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Teil 4   Fata Morgana oder die Fähigkeit zu glauben

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 Prinzip Hoffnung

16 -  Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

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Alles, was sich heute auf diesem Planeten abspielt, ist seit langem vorausgesagt worden; es ist einge­troffen; es ist wissen­schaft­lich dokumentiert; und es wird seit Jahren darüber berichtet — in Büchern, Zeitungen und Zeit­schriften, im Radio und Fernsehen. 

Aber dies alles hat so gut wie nichts bewirkt. — Einige Seen sind sauberer geworden; einige, nicht alle. Der Ausstoß an Fluorchlor­kohlen­wasser­stoffen (FCKW) konnte reduziert werden; reduziert, nicht gestoppt. Einige vom Aussterben bedrohte Arten sind mit ge­waltigem Aufwand vorläufig gerettet worden; einige wenige unter Tausenden. 

Es findet ab und zu ein inter­nation­aler Umweltgipfel statt. Dieser führt mit schöner Regelmäßigkeit zur finsteren Entschlossenheit, daß man "die Ent­wick­lung im Auge behalten" will. Und damit hat sich's. Im übrigen nimmt das Debakel seinen Fort­gang, als sei nichts geschehen. Die Politik, die Medien und die große Mehrzahl der Bürger und Konsum­enten gehen eifrig ihrem Tagesgeschäft nach. Als ginge uns dies alles gar nichts an.

Soll einer sagen, das sei kein interessantes Phänomen. Da schaut die gesamte Population der intelli­gentesten aller existierenden Arten scheinbar teilnahmslos zu, wie ihre eigenen Lebens­grundlagen schrittweise vor die Hunde gehen. Sie macht sich noch lustig über Lemminge oder Schafe, von denen berichtet wird, daß sich schon ganze Herden ins Verderben gestürzt haben. Und scheint nicht zu bemerken, daß sie auf dem besten Wege ist, sich selbst auszurotten — nicht etwa lokal oder regional, nein, gleich weltweit. 

Etwas derart Inter­essantes ruft nach Klärung.

Der Mensch hat im Laufe der Evolution nicht nur einen beachtlichen Verstand, sondern auch Phantasie erworben. Er ist in der Lage, Wissen, welches ihm seine fünf Sinne und sein Verstand vermitteln, durch Annahmen, die ausschließlich emotional begründet sind, zu ergänzen — und zwischen beidem nicht mehr klar zu unterscheiden. Er ist außerdem in der Lage, Dinge, die er eigentlich wissen könnte, aber nicht unbedingt wissen möchte, zu übersehen, auszu­blenden oder schleunigst wieder zu vergessen. 

Mit anderen Worten: Er hat die Fähigkeit, sich sein Bild von der Wirklichkeit zurechtzulegen. 

Glaubens­inhalte waren zu allen Zeiten und in allen Erdteilen entscheidend für eindrucksvolle kulturelle Leistungen. Tabus, Projek­tionen und Verdrängung — Vorgänge, die Sigmund Freud ergründet hat — waren und sind wesentliche Elemente menschlicher Gesell­schafts­bildung.

Über gewisse Aspekte der Realität nicht nachzudenken und nicht zu reden, kann das Leben des einzelnen oder den Zusammen­halt in einer Gesell­schaft entscheidend erleichtern.  Es kann aber auch zu Blindheit für Gefahren führen. Fehl­inter­pretationen, systematische Verharmlosung und der naive Glaube, irgendwer werde irgend­wie alles zum Guten wenden, sind wesentliche Gründe für die unglaubliche Gleichgültigkeit, mit der die Menschheit heute dem von ihr selbst geschaff­enen Bedrohungs­potential gegenübersteht. 

Man kann verschied­ene Typen von Verdrängungs­strategien unterscheiden:

"Kein Problem"

Da gibt es die einen, die überhaupt kein Problem sehen. Das ganze Umweltgeschwätz ist für sie lediglich eine Art Modeer­scheinung, ausgelöst durch ein paar Wirrköpfe, die — anstatt etwas Ordentliches zu tun — sich als Welt­verbesserer aufspielen. Und was die gesellschaftliche Entwicklung betrifft, so haben wir zwar im Moment eine konjunkturelle Delle zu bewältigen. Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Aber insgesamt ist es den Menschen doch noch nie so gut gegangen wie heute.

Wenn es da ein Problem gibt, dann dies: Zu viele Leute haben sich von den Grünen den Kopf verdrehen lassen. Und jetzt haben wir den Schlamassel: Die Wirtschaft, von der wir schließlich alle leben, wird in unerträglicher Art und Weise behindert. Tausend Umweltauflagen — es werden jeden Tag mehr — verzögern oder verhindern die Umsetzung unternehmerischer Entscheidungen. Und wer die Auflagen einhalten will, muß derart hohe Investitionen tätigen, daß er international nicht mehr konkurrenzfähig ist. Wir sind auf dem besten Wege, die Wirtschaft lahmzulegen. Und dann wundern sich die Leute noch, daß es so viele Arbeitslose gibt. Das haben wir zu einem guten Teil den Umweltideologen zu verdanken.

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"Halb so schlimm"

Andere wiederum sehen sehr wohl, daß es eine ganze Reihe ernst zu nehmender Probleme gibt, die bewältigt werden müssen. Aber sie sind der Meinung, man sollte das alles nicht dramatisieren. Diese Probleme sind nicht von einem Tag auf den anderen entstanden, und sie werden auch nicht von einem Tag auf den anderen überwunden werden können. Wichtig ist, daß die Richtung stimmt. Und da zeigt sich doch, daß wir auf gutem Wege sind. In Sachen Umwelt haben wir bereits große Fortschritte erzielt. Das Problem des Ozonlochs gehört praktisch der Vergangenheit an. Gerade die massive Reduktion des Ausstoßes an Gasen, die den Ozonschild gefährdet haben, zeigt, daß wir durchaus in der Lage sind, wirklich notwendige Maßnahmen weltweit durch­zusetzen. Das kann für die Zukunft nur optimistisch stimmen.

Es ist leider in Mode gekommen, nur noch darüber zu klagen, wie schlimm alles ist. Die Medien leben nun mal davon, mit Hiobsbotschaften Aufsehen zu erregen. Dabei gibt es so viele gute Nachrichten. Sie werden nur nicht zur Kenntnis genommen. Der Schwarzwald ist schon vor Jahren totgesagt worden — und es gibt ihn noch immer. Der Rhein ist bereits wesentlich sauberer geworden. In Seen, die angeblich irreparabel geschädigt waren, tummeln sich wieder Forellen. In der Themse ist kürzlich der erste Lachs gesichtet worden. Das Wachstum der Weltbevölkerung hat sich bereits deutlich verlangsamt. Aufgrund der Fortschritte in der Gentechnik können neue, besonders robuste und resistente Getreidesorten gezüchtet werden. Die inter­nationale Zusammen­arbeit unter den Weltmächten ist heute so weit gefestigt, daß ein dritter Weltkrieg praktisch ausge­schlossen werden kann.

Die Welt geht nicht so schnell zugrunde. Es hat sich immer wieder gezeigt, daß Entwicklungen mehr Zeit brauchen, als man ursprünglich gedacht hatte. Die einzige echte Gefahr besteht darin, daß die Zukunft schwarz gemalt wird. Dann resignieren die Menschen, anstatt sich für die Umwelt und die Gesellschaft zu engagieren. Man kann den eigenen Untergang auch herbeireden.

   "Nichts bewiesen"   

Dies sind die ganz Schlauen: Sie stellen die vorhandenen Probleme keineswegs in Abrede — sie sagen nur: Die Katastrophen­szenarien sind reine Spekulationen. Es fehlt der wissenschaftliche Beweis. Bevor einschneidende Maßnahmen verantwortet werden können, muß erst eine solide wissenschaftliche Grundlage geschaffen werden. Streng sachlich und objektiv bleiben — das macht sich immer gut. Eingehende Analysen zu verlangen, war schon immer der beste Ausweg aus Entscheidungs­schwäche und Handlungs­unfähigkeit. Jeden Tag machen unzählige Firmen Konkurs, deren überforderte Manager dieser Philosophie nachgelebt haben.

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Man darf sich von diesem pseudowissenschaftlichen Gehabe nicht beeindrucken lassen:

Erstens:
Es gibt überhaupt nichts zu beweisen. Wenn man die Augen aufmacht und sich mit unverstelltem Blick anguckt, was auf diesem Planeten vor sich geht, genügt der gesunde Menschenverstand, um sich in etwa auszurechnen, wohin dies führen wird. Auf den Segen der Erbsenzähler kann verzichtet werden.

Zweitens: 
Bei jedem einzelnen Trend, der unsere Zukunft bedroht, handelt es sich um ein hochkomplexes und turbulentes Geschehen. Man kann zwar die Bedingungen erkennen, unter denen ein System kippt. Aber man kann nicht exakt vorhersagen, zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort welche Auswirkungen eintreten werden. Wer hier wissenschaftlich exakte Beweise verlangt, beweist vor allem eines: daß er sich noch nie mit der Dynamik komplexer Systeme ausein­andergesetzt hat.

Einige Schlaumeier argumentieren deshalb gerade andersrum: 
Das globale Geschehen sei derart komplex, daß überhaupt keine Vorhersagen gemacht werden könnten. Möglicherweise bestehe überhaupt keine Gefahr für unsere Zukunft. 

Geradesogut könnte man argumentieren, mit der Einsteinschen Relativitäts­theorie und der Heisenbergschen Unschärferelation sei bewiesen, daß die Dinge im Grunde gar nicht so sind, wie wir sie wahrnehmen, und daß letztlich nichts wirklich bestimmt ist — es sei deshalb reine Spekulation, anzunehmen, daß morgen die Sonne aufgeht und die Erde sich dreht.

Die Zukunft läßt nicht mit sich handeln. Der endgültige Beweis für die Gefahr einer globalen Katastrophe wird allemal geliefert werden — hieb- und stichfest. Aber wenn es soweit ist, wird keiner mehr dasein, der sagen kann: "Donnerwetter — hätt' ich nicht gedacht!"

    "Fünf vor zwölf"    

Diese Variante wird von Leuten bevorzugt, die sich hauptberuflich mit der Zukunft beschäftigen. Sie beschreiben Trends, zeigen Probleme auf und präsentieren auch gleich die Lösungen. Sie sagen: Die Lage ist dramatisch; wenn nichts geschehen würde, müßte mit dem Schlimmsten gerechnet werden — aber wenn wir jetzt sofort eine Reihe von Maßnahmen beschließen und umsetzen, läßt sich die Katastrophe gerade noch abwenden. Dann folgt eine Aufzählung der notwendigen Maßnahmen — meist ein 10-Punkte-Programm.

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Und in der Tat: Wenn all diese Maßnahmen sofort weltweit umgesetzt würden, ließe sich die Kurve möglicher­weise gerade noch kratzen. 

Das einzige Problem besteht darin, daß nicht eine einzige dieser Maßnahmen welt­weit durchgesetzt werden kann — und schon gar nicht innerhalb nützlicher Frist. Der amerikanische Präsident müßte nochmals gewaltig an Charme zulegen, um bei seinen Mitbürgern eine hohe Energiesteuer — oder sonst irgendeinen Weg zur drastischen Einschränkung des Verbrauchs an fossiler Energie — anzuge­fälligen. Und Amerika wäre noch lange nicht die Welt. 

Oder: Stabilisierung der Weltbevölkerung; Entflechtung und Sanier­ung der großen Ballungszentren, insbesondere in der Dritten Welt; enge internationale Zusammen­arbeit aller Sicher­heits­kräfte zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. 

Dies sind nur einige Beispiele von Postulaten, wie man sie in den Programmen zur Rettung unserer Zukunft finden kann.

All diese klugen Rezepturen entspringen lupenreinem Wunschdenken. Sie haben für die Praxis ungefähr die gleiche Bedeutung, wie wenn Sie einem in hohen Wellen um Hilfe schreienden Nichtschwimmer vom Boot aus zurufen, 300 Meter süd-südöstlich befinde sich eine große Fischerboje — da könne er sich erst mal festhalten. Die Kunst der Fuge besteht nicht darin, zu wissen, was zu tun wäre, sondern darin, das, was notwendig ist, umzusetzen.

   Warten auf Godot 

Viele Bürgerinnen und Bürger wiederum haben bezüglich unserer Zukunft ein flaues Gefühl in der Magen­grube. Sie halten es durchaus für möglich, daß die derzeitige Lage mit ernst zu nehmenden Gefahren verbunden ist. Aber sie mögen sich nicht mit den möglichen Konsequenzen auseinander­setzen. Dies würde sie zu sehr belasten. Sie versuchen, positiv zu denken. Sie konzentrieren sich auf die erfreulichen Nachrichten. Und davon gibt es immer wieder eine ganze Menge. Man muß sie nur beachten.

Im übrigen sagen sie sich, daß es ja andere, klügere und einflußreichere Menschen gibt, die sich mit den großen Problemen dieser Welt befassen. Sie werden schon Lösungen finden. Die Menschheit hat in der Vergangen­heit noch immer Lösungen gefunden. Es hat zwar manchmal lange gedauert. Aber die Menschen sind nun mal erst dann zu grund­legenden Veränderungen bereit, wenn es gar nicht mehr anders geht. Vielleicht ist ganz einfach der Druck noch nicht stark genug. Wahrscheinlich bedarf es eines massiveren Schocks. Aber früher oder später wird das Blatt sich wenden.

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  Die vorhersehbare Katastrophe  

Wenn ein tonnenschwerer Meteorit mitten in einem Dorf einschlägt, und Menschen dabei umkommen, ist dies ein Schicksals­schlag, für den man niemanden verantwortlich machen kann. Aber die allermeisten Katastrophen sind vorhersehbar. Wenn nicht das Ereignis selbst, so doch seine tragischen Konsequenzen könnten weitest­geh­end vermieden werden. Von Kriegen, Industrie­katastrophen, Flugzeug- und Schiffs­unglücken, Groß­bränden und Terror­anschlägen, die ohnehin von A bis Z Menschenwerk sind, will ich hier gar nicht erst reden. Ich meine Natur­katastrophen wie Wirbelstürme, Überschwemmungen, Erdbeben oder Vulkanausbrüche.

Ein reizendes südfranzösisches Provinzstädtchen liegt im nationalen Gefahrenkataster in der roten Zone. Aufgrund eines topografischen Engpasses ist es besonders überschwemmungs­gefährdet. Im September 1992 erhielt das Bürger­meisteramt einen dringenden Anruf aus Paris. Das meteorologische Zentralinstitut infor­mierte darüber, daß in zwei Tagen genau in dieser Gegend zwei Luftschichten mit gleicher Geschwindigkeit, aber unterschiedlicher Temperatur aufeinander­stoßen und voraus­sichtlich längere Zeit stehen bleiben würden. Es bestehe große Gefahr schwerer und anhaltender Regenfälle. Vorsorge­maßnahmen seien dringend angezeigt. Das Bürgermeisteramt erklärte den Klugscheißern aus Paris, man hätte hier auch schon mal ein Gewitter gesehen. Es wurden keine Vorkehrungen getroffen. Zwei Tage später kam die Katastrophe. 37 Menschen sind in den Fluten ertrunken.

1994 erschien ein Bericht der obersten polnischen Kontrollkammer in Warschau. Darin wurde nicht nur auf speziell überschwemmungs­gefährdete Regionen und Städte — unter anderen die oberschlesische Stadt Ratibor — hingewiesen, sondern auch auf festgestellte Mängel im Hochwasserschutz. Fehlende, zu niedrige oder ver­gamm­elte Deiche waren in dem Bericht einzeln festgehalten. Die Verschlechterung des Hoch­wasser­schutzes berge — so die Fachleute — "die Gefahr, daß die Menschen in den gefährdeten Gebieten Vermögens­werte vieler Generationen verlieren". Es geschah so gut wie nichts. Im Sommer 1997 trat die Katastrophe ein — mit exakt den vorausgesagten Konsequenzen, in exakt den vorausgesagten Gebieten. Die Schäden — vor allem die irreparablen — kann gar niemand beziffern.

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   Wenn der Regenwald brennt    

Was sich im Sommer 1997 in Indonesien abspielte, ist — so der Generaldirektor des WWF International — "der extreme Fall einer von Menschenhand verursachten Naturkatastrophe". Man war gewarnt. Seit über zehn Jahren gab es jedes Jahr verheerende Waldbrände auf Kalimantan und Sumatra. Aber der Kahlschlag der Urwald­riesen ging weiter. 900.000 Hektar Regenwald — ein Stück so groß wie der Libanon — werden jedes Jahr vernichtet. Die Regierung in Djakarta finanziert mit dem Ausverkauf der Wälder den sogenannten Fortschritt des Landes — und den Reichtum der Machthaber. Dann sorgte El Niño — eine noch nicht erforschte, möglicherweise auf den Treibhaus­effekt zurückzuführende, warme Meeresströmung — für eine länger anhaltende Trockenperiode. Es kam zur größten Waldbrand­katastrophe aller Zeiten.

Das Feuer geht auf Brandrodungen von Bauern, Großgrundbesitzern und Holzindustrie­konzernen zurück. Es beginnt im Juli, greift auf immer mehr Gebiete über, und kann monatelang nicht unter Kontrolle gebracht werden. Ende September stehen 800.000 Hektar Wald in Flammen. Rauch und Smog hüllen die Inselwelt von Malaysia über Indonesien und die Philippinen bis nach Thailand ein. Schulen, Universitäten, Flughäfen müssen geschlossen werden. Es gibt nicht genügend Atemmasken. Hunderte von Menschen kommen um — teils durch Cholera, teils durch Hunger, einige ersticken im Rauch. Unzählige tragen bleibende gesund­heitliche Schäden davon — denn der Rauch, den sie während Wochen und Monaten inhalierten, entspricht teilweise dem Konsum von 100 Zigaretten pro Tag. 

Flugzeuge mit Hilfsgütern können nicht landen. Im Süden der Philippinen, 3000 Kilometer von den Feuern entfernt, können die Fischer wegen schlechter Sicht nicht auslauten. Zwei Frachter kollidieren im dichten Smog. Ein Airbus der staatlichen Garuda Airlines gerät beim Sinkflug unversehens in zu dicken Rauch und stürzt ab. Alle 234 Insassen kommen ums Leben. Riesige Waldgebiete sind zerstört, viele Menschen werden obdachlos, das ökologische Gleichgewicht in ganz Südostasien ist gefährdet. Ein weiteres Stück Regenwald — Stabilisator des Weltklimas — ist verschwunden.

 

Dies sind nur drei Beispiele für die merkwürdige Sorglosigkeit, mit der menschliche Gesellschaften in existentieller Gefahr leben können. Die Gefahr ist bekannt; sie ist aktenkundig; aber sie wird nicht zur Kenntnis genommen. Die Menschen können einen unglaublichen Fatalismus an den Tag legen. Sie schwindeln sich ganz einfach durch — nach dem Motto "Es wird schon nichts passieren" oder "So schlimm wird's nicht werden".

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   Halali  

In einer mediterranen Gegend, in der ich gerne meinen Urlaub verbringe, gibt es Wildschweine. Man findet immer wieder verwüstete Gärten und Rebberge. Die Besitzer sind böse auf die Wildschweine. Sie würden sie am liebsten mit bloßen Händen erwürgen. 

Die Retter in der Not sind die Jäger. Sie jagen die Wildschweine. Sie tun dies nicht etwa, weil sie gerne Tiere abschießen, oder um sich durch den Verkauf von Wildschweinfleisch ein Zubrot zu verdienen — nein, ausschließ­lich zur Hege des Schwarzwild­bestandes, im Dienste der Allgemeinheit, um eine verheerende Wildschweinplage zu verhindern. 

Nur Eingeweihte wissen, daß es in der ganzen Gegend schon lange keine Wildsau mehr gäbe, wenn die Jäger nicht jedes Jahr im Dutzend billiger Jungtiere einkaufen und aussetzen würden, auf daß sie sich in den Gärten ihrer Mitbürger mästen und vermehren können. So bleibt nicht nur das ökologische, sondern auch das soziale System im Gleichgewicht — mit einer Ausnahme: Jedes Jahr wird irgendein Jäger von einem Kollegen totgeschossen. 

Wildschweine sind scheue Tiere. Wenn Menschen in der Nähe sind, verstecken sie sich im Gebüsch. Wenn man wartet, bis man sie zu Gesicht bekommt, ist es oft zu spät, um einen sauberen Fangschuß anzubringen. Man muß gucken, wo sich im Gebüsch etwas bewegt, und rechtzeitig da reinschießen. Und ab und an stellt man hinterher fest: Es war nicht ein Wildschwein, sondern der Kollege, der sich versteckt hatte. Dann gibt es ein großes Begräbnis, alle trauern mit, und die Versicherung zahlt. Denn es war, wie alle Zeugen bestätigen, ein bedauerlicher Unfall, den niemand hätte verhindern können.....

Es geht hier nicht darum, sich über die Jäger im Mittelmeerraum lustig zu machen. Es geht ausschließlich darum, an praktischen Beispielen zu illustrieren, wie Menschen denken und handeln. Man kann im Kleinen immer am besten beobachten, was im Großen in die Katastrophe führt.

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    Ein GAU, der nicht stattgefunden hat   

Charles Perrow hat in seinem Buch <Normale Katastrophen: Die unvermeidbaren Risiken der Groß­technik> aufgrund des Studiums unzähliger Katastrophen einige allgemeingültige Gesetze formuliert. Eines davon lautet: Alle großen Katastrophen sind in letzter Konsequenz auf menschliches Versagen zurückzuführen

Es stimmt schon, was immer wieder behauptet wird: <Wir haben die Technik im Griff>. Nur uns selbst nicht. Ich will dies am Beispiel eines GAU — größter anzunehmender Unfall — illustrieren, der nicht stattgefunden hat, und von dem ich nur aufgrund sehr spezieller Umstände in Kenntnis gesetzt worden bin. 

Vor einigen Jahren wurde in einem dicht besiedelten Gebiet im deutschen Sprachraum ein hochmodernes Atomkraft­werk in Betrieb genommen. Bei dieser Technologie befinden sich die Wärme erzeugenden nuklearen Brennstäbe in einem tiefen, mit Wasser gefüllten Becken. Bei einer nicht mehr steuerbaren Überhitzung käme es zu derart hohen Temperaturen, daß die dicksten Betonwände glatt durchbrennen würden. Es käme zur Katastrophe. Für diesen äußersten Notfall — der eigentlich nie eintreten sollte — ist der Tank durch eine Rohrleitung ansehn­lichen Kalibers mit einem großen, höher gelegenen Wasserbecken verbunden. Wenn das Ventil direkt beim Tank geöffnet wird, kann der Tank so lange mit großen Mengen Frischwasser durchflutet und gekühlt werden, bis der nukleare Brand gestoppt ist.

Ungefähr ein Jahr nach Inbetriebnahme kam es in diesem AKW zu einer derartigen, nicht mehr steuerbaren Überhitzung. Das Ventil wurde geöffnet — es kam kein Tropfen Wasser. Ein GAU stand unmittelbar bevor. Aus Gründen, für die niemand etwas konnte, bildete sich die Überhitzung buchstäblich in letzter Sekunde wieder zurück. Die Öffentlichkeit hat nie etwas davon erfahren.

Nun wurde der Sache nachgegangen, und es hat sich folgendes herausgestellt: Außer dem Ventil im Kraftwerk sowie einem Ventil oben beim Reserve­becken gab es noch ein drittes Ventil irgendwo auf der Strecke. So unglaublich es klingt: Dieses dritte Ventil war in den Plänen versehentlich nicht eingezeichnet. Niemand im AKW hatte von seiner Existenz gewußt — und es war geschlossen.

Soweit das menschliche Versagen auf Seiten des Unternehmens, welches die Anlage projektiert und gebaut hatte. Der größte Künstler aber war der Betriebsleiter. Er hatte die Anlage abgenommen, angefahren und ein ganzes Jahr lang betrieben, ohne auch nur ein einziges Mal zu prüfen, ob — wenn man denn wider Erwarten einmal welches benötigen würde — Wasser aus der Leitung kommen würde.

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Wenn die Feuerwehrleute in Hinterallmendingen alle halbe Jahre einmal ausrücken, mit Hydranten hantieren und Wasser in der Gegend herumspritzen, werden sie belächelt. Aber wenn es in Hinterallmen­dingen brennt und die Feuerwehr Wasser benötigt, ist welches da.

Wer sich ans Steuer eines Autos setzt, wer in seinem Betrieb mit giftigen Chemikalien hantiert, wer ein geladenes Schießeisen mit sich herumträgt oder ein Atomkraftwerk betreibt, weiß haargenau, was theoretisch — bei einer Verkettung unglücklicher Umstände — alles passieren könnte. Sorglosigkeit, Fahrlässig­keit und die Hoffnung, der "worst case" werde nicht einen selbst treffen, führen zu den unzähligen kleinen und auch mal großen Katastrophen, über die wir dann in der Zeitung lesen.

   

    Das Prinzip Hoffnung     

Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben. Die Hoffnung, daß das gezeugte Kind gesund und normal zur Welt kommen, der Partner nach einer schweren Krankheit wieder genesen, der Sohn heil aus dem Krieg zurück­kommen, der eigene Arbeitsplatz nicht der Rationalisierung zum Opfer fallen wird — all dies hilft, das Leben zu meistern. 

Hoffnung bedeutet Sinn — und solange das Leben einen Sinn hat, lohnt es sich, Kraft aufzuwenden und sich zu engagieren. Wenn der Mensch keine Hoffnung mehr hat, erlahmt seine Lebensenergie. Er verfällt in eine tiefe Depression. Und manch einer macht seinem Leben ein Ende. 

Menschen können aus den verschiedensten Gründen Selbstmord begehen — aus tief empfundener Schuld; aus Scham dem sozialen Umfeld gegenüber; aus Angst vor der Endphase einer unheilbaren Krankheit; oder aufgrund irgendwelcher Wahnvorstellungen — etwa der Idee, der jüngste Tag sei gekommen und es gelte nun, in ein nächstes Leben hinüber­zutreten. In unserer Wohlstands­gesellschaft ist jedoch die weitaus häufigste Form der sogenannte Bilanz­selbst­mord. Ein Mensch, der in einer Sinnkrise steckt, fragt sich: Was ist in meinem Leben gewesen? Was ist heute? Und: Was habe ich noch zu erwarten? Wenn die Bilanz negativ ausfällt, legt er Hand an sich.

Eines ist allerdings höchst bemerkenswert: Die Selbstmordrate steigt mit zunehmendem Wohlstand. Wer arm ist und körperlich hart arbeiten muß, um zu überleben, kommt gar nicht erst auf den Gedanken, sich umzubringen. Die Selbstmordrate war in Europa nie geringer als zu Kriegszeiten. Sogar im Warschauer Ghetto und in den Konzentrations­lagern waren Selbstmorde äußerst selten.

So paradox es erscheinen mag: Die Katastrophe, wenn sie denn eintritt, bedeutet nicht von vornherein den Verlust von Hoffnung und Zukunft. Sie kann im Gegenteil eine neue Heraus­forderung darstellen und damit wieder Sinn in ein Leben bringen, das mit der Sättigung aller materiellen Bedürfnisse hohl und leer geworden war. Auf diesen Zusammenhang wird am Schluß dieses Buches zurückzukommen sein, wenn es unter dem Titel <Szenarium Crash> um die Frage geht, wie wir mit der Aussicht auf einen Zusammenbruch unserer Zivilisation fertig werden können.

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Der globale Crash und die Zukunft des Lebens