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Einleitung 

von Marko Ferst 2002

 

7-10

Wohin treibt unsere Zivilisation? Immer offenkundiger wird: Wir sitzen mit den hochentwickelten Industrie­gesellschaften in einer Wohlstands­falle fest, der geschaffene Reichtum steht auf tönernen Füßen. Unser Beharren, an diesem erfolgs­verwöhnten Weg festzuhalten, wird uns wahrscheinlich Kopf und Kragen kosten. 

Immerhin rechnen 90% aller Menschen in Deutschland mit einer Erwärmung des Klimas und 86% fürchten, die globale Umwelt­verschmutz­ung nimmt zu. Nur 1% meinen dezidiert, dies treffe nicht zu.(1) Man weiß also bescheid oder ahnt doch zumindest, was auf uns zukommt. 

Das 21. Jahrhundert muß zu einer Epoche intelligenter, kulturvoller Selbstbegrenzung werden, eine Abkehr von unserer material­istischen Hochstapelei bringen, wenn wir die natürlichen Gleichgewichte unseres Planeten erhalten wollen. Ein zukunfts­fähiges Gesellschafts­system erfordert nicht nur den expansionistischen Schub der Zivilisation auszusetzen, sondern braucht auch eine ökologische Ethik, eine Wertewende, die zu einer Perspektive führt, die über den gesellschaftlich gebündelten individuellen Egoismus hinausreicht. Jede geistige Erneuerung beginnt im Menschen, dort wird der Boden bereitet für eine Alternative, für einen neuen Kultur­entwurf; so sehr die sozial­ökonomischen Veränderungen nach- und mitkommen müssen.

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Die ersten Lebewesen mit Zellkernen treffen wir vor 1,8 Milliarden Jahren auf der Erde an. Nach und nach entwickelte sich das Leben von primitiven, meer­bewohnenden Einzellern bis hin zu Säugetieren und dem selbst­reflekt­ierenden Menschen. Dies geschah keineswegs in kontinuierlichen Schritten. So gab es fünf große Massensterben und eine Reihe kleinerer regional begrenzter Ereignisse.

Im Perm vor 245 Millionen Jahren kam es zum bisher größten festgestellten Zusammenbruch. Innerhalb von 10 Millionen Jahren starben 90% aller Meeresbewohner und 70% aller landbewohnenden Spezies aus. Einen derartigen Verlust hatte es nicht mal vor 65 Millionen Jahren gegeben, als die Dinosaurier von der Bildfläche verschwanden.(2)

In der Regel brauchte die Evolution 20 bis 30 Millionen Jahre, um sich von diesem Schlag zu erholen und eine neue Artenvielfalt hervor­zubringen, im Falle der Permkatastrophe sogar 100 Millionen Jahre. Waren bei den bisherigen erdgeschichtlichen Massen­sterben Asteroiden­einschläge oder sehr starke Vulkantätigkeit die vermut­lichen Auslöser, ist es bei dem sechsten Massen­sterben, in dem wir uns jetzt befinden, die explosive Vermehrung der Gattung Mensch und ihrer Infrastruktur. Machen wir weiter wie bisher, werden wir in wenigen Jahrzehnten die Hälfte aller Spezies ausgerottet haben.

Wolfgang Engelhardt schätzt, für rund 370 Tier- und Pflanzenarten pro Tag ist alles zu spät. (3)

(1)  DNB.Buch -"Umweltbewußtsein in Deutschland 2000: Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungs­umfrage." Herausgegeben vom Bundes-Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor­sicherheit, S.31,77.

(2) detopia-2021:  Wikipedia  Massenaussterben - Dort steht sogar: innerhalb von 200.000 Jahren. Die Ursachen sind unbekannt (ob Erdinneres wie Magma oder Äußeres wie Meteorit, Sonne). 

(3) Wolfgang Engelhardt: Das Ende der Artenvielfalt  S.66

Die Totalkrise mit der wir es heute zu tun haben, setzt sich aus vielen Komponenten zusammen. Das Klima droht uns durchzugehen, die Ozonschicht ist gravierend geschädigt, die Erdbevölkerung verdoppelt sich in immer kürzeren Abständen, etliche Rohstoffe gehen schon in wenigen Jahrzehnten zur Neige, die Wüsten dehnen sich aus, die Wälder schrumpfen auf immer kleinere Inseln zusammen und vieles mehr. Wir brauchen eine globale Umkehr für eine ökologische, eine soziale und eine seelische Kultur-Evolution. 


Alle drei Autoren des Bandes sind sich darin einig, wir führen einen dritten Weltkrieg gegen die Natur. Wie wir darauf als planetarische Gemeinschaft antworten müßten, da wird man bei Alt, Bahro und Ferst unterschiedliche Schwer­punkt­setzungen erkennen. Sicher findet man auch den ein oder anderen Widerspruch. Das kann Anregungen zum Weiterdenken liefern.

Die Berliner Republik steckt in Bezug auf die ökologische Herausforderung schwerer in der Krise als die Weimarer Republik auf Grund der braunen Gefahr. Gegen den Naziaufstieg hätte eine gemeinsame Kraftanstrengung aller demokratisch-emanzipatorisch gesinnten Menschen eine Chance haben können. 

Die ökologischen Weltkrise wird durch nichts zu stoppen sein, wenn nur lange genug abgewartet worden ist. Bahro nannte das: Schlafen mit offenen Augen. Ihm ist klar gewesen, wir gehen auf eine "dunkle Zeit" zu, wenn wir nicht einen geistig-seelischen Kultursprung wagen. Wenn es zu spät ist, dann wird es nicht mehr ausreichen unsere Industrie­grundlast um eine Zehnerpotenz zurückzunehmen. 

Nur wenn wir die Tragweite der historischen Aufgabe begreifen und dement­sprechend konsequent politisch handeln, haben wir überhaupt eine geringe Chance, einen finalen erdum­spannenden Totalitarismus abzuwenden.

Egal ob der Bundeskanzler gerade von der SPD oder CDU/CSU gestellt wird: Die Unterschiede sind marginal. Gut, die CDU/CSU braucht noch einen Atom-GAU mehr zum Umdenken. Aber unter dem herkömmlichen Politik­betrieb mit seinem tönenden Kampfgerassel, braut sich längst eine menschliche Tragödie zusammen. Im Staatstheater stellt sich organisierte Verantwortungs­losigkeit zur Schau, Reformprozesse bleiben im Anziehungs­bereich der alten Ordnung. Eine <grüne Perestroika> mit Erfolgs­aussichten kommt nicht in Sicht. 

Die Ökologen verschiedener Richtungen, auch solche mit verschiedenen Parteibüchern in der Tasche, müssen in Deutschland, wohl aber auch in anderen Ländern und international sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Wir brauchen eine Allianz gegen den Selbstmordkurs, einen Prozeß des Umdenkens und Umhandelns, bei dem die Protagonisten des Wirtschaftswachstum auf eine Position des passiven Widerstands zurückgedrängt werden. Der geistige Stahlbeton der <Weiter-so-Fraktion> in der Gesellschaft wird aufzubrechen sein. 

Das Volk und die Vordenker müssen mehr und tiefgründiger ins Gespräch kommen, es wird auszuloten sein, wo die verschiedenen Reform­ansätze ihre Stärken und Schwächen haben. Das braucht mehr verantwortungs­bewußte Unterstützung aus den Medien heraus, da gibt noch viel zu oft die alte Sicht den Ton an. Das Buch <Klimawechsel> von H. Scheer und C. Amery ist ein gutes Beispiel, wie die verschiedenen ökologischen Richtungen in den Disput kommen könnten, wenngleich offene Fragen auch noch eine Spur radikaler angesprochen werden sollten. 

Wir brauchen heute an den verschiedensten Orten Menschen, die sich aus den vorgegebenen Strukturen lösen und eine universale Verantwortlichkeit für eine Politik der ökologischen Zeitenwende, für einen ethisch-geistigen Paradigmenwechsel kenntlich symbolisieren.

8/9


Es kommt zunächst mal besonders auf die Minderheit von einem Prozent im Lande an, die mit aller Konsequenz den Weg hin zu einer ökologischen Ordnung vorbereiten. Dazu gehört ein Netzwerk von Menschen, eine ökologische Emanzipations­bewegung, eine Volksbewegung wie sie sich Herbst 1989 in der DDR manifestierte, aber diesmal geht es um das Ganze, viel mehr steht auf dem Spiel. Scheitern heißt auf einen Abgrund zugehen.

Natürlich sind wir alle nicht perfekt. Jeder hängt noch irgendwo in alten Lebensgewohnheiten fest, oft auch wenn Zwänge schon längst gelöst sind. Allein das Bekanntsein von Problemen schafft nicht immer die Lust zum Umwelthandeln, bis an die Grenzen, die bereits abgeschritten werden könnten. Manchmal geht das dann aber doch viel schneller, wenn wir uns gegenseitig Anregungen, Anstöße verschaffen. Nicht jeder kann alles umsetzen. 

Natürlich gibt es sehr viele drängende Fragen: Darf man heute noch unbefangen Kinder in die Welt setzen? Hört man dazu den Dauertakt wie in armen Regionen Kinder sterben, läge für mich nahe, wenigstens einmal diesen Todeston zu unterbrechen über übrige Hilfe hinaus. 

detopia: Da muss ich nochmal im Buch nachgucken.

Was wir nicht brauchen können, ist eine neue <Hauptabteilung ewige Wahrheiten>, die sich anmaßt zu befinden wer "braune" Holzwege beschreitet, um alle möglichen ökologisch ambitionierten AutorInnen anzuschwärzen, ohne jeden ernsthaften Anhalts­punkt. Im Zweifelsfall werden dann auch Zitate gefälscht, wie bei Jutta Ditfurth. Substantielle Kritik bei den verschiedenen schwierigen Problemen muß sehr offen ausgesprochen werden, aber die Runtermache von Kratz, Geden u.a. liegt jenseits jeder Anstandsgrenze.* 

Wenig hilfreich sind auch jene Bestsellerschreiber,** die ihre Schäfchen auf der Antialarmismus-Strecke hüten. Natürlich kann man alle früheren Fehler z.B. der Klimaforscher und alle sonstigen gefahr­abmildernden Faktoren schön "wissenschaftlich" zu einer entwarnenden Streitschrift zusammen komponieren. Und die weißen Flecken in unserem Wissen kann niemand negieren. Nur lassen sich am Ende die Naturgesetze nicht hinters Licht führen. Freilich gilt das für alle Seiten. Nur die Datenlage ist doch immerhin so klar, daß der von verschiedenen Seiten offerierte <Ökooptimismus> und das Zelebrieren von <Ökoirrtümern> zum erheblichen Teil nichts anderes ist, als skrupellose Schönfärberei oder wenn man es moderater ausdrücken will, postmoderner Schabernack.

Wie anders soll man die systematische Ausblendung von zwar oft unwägbaren, aber hochgefährlichen Risiko­faktoren nennen? Im übrigen wäre es eine höchst anspruchsvolle Aufgabe für die oben genannten Politpolizisten, entsprechende Lektüre gründlich zu "entlarven".

*detopia-2006:  <Hauptabteilung> nach einem Buch von Havemann

Das Phänomen Jutta Ditfurth muss eines Tages aufgeklärt werden. Ich habe ihre Hauptbücher 1992,94 "recherchiert" indem ich ihre Quellenangaben nachgelesen habe und zwar IN DEN QUELLEN. Das Ergebnis besagt, dass Ju.Di. ganz furchtbar schummelt. Aber trotzdem hat sie Anhängerschaft - dafür muss es einen Grund geben.  Ju.Ditfurth bei detopia     Google.Kratz    Google.Geden 

*detopia-2013:  Auch für MMH (Maxeiner-Miersch-Horx) muss es einen Grund geben. Maxeiner-Miersch-Horx bei detopia   

9/10


Mit Rudolf Bahro hatte ich mich noch vor seinem zu frühen Tod über die Konzeption des vorliegenden Buches ausgetauscht und insbesondere die Idee des Intensiv­interviews mit Franz Alt faszinierte ihn in einer Weise, die mich selbst überraschte. 1994 hielt Alt einen Gastvortrag in seiner Vorlesungs­reihe. Ich hatte das angeregt. Schon lange zuvor war Bahro bei Alt auf Sendung und er schrieb eine Rezension zu Bahros Buch <Logik der Rettung>. Bei Alts Buchvorstellung <Die Sonne schickt uns keine Rechnung> diskutierten die beiden im Radio. 

Mein Kontakt kam so zustande: 

Ich hatte im Fernsehen einen der doch sehr unkonventionellen Umweltfilme von Franz Alt gesehen und ihm beim Umwelt-Auftakt-Festival in Magdeburg 1993 daraufhin bei einer Podiumsdiskussion eine Schrift von mir geschenkt. Er schrieb, womit ich gar nicht gerechnet hatte, zurück. Späterhin war ich gut über seine Sendetermine informiert, verfaßte für ihn Filmkritiken und Rezensionen.

Von Rudolf Bahro hatte ich aus Robert Havemanns Buch <Morgen> erfahren und besuchte über Jahre hinweg seine Berliner Vorlesungen, Seminare und andere Veranstaltungen, verfolgte das aufgeschlossen, war aber gerne aufgelegt zu kritischen Nachfragen.  Die vielen Anregungen und Erfahrungen, die ich durch ihn erhielt, möchte ich nicht missen. Da war viel zu lernen, eben auch dort, wo mir seine Positionen nicht hinzureichen schien. Das befördert ja auch eigene Suchbewegung. Für meine Vorschläge gab er sich immer sehr offen. In jedem Fall agierte er als ein faszinierender Universal­gelehrter und zählt gewiß zu den wichtigsten intellektuellen Persönlichkeiten des zu Ende gegangenen Jahrhunderts. 

So sind über die Jahre hin viele Anstöße gewachsen, die zu dem vorliegenden Buch führten. Wie schon erwähnt, in einigen Punkten vertreten wir auch sehr unterschiedliche Auffassungen. Mir ist allerdings von Anfang an aufgefallen, wenn man die Stärken in den Konzeptionen von Bahro und Alt neu integriert, führt das zu sehr bedenkenswerten Schlüssen.

Bedanken möchte ich mich bei Sabine Naumann, die den Hauptanteil der drei Vorlesungen Rudolf Bahros von den Tonkassetten abschrieb. Aus dieser Rohfassung arbeitete ich die hier vorliegende Endfassung heraus, die sich soweit wie irgend möglich, am gesprochenen Wort und Sinnzusammenhang orientiert. Einige Begriffserklärungen sind bei den Texten von Bahro zum besseren Verständnis von mir eingefügt worden. Einen herzlichen Dank auch an all jene, die ebenfalls an den Abschriften beteiligt waren, die mich tatkräftig beim Korrigieren des Bandes unterstützten und mir mit technischer Beratung bei der Herausgabe behilflich waren. Wir wünschen uns natürlich nicht nur einen konsumistischen Leser, einer der hier und da Kritik hat und das ein oder andere hoffentlich auch richtig findet.

Das Angebot lautet: 

Wer mithelfen will, mit einem eigenen Textbeitrag an der Frage mitzudenken, wie eine ökologisch-soziale Weltgesellschaft 2050 oder 2070 aussehen kann, der ist herzlich eingeladen, aktiv zu werden. Die verschied­ensten Aspekte würden da in den Blick geraten können. Qualitativ Gelungenes kann man sicher auch öffentlich machen. Mein Kapitel zur ökotopianischen Zukunftsordnung mag einige Anregungen geben, anderseits auch die Filme aus der Zeitsprung-Reihe von Franz Alt.

Es wäre auch denkbar, in Abständen eine Zukunftswerkstatt nach dem Modell von Robert Jungk zu veranstalten, zur Frage wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen könnte, wenn es Menschen gibt, die organi­satorisch helfen.

10

Marko Ferst

  www.detopia.de    Anmerkungen    Literatur       ^^^^ 

Wege zur ökologischen Zeitenwende - Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem