Niels Meyer, Kresten Petersen, Villy Sörensen 

Aufruhr der Mitte

Modell einer künftigen
Gesellschaftsordnung

 

"Bücher zur Sache"

1978 bei Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag,
Kopenhagen: Originaltitel: <Opror fra midten> 

1979 im Verlag Hoffmann & Campe 

Meyer, Petersen, Sörensen - Aufruhr der Mitte - Modell einer künftigen Gesellschaftsordnung 

1978   237+3 Seiten 

DNB.Buch 

Bing.Buch   Goog.Buch

detopiaM.htm 

Utopiebuch   Ökobuch

Strasser.2005   Schwendter.1994   Maresch.2004 
Chlada.2004   Bahro.1977   Ardila.1979 
Havemann.1980   Eppler.1981   Callenbach.1975 

In einem kleinen europäischen Land - in Dänemark - ist durch ein 1978 erschienenes Buch so etwas wie eine grüne Utopie wirksam geworden. Dort hat der Versuch von drei Autoren, eine ökologisch orientierte sozialistische Basis­demokratie mit geringen Restfunktionen des National­staates bis in Einzel­heiten auszumalen, die Gesellschaft bewegt. Eine deutsche Übersetzung des Buches ist fast unbeachtet geblieben. Für die deutsche Ökologie­bewegung zählen Experiment, Praxis und Bewegung offenbar mehr als klar umrissene Bilder einer erstrebens­werten Zukunft. 

Erhard Eppler, 1981, Wege aus der Gefahr,  S.108

Inhalt

Vorwort  (7) der Autoren 

Niels Meyer
Helveg Petersen
Villy Sørensen

ISBN 3-455-08889-9 #  Hanseatische Druckanstalt, Hamburg  
Ins Deutsche übertragen von Reinhold Dey

Literatur­nachweis (238-240) 

 


<Aufruhr der Mitte>, die in Dänemark vieldiskutierte Buchsensation — innerhalb eines Jahres wurden mehr als 100.000 Exemplare verkauft — über eine künftige Gesellschafts­ordnung wird hier vorgelegt. 

Nach eingehender Analyse der Schwächen des gegenwärtigen Gesellschaftssystems im Verhältnis zu den Bedürfnissen des Menschen entwerfen die Autoren das Modell einer humanen Gesellschaft des Gleichgewichts.

Dieses Modell hat für jede moderne Industriegesellschaft Relevanz, also auch für die Bundesrepublik Deutschland. 

Im Mittelpunkt des Buches steht mit dem Beispiel einer dänischen Stadt aus dem 21. Jahrhundert eine Version dieser Gesellschaft.

1  Hintergrund    (11)  

Überfluß- oder Mangelgesellschaft? (11) — Tödliche Widersprüche (13) — Entwicklungsglauben und Vertrauenskrise (14) — Aufruhr von Links und Rechts: und von der Mitte? (15) — Die wirtschaftlichen Ideologien (18) — Kritik am Liberalismus (19) — Ideologischer Krampf (21) — Kritik am Marxismus-Leninismus (22) — Revisionismus (24) — Bedürfnis nach einer demokratischen Ideologie (26) 

2  Warum eine Veränderung?   (29) 

Es gibt eine Grenze (29) — Mehr Menschen = mehr arme Menschen (31) — Die Medizin und die kranken Gesellschaften (33) — Technik, destruktiv oder konstruktiv (35) — Die Wirtschaft ist nicht wirtschaftlich (39) — Wirtschaftliche Freiheit, Gleichheit- und Eigentumsrecht (42) — Die großen Unternehmen und die Technostruktur (48) — Internationalisierung der Wirtschaft (52) — Behindern internationale Verpflichtungen Dänemarks Bewegungsfreiheit? (55) — Die nationale Wirtschaft (59) — Die Interessenverbände (64) — Das Parteiensystem und die repräsentative Demokratie (69) — Zentralisierung und Dezentralisierung, Bürokratie oder (Nah-) Demokratie (75) — Das Lenkungsinstrumentarium (78) — Das Bildungssystem (86) 

3  Die Grundlagen   (93) 

Der Mensch ist nicht nur ein Produkt der Gesellschaft (93) — Interessenbestimmte Menschenauffassung (96) — Der Mensch ist auch ein biologisches Wesen (98) — Moral: das ursprüngliche Lenkungsmittel (100) — Wirtschaft und Moral (101) — Sexualmoral (106) — Arbeitsmoral (112) — Gleichheit und Unterschiedlichkeit (115) — Formen der Aggression (118) — Aggressionsvorbeugung (125) — Freiheit und Lenkung (127) — Tradition und Erneuerung (130) — Individuum und Gemeinschaft, die Naturrechte (135) — Rational und Irrational; Wissenschaft und Kunst (138) — Schlußfolgerung (141) 

4 Das Ziel  (145) 

Gesamtbild der humanen Gesellschaft des Gleichgewichts (147) — Eine dänische Kommune im 21. Jahrhundert (153) — Die Produktion in X-Stadt (153) — Zusammenspiel zwischen Ausbildung und Produktion (159) — Wettbewerbsfähigkeit der Industrie (162) — Formen des Zusammenlebens (164) — Dezentralisierte Rechtspflege (168) — Politik auf kommunaler Ebene (169) — Politik auf nationaler Ebene (172) — Dänemarks Sicherheitspolitik (178) — Dänemark im internationalen Zusammenhang (180) — 

Dialog mit einem Skeptiker (182) 

5  Wege zum Ziel  (191) 

Von hier zur humanen Gesellschaft des Gleichgewichts (191) — Mittel des wirtschaftlichen Ausgleichs (192) — Einkommensausgleich in den freien Berufen (195) — Wirtschaftliche Vorteile durch Erbe müssen abgeschafft werden (198) — Entwicklung einer neuen Produktionsstruktur (200) — Wie entsteht die neue Produktionsstruktur? (202) — Wer wird an dem Experiment teilnehmen? (203) — Einige Anmerkungen zur Beweglichkeit des Kapitals (205) — Versuche mit neuen Formen des Zusammenlebens (207) — Vorbereitung auf eine aktive Nahdemokratie (207) — Politische Information auf nationaler Ebene (212) — Abschaffung überflüssiger Gesetze (214) — Die Beschäftigungsprobleme (216) — Ausbildung zu einer Gesellschaft des Gleichgewichts (218) — Experten und die Bewertung von Technologie (220) — Umweltprobleme (222) — Nutzung der begrenzten Rohstoffe (224) — Dänemark im internationalen Zusammenhang (228) — Die neue Weltwirtschaftsordnung (231) — Dänemark und die Sicherheitspolitik (233) — Die demokratische Herausforderung (236) 

Lesebericht   spiegel.de/kultur/eine-demokratie-im-kommunionsanzug   1979 

   

Vorwort der Autoren

7

<Aufruhr der Mitte> erschien in Dänemark im Februar 1978, und noch im selben Jahr wurden mehr als 100.000 Exemplare verkauft. Mehr als 2% aller Dänen haben mithin das Buch erstanden, und vermutlich haben es mehr als doppelt so viele gelesen. Außerdem sind drei Bücher über dieses Buch erschienen, und es werden noch einige folgen. In ganz Dänemark sind Arbeitskreise zu dieser Thematik entstanden. 

Eine heftige Diskussion über die Gedanken des »Aufruhrs« wird in mehreren Zeitungen geführt, und die Autoren haben sich mit einer Diskussions­zeitschrift ein eigenes Forum geschaffen. In der ersten Nummer dieser Zeitschrift wird Bundespräsident Walter Scheel zitiert, der im Frühjahr 1978 in einem <Spiegel>-Gespräch sagte:

SCHEEL: 
»Wir müssen stärker als bisher uns vorzustellen versuchen, wie unsere Welt im Jahre 2000 und darüber hinaus aussehen wird. Wir müssen dafür sorgen, daß wir — und damit meine ich nicht nur die Menschen in den Industriestaaten, sondern vor allem auch die in den Entwicklungsländern — im Jahre 2000 menschlich leben können. Menschlich leben heißt für mich, in Würde und Freiheit leben.«

SPIEGEL: 
»Wo ist der Nutzen solcher Perspektiven für die praktische Politik?«

SCHEEL: 
»Der Bürger braucht ein Bild der Zukunft, um Vertrauen in die Zukunft zu gewinnen, Vertrauen in die Politiker. Heute erleben Sie beim Bürger eine gewisse Skepsis, ob denn unsere demokratischen Institutionen in der Lage sind, alle diese großen Aufgaben auch zu lösen, die vor uns liegen. Dem Bürger fehlen die Orientierungs­punkte, ihm fehlt eine Utopie. Er braucht aber Angebote und Alternativen. Die Parteien und Politiker tun sich schwer. Das Krisen­management läßt ihnen kaum Zeit zum Luftholen. Sie müßten sich um Gesamtkonzepte bemühen, in denen alles zusammenpaßt: Energie- und Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik und Umwelt­schutz.«

Gedanken dieser Art sind den Nordeuropäern nicht fremd, sie finden sich in diesem Buch wieder, und sie mögen der Grund dafür sein, warum es in Skandinavien so großes Interesse geweckt hat.

Wir wissen es: Die Zukunft der gegenwärtigen Generation wird sich anders ausnehmen als die Zukunft früherer Generationen. Die Zukunft hat nicht nur begonnen — sie ist vielleicht auch bald zu Ende.

Aus dem Glauben an die Entwicklung ist bei vielen Menschen eine Angst vor der Entwicklung geworden, aber zugleich auch oft eine Angst vor Veränderung. Der Bürger hat offenbar Bedürfnis nach einem Zukunftsbild, das nicht abschreckend ist.

Das im Buch enthaltene Kapitel über eine dänische Stadt der Zukunft hat die größte Debatte ausgelöst und ist auf den größten Widerstand gestoßen. Es bekennt sich zur utopischen Tradition von Thomas Morus bis Ernst Bloch.

Die von uns skizzierte Gesellschaft ist — wohlgemerkt — nicht als Ideal gedacht, als endgültiges Ziel, sondern als Vorschlag, die Probleme der bestehenden Gesellschaft zu lösen. Es ist keine Vorhersage der Zukunft, sondern ein politisches Programm, das konkreter ist, als politische Programme meistens sind. Wie groß ist die Gültigkeit dieses Programms außerhalb der Grenzen Dänemarks und Skandinaviens? 

Das Buch betont, daß kleine Länder es im Vergleich zu größeren mal leichter, mal schwerer haben. Ihre Abhängigkeit vom Ausland ist größer, aber ihre Möglichkeiten, Veränderungen durchzuführen, sind es wohl auch. Dänemark hat fünf Millionen Einwohner, halb so viele wie New York. 

Wenn es in einem kleinen Land nicht möglich ist, überschaubare Verhältnisse zu schaffen, in denen der Bürger sich heimisch und für die er sich verantwortlich fühlen kann, so kann es nirgends geschehen.

Die humanen Ideen von Dezentralisierung, Mitbestimmung, Umweltschutz und alle die anderen Punkte, die in politischen Programmen stehen, können nicht von oben her verwirklicht werden: Der Protest gegen die Dominanz der großen Einheiten muß von unten ausgehen. Beispielsweise von den kleinen Ländern. Die Probleme selber aber sind in den großen Ländern nicht kleiner und nicht anders; in dieser Hinsicht ist das Buch auch eine Herausforderung der Kleinen an die Großen.

Der Titel des Buches deutet den Versuch an, zwischen Liberalismus und Marxismus einen dritten Weg zu finden. Der Liberalismus war die Ideologie der revolutionären Bürgerklasse, der Marxismus die der revolutionären Arbeiterklasse; sie entstanden vor 200 beziehungsweise 100 Jahren und passen nicht in die heutige Situation. In den modernen Wohlstandsgesellschaften gibt es keine unterdrückte Klasse, die durch eine radikale Änderung der Verhältnisse alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hat. Die Mehrheit ist an einer Veränderung nicht unmittelbar — das heißt wirtschaftlich — interessiert. Die tieferen menschlichen Bedürfnisse müssen die durch die drohende Ressourcenknappheit und das Nord-Süd-Gefälle erforderlich gewordene Veränderung herbeiführen. Das im Buch vorgelegte Programm zielt darauf ab, die wirtschaftlichen Motivationen hinter anderen Motivationen zurücktreten zu lassen, die Lebensqualität anstelle des immer größeren materiellen Wachstums zu betonen.

Der »Aufruhr der Mitte« forderte natürlich primär die Dänen heraus. Das Buch hat den spezifisch dänischen Hintergrund, daß der marxistischen Jugend­rebellion ein Aufruhr von Mogens Glistrup und seiner Fortschrittspartei gegen Steuerdruck und Staatsbürokratie folgte. Weitere Parteien entstanden. Das Folketing, das dänische Parlament, zählt jetzt elf Parteien; damit ist die Problemlösung selber zu einem Problem geworden. 

Die radikale Kritik von den Parteien der äußersten Linken und der äußersten Rechten hat die Parteien der Mitte in die Defensive gedrängt. Gefährlich ist aber nicht nur die Kritik, die überhaupt nichts gelten läßt, auch nicht das Erhaltenswerte. Gefährlich ist auch, alles Bestehende unkritisch zu verteidigen — und damit die radikale Kritik denen zu überlassen, die nichts erhalten wollen. 

Vor diesem Hintergrund tut ein »Aufruhr der Mitte« not — überall dort, wo die Polarisierung die Demokratie lähmt und zentralistischen Lösungen Tür und Tor öffnet. Es führt kein Weg an der großen demokratischen Mehrheit vorbei, die aber selbst aufbrechen muß — und zwar in eine neue Richtung.

10

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 wikipedia  Walter_Scheel    1974-1979 der vierte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

 

 

      

 

 

 

 

 

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