Ernest Callenbach

Ökotopia

Notizen und Reportagen 
von William Weston 
aus dem Jahre 1999

Ecotopia

1975 by Ernest Callenbach & Bantam Books, New York 

1978 by Rotbuch Verlag, Berlin #  Übers Clemeur und R. Merker 

2022 Reclam

Ernest Callenbach : ( Weg nach)  Ökotopia  ---  William Weston  -  

1975   222 Seiten (*1929)

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Aus dem Inhalt

Unterwegs nach Ökotopia, die Grenze, Frisco, Lebensmittel (8)

Autos, Städte, Sport (34)

Fernsehen (53) Ökonomie, Wälder

Bevölkerungsproblem (83)  -  Schattenseite  -  Kunststoffe

Frauen und Macht -  Berufsleben  -   Rassenpolitik

Energie   -  Kommunikation  -  Erziehung

Wohnen  -  Forschung  -  Kunst

Gesundheitswesen  + ... Ende  + Nachwort

 

 

Ernest Callenbach, 1929-2012, lebte in Berkeley als Dozent für Filmfragen. Seit 1958 Herausgeber von <Film Quaterley>. 

Callenbach hat hier die in aller Welt erdachten Möglichkeiten alternativen Lebens zusammen­getragen. 

Wir sind im Jahr 1999. Seit seiner Unabhängigkeit 1980 hat Ökotopia – die ehemaligen Weststaaten der USA – in Isolation gelebt. Jetzt kommt der erste Besuch, der Reporter William Weston.

ÖKO-   vom griechischen oikos (Haushalt oder Heim, Zuhause)    -TOPIA   vom griechischen topos  (Ort)

In der Natur wird keine organische Substanz aufgebaut, wenn sie nicht auch wieder abgebaut werden kann; alles ist Teil eines Kreislaufs.  Barry Commoner 

 

Westons nächster Auftrag:

Ökotopia

5

Die TIMES-POST sieht sich endlich in der Lage anzukündigen, daß William Weston, unser Top-Reporter für internationale Fragen, in der kommenden Woche eine sechswöchige Reise nach Ökotopia antreten wird. 

Dieses journalistische Vorhaben, das bisher einzigartig dasteht, wurde durch Vereinbarungen auf höchster diplomatischer Ebene ermöglicht. Es wird sich dabei um den ersten offiziellen Besuch eines Amerikaners seit der Unabhängigkeit Ökotopias im Jahre 1980 handeln, als der normale Reiseverkehr wie auch alle sonstigen Verbindungen abgebrochen wurden.

Die TIMES-POST schickt Weston in der Überzeugung auf diese ungewöhnliche und schwierige Erkundungs­reise, daß eine unvoreingenommene Einschätzung Ökotopias an Ort und Stelle gerade heute, wo wir auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert stehen, von entscheidender Bedeutung ist. Alte Gegensätze haben allzulange einer näheren Untersuchung der Entwicklungen in Ökotopia im Wege gestanden – einem Teil der Welt, der uns einmal so nahe, so teuer und so vertraut gewesen ist, der aber in den zwei Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit ein verbotenes Land war und immer geheimnisvoller für uns wurde.

Das Problem besteht heute nicht so sehr darin, Ökotopia zu befehden, als darin, es zu verstehen – und damit einen Beitrag zur Verwirklichung guter internationaler Beziehungen zu leisten. Die TIMESPOST ist wie immer bereit, dieses Ziel zu unterstützen.

 

 

3. Mai 1999

Es geht mal wieder los, liebes Tagebuch. Ein neues Notizbuch wartet mit seinen leeren Seiten darauf, voll­geschrieben zu werden. Schön, endlich unterwegs zu sein. 

Die Alleghenies verschwinden schon hinter uns wie hellgrüne Wellen auf einem algenbedeckten Teich. Wenn man zurückdenkt, wie es eigentlich zu dieser Reise gekommen ist – fast vor einem Jahr ... Die vorsichtigen Anspielungen, die im Weißen Haus wie Krümel fallengelassen wurden, damit sie in das Staub­sauger­bewußtsein des Präsidenten wanderten. Bis sie dort dann schließlich irgendwie Gestalt annahmen — als seine eigene kühne Idee: okay, schickt irgendeine inoffizielle Figur hin, ganz formlos — einen Reporter, den man nicht zu sehr mit der Regierung in Verbindung bringt, der ein wenig herumschnüffelt, ein paar hübsche kleine Versuchsballons steigen läßt – kann nicht schaden! Ein kribbliger Moment, als er nach einer großen Brasilien-Einsatzbesprechung schließlich damit herauskam. Das berühmte vertrauliche Lächeln! Und als er dann sagte, er habe ein kleines Abenteuer vor und wolle es mit mir unter vier Augen besprechen ...

War es nur seine übliche Vorsicht, daß er sich so unklar ausdrückte, oder wollte er mir zu verstehen geben, daß der Besuch (und der Besucher) politisch geopfert würden, wenn etwas schiefgeht?

Dennoch, ein bedeutsamer Neubeginn in unserer Außenpolitik — und genug gewichtige Gründe, die dafür sprechen. Die Spaltung, die die Nation 1980 in zwei Teile zerrissen hat, muß überwunden werden – damit der Kontinent geeint der steigenden Flut von Hunger und Revolution entgegentreten kann. Die Falken, die ›die verlorenen Westgebiete‹ gewaltsam wiedereinnehmen wollen, scheinen stärker zu werden man muß sie neutralisieren. Ökotopianische Ideen dringen in immer gefährlicherem Maß über die Grenze — sind nicht länger zu ignorieren, vielleicht aber durch Entlarvung unschädlich zu machen. Usw.

Vielleicht finden wir ein offenes Ohr für den Vorschlag, die diplomatischen Beziehungen wiederauf­zunehmen; vielleicht auch ein offenes Ohr für Handelsangebote. Die Wiedervereinigung als Leuchten am Horizont. Allein ein publizierbares Gespräch mit Vera Allwen wäre schon nützlich – mit der ihm eigenen Flexibilität kennte der Präsident damit sowohl die Falken als auch die subversiven Kräfte abschmettern. Aber einmal abgesehen von alledem möchte ich Ökotopia sehen, weil es dieses Land gibt – das habe ich auch Francine gesagt, die natürlich mit höhnischen Bemerkungen kam, sogar nach drei Brandys noch. Ob alles dort wirklich so kurios zugeht, wie es sich anhört? Ich bin doch neugierig.

6/7

Habe mir überlegt, was tabu ist. Die Abspaltung selbst muß aus dem Spiel bleiben: könnte noch zuviel Bitterkeit hervorrufen. Wahrscheinlich sind aber spannende Storys zu holen – wie die Sezessionisten für die Atomminen, die sie angeblich in New York und Washington gelegt haben, Uran-Brennstäbe aus Kraftwerken klauten. Wie ihre politische Organisation mit diesen verfluchten Weibern an der Spitze es fertigbrachte, die etablierte politische Struktur lahmzulegen und dann durch eine neue zu ersetzen, und wie sie sowohl die Waffenarsenale als auch die Nationalgarde unter ihre Kontrolle brachten. Wie sie ein Stillhalteabkommen für sich herauspokerten – wobei ihnen natürlich die schwere nationale Wirtschaftskrise eine Hilfe war, die gerade zur rechten Zeit für sie ausbrach. Jede Menge Geschichte wartet darauf, eines Tages geschrieben zu werden – doch jetzt ist nicht die Zeit dazu ...

Der Abschied von den Kindern fällt mir von Mal zu Mal schwerer, wenn ich auf eine längere Reise gehe. Nicht, daß es sich diesmal um eine besonders große Sache handeln würde, immerhin lasse ich mich ja auch, wenn ich im Lande bin, manchmal eine ganze Reihe von Wochenenden nicht blicken. Aber sie scheinen sich allmählich Gedanken darüber zu machen, daß ich so selten zu Hause bin. Wahrscheinlich steckt Pat dahinter; werde mal mit ihr reden müssen. Oder woher soll Fay sonst so plötzlich die Idee haben und mitkommen wollen? Du lieber Himmel – ins tiefste Ökotopia mit einer Schreibmaschine und einer achtjährigen Tochter ...

Sechs Wochen ohne Francine. Es ist jedes Mal eine Erholung, für einige Zeit zu verschwinden, und wenn ich zurückkomme, wild sie wieder völlig in Anspruch genommen sein von irgendeinem Abenteuer. Wirklich ein ziemlich aufregender Gedanke, völlig abgeschnitten zu sein von ihr, dem Redaktionsbüro, ja dem ganzen Land. Keine Telefon Verbindung, Funkkontakt nur indirekt: eine unheimliche Isolation, auf der die Ökotopianer seit 20 Jahren bestehen! Und in Peking, Bantustan und Brasilien war immer noch ein amerikanischer Dolmetscher dabei, der zwangsläufig alles durch die heimische Brille sah. Diesmal wird es niemanden geben, mit dem ich die kleinen amerikanischen Regungen teilen kann.

Und es ist nicht auszuschließen, daß es ziemlich gefährlich wird. Diese Ökotopianer sind zweifellos Hitzköpfe, und ich könnte ohne weiteres schweren Ärger bekommen. Im Vergleich zu uns scheint die Regierung nur eine primitive Kontrolle über die Bevölkerung zu haben. Amerikaner sind herzlich verhaßt. Sollte es kritisch werden, ist die ökotopianische Polizei möglicherweise völlig machtlos – anscheinend ist sie nicht einmal bewaffnet.

So, der erste Artikel wäre fällig. Mitten in der Luft ist vielleicht nicht der schlechteste Ort, damit anzufangen.

8

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