Harich |
Wolfgang
Harich (DDR, SED)
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1975 207 Seiten detopia 1975-Buch |
Nachdruck auf detopia in Absprache mit Dr. Feist
März 2021 Radikales Postwachstum: Wolfgang Harich als Vordenker 15.03.2021 19:00 - 21:00 Öko-Leninismus aus der DDR: Wolfgang Harich als Vordenker eines radikalen Postwachstums Diskussion mit Dr. Alexander Amberger und Dr. Andreas Heyer (Herausgeber von Harichs Nachlass). Moderation: Dr. des. Birgit Ziener |
Als einer der ersten setzte er sich in der DDR bereits zu Beginn der 70er-Jahre mit ökologischen Problemen auseinander. In seinem 1975 erschienenen Hauptwerk „Kommunismus ohne Wachstum?“ forderte er von der SED eine wirtschaftspolitische Kehrtwende, weg vom aussichtslosen Versuch, das westliche Modell im Hinblick auf Konsum und Wohlstand nachzuahmen und hin zu einer ökologisch verträglichen Lebens- und Produktionsweise. Das wäre nicht ohne Konsequenzen für das Leben der Bevölkerung gewesen. Eine solche Abkehr von Warenwelt und Konsumerwartungen, einhergehend mit einer anderen Lebensweise, wäre laut Harich kurzfristig nur durch autoritäre staatliche Maßnahmen durchsetzbar gewesen. Dies brachte ihm den Vorwurf ein, „Ökostalinist“ zu sein. Doch erinnert sein Denken auch an heutige Ansätze einer ökologischen Transformation „von oben“. Aus Anlass der Neuausgabe von Kommunismus ohne Wachstum? im jüngst erschienenen 14. Band von Harichs „Schriften aus dem Nachlass“ soll sich noch einmal seinen Kerngedanken gewidmet werden, aus damaligen Briefen und Texten vorgelesen und diskutiert werden, ob das alles klimapolitisch noch aktuell sein kann, oder ob es doch eher ein Fall für interessierte Historiker ist. postwachstum.de/termin/radikales-postwachstum-wolfgang-harich-als-vordenker |
"Trabant" - Wolfgang Harich auf Seite 142:
"Ich will Ihnen an einem Beispiel klarmachen, worin die Schwierigkeiten, die ich habe, bestehen: In Leipzig lernte ich neulich auf einer Geburtstagsfeier ein junges Ehepaar kennen, das sich seit drei Tagen im stolzen Besitz seines ersten PKW befand, eines Trabant, auf dessen Lieferung es drei Jahre lang hatte warten müssen.
Als ich meine Bedenken gegen die zunehmende Motorisierung in den sozialistischen Ländern vortrug und dabei auf die Verpestung der Luft, das für «individualistische Privatfahrten» vergeudete Benzin, die wachsende Zahl der Verkehrsunfälle, den Lärm und das häßlicher werdende Leben in den Städten hinwies, wurden meine Gesprächspartner sehr ungehalten.
Im Verlauf der Auseinandersetzung war ich taktisch so unklug, ihren Einwand, man könne der zunehmenden Verkehrsdichte ja mit dem Bau neuer Autobahnen begegnen, u. a. mit dem Gegenargument zu entkräften, daß dies unserem Singvögelbestand weiteren Schaden zufügen würde.
Kaum hatte ich das über die Lippen gebracht, da sprang der Mann auf und schrie mich an: <Dann scheren Sie sich doch nach Albanien, Sie Idiot, und pflegen Sie dort die Singvögel!>. Damit nicht genug, riß er seine Frau vom Sessel hoch und verließ mit ihr unter Protest die Gesellschaft, die mich von Stund an wie einen Paria mied.
Ein Vierteljahr später rief ich, in dem Glauben, der Vorfall sei vergeben und vergessen, besagten Mann an, um ihn zu bitten, mir ein Buch zu leihen, von dem er mir vor unserer Auseinandersetzung erzählt hatte. Sobald er am Telefon nur meine Stimme hörte, geriet er abermals in solche Wut, daß er den Hörer auf die Gabel knallte."
Inhalt
Duve:
Babeuf
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Einführung von Freimut Duve (7-11) 1 Dialektischer Materialismus und Ökologie (12) 2 Marx + Malthus ? (22) 3 Der Club of Rome im Urteil der Kommunisten (48) 4 Zum Klassencharakter des Club of Rome (83) 5 Ökologische Krise und Klassenkampf (109) 6 Kommunismus als Lösung (134) Fortsetzung (152) 7 Briefe an Duve (1975) - Bedürfnisse und Babeuf (171) 8 Letztes Interview, 1975 (194) 9 Letzter Brief, 1975 (203-207)
Klappentext
An der weltweiten Diskussion um die Grenzen wirtschaftlichen Wachstums, um die Grenzen der Ernährbarkeit und Belastbarkeit dieser Erde, ausgelöst durch den «Club of Rome», haben sich Vertreter der kommunistischen Staatenwelt kaum beteiligt. Allzusehr schien die Vorstellung von einer Begrenzung des wirtschaftlichen Wachstums der zentralen Hoffnung des Marxismus zu widersprechen: Die Entfaltung der Produktivkräfte wurde als letztlich unendlich angesehen. Der marxistische Philosoph und Literaturwissenschaftler Wolfgang Harich hat sich schon seit vielen Jahren intensiv mit Fragen des dialektischen Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Natur beschäftigt. Die Anstöße, die vom «Club of Rome» und anderen ausgingen, intensiver über das Wachstum nachzudenken, hat Harich in sechs Gesprächen mit Freimut Duve diskutiert. Harich setzt sich mit der Wachstumsdiskussion des Westens offensiv auseinander. Er unterzieht die Thesen des Malthus erneut einer marxistischen Würdigung, er überprüft den Weg, den die Wirtschaftspolitiker kommunistischer Staaten bei uneingeschränktem Wachstum vorzeichnen müssen. Wohl kaum ein marxistischer Philosoph verfügt über eine so intensive Kenntnis der Literatur, die sich mit den «Grenzen des Wachstums» befaßt. Und keiner ist bisher denjenigen seiner marxistischen Kollegen, die in den Warnungen des «Club of Rome» ausschließlich «reaktionäre Machenschaften» sehen, wenn auch verständnisvoll, so doch außerordentlich entschieden entgegengetreten. Harichs Argumentation bricht in die Tabu-Zonen aller orthodoxen Marxisten ein; er fordert - unter den Endzeitproblemen unserer Zeit - drei Dinge neu zu überdenken:
Harich greift hier auf die radikale Verschwörung zur Gleichheit des Gracchus Babeuf zurück. Harichs Synthese zwischen dem Verteilerkommunismus des Babeuf und den Forderungen des «Club of Rome» kann, so der Autor, nur durch die internationale Arbeiterbewegung herbeigeführt werden. |
Duve:
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Freimut Duve aus Wikipedia aus wikipedia Duve *1936 MdB Freimut Duve ist ein deutscher Publizist und Politiker. Er war von 1980 bis 1998 für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Duve wurde als Sohn der aus gutbürgerlicher Hamburger Familie stammenden Steuerberaterin Hildegard Duve und des Journalisten Bruno Herzl, eines Neffen des Journalisten und Begründers des politischen Zionismus, Dr. iur. Theodor Herzl, geboren. Er ging auf die Waldorfschule in Hamburg und studierte an der Universität Hamburg Geschichte, Anglistik und Soziologie. Für das Studium der britischen Kolonialgeschichte hatte er 1961 einen Forschungsaufenthalt in Südafrika und Simbabwe. Erfahrungen als Journalist sammelte er bereits während des Studiums. 1966 trat Duve der SPD bei. Er war 1974 bis 1989 im Hamburger Landesvorstand der Partei und 1966 bis 1969 persönlicher Referent des Hamburger Wirtschaftssenators. In den Jahren 1969/1970 war er Redakteur beim Stern. Von 1970 bis 1989 war als Lektor im Rowohlt Verlag tätig und dort Herausgeber der Buchreihe rororo aktuell. 1998 musste Duve sein Hamburger SPD-Direktmandat für den Deutschen Bundestag an Johannes Kahrs nach 18 Jahren abgeben, dessen Gefolgsleute innerhalb der SPD ihm seinerzeit mangelnde Basisnähe aufgrund seines umfangreichen internationalen und beruflichen Engagements vorwarfen. Angeblich hätte Duve bei Parteiveranstaltungen „Ortsvereinsvorsitzende nicht erkannt“. |
2021 mit "Kommunismus ohne Wachstum"
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detopia-2021: Ein Buch liest sich gut - weil Dialog und Briefe. Es werden viele wichtige Dinge an- und ausgesprochen, die später in der Ökodiskussion nicht mehr so frisch, knapp und kurz, auf den Tisch kamen. Und ja, 'die Harichsche Ökoditatur': Das mit der Verteilungs- und Gerechtigkeitsdiktatur des Proletariats (benutzt Harich überhaupt das Wort "Ökodiktatur"?) .... kann als Glaube und Hoffnung von Harich angesehen werden...., die ihn an dieser Stelle blind gemacht hat und später hat er sich davon befreit. (Vielleicht durch den Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan.) Aber es werden zwei Sachen immer miteinander vermischt. Zum einen: Der Inhalt der Moral (Werte) der Politbüros in Berlin und Moskau (sagen wir: von 1960 bis 80). Zum anderen: Soll der Mensch nun überleben oder nicht? Oder gilt: Lieber tot als nicht-rot? Ich will das heute bei diesen Andeutungen belassen; denn im Buchtext wird das reichlich aufgegriffen und ausgearbeitet. Harich-Duve-1975 erinnern an Jungk-Haber-1985 und Jungk-Horstmann-1990 und an Solschenizyn-Sacharow - »Soll man denn in unserer ausweglosen Situation nicht manchmal auch eine Utopie versuchen?« Der Aspekt des Ähnlichkeit ist: Hier streiten zweie, die fast derselben Meinung sind. #
detopia-2012: Carl Amery hat 1976 eine detailreiche Replik geschrieben W. Harich bleibt in der Diskussion präsent und notwendig, weil sein Standpunkt selten ist. Manche Kapitel sind sehr ergiebig. detopia-2010 Wolfgang Harich's "KoW" ist deshalb keine vollständige Gesellschaftsutopie, weil er zuwenig darüber sagt, wie alles funktionieren soll; also Arbeit, Geld, Macht, Verteidigung. Andererseits müssen wir dann annehmen, daß es so sein soll, wie in der Theorie von Marx und Engels. Denn: So, wie es 1975 real im Sowjetreich funktionierte - so kann Harich es ja nicht gemeint haben. (weil es ja NICHT funktionierte - im Ökopax-Sinne.) Harich sprach früh und deutlich aus, was erst 20 Jahre später Dirk Fleck sich wieder auszusprechen wagte: Aufruf zur Ökodiktatur (was ich positiv meine, weil sie ja freiwillig zustande kommen soll). Selbstverständlich ist bis heute das Problem nicht gelöst - und kann auch nie gelöst werden - wie es abzusichern ist, daß die Machtbürokratie nicht "entartet", Stichworte: Machtmißbrauch, Vetternwirtschaft, Korruption, usw. - Siehe auch oben: "Ökologische Utopien in der DDR" von Andreas Heyer (2009). Wolfgang Harich gehört irgendwie dazu, zur Utopiesuche. Bahro war auch der Meinung (im Nachwort 1990 Alternative) Die entsprechenden Kritiken (gegen den Harich-1975) bei Havemann und Henrich sind schon okay - nur: sie überzeugen mich nicht, denn: Harich ist wieder ein anderer unabhängiger Denker, wie Havemann, Bahro, Henrich ja auch. - Das zeigt doch nur, daß sich nur Leute in die Zukunftsgestaltung einmischen, deutlich zu Wort melden, die auch wirklich etwas anderes, neues, zu sagen haben, als ihre Vorredner. (Und das weite Feld der Weltrettung verträgt es doch nun wirklich, daß wir 20, 30 verschiedene Meinungen hören. Es ist doch weit und wichtig genug. Zumal ja Harich durchaus unkompliziert sich ausdrücken kann und sicher auch in Bahros Vorlesung hätte eingeladen werden können.) Zwar kann ich mir Harich's Utopie nicht ganz konkret und vollständig vorstellen, aber diejenigen seiner Grundgedanken, die ich begriffen habe, finde ich vollkommen gerechtfertigt. Es ist eben nur: Der Sowjetkommunismus=Bolschewismus war von Anfang an ein Nomenklatura-Staat, also eine Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit.; also Unterdrückung; also Ungerechtigkeit, also Unfreiheit (bis hin zur Sklaverei im Gulag).
Beim neuerlichen Lesen: alles einwandfrei, was beide sagen. Harich seine "Diktatur" überlese ich, denn das ist völlig absurd, zu denken, dass die SED des Jahres 1975 oder 1985 sich zu einem idealen, uneigennütziggen ökologischen Führungsorgan sich wandeln könnte. Ich habe den "Beton" selbst erlebt. (Und Harich ja auch.) Und an 1980-Afghanistan sehen, wir dass die UdSSR, also die KPdSU, durchaus "kriegslüsternd" war. (Und sich quasi ohne Not ein "Vietnam" geschaffen hat.) Harich hat ja später die Forderung nach einer Diktatur widerrufen. Ich würde die Forderung heute zwar stellen, so wie Fleck sie 1993 meinte, aber: mit einer Diktatur kommen wir nicht vom Fleck. Bahro 1987: "Nur glücklich können wir ökologisch sein." Daher eben meine (detopische) - genauso unrealistische - "Tausend-Quadratmeter-Gesellschaft". |
Babeuf (1760-1797, 37) Die Jakobiner-Diktatur war gescheitert an dem Widerspruch, daß sie einerseits das Privateigentum als unantastbares Menschenrecht proklamiert und andererseits dessen Konsequenz, den kapitalistischen Bereicherungsdrang, durch Verbotsdekrete und Terror aus der Welt zu schaffen versucht hatte. Babeuf bot mit der Forderung, alles Privateigentum abzuschaffen, die Formel, die dieses Dilemma gegenstandslos zu machen versprach. (Harich, S.183) Wikipedia Babeuf (1760-1797)
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Zeitung Neues Deutschland 2010: Später brach Harich mit diesem autoritären Konzept. Er wünschte 1991: »die resolute Abkehr von gewalttätigen Kampfmethoden und […] die Absage an jedwedes Diktaturtheorem undemokratischer Art«. Er ging sogar so weit, »Kommunismus ohne Wachstum?« als Warnung umzudeuten: Schaffe es die Menschheit nicht, mit demokratischen Mitteln die ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen, werde eine Verteilungsdiktatur unumgänglich sein. »Kommunismus ohne Wachstum?« wurde 11.000 Mal verkauft, in Spanien und Schweden erschienen Übersetzungen. Heute ist das Buch dennoch fast in Vergessenheit geraten. Schade eigentlich, denn Harichs Überlegungen können – trotz aller Kritik – noch immer als Anregung dienen. Schließlich sind die Probleme, auf die sie sich beziehen, weiterhin ungelöst.
1975 DIE ZEIT am 12.09.1975, Nr.38 Wolfgang Harich reizt zu fruchtbarem Widerspruch. Von Wolfgang Roth zeit.de/1975/38/Aufruf-zur-Askese
Die Rezeption von politisch-philosophischen Arbeiten aus kommunistisch beherrschten Ländern ist meist auf das Stichen und Auffinden ketzerischer Ausschweifungen gerichtet. Ein bißchen erinnert die Technik des Lesens an jene von pubertierendea Knaben: es wird nach anstößigen Stellen gesucht. Für diese Lesemethode bietet <Kommunismus ohne "Wachstum?> Bestes. Ganze Breitseiten von Häresien werden abgefeuert. Der Höhepunkt der Ketzerei ist erreicht, wenn Harich ökologisch begründet, daß ein künftiger Kommunismus keine Gesellschaftsformation sei, in der „jedem nach seinen Bedürfnissen" zugeteilt wird. Wer sich also bei Harich an mangelnder Linientreue begeistern will, kann dies bei diesem Buche tun. Man muß allerdings recht lüstern sein, wenn man sich mit ihm antikommunistisch zu befriedigen vermag. Erstens ist Harichs Ketzerei von einer gewaltigen Treue zur marxistisch-leninistischen Bewegung geprägt. Harich versucht also nicht unter der Hand einen demokratischen Sozialismus gegen den leninistischen Zentralismus zu formulieren, wie wir es bei einigen Ketzern des „demokratischen Kommunismus" in Ost und West erlebt haben. Im Gegenteil: Die kommunistische Perspektive von Harich ist auf den autoritären Sozialismus festgelegt. Harich bietet eigentlich eine moderne Rechtfertigung für autoritäre sozialistische Strukturen. Zweitens bestehen die Gefahren und Gefährdungen der Biosphäre, die Harich unter Einbeziehung der verschiedensten Wissenschaften im Gespräch skizziert, in der einen Welt. Gesellschaftssysteme, die das Wirtschaftswachstum als ein bestimmendes Ziel haben, sind bedroht und bedrohen die Biosphäre aller. Es ist sicher so, daß das politische System des Westens — die parlamentarische Demokratie — bei unveränderter Machtstruktur im wirtschaftlichen Bereich viel abhängiger vom Wachstum ist, als beispielsweise kommunistische Staaten, in denen eine autoritäre Lenkung der Kapitalakkumulation ideologisch längst legitimiert ist. Harich vermag drastisch zu zeigen, wie gefährdet die Biosphäre bei weiterem Wachstum in den bisherigen Dimensionen und Strukturen ist. Dem nüchternen Leser, der weder Macht noch Interessen auf diesem Feld zu verteidigen hat, kann gerade Harich den Anstoß geben, die historische Richtigkeit von der Bedrohung zu erfassen. Dabei sind Einzelheiten und vermutete Abläufe sicher falsch, aber die Grundthese von Harich, seine geradezu euphorische Zustimmung zu den Ergebnissen des Club of Rome, hat ihre Wahrheit, weil sie eine historische Gefahr für das Leben schlechthin als strukturelle Tendenz der entwickelten Gesellschaftssysteme des Westens und Ostens ausmacht. Die Zerstörung der natürlichen Umwelt und der Hilfsquellen der Natur ist als wahrscheinliches Ereignis Voraussetzung der Argumente. Der Wert des Buches liegt vor allem darin, daß gerade der Nichtkommunist die leidenschaftliche Auseinandersetzung eines Kommunisten mit bequemen kommunistischen Theorien der ideologischen Absicherung der bewußtlosen Entwicklung zum Beispiel nehmen kann, die Kritik im eigenen Umfeld ebenso konsequent zu formulieren. Alles andere wäre Heuchelei. Freimut Duve, der Gesprächspartner Harichs, der diesem als hartnäckiger und unverbesserlicher Sozialdemokrat fürchterlich auf die Nerven geht, hat es gerade vermocht, diese Selbstgerechtigkeit zu vermeiden. Er hat es durch Fragen ohne Lüsternheit geschafft, die gemeinsame Gefahr und Hilflosigkeit, vor der ideologische Konflikte in die richtige Größenordnung kommen, glaubwürdig zutage zu fördern. Die Zustimmung zum Ausgangspunkt bedeutet natürlich nicht, daß man die ökonomischen und politischen Schlußfolgerungen einfach hinnehmen muß. Im wirtschaftlichen Argument macht Harich einen Rundumschlag gegen die politische Ökonomie. Dabei taucht eine ökonomische Naivität auf, die zu einer zentralen Schwäche des Buches wird. Nullwachstum als gesamtwirtschaftliche Zielsetzung ist schon ökonomisch ein Unsinn. Nullwachstum als Ziel ist viel zu grobschlächtig, gerade wenn man die ökologischen Gefahren wirksam bekämpfen will. Das gilt für den Westen wie für den Osten. Bei uns wird das heute sichtbar. Wir haben Nullwachstum, wenn nicht Minuswachstum. Aber dieses Nullwachstum ist gerade nicht bestimmt vom sorgsamen Umgang mit natürlichen Hilfsquellen und der Umwelt. Im Gegenteil, die Großchemie nimmt das Nullwachstum zum Anlaß, um vernünftige Maßnahmen der Umweltsicherung wirksam zu bekämpfen. Ähnliche Tendenzen sind in Phasen der Wachstumsschwäche in kommunistischen Staaten sichtbar. Dem Konzept Nullwachstum liegt ein fundamentaler Irrtum zugrunde. Er besteht letztlich in der Vorstellung, man könne menschliche Gesellschaften oder auch ihre ökonomische Grundlage auf einem bestimmten materiellen Entwicklungsniveau einfrieren. Historisch ist leicht nachweisbar, daß dies niemals stattfand, aber auch für die zukünftige Entwicklung gibt es keine Wahrscheinlichkeit, daß diese Zielsetzung sinnvoll wird. Es ist leicht einzusehen, daß eine Gesellschaft mit sorgsamer Ressourcensicherung und Umweltpolitik keine stagnierende Wirtschaft haben kann, wenn man den sozialen Standard einigermaßen sichern will. Es muß Bereiche geben, in denen die Produktivitäten steigen und sich die Inputstrukturen (vor allem die Rohstoffbasis) stark verändern, gerade um umweltfeindliche Produktionen zu ersetzen und zerstörerische Produktionsverfahren zu verbieten. Nullwachstum wäre manchmal ein zufälliges Ergebnis, nie das Ziel. Demokratische Selbstbeschränkung Dem Kommunismus der asketischen Gleichheit, den Harich im Rückgriff auf Ideen Babeufs aus der Zeit der französischen Revolution postuliert und der von einer starken autoritären Führung gesichert werden muß, ist als reale Alternative eine Gesellschaft mit demokratischer Selbstbeschränkung und Entwicklungsförderung entgegenzustellen. Die konsequente Position Harichs sollte weniger zu einer Polemik gegen seine Voraussetzungen führen, sondern zu einer kritischen Diskussion seiner politischen Folgerungen. Harich kann in vielen Punkten zu einem fruchtbaren Widerspruch reizen und einen Antrieb liefern, die nostalgische Reformfeindlichkeit wirksamer zu bekämpfen. Gerade, wenn man entschieden gegen Harich argumentieren will, wird einem klar, wie unsinnig die Hoffnung ist, daß sich ökologische Bedürfnisse und eine primär gewinngesteuerte Großwirtschaft miteinander vereinbaren lassen. |