen, was man von den Inhalten her für richtig hält, anstatt sich in kleinere Übel zu verzetteln. Die letzten Kommunal- und Landtagswahlen nach der Bundestagswahl 1980 haben deutlich gezeigt, daß in diesem Sinne ein wesentlicher Bewußtseinswandel in der Bevölkerung stattgefunden hat.

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Wir müssen nicht nur außerparlamentarisch, sondern auch parlamentarisch kompromißlos der Atom- und Betonpolitik der etablierten Parteien eine Alternative entgegensetzen, die viele Menschen veranlassen wird, sich mit grünen Inhalten und einem neuen parlamentarisch-außerparlamentarischen Politikverständnis auseinanderzusetzen. Die Auseinandersetzungen der etablierten Parteien mit den »Grünen« und über die »Grünen« in den letzten Wochen im Juni und Juli machen jedoch in erschreckender Weise die Unfähigkeit der Allparteienkoalition SPD, FDP, CDU deutlich, sich neuen Überlebensfragen zu stellen und darauf angemessene, dem Leben von Mensch und Natur verpflichtete Antworten zu finden.

Wir fordern einen grundsätzlichen Umdenkungsprozeß der etablierten Parteien in allen wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen, und dies muß eine notwendige Voraussetzung für jede Art von Gespräch mit den »Grünen« sein. Der Bericht »Global 2000« (S. 32) fordert eine mutige Wandlung in der Politik auf der ganzen Welt, um die Probleme zu reduzieren, bevor sie sich nicht mehr bewältigen lassen.

Das kleinere Übel wählen ist keine Lösung mehr, denn gerade in der Frage der Friedenspolitik weist die Geschichte der SPD die Gefahren einer heuchlerischen Politik besonders deutlich aus. Im Rahmen ihrer staatlichen Verantwortung leiteten die Führungen der SPD die Friedenssehnsucht der Menschen in entscheidenden Situationen auf die Mühlen des Militarismus. Dort, wo sie als große oppositionelle Kraft hätte Widerstand leisten können, versagt diese Partei. So spinnt sich ein roter Faden von der Zustimmung zu den Kriegskrediten im Kaiserreich bis zum Nachrüstungsbeschluß. Bei allem Respekt vor Erhard Eppler und Oskar Lafontaine und anderen Regierungskritikern müssen wir deutlich machen, daß die grüne und alternative außerparlamentarische-parlamentarische Bewegung nur dann eine Chance hat, wenn sie sich niemals von der SPD integrieren oder verparlamentarisieren läßt. Die SPD behauptet, die eigentliche politische Friedensbewegung in diesem Lande zu sein (Willy Brandt). Wer einen solchen Anspruch erhebt, muß sich daran messen lassen.

Wir artikulieren innerhalb der Friedensbewegung sowie auch innerhalb der grünen Partei unabhängig von den etablierten Parteien Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung, der seine Interessen an friedlicher, ökologie­bewußter Zukunft im etablierten Parteiensystem nicht (mehr) zum Ausdruck bringen kann. Eine autonome nur außerparlamentarische Bewegung hat nicht so viele Chancen, z. B. Forderungen nach einem neuen Sicherheits­denken zur Durchsetzung zu verhelfen, als wenn diese Forderungen auch auf parlamentarischem Wege, phantasievoll und gewaltfrei, vorgestellt werden. Trotz aller Autonomie der Friedens- und Ökologiebewegung, meine ich, bleibt ihr angesichts der gesellschaftlichen Machtverhältnisse keine andere Wahl, als sich in irgendeiner Form auf das politische System, wie es ist, zu beziehen.

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Derzeit ist das Parteiensystem immer noch der entscheidende Auswahlmechanismus, der über die Aufnahme neuer Probleme in den politischen Themen­katalog entscheidet. Daher meine ich, ist es fast zwangsläufig so, daß große Teile der Ökologie- und Friedensbewegung auf die politische Parteienbühne drängen müssen und sollen, wie zum Beispiel in der Form der »Grünen«. Doch wissen wir zugleich, daß das Potential dieser alternativen Bewegung nur dann gesamtgesellschaftlich wirksam sein kann, wenn es nicht nur innerhalb des Parlaments, sondern auch außerparlamentarisch weiterhin ein Anwachsen der Gruppen und Bürgerinitiativen geben wird.

Wir brauchen mehr Mittler wie z. B. die Kirche von unten, gewerkschaftliche Basisgruppen, alternative Medien, die Friedensbewegung selbst sowie deren Mitglieder in der Partei »Die Grünen«. Wir streben ein repräsentatives Parteiensystem ohne Eingangsbarrieren an, was sicherlich geeigneter ist als das bisherige Dreiparteiensystem in der Bundesrepublik mit der 5%-Klausel. Die Notwendigkeit einer Antiparteienpartei, einer Partei neuen Typs, die wirklich für die Schwächeren der Gesellschaft, für die Alten, für die Behinderten, für die Frauen, für die Jugendlichen, für die Arbeitslosen und für die Ausländer Partei ergreift, ist sehr notwendig zu diesem Zeitpunkt. Die Interessen der Friedensbewegung und der Ökologiebewegung sollen zusätzlich zur außerparlamentarischen Artikulation auch auf der politischen Bühne vertreten werden.

Wir müssen deutlich machen, daß wir unsere politische Verantwortung als die »Grünen« keinesfalls darin sehen, im Kreise der Etablierten einen Platz an der Sonne zu bekommen und die konzertierte Aktion der Macht und Privilegienerhaltung mitzutragen (Presseerklärung der »Grünen« in Niedersachsen). Wir wollen auch keine Einbindungsstrategien in das System, mit dem Ziel, zu Bündnissen und Koalitionen zu kommen. Das sind Wunschdenken der Altparteien, die die »Grünen« für ihren Machterwerb oder ihren Machterhalt mißbrauchen wollen. Das letzte nämlich, was die »Grünen« als eine in ihrem Wesen nach völlig neue Partei wollen, ist die Reformierung irgendeiner anderen Partei dadurch, daß sie jene mit ihren Vorstellungen auffrischen.

Das Werben der SPD um die »Grünen« zeigt die Arroganz der Macht und verdeutlicht den trüben politischen Blick der sterilen, verkrusteten Altparteien. In den letzten Monaten wurden die »Grünen« zu einem Strategieobjekt machtbesessener Politiker, und es war deutlich, daß sich diese Politiker mit unseren ökologischen und friedenspolitischen Inhalten nicht auseinandersetzen konnten.

Doch die Fragen zur Umwelt, zum Frieden und zur Gesellschaft und zur Wirtschaft sind in einem solchen Ausmaß zu Risikofaktoren des Überlebens geworden, daß nur ein Strukturwandel, nicht aber ein Krisenmanagement mit kosmetischen Korrekturen, zu ihrer Lösung beitragen kann. In den fundamentalen Fragen zur Umwelt, zum Frieden, zur Demokratie, zur Parität zwischen Männern und Frauen und zur Wirtschaft, können die »Grünen« keine Kompromisse eingehen.

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Große Teile der Bevölkerung, Anhänger der CDU/CSU können noch nicht auf uns reagieren oder reagieren repressiv, wenn sie auf uns antworten müssen. Betrachtet man die großen Bewegungen der letzten beiden Jahrzehnte, die Studenten-, die Ökologie- und die Frauen- und Friedensbewegung, so sind sie an der CDU/CSU vorbeigegangen. Die gesellschaftlichen Konflikte der 70er Jahre wurden innerhalb der SPD und in geringem Umfange innerhalb der FDP ausgetragen. Bei der SPD oder FDP bedeutet diese Realität eine permanente Zerreißprobe, eine Zerreißprobe deutlich durch das Abbröckeln der Mitglieder und der Wählerbasis, deutlich durch eine Spaltung (SPD und DS).

Wir müssen Herrn Richard Löwenthal, der SPD-Grundwertekommission sowie Herrn Stoiber und Herrn Peter Glotz deutlich machen, daß wir weder untertauchen noch aussteigen wollen. Wir werden uns nicht aufs Private zurückziehen oder die Welt angeblichen Sachzwängen überlassen. Weil wir Atomenergie und Atomstaat, Aufrüstung nach innen und außen und die zunehmende Gewalt bei der Austragung von Konflikten in unserer Gesellschaft als unser Leben bedrohend empfinden und weil wir dies nicht widerstandslos als Geschick über uns ergehen lassen wollen, sind wir gezwungen, uns in die Konflikt­austragung parlamentarisch und außer­parlamentarisch einzumischen.

Offenkundig genügt es nicht, alle vier Jahre bei parlamentarischen Wahlen das kleinere Übel zu wählen und zwischendurch auf friedlichen Demonstrationen seinen Bürgerwillen zu bekunden. Wir sehen uns genötigt, mit öffent­lichen gewaltfreien Aktionen und zivilem Ungehorsam auf dem außerparlamentarischen wie auf dem parlamentarischen Wege unmenschliche Entwicklungen zu dramatisieren und einen unserer Meinung nach menschen­feindlichen Fortschritt in Frage zu stellen, zu versuchen, ihn soweit wie möglich und nötig aufzuhalten.

Wir wollen keine Gewalt, auch nicht unseren politischen Gegnern gegenüber. Wir lehnen es ab, daß Konflikte mit Finanz- und Staatsgewalt oder Gegengewalt so gelöst werden, daß es immer Verlierer gibt. Statt dessen erscheint es uns nötig, in unserer Antiparteienpartei einen Weg zu suchen und einzuschlagen, der die gewaltfreie Aktion in die neue politische Kultur mit einschließt.

Die gewaltfreie Aktion muß sich vor allem in den Hauptkonfliktfeldern unserer Gesellschaft bewähren, nämlich in der Auseinandersetzung um Rüstung und Energie. Wir sehen uns einem riesigen Potential an militärischer und struktureller Gewalt gegenüber. Es wurde schon immer in dieser Republik übersehen, daß es schon sehr früh in der Geschichte radikale Gegenpositionen zu den herrschenden Formen der Konfliktaustragung gegeben hat. Die Verfechter dieser Positionen erstrebten eine zutiefst humane, auf Solidarität und Herrschaftsverzicht gerichtete Gesellschaft. (Jesus von Nazareth, Martin Luther King, Cesar Chavez, Ghandi, usw.)

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Die Gewaltfreiheit und die gewaltfreie Aktion innerhalb der grünen Partei sind der Versuch, eine Einheit von Zielen und Mitteln herzustellen. Der Zweck heiligt also die Mittel nicht. Man kann die Gewalt nicht durch Gewalt, den Krieg nicht durch den Krieg und die Ungerechtigkeit nicht durch die Ungerechtigkeit abschaffen. In der Aktionsmethode ist demnach das Ziel bereits enthalten und im Ziel die Aktionsmethode.

Andre Trocme sagte einmal: »Alle, die für Gewaltanwendung sind, meinen, es sei nur ein Mittel, um Gerechtigkeit und Frieden zu erlangen. Aber Friede und Gerechtigkeit sind gewaltlos... Das ist das Endziel der Geschichte. Wer die Gewaltfreiheit verläßt, dem fehlt der Sinn für die Geschichte. Er geht an der Geschichte vorbei, friert die Geschichte ein, verrät die Geschichte.«    wikipedia  Andre Trocme 1901-1971

Die Partei »Die Grünen« muß eine Bewegung für gewaltfreie Veränderungen bleiben und muß zugleich diese Bewegung für gewaltfreie Veränderungen innerhalb des Parlaments für die Öffentlichkeit deutlich machen. Nahrung, Gesundheitsfürsorge, Arbeit, Unterkunft, Religions- und Glaubensfreiheit, Versammlungsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung, faire und unparteiische Rechtsprechung, menschenwürdige Behandlung Gefangener: All das sind von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen formal anerkannte Menschenrechte, die aber fortwährend verletzt werden.

Diese Rechte beruhen auf der Erkenntnis, daß menschliche Wesen ein Recht auf Leben haben. Menschenrechtsverletzungen können Kriege zum Ausbruch bringen. Respektierung der Menschenrechte hingegen hilft den Frieden aufbauen. Und so bleibt das Eintreten für die Anerkennung und den Schutz der Menschenrechte eine der wichtigsten Aufgaben einer parlamentarischen außerparlamentarischen Partei. Die Forderung der »Grünen« nach der bedingungslosen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen (erster Schritt alle Atomwaffen) gilt für jedermann sofort und ohne Vorbehalt, also auch ohne Rücksicht darauf, ob und wann andere den gleichen Schritt tun.

Die Auslöschung der Menschheit ist als das äußerste vorstellbare Menschheitsverbrechen schlechthin unerlaubt. Sie ist keiner Rechtfertigung fähig. Damit ist auch jede Handlung unerlaubt, die sie herbeiführen kann. So ist nicht nur der Ersteinsatz von atomaren Waffen oder der Erstschlag keiner Rechtfertigung fähig, sondern auch der Zweitschlag! (Martin Neuffer)

»Die Grünen« müssen in ihren Aktionen und in ihrer parlamentarischen Arbeit deutlich machen, daß unser Lebens­vernichtungs­potential total ist. Der sogenannte technische Fortschritt ergreift immer weitere Bereiche und läßt keine Verlangsamung erkennen. Durch die Genmanipulation wird auch der bisher weithin autonome biologische Entwicklungsbereich unserer Gestaltungswillkür unterworfen.

Unsere Fähigkeit zur Lösung der damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme bleibt immer weiter zurück. Wir reagieren manchmal, so Martin Neuffer, wie Graugänse, manchmal wie Steinzeitmenschen, manchmal wie aufgeklärte Humanisten, manchmal wie fanatisierte Idioten — allzuoft hilflos und immer zunehmend von Angst erfüllt. Es ist nicht abwegig, unsere Epoche als Endzeit zu empfinden.

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Wir müssen innerhalb unserer neuen politischen ökologischen Kultur zu einer eigenen Abrüstung kommen. Der lebensbedrohende gigantische Unfug, dem ein Ende gesetzt werden muß, ist zum Beispiel die atomare Rüstung und die Rüstungsspirale. Doch von selbst wird das nicht geschehen. Wir müssen die atomare Rüstung auseinanderbasteln und verschrotten.

Was aber dem im Wege steht, ist wieder die Angst, die gegenseitige Angst, daß der andere nicht fair spielt. Angst, daß der andere plötzlich von seinen konventionellen Waffen Gebrauch machen könnte. Und während wir hier im Westen den Aufbau einer spontanen Friedensbewegung erleben, den Aufbau einer blockübergreifenden Friedensbewegung, tut sich dasselbe, viel langsamer, aber es tut sich, innerhalb der Ostblockstaaten, wie z. B. in der Tschechesslowakei durch die Anhänger der Charta 77, die jungen Menschen, die den Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« tragen, und die vielen anderen Menschen, sei es in Polen oder in Rumänien, die auch die Forderung nach einseitiger Abrüstung stellen. Somit fangen wir unseren eigenen Abrüstungsprozeß an und sind nicht mehr gewillt, den anderen als Feindbild zu akzeptieren. Wir müssen untereinander loyal werden und nicht den Militärblöcken gegenüber.

Johano Strasser schrieb im »Vorwärts« vom 15. Juli 82:

»Die Wahrheit ist, die sozialliberale Koalition war eine Schönwetterkoalition. Sie funktionierte nur bei hohen ökonomischen Wachstumsraten; denn ihr lag die stillschweigende Vereinbarung zugrunde, Fragen der Verteilung auszuklammern, Privilegien des Einkommens und des Besitzes nicht ernsthaft anzutasten. Solange die Wachstumsraten stimmten, hielt man sich an die Vereinbarung.«

Dann führt Johano Strasser fort:

»Aber wenn die SPD als Partei überhaupt intakt und handlungsfähig bleiben will, dann darf der Kurs der Selbstverleugnung nicht fortgesetzt werden — und wenn dies das Ende der sozialliberalen Koalition bedeutet.«

Strasser spricht dann von den großen Aufgaben, wie z. B. den sozialen Anliegen der Arbeiterbewegung, den ökologischen Erfordernissen und der Sicherung des Friedens sowie einer wirksamen Abrüstung und dem Abbau der Blockkonfrontation. Er meint, daß diese Aufgaben mit einer alten Reformkoalition nicht zu lösen seien. »Nicht einmal zu ersten Schritten ist sie mehr fähig.«

Während die etablierten Parteien über uns, die »Grünen«, seit einigen Monaten ständig reden, doch nicht mit uns und über unsere Inhalte, gibt es auch Vorschläge innerhalb der SPD, wie zum Beispiel von seiten Bruno Friedrichs, der eine große Koalition nicht ausschließt (»Frankfurter Rundschau«, 24. Juli 82). Im »Deutschlandfunk« sagte Friedrich, eine große Koalition könne nicht ausgeschlossen werden, wenn dies zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen notwendig werden sollte.

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Mit der grünen Umweltschutzpartei werde dies nicht möglich sein, so erklärte Friedrichs, da sie dafür nicht über ein politisches Konzept verfüge und sich auch vor der Übernahme von Verantwortung drücke. Während die Zeitungen in ihren Leitartikeln von einem strategischen Flirt mit den »Grünen« sprechen, meint Kanzler Helmut Schmidt, daß er erst einmal wissen möchte, ob die »Grünen«, die in die Parlamente gewählt werden, sich konstruktiv an der Sacharbeit beteiligen oder ob sie Obstruktion leisten wollen. Der »Spiegel« vom 12. Juli 82 schreibt: »Die Absage an die Gewalt und die Annahme parlamentarischer Spielregeln in der repräsentativen Demokratie sind die beiden zentralen Punkte, an denen die Sozialdemokraten ihr Verhältnis zu den Grünen messen wollen.«

Mit solchen Meldungen waren die Grünen in den letzten Monaten ständig konfrontiert, Meldungen, die deutlich machten, daß die etablierten Parteien und Politiker nicht in der Lage waren und sind, die vier Hauptsäulen der ökologischen Partei <Die Grünen> zu verstehen oder darüber zu diskutieren.

Diese Hauptsäulen (unter anderem die Gewaltfreiheit, die soziale und solidarische Komponente, die Ökologie und die Basisdemokratie) sind Grundsäulen, die die grüne Partei niemals verlassen kann. Es sind Grundsäulen, die die grüne Partei auch niemals verletzen darf. Und darum ist es auch sehr wichtig, daß die »Grünen« innerhalb ihres Parlamentarisierungsprozesses sich nicht auf die alten etablierten Strukturen einlassen, an der alten Macht nicht teilhaben, doch alles tun, um die alte Macht abzubauen und zu kontrollieren. Somit bleibt ihre Rolle eine fundamentale oppositionelle Rolle, die von den Erfolgen der Basisbewegungen auf der Straße abhängig ist.

Willy Brandt hat einen zentralen Satz im Juli gesagt: »Entscheidend wird sein, daß wir Sozialdemokraten wichtige Anstöße, die aus der Friedensbewegung, von ökologischen Gruppen kommen, selbst aufnehmen und überzeugenden Antworten zuzuführen versuchen.«

Sollte Willy Brandt die konkrete Utopie einer Links-Ökologiefront von SPD und »Grünen« im Auge haben, so kann er diese Hoffnung nur aufrechterhalten, wenn sich die sozialdemokratische Partei auf unsere Fragestellungen zubewegt und endlich lernt, die Ökologie als Primat vor die Ökonomie zu stellen.

Ein Maßstab unserer parlamentarischen Aktivitäten wird sein, inwieweit dadurch ein direkter oder indirekter Nutzen für die Ausgestaltung des gesellschaftlichen gewaltfreien Widerstandes gegen Atommilitarisierung erzielbar ist. Unsere Parlamentsarbeit muß unseren Wählern, den vielen Basisinitiativen, der außerparlamentarischen Bewegung nutzen und soll nicht um ihrer selbst willen gemacht werden. Die Themen der grünen Partei waren schon Themen der vielen Bürgerinitiativen und Basisinitiativen in den letzten zehn Jahren, doch sobald die Partei der »Grünen« in das Stimmungspotential der anderen Parteien eingedrungen war, war es möglich, diesen Themen weit mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu widmen. 

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Die traditionelle Politik hat bis jetzt die großen Probleme und Fragen angesichts des wirtschaftlich-technischen Fortschritts und der Groß­organi­sationen und Verbürokratisierungen nicht meistern können.

In den letzten Wochen haben viele der etablierten Medienmacher immerhin den »Grünen« zugestanden, daß sie in vieler Hinsicht eine Wegbereiter­funktion haben, was ihre Genügsamkeit und ihr neues ökologisches soziales Denken anbelangt. Allzuschnell wird dann gesagt, daß die »Grünen« sich noch richtig ins parlamentarische System integrieren müssen, ehe man sie ernst nehmen kann. Dann wird auch hinzugefügt, daß es weitaus schwieriger sein wird, die SPD in die ökologische Politik einzubinden oder auch nur in einer kompromißfähigen Position, da »links« noch lange nicht ökologisch heißt.

Und wenn die »Grünen« von ihren kompromißlosen Positionen in bezug auf den Ausstieg aus der Atomenergie, den Ausstieg aus der atomaren Abschreckung, den Ausstieg aus einer verschwenderischen Wirtschaft, und den Ausstieg aus einer patriarchalischen Gesellschaft nicht abrücken werden, so ist dies damit zu erklären, daß das Grundproblem nicht ein politisches ist, sondern ein menschliches.

Eines der wichtigsten Dinge ist, so Thomas Merton, ganz bewußt die politischen Linien und Schranken zu durchbrechen und zu betonen, daß diese zum Teil willkürlich errichtet sind, und daß die eigentliche Wirklichkeit die menschliche Dimension ist. So eigentlich müssen die Mitglieder der Grünen, besonders ihre Abgeordneten und ihre Funktionsträger ihre ökologischen Ziele vorleben, das heißt auch im eigenen privaten Bereich.  wikipedia  Thomas_Merton 1915-1968

Camara, der revolutionäre Bischof aus Lateinamerika, sagt hierzu: »Ich glaube nicht an Gewalt, Haß oder bewaffneten Aufstand. Sie brechen zu schnell aus. Sie ändern die Lebensumstände der Völker, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich an die Veränderungen zu gewöhnen. Es hilft nichts, von Reformen der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen zu träumen..., ohne eine entsprechende tiefe Veränderung unseres eigenen Lebens.«

Darum bezeichne ich auch oft die Politik der »Grünen« als eine Politik der Nächstenliebe, eine Politik der Liebe. Liebe bedeutet mehr als die Weigerung zu töten oder zu verletzen. Sie bedeutet auch die Erkenntnis, daß Veränderungen durch Furcht und Gewalt im besten Fall zeitweilige Lösungen bringen können; andererseits aber stärken sie die Motivationen und Technologien für künftige, noch gewalttätigere Ausbrüche.

Liebe, wie sie in konstruktiven gewaltfreien Aktionen zum Ausdruck kommt, ist die alternative Möglichkeit, Mißhandlung und Ungerechtigkeit abzuwehren. »Wir haben nicht länger die Wahl zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Wir müssen wählen zwischen Gewaltfreiheit und Untergang«, sagte Martin Luther King.

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Wir werden alle zu Ersetzbaren, und die Ersetzbarkeit des einzelnen ist eine neue soziale Todeserfahrung — die Folgen der jetzigen Wachstumspolitik. Die rapide wachsende Zahl spurlos Ersetzbarer, der Überrundeten, Ausgestoßenen, die im Behördenjargon verräterisch die sozial Schwachen genannt werden — sie sind der notwendige Preis, der für das Wachstum des Ganzen zu zahlen ist?

Solche Logik ist schwer vermeidbar, wenn man quant­itatives Wirtschaftswachstum als primäres Politikziel akzeptiert. Wer in der Arbeitswelt ersetzbar oder womöglich überflüssig ist, erfährt auch an sich selbst nicht mehr, daß er wer ist. Die Wergwerfmentalität sich selbst gegenüber ist das gefährlichste gesellschaftliche Destruktionsreservoir. Und so gibt es 11 Millionen Bürger der Bundesrepublik, die in eine seelische Konfliktlage geraten und hilfebedürftig sind.

Die Ersetzbarkeitsängste - so Hans-Eckehard Bahr - werden übermächtig und erzeugen permanente Sicherheitswünsche. Die Angst, zu kurz zu kommen, ausgedient zu haben, macht Menschen zunehmend dann auch liebesunfähig. »Wo Einzelbürger, soziale Gruppen oder Kollektive vom technokratischen Staat mit seiner Macht daran gehindert werden, an öffentlichen Entscheidungsprozessen aktiv, sinnvoll, d. h. lebensfördernd, teilzunehmen, kann deren kommunikative Fähigkeit und deren praktische, aufs Gemeinwohl gerichtete Phantasie privatistisch verkümmern.«   wikipedia  Hans-Eckehard_Bahr  1928-2019

Gerade die Beseitigung der Unfriedensverhältnisse im Sozialgefüge unseres Landes, die Beseitigung struktureller Gewaltgefahren, also im eigenen Haus — das wären zentrale Aufgaben einer gewaltfreien Politik der Ent­span­nung. Und so ist die Frage legitim: Können langfristig Gesundheitsförderung und Bildungs­ausgaben für alle Bürger diesen Staat nicht ungleich sicherer machen als Rüstungsprojekte mit nochmals erhöhter Vernichtungs­kapazität? Die rapide Verelendung der Dritten Welt ist eine Folge unserer kostspieligen Sicherheitsängste. Die Systeme kollektiver Leidabwehr, der Lebens- und Bestands­sicherung verschlingen in den reichen Gesellschaften immer höhere Summen der privaten und öffentlichen Haushalte. Diese Mittel sind es, die den armen Völkern der südlichen Erdhalbkugel vorenthalten bleiben.

Die »Grünen« suchen nach einem neuen Lebensstil nicht nur in der westlichen, sondern auch in ihrer eigenen persönlichen Welt. Sie möchten bessere, nicht ausbeuterische Lebensformen, alternative Lebensformen und gewaltfreie Beziehungen zu den anderen, zu sich selbst. Die öffentlich-politische Reaktion auf die außer­parlamentarischen parlamentarischen Programm­punkte der »Grünen« sind nicht überraschend: Die politische Rechte schürt die Konfliktängste, die angesichts des Zusammenbruchs alter, scheinbar bergender Lebensformen überall aufbrechen. Und die Linke verkennt, fixiert auf Makrostrukturen, die politische Reichweite diese Wachstums­kriterien im Privaten.

Die plötzlich aufgetretenen, nicht materiellen Bedürfnisse nach neuen, angstfreien und solidarischen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, den Generationen und innerhalb der Gruppen, lassen erkennen, daß die Versuche, sich selbst zu realisieren, aber nicht länger in isolierten, einsamen Einzel­kämpfen auf Kosten de Konkurrenz vonstatten gehen, sondern im Verein mit anderen und gegen die bürgerliche Kälte insgesamt.

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Gegen die Wegwerflebensweise wird so etwas wie Solidarität aufgeboten, wie Freundschaft.

Anstelle der Steigerung der Warenmassen im Rahmen der erweiterten Produktion des Kapitals   [soll]  es nun die Steigerung der Lebensqualität in Einklang mit der Notwendigkeit zyklischer Erneuerung und der Erhaltung der Natur geben — das ist eine der entscheidenden Aufgaben im Bereich einer neuen politischen Kultur, die die Grünen anstreben.

Kurt Biedenkopf, CDU-Präsidiumsmitglied, hat am 23. Juli 82 in der »Welt« erklärt: »Das Anwachsen der Grünen ist eine revolutionäre Veränderung für das deutsche Wählerverhalten.« Er rechnet mit langfristigen Entwicklungen. »Auf absehbare Zeit wird die SPD weder allein noch mit der FDP gegen die Union und die Grün-Alternativen Mehrheiten bilden können.« Bündnisse mit der CDU/CSU seien nicht möglich. Biedenkopf meinte auch, daß sich die Ziel- und Wertvorstellungen sowie auch die politischen Interessen gewandelt haben. 

Hier hat er durchaus recht, denn die Bürger sind politisch engagierter als früher, haben veränderte Lebensformen und einen gewandelten Wertekatalog. Die oberen Etagen der etablierten Parteien sowie der Gewerkschafts­führung haben die ökologische Entwicklung verschlafen und die Bewußtseinsänderung der Bevölkerung in bezug auf Technik und Umwelt in den vergangenen Jahren nicht zur Kenntnis genommen!

Erhard Eppler meinte am 24.7.82, daß »nur wenn sich die SPD von ihrer bisherigen Wachstumsprogrammatik lossage und die Gedanken der Öko- und Friedens­bewegung zu eigen mache, könne sie 1989 wieder die politische Verantwortung im Bund zurückgewinnen«.

Die Zukunft der »Grünen« kann aber nicht darin liegen, daß sie Machterwerb betreiben im alten Stil der etablierten Parteien. Die »Grünen« sind nach wie vor grundsätzlich zur Kooperation bereit, wenn mit dieser Kooperation die lebenswichtigen Fragen der Menschheit gelöst werden können. Sie sind zur Kooperation bereit, wenn die Forderung nach einer bürgernahen Sprache des Parlaments endlich Realität wird.

Bis jetzt sind Parlamente zu einem Ausführungs­organ der Ministerialbürokratie geworden, besonders in bezug auf wichtige Planungen wie Flughäfen oder Atomkraftwerke. Die »Grünen« haben ein anderes Parlaments­verständnis, wonach das Parlament die Interessen der Bürger, aller Bürger, auch der Minderheiten, zu vertreten habe. Bis jezt haben Parlamente in bezug auf Bürgerinitiativen­forderungen Hilflosigkeit an den Tag gebracht. Die »Grünen« müssen deutlich machen, daß die Exekutive d«sn Parlamenten die notwendigen Informationen liefern muß, daß Anhörungen und Untersuchungsausschüsse in der Öffentlichkeit und für alle zugänglich ein Teil der Parlamentsarbeit werden müssen. Die »Grünen« sind ohne Illusionen in die Landtage und Kreistage eingezogen.

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Die »Grünen« streben eine größtmögliche Demokratisierung in den Parlamenten an sowie eine größere Transparenz der Entscheindungsprozesse in diesen Gremien. Wir müssen uns inhaltliche Schwerpunkte kompromiß­los setzen, mit denen wir Denkanstöße nach innen und nach außen geben. Unser Anliegen muß es auch sein, das Parlament so lange mit einem Problem zu konfrontieren, bis es von ihm und der Öffentlichkeit als solches erkannt und anerkannt wird.

Die Frage nach der Lösungsmöglichkeit und der Finanzierbarkeit muß dann auch in der Öffentlichkeit transparent gemacht werden, über die Parlamente, zusammen mit den Erfolgen einer gewaltfreien Wider­stands­bewegung auf der Straße, sind wir in der Lage, so hoffe ich, die Leute aus ihrem Abgestumpftsein, aus ihrem Gefühl des Ertragenmüssens, herauszureißen. Wir sind im Grunde genommen, und ich hoffe, daß wir das bleiben, halb Partei und halb Bürgerinitiative — weiterhin eine Antiparteienpartei.

Der Lernprozeß, der auf der Straße stattfindet, auf den Bauplätzen, vor den Atombasen, muß auch in den Parlamenten stattfinden. Alternative Politik im Sinne der »Grünen« heißt auch, daß wir Nein sagen zu dem kleineren Übel. 

»Je mehr Stimmen es sind, desto eher beginnen sie, selbst zu denken. Die <Grünen> können gar nicht anders als kompromißlos dazustehen — denn der Schutz der natürlichen Voraussetzung menschlichen Lebens wird gemeinsam im Munde der etablierten Parteien geführt, und praktisch werden sie gemeinsam unterminiert. Die Interessen der Supermächte, die Profite der Großindustrie und die Erhaltung von Privilegien stehen dem Menschen, dem Leben und dem Frieden entgegen. Wir stehen auf einer Rasierklinge zwischen Leben und Tod. In dieser Situation ist die Politik des sogenannten kleineren Übels gleich dem Übel! Denn einen kleinen Tod gibt es nicht. Wer das kleinere Übel wählt, wird deshalb das Übel erhalten.« (Jochen Steffen) 

Es gibt vielfältige Ansätze zu einer alternativen ökologischen Politik — bei den vielen Bürgerinitiativen, den Arbeiterinitiativen in bezug auf Umstellung der Rüstungsindustrie, in der grünen Partei, aber auch bei anderen politischen Gruppierungen wie z. B. den <Demokratischen Sozialisten> und bei der Frauenbewegung. Irgendwo müssen wir alle praktisch und handfest klarstellen, daß erst der Mensch und danach die Wirtschaft kommt. Solidarität und Menschlichkeit dürfen nicht kompromittiert werden. So bleibt uns nichts anderes übrig, als immer wieder den Text von Günter Eich auszusprechen:   wikipedia  Günter_Eich  1907-1972

»Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind! Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben, für euch erwerben zu müssen! Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt!« 

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Petra K. Kelly 1982