Bahrobuch 

Rudolf Bahro *1935

Lothar Bisky *1941

Marko Ferst *1970

Scheitern die Parteien
an der ökologischen Krise?
Welche Vision stünde an?

Podiumsdiskussion
am 12.4.1996 in der
Humboldt-Universität-Berlin
mit ca. 300 Teilnehmern.
1996

Bahrobuch 

Umweltbuch

Blühdorn-2024

detopia-2024:
"Bahro von letzter Hand". Zwar hat er in seinem verbleibenen Jahr noch geschrieben und interviewt,
aber hier haben wir ihn in Ruhe zum Formulieren ohne Zeitdruck und zu lebendigen, aufmerksamen Menschen als Zuhörer.

168-192

Rudolf Bahro: 

Ich kann nicht umhin, da dies eigentlich die zweite große Veranstaltung mit der PDS ist, an die erste zu erinnern. Da war Lothar Bisky auch auf der Bühne. 1989 habe ich auf dem Parteitag der SED-PDS gesprochen, und ich hatte dort vor, auch so eine Art politische Abrechnung vorzutragen. Da ich dann statt der unverschämterweise verlangten dreiviertel Stunde immerhin erfreulicherweise nur eine halbe bekam, habe ich damals per Vorlesen das durchgehauen, was ich hinterher 1,5 Millionen mal per „Neues Deutschland" verbreitet hoffte.

Das klappte auch so. Deshalb sprach ich dort überaus unkommunikativ, weil ich dachte, es kommt darauf an, daß es möglichst oft gelesen werden kann. Der Parteitag war nicht ganz so empört, wie die Medien das dargestellt haben. Die schlimmste Stelle im Referat war. wo ich darüber sprach, daß wir mit der bisherigen sozialistischen Großlandwirtschaft die Erde kaputt machen. Darüber waren die Genossen besonders empört. Heute gibt es keine Aussicht auf 1,5 Millionen mal Publikation.

Ich denke, wir werden im wesentlichen diskutieren, auch wenn ich, weil ich mich hier auf die Sache gefreut habe, mir vorgenommen habe, erst mal was zusammen­hängend darzulegen.
Ich gehe davon aus, daß die PDS in ihrer praktischen Politik keine ökologische Partei ist, sie versteht sich ja auch als linkssozialistische. Aber ich will darüber hier nicht streiten.
Sondern ich möchte vor dem Hintergrund der Problematik, die mit jeglicher Parteipolitik verbunden ist, über die ökologische Krise sprechen.

Ich bilde mir nicht ein, daß ich mit meinen Ausführungen die PDS als politische Partei verändern kann, sondern ich gehe davon aus, daß alle, die hier anwesend sind, nicht hier wären, wenn sie dieses Thema als Menschen nicht interessierte. Falls sich herausstellt, daß Parteienpolitik der ökologischen Frage verhältnismäßig fern bleibt, dann ist das ein Problem, das man mit nach Hause nehmen kann, und das wirft die Frage auf, wie verteilt man seine eigenen Aktivitäten. Dies kann selbst dann eine Frage werden, wenn man linkspolitisch organisiert ist.

Wenn ich auf die auffälligsten Dissidenten der DDR-Geschichte sehe, Havemann, Harich und auf mich, dann stelle ich fest, alle drei haben sich ausführlich mit dem ökologischen Thema befaßt. Robert Havemann am ehesten noch konventionell. Er war einfach so sehr Naturwissenschaftler, daß er Naturwissenschaft und Technik nicht nur ihre Leistungen zutraute, sondern er dachte, sie könnten eine Führungsrolle in der gesellschaftlichen Entwicklung übernehmen. Vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit unserer „Hauptabteilung ewige Wahrheiten" ist das sicher verständlich. Wissenschaft und Technik waren hochgradig beteiligt daran, daß wir zu der heutigen Krise gekommen sind.

Die Konzentration der Hoffnung auf Naturwissenschaft und Technik, also einen materiellen Zugang zur Lösung der ökologischen Krise, den halte ich für zu kurz gegriffen. Wolfgang Harich hatte diese Verkürzung nicht geteilt. Sein Buch "Kommunismus ohne Wachstum" ist eine bemerkenswerte Arbeit, die ich noch mal als Lektüre empfehlen würde.

Marx und Engels waren einerseits für die menschliche Emanzipation an die Fortschrittsauffassung des 19. Jahrhunderts gebunden und trauten dem technischen Prozeß noch. Andererseits haben sie an mehr als einer Stelle darauf aufmerksam gemacht, daß jedenfalls der Fortschritt in kapitalistischer Form die Erde und den Arbeiter zerstören, wie sich Marx im Kapital ausdrückte.

In der Kritik des Gothaer Programms fing er damit an, die These in Frage zu stellen, daß Arbeit alle Werte schafft. In seiner eigenen Werttheorie im Kapital ist das noch der gesamte Aufzug, weil die Arbeit ist erst im kapitalistischen Sinne wertstiftend. Aber er weist dann darauf hin, die Natur ist mit beteiligt. Engels hat angesichts ökologischer Katastrophen schon in früheren Zeitaltern gesagt, wir dürfen uns nicht einbilden, der Mensch kann die Erde beherrschen wie ein Eroberer ein unterworfenes Volk beherrscht. Er zeigt auf, daß bereits vor dreitausend Jahren mit der Bewässerungstechnik in Mesopotamien, ohne daß es gleich bemerkt wurde, die Felder versalzen und der heutige Verwüstungs­prozeß eingeleitet wurde.

Diese Gesichtspunkte haben Harich, der orthodox beim Marxismus blieb - das heißt, also auf Marx und Engels gar nichts kommen ließ und von dort her, glaube ich, zuviel verteidigt hat -, immerhin darauf gebracht, die ganze Perspektive allgemeiner Emanzipation des Menschen über industrielle Mehrproduktion steht gründlich in Frage.

Harich hatte dazu einen langen Anlauf seit 1948 genommen und war, als der Club of Rome seinen ersten Bericht heraus­brachte, darauf vorbereitet, nichtkonventionell zu reagieren. Er schreckte nicht vor der Frage zurück, wir müßten dann ja aufhören, die Rüstungsparität zu halten und dürften die anderen nicht im Output des Industrie­systems überbieten wollen. Es könnte dann darum gehen, der Kommunismus ist dazu geeignet, daß wir unsere Bedürfnisse begrenzen.

Harich hat dann allerdings den Schluß gezogen, daß die Bedürfnisse müßten von oben rationiert werden. Das ist der Punkt, in dem ich nie mit ihm übereingestimmt habe, denn autoritär ist das nicht zu lösen. Das ist der Weg der Ökodiktatur, Wolfgang Harich hat ihn explizit vertreten. Insofern haben diejenigen ein wenig recht, die ihn stalinistisch genannt haben, obwohl er dies im eigentlichen Sinne nicht war. Man kann heute noch deutlicher sehen: dieser Weg ist nicht wünschenswert.

Aber die Gesichtspunkte, die Harich geltend gemacht hat, um den marxschen Grundansatz, allerdings nicht antikommunistisch, sondern im Sinne der allgemeinen Emanzipation zu kritisieren, das lohnt sich nachzulesen. Er hat gesehen, die erweiterte Reproduktion ins Unendliche geht nicht.

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Es ist nicht so, daß ich Unverständnis für Harichs Fragestellung nach durchgreifenden Maßnahmen hätte. Heute vielleicht noch mehr als früher, insofern ich sehe, wie die Völker in den reichen Ländern die übrige Menschheit mit sich in die Katastrophe zieht.

Immer wieder neu muß man mit dem Gedanken ringen, ob es nicht doch besser wäre, die Leute zu reglementieren, aber ich sehe: die Sache geht nicht auf. Wo keine Einsicht ist, da gibt es auch keine vernünftige politische Lösung, sondern nur irgendwelche diktatorischen und terroristischen Veranstaltungen, die den Kampf des Menschen mit dem Menschen nur verschlimmern und die Lage nicht entspannen.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt: Wenn Gerechtigkeit in der Verteilung nicht als Selbstverständlichkeit überall in der Welt gilt, dann wird der Kampf nicht um das Lebensnotwendige geführt, sondern darum, wer ist in punkto Standard der Größte bzw. wer kann sich am meisten aneignen. Das wird nicht aufhören, so daß als Perspektive der Klassenkampf wieder eingespannt wird, wenn man sich nicht darauf einigt, zumindest auf der materiellen Ebene, muß wenigstens eine Art von Chancengleichheit realisiert sein: jeder kommt wirklich zu dem Seinen. Das ist eine Bedingung für Ökologie. So muß die soziale und ökologische Frage zusammen­kommen, und es gibt in der Welt viele Leute, die das ganz analog sehen.

Havemann, Harich und ich sind also auf das Thema Ökologie sehr frühzeitig gekommen. Mit Bedauern sehe ich, das hat bis jetzt noch nicht durchgeschlagen. Eine Ursache dafür sehe ich darin, daß, wenn man so weit gehen wollte, wie die drei, dann mußte man sich theoretisch mit der Thematik auseinandersetzen. Sie haben sich die Zeit genommen, die Menschheitsproblematik noch mal von Anfang an neu zu bedenken, und ich glaube, das muß man tun, wenn man der heutigen Situation gerecht werden will. Wie weit dann im einzelnen unsere Sicht stimmt, das ist noch eine andere Frage.

Der Blick auf die Menschheitsproblematik ist notwendig, weil der ganze Weg, insbesondere der abendländischen Zivilisation, darauf hinausgelaufen war, vom Erobererstandpunkt die Dinge zu betrachten. Schon die Griechen und dann auch die Germanen waren Eroberer, nicht bloß gegen Rom, sondern schon, wie sie nach Europa gekommen sind als kriegerische Reitervölker, die Land genommen haben. Das verweist auf eine Mentalität, von der z.B. in dem bekannten Text des Häuptlings Seattle die Rede ist. Der weiße Mann kommt über Nacht, nimmt, was er vorfindet und zieht am nächsten Tag weiter und hat mit der Erde, mit dem Naturzusammenhang nichts zu tun. Er wird schon noch was zum Leben und zum Rauben vorfinden.

Und wir haben das auf industrielles Niveau gebracht und kommen in Wirklichkeit sehr viel zu spät darauf, daß das so nicht weitergehen kann. Wir haben mit dem Sozialismus das abendländische Projekt der Moderne einfach fortgesetzt, im Grunde aber schon mit der sozialistischen Bewegung, die die Lebensbedingungen der herrschenden Klasse für alle verall­gemeinern wollte. Der real existierende Sozialismus blieb also in der verhängnisvollen abendländischen Tradition stecken, nur ist er zu mehr als halbwegs paritätischer Rüstungsproduktion und einiger Schwerindustrie nicht gekommen.

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Wenn jetzt aber öfter gerade auch von den gutwilligsten Leuten in der PDS gesagt wird, wir wären nun wenigstens in dem funktionsfähigeren System angekommen, da würde ich warnen, diesen Satz - der ja etwas Bestimmtes meint, was vielleicht nicht ganz falsch ist - richtig zu finden. Das ist die Funktionsfähigkeit des Originals, während wir in der DDR in nachholender Entwicklung versucht haben, das erfolglos nachzubauen. Dieses Original hat verheerende Folgen für die Erde und befördert Gerechtigkeit im Weltmaßstab überhaupt nicht. Herausgekommen ist, die arbeitenden Klassen der reichen Länder bekommen "spätrömisch" einen Anteil am Imperium bekommen. Dieser Weg ist für die Menschheit als Ganze angesichts der Grenzen der Erde nicht verallgemeinerbar. Die Mehrheit der Menschen kann einfach nicht so leben, wie der amerikanische Mittelstand und die Deutschen, einschließlich der ostdeutschen Bevölkerung.

Und hier sehe ich ein riesiges Problem für eine politische Formation wie die PDS.

In der SED war gesamtgesellschaftliche Verantwortung noch im Kalkül, aber jetzt ist man angekommen in einem System, wo man nur ein Partikel in dem allgemeinen politischen Spiel ist. Die PDS macht Klientelpolitik für den relativ zu kurz gekommenen Teil der deutschen Nation. Es ist erst mal kein Problem, wenn man thematisiert: Die Mieten explodieren, die Mieter auch. Aber das Problem ist, wenn man sich in solchen Sachen verliert. Vor lauter politischer Besessenheit, vor lauter Gewohnheit, irgendwie mit dem Machtproblem umzugehen, ist man in die neue Praxis übergegangen, die Zwänge, die man zur Entschuldigung anführen kann, es mußte schnell gehen usw. alles geschenkt, und hat allerdings einen ernsthaften Anlauf dieses Problem theoretisch zu bewältigen überhaupt nicht versucht.

Womit man sich vorwiegend auseinandergesetzt hat, ist das unglückliche politische Erbe. Das ist wichtig und gut. Es geht aber eigentlich darum, das Projekt der allgemeinen Emanzipation neu zu bedenken, ehe man wagen kann, sich weiterhin als linkssozialistische Partei zu deklinieren. Das muß erst noch durchkommen. Ich sage nicht, niemand denkt darüber nach, aber ich sage, dort ist eine ungeheure Lücke und zuviel DDR-Befangenheit. Die Frage ist, kann das nicht überwunden werden. Der ganze Interessenklumpatsch der zwischen den Wünschen der Bevölkerung, um den gerechten Anteil zu kriegen, und den eigenen Machtinteressen gegeben ist, gehört sondiert, und die politische Praxis muß über diesen Horizont hinausgehen.

Der Frage, ob die Parteien vor der ökologischen Krise versagen, wie sie auf dem Plakat zur Ankündigung der Veranstaltung steht, will ich erstmal die Spitze nehmen. Ich halte die Frage schon fast nicht mehr für interessant genug.

Wenn es so ist, die ökologische Krise betrifft das Naturproblem, den Naturzusammenhang des ganzen gesellschaftlichen Lebens, und wenn man hier in Berlin irgendwo aus dem Fenster guckt und dann klar ist, wir sind davon völlig abgespalten und wir sind es, seit der Mensch in die Städte gezogen ist, es stets nur mit gesellschaftlichen Widersprüchen zu tun hatten, mit dem Kampf, wer hat zuviel, wer hat zuwenig, wo ist Gerechtigkeit, wo ist Ungerechtigkeit, um Herrschaft und um Freiheit wird gerungen.

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Wenn das also so ist, dann ist es allerhöchst wahrscheinlich, keine politische Partei, die ihren Schwerpunkt in irgendeinem besonderen sozialen Interesse hat, wird grundsätzlich mit der ökologischen Krise umgehen. Schon gar nicht in einem reichen Metropolenland, das seinen Status in der Welt verteidigt.

Was uns der real existierende Sozialismus geliefert hat - <Also wir werden schon noch zu dem Naturproblem kommen, aber stört uns jetzt bitte nicht, wir müssen erst den Klassenkampf gewinnen.> -, das beherrschte die ganze Wirklichkeit der entwickelten sozialistischen Länder.

In der armen Welt - unter dem Druck der reichen Länder - ist es das Überleben bis zum morgigen Tag. Da heißt es nicht, wie sichern wir die Rente in zehn oder zwanzig Jahren, sondern dort geht es um das nackte Überleben unter dem Zwang der ökonomischen Verhältnisse in der Welt. Jegliche Partei hat erstmal das Problem, wie kommt man dazu, der Naturfrage die ihr gebührende Wichtigkeit zuzuschreiben, weil man kämpft um andere Dinge.

Auch die Grünen sind damit nicht zurecht gekommen. Jetzt konkurrieren sie mit der FDP um Ökologie plus Demokratie, wer nun besser ist. Sicher haben sie da einen gewissen Vorteil.

Ich will mal an die Tafel ein Quadrat malen. Es soll den Interessenraum in so einem reichen Metropolenland wie Deutschland umschreiben, die Interessen, um die dort gekämpft wird. Um in der Proportion auch nur annähernd richtig zu bleiben, brauchte man, um den Naturzusammenhang um dieses Feld aufzuzeigen, weit mehr als die ganze Tafel. Gemeint ist nicht einfach die Natur, die man etwa in der Schorfheide vorfindet, das wäre ein viel zu enger Begriff, das erinnert noch viel zu sehr an den Umweltbegriff, der das Naturthema überhaupt nicht trifft. Das wir die großen Gleichgewichte kippen, das fällt in der Schorfheide erst auf, wenn man ganz genau hinsieht.

Dieser äußere Raum ist eigentlich der entscheidende, ohne den wir niemals Mensch geworden wären. Der Weg zu einem bewußtseinsfähigen Wesen setzt den ganzen Zusammenhang voraus. Von der Politik her gibt es keinerlei Reaktion darauf, daa das der größere Zusammenhang ist, von dem wir abhängen und den wir stören. Und was die übrige Menschheit betrifft, verhalten wir uns ganz analog. Uns ist viel zu wenig klar, daß wir mit den sozialen Kämpfen, die im eigenen Land erstmal noch mal alles sicherstellen, die übrige Menschheit gegen uns aufbringen. Dabei ist es Wurst, ob wir links oder rechts in so einem Metropolenland sind.

Ein Entwicklungshelfer konnte auch aus einem sozialistischen Land kommen und brachte dort die falsche Botschaft, dieser verheerenden Zivilisation, die der Westen hat. Das DDR-Maschinchen belehrte darüber: Die im Westen haben noch ein besseres. In der Bundesrepublik herrscht ein kolonialer Konsenz, der sich gewaschen hat. Es sind sich alle darüber einig, es ist ein ungeheurer Vorteil, den bundesdeutschen Paß in der Tasche zu haben. Wenn derzeit das Schlagwort <Standort Deutschland> umgeht, dann ist das nur der für die augenblickliche Situation zugespitzte Ausdruck, es gibt zum ersten Mal aus der sogenannten Peripherie einen Rückschlag durch die Gesetze der Kapitalakkumulation. Es ist nur logisch, daß es eine Globalisierung gibt, das heißt das Kapital rennt auch die letzten nationalen Grenzen und Schranken über den Haufen und interessiert sich nur noch dafür, wo kann ich am billigsten aquirieren.

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Wenn dann in Indien die Löhne niedriger sind als in der Bundesrepublik, so ist offenbar, man wird nicht dauerhaft oberhalb der indischen Löhne liegen können, wenn man konkurrieren will und auch nicht über dem Niveau des indischen Sozialstaats. Das ist eine bewußte Verkürzung, es gibt noch eine Reihe systemischer Puffer, aber das Problem existiert auf diese Weise. Wenn unsere ganze Gesellschaft heute über das Bündnis für Arbeit diskutiert, die SPD gerade mal nicht so recht dazukommt, aber die Unternehmerverbände, die Gewerkschaften, Kohl usw., das heißt nur man trifft sich auf dem Boden dieses kolonialen Konsenses und die Frage, wieviel verteilt werden soll, ist zweitrangig geworden.

Das ist dann gar nicht mehr so wichtig, wir sind dann auch mal bereit, kürzer zu treten. Die Motive hinter der anscheinenden Vernunft, wenn man sagt, wir brauchen nicht mehr ganz so viel, die haben mit diesem übergreifenden Kolonialinteresse zu tun, nicht mit der Einsicht in Naturprobleme und die Interessen der übrigen Menschheit. Es ist nur ein egoistisches Spiel, und die schwächeren Teile der Gesellschaft, die von der Gewerkschaft vertreten werden, die müssen dann etwas mehr zugeben. Das ist das normale Kräfteverhältnis.

Als ich mir das Schema an der Tafel zum ersten Mal überlegte, ging ich aus von den Symptomen des Exterminismus. Dieses Fremdwort will ich uns mal zumuten. Exterminate sagen die Engländer für massenhaftes Ausrotten von Unkraut und Ungeziefer mit der Giftspritze. Dieser Begriff ist dann mal in die Friedensbewegung übernommen worden, um die Atombombe als Ausrottungsinstrument zu kennzeichnen. Und ich spreche von einer Logik der Selbstausrottung, die mit der ökologischen Krise am Wirken ist. Es sah mal eine Weile in der Bundesrepublik so aus, und ich glaube das kommt wieder, weil die Natur läßt nicht mit sich spaßen auf die Dauer, die Fragestellung wird aufbrechen.

Der Kapitalismus scheint dicht zu sein, weil er Metropolenkapitalismus ist, dies also sein Schwerpunkt ist Die Stadtrömer führten damals ihre sozialen Kämpfe fort, aber sie hatten, bis das Militärkaisertum dann zusammen­brach, bis fast zur letzten Minute ihren Vorteil am Imperium und waren deshalb zu konsequenten Kämpfen zu so etwas wie Gleichheit aller Menschen vor Gott, was das Christentum damals propagierte, nicht bereit. Die Stadtrömer dachten an ihre besonderen Interessen, der Kaiser möge genug Zufluß sichern für die Metropole. Es kracht erst dann, wenn auf dem Meer die Galeeren schwächer sind als die Piratenschiffe, die dann das Getreide abnehmen. Wenn die Piraten das dann für ein Vielfaches verkaufen, dann gibt es Hungeraufstände in der Metropole. Wir sind einstweilen weit davon entfernt, aber historisch sind wir nicht sehr weit davon entfernt, weil wir z.B. die Bodenfruchtbarkeit, von der die Getreideernte abhängt, kaputtmachen.

Havemann, Harich und Bahro - wir dachten wohl alle drei, man müßte verrückt sein, um nicht zu erkennen, die ökologische Krise ist der letzte entscheidende und umfassendste Gesichts­punkt, um den Kapital­ismus aus der Welt zu schaffen.

Das reicht zwar nicht, das ist nicht alles. Wenn die Logik der Kapitalakkumulation weitergeht, das heißt, wenn ein Prinzip von Geldvermehrung ins Unendliche die Gesellschaft steuert, während die Erde endlich ist - das muß ja krachen.

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Wenn man sich dieser ökologischen Krise stellen will, dann gibt es also sehr gute linkssozialistische, kommunistische usw. Gründe, um das an den Anfang der Analyse zu stellen, weil das der Rahmen ist, der das Ganze kippen könnte.

Was jetzt Umweltschutzpolitik in so einem reichen Land betrifft, die funktioniert so. Wir kümmern uns darum bei Schönwetter in der Wirtschaftslage, bei schlechtem Wetter diskutieren wir etwa die Standortfrage. Die Gewerk­schaften spielen natürlich mit in ihrer Schwäche. Wenn Arbeit, Arbeit, Arbeit und die Renten zum Thema wird, dann kommt eben Gerhard Schröder und erklärt: <Jetzt können wir uns die Ökosteuer nicht leisten. Ich finde sie ja richtig, aber jetzt nicht.>

Ökosteuern sind inkonsequent, das wird es nicht lösen, weil eine andere Lösung innerhalb des monetären Systems, das sind nämlich Steuern, führt aus der Logik der Kapitalakkumulation nicht heraus, woran das ganze Wachstum hängt. Es ist auch klar, die Problematik der Staatsschulden und die Finanznöte hindern auch daran, die ökologische Krise zu lösen. Aber das ist nur dann so, wenn Ökologie heißt, wir setzen auf das Industriesystem noch ein milliardenteures Stockwerk drauf, dann reicht das Geld hinten und vorne nicht.

Eigentlich ginge es darum, die Investitionen, also die Grundlast, die auf der Erde liegt, zurückzunehmen. Da sieht aber der hiesige Konsens vor, daß uns bloß keiner überbietet in der Weltmarktkonkurrenz. Ökologische Politik würde begreifen, wir stoßen an die äußerste Schranke der menschlichen Expansion, an die Schranke der irdischen Natur. Das muß politikfähig gemacht werden. Wenn man die Ungerechtigkeit in einer reichen Gesellschaft zuspitzt, auch wenn im Lande Gerechtigkeit notwendig ist, dann kommt man nicht zum Menschheitsthema und zum Naturthema. Das ist das große Drama.

Ich habe mir einfach gewünscht, daß wir diese Veranstaltung hier machen, weil ich denke, es gibt noch genug Leute, die in dem verkürzten Schema, das die PDS als Parteipolitik liefert, nicht aufgehen, die damit nicht glücklich und nicht zufrieden sind. Manche haben zum Teil unfreiwillig Kapazität frei. Da müßte es Potential geben, daß sich um solche Fragen kümmern könnte.

Wenn es dann gar noch Kräfte gäbe bei der Partei selbst, die sich fragen, wie man dort einen Raum eröffnen könnte, in dem etwas gedeiht, mehr als die Ökologische Plattform liefern kann, das wäre, glaube ich, noch besser. Den Punkt auf das Thema Vision hin, wie auf dem Plakat verzeichnet, will ich mir noch aufheben für die Diskussion, wenn noch Zeit ist, weil man sich erstmal über die Ausgangslage verständigen muß.
Dankeschön!

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Lothar Bisky : 

Ich glaube es wird wohl besser sein, wenn ich versuche darauf einzugehen, aber nicht systematisch, sondern ein wenig gewählt. Wir sind ja im Gespräch, das zeigt auch, das Interesse ist da. Wahrscheinlich ist die Erinnerung an 89 ähnlich. Wenn man weiter macht mit der Kapitalakkumulation wie jetzt, dann droht die soziale und die ökologische Katastrophe. Folglich muß man nach einer Behebung suchen. Das spielt auch eine Rolle in der Politik, bei uns jedenfalls.

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Nach den anfänglichen Schwierigkeiten, die ich auf gar keinen Fall irgendwie wegleugnen will, ist immerhin so etwas wie eine gewisse ökologische Aktivität feststellbar, im Osten in den Landtagsfraktionen, nicht nur, weil die Grünen nicht mehr drin sind, sondern weil es dort inzwischen auch Positionen gibt, die in der Öffentlichkeit aufschimmern, wie in der Auseinandersetzung um Horno, um den Havelausbau und um viele andere Projekte. Dort hat sich etwas entwickelt.

Ich denke, der alte Fortschrittsbegriff - immer rascher, immer mehr, immer besser produzieren, daß der die Erde umbringt, ist inzwischen bei den meisten auch der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Wir versuchen nun im Konzept einen Ansatz zu finden, wie kann man die soziale und ökologische Katastrophe verhindern, und da bin ich heute auch als Lernender hier. Wir haben kein Patentrezept.

Im Kern gibt es zwei sehr divergierende Ansätze, die debattiert werden. Die einen sagen, das Svstem als Ganzes muß weg. Die Frage ist wie? Und das heißt, sich möglichst aus der Politik herauszuhalten, sich nicht für sogenannte Klientelinteressen einzusetzen und zu sagen, in diesem System, wo immer man aktiv wird, reproduziert man das System und auch die Kapitalakkumulation, die zu dieser Katastrophe führt.

Und die andere Position in der PDS, und das ist jetzt sehr verkürzt, was ich mache, die sagt, wir müssen das Ziel im Auge haben, wenn eine profitbestimmte Wirtschaftsweise bleibt, wenn das nicht gebrochen werden kann, dann gibt es keinen Ausweg. Bis dahin aber, sollen wir eine Vision behalten, versuchen auch aktiv Politik zu betreiben, die sich dann, wenn man theoretisch ansetzt, auch als Umweltpolitik, auch als Engagement in kommunalen Projekten oder auch als ökologisches Engagement in größeren Zusammenhängen dann darstellt.

Ich neige mehr zu der zweiten Variante und sage, wir wissen natürlich, daß ohne Beseitigung der Dominanz des Profitmotivs und ohne Veränderung auch im Bewußtsein, daß man anders produzieren und anders leben muß, eben um nicht diese riesigen Transportaufwände zu haben, die ständige erweiterte Reproduktion. Da stimmen wir wahrscheinlich sogar überein.

Bis diese Dinge aber zum Zuge kommen, auch im Engagement für konkrete Aktionen etwa gegen den Ausbau der Havel, gegen einen Großflughafen, den wir hier in Berlin auch noch bekommen sollen oder gegen den Transrapid und dann all die Dinge, die hier drohen. Dieses Engagement halte ich nicht für zweitrangig. Nach meinem Dafürhalten ist das wichtig, genauso wie die theoretische Seite. Der Punkt für die PDS ist, sie hat die soziale Problematik als Ausgangspunkt, aber weiß, daß das ohne Ökologie heutzutage überhaupt nicht zu lösen ist.

Insofern denke ich, wir haben in der Debatte einen weiteren Berührungspunkt. Natürlich, einige Kritikpunkte stimmen einfach. Die will ich auch akzeptieren. Das Theoretische ist im einzelnen nicht entwickelt. Wir werden jetzt eine Publikation erarbeiten, so einen Progammkommentar, wo wir auch über den ökologischen Umbau der Gesellschaft debattieren wollen und wo wir Vorschläge unterbreiten werden, wie die profitdominante Wirtschafts­weise Schritt für Schritt überwunden werden kann. Das ist nicht der Weisheit letzter Schluß, aber in dieser Debatte bleiben wir. Die Ökologische Plattform in der PDS ist ja progessiv.

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In einem stimmen wir beide überein. Ökologie ist kein Ressortproblem. Man kann nicht sagen, wir haben jetzt Genossen Ferst oder wir haben noch zwei Genossen und die machen uns jetzt die Ökologie. Alles was in der Politik zum Ressort gerät, ist meistens schon verloren. Deshalb denke ich, gefordert ist eigentlich die gesamte theoretische Konzeption, gefordert ist ein Ansatz, wo man Ökologisches und Soziales im Zusammenhang sieht. Daran arbeiten wir, und wir haben noch keine fertigen Lösungen.

Es ist in anderen linken europäischen Parteien inzwischen einiges geschehen, was ich für nachahmenswert halte. Die Linksallianz in Finnland, die sagt, wir zehren aus drei Quellen. Die eine ist die der Arbeiterbewegung, die in kommunistische und sozialdemokratische unterteilt war, das interessiert uns im Moment jetzt nicht, sagen sie. Das ist der soziale Aspekt, von dem eine moderne Linke ausgehen soll. Das Zweite ist die Menschen­rechts­bewegung einschließlich des Feminismus und einer antipatriarchalen Haltung in der Gesellschaft. Die dritte Quelle, aus der wir schöpfen, ist die ökologische Bewegung.

Relativ unverkrampft und vernünftig gehen aus diesen Zusammenhängen Leute in diese Linksallianz. Ähnliche Ansätze gibt es zum Beispiel auch in der Vereinigten Linken in Spanien, wo traditionelle Kommunisten mit den Grünen unerhört spannende Projekte miteinander machen. Das ist also in der Linken in Europa aufgegriffen, in Deutschland ist das etwas schwieriger, weil die historischen Auseinandersetzungen und generell die Frage, wer hat recht, manchmal dominant sind. Aber ich habe Hoffnung, daß diese Ansätze, die auch in der europäischen Linken vorhanden sind, Ökologisches, Soziales und dann auch die feministischen Ansätze und die der Menschen­rechtsbewegung als Ausgangspunkt für eine linke, moderne Politik zu entwickeln, daß das tragfähig ist, natürlich unter Berücksichtigung, man kommt aus der Arbeiterbewegung. Die Kritik an dem, was der reale Sozialismus menschheitsgeschichtlich bewirkt hat, die kann ich teilen. Einige Punkte sehe ich auch anders.

Die Differenzen, die wir zum Naturthema haben, die liegen dann, ist die ökologische Frage das primäre oder das Ökonomische. Ich halte nichts davon, dies oder jenes als primär anzusehen. Ich wäre eigentlich ganz froh, wenn wir als linke Partei die Zusammenhänge zwischen Ökologischem und Sozialem besser erkennen und sich mehr Leute dafür engagieren würden. In einem stimmen wir völlig überein: Wenn die Art der Kapital­akkumulation so weiter geht, dann wird es die ökologische und soziale Katastrophe geben, denn wir sind in einer Welt, und wir können uns hier ausdenken, was wir wollen, egal wie hoch wir den Reichtum in der Bundes­republik beurteilen wollen, aber die Probleme der Welt, sowohl die sozialen als auch die ökologischen, machen keinen Bogen um diese Republik. Sie werden uns schnell einholen, sie haben uns teilweise schon eingeholt. Deshalb brauchen wir auch einen neuen konzeptionellen Ansatz. Ich sage nicht, wir haben ihn, ich sage, wir sind auf der Suche.

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Marko Ferst: 

Wir leben in der Epoche des großen Irrtums, und die meisten Zeitgenossen haben noch nicht begriffen und ahnen wohl auch noch nicht so recht, was auf unserer Türschwelle steht. Rudolf Bahro hat zur inneren Struktur der Krise einiges gesagt und ich möchte versuchen, zunächst mal auf die Frage nach der Vision etwas deutlicher einzugehen. Da will ich zu den Voraussetzungen, zu dem, was Exterminismus heißt, etwas Einfädelndes sagen, zu den äußeren Symptomen der globalen Krise.

Wir wissen, es gibt den Treibhauseffekt und das Ozonloch, viele nehmen das zwar wahr, aber es ist einfach viel zu weit weg. Es wird nicht wirklich ernst genommen. Die Konflikte, die es etwa zu Hause in der Familie gibt, oder ob man gerade Arbeit hat oder mit wem man gerade im Clinch liegt, die sind doch viel wichtiger, als solche Probleme, die einem, wenn man etwa schon 50 ist, kalt lassen, die gehen einen einfach nichts mehr an oder jedenfalls nicht soviel an, daß es einen noch betreffen könnte.

Bei meiner Generation sieht das schon anders aus, wir müssen immerhin um unsere Rente bangen, in Anführungsstrichen. Ich will das natürlich nicht auf diesen Punkt verkürzen, es geht um die gesamte Existenz.

Zu den Symptomen der Krise: Wir wissen um den Treibhauseffekt, und es wird sehr viel darüber geschrieben und gesagt. Ich will nur zwei Punkte, die mir besonders aufscheinen, herausholen. In der Antarktis lagern dicht unter der Wasseroberfläche riesige Mengen an Methanhydraten. Um das von den Mengen her vergleichbar zu machen. Aller Kohlenstoff, der in biologischem Leben, in Kohle etc. vorhanden ist, beträgt etwa 1500 Gigatonnen und die Vorkommen an Methanhydraten im Bereich der Antarktis belaufen sich auf etwa 10.000 Gigatonnen (niedrigste Schätzung!) Methan ist wie ein Treibhausgas und wirkt viel, viel stärker als zum Beispiel Kohlendioxid. Das heißt, wenn es zu anfänglichen Klimaveränderungen kommt, kann es passieren, der Treibhauseffekt geht in einen Selbstlauf über. Damit wäre programmiert, daß die Erde zu einem Wüstenplaneten wird.

Ein anderes Faktum, es wird immer von Temperaturerhöhung gesprochen, aber das muß so nicht eintreten. Wenn die ozeanische Umwälzpumpe vor Island ausfällt (weil die Salzkonzentration durch abschmelzendes Arktiseis sinkt), dann würde der europäische Kontinent mit sibirischer Kälte konfrontiert, und es kann uns passieren, das Klima wechselt stark und wir bekommen mal eine Kaltzeit, mal eine Warmzeit, und das wird eine ziemliche Höllenfahrt.

Ich will zu konkreten Fragen ökologischer Politik kommen.

Ich möchte sechs Pfeiler einer solchen Politik an die Tafel erst mal nur anzeichnen. Das wäre der Faktor Zehn. Das ist als zweites die ökologische Steuerreform. Bei dem Umfang dieser Sache geht es um mehr als die Grünen vorgeben. Es handelt sich nicht nur darum, den Sprit um ein paar Mark teurer zu machen, es geht auch darum, das gesamte Steuersystem in der Bundesrepublik und in den Industrieländern insgesamt umzubauen, im Zusammenhang mit dem Faktor Zehn. Der dritte Punkt ist die solare Energiewende, der vierte der sozialökologische Wirtschaftssektor.

Die überragende oder die allumfassendere Seite des Ganzen, ich schreibe das hier deshalb etwas separat, ist die Vision von einer geistig-seelischen Hochkultur.

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Und eine Frage, der nicht unmittelbar, aber im späteren Verlauf einer ökologischen Wende große Bedeutung zukäme, wäre die politische Ökonomie, allerdings nicht in der Lesart wie zu Ostzeiten bzw. im polizeistaatlichen Scheinsozialismus. Ich will mit dem Faktor Zehn bei der Erläuterung beginnen.

Die Frage besteht darin, wie wir die heutige Industriegesellschaft zurückbauen können. Es geht also nicht, wie Rudolf Bahro immer erläutert, um den Ausstieg aus der Industriegesellschaft, sondern um den Rückbau. Der Sicherheitsfaktor läge etwa bei einem Zehntel. Das heißt allerdings nicht, man kann das so angehen, wie das in der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland" gemacht wurde. Man sagt also, wir bauen um den Faktor Zehn zurück und leisten uns aber dennoch zwei bis drei Prozent jährliches Wirtschaftswachstum. Das ist unlogisch. Es muß das Wirtschaftsvolumen in den Industriestaaten verringert werden.

Friedrich Schmidt Bleek hat zum Faktor Zehn am ausführlichsten gearbeitet. Der Begriff taucht in der Diskussion auch schon vorher auf, z.B. bei Robert Havemann oder Rudolf Bahro und dem inzwischen verstorbenen Vorsitzenden der ÖDP, Herbert Gruhl.

Friedrich Schmidt-Bleek geht davon aus, wir können uns die bisherigen Schattenlasten nicht mehr leisten und müssen die Stoff-und Energiedurchsätze drastisch verringern. Dies bedeutet nicht, jeder Wirtschafts­sektor würde um den Faktor reduziert, sondern dies muß ganz spezifisch vorgenommen werden. Wir können uns z.B. sicher keine Bananen aus Afrika etc. mehr leisten, wenn wir mit der ökologischen Politik ernst machen wollten. Dann werden wir mehr Apfel und Gemüse etc. aus heimischen Ländereien brauchen. Hier wäre also nicht zu reduzieren. Beim FCKW dagegen ist der Totalausstieg notwendig und unvermeidlich. Insofern ist dieser Sicherheitsfaktor ein relativer, nur um die Dinge als Svmbol klarzumachen.

Die ökologische Steuerreform müßte den Faktor zehn stützen, das heißt, das gesamte Steuersystem dürfte nicht mehr die Arbeit belasten, wie z.B. die Lohnsteuer und die Mehrwertsteuern, sondern sollte insgesamt die Rohstoffe belasten, die Energie und dann spezielle Dinge wie Fleischverbrauch etc.

Ebenso wichtig ist die solare Energiewende, allerdings ist es nicht besonders weitsichtig, die Bundesrepublik von vorn bis hinten mit Windrädern zuzubauen. Ich denke, das ist einsehbar. Aber zugleich muß gesichert sein, daß der Energiebedarf, den wir zukünftig noch benötigen, nicht mehr über Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke abgedeckt wird. So können wir es uns nicht leisten, wie etwa die AG Kohle und Energie in der PDS erklärt, daß wir in der Lausitz die Kohle noch dreißig Jahre ausbeuten. Das geht so nicht, daß ist ein Unding. In der PDS-Politik müßte die solare Energiewende ganz oben stehen und Gysi dürfte sich gegenüber Jürgen Trittin von den Grünen in der Diskussion nicht den Patzer leisten, daß er dazu einfach nichts weiß.

Der sozialökologische Wirtschaftssektor ist eine Überlegung, die ich von Rudolf Bahro mehr oder weniger übernommen habe. Dabei muß es um mehr gehen als um Projekte wie Pommritz oder andere kleine Versuche, die wichtig sind. Die PDS sollte sich leisten, solche Dinge ganz massiv zu stützen und sich an der Ausarbeitung beteiligen.

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Ich weiß, daß es dazu in der PDS Überlegungen gibt. Gegenüber der herkömmlichen Wirtschaft müßte ein ganzer Bereich ausgeklammert werden, der schneller zu einer ökologischen Gesellschaft uniformiert wird, als der übrige Teil. Unter den gegenwärtigen Bedingungen, wo faktisch eine große Koalition aus SPD und CDU herrscht und gar nicht weiß, was Ökologie meint, ist das reichlich schwierig. Ich habe mir gestern das Interview mit Helmut Kohl angesehen, und er hat nicht einmal auch nur andeutungsweise ausgeführt, es gehe um mehr als den vorhin benannten kolonialen Konsens und den Standort Deutschland. Würde man zu einem sozialökologischen Wirtschaftssektor kommen, könnte man natürlich ganz neue Sachen in Angriff nehmen. Der ganze sozialökologische Bereich hängt engstens zusammen mit der Vision einer geistig-seelischen Hochkultur, mit einer spirituellen Innovation der Gesellschaft.

Zum Parteiensvstem insgesamt.

Ich glaube, so, wie sich das andeutet, werden alle großen Parteien, als auch die Oppositionsparteien immer mehr Teil des Problems, verstopfen den Zugang der Gesellschaft vom Thema Exterminismus her, als auch von dem anderen Pol der Vision einer geistig-seelischen Hochkultur, die zugleich Kommunismus meint, aber auch eine Renaissance christlicher Werte einschließt, (gemeint sind liier nicht die Rückkehr zu überholtem Kirchenglauben, sondern die Frage ethischer Aufrichtigkeit)

Wir erleben in der Bundesrepublik zunehmend einen Verfall der politischen Parteien. Das ist in Arbeiten von den Scheuchs oder von Hans Herbert von Arnim ganz klar aufgezeigt. Die Parteien werden immer mehr zu Massensekten, wie Klaus Bednarz, Moderator des Politmagazins <Monitor>, einmal kundtat. Sie sind geistig nicht mehr fähig, die nötige Umkehr zu vollziehen. Es gibt nur einzelne Leute, die versuchen, aus diesem Karree auszubrechen, wenn auch noch in sehr ungenügender Weise.
Damit möchte ich erstmal schließen und zu den Fragen, die ich offengelassen habe, in der Diskussion vielleicht noch einiges sagen.

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    Die Wortmeldungen aus dem Publikum wurden soweit aufgezeichnet, wie sie auf dem Tonband verstehbar waren  

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Zuhörer: Er verweist auf die Studie <Zukunftsfähiges Deutschland> und die darin aufgezeigten Leitlinien, die er für produktiver hält, als die bisher in der Diskussion aufgezeigten Aspekte. Darüber hinaus fragt er, ob die PDS nicht die Chance ergreifen sollte, wenn sie die zu enge Bindung an Klientelpolitik überwinden könnte, tatsächlich zu mehr ökologischer Politik zu kommen.

Rudolf Bahro: Der Zugang zu einer wirklich ökologischen Politik ist sehr viel schwieriger. Die Konzepte von Faktor Vier oder Faktor Zehn, oder Steuerreform oder die solare Energiewende, daß sind alles Punkte, die an und für sich immer noch technischen oder sozialtechnischen Charakter haben im weitesten Sinne, deren Wirkungsweise ganz und gar davon abhängt, was für gesellschaftliche Verhältnisse sich herstellen.

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Für die Golfkriegssituation Ende 1990 ist doch klar, wenn die Kriegsparteien die Solarenergie schon auf einem ökonomisch handhabbaren Niveau gehabt hätten, dann wäre das auch militärisch angewandt worden. Archimedes hat mal die Segel der anderen Flotte unter Strahlen gesetzt und abgebrannt. Ich denke, daa alle diese technischen Zugänge, auch politische Ökonomie, das ist alles dann bedeutungsvoll, wenn es in einen umfassenden sozialen Zusammenhang gestellt wird.

Aber ich meine mit sozial noch etwas anderes als nur soziale Interessen. Das Problem ist bei der Fragestellung, die du hier vorgetragen hast, Lothar Bisky, wenn wir von sozialen Interessen ausgehen, dann finden wir die schon abgepackt vor, in der Form, wie sie hier durch die sogenannte Transformation in die kapitalistische Gesellschaft als Probleme verursacht wurden. Wir haben nicht die Entfaltungs­problematik der Individuen vor uns, sondern wir kämpfen vom Standpunkt überlieferter Interessen und Gewohnheiten, die das System uns bietet.

In der Regel ist es so, wenn man dort unmittelbar reagiert, findet man den Zugang zu der Fernperspektive nicht, an die du die Sache gebunden sehen möchtest. Die ökologische Frage ist ein Hinweis darauf, das Naturproblem ist zu einer sozialen Frage ersten Ranges geworden, nicht in punkto Umweltschutz primär, obwohl das dazugehört. Die Naturabspaltung der abendländischen Gesellschaft ist ein Prozeß von Jahrhunderten gewesen, aber wir sind wirklich dabei, darauf hat Marko einleitend hingewiesen, die grundlegenden Gleichgewichte zu gefährden, zu testen, auf denen der Mensch und die Säugetiere als biologische Lebensform beruhen.

Wenn da etwas kippt, weil wir es testen, diese Tests können wir uns nicht leisten, so daß man in den meisten Fällen keine neue wissenschaftliche Forschung braucht, um zu wissen, es gilt einfach, diesen ganzen ökonomisch-technischen Prozeß zurückzunehmen. Das ist der Punkt und in letzter Instanz gilt Faktor Zehn. Es gibt sogar Dinge, wo das nicht reicht.

Mir hat der Professor Ripelt, ein Wasserwissenschaftler an der Technischen Universität, mal klar gemacht, daß wir spülen hundertmal schneller die Bodenfruchtbarkeit in die Flüsse, als der natürlich-geologische Prozeß sie wieder herstellt. Wir machen damit die Grundlage für nachher zehn Milliarden Menschen einfach kaputt. Im Rahmen der Gewohnheiten einer weltweit organisierten Großproduktion ist kein Ausweg möglich. Seit Anfang der Neuzeit, seit der Renaissance haben wir eine prinzipiell expansive Produktionsweise, nachdem wir vorher Kreuzzüge gemacht haben, um etwas zusammenzurauben, machen wir jetzt einen weltweiten Kreuzzug mit expansiver Industrieproduktion.

Wenn wegen der EU, das Verkehrssytem ausgebaut wird, wenn wir noch mal 60 Prozent bis zum Jahre 2010 mehr transportieren werden, trotz Computer, leichter Technik usw., werden wir also den Wahnsinn fortsetzen, ein und die selben Gebrauchsgüter aneinander vorbeizufahren. Neun Zehntel, was auf den Autobahnen spazieren fährt, ist überflüssiger Transport, wo nicht Versorgung, wo nicht menschliche Bedürfnisse das Erfordernis ist, sondern Geld zu machen in dem internationalen Supermarkt der Korruption. Das ist ein absoluter Wahnsinn, diese ganze Lebensweise ist nicht haltbar.

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Das ist ein Gesichtspunkt, den die Marxisten traditionell nicht gesehen haben. Marx hat im Kapital als Musterbeispiel behandelt, daß man in einer fernen Zukunft alle Nähnadeln, weil das so ökonomisch ist, an einem einzigen Platz produzieren würde. Das war auch ökonomisch schon nicht weitsichtig. Soweit ich sehe, geht es um eine kontraktive Lebensform, das ist der Kernpunkt der Vision, wenn man ökologisch und ökonomisch denkt. Diese kontraktive Lebensform wäre eine ganz entscheidende Grundlage für eine geistig-seelische Hochkultur, wenn man den Ausdruck benutzen will.

Wenn man guckt, wo die Menschheit bisher wirklich Hochkulturen gehabt hat, dann waren das immer Kulturen, wenn man das Gesamte sieht und nicht nur Künstler in Berlin in den zwanziger Jahren, wenn man das Leben der Gesamtgesellschaft meint, dann waren das immer verhältnismäßig kleine Gesellschaften, in denen die Mehrheit der Bevölkerung in den kulturellen Prozeß einbezogen war.

In Ladakh in einer Bergkultur beispielsweise, die also sehr mit dem Überleben zu tun haben sollte, möchte man meinen, haben sie ein Drittel der Zeit des Jahres mit Festen verbracht, die dem Verkehr mit den Göttern und dem zwischenmenschlichen Bereich gewidmet waren. Außerdem lebten noch ein Drittel der Leute in Klöstern, übrigens nicht unproduktiv.

Es geht also um eine zusammengezogene Lebensform, bei der es das ökonomisch wichtige wäre, 90 Prozent von dem, was die Leute verbrauchen, wird in ihrer eigenen Region hergestellt. Die Gesell­schaften, die sich gegenseitig versorgten, mußten nur einige tausend Menschen zählen. Die Hopis sagten, 3000 Leute, das ist noch eine menschenwürdige Gesellschaft. Die griechische Polis hatte nie mehr als 20.000 Einwohner, zumindest zu ihren Höhepunktzeiten. Das war schon eine überaus schwierige Gesellschaft.

Der weltweite Reproduktionsprozeß, Weltmarkt und Weltzerstörung ist dasselbe, und Weltmarkt kostet pro Produkt zuviel. Ich machte mal folgende Erfahrung: Als ich in Westdeutschland in eine Kommune zog, brauchte ich nur noch die Hälfte von dem Geld, das vorher notwendig war. Das führt aber noch nicht an das eigentliche Problem heran. Das ist subjektiv erst mal ein Vorteil, die Hälfte zu verbrauchen, aber an dem Prinzip dieses Supermarktes ändert es nichts, und was ich dort erwerbe ist zehn mal zu teuer für die Erde, durch die Gesamtlast an Infrastruktur, an Autos, an Bürokratie usw.

Was dort an parasitärer Leistung investiert ist und die Sache so teuer macht, das ist diese verfluchte Systemstruktur, mit der wir umgehen. Wir sollten uns darüber klar sein, deshalb sprach ich am Anfang über Havemann, Harich und Bahro, das sprengt erst mal die ursprüngliche marxistische und kautskianische Vision, man brauchte dem Kapitalismus nur die Spitze abzuschneiden und könnte dann mit dieser Superstruktur weitermachen.

Marko hat vorhin bei den Faktoren auch den sozialökologischen Wirtschaftssektor aufgeführt. Das wäre so ein Vorgriff auf kleinere Gemeinwesen, das müßte man so unterstützen, damit es eine lebensfähige Produktionsform mit Technologie wird. 3000 Leute können ihren Lebensprozeß schon produktiv in die Hand nehmen und zwar so produktiv, daa sie für den geistigen und kulturellen Bereich genügend Zeit haben, weil in diesem Bereich entscheidet sich, ob wir für die Natur noch Gehör haben.

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Wir nehmen ja nicht wahr, was aus den großen Zusammenhängen auf uns zu drängt, deshalb brauchen wir nachgeschaltete Wissenschaft, die uns immer zu spät belehrt, wie wir sehen. Eine wirklich funktionsfähige Kultur an einem Ort, so wie die indianische der Hopi, die haben gezeigt, daß sie auf ihre Naturumgebung hören können. Sie haben, so weit man wissenschaftlich rückblicken kann in die Geschichte, tausend Jahre ihr Ambiente nicht zerstört. Das ist eine ungeheure Leistung.

Und zwar haben sie das nicht deshalb nicht zerstört, weil die Ökologen mit Wissenschaft darauf geachtet haben, dort und dort dürfen wir nicht stören, sondern sie haben über ihre Schamanen, also über ihre Medizinmänner, die offenbar mehr von dem Naturkontakt verstanden, so rückständig das wissenschaftlich gesehen war, die Lebensweise im Gleichgewicht gehalten. Die Schamanen hatten noch Kontakt, der sie belehrte, was darf man einfach nicht tun, wo müssen wir halblang machen, wo müssen wir bremsen.

Wenn zur Wiederherstellung dieser Wahrnehmung, bei der unverschämten Komplexität, die wir uns heute leisten, die Wissenschaft dazukommt, das könnte was werden, wenn wir uns darüber belehren, welche Schwierigkeiten wir uns bei unserer großen Zahl machen und wo wir zu spät zuhören.

Aber diese Fähigkeit, wieder zu hören, das scheint mir bei dieser ganzen Geschichte das Problem zu sein, und deswegen ist die politische Frage für Leute, die Parteipolitik machen, wie kann es denen gelingen, wieder auf zwei Beine zu kommen, nicht 95 Prozent ihrer Kraft in nachrangige Dinge zu investieren, so würde ich das sehen, Lothar Bisky.

Wir leben in einem System, das einen ungeheuren Ablenkungsmechanismus produziert von den eigentlich wichtigen Fragen. Die ganze Zeitung steht voll mit menschheitsgeschichtlich gesehen unwesent­lichen Problemen, die sich diese reiche Gesellschaft andauernd selbst veranstaltet.

Als ein ehemals Bund von Kommunisten, der das in der SED ganz geheim auch noch mitgewesen ist, ist man jetzt angekommen als eine kleine Partei, die unter diesen Gesichtspunkten soziale Lasten abfangen will, das ist, was ich mit Klientelpolitik meine. Ich verstehe die Notwendigkeit, dabei mitzureagieren, aber man muß sich darüber klar sein, wie eng auf diese Weise das fokussiert ist, von der Sozialstruktur her.

Man tut gut daran, wenn man seine Kräfte subjektiv allein schon darauf einrichtet, daß man das Hören wieder lernt in bezug auf die größeren Zusammenhänge und daß man sich den gesamten Horizont, ich sage mal nicht theoretisch im Sinne des Fachlichen, sondern philosophisch sich zu vergegenwärtigen, was da eigentlich läuft. Jeder gebildete Mensch hat die Fälligkeit dazu. Darauf wirklich zu reagieren, das würde, glaube ich, zu einer anderen politischen Praxis führen, nicht gleich in der ganzen Partei, aber dazu, daß sehr viele Leute ihre Praxis darauf ausrichten, damit sich der Konsens ändert.

Ich spitze es mal zu, und wüßte auch nicht gleich, wie ich in der Versammlung damit umgehen könnte, gebe ich zu. Aber wenn jetzt das Mietenproblem steht, und es gelingt nicht, darüber politisch so zu kommunizieren, daß den Leuten der allgemeinere Rahmen mit ins Bewußtsein tritt und sie sich auch ärgern darüber, daß sie mit dem Thema beschäftigt werden, statt mit einem wesentlicheren.

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Wenn man diesen Zugang nicht findet auf eine neue Lebensform, auf einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhang hin, auch wenn der noch mal neu durchdacht werden muß, aber es war nicht alles falsch, was bei Marx steht, wenn der nicht wiedergefunden und bewahrt wird und auf das heutige Niveau gebracht, dann lohnt die ganze Verteidigung sozialer Sonderinteressen auf die Dauer nicht. Und außerdem: Man verliert sowieso.

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Lothar Bisky:

Dann sind wir wahrscheinlich bei dem schwierigsten Punkt. Das ist im Grunde genommen, was unterscheidet Politik und Theorie. In einem visionären Ansatz könnte ich nun sagen, das machen wir in einer demokratisch sozialistischen Gesellschaft, die ich will. Das Ökologische wäre erst dort gerichtet. Aber das wäre wahrscheinlich auch nicht ganz korrekt, wenn man sich nur auf eine solche Vision einstellen würde. Ich sehe solche Ansätze, sie sind auch in der Debatte, ich bin zum Beispiel mit Leuten im Gespräch, die über nachhaltige Entwicklung arbeiten, ich sehe, das ist die einzige Möglichkeit, überhaupt weiterzukommen. Nun weiß ich nicht, wie man mit den Faktoren umgeht, dazu bin ich auch nicht der Fachmann, werde ich auch nie werden. In bezug auf die Frage einer künftigen sozialistischdemokratischen Gesellschaft ist es völlig klar, daß die ökologische Problematik eine zentrale Rolle spielt. Im übrigen sage ich das nicht nur so daher, das Ingolstädter Manifest von Gysi, dazu kann man unterschiedlicher Meinung sein, das ist auch in der PDS so, aber dort sind Ansätze vorhanden.

Jetzt wäre ich der Frage am liebsten ausgewichen, die die Veränderung der Lebensweise betrifft. Denn das ist ja der Kernpunkt, also Verzicht. Ich würde sofort ja sagen, und ich weiß was ich dann tue, dann greift es erst richtig zu. Z.B. USA - was ist das, wenn ich nach unten senke, denke ich da etwa an die Ghettos in Chicago, wo die Schwarzen wohnen, soll da auch der Standard gesenkt werden. Das kann ich als linker Sozialist nicht so einfach sagen. Ich würde sagen, die Lebensweise muß grundlegend verändert werden, aber sie muß vor allem von oben etwas nehmen. Sie kann nicht bei denen, die am Existenzminimum dahinvegetieren, auf Verzicht setzen.

Ich hatte zum Glück die Gelegenheit, einmal 14 Tage an einen; Entwicklungsprojekt in Afrika mitzumachen, wo man versucht, in einer moslemischen Bevölkerung im Niger der Erosion, die durch die Sahara kommt, etwas entgegenzusetzen. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, man sieht kaum den Dampf, der von dem Tropfen kommt, weil die Lebensbedingungen dort zugleich so sind, daß das Holz, weil man es zum Überleben benötigt, wenn man etwas kochen will, immer mehr verschwindet. Es wird unheimlich viel zerstört und im Grunde genommen frage ich jetzt auch: nach unten senken, dort geht es nicht nach unten, dort muß reingesteckt werden und man kann es, wenn man es irgend woher nehmen will, nur von den größeren Nationen nehmen, von denen, die etwas mehr haben.

Man könnte jetzt auch die Frage stellen, warum leistet die Bundesrepublik Deutschland so wenig Entwicklungshilfe. Das geht ja von Jahr zu Jahr zurück. Und da steht die Frage nach Verzicht, und ich sage: Verzicht ja, aber nicht bei denen, die am Rande des Existenzminimums leben.

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Deshalb meine ich, die große Problematik besteht darin, wie sichern wir, bei den die sieben oder acht Millionen, die auch hier an der Armutsgrenze leben, daß bei denen nicht gekürzt wird. Das droht ja in der Politik, man nimmt denen, die ohnehin wenig haben, ansonsten sage ich, ja die Lebensweise muß verändert werden und es muß auch Verzicht geben, denn wenn nachher dann jeder drei Autos haben will, es ist einfach widersinnig, wie wir leben und auch widersinnig, wie wir produzieren. Die spannende Frage ist, wie kann man in der Politik dafür ein Bewußtsein herstellen? Wie kann man dazu beitragen, daß mehr Leute darüber nachdenken, und da ist Parteienkritik berechtigt und ich nehme auch Kritik für die PDS an. Mit Blick auf die Medien wird mir bange. Da haben wir vielleicht sogar eine ähnliche Auffassung. In dieser zerklüfteten Öffentlichkeit ist es unerhört schwer, über diese Frage seriös zu debattieren, das geht vielleicht noch in universitären Zusammenhängen, aber es geht nicht in den Größenordnungen in der Politik, in denen man eigentlich verändernd wirken sollte.

Das Fernsehen ist doch das Ende der Aufklärung im Grunde genommen. Ich bin kein Mensch, der gegen das Fernsehen ist, ich sage nur, wenn man aufklärerisch wirken will, die Talkshow ist das Denkmal vom Ende der Aufklärung.

Die Frage ist, wie gewinnt man Aufmerksamkeit von Menschen und wie kann man Informationen vermitteln, damit darüber nachgedacht wird, damit vielleicht diskutiert wird, damit man vielleicht auch Meinungen verändert. Wie trägt man dazu von verschiedenen Seiten bei, darunter auch von den Parteien her, etwas mehr Information zu geben und auch etwas mehr Bewußtsein dafür zu entwickeln, daß wir anders produzieren und leben müssen, weil wir sonst gemeinsam zugrunde gehen. Das ist für mich die eigentlich politische Frage.

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Zuhörer: Der Begriff ist ja ein paar mal gefallen: Nachhaltigkeit. Ein neuer konzeptioneller Ansatz ist noch nicht gefunden. Seit 92 haben wir die Agenda 21, einige Punkte, die vorn an der Tafel angeschrieben sind, sind dann aufgeführt. Ich arbeite beim Forum Umwelt und Entwicklung in Köpenick mit. Wir machen uns derzeit Gedanken zu einer lokalen Agenda 21. Im Juni soll der erste Entwurf stehen. Das Forum ist eine Öffentlichkeits­einrichtung, da haben sich interessierte Bürger zusammengefunden und haben gesagt, so wie es bisher ging, kann es nicht weitergehen. Das ist ja auch vielfach hier angeschnitten worden, aber eben nur angeschnitten. Beschäftigen Sie sich als Politiker bitte auch einmal mit den 22 Kapiteln der Agenda 21. Es geht eigentlich darum, Herr Bahro hat es ein paarmal gesagt, den politischen, ökomomischen, kulturellen und sozialen Bereich zu verbinden, das geht nur über die Ökologie, anders bekommen wir das nicht in den Griff.

Wir sind bemüht, Nachhaltigkeit dadurch umzusetzen, indem wir lokale Wirtschaftskreisläufe entwickeln wollen. Davon sind wir noch sehr weit entfernt. Ich arbeite im Bereich solarer Energietechnik. Da kann ich, Herr Bahro, Ihre Worte nicht verstehen. Sie sagen, die Solarenergie ist auch nur etwas Technisches. Wir leben in einer hochtechnisierten Welt, damit müssen wir uns abfinden.

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Wie weit sie uns in den Griff bekommt, das ist das Problem. Das löst man nur über Nachhaltigkeit, und die Solarenergie ist dabei ein Faktor. Daß sie zu Kriegszwecken eingesetzt werden könnte, dürfen Sie der Solarenergie nicht vorwerfen. Wir wünschen uns die Energiewende, die muß kommen, es gibt viele Hemmnisse, und ich würde mich freuen, wenn die PDS sich für ein neues Energiewirtschaftsgesetz einsetzen würde, damit die mafiosen Strukturen der Energieversorgung in Deutschland endlich aufgebrochen werden, damit wir zu dezentralen Versorgungseinrichtungen kommen. Danke.

 

Rudolf Bahro: Ich bin mit Folgendem nicht einverstanden. Mit auch nur technisch habe ich nur gemeint, daß z.B. alles, was etwa in der Agenda 21 steht, das wird nicht durchkommen, wenn ansonsten das Rennen zwischen Amerika, Japan und Europa so weitergeht. Benjamin hat vor über 50 Jahren gesagt, die Katastrophe besteht darin, das alles so weiterläuft. In diesem Gesamtzusammenhang wird selbst das, was an Energiewende direkt erreicht werden kann, das wird untergebuttert werden. Das meinte ich mit meinem Beispiel. Ich wende mich aber nicht gegen die Orientierung, die Sie vorschlagen.

Lothar Bisky: Mit Ihrer Aufforderung haben sie Recht, aber die Vorschläge sind politisch gescheitert. Auch die Initiativen von Bündnis 90/Die Grünen sind abgeschmettert worden. Das ist bedauerlich. Ich erlebe analoge Widersprüche gerade um den Konflikt um Horno. Ich bin für den Erhalt von Horno. Ich muß aber auch alle anderen Argumente abwägen. Das heißt nicht, daß wir unsere Meinung über Nacht ändern. Wir sind dort in einem sehr interessanten Diskussionsprozeß, wo es natürlich auch in der PDS gegensätzliche Meinungen und unterschiedliche Auffassungen gibt. Selbstverständlich kann es uns nicht egal sein, daß die letzten Arbeitsplätze im Kohlebereich verschwinden. Da kommen dann eben 1500 Kumpel und klopfen an die Tür. Ist ja gut, wenn sie kommen und fragen: Was macht ihr denn nun mit uns? Selbst wenn man sagt, man will, daß Horno bleibt, muß man im Hinterkopf behalten, wahrscheinlich wird es kein Strukturkonzept geben, denn im Land Brandenburg gibt es noch für keine einzige Region ein Strukturkonzept, und ich fürchte, die Regierung wird auch dafür keines vorlegen. Wir werden von der Opposition eines vorlegen, damit man uns nicht vorwerfen kann, wir hätten keins. Nur wenn man das alles im Hinterkopf hat und dann auch weiß, daß mit dem Wasserproblem ein zusätzlich ökologisches Dilemma steht, also die Wasserversorgung von Brandenburg und Berlin unheimlich kompliziert wird, weiß man, wie schwierig die Sache ist.

Ich habe Horno für meine Argumentation gewählt, weil hier Ansatzpunkte für eine ökologisch gewichtete Politikentwicklung deutlich werden, die die ökologischen Fragen nicht mehr so einfach zugunsten von Arbeits­markt­politik zur Seite läßt. Ich bitte aber auch um Verständnis dafür, es ist auch ein Prozeß der Auseinandersetzung, und es ist gut so, daß das in der PDS jetzt so ist. Gegenwärtig haben sich viele sachkundig gemacht und irgendwann wird dann in Brandenburg eine demokratische Mehrheit entscheiden. Ich bin nicht sicher, ob es dort zu einer einvernehmlichen Meinungsbildung kommt.

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Aber das Beispiel zeigt auch, daß wir solche Fragestellungen heute sehr ernst nehmen und daa es dort unterschiedliche Positionen gibt. Alle Ansätze, die es gab, um nach dem Fall der DDR die Energie­erzeugung zu dezentralisieren und Ansätze für alternative Energien, kleine Kraftwerke etc., alles das ist zunichte gemacht worden, und dafür übernehme ich nicht die Verantwortung.

Marko Ferst: Ich will an einer zentralen Stelle noch mal deutlich machen, wo ein kritischer Punkt in der PDS-Politik ist. Das betrifft allerdings auch die Politik der Bündnisgrünen. Etwa in dem Text „Fünf Jahre deutsche Einheit" vom Parteivorstand der PDS steht zu lesen, daß wir uns in Ostdeutschland auf mittleres Wirtschaftsniveau des Westens entwickeln wollen, und das geht rein von der Perspektive her so nicht.

Wenn man nachhaltige Entwicklung will, wie das in der Agenda 21 steht, wo man an bestimmten Punkten auch darüber hinausgehen muß, dann steht die Frage, ob wir uns eine nachholende Entwicklung in Ostdeutschland überhaupt leisten können. Wenn wir diesen Zug vollziehen, wie er in dem Papier deutlich gemacht worden ist, dann heißt das, daa die ganze übrige Welt - eine Erdbevölkerung von zehn Milliarden Menschen ist nicht mehr lange hin - sich das industrielle Niveau Deutschlands ebenfalls leisten kann, und das geht mit Sicherheit nicht. Da müssen ganz andere alternative Politikkonzepte überhaupt erst mal von der geistigen Essenz her erarbeitet werden. Es ist sicherlich nicht machbar, daß man das in die große Politik sofort einbringt, weil zunächst mal zu viele Sperren aufgestellt sind, das hat ja Lothar auch gerade eben gesagt. Aber es muß erst mal formuliert werden, daß es über Klientelpolitik hinausgehen soll. Die bisherige PDS-Politik greift da zu kurz, zudem wäre eine kulturelle Erneuerung angesagt.

Wenn man von der Klientelpolitik weg will, muß man auch sagen, wie soll strategisch langfristige Politik im Materiellen aussehen. Dabei bedarf es auch einer höheren Synthese zwischen den materiellen und geistigen Ansätzen, verbunden mit einer generellen Systemwende. Mit einer Wirtschaftsgesellschaft, die im Mittelpunkt den Geldvermehrungstrieb hat, kommen wir auf keinen Fall durch.

Lothar Bisky: Damit es aus der Welt ist, ich bekenne mich dazu, man mag es Klientelpolitik nennen, daß man sich einsetzt für die Interessen von betroffenen Menschen. Das ist ein Politikansatz, der der PDS gut bekommen ist. Die Grenzen dieser Politik, die sehe ich sofort ein, deshalb muß man konzeptionell und strategisch weiterkommen. Aber ich will es auch ausdrucklich sagen, ich bin dafür, daß sich Politiker den Problemen der Menschen stellen, überall vor Ort und besonders im Osten und jede Stunde, die sie auf Bürger hören und jede Stunde, die sie beraten, ist eine gute Stunde für linke Politik. Dazu bekenne ich mich.

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Zuhörer: Ich befürworte voll die Notwendigkeit einer neuen Lebensweise, ich habe versucht mich darauf einzustellen. Faktor Zehn lehne ich ab. Ich muß ja essen, schlafen und wohnen. Ich möchte von jedem der drei Diskutanten mal gerne wissen, ganz konkret an einem Beispiel, wie stehen sie zur ökologischen Steuerreform, zu einer konsequenten Energiesteuer.

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Rudolf Bahro: Ich bin sehr dafür.

Lotbar Bisky: Diese Steuer muß sein, über die Höhe würde ich mich jetzt nicht auslassen woüen, ich bin einmal fürchterlich kritisiert worden, als ich gesagt habe, ein Liter Benzin sollte fünf Mark kosten, das habe ich dann auch zurück nehmen müssen, weil ich einsehe, daß das Folgen hat, die dann auch diejenigen treffen, die schon ungünstig dran sind. Aber natürlich müssen wir eine Energiesteuer, auch eine Verpackungssteuer haben.

Rudolf Bahro: Sie muß zuerst den Großverbrauch treffen.

Marko Ferst: Die ökologische Steuerreform muß perspektivisch über mehrere Jahrzehnte dahin führen, daß wir keinen privaten Autoverkehr mehr haben. Es müßte dann völlig alternative Verkehrs­konzepte geben. Sie sollte den Weg öffnen für eine gänzlich andere Lebensweise, sonst macht ökologische Steuerreform keinen Sinn. Ich habe mich unter anderem mit den Materialien von der SPD dazu vertraut gemacht, so wie das dort angedacht ist, man verteuert hier bloß ein paar Pfennige und dort ein paar Pfennige, das bringt keine Effekte. So kann man sicherlich anfangen, aber man muß auch strategisch bedenken, wo das über Jahrzehnte hinführen soll. Auf jeden Fall bejahe ich diese Schritte.

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Zuhörerin: Sie meint, daß man konkreter sagen müsse, wie so eine andere Lebensweise aussehen soll und nicht nur die quantitativen Beschränkungen benennen dürfe. Eine neue Lebensweise stellt auch eine große Bereicherung dar. Zudem müsse man die heutigen Sorgen der Menschen ernst nehmen, die darum bangen ob sie die Arbeit behalten und wohnen bleiben können. Wenn zum Beispiel eine Frau mit zwei Kindern vor die Tür gesetzt werden soll, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen kann, das ist ein wirkliches Problem, dann kann ich der nicht sagen, wir müssen ein ökologisches Welt­bewußtsein entwickeln. Man muß diese Sorgen vom eigenen Erleben her wahrnehmen, dazu würde ich gerne Marko Ferst um seine Meinung fragen wollen.

Marko Ferst: Was das Problem überhaupt betrifft, ich war zwei mal ein Jahr arbeitslos, insofern weiß ich, was das für Sorgen mit sich bringt und wie eng das wird am Ende, wenn man immer mehr erkennt, man findet keine Arbeit oder hat geringe Chancen, Arbeit zu finden. Daß das einen fast erdrücken kann, ist mir klar. Vorhin erwähnte ich diesen sozialökologischen Wirtschaftsbereich. Warum sollte es nicht möglich sein, über einen öffentlichen Beschäftigungssektor, als eine Form dieses sozialökologischen Bereiches, daß man von dort her versucht, auch die Arbeitslosigkeit abzubauen, um etwas für einen neuen kulturellen Anfang zu investieren.

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Wenn man soetwas auf den Weg bringen will, dann ist natürlich sehr viel geistige und politische Arbeit notwendig und es ist sicherlich nicht einfach die Barrikaden abzuräumen, die dem entgegen stehen. Wir sehen ja beispielsweise in Pommritz, daß kleine Versuche zumindest erst mal lebensfähig sind. Neben Veränderungen in der großen Politik muß es auch im Kleinen diesen Wandel geben. Nicht jeder kann auf sein Auto verzichten unter den heutigen Zuständen, weil auf dem Land existiert häufig kein solcher Busverkehr mehr, der es ermöglicht, daß ich noch zur Arbeit komme. Das ist mir völlig klar. Das heißt aber nicht, man hat perspektivisch für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre nicht andere Möglichkeiten.

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Zuhörerin: Also ich bin der Meinung, daß man solche Überlegungen, die Bahro u.a. gemacht haben, nicht gleich in das Reich der Utopie verweist. Ich möchte an die PDS bzw. speziell auch an den Vorstand und die Programmdenker appellieren, nicht außer acht zu lassen neben dem täglichen Kleinkram, ich bin selbst davon betroffen, daß man gegen die Lobbyisten ankämpfen muß und, daß das nicht nur mit den Formen bürgerlicher Demokratie geht, sondern dort außerparlamentarisch genau so viel passieren muß. Ich sehe keine Kraft, die den heutigen gesellschaftlichen Mechanismen etwas entgegensetzt. Zudem scheint zu gelten: Ein richtiges Leben in einem falschen System ist nicht möglich. Man sollte also nicht nur über ein Bündnis für Arbeit nachdenken, daß nur ganz kleine Dinge bewirken soll, in einem kleinen Land, das auf der Welt nun wahrlich nicht die erste Geige spielen sollte.

Rudolf Bahro: Man sollte sich bei der Verteidigung von Betroffenen und der Gesamtsituation immer bewußt sein, die Leute sind von dem gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang schon enteignet durch die gesamte Anordnung der Verhältnisse. In den meisten Fällen ist das, was man früher die geistliche Ebene nannte, ausgefallen. Nicht nur, die ganzen mittelalterlichen Vorstellungen sind entfallen, sondern die ganze Sphäre ist auf einmal unbesetzt. In diesem Bezug hat, glaube ich, Marx noch einen anderen Fehler gemacht, neben dem, den ich vorhin besprach, daß er auf die erweiterte Reproduktion gesetzt hat. Er hat einem platten Atheismus das Wort geredet.

Wenn wir bei dem, was sich als Betroffenheit äußert, festsitzen, das führt über den Status quo des Ganzen mit größter Sicherheit nicht hinaus. Man macht sich in der zu unmittelbaren Vertretung von Interessen zum Sklaven des Systems. Das moderne Problem der Menschenwürde, das ist mit der Wohnung in Wirklichkeit nur äußerlich getan, auch wenn man sie erst mal braucht, das ist schon richtig.

Ich will mal einen Punkt riskieren, der vielleicht überhaupt der Schlüssel zu der Sache ist. Theoretische Aufklärung ist es wahrscheinlich nicht allein, so wichtig diese Seite ist. Es ist zum Teil auch so, diese ganze moderne Konstellation hat uns so sehr aus diesen alten Wahrnehmungs­zusammenhängen entfernt, daß nur noch der Direktverkehr zwischen unseren Sinnen, die bekanntlich täuschen können, das hat der Empirismus auch gezeigt, und unserem Verstand, diesem Vorfrontorgan und dem was wir gemacht haben, daß das allein uns prägt.

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Die Inder sagen, es gibt verschiedene Energiezentren im Körper, nur die beiden höchsten sitzen im Kopf, aber normalerweise bekommen sie ihre Aufträge aus dem Ganzen, und das ist Teil der großen Natur. Da sind wir nicht nur Homo sapiens, sondern da sind wir auch die ganze tierische Evolution, und zwar positiv. Was wir kulturell produziert haben, das ist Entfremdung, das ist, wie Marx das genannt hat, tote Arbeit, die zugleich toter Geist ist. Das heißt, der Verstand, mit dem wir hauptsächlich umgehen, der erst mal abgekoppelt ist von unserer eigenen inneren Natur, der hat diesen Direktkontakt mit dem was er gemacht hat und das kreist in sich selbst, und wir reproduzieren die Megamaschine und die sozialen Probleme. Die Betroffenen sind in diesen insgesamt verheerenden Zusammenhang gestellt. Noch ein letzter Hinweis dazu: Manche Tiere sind in der Lage, ein Erdbeben drei Tage vorher zu wissen. Ihr Gesamtapparat gibt ihnen Informationen, was die große Natur vorhat. Die alten Wahrnehmungsweisen und - techniken ganzer Völker, was die Kirchen dann verteufelt haben, da war mehr Rationales enthalten, als wir heute zugeben. Speziell die Schamanen, die hatten noch Fähigkeifen, die noch auf der Qualitätsebene dieser tierischen Kapazität lagen, die dem Menschen eigentlich auch gegeben ist und die wir uns kulturell abgewöhnt haben, ich sage mal verkürzt durch Verstädterung, durch zuviel Zivilisation. Wir haben uns mit Technik so umstellt, beschäftigen uns so sehr mit der Technosphäre, daß diese urspünglichen Dinge nicht mehr da sind.

Wir sind in einer so verteufelten Lage, daß wir uns die Aufgabe stellen müßten, mit politischen Mitteln Räume zu schaffen, in denen diese Wahrnehmungsfähigkeit wieder regeneriert werden kann. Das ist auch ein Argument zu vorhin in bezug auf die Solarenergie. Wir kommen damit nicht durch, wenn nicht wieder gefühlt wird, mit der Solarenergie, das ist schon alleine deshalb richtig, weil es die Sonne ist, die eigentlich diesen ganzen Kulturprozeß auf der Erde trägt. Anderes als Wind-, Wasser- und Pflanzenkraft, was von der Sonne her in Bewegung gehalten wird, ist überhaupt nicht tragfähig. Wir wären nicht, wenn der Menschen Straßen, Autos und Hochhäuser brauchte. Alles das braucht der Mensch zu seiner ursprünglichen Existenz nicht. Und daß er den benannten Zugang vergessen hat, das ist sein Verhängnis in der technischen Zivilisation. Es besteht die Gefahr, daß Politik und auch die gute Theorie davon absperrt und auf den verstandesmäßigen Kurzschluß der von uns geschaffenen Probleme zurücktreibt. Unsere Gesellschaft muß den Naturkontakt wiederfinden.

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Zuhörer: Er gibt zu bedenken, daß viele Dinge, die Rudolf Bahro äußert, den Bezug zu praktischen Veränderungen in der Gesellschaft zu sehr außen vor lassen, und daß damit auch die relative Erfolglosigkeit des Studium Generale für Sozialökologie zusammenhängt. (Vorlesungsreihe mit Rudolf Bahro und Gästen an der HUB) Zugleich gäbe es bei vielen Dingen Verständnisschwierigkeiten, und der Raum für geistige Veränderungen wäre nicht bereitet, und zudem wäre der Ansatz zu ideal gelagert.

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Rudolf Bahro: Es kann schon sein, daß ich bestimmte Dinge, nicht richtig rüberbringe. Diesen Kontakt, den Sie als ideal bezeichnen, den hat jedes einfache Stammesmitglied hier in den Wäldern Germaniens vor zweitausend Jahren gehabt. Dann gab es noch weise Frauen und weise Männer, die das direkt gepflegt haben, weil sie nicht so beschäftigt waren mit dem Ackerbau, der Viehzucht und dem Krieg führen.

Noch als die Weißen nach Amerika kamen, jedes der indigenen Stammesmitglieder, die gingen vier Tage alleine in den Wald, um ihren Namen und die Vision für ihr ganzes Leben zu finden. Die ganze Zeremonie dauert länger, und es ging darum, sich mit dem großen Geist und einem bestimmten Tier in Kontakt zu setzen. Was bei uns echt die Schwierigkeit ist, warum bei uns analoge Übungen nicht gemacht werden, das liegt daran, daß wir die kulturelle Kontinuität, in der solche Erfahrungen funktionieren, völlig verloren haben. Die westliche Gesellschaft hat diese mehr verloren als die arabische, und das ist der Grund, warum mich die Sufis interessieren, nicht weil ich denke, daß der Islam in Arabien so gut ist, sondern weil dort eine Tradition ist die den Kontakt mit dem großen Zusammenhang hat. Auch wenn die sich dort auf Allah beziehen, es ist nicht derselbe, den Khomeni meint. Wenn ich zu Lothar Bisky sagte, ob Politik nicht auch in dieser Richtung der Kontaktaufnahme zum großen Zusammenhang wirken solle, dann glaube ich nicht, daß das ein unerreichbares Ideal ist, weil das in der jetzigen Gesellschaft nicht so leicht ankommt.

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Zuhörer: Es wird die Überlegung geäußert, was solche geschichtlichen Bezüge nutzen. Wäre es nicht sinnvoller zu gucken, wie zum Beispiel neue Lebensformen etwa in der Hausbesetzerszene entstehen, wo eine kreative Subbewegung der jungen Generation am Wirken ist. Der kann man nicht mit den alten Geschichten kommen.

Rudolf Bahro: Von dorther haben Sie recht.

Marko Ferst: Ich möchte noch mal kurz auf den Vorredner eingehen. Für mich ist klar, ohne den politischen Zugang bleibt eine ökologische Wende Makulatur. Es wäre sehr entscheidend bei den Fragen um die Zukunftsperspektiven, ob es gelingt, einen alternativen Parteisektor zu eröffnen, statt nur diese ganze parlamentarische Schiene zu fahren. In diesem Sektor würden Fragen der Spiritualität, man muß das ja nicht so wie Rudolf Bahro angehen, man kann z.B. auch Erich Fromm als Ausgangsfeld nutzen, Fragen des Feminismus, Dritte Welt u.a. besondere Aufmerksamkeit erhalten.

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Zuhörer:    Visionen, große Entwürfe und ganz pragmatische Politik müssen eigentlich zueinander gehören. Ich habe ein stückweit die Befürchtung, wenn ich Lothar Bisky so höre, daß die PDS dem Anpassungs­motiv weit schneller erliegt als die Grünen. Sie werden also vom System überrollt und eine historische Chance wird verpaßt. Den Parteicharakter, den die PDS hat (wir vertreten die Klientel Ostdeutschlands usw.), den muß man gründlich überdenken, da ist der Bogen weiter zu spannen. Da muß man Leute stützen, die alternative Kulturzentren schaffen, die wie Bahro sagt, Schutzräume schaffen. Da sind auch größere Kontaktnetze nötig. Wenn man einfach nur Parteipolitik betreibt und hier und da die Grünen und die SPD ein wenig ausstechen will, um ein paar mehr Wählerstimmen einzutreiben, nimmt es den Verlauf, den die Grünen genommen haben, Joschka sei Dank. Diese Befürchtung habe ich, wenn ich Biskys Auftreten so sehe, ich finde ihn nicht unsympatisch, aber es bleibt bei der Politik des Machbaren. Das ist mir erheblich zu wenig, um zu sagen, in dem Verein mache ich mit.

Lothar Bisky: Jetzt muß ich die PDS tatsächlich mal verteidigen. Sie hat eine Geschichte, und jedes Mitglied hat eine Biographie, und es war unheimlich schwer herauszukommen aus diesem Zusammenhang und sich anderen Fragen zu stellen. Natürlich haben wir zu vielen Netzwerken Kontakte, aber das Problem besteht darin: Wir sollen die ökologische Partei, die feministische Partei sein usw. Alle haben zu uns eine fast erotische Beziehung, ich sage das mal so. Ich sehe keine Gefahr, daß die PDS sich anpaßt so schnell. Natürlich besteht die Gefahr für jede Partei und für jeden Politiker, das ist richtig. Und in der Frage der Klientelpolitik, da bin ich mit Rudolf Bahro wirklich anderer Meinung, wer aus der SED hervorgegangen ist oder bewußte Osterfahrungen hat, es gibt ja auch SED-Gegner, die heute in der PDS sind, wer das hat, der muß wissen, man kann Politik nie wieder so fern von den Menschen betreiben.

Rudolf Bahro: Aber ich habe mich nicht gegen Tagespolitik gewandt.

Lothar Bisky: Daß man sich in tagespolitischen Fragen nicht erschöpfen darf, das ist richtig, aber das ist nicht da in der PDS. Was allerdings da ist, es gibt unterschiedliche theoretische Ansätze, und darüber bin ich ganz froh. Ich habe kürzlich ein Buch von Oskar Negt und Alexander Kluge gelesen über die 68-er Bewegung. Das war für mich hochinteressant. Auch sie denken über Alternativen nach, von einer ganz anderen Herkunft, mit einer ganz anderen Einstellung zum Realsozialismus, als ich sie hatte. Sie fragen nach Gegenöffentlichkeit und meinen, man müsse von klein auf anfangen. In dieser Situation ist die PDS auch. -- Es gibt Zusammenhänge, warum wir keine strikte Partei sind, in denen man feministische und ökologische Ansätze immerhin probieren kann. Auch junge Leute haben ihr Feld. Für sie machen wir keine Politik mehr, sondern sie machen in der PDS ihre politischen Projekte. Deshalb sehen wir etwas bunter aus. Ich will damit kritische Bemerkungen aber nicht einfach abwimmeln. Die theoretische Arbeit in der PDS gefällt mir auch nicht auf längere Sicht. Wir haben aber nur wenige, die sich voll damit beschäftigen, und einen großen Teil von Leuten, die darüber nachdenken. Wir haben es nicht verstanden, die vielen, die kritisch reflektieren, zusammenzubringen. Ich weiß auch nicht wie.

Marko Ferst: Ich sehe das Problem der Anpassung etwas anders. Ich kann dem Gedankengang des Zuhörers gut folgen, wenn er sagt, die Realos in der PDS schaffen den Durchmarsch, der bei den Grünen stattgefunden hat, viel schneller. Das sehe ich auf jeden Fall. Es stünde eigentlich an, in der PDS so etwas aufzubauen, wie eine geistige Doppelherrschaft, daß auf der einen Seite innovative Gedanken für eine radikale Reform der PDS für einen ökologischen Kurs, was die Frage nach Visionen einschließt, stehen. Auf der anderen Seite steht, daß sich die bisherige politische Struktur in der PDS Schritt für Schritt wandelt. Ich habe nicht die Illusion, eure Generation, Lothar Bisky, wird nun zu großen Ökologen. Die „Berliner Zeitung" hat das auf folgenden Punkt gebracht, es gibt in der PDS eine friedliche Koexistenz von radikaleren Ökologen und denjenigen, die das bisherige Wirtschaftssystem, insofern es den Wohlstand sichert, erhalten wollen. Die Systemfrage bricht offenbar nicht an der Stelle auf, ob Sozialismus zur Debatte steht - ja oder nein, sondern die bricht sich vorher wohl daran, ob wir den ökologischen Ausweg hinbekommen.

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Scheitern die Parteien an der ökologischen Krise? Welche Vision stünde an? ( Podium 1996 mit Bahro, Bisky, Ferst )