Wolfgang
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wikipedia Autor *1944 bei
dnb.Person (72+8) dnb.Nummer (79) detopia: |
Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung
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Drama-2003, 200 Seiten, DNB.Buch Audio am 18.04.2011 im Deutschlandfunk 2011 deutschlandfunk.de/haltet-euch-an-euch-selber-fest-100.html letztes Interview Wolfgang Bergmann im Gespräch mit Jürgen Liminski am 18.04.2011 im DLF Der Bestseller-Autor Wolfgang Bergmann gehört zu den bekanntesten Pädagogen und Psychologen Deutschlands. Einen Namen gemacht hat er sich zunächst als Fachmann für ADS-Kinder. Wolfgang Bergmann hat sich auch im Deutschlandfunk gerne und oft zu Wort gemeldet, er kam dafür immer ins Studio. Seit einiger Zeit ist er schwer krank, ins Studio kann er nicht mehr kommen, er liegt jetzt in einem Hospiz, hat sich aber bereit erklärt, für diesen Sender in der Osterwoche noch ein Telefoninterview zu führen über sein Lebenswerk. Herr Bergmann, zunächst eine persönliche Frage, die Sie mir im Vorgespräch auch erlaubt hatten. Wie hoch schätzen die Ärzte Ihre Lebenserwartung noch ein?
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Sie wollen Spuren hinterlassen. Wenn Sie zurückblicken, was war oder was halten Sie für Ihr wichtigstes Buch?
Wo läuft denn die familienpolitische oder auch erziehungswissenschaftliche Debatte in Deutschland sonst noch schief?
Liminski: Herr Bergmann, sind das nicht Debatten von immer? Schon Jean Jacques Rousseau hat in seinem pädagogischen Roman "Emil" geschrieben, wir sollten doch endlich aufhören, einen Menschen machen zu wollen, fabrizieren zu wollen, und sollten die Kinder lieber das sein lassen, was sie sind, nämlich kleine Menschen. Gehen die Deutschen, wenn man es mal so verallgemeinern will, zu akademisch und mit Rezepten bewaffnet in die Erziehung?
Liminski: Wo würden Sie denn gerne noch einmal eingreifen, konkret mit Wort und Feder, wenn Sie könnten?
Liminski: Was wäre denn die Botschaft, sozusagen das Vermächtnis, das Sie sich für Ihr Lebenswerk wünschen?
Liminski: Und da Sie von der Disziplin gesprochen haben, was ist denn das Gegenmittel zur Disziplin?
Liminski: Gehört dazu nicht auch ein liebevoller Umgang?
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Notierungen über die Begrenztheit des Lebens - 2011 - Von Detlef Rüsch (Landshut, Bayern)
Ein philosophisches, spirituelles und nachdenklich stimmendes kleines Buch hat uns der im Frühjahr 2011 verstorbene Wolfgang Bergmann, der bekannte Kinderpsychologe und Erziehungswissenschaftler, hinterlassen. Seine Notizen sprechen eine unverblümte Sprache und geben einen vielfältigen Gefühls- und Gedankenreigen wieder. Mal steht die Müdigkeit, die Trauer und Resignation im Vordergrund, dann aber wieder eher die Klarheit, das Vertrauen und der Wunsch, schmerzarm das Ende des Lebens zu erleben.
Seine in 23 (!) Abschnitte abgedruckten Texte erzählen kaum vom vergangenen Leben, mehr vom Hier und Jetzt, von dem kurzen Zeitfenster, was ihm noch geblieben ist, ohne zu wissen, wann es sich tatsächlich schließt und wieviel Kraft und Klarheit ihm noch zum Schreiben bleibt.
Wolfgang Bergmann blieb gerade mal ein Jahr zwischen der Diagnose Knochenkrebs und seinem Tod. Schon bald nach dem Befund hat er sich auf die Palliativstation begeben und hier begonnen, seine Gedanken niederzuschreiben.
Er setzt sich hierbei mit dem Tod, der Endlichkeit, der Angst und dem Zweifel auseinander. Manches Mal flammen Erinnerungen auf, meist aber lebt er eher in der Gegenwart und schreibt: "...ich werde ja ganz ins Todesgewisse hineingleiten, wo ich keinen Halt mehr finde, sondern jene allerletzte Gewissheit, die mich jetzt schon übermäßig füllt und auseinanderzerrt. Wohin also?" (S. 55)
Die Zeilen trösten, machen traurig, nachdenklich und zugleich ermutigen sie und lassen einen wieder Fragen stellen, die in dem schnelllebigen Alltag so rasch auf Seite gedrängt sind. Das Maß und die Dichte der Zeilen von Wolfgang Bergmann erfordern immer wieder Einhalt, Innehalten, Pause, um die Gedankengänge mit den eigenen abzustimmen. Hierfür sind die Zwischenzeichnungen, die Tuschezeichnungen von Oliver Weiss ausgesprochen hilfreich. Abstrakt gehalten, an chinesische Schriftzeichen erinnernd, wecken sie Bilder und tragen so dazu bei, die Thematik "Sterben und Tod" mit dem Leben zu verknüpfen.
Der über zehnseitige Abschlussteil "In memoriam" von Annelie Keil führt die Leserschaft einmal mehr in die Welt der Palliativstationen, in die Gedanken- und Gefühlswelt sterbender Menschen ein. Sie ist Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin und hat sich intensiv mit dem begleiteten Sterben von Palliativ Care befasst. Ihre Ausführungen sind von hoher Würde und Wertschätzung geprägt, wenn sie zum Beispiel niederschreibt:
"Was bleibt, ist das Bedürfnis, nicht ungesehen und verlassen zu sterben und der Wunsch nach Liebe und Geborgenheit... Nur zusammen können wir erfahren, was verloren geht und was bleibt, wenn ein einzigartiger Mensch diese Welt verlässt... Die Liebe zum Leben braucht die Tränen des Abschieds." (S. 77)
Ein ausgesprochen ehrliches, leises Buch, dessen Lektüre einen nicht unberührt lässt. Die aufwendige Leinenumschlagsgestaltung wird dem Anspruch eines wertschätzenden Umgangs einmal mehr gerecht. Bei allen Alltagssorgen ein fortwährender Hinweis darauf zu fragen: Was bleibt?
aus wikipedia-2023
Wolfgang Bergmann (* 21. Oktober 1944 in Lemgo; † 18. Mai 2011 in Hannover)[1] war ein deutscher Pädagoge, Familientherapeut, Journalist und Medienmanager.
Bergmann musste ein Jahr vor dem Abitur das Gymnasium verlassen, machte ein Volontariat bei der Freien Presse, Bielefeld, und danach das Abitur. Ein Studium der Erziehungswissenschaften in Berlin schloss er an. Als Mitbegründer einer freien Kindertagesstätte und Vater setzte er das Gelernte in Praxis um. Beruflich machte er zunächst Karriere im Medien- und Verlagssektor, war Chefredakteur der Deutschen Lehrer Zeitung und Mitherausgeber der Buchreihe „Tumult“ sowie Manager im Bertelsmann-Konzern und im Pädagogik-Fachverlag Beltz & Gelberg.Wolfgang Bergmann war Diplom-Pädagoge und Leiter einer Praxis für Kinder- und Jugendtherapie, des Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover, welche er 1995 nach einer familientherapeutischen Zusatzausbildung eröffnete. Im Jahr 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Instituts eröffnet.
Bergmann gehörte zum Kreis der Kinder- und Familien-Wissenschaftler und Praktiker in Deutschland. Er war Mitglied des internationalen Expertenbeirats für das Projekt Art & Sciences des Wissenschaftszentrums Wien, einem Verein, der sich im Rahmen der Prüfung durch das Kontrollamt der Stadt Wien im Jahr 2007 freiwillig auflöste.
Das Leben in einer von Medien geprägten Welt und der Wandel der Familienstrukturen sowie ein reformpädagogischer Begriff von Disziplin und Autorität gehörten zu seinen Hauptthemen. Er besetzte in der öffentlichen Debatte eine Gegenposition zu Michael Winterhoff und Bernhard Bueb, die mit ihren Büchern seinem Verständnis nach die Forderung nach mehr Disziplinierung und Gehorsam erheben. Im Umgang mit den „neuen Kindern“ setzte der Autor auf Gelassenheit, Ordnung und das, was er „gute Autorität“ nannte.
Bergmann war Vater dreier Kinder und lebte von seiner Ehefrau getrennt. 2010 wurde bei ihm ein unheilbarer Knochenkrebs diagnostiziert.[8][9] Im September 2010 gründete Wolfgang Bergmann die Stiftungsinitiative „Für Kinder“, heute Stiftung Zu-Wendung für Kinder.[10] Sein Wunsch war, dass nach seinem Ableben seine Arbeiten weitergetragen und umgesetzt werden. Wolfgang Bergmann erlag in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 2011 seinem Krebsleiden.
Schriften
2011 Lasst eure Kinder in Ruhe!: Gegen den Förderwahn in der Erziehung. Kösel-2011.
2010 Halt mich fest, dann werd ich stark: Wie Kinder fühlen und lernen. Pattloch, Augsburg 2010
2010 Geheimnisvoll wie der Himmel sind die Kinder – Was Eltern von Jesus lernen können. Kösel-2010.
2009 Warum unsere Kinder ein Glück sind: So gelingt Erziehung heute. Beltz-2009.
2008 Computersüchtig: Kinder im Sog der modernen Medien. Beltz, Weinheim 2008. (mit Gerald Hüther)
2008 Kleine Jungs – große Not: Wie wir ihnen Halt geben. Beltz, Weinheim 2008.
2008 Gute Autorität: Grundsätze einer zeitgemäßen Erziehung. Beltz, Weinheim 2008.
2007 Disziplin ohne Angst: Wie wir den Respekt unserer Kinder gewinnen und ihr Vertrauen nicht verlieren. Beltz-2007.
2006 Die Kunst der Elternliebe. Beltz, Weinheim 2006.
2006 Das Drama des modernen Kindes: Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung. Beltz, Weinheim 2006.
Weblinks
Der Rebell als Ordnungshüter. Interview in: Die Zeit, 16. April 2003, abgerufen am 20. April 2011.
„Wir haben die falschen Lehrer.“ Interview über Schulpolitik nach dem Amoklauf von Emsdetten in: Die Zeit, 23. November 2006, abgerufen am 20. April 2011.
Sie wollen bezwungen werden. Essay in: Die Welt, 29. Januar 2008, abgerufen am 20. April 2011.
Einzelnachweise
Traueranzeige in Neue Presse vom 21. Mai 2011. Abgerufen am 21. Mai 2011.
Interview. Bayerischer Rundfunk, 29. Februar 2008 (PDF-Datei; 51 kB).
Tabellarische Kurzbiographie (Memento vom 18. Juni 2009 im Internet Archive), Bayerischer Rundfunk, vom 29. Februar 2008.
Prüfungsbericht Kontrollamt der Stadt Wien, 2007 (PDF-Datei; 91 kB).
Gehorsam macht dumm. Bergmann gegen Michael Winterhoff in: Frankfurter Rundschau, 7. Juli 2008, abgerufen am 20. April 2011
Zur Hölle mit der Disziplin. (Memento vom 23. Februar 2009 im Internet Archive) Interview mit Wolfgang Bergmann, Süddeutsche Zeitung, 20. Februar 2009, abgerufen am 20. April 2011.
„Wohlfühl-Kuschel-Pädagogik geht Jungs gewaltig auf die Nerven.“ Interview mit Wolfgang Bergmann, Der Spiegel, 5. April 2008, abgerufen am 20. April 2011.
Pädagoge Wolfgang Bergmann spricht über seine Krebserkrankung. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 28. August 2010, abgerufen am 20. April 2011
Ich sterbe, also bin ich. Essay von Wolfgang Bergmann, Die Welt, 23. Juli 2010, abgerufen am 20. April 2011.
https://www.fuerkinder.org
Nachrufartikel in: Hannoversche Allgemeine online, 20. Mai 2011. Abgerufen am 21. Mai 2011.
Erziehungsratgeber haben Konjunktur
Immer mehr Eltern mangelt es an eigenem pädagogischen Instinkt
Ellen Kositza, 31, hat als Lehrerin gearbeitet und ist Mutter von fünf Kindern.
jungefreiheit.de, Mai 2005
Es ist eine Beigabe unseres Zeitalters des grenzenlosen Individualismus, des kunterbunten Meinungsmarktes, daß Kindererziehung — ebensowenig wie das Zeugen und Gebären an sich — längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist.
Die "Supernanny" fährt für RTL grandiose Einschaltquoten ein, Erziehungsratgeber wie die in dutzendfacher Titelvielfalt ("Kinder brauchen Grenzen" / "Eltern setzen Grenzen" / "Ängste machen Kinder stark") herausgegebenen, vielfach übersetzten Bücher des populären "Kommunikationsberaters" Jan-Uwe Rogge sind Bestseller, an denen die Autoren reich geworden sind. Viel mehr als die Gewißheit, mit den einschlägigen Sorgen und Nöten rund um den Nachwuchs nicht allein zu sein, bieten derartige Werke allerdings selten.
Wie groß der Mangel sowohl an tradiertem Erziehungsverständnis als auch an eigenem pädagogischen Instinkt sein muß, zeigt, daß ein Buch wie "Kindern Werte geben — aber wie?" vom herausgebenden Reinhardt-Verlag als marktfähig eingestuft wird. Gerda Pighins "Leitfaden für eine moderne Werteerziehung" erschöpft sich in oberflächlichen, ja trivialsten Tips, daß es spielend das Niveau jeder noch so banalen Elternzeitschrift unterläuft.
Daß heutige Eltern ihrem Nachwuchs auch die althergebrachten "Sekundärtugenden" wie Höflichkeit, Fleiß und Sparsamkeit "mitgeben" wollen, zählt ebenso zu Frau Pighins Grundannahmen wie die unwiderlegte Gewißheit, daß deren Töchter und Söhne die Rede der Altvorderen für "uncool und altmodisch" halten. Eine demokratische Familienatmosphäre, im Rahmen deren Groß und Klein zusammensitzen und gemeinsam über ihre Probleme reden, so der Ratschlag der Autorin, könnte hier weiterhelfen, denn: "Rücksichtnahme macht Sinn".
Anhand gängiger Fallbeispiele präsentiert Pighin handliche Lösungen. So wäre demnach etwa dem kleinen Sandkasten-Rowdy zu begegnen: "Findest du das okay, wenn du den Manuel immer schubst? Ich gehe davon aus, daß das jetzt aufhört!" Dem eiligen Leser werden durch ein neckisches Strichmännlein knappe Erziehungshilfen in grau unterlegten Kästchen dargeboten, etwa: "Sich entschuldigen zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches und friedfertiges Miteinander." Oder: "Fühlt sich ein Baby in der Krabbelgruppe nicht wohl, kann man es getrost herausnehmen und noch einige Zeit warten."
Was kann denn die Punkerin für ihr Aussehen?
Nicht ganz so harm- und sinnlos, doch inhaltlich um so fragwürdiger stellt sich Karl E. Dambachs schmales Praxisbuch "Zivilcourage lernen in der Schule" dar, das der Reinhardt-Verlag nun in gleicher Reihe ("Kinder sind Kinder") veröffentlicht hat. Mobbing und Bullying - eine Übersetzung oder Unterscheidung der Phänomene bleibt der Autor schuldig — seien in Schulklassen alltäglich. Intolerantem Verhalten will der Lehrer und Seminarleiter Dambach durch Übungen begegnen, in denen Schüler "Gefühle ausdrücken und wahrnehmen" lernen, etwa durch sogenannte "Life-Skills-Programme" und Talkshow-Imitationen.
Auch wird die Erstellung eines "Fotoromans" (in Anlehnung an ähnliche Formate in Jugendzeitschriften wie der Bravo) als beispielhaft vorgeführt: Punkermädchen Karin beginnt ein Gespräch mit der Blondine Nora, letztere bietet zum Schein ein Bonbon an und läßt es demonstrativ zu Boden fallen. Diskussionsangebot an die Klasse: Was kann denn die ausgegrenzte Punkerin für ihr Aussehen?
Auch die anderen Arbeitsvorschläge sind vielsagend: Max von der Grüns Text "Der Fremde" lesen und ausdiskutieren, anhand eines Zeitungsartikels über eine fragwürdige Brüskierung Paul Spiegels "eingreifen lernen". Was auch immer der Leser von den hier zugrundegelegten Annahmen einer Mehrheits- und Minderheitsmeinung halten mag: Hier dominiert die vordergründige Symptomkur, wo eine ganzheitliche Betrachtung von jugendlicher Aggression und Gruppenzwang wünschenswert wäre.
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Vorbildlich wird eine solche präsentiert durch das Buch mit dem leider etwas albernen Titel "Kleine Jungs — große Not" des Kinder- und Familienpsychologen Wolfgang Bergmann. Instant-Tips für die gebrauchsfertige Anwendung sucht man hier vergeblich, ohne jedoch mit der unbefriedigenden Pauschalberuhigung einer rein entwicklungsbedingten und vorübergehenden Phase abgefunden zu werden. Nein, Bergmanns Diagnosen sind zutiefst beunruhigend. Er kennt die kleinen Schläger, die Zappelphilipps und die Computerkinder. Zugrunde liege diesen durchaus gängigen Verhaltensweisen eine "Egozentrik ohne Ego", die bis in die späte Jugend (und womöglich ins Mannesalter hinein) "infantile Allmachtsbilder gegen die Zumutungen der Realität" zu verteidigen suche.
Nachdrücklich skizziert der Autor die durch Mangel geprägten Lebenswelten, die nicht nur auffällig gewordene Störenfriede umgeben, sondern zum Paradigma einer ganzen Generation geworden sind. Da ist zum einen die moderne Familie, die häufig als "unzuverlässige Befindlichkeitsgemeinschaft" erlebt wird und oft nicht mehr als eine "bindungslose Verwöhnung" zu liefern imstande ist. Die heutige Familie erlebt der Psychologe als "hochgradig gefährdet": Durch das Fehlen einer verbindenden und verbindlichen ökonomischen Basis sei sie zu einem "sentimentalen Gefühlsrelikt" verkommen.
Auch die Kindererziehung an sich kennzeichnet heute nicht mehr die Fortsetzung elterlicher Gewohnheiten, sondern meist einen Bruch mit denselben. Familiäre Bindungen sind heute spielend zu unterlaufen, dazu paßt die Ersetzung des für Bergmann immanent wichtigen Begriffs "Bindung" durch die "Beziehung", einen mechanistischen terminus technicus aus der Handelssprache. Die Einebnung der Geschlechtsunterschiede und die damit einhergehenden Schwundstufen von Väter- und Mütterlichkeit tun dazu ein übriges.
"Weich und widerstandslos" verläuft häufig zusätzlich zur familiären auch die außerfamiliäre Sozialisation, gerade die schulische: "Es gibt keine Könige in den deutschen Schulen, sondern lauter Diener", hält Bergmann mit Blick auf das Gros der Lehrerschaft fest; Diener, die sich "vor der anonymen Moral und den ministeriellen Lehrplänen" ducken. Bergmann nennt diesen Zustand ein "entpersonalisiertes Desaster": Das kalte Zauberwort der "pädagogischen Maßnahme", aus dem wohlwollenden Milieu der siebziger Jahre entsprungen, sei dabei nicht in der Lage, die Realität moderner Jungen auch nur zu berühren.
Nicht Absichten und Überzeugungen der Erzieher helfen Kindern auf der Suche nach Anhaltspunkten für ihre Identität weiter, sondern allein authentische Autorität. Den Terminus der "guten Autorität" hat Bergmann schon in früheren Büchern (etwa: "Nur Eltern können wirklich helfen") eingeführt - gemeint ist ein Erzieher, der sich "fordernd, beanspruchend und unumgänglich" zeigt und dies durch seine eigene Persönlichkeit zu beglaubigen in der Lage ist: ein Vater — im besten Falle —, auf den "im Ernstfall Verlaß ist".
Männliche Eigenschaften geraten in Vergessenheit
Ein weiteres Problemfeld erkennt der Autor in dem für heutige Heranwachsende selbstverständlichen Umgang mit den neuen Medien. Computerkrüppel, exzessive Mobiltelefonierer, wochenendfüllende "LAN-Parties" - darüber haben schon viele Experten geschrieben. Eine derart umfassende Analyse wie die von Bergmann fehlte bislang. Nachdrücklich — und, das ist wichtig, stets einfühlsam, voller Empathie — erläutert der Psychologe das Flüchtige dieser virtuellen Kommunikation. Das Abhandenkommen einer materiellen Dimension greife auf das Weltverstehen der Jugendlichen über: "Den ganzen Tag kommunizieren bedeutet auch, daß viele alte männliche Eigenschaften in Vergessenheit geraten", hebt Bergmann hervor.
Neben der Mode einer schnellen, reibungsarmen und weitgehend konsequenzlosen Kommunikation per Mail oder SMS wachse die Sehnsucht nach einer ganz anderen Welt: radikal, hart und widerstandsfähig. Durch Aggressionen und Unkonzentriertheit kanalisiere sich dieses ungestillte Bedürfnis.
Bergmanns Buch lädt weder zum angelegentlichen Schmökern noch zum gezielten Nachschlagen ein. Es verdient, gründlich und mit höchster Aufmerksamkeit gelesen zu werden. Dann erweist es sich als wahre Schatzkiste: Hier ist ein Buch, das in jede Familienbibliothek gehört.
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2010
Deborah Blum schildert das Leben des exzentrischen und umstrittenen Wissenschaftlers Harry Harlow, der mit seinen legendären, jedoch grausamen Affenexperimenten die Kraft der Mutterliebe bewies und so den Grundstein für die Bindungsforschung legte. Von 1932 bis 1974 führten Harlow und seine Kolleg*innen die grausamen Experimente an der Universität von Wisconsin durch. Ihre Entdeckungen revolutionierten die Kinderpsychologie und -erziehung, die bis in die Mitte der 1950er Jahre durch Strenge und Distanz geprägt war.
Die Entdeckung der Mutterliebe : Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow / Deborah Blum
Person(en) Blum, Deborah (Verfasser)
Bergmann, Wolfgang (Verfasser eines Geleitworts)
Harms, Thomas (Herausgeber)
Verlag Gießen : Psychosozial-Verlag
Zeitliche Einordnung Erscheinungstermin: Oktober 2023