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Martin Miller
Das
wahre "Drama
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2013 *1950 176 Seiten detopia |
detopia-2022 : Das Buch ist jetzt fast zehn Jahre alt und wird nun allgemein wahrgenommen; es kommen weiterhin Leseberichte auf amazon hinzu. Ich finde solche "millermäßigen" Auseinandersetzungen von sensiblen Erwachsenen mit ihren Eltern sehr wichtig; und wohl insbesondere auch mit "der Mutter" - und zwar jetzt unabhängig von der konkreten Mutter Alicija. (Es gibt auch ähnliche Beispiele, wo die Mutter sich mehr um andere kümmert als um das eigene Kind.) Wenn wir die Gesellschaft so tief verstehen wollen, um die Ursachen der Zivilisation zu ergründen, dann brauchen wir eine Vielzahl solcher psychologisch-biografischen Aufarbeitungen. Denn Martin Miller ist zwar ein guter Mensch geworden, doch andere Menschen finden ihren (psychologisch-biografischen) Ausweg nur im Macht- und Geldstreben. Wir müssen also noch viel tiefer erkennen, wie das Leid und die Entbehrungen (auch) der (normalen) Kindheit unser Welt- und Menschenbild dauerhaft prägen, ja: uns gravieren wie eine Münze. (kurz gesagt: wir werden alle geldsüchtige Spießer) Nochmal: Es gibt viele "normale" autobiografische Memoiren. Ich will keine davon "verbrennen". Aber sie bringen uns noch nicht "auf den Punkt". Martin Miller hat einen Neuanfang gemacht, bei der Suche, wie die Kindheit unsere Ideale prägt, und zwar für das ganze Leben.
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Audio 2021 dlf dokumentarfilm-whos-afraid-of-alice-miller-die-zwei
Audio 2022 Gespräch 33 min Luftleerer Raum dlf gespuer-entwickelt-traumen-aufzuarbeiten Audio von Ulfried Geuter, 2013, 8 min Schattenseiten deutschlandfunkkultur.de/schattenseiten-einer-gefeierten-104.html Die Erziehungskritikerin Alice Miller wurde mit ihren Büchern über die Dramen der Kindheit weltberühmt. Dem eigenen Sohn gegenüber war sie jedoch eine abweisende Mutter. Martin Miller führt dies auf ihr Holocaust-Trauma zurück. Doch statt mit ihr abzurechnen, erzählt er ihr Leben nun als erhellende und berührende Tragödie. Anfang der 1980er-Jahre wühlten ihre Bücher eine ganze Generation auf: <Das Drama des begabten Kindes>, <Am Anfang war Erziehung>, <Du sollst nicht merken>. Kinder, so die Botschaft von Alice Miller, werden von ihren Eltern benutzt, drangsaliert, misshandelt. Psychotherapie kann eine Hilfe sein, um in Auseinandersetzung mit den Schmerzen der Kindheit sein "wahres Selbst" zu finden. Als Miller 1994 ihr erstes Buch <Das Drama des begabten Kindes> mit einer neuen Einleitung versah, konnte man spüren, dass etwas an der Art ihrer Botschaft nicht stimmte. Sie schrieb missionarisch, ihre Sprache wurde gewaltsam, und sie stellte die Kindheit schlechthin als "grausames Gefängnis" dar. Sie teilte die Welt in schwarz und weiß und verbannte den Zweifel. Wenn wir jetzt das Buch von Martin Miller lesen, verstehen wir, warum sie es tat. Seine Mutter sperrte ihr eigenes Leid in ihrer Seele ein und verbarg zeitlebens ihre jüdische Herkunft. Als Alicija Englard wurde sie 1923 im polnischen Piotrków in einer orthodoxen jüdischen Familie geboren. 1939 kam sie mit der Familie in ein Getto. Alicija konnte sich, ihre Mutter und ihre Schwester retten. Der Vater starb im Getto, die Großeltern wurden vergast. Alicija überlebte Krieg und NS-Herrschaft mit falschen Papieren in Warschau, immer in Angst vor einem Erpresser. "Die extreme Ausbildung eines falschen Selbst rettete meiner Mutter während des Krieges das Leben", schreibt der Sohn. An diese Erfahrung wollte sie nie erinnert werden. Zu Hause wurde nie darüber gesprochen. Der Sohn erfuhr ihre Geschichte erst, als er nach dem Tod seiner Mutter bei überlebenden Verwandten recherchierte. Aber er erfuhr die Nachwirkungen am eigenen Leib: Alice Miller gab ihn in seinen ersten sechs Lebensmonaten weg. Mit sechs Jahren kam er für zwei Jahre in ein Heim. Der Vater, mit der Mutter nach dem Krieg aus Polen in die Schweiz gekommen, war gewalttätig. Die Mutter schützte ihr Kind nicht. Als Martin erwachsen war, meldete sie ihn ohne sein Wissen zu einer Therapie an und verfolgte ihn in Briefen mit Vorwürfen, wie gestört er sei. Martin Miller druckt diese Briefe ab. Heute vermutet er, dass seine Mutter deswegen so hasserfüllt auf ihn losging, als er sich von ihr nicht "retten lassen" wollte, weil sie ihren Vater vor dem Tod im Getto nicht hatte retten können. Als die Mutter alt war, wurde sie von Schuldgefühlen geplagt. Aber sie und ihr Sohn fanden nicht mehr zueinander. Das gelingt Martin Miller erst nach ihrem Tod mit diesem Buch. Er erzählt die Geschichte seiner Mutter als Tragödie, ohne mit ihr abzurechnen und ohne sie zu glorifizieren. Und er bewahrt die Wertschätzung für ihr Werk. So hat er ein berührendes und erhellendes Buch geschrieben, voller Verständnis für zwei verwundete Seelen: ihre und seine. # |
Interview, 2013, 11 min, mp3 Von Liane von Billerbeck (2013)
deutschlandfunkkultur.de/es-war-nicht-schoen-der-sohn-von-alice-miller-zu-sein-100.html
Die Psychotherapeutin Alice Miller gilt als eine der Vorreiterinnen im Kampf um die Würde des Kindes gegen Misshandlungen und sexualisierte Gewalt. Ihre Bücher, insbesondere "Das Drama des begabten Kindes" und "Die Suche nach dem wahren Selbst" wurden Weltbestseller und gingen hart ins Gericht mit der traditionellen Pädagogik. Alice Miller hat die heutige Idee von Erziehung beeinflusst und geprägt. Einer breiten Öffentlichkeit viel weniger bekannt jedoch ist ihre eigene Biografie. 1923 in Polen geboren, in eine orthodoxe jüdische Familie, die Familie wurde von den Nazis verfolgt, der Vater ermordet, während Miller versteckt überlebte. Dennoch war von der Traumatisierung als Verfolgte und Überlebende Jüdin nach Millers Neuanfang in der Schweiz und nach ihrem Ruhm keine Rede. Dass dieses Trauma dennoch weiter wirkte und ihrem eigenen Kind eine alles andere als glückliche Kindheit beschert hat, das erzählt jetzt der Sohn Martin Miller in seinem gerade erschienenen Buch <Das wahre Drama des begabten Kindes> heißt es, <Die Tragödie Alice Millers>.
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"Es war nicht schön, der Sohn von Alice Miller zu sein"
Martin Miller ist jetzt bei uns im Studio, herzlich willkommen!
Billerbeck: "Es war nicht schön, der Sohn von Alice Miller zu sein, im Gegenteil, und trotzdem war meine Mutter eine große Kindheitsforscherin", habe ich da gelesen. Wenn der Sohn dieser großen Kindheitsforscherin ein Buch schreibt, da erwartet oder befürchtet man eine Abrechnung mit dieser vor drei Jahren gestorbenen Mutter. Vom Ton her ist das aber ein fast nüchternes Buch. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?
Billerbeck: Nun müsste man ja schildern, was da eigentlich geschehen ist. 1950 wird ein Kind geboren in Zürich, es nimmt die mütterliche Brust nicht, es wird weggegeben zu einer Bekannten. Als der Junge sechs ist, wird eine Schwester geboren mit Down-Syndrom. Er, der Sohn, der Bettnässer kommt ins Heim, wo die Eltern ihn nie besuchen, nicht mal am ersten Schultag. Mit acht kommt er zurück in die Familie, fühlt sich als Ausländer, die Eltern sprechen miteinander polnisch, und mit 17 bittet er darum, ins Internat zu kommen, das katholisch und hart ist, aber immer noch besser als die Familienhölle. Das könnte eine Fallgeschichte aus der Praxis der berühmten Psychologin Alice Miller sein, das war aber Ihr Leben, Herr Miller. Da müssen Sie sie doch gehasst haben.
Billerbeck: In Ihrem Buch habe ich gelesen, dass Sie wussten, dass Ihre Mutter bis zu ihrem Tode peinlichst darauf geachtet hat, dass nichts Persönliches von ihr an die Öffentlichkeit dringt. Aber wenn man die Biografie Ihrer Mutter liest, und die kommt ja vor in Ihrem Buch, dann hat man doch das Gefühl, diese Alice Miller war ein Opfer, eine Überlebende der Verfolgung. Ihr Vater ist von den Nazis ermordet worden, viele Bekannte, Millionen Juden - was um alles in der Welt hat sie gefürchtet?
Billerbeck: Nun ist ja inzwischen Einiges erforscht, man weiß, welche Rolle verdrängte Traumata aus Verfolgung und Krieg spielen, und zwar auch für die nächste und sogar übernächste Generation, also die Kinder und Enkel. Ihre Mutter wusste ja auch um die Wirkung von Verdrängung solcher Traumata. Wieso hat sie das für sich selbst nicht erkennen können? Sie war ja eine Fachfrau.
Billerbeck: Es war ja so, dass einmal, als Sie selbst in eine Krise gerieten, Sie, der Sohn, und sich psychologische Hilfe holen wollten, da hat ihre Mutter eine Art psychologischen Guru empfohlen, Konrad Stettbacher, bei einer Schülerin waren Sie dann in Therapie, und die Tonbandaufzeichnungen, die dabei angefertigt wurden, die gingen dann an Stettbacher, und der besprach sie mit Ihrer Mutter. Das ist doch der doppelte Verrat. Da hat die Mutter verraten und die Therapeutin - konnten Sie damit leben?
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Doppeltes Trauma Von Stefanie Oswalt · 18.10.2013
Wir
hatten Verwandte in Zürich, Ala, die Lieblingstante meiner Mutter, ihren
Mann Bunio und ihre Tochter Irenka. In ihrer Wohnung gab es diese
bereits erwähnten Gegenstände, die mich als Kind magisch anzogen. Sie
standen auf der Anrichte: Holzfiguren, die orthodoxe jüdische Männer
darstellten, und ein Chanukkaleuchter. Doch dass meine Verwandtschaft
mütterlicherseits Juden waren und was das für meine Familie bedeutete –
das war kein Thema im Hause Miller.
„Im letzten Moment eine Beziehung zum Judentum gefunden“ Erst nach dem Tod Alice Millers im April 2010 beginnt er, – übrigens ganz im Sinne ihres theoretischen Ansatzes – ihrer beider Leben zu erforschen. Mit Hilfe der Erzählungen von Verwandten erschließt er sich die Kindheitswelt der jungen Alicija Englard: Ihre Rebellion gegen die strenge und von ihr als scheinheilig empfundenen Regeln und Gesetze der jüdischen Orthodoxie. Miller recherchiert das Überleben seiner Mutter 1939 bis 1945 im Warschauer Untergrund – unter neuem Namen, stets verfolgt von einem Nazi-Spitzel und in anhaltender Todesgefahr. Durch diese Arbeit, sagt Miller, hat er sich eine eigene Identität erschrieben:
Rein äußerlich, sagt Miller, habe sich für ihn nicht viel verändert. Religiös oder fromm könne er mit seinen 63 Jahren nicht mehr werden. Aber emotional sei er nun endlich nach Hause gekommen. |
Der Sohn diagnostiziert Alice Miller von Tilmann Moser wikipedia Tilmann_Moser tilmannmoser.de Gleich zu Beginn der durchaus noblen Abrechnung des Psychotherapeuten und Sohnes Martin Miller mit seiner Mutter - einige Jahre nach ihrem Tod - steht, datiert aus den langen Jahren ihres Zerwürfnisses, ein wuchtiger Brief der Mutter an ihn: Er ist getränkt von Bitterkeit und Anklage gegen ihn, viel stärker als von Abbitte, zu der sie erst viel später fähig wird. Aber sie beklagt ihre eigene Beschädigung durch ihre Mutter und spricht damit eines ihrer zentralen Themen an: "Parentifizierung", das heißt den Missbrauch der Kinder für deren Sorge um eigene elterliche Elend: "Warum brauchte ich 60 Jahre, um zu sehen, wie grausam, zerstörerisch, ausbeuterisch, durch und durch verlogen und lieblos meine Mutter war? Dass sie die Liebe und das Leben in mir zerstörte ... Ich musste auch sehr früh lernen, zu helfen und verstehen zu wollen, wo nur Abscheu die einige adäquate Reaktion gewesen wäre ..." Während des ihr noch in ihrem Weltbestseller "Das Drama des begabten Kindes" noch um einfühlendes Verstehen des kindlichen Gefühls- und Identitäsverlustes unter dem Druck elterlicher Maximen ging, verschärft sich später der Ton gegen die Eltern durch eine strikte Mahnung an die Patienten zur Anklage, zum Ausdrücken des Hasses gegen diese und ihr Verbot des Fühlens. Sie selbst fühlt sich um ihre Gefühle betrogen, gezwungen sie zu verheimlichen oder zu verdrängen oder nicht mehr wahrzunehmen. Und diese Anklage und Verachtung schleudert die Analytikerin später der Psychoanalyse entgegen, in deren Fortbildungs- und Lehrinstitution sie sich zunächst lange heimatlich geborgen fühlte: sie indoktriniere und entmündige Menschen und predige ein feiges Versöhnlertum mit den Eltern, statt auf der Wahrheit des Hasses zu bestehen. Sie gilt ihr unbarmherzig als lebensfeindliche Sekte, die natürlich ebenso unerbittlich zurückschlug mit der auf Vernichtung angelegten Anklage der Häresie. Alice Miller überlebte als Jüdin in Warschau versteckt und mit falscher Identität den Holocaust, aber sie versenkt ihr Erleben in der Gruft totalen Schweigens und dem Versuch, diese entsetzliche Phase zu entwirklichen. Und so lieb sie auch ihrem Sohn als unwirklich und therapeutisch unerlöst, aber unter dem für ihn zerstörerischen Zwang, das Unverarbeitete, die Kälte, die Grausamkeit und die Identitätsverwirrung an ihn weiterzugeben. Er wirft ihr sogar Missbrauch vor, weil sie ihn nicht vor dem Sadismus des Vaters geschützt, mit dem sie in fast lebenslänglicher bittere Kampfehe lebte. Sie lebte so "gespalten", mit einer kämpferischen und auch rachsüchigen Seite, und dem eisern verborgenen frühen Elend und der notwendigen Verstellung, um die SS-Razzien zu überleben. Für ihre jahrelangen Todesängst gab es Grud: sie fühlte sich einem antisemitischen Polen ausgeliefert, der sie um Geld und Schmuck erpresste durch die Drohung des Verrats. All dies kehrt beschwiegen und unvorbereitet wieder, als sie im Alter paranoid wurde und sich für ihre letzten zwanzig Lebensjahre in Frankreich menschenscheu geworden verbarg und nur noch über das Internet mit der bösen Welt der Kritiker und dem Heer der verständnissuchenden Patienten aus aller Welt verkehrte, denen sie mit Ferndiagnosen zu helfen versuchte. Sie war erfüllt von ihrer Mission, eine neue und heilsamere Form der Psychotherapie zu kreieren, wurde aufbrausend und böse, wenn sie sich kritisiert fühlte, zürnte dem Sohn, als er ihr, als sie an Krebs erkrankt war, keine Sterbehilfe leisten wollte, und ließ sich in Bitterkeit verbrennen und die Asche in ihren geliebten Badesee verstreuen. "Auch ohne meine Hilfe organisierte sie sich ihren Tod." Der Sohn, selbst Therapeut, versuchte, noch immer bewundernd, nach ihren strengen Maximen zu therapieren, würdigt ihr theoretischen Verdienst durchaus, distanziert sich aber auch mit der These, dass vieles an ihren Maximen nicht für für seine therapeutische Praxis tauge, weil viel zu doktrinär und auch herrschsüchtig gegenüber den Patienten. Bei ihrem erbitterten Kampf gegen die Psychoanalyse liegt die Deutung nahe, sie habe ihr Leid und ihren Hass auf eine bigotte jüdische Regelverfallenheit und Lebensfeindlichkeit in ihrer Herkunftsfamilie direkt übertragen auf die Psychoanalyse als Institution und Lehrgebäude. Sie gab relativ frühe ihre Praxis auf, zur Rettung wurde Malen und Schreiben, und dies bis zuletzt in teils erklärenden, teils wütenden Botschaften, die auf tausenden von Bildschirmen aufleuchteten, teils direkt, teils aus dem Fundus ihrer stets erneuerten homepage. Sie polarisiert zunehmend alle Menschen, mit denen sie zu tun hatte, in Anhänger, Verfechter und Bewunderer auf der einen Seite, auf der andere in Verächter und wütende Gegner, und sie soll es sogar genossen haben. Was Martin Miller geschaffen hat, ist eine mutige literarische und therapeutische Großtat. Sein Buch verdient es auch, als Lehrstück gelesen zu werden für eine der unendlichen Varianten von Verstrickung zwischen zwei Menschen, die sich näher nicht sein könnten. |
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Martin Miller (2013)