Teil 1 - Lange Wege in die Krise     Start   Anmerk      Weiter 

1.1 - Die ökologische Krise - Fakten, Risiken und Folgen

Wenn wir die ökologische Krise nicht meistern, dann erübrigen sich alle
weiteren Überlegungen für das 21. Jahrhundert. (Michail Gorbatschow (3)

 

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An Mahnungen hat es nicht gefehlt. Seit den 60er Jahren erscheinen regelmäßig Veröffentlichungen zur globalen Umweltproblematik, so etwa der Bericht an den Club of Rome 1972, der Report »Global 2000« von 1980 an den damaligen Präsidenten der USA, Jimmy Carter, oder 1987 der Bericht der »Brundtlandt-Kommission« (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung).

Hinzu kamen die Umweltkonferenz von Rio de Janeiro 1992 und bisher 22 Klimakonferenzen, das Abkommen von Paris 2015 ist von den Großmächten USA, China und der EU nun ratifiziert worden. 2016 traten zudem 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in Kraft. Handeln ist offenbar nötig.

Mittlerweile, liest man eine seriöse Tageszeitung nur aufmerksam genug, kann jeder Bürger fast täglich Meldungen zur ökologischen Krise finden, ob es um den im Vordergrund stehenden Klimawandel, die Auswirkungen des zu Ende gehenden Öls, wiederholte Nahrungsmittelkrisen oder bereits auftretende soziale Unruhen und militärische Konflikte geht.

Häufig stehen die einzelnen Berichte unverbunden nebeneinander; nur selten merkt man, wie vieles zusammenhängt. Im Wesentlichen aber sind die Meldungen zur Umweltkrise bekannt, in vielen Büchern wurde die Misere ausgebreitet, so dass wir uns hier kurz fassen können. Es geht um den Klimawandel, um Treibhausgase wie vor allem das Kohlendioxid (CO2) und um knapper werdende Ressourcen, aber auch um zu viele Abfälle, insbesondere Plastikmüll. Und es geht darum, dass die Zeit, das Steuer noch herumzureißen, immer knapper wird.

   Klimawandel und Ressourcenknappheit  

Lange Jahre wurden die Warnungen vor den ökologischen Folgen der energieintensiven Lebensweise westlicher Gesellschaften kaum ernst genommen. Sie schienen nur eventuell mögliche, in jedem Fall aber weit in der Zukunft liegende Szenarien zu beschreiben, immer wieder von der lustfeindlichen Umweltbewegung an die Wand gemalt. Mittlerweile, etliche Stürme, Überschwemmungen und Dürren später, geht es nicht mehr um Ereignisse, die nur vielleicht und dann erst irgendwann eintreten könnten, sondern eher um Anpassung und Resilienz, um Vorbeugung sowie Linderung nun schon zunehmend spürbarer Veränderungen.

Erstaunlich dabei ist nur, wie gut die meisten Menschen immer noch diese verdrängen, oft sogar leugnen können. Verhaltensänderungen finden nur vereinzelt statt, die Autobahnen bleiben voll, Flugreisen nehmen weiter zu, Schulen suchen sich immer weiter entfernte Ziele für den Schüleraustausch, und Trainingslager wie Auslandsturniere von Jugendfußballmannschaften in Istanbul, Barcelona oder den USA sind nichts Ungewöhnliches mehr.

Dabei ist die Temperatur weltweit bereits um ein Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit gestiegen, der CO2-Gehalt der Atmosphäre von 280 auf heute über 400 ppm (parts per million). 800 ppm zu Ende des Jahrhunderts werden für möglich gehalten, was bei weitgehend parallelem Verlauf der Temperatur- und CO2-Kurven noch eine weitere deutliche Erwärmung verheißt. Der CO2-Ausstoß hat allein in den letzten 25 Jahren, trotz zahlreicher Klima­konferenzen, um 60 Prozent zugenommen, nur kurz unterbrochen vom Zusammenbruch der Sowjetunion und diversen Wirtschaftskrisen. Das angepeilte Zwei-Grad-Ziel rückt in weite Ferne, mit jährlichem Zuwachs der Treib­haus­gasemissionen um zwei Prozent ist die Menschheit auf dem Weg zu einer um vier Grad wärmeren Welt bis Ende des Jahrhunderts.

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2014, 2015 und 2016 haben nacheinander jeweils den Rekord des weltweit wärmsten Jahres gebrochen; 16 der 17 wärmsten Jahre liegen in diesem Jahrhundert, das 17. war 1998.(4) Gemessen an den menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten erwärmt sich die Welt langsam und schleichend, im Sinne sogenannter »Shifting Baselines«, was die Trägheit der Reaktionen darauf mit erklären mag.

Für ökologische Regelkreise aber vollzieht sich die aktuelle Veränderung in nie da gewesener Geschwindigkeit, was eine Anpassung von Meer, Pflanzen und Tieren erschwert und wesentlich mit zum gegenwärtigen sechsten großen Artensterben beiträgt. Korallenriffe erbleichen, die Meere versauern, die Pole schmelzen, die Meeresspiegel steigen, der Lebensmittelanbau wird durch Temperatur- und Wetterextreme erschwert, Dürren in Australien, Kalifornien, Afrika und anderen Weltregionen haben dies mehr als deutlich gemacht, Sturmnamen wie »Kyrill«, »Sandy« und »Kathrina« sind geläufig, Konflikte um Trinkwasser bahnen sich an. Von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis zum Jahr 2050 wird ausgegangen. Da ist das, was wir derzeit erleben, nur ein kleiner Vorgeschmack. Aber auch bei uns findet der Klimawandel statt. Die letzten Fluten an Oder, Elbe und Donau sind noch gut in Erinnerung, ebenso wie die Hitzewelle 2003 mit über 70.000 Toten in Europa.

Der Vertrag der Klimakonferenz von Paris 2015 ist ratifiziert, was neue Hoffnung verheißt. Neue Krisen, wie es sie international reichlich gibt, lenken aber schon wieder davon ab. Im Vordergrund steht zudem weiter das Streben nach höherem Bruttosozialprodukt. Gleichzeitig jedoch ist belegt, dass wirtschaftliche Entwicklung, Wachstum und Wohlstand eng mit Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen gekoppelt sind. Zu letzteren trägt, neben Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Haushalten, erheblich die industrielle Landwirtschaft bei. Allein Zuchtvieh, benötigt für den steigenden Fleischhunger weltweit, ist verantwortlich für 18 Prozent der Treibhausgase. Für den Anbau von Soja und Getreide werden daher weiter Wälder gerodet, wodurch wertvolle Kohlenstoffsenken wegfallen. Gleichzeitig taut durch die globale Erwärmung der Permafrost in Sibirien auf und setzt wiederum klimaschädliches Methan frei - ein Teufelskreis.

Der Energiehunger der Welt als weiterer Temperaturerhitzer, seinerseits gekoppelt an Wachstum und Wohlstand, wächst alleine schon durch die weiter fortschreitende Technisierung und Digitalisierung.


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Allein bis 2030 werden 30 Prozent mehr Energie benötigt.5 Internet und dafür nötige Datennetze, Rechenzentren, Server und Kühlungsanlagen verbrauchen alleine schon drei Prozent des globalen Stroms. Der Flugverkehr wiederum, verantwortlich für fünf Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes, hat allein in der EU zwischen 1990 und 2013 um 70 Prozent zugenommen, gibt das Bundesumweltministerium auf seiner Homepage an6, Tendenz weiter steigend.

Forscher hoffen daher, klimaschädliches Kohlendioxid abscheiden und als Flüssiggas in tiefen Gesteinen lagern zu können, wobei es sich hier offenbar nicht so einfach wie erhofft in Gestein umwandelt.7 Die Risiken dieser Techniken sind noch kaum erforscht, zudem müsste auf die Lagerstätten über Jahrhunderte hinweg warnend hingewiesen werden, und die Motivation zum Einsparen von Energie und damit von Treibhausgasen wird damit unterlaufen.

Oft geforderte und durchaus auch erzielte Fortschritte bei der Effizienz, seien es nun Auto- oder Flugzeugmotoren genauso wie Heizanlagen oder Batterien, werden mehr als gegenkompensiert, in unseren Breiten durch weiter zunehmenden Konsum, häufigere Flüge, längere Fahrten, steigenden Güterverkehr auf der Straße, mehr PS und schwerere Autos, aber auch stetig neu auf den Markt kommende Geräte (wer kannte schon vor 15 Jahren Navis, Smartphones, Tablets, ipads, E-Autos und E-bikes?). Der Nachholbedarf noch nicht vollständig im westlichen Modus lebender Länder kommt weltweit gesehen noch hinzu.

Gleichzeitig gehen uns die dafür nötigen fossilen Energieträger wie Öl und Gas langsam aus, auch wenn uns fatalerweise derzeit niedrige Benzinpreise dies noch nicht rückmelden. Der Peak Oil, also der Zeitpunkt der maximal möglichen Ölförderung, ist in den letzten Jahren überschritten worden. Unter Inkaufnahme zahlreicher Umweltschäden wird aus der Tiefsee, der Arktis, in Kanada aus Teersanden oder in Amerika aus Schiefer noch das letzte Öl und Gas herausgepresst, mit zunehmend hierzu nötigem Energieeinsatz, was das Verhältnis von Input zu Output schlechter werden lässt. Wurden vor sieben Jahren noch 86 Millionen Barrel Öl täglich weltweit verbraucht (1 Barrel entspricht 159 Litern), so sind es jetzt schon 92 Millionen, ein weiterer Anstieg auf 104 Millionen bis zum Jahr 2040 wird erwartet.


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Wie der Junkie an der Nadel sind insbesondere die westlichen Industrieländer weiter stark abhängig vom flüssigen, schwarzen Gold, steckt doch Öl nicht nur in Heizungen und Autotanks, sondern wird auch für Kunststoffe, Medikamente, Infusionen, Straßenbeläge und vieles andere verwendet.

Kohle wiederum ist zwar auch in Deutschland reichlich vorhanden, trübt aber die C02-Bilanz und sorgt für dicke Luft. »Peking ist unbewohnbar«, meldet die SZ 2014.8 Die Hauptstadt Chinas sei wegen Smogs für menschliches Leben nicht geeignet laut einer kurz zuvor erschienenen Studie. Daher wird nun selbst in China gegengesteuert. Jahrelang war hier fast jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gegangen.

Ein carbonfreies Zeitalter wurde jetzt auf Gipfeltreffen verkündet, doch die Umstellung auf erneuerbare Energien verläuft zu langsam, zudem sind auch hierfür begrenzte Rohstoffe nötig. Große Windparks verändern das Landschaftsbild, töten Vögel und benötigen neue Strom-trassen, all das erzeugt großen Widerstand. Selbst Naturschützer sind sich hier nicht immer einig. So trat 2012 der Dirigent Enoch zu Gutten-berg aus dem Bund Naturschutz aus, den er 37 Jahre zuvor mitgegründet hatte, weil seiner Ansicht nach zu viele Flächen für Windräder die Landschaften verunstalten. Der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell dagegen vollzog 2015 denselben Schritt mit der Kritik, dass der Umweltverband den Ausbau der Windenergie zu sehr bremsen würde.

Solarthermische Kraftwerke in Nordafrika wiederum und die dafür nötigen Vereinbarungen würden stabile politische Verhältnisse dort erfordern, die aber nicht gegeben sind. Um das dort geplante Projekt »Desertec« ist es sehr ruhig geworden, etliche ursprünglich beteiligte Firmen sind schon ausgestiegen.

In vielen Ländern erlebt daher, trotz Fukushima 2011, die Atomenergie eine Renaissance, ohne dass aber weiter etwa das Problem der Endlagerung gelöst wäre, die über Jahrtausende hinweg gesichert sein und mit Warnhinweisen über alle sprachlichen Veränderungen in dieser Zeit hinweg vermittelt werden muss. Der schädlichste Stoff im Atomabfall ist Radium, und das zerfällt zur Hälfte in 1.600 Jahren, müsste also über 10.000 Jahre lang weggesperrt werden.9 Andere Elemente wie Uran 238 haben eine Halbwertszeit von über 20.000 Jahren, Abfälle aus Druckwasserreaktoren müssen aufgrund ihrer Nuklidzusammensetzung und ihrer Aktivität über Millionen von Jahren weggesperrt werden.10


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Dass allein schon beim Uranabbau die Umwelt erheblich beschädigt wird, wird sowieso gerne ignoriert. Drei Viertel der Uranvorräte liegen unter Territorien, die von indigenen Völkern bewohnt werden. Der Abbau hat seit den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf allen Kontinenten Kulturen von Ureinwohnern zerstört. Strahlende Abraumhalden verseuchen Boden und Grundwasser, es kommt zu Haut- und Lungenkrebs, Leukämie und Missgeburten. Das Uran, das vor allem aus Kanada und Australien nach Europa geliefert wird, hinterlässt also bereits eine Spur der Zerstörung, bevor es in unseren Reaktoren Strom erzeugt und dann auf noch ungeklärte Weise endgelagert werden muss.11

Nach anderen Alternativen wird gesucht, nicht immer erfolgreich. Häuser werden gedämmt, das zumeist dafür in den letzten Jahrzehnten verwendete Styropor ist nun aber als giftig enttarnt worden und muss als Sondermüll entsorgt werden. Alternative Antriebssysteme für PKW haben sich immer noch nicht durchgesetzt. Von den angepeilten eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen sind wir weit entfernt, auch hierfür ist im Übrigen ein Mehr an Strom und Energie notwendig, was wohl mit dazu beitragen dürfte, dass auch die durchaus voranschreitende Umstellung auf erneuerbare Energien durch den Mehrverbrauch in hohem Maße gegenkompensiert wird. Zudem werden Unmengen an Batterien mit den entsprechenden Rohstoffen dafür benötigt und müssen später wieder entsorgt werden, so richtig umweltfreundlich erscheinen Elektroautos daher nicht. Sie sollen ein »weiter so, nur anders« suggerieren, das kaum haltbar bleiben dürfte.

Von Wasserstoffzellen wiederum, einst hoch angepriesen als alternativer Kraftstoff, ist weiterhin nicht viel zu hören. Biosprit hat sich durch seine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau von alleine disqualifiziert, abgesehen davon, dass die hierfür nötigen Monokulturen des Raps- und Maisanbaus die Böden auslaugen und den Treibhausgasausstoß erhöhen. In den USA landeten aber im Jahr 2011 dennoch 40 Prozent des Maisanbaus in Kraftstofftanks.

Guter Boden wird generell knapp, und damit zunehmend zum Spekulationsobjekt. Fruchtbare Ackerböden stellen insgesamt eine wertvolle, wenn auch selten beachtete Ressource dar. Weltweit gehen pro Jahr 0,3 bis 0,5 Prozent der Anbauflächen verloren, die Ursachen dafür sind komplex. Von 1950 bis 2000 hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt,


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die Getreideproduktion sich mehr als vervierfacht, und der Einsatz von Düngemitteln ist in dieser Zeit um 450 Prozent gestiegen.12 Neben intensivem Düngen mit hoher Stickstoffbelastung tragen enge Fruchtfolgen auf den Feldern, der Einsatz schwerer Geräte sowie die reichliche Verwendung von Pestiziden wesentlich dazu bei. Weitere Faktoren sind Monokulturen, etwa durch erwähnten Anbau für Biosprit und Tierfutter, und die globale Erwärmung. Auch die anhaltend hohe Flächenversiegelung für Siedlungs- und Gewerbegebiete sowie Straßen ist zu erwähnen. Allein in Bayern etwa wurden laut bayerischem Landesamt für Statistik 2013 Flächen in der Größe von 26 Fußballfeldern täglich (!) verbraucht13, eine Steigerung um 6,5 Prozent gegenüber 2012; im Jahr 2015 sind es immerhin noch 19 Felder.14

Bis zum Jahr 2100 droht zudem der Hälfte der Weltbevölkerung eine mangelhafte Versorgung mit Nahrungsmitteln durch drastische klimabedingte Ernteausfälle. Entsprechend sichern sich Nationen wie China sowie Großkonzerne durch Landgrabbing große Agrarflächen etwa in Afrika und Südamerika, aber auch in Osteuropa, die sie dann intensiv und monokulturell ausbeuten und die Produkte exportieren. Derweil verbleiben Hunger und Armut vor Ort, verstärkt auch dadurch, dass wiederum im Rahmen hoch angepriesener Freihandelsabkommen billig importierte Lebensmittel die landwirtschaftliche Tätigkeit einheimischer Bauern überflüssig machen, was den Zustrom zu städtischen Slums erhöht.

Neben den Böden stellen auch Wälder eine knapper werdende Ressource dar. Gerade sie sind wichtig für die Speicherung von Kohlendioxid und die Produktion lebenswichtigen Sauerstoffs. So sind von 1970 bis 2007 fast 700.000 Quadratkilometer des Regenwaldes am Amazonas verschwunden, was der doppelten Größe Deutschlands entspricht. Sechs Millionen Quadratkilometer waren dann noch übrig. Der Abbau geht aber nahezu ungebremst weiter. Hintergrund ist auch hier der Anbau der Exportschlager Soja, Palmöl und Ethanol.

Weitere Rohstoffe wie Erze, Kupfer und Metalle sind ebenso begrenzt, während die Nachfrage danach eher weiter steigt. Ob Kobalt etwa im Kongo durch Kinderarbeit abgebaut wird und die Löhne für die Wanderarbeiter in China kaum zum Überleben reichen, interessiert den Smartphonenutzer am Ende der Produktionskette hierzulande dann kaum.


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Die ebenso benötigten sog. »seltenen Erden« sind eigentlich durchaus häufig vorkommende Metalle, die aber jeweils nur in geringen Konzentrationen vorkommen und daher schwer zu fördern sind:

Um wenige Gramm davon zu gewinnen, müssen viele Tonnen Gestein bewegt, zermahlen und mit Chemikalien behandelt werden. Zurückbleiben giftige Seen, außerdem belasten Stäube, die radioaktive Elemente oder Schwermetalle enthalten, die Luft nahe den Abbauregionen. Doch die gesamte Hochtechnologie hängt von diesen Metallen wie Tantal, Praesodym oder Neodym ab. Kein Handy würde ohne sie funktionieren, auch nicht - Ironie des Schicksals - die meisten Windkraftanlagen, die mit starken Neodym-Magneten arbeiten.15

Nahezu jeder Erdbewohner verfügt mittlerweile über ein Handy oder Smartphone. Insbesondere in Afrika werden zunehmend Mobiltelefone verwendet. Auch kommen in unseren Breiten mindestens jährlich neue Modelle auf den Markt, billig vom jeweiligen Mobilfunkbetreiber angepriesen. Der Bedarf an Rohstoffen dafür ist also enorm, das naheliegende Recycling aber nicht so einfach. Denn abgesehen davon, dass viele Handys immer noch im Elektroschrott landen, sind hier auch nur winzige Mengen der betreffenden Metalle verarbeitet, die somit auch nur schwer wieder heraus zu bekommen sind.16

Wenig bekannt ist bisher ebenso, dass auch ganz gewöhnlicher Sand immer knapper wird, weshalb dies hier ausführlicher dargestellt werden soll. Man merkt das im Sommer am Meer, wenn im Vergleich zum Vorjahr das Wasser den Sandstrand wieder mehr weggeknabbert hat. Denn Nachschub durch Flüsse kommt immer weniger, da sie oft begradigt sind und dadurch schneller ins Meer hinaus schießen.17 Umso verzweifelter wird an vielen Stränden im Frühjahr versucht, durch Sandförderung im nahen Meer oder anderweitig mit Hunderten von Lastwagenladungen wieder ein naturidentisches Ambiente herzustellen.

Sand ist aber auch nach Luft und Wasser der am dritthäufigsten verwendete Rohstoff, verwendet in über 200 Nutzungsbereichen, für Ziegel, aber auch für Tierstreu, Solarmodule, Farben und Glas.18 Zwei Drittel aller Gebäude und Anlagen weltweit werden aus Stahlbeton gebaut, der


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wiederum zu zwei Dritteln aus Sand besteht. Für den Bau eines mittelgroßen Hauses werden 200 Tonnen davon benötigt, bei einem Krankenhaus sind es 3000 Tonnen, der Bau eines Autobahnkilometers verschlingt gar 30.000 Tonnen. Sand wird von der Natur kostenlos zur Verfügung gestellt, der Raubbau hat fatale Folgen: »Wenn man an einem Strand, in einem Flussbett oder auf dem Meeresgrund große Mengen davon abbaut, greift man in ein äußerst kompliziertes und dynamisches Ökosystem ein, in dem sich der Sand je nach Gezeiten, Wasser- und Windströmungen ablagert«, so der Geologe Michael Weiland.19 Inseln verschwinden im Meer, Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage, Tiere ihren Lebensraum.

Dafür versuchen etwa Singapur und Dubai, ihre Fläche im Meer mittels Sand zu vergrößern, um dem weiter wachsenden Bedarf für Wohnraum, Industrie und Büros gerecht zu werden. Dumm nur, dass Dubai mittlerweile der Meeressand ausgeht und weite Importe zum Beispiel aus Australien nötig werden. Der naheliegende Wüstensand nämlich eignet sich nicht, seine Körner sind durch Windverwehungen abgerundet, im Gegensatz zu den kantigeren und dadurch griffigeren Meeressandkörnern. Anderes Beispiel: Allein in Florida, wo es an rund 800 Meilen Küste Strand gibt, sind mittlerweile gut 350 Meilen künstlich mit Sand aufgeschüttet.20 Strände wie die in Venice, Sarasota und Palm Beach wären sonst längst verschwunden. Zwischen 1970 und 2013 hat demnach die amerikanische Regierung 3,7 Milliarden Dollar in 469 Strandaufschüttungen investiert.

Sand wird aufgrund der zunehmenden Knappheit auch gestohlen. So ist in Jamaika fast über Nacht ein Strandstück von 400 Metern verschwunden, in Marokko ziehen endlose Eselskarawanen zur Küste, um Nachschub zu holen.21 Der britische Geologe Michael Weiland führt weiter aus:

Die Öffentlichkeit ist sich der dramatischen Lage nicht bewusst. Die meisten Menschen, leider auch politische Entscheidungsträger, nehmen Sand nicht als bedrohte Ressource wahr, die geschützt werden muss. Weltweit haben die Bedürfnisse der Wirtschaft und insbesondere des Bausektors Vorrang. Zudem werden die zaghaften Vorschriften, die zum Schutz von Stränden und Meeresböden ergriffen werden, oft nicht umgesetzt und sind damit nutzlos. Man kann nicht an jedem Strand Polizisten aufstellen. Und noch dazu unterhält die Sand-Mafia in vielen Ländern Beziehungen zu höchsten Kreisen und kann in aller Ruhe ihren illegalen Geschäften nachgehen wie im Senegal oder in Marokko: Dort baut die Mafia rund 45 Prozent der Sandstrände ab, radikal und profitorientiert - ein ökologisches Fiasko.22

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Schließlich werden auch Konflikte um die grundlegende Ressource Wasser zunehmen, wie sich dies z. B. im Südwesten der USA bereits zeigt23 oder in der Mittelmeerregion. Die Kombination aus Klimawandel mit steigenden Temperaturen und zunehmender Wasserverdampfung, aus ungebremstem Bauboom an den Küsten und wachsendem Tourismus wirkt sich hier wie an anderen Orten verhängnisvoll aus.24 Hinzu kommen absurde Produktions- und Konsumgewohnheiten. Für den fast ganzjährigen europäischen Erdbeerhunger müssen große Flächen Spaniens bewässert werden, teilweise aus illegal gebohrten Brunnen. Ähnliches gilt für kalifornische Mandelbäume, während die Bevölkerung dort wegen jahrelanger Dürre Wasser sparen muss.25 Und welcher Konsument weiß schon, dass zur Erzeugung nur eines Glases Weins 109 Liter Wasser benötigt werden, für ein Kilogramm Hühnerfleisch 4325 Liter, für ein Kilogramm Mandeln 8047 Liter oder für ein Kilogramm Rindfleisch gar 15.500 Liter Wasser?

Trotz Versechsfachung der Wasserentnahme im 20. Jahrhundert und einem geschätzten Anteil der globalen Erwärmung an der Wasserknappheit von 20 Prozent ist bisher nicht die Gesamtmenge des Wassers das Problem. Weltweit wird Wasser extrem unterschiedlich genutzt, so werden etwa 100 Liter davon pro Person täglich in unseren Breiten verbraucht (lebensnotwendig wären zwei Liter),26 aber auch die extrem ungleiche räumliche wie jahreszeitliche Verteilung etwa durch Regenzeiten und Dürren ist zu erwähnen.27 Die sich verschärfende Konkurrenz um die verschiedenen Nutzungsarten des Wassers bedroht die Armen in der Welt ganz existenziell. Schon jetzt müssen nahezu eine Milliarde Menschen verseuchtes Wasser trinken, weitere 2,3 Milliarden leiden unter Wassermangel.28


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70 Prozent des Süßwassers werden weltweit durch Landwirtschaft verbraucht, sie allein hat seit 1960 um 60 Prozent mehr Wasser verwendet -aber auch verschwendet, etwa mit wenig effektiven Bewässerungssystemen. Durch höheren Nahrungsbedarf wird für die Entwicklungsländer bis 2025 mit 50 Prozent mehr Wassernutzung gerechnet.29 Dementsprechend werden zunehmend Wasserentsalzungsanlagen eingesetzt, die viel Energie verbrauchen und den Salzgehalt des Meeres in den Küstengebieten durch die zurückgeleitete Sole erheblich verändern - somit keine gute Lösung.30

Zu bedenken ist auch, dass nicht nur Rohstoffe, Nahrungsmittel oder auch Fischbestände knapper werden, sondern am anderen Ende der Produktionskette die Müllberge wiederum immer größer werden. Knapp 40 Millionen Tonnen an Müll produzieren deutsche Haushalte jährlich, somit fast 500 Kilogramm pro Person, Tendenz weiter steigend.31 Weltweit werden jährlich 300 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert, große Mengen davon sammeln sich insbesondere in den Ozeanen, wo sie sich über Jahrzehnte halten können. Zerbröselte Mikroteilchen können von vielen Seevogelarten nicht ausgewürgt werden, häufig lösen sie Entzündungen im Gewebe aus.32 Die Müllmenge am Meeresgrund hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt.33 Am Strand wiederum findet sich ebenso reichlich Plastikmüll, der Anteil der Plastikkörnchen am Sand beträgt an manchen Küsten Südenglands schon bis zu zehn Prozent.34

Knapp 70 Prozent des deutschen Mülls werden bereits wiederverwertet, ein Drittel somit aber nicht.35 Auch wenn daran geforscht wird, wie mehr Abfall als Ressource verwendet werden kann, etwa auch die riesigen Teppiche an Plastik in den Ozeanen, wäre Abfallvermeidung eigentlich die schlauere Lösung.

 

    Zunehmende Spannungen - drohende Rohstoffkriege  

Knapper werdende Ressourcen, dadurch steigende Preise und zunehmender Nahrungsmittelkrisen - das führt zwangsläufig zu sozialen Spannungen und Protesten. So provozierte die enorme Verteuerung für Mais in Mexiko 2006 die sogenannte »Tortilla-Krise«. Unruhen, ausgelöst durch die Lebensmittelkrise, wurden im April 2008 aus Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten berichtet.35


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In den Supermärkten der USA musste im Frühjahr 2008 Reis rationiert werden, durch Angstkäufe kam es zu Verknappungen.37 Frankreichs Fischer protestierten gegen steigende Diesel-Preise,38 und für Bedürftige verdoppelte die Regierung in Paris die Heizölhilfe von 75 auf 150 Euro.39 Stark verteuerte Nahrungsmittel gelten auch als eine der Hauptursachen für die Aufstände im arabischen Raum 2011, die zum Sturz der Regime oder zu anhaltenden Instabilitäten führten.40 2014 mahnten nun die Vereinten Nationen eine Steigerung der Lebensmittelproduktion um 60 Prozent bis zur Jahrhundertmitte an, da sonst ein »weltweiter Bürgerkrieg« die Folge sein könnte.41

Auch Transport und Landwirtschaft sind von Rohstoffknappheit betroffen. In den USA werden 64 Prozent des Güterverkehrs über Trucks abgewickelt. Kunstdünger etwa wird überwiegend aus Erdöl gewonnen, hinzu kommt Benzin für den Traktor sowie die Energie für die Transport- und Kühlkette.42 Gemeldet wurde auch, dass die rasant steigenden Ölpreise in der Türkei die Nachfrage nach Eseln in ungeahnte Höhen gejagt hatten, deren Preise hatten sich zum Teil vervierfacht.43 Befürchtet wurde, vor zehn Jahren bereits, dass ein Bezug von Benzin und Öl 20 Jahre später nur noch über Bezugsschein möglich sein werde.44 In Frankreich und auch hierzulande boomte der Fahrradverkehr, in Indien wird das veraltete Schienennetz modernisiert und weiter ausgebaut, während die Brasilianer vermehrt Alkohol in den Tank kippen, hergestellt aus Zuckerrohrschnaps.45

Wer dagegen ein Beispiel sucht für eine gelungene Umstellung der Nahrungsproduktion für das Post-Öl-Zeitalter, findet es ausgerechnet in Kuba. Als dort nach dem Ende der Sowjetunion die Öllieferungen ausblieben, kollabierte die vom Öl abhängige Landwirtschaft. Es drohte eine Hungerkatastrophe. Heute haben Tausende Ochsengespanne Traktoren ersetzt, an den landwirtschaftlichen Fakultäten wurde nach Nützlingen und Bakterien geforscht, die ölabhängige Dünger und Pestizide ersetzen, überall gibt es Stadtgärten. Inzwischen ist Kuba in der Lage, sich selbst zu versorgen, ohne Luxus, aber auch ohne Hunger. Deswegen fahren Ökologen aus aller Welt dorthin, um das Programm zu studieren.46 Nach Verbesserung der Beziehungen zu den USA dürfte hier aber verzögert nun auch ein Anstieg des Ressourcenverbrauchs nach westlichem Muster einsetzen. 


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