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  1.5  Pessimisten   Sohr-1997      1.6 Realisten    1.7 These und Fragen 

 

 

In diesem Abschnitt kommen die "zornigen alten Männer" zu Wort, die von den Autoren des Buches <Öko-Optimismus> als "Endzeit­philosophen" bezeichnet werden. In der Tat haben die hier vorgestellten Öko-Pessimisten ihre Hoffnung auf eine Verhinderung der ökologischen Katastrophe aufgegeben. Ihnen vorzu­werfen, sie würden ihr eigenes Lebensende mit dem der Menschheit verwechseln, zeugt allerdings von mangelndem Respekt.

In der Regel handelt es sich bei den Öko-Pessimisten um Philosophen, die versucht haben, ihre Erkenntnisse in die Gesellschaft einzubringen, um zu verhindern, daß ihre düsteren Prognosen Wirklichkeit werden. Angesichts der Tatsache, daß die meisten Mahner und Warner heute nicht mehr leben, scheint es umso not­wendiger zu sein, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen.

Zu diesen <Apokalyptikern> gehören u.a. Günther Anders (1956, 1980) und Hans Jonas (1979), Herbert Gruhl (1975,1992) und Rudolf Bahro (1987), sowie Hoimar von Ditfurth (1985, 1989) und in neuerer Zeit Gregory Fuller (1996).  Da Anders und Jonas im Rahmen dieser Arbeit eine besondere Rolle zukommt und sie später noch ausführlich vorgestellt werden (Kap. 6), wird auf diese Philosophen an dieser Stelle nicht eingegangen.

Nachfolgend einige kurze Anmerkungen Gruhl und Bahro. Als einzigem Nichtphilosophen wird von Ditfurth etwas mehr Raum eingeräumt, um schließlich mit Fuller einen der wenigen Vertreter aus der jüngeren Generation zu präsentieren, die sich dem Thema auf eine radikale Art und Weise nähern.

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Herbert Gruhl und Rudolf Bahro gehören beide zu den Mitbegründern der "Grünen" Partei. Gruhl war in den 70er Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages und Umweltsprecher der CDU/CSU-Fraktion, bevor er sein Mandat aufgab und die Partei wechselte. Mit der Veröffentlichung des Buches <Ein Planet wird geplündert> (1975) stand Gruhl im Widerspruch zu allen Parteien. Kurz vor seinem Tode leistete Gruhl seinen endgültigen ökologischen Offenbarungseid: <Himmelfahrt ins Nichts: Der geplünderte Planet vor dem Ende> (1992) endet in einem rabenschwarzen Pessimismus:

Längst laufen anschauliche Filme darüber, wie unsere Welt untergehen wird. Auch das ist ein Geniestreich des Menschen, der vor hundert Jahren noch nicht ausgedacht war. Nach jedem Film gehen die Zuschauer wie gewohnt schlafen und ändern nichts — so wenig wie dieses Buch etwas ändern wird. Viele ernsthafte Leute hoffen, daß es sich nur um Irrtümer handelt. Sagte nicht schon der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, daß die Welt untergehen werde unter dem Jubel der witzigen Köpfe, die da meinen werden, es sei ein Witz?   (Gruhl 1992, S. 378)

Nicht ganz so fatalistisch ist Bahro gestimmt, der mit dem Buch <Logik der Rettung: Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik> (1987) sein Opus Magnum vorgelegt hat. Es handelt sich dabei um ein "sprachgewaltiges Werk, eine Zusammenschau von sinnlicher Erfahrung, von Lektüre und Analyse, eine Anthropologie, eine Theorie der Gesellschaft und ihrer fundamentalen Veränderung" (Schnibel 1988).

Die Einschätzung von Bahro zur gegenwärtigen Situation der Gattung Mensch geht von einer Selbstausrottung des homo sapiens aus. Grundlage sei vor allem die Normalität des Industriesystems, dessen materielles Wirt­schaftsvolumen Bahro für unvereinbar mit einer ökologischen Stabilität hält. 

Im Gegensatz zu Gruhl geht Bahro theoretisch von der Möglichkeit eines dramatischen, rettenden Entwicklungssprungs aus und entwirft eine eigenwillige Staatskonstruktion, die wie eine Mischung aus Platons Staat und einer Öko-Diktatur anmutet. Dennoch scheint Bahro selbst wenig Hoffnung auf eine Realisierung seiner Ideen zu haben: "Wir haben immer noch ganz andere Sorgen, als mit der Selbstmord-Vorbereitung aufzuhören oder uns wenigstens bewußtzuhalten, womit wir alltäglich hauptbeschäftigt sind" (Bahro 1987, S.83).

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Der Psychiater und Neurologe von Ditfurth beginnt sein Buch <So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen: Es ist soweit> unter der Überschrift <Endzeit?> mit den Worten:

Es steht nicht gut um uns. Die Hoffnung, daß wir noch einmal ... davonkommen könnten, muß als kühn bezeichnet werden. Wer sich die Mühe macht, die überall schon erkennbaren Symptome der beginnenden Katastrophe zur Kenntnis zu nehmen, kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß die Chancen unseres Geschlechts, die nächsten beiden Generationen heil zu überstehen, verzweifelt klein sind. Das eigentümlichste an der Situation ist die Tatsache, daß fast niemand sie wahrhaben will. Wir werden daher ... als die Generation in die Geschichte eingehen, die sich über den Ernst der Lage hätte im klaren sein müssen, in deren Händen auch die Möglichkeit gelegen hätte, das Blatt noch in letzter Minute zu wenden, und die vor dieser Aufgabe versagt hat. Darum werden unsere Kinder die Zeitgenossen der Katastrophe sein und unsere Enkel uns verfluchen — soweit sie dazu noch alt genug werden.  (Ditfurth, 1985, S. 7)

Im Gegensatz zu den zitierten <Öko-Optimisten> hat sich von Ditfurth offensichtlich sehr ernsthafte Gedanken um kommende Generationen gemacht, wie es für einen evolutionstheoretisch ausgerichteten Natur­wissen­schaftler wohl selbstverständlich ist:

Wir haben bei unserer Geburt deshalb eine bewohnbare Erde vorgefunden, weil alle Generationen vor uns mit den <Zinsen> ausgekommen sind, die das Kapital der lebenden Natur laufend abwirft. Wir sind die erste Generation in der gesamten Geschichte, die sich daran nicht mehr hält. ... Wir haben begonnen, das Kapital selbst anzugreifen. Niemand scheint sehen zu wollen, daß wir damit die Quellen zukünftiger Produktion zerstören. Daß wir den kommenden Generationen ihre Überlebenschancen auf fundamentale Weise beschneiden. Daß wir, wie ein französischer Biologe es vor einigen Jahren ebenso drastisch wie treffend formulierte, dabei sind, unsere Enkel zu ermorden.   (von Ditfurth 1985, S. 158)

Wenige Jahre später, kurz vor seinem Tode, spitzte von Ditfurth in einer persönlichen Bilanz <Innenansichten eines Artgenossen>, 1989, seine düsteren Zukunftsprognosen noch zu: 

Schon in wenigen Jahrzehnten wird es nicht mehr um Luxus und Bequemlichkeit gehen. Dann geht es bloß noch um das nackte Überleben in einer Welt, deren lebenserhaltende Potenzen wir, den Blick unbeirrt auf Wirtschaftswachstumsraten, Exportquoten und Bundes­bank­überschüsse gerichtet, schlicht verpraßt haben.   (S.408)

Den gegenwärtigen "Tanz auf dem Vulkan" beschrieb Ditfurth mit den Worten: 

Es ist so, als hätte der Kapitän der 'Titanic' nach dem Zusammenstoß mit dem Eisberg den Befehl ausgegeben weiterzufeiern, als ob sich nichts geändert hätte — und alle, die behaupteten, daß das Schiff sinke, als Miesmacher anzuschwärzen und ihnen die Megaphone wegzunehmen.   (S.393)

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Der Vermutung der <Öko-Optimisten>, daß apokalyptische Visionen ein "Privileg" hohen Alters seien, kann ein Essay des Philosophen Gregory Fuller, der 1948 in Chicago geboren wurde, entgegengestellt werden — Titel: <Das Ende> (1996). 

Fuller vertritt die Auffassung, daß die Menschheit unaufhaltsam einer selbst­verschuldeten Katastrophe entgegen treibe und dabei die Umwelt ohne Rücksicht auf das Wohlergehen kommender Generationen in einem Maße zerstöre, das nicht mehr rückgängig zu machen sei.

Im Zentrum des Buches steht die Frage nach der psychischen Gestimmtheit im Angesicht des kollektiven Untergangs. Der Autor nimmt dabei Bezug auf Montaignes moralische Akzeptanz der Dinge. Der Untertitel — "Von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht der ökologischen Katastrophe" — verrät, daß seine Reaktion eher positiv ausfällt. So gesehen könnte Fuller auch zu den Öko-Optimisten gerechnet werden. Allerdings ist die Diagnose von Fuller in ihrer Radikalität noch pessimistischer als alle anderen zuvor referierten Ansätze.

Während von Ditfurth (1985, S.367) sein <Apfelbäumchen> mit dem Satz "Es ist soweit" beschließt, beginnen die Ausführungen bei Fuller mit dem Satz "Es ist zu spät" (1996, S.23), sie enden mit den Worten "Es ist bereits aller Tage Abend" (S.126).

Auf den gut einhundert Seiten dazwischen wird die ökologische Katastrophe als unabwendbar erklärt: "Man weiß nur nicht, wann es soweit sein wird. Zyniker schlössen Wetten ab, wäre ihnen nicht klar, daß niemand da sein wird, den Gewinn einzukassieren. Die ökologische Lage ist nicht ernst. Sie ist verzweifelt" (S.86).

Für Fuller neigt sich der "Tanz auf dem Vulkan" bereits dem Ende zu: "Jedes Individuum muß von neuem lernen, den Tod zu akzeptieren, damit es Friede finde vor dem Abgang. Beim Gattungstod verhält es sich nicht anders, nur daß der Lernprozeß ein kollektiver ist. Wir haben die Verhältnisse zum Tanzen gebracht, und nun ist ausgetanzt. (...) Es naht die Stunde des Abschieds" (S.95). 

Fuller empfiehlt, diesen Tanz mit mit dem <Prinzip Akzeptanz>, einer "Art Ataraxie der Postmoderne" ausklingen zu lassen (S.97), denn "ganz gleich, was wir tun, es eilt nicht mehr" (Fuller 1996, S.111).

 

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1.6  Die Realisten    ^^^^ 

Was ist real? Wenn es eine "ökologisch realistische Tagesschau" gäbe, müßte der Sprecher nach Ansicht des TV-Journalisten Franz Alt Abend für Abend sagen: "Auch heute starben 100 bis 200 Tier- und Pflanzenarten aus, verschwanden 55.000 Hektar Tropenwald, dehnten sich die Wüsten um 20.000 Hektar aus, bliesen wir weltweit 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft" (Bölsche 1995, S.13). Die Antwort auf die Frage, warum es eine solche Sendung nicht gibt, liegt nach Auffassung des postmodernen Philosophen Peter Sloterdijk in der katastrophischen Gegenwart selbst begründet:

Die Apokalypse macht heute von selber auf sich aufmerksam wie die Leuchtschriften am Broadway. Mit trockener Professionalität erstellt sie ihren eigenen Ankündigungstext. (...) Das aktuelle Alternativbewußtsein zeichnet sich durch etwas aus, was man als pragmatisches Verhältnis zur Katastrophe bezeichnen könnte. Das Katastrophische ist eine Kategorie geworden, die nicht mehr zur Vision, sondern zur Wahrnehmung gehört. Heute kann jeder Prophet sein, der die Nerven hat, bis drei zu zählen. Ohnedies bedarf die Katastrophe weniger der Ankündigung als der Mitschrift, sie hat sprachlich ihren Platz nicht in apokalyptischen Verheißungen, sondern in den Tagesnachrichten und Ausschußprotokollen.  (Sloterdijk 1992, S.181)

Wissenschaftliche Einrichtungen überall auf der Welt sind heutzutage damit beschäftigt, diesen "Wahnsinn der Normalität" (Gruen 1989) zu dokumentieren. Von ihnen soll in diesem Abschnitt kurz die Rede sein. 

Es handelt sich dabei um Institutionen, denen die einseitige Verbreitung von Optimismus oder Pessimismus kaum zu unterstellen ist. Zu ihnen gehören international u.a. der "Club of Rome" oder das "Worldwatch Institute" und in Deutschland z.B. das Wuppertaler "Institut für Klima, Energie und Umwelt" sowie das Berliner "Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung". 

Rolf Kreibich, Leiter der letztgenannten Institution faßt den gegenwärtigen Forschungsstand wie folgt zusammen:

So gut wie alle Institute der internationalen Zukunftsforschung gehen davon aus, daß die Welt mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 90 Prozent im nächsten Jahrhundert in die Katastrophe treibt, wenn wir mit unserer Produktions- und Konsumptionsweise weitermachen wie bisher. Dann ist spätestens Mitte bis Ende des nächsten Jahrhunderts die Tragekapazität der Erde erschöpft. Die Schäden werden so irreversibel, daß es uns Menschen nicht mehr möglich sein wird, auf der Erde zu leben.  (Kreibich 1996, S.17)

Typisch für diese Art der Gegenwartsanalyse sind Aussagen in "wenn-dann"-Formulierungen. Die Katastrophe wird dabei weder negiert, noch als unaus­weichlich hingenommen. Die weltweit wohl bekannteste Einrichtung in diesem Zusammenhang ist der "Club of Rome". Die im Jahre 1969 gegründete Gruppe unabhängiger Denker setzt sich zur Zeit aus einhundert Mitgliedern aus 53 Ländern zusammen, die eine Vielfalt von Kulturen, Berufen, Ideologien und Wissenschaftszweigen repräsentieren und die durch die gemeinsame Sorge um die Zukunft der Menschheit miteinander verbunden sind. 

Die erste Veröffentlichung — "Die Grenzen des Wachstums" — erschien 1972 als Bericht an den Club. Die in Auftrag gegebene Studie wurde durch ein internationales Forschungsteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstellt. Es handelte sich um den bis dahin einmaligen Versuch, die Wechselwirkungen einer Reihe quantifizierbarer Elemente der Weltproblematik darzustellen.

Der erste Bericht des Club of Rome löste erstmals eine große, globale Debatte über Wachstum und Gesellschaft aus. Der Bericht erreichte eine Auflage von rund zehn Millionen Exemplaren, wurde in über 30 Sprachen übersetzt und hatte ein beachtliches politisches Aufsehen. 

Die Studie begann mit einigen einführenden Worten des damaligen UNO-Generalsekretärs U Thant:

Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen, um das Wettrüsten zu stoppen, den menschlichen Lebensraum zu verbessern, die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten und den notwendigen Impuls zur Entwicklung zu geben. Wenn eine solch weltweite Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, daß ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt."  (Meadows et al. 1973, S.11)

Alle in diesem Forschungsbericht durchgerechneten Szenarien enden in einer Katastrophe. Im Mai 1977 forderte der damalige US-Präsident Jimmy Carter den amerikanischen Kongreß auf, die voraussichtlichen Entwicklungen der Umwelt auf der Erde bis Ende des Jahrtausends zu untersuchen und über das Ergebnis als Grundlage einer langfristigen Planung zu berichten. Auf Wunsch des Präsidenten machten sich Tausende von Wissenschaftlern amerikanischer Universitäten und staatlicher Forschungseinrichtungen ans Werk.

Drei Jahre später, im Jahre 1980, legten sie das Resultat ihrer Anstrengungen vor — Titel: <Global 2000. Der Bericht an den Präsidenten>. Das Autorenteam faßte den über tausendseitigen Report wie folgt zusammen: 

Die Schlußfolgerungen, zu denen wir gelangt sind, sind beunruhigend. Sie deuten für die Zeit bis zum Jahre 2000 auf ein Potential globaler Probleme von alarmierendem Ausmaß. Der Druck auf Umwelt und Ressourcen sowie der Bevölkerungsdruck verstärken sich und werden die Qualität menschlichen Lebens auf diesem Planeten zunehmend beeinflussen.

Angesichts der Dringlichkeit und des Ausmaßes der Gefahren sei eine globale Zusammenarbeit notwendig, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben habe, da die zur rechtzeitigen Abwehr der ermittelten Gefahren notwendigen Veränderungen die Möglichkeiten jeder einzelnen Nation übersteigen. Was geschah mit diesem Bericht? Der Präsident — inzwischen hieß er Ronald Reagan — nahm die Antwort auf die Frage, die sein Amtsvorgänger gestellt hatte, nicht zur Kenntnis. Er ließ sie im Archiv begraben.

Im Jahre 1992, also wiederum etwa zehn Jahre später, meldeten sich erneut zahlreiche Wissenschaftler zu Wort, wie die Nachrichtenagentur AP meldete:

Nur noch wenig Zeit verbleibe den Menschen nach Ansicht von 1575 Wissenschaftlern, darunter 99 Nobel­preisträgern, den gegenwärtigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde zu stoppen und ein langfristiges Überleben zu sichern. (...) Erfolge nicht weltweit eine Umkehr im Umgang mit der Natur, drohe ein düsteres Szenario aus Verteilungskriegen und Massenwanderungen, von Elend und Verheerung. Als dringendste Probleme wurden unter anderem genannt: Überbevölkerung, Zerstörung der Ozonschicht, Luftverschmutzung, Verschwendung von Trinkwasser, Giftmüllbelastung der Weltmeere und Rodung der Urwälder.  (Der Tagesspiegel, 18.11.1992)

Seit den ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Zustand der Erde ist nun ein Vierteljahrhundert vergangen — und wir leben noch immer, möchte man meinen. Der amtierende Präsident des Club of Rome bilanziert die gegenwärtige Lage der Menschheit wie folgt: "Vielleicht mit Ausnahme der atomaren Bedrohung sind die Gefahren, welche die Menschheit bedrohen, heute vermutlich größer und näher gerückt als 1972" (Diez-Hochleitner 1991, S.8).

Wie beurteilen die Autoren von damals die Situation von heute? Die Hochrechnungen der Systemanalyse auf der Basis aktueller Daten und modernster Technik werden als Bestätigung der früheren Prophezeiungen interpretiert: "Die Menschheit hat ihre Grenzen überzogen; unsere gegenwärtige Art zu handeln läßt sich nicht mehr lange durchhalten" (Meadows 1993, S.12).

Wenig später heißt es jedoch etwas hoffnungsvoller: "Eine dauerhaft existenzfähige Gesellschaft ist technisch und wirtschaftlich noch immer möglich. (...) Dazu ist mehr erforderlich als nur Produktivität und Technologie; gefragt sind Reife, partnerschaftliches Teilen und Weisheit" (1993, S.13). Abschließend ruft das Forschungsteam die Menschheit nach der agrarischen und industriellen zu einer dritten großen Revolution in ihrer Geschichte auf: zur "Umwelt-Revolution" (1993, S.278). 

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1.7  Ausgangsthese und Forschungsfragen      ^^^^ 

 

Rekapitulieren wir den bisherigen Gang der Überlegungen: Ausgehend von der Beobachtung, daß Kinder heutzutage Fragen stellen, die von existentieller Bedeutung für das Überleben der Menschheit sind, wurde dafür plädiert, Kinder ernst zu nehmen. Es wurde die Auffassung vertreten, daß angesichts einer weltgesellschaftlichen Entwicklung, die suizidale Züge trägt, die sensible Wahrnehmung von Kindern und Jugendlichen eine wertvolle seismographische Funktion für die Gesellschaft haben kann.

Das gegenwärtige nationale "Umweltbewußtsein" wurde - beispielhaft am Fall "Brent Spar" - einer kritischen Reflexion unterzogen. Weiterhin wurde mit Wiedrich (1996) angenommen, daß zwischen "Umweltbewußtsein haben" und "umweltbewußt sein" ein entscheidender Unterschied besteht. Ein Rückblick auf die Geschichte der Ökologiebewegung rief die rasante Entwicklung dieser sozialen Bewegung, deren grundlegendes Charakter­istikum in einer fortschrittskritischen Haltung gesehen werden kann, insbesondere seit den 70er Jahren dieses Jahrhunderts in Erinnerung. Der gegenwärtige Zustand der Bewegung scheint durch eine gewisse Stagnation gekennzeichnet zu sein. Ursachen hierfür sind sowohl im mittlerweile allgemein hohen Professionalisierungsgrad der entsprechenden Organisationen als auch im Einzug des ökologischen Gedankenguts in die Parlamente zu suchen. Die führte zu der Frage, ob die Umweltbewegung in der Gesellschaft überhaupt noch gebraucht wird.

Der Status Quo des gesellschaftlichen Umgangs mit der Umweltzerstörung wurde mit Hilfe von drei Strömungen beschrieben: Die sog. Öko-Optimisten gehen dabei generell von einem positiven Ausgang der ökologischen Krise aus, sofern sie überhaupt als solche wahrgenommen wird. Demgegenüber nehmen die sog. Öko-Pessimisten eine fatalistische Haltung ein, nach der sich die Menschheit bereits jenseits eines "point of no return" befindet, so daß alle potentiell einzuleitenden Rettungsmaßnahmen an der Tatsache einer Katastrophe letztlich nichts mehr verändern können.

Schließlich konnte eine dritte Gruppe von "Öko-Realisten" ausgemacht werden. Sie beschönigen den Zustand der Erde nicht, sondern weisen auf wissenschaftliche Warnungen in Form von "wenn-dann"-Aussagen hin. Mit Hilfe dieser Formulierungen bleibt der Ausgang der ökologischen Krise offen.

Die Ausgangsthese dieser Arbeit sieht sich in der Tradition der dritten Gruppe zuhause. Die These lautet (vgl. Abb. 3): "Ohne die Ausbildung eines individuellen und kollektiven ökologischen Gewissens wird die ökologische Krise in eine ökologische Katastrophe münden". 

Positiv formuliert liegt in dieser These die Hoffnung verborgen, daß mit einer Mobilisierung des individuellen und kollektiven ökologischen Gewissens die Chance besteht, eine dauerhaft lebenswerte Zukunft zu erhalten. 

Hinzuweisen ist, daß die These keine Wahrscheinlichkeitsaussage enthält. Sie geht jedoch davon aus, daß es keine deterministische Antwort auf die Frage des Ausgangs der ökologischen Krise gibt. Diese Annahme hat die nicht unerhebliche Konsequenz, daß, solange theoretisch noch eine Möglichkeit zur Verhinderung der Katastrophe besteht, ein ökologisches Gewissen wirksam werden kann. 

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( Gekürzt von detopia-2012 )

 

 

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Sohr 1997