Wolfgang Harich

Weltrevolution jetzt

Zur jüngsten Veröffentlichung
des Club of Rome 

 

 

Zeitschrift <Z.>  Nr. 8/91 = 12/1991 

zeitschrift-marxistische-erneuerung.de 

1991   10 Seiten

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detopia

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Umweltbuch 

Harich-1975

Bahro-1990-Nachwort 

Club-of-Rome    Pestel 

Meadows   Herbert.Gruhl 

63-72

Vor drei Jahren hielt der <Club of Rome> es keineswegs für ratsam, mit einer Stimme zu sprechen:

"Obwohl wir uns in der gemein­samen Sorge um die Zukunft der Menschheit einig sind, sind doch Herkunft, Ideologien und Denkansätze für die Lösung der Probleme bei unseren Mitgliedern so unterschiedlich, daß die Bemühung um Konsens unvermeidlich zu einem substanzlosen, ja einfältigen Kompromiß in der Beurteilung der Weltlage führen müßte."  

So Sir Alexander King in seiner Einführung zum Bericht <Jenseits der Grenzen des Wachstums>, den 1988 Eduard Pestel wie gewohnt an den Club und nicht etwa in dessen Namen erstattet hatte. Inzwischen haben die nunmehr 100 Mitglieder sich eines Besseren besonnen.

Hinter dem soeben erschienenen neuesten Bericht <Die globale Revolution> (Spiegel Spezial 2/1991) stehen sie erstmals alle, einmütig - King nicht ausgenommen. Die prekäre Weltlage hat sie dazu gebracht, "über ihre Differenzen in einzelnen Fragen hinwegzusehen, um sich auf eine gemeinsame Analyse zu verständigen und gemeinsame Ziele zu proklamieren."

Gemeinsame Ziele — das ist auch inhaltlich prinzipiell neu. Es bedeutet viel. Zumindest wird es das Gerede über - vermeintliche - Kassandra­rufe beenden helfen. Denn Kassandra sagt unaufhaltsames Verhängnis voraus. Die Berichte an den Club-of-Rome dagegen haben stets nur Alarm geschlagen vor dem, was geschehen könnte, falls nichts getan werde, um die in ihnen geäußerten Befürchtungen zu widerlegen.

Ihre Autoren gleichen darin den zur Umkehr rufenden biblischen Propheten, deren - mit Ernst Bloch zu sprechen - "aktivierende Donnerpredigt" nicht so sehr Vorhersage des Schicksals als vielmehr Anweisung zu seiner Vermeidung ist und folglich geradezu einen <Anti-Kassandra-Effekt> hat (für den als Symbolfigur am ehesten die trommelnde Kattrin aus Brechts <Mutter Courage> sich anböte). 

Die system-analytische Prognostik spricht prosaischer von "alternativen Annahmen im Modell", von denen, laut Pestel, "Verfahren vom Typ <Wenn ... dann> oder vom Typ <Was ... wenn> verwendet werden". 

Zur Vorausschau solch nicht-fatalistischer Art kommt nun aber der Appell an zielbewußtes Wollen und Handeln, das beeinflußbare Faktoren ins Kalkül zu ziehen weiß, hinzu. 

Und beeinflußbar — weil nicht durch Instinktzwang festgelegt; weil obendrein lernfähig — ist, bei gleichzeitiger Konstanz seines Selbst­erhaltungs­triebs, allemal der Mensch. Durch die beiden neuen Momente zusammen erhält die Hauptsache, die dem Buch den Titel gibt, erst ihr volles Gewicht. 

 

         

         

detopia dankt André Leisewitz aus Frankfurt/Main für seine Hilfe bei der Wiederbeschaffung dieses Textes. 

Ich habe sparsam in die Zeichensetzung eingegriffen.

Eine planetarische Wende fordern Harich 1991 und Gruhl 1975. Und 2009 erinnert der Deutschlandfunk daran.

Man muß aber auch sagen, daß viele Voraussetzungen für eine ordentliche Weltrevolution fehlt (1975, 1991 und heute 2018):

Es gibt kein "revolutionäres Subjekt", keine "revolutionäre Situation", keine "revolutionäre Vorhut", es gibt keine "Massenbasis". 

Es gibt welt-öko-revolutions-mäßig rein gar nichts und davon viel zu wenig.

Dennoch soll und muss "die Forderung nach der Ökopax-Weltrevolution" immer mal wieder ausgesprochen werden.

Ebenso interessierte mich, wie sich Harichs Denken seit 1975 weiterentwickelte. Auch hier wurde ich im Artikel fündig.

Der Titel <Weltrevolution jetzt> erinnert auch an <Demokratie jetzt>.

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Noch 1988 hat Pestel — weiland Kultusminister im CDU-regierten Niedersachsen — denjenigen, denen in den siebziger Jahren "die Welt für umsturzreif" gegolten hat, nachträglich eine schneidende Absage erteilt. Ihnen sei damals die dem Club unterstellte(!) Forderung nach Nullwachstum, zum Schaden für die Sache, "als gratis gelieferte Munition gegen das Establishment äußerst gelegen" gekommen. 

Dies dürfte sich gegen Ansichten etwa Manfred Siebkers richten, und gemeint ist gewiß erst recht die Idee eines wachstumslosen, homöo-statischen Weltkommunismus — ableitbar aus Prämissen, wie 1972 die aufsehenerregende MIT-Studie <Grenzen des Wachstums> von Dennis Meadows u.a., sie enthielt. 

Jetzt, 1991, hält offenbar der Club in corpore die Welt für "umsturzreif". Wie anders sollte es zu verstehen sein, daß er gleich eingangs eine "große Revolution auf globaler Ebene" — <Weltrevolution> wäre nur ein anderes Wort dafür — erwartet und bereits auf der nächsten Seite vor den verheerenden Konsequenzen warnt, die "sich aus dem unveränderten Fortbestand der wirtschaftlichen Systeme und des menschlichen Verhaltens ergeben würden" — fortbesteht das kapitalistische Wirtschaftssystem.

Der linken Einstellung kommen - bewußt oder unbewußt - weitere Einsichten entgegen: 

Durch Marktmechanismen allein ließen sich globale Probleme nicht lösen, "wenn diese einen langfristigen strategischen Ansatz erfordern oder es sich um Probleme der Verteilung handelt". Die in einer Marktwirtschaft wirksamen Kräfte könnten überdies "gefährliche Nebenwirkungen haben, weil sie nicht auf dem allgemeinen Interesse gründen", wobei die internationale Finanzspekulation "ein besonders eindrückliches Beispiel für die Exzesse eines Kapitalmarkts" sei, der "von dem aberwitzigen Prinzip des Profits um jeden Preis beherrscht" werde. 

Der Markt kümmere sich nicht "um Langzeitfolgen, um das Wohl künftiger Generationen oder um Ressourcen, die Gemeingut sind". Er fördere Eigennutz und Habgier. Ungezügelt führe sein brutales Wirken "zu Ausbeutung, Vernachlässigung sozialer Aufgaben, Zerstörung der Umwelt" sowie zur Verschwendung von für die Zukunft lebenswichtigen Gütern. 

Ähnlich problematisiert der Club die landläufige Überschätzung der pluralistischen Demokratie. Die sei kein Patentrezept, bekomme nicht alles in den Griff, kenne ihre eigenen Grenzen nicht. "Die Komplexität und die technische Natur vieler heutiger Probleme gestatten es nicht immer, daß gewählte Volks­vertreter zur rechten Zeit kompetente Entscheidungen treffen."  

Zu sehr kreise die Tätigkeit der politischen Parteien um Wahltermine und Rivalitäten, zu kurzsichtig bevorzugten Regierungen Lösungen, die nächstliegenden Nutzen brächten, auf Kosten langfristiger Perspektiven. "Regieren verkommt zur regelmäßig wiederkehrenden Krisenbewältigung, zum Taumeln von einem Notfall zum anderen".


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Das historische Selbstverständnis, mit dem der Club seine eigene Genesis begreift, bewegt sich auf derselben Linie. Die "große Wende" habe das Jahr 1968 gebracht. In Koinzidenz mit dem Ende einer langen Nachkriegs­periode raschen wirtschaftlichen Wachstums in den Industrieländern, mit sozialen Unruhen und Studentenrevolten, mit Anzeichen von Entfremdung und kulturkritischem Protest, mit "ersten Ansätzen eines breiten, öffentlich artikulierten Umwelt­bewußtseins" habe just damals eine Gruppe unabhängiger Denker zusammengefunden, um die Arbeit der öffentlichen Organisationen durch die Auseinander­setzung mit mehr langfristigen und grundsätzlichen Problemen zu ergänzen. 

Dies muß blasphemisch klingen für manchen, der, aus Befangenheit in zu engem Epochenbewußtsein oder aus antikommunistischem Ressentiment, den Begriff "große Wende" lieber dem Jahr 1989 vorbehalten sähe, dem Datum, das für den Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" in Osteuropa und der Sowjetunion am repräsentativsten ist. Vom Club of Rome wird, demgegenüber, auf der einen Seite die Bedeutung der hiermit zusammenhängenden Ereignisse nüchtern durch die Feststellung relativiert, daß ja noch vor kurzem die Comecon-Länder in der Weltwirtschaft keine große Rolle gespielt hätten.

Andererseits erkennt der Club - frei von Triumphgefühl - die Ambivalenz ihres Debakels, das Chancen, aber auch Risiken in sich birgt: das Risiko nicht nur der Destabilisierung dieses Weltteils, sondern auch das einer weiter sich verschlechternden Situation der Entwicklungsländer im Süden und zugleich die Chance "wahrhaft globalen Engagements", zumal in der Abrüstung. Es sei "unwahrscheinlich, daß uns die Geschichte noch einmal eine Gelegenheit bietet, die so umfassend und vielversprechend ist wie diese, und es ist deshalb entscheidend, daß die Menschheit sie weise nutzt". Die Verhältnisse seien "extrem im Fluß", kaum gäbe es mehr Beschränkungen, und möglicherweise könne aus ihrer Konsolidierung "die Umstrukturierung und Erneuerung einer viel größeren Region und vielleicht des ganzen Weltsystems" erwachsen.

Ob jemals die Weltrevolution im Realsozialismus eine Basis hatte, ist heute mehr als zweifelhaft. Daß sie einer solchen, in Gestalt irgendeines anderen "Sozialismus in einem Land", künftig gänzlich und endgültig wird entraten müssen, scheint gewiß. 

Fragt sich, wie, mit welch konkreter Aufgabenstellung die Revolution nun, gleichsam ab ovo, neu ins Werk zu setzen sein wird, wenn anders die Spontaneität der sie objektiv vorantreibenden — oder von ihr aufzuhaltenden — Prozesse nicht in ein weltweites totales Chaos münden soll. 

Der Club of Rome schätzt die Schizophrenien des gegenwärtigen Weltzustandes als dermaßen gewaltig, verwickelt und unheildrohend ein, daß es eigentlich "tausend Stiere gleichzeitig bei den Hörnern zu packen" gelte. 

Er hebt aber — und Anhänger Lenins dürfen sich hier in der ihnen vertrauten Lehre vom "Hauptkettenglied" nahezu bestätigt sehen — aus der gesamten Welt­problematik drei Bereiche heraus, die sofort in Angriff genommen werden müßten: 

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Dabei setzt die Reihenfolge der Aufzählung keine differente Priorität. Eins ist so dringlich wie das andere. Die fundamentalste Bedeutung kommt an sich zwar dem zweiten Bereich zu. Doch da — zum Beispiel — die Rettung der noch verbliebenen Waldbestände, namentlich der tropischen Regenwälder in den Armutszonen des Südens, für die Stabilisierung des Klimas von enormer Wichtigkeit, voraussetzt, daß die drückendste Not der dort ansässigen Bevölkerung schnell behoben wird, wofür wiederum die für Rüstungszwecke aufgewendeten Etatmittel aller Staaten gebraucht werden, kann von einer Rangfolge der dergestalt ineinander verzahnten Erfordernisse keine Rede sein. 

Und andersherum: 

Weil die für dauerhafte Friedensbewahrung (sollte ihr der Vorrang einzuräumen sein) so unentbehrliche Rüstungskonversion ökonomisch wie ökologisch nur noch größeren Schaden anrichtete, wenn fortan "statt Panzern Automobile, statt Kriegsschiffen und Unterseebooten Handelsschiffe und Tanker gebaut" würden, hängt sachgerechtes Angehen der ersten Aufgabe vom ständigen Mitbedenken der zweiten ab. 

Das "Hauptkettenglied", mithin, ist schon in sich komplex verwoben. Selbst bei strenger Auswahl des Vordringlichen gelingt die Konzentration auf ein einziges, schlechthin zentrales Anliegen nicht mehr. Lenins taktisch kluger Rat bedarf also zeitgemäßer Anreicherung. Und jene "tausend Stiere" stellen sich nachgerade doch ein, sobald man die drei wildesten unter ihnen nur fest genug bei den Hörnern packt. 

Die Linke, die grüne, die rosafarbene, die rote - Kommunisten stalinistischer und trotzkistischer Herkunft einbegriffen -, kann unzweifelhaft politisch besten Gewissens die drei genannten Kernaufgaben der globalen, der Weltrevolution bejahen. Aus Nabelschau, mutloser Lethargie, einander ausgrenzendem Richtungsstreit sollte sie daher herausfinden, um sich - zu Aktionseinheit und Bündnispolitik bereit - hingebungsvoll in den Dienst dieser drei Aufgaben zu stellen, und so wieder offensiv werden. Gelingen wird ihr das freilich nur, wenn sie den Sinn des "neuen Denkens" in seiner ganzen Tragweite begreift, anerkennt, ernstnimmt und im eigenen Handeln zur Geltung bringt. 


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Dazu gehören: 

Die Unterordnung spezieller Interessen unter allgemeinere, speziell proletarischer unter allgemeinmenschliche — die (allerdings wahrlich) nicht mit den (hyperspeziellen) der Großbourgeoisie identisch sind —, ferner die resolute Abkehr von gewalttätigen Kampfmethoden und — neben manch weiterem — die Absage an jedwedes Diktaturtheorem undemokratischer Art. 

Wobei der letztgenannte Punkt an dieser Stelle insofern besonders zu unterstreichen ist, weil besagte Idee eines wachstumslosen, homöostatischen Kommunismus in ihrer ursprünglichen, einzig bekannt gewordenen Version, von 1974 f., mit dem Gedanken an eine Ökodiktatur kontaminiert war und die Berufung auf das Demokratie­verständnis des Club-of-Rome den — irrtümlichen — Verdacht nahelegt, daß daran hier nach wie vor festgehalten werde.  [(d-2009:)  Was meint er?  Sein Buch mit Duve von 1975?]

Im <real existierenden Sozialismus> der Breshnew und Honecker ist — gleichviel, ob die nicht konnten oder nicht wollten — die sie blauäugig umwerbende, an ihr Verantwortungsbewußtsein appellierende Offerte, das ihnen zu Gebote stehende Machtinstrumentarium verschont zu lassen, ja zu rechtfertigen, falls sie es, unter Absage an westliche Konsumnormen, vorbeugend gegen tödliche Zukunftsgefahren einsetzten, nie auch nur in Erwägung gezogen worden. Sie haben das Angebot unterdrückt, verfolgt, verleumdet wie jede andere Dissidens. 

Nachdem ihr System zusammengebrochen ist, könnten, von dessen immerhin nicht-kapitalistischer sozial-ökonomischer Basis losgelöst, antidemokratische Konzepte nur noch imperialistischem, womöglich rechtsextremem Diktaturgelüst Vorschub leisten. Denkbar wäre das faschistoide Zerrbild einer Ökodiktatur, die mit Hilfe kurzlebiger technologischer Pseudolösungen einen allenfalls mittelfristig noch gedeihenden Naturschutzpark als hübsche Umgebung für die Herrenrasse herstellt, die, verschanzt hinter Mauer und Stacheldraht, eine aus Süd und Ost verzweifelt andrängende Menschenflut sich notfalls durch atomaren Genozid vom Leibe hält. — Nein danke!

Der Gedanke der Ökodiktatur war - übrigens - von einer historisch nicht hinreichend belehrten Erinnerung an den Beginn des Zweiten Weltkriegs eingegeben. Von einem Tag zum anderen waren am 1. September 1939 Lebensmittel und andere Gebrauchsgüter in Hitlerdeutschland streng rationiert und auch Autobesitzern das Fahren mit ihren Wagen untersagt worden; sie bekamen auch kein Benzin mehr. 

Wenn die Bevölkerung für die Durchsetzung verbrecherischer Aggressionsziele derartige Einschränkungen hingenommen hatte — und die waren das einzig Erträgliche, um nicht zu sagen Angenehme an dem damaligen Krieg —, dann schien es kaum abwegig, einer roten Diktatur, einer, die sich anderen, entgegen­gesetzten Zielen verpflichtet wußte als die braune der Nazis, angesichts der ökologischen Krise analoge Maßnahmen abzuverlangen, damit der Selbst­vernichtung des Homo sapiens Einhalt geboten werde. 


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Noch heute erklärt der Club-of-Rome ja selbst, daß die Menschen als Ansporn "eine gemeinsame Motivation, einen gemeinsamen Feind" brauchten, daß die neuen Feinde, nicht weniger wirklich als die früheren, nun "die ganze Menschheit bedrohten" und daß sie "Umweltverschmutzung, Wasserknappheit, Hunger, Unterernährung, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit" hießen. Die Assoziation eines rettenden "Kriegskommunismus" samt Diktatur, aufzubieten gegen diese Widersacher menschlicher Wohlfahrt, mag sich da abermals aufdrängen.

Doch so zu denken ist eben grundverkehrt. Schon die historische Ausgangsüberlegung stimmt nicht. Die Briten in ihrem Krieg von 1939 — einem ausnahms­weise gerechten —, haben, ohne die Demokratie abzuschaffen, sich die erforderlichen Versagungen im breiten Konsens von Konservativen, Labour-Partei und Liberalen auferlegt. Und auf demokratische Konsensbildung aller politischen Kräfte zur Bannung der bereits anhebenden globalen Katastrophen dringt der Club of Rome. 

Linke mögen es als abstoßend empfinden, wenn Pestel in diesem Kontext sogar die in Japan tradierte paternalistische Konsenspflege ins Spiel bringt, die es nur auf die Umwelt­heraus­forderungen auszudehnen gelte. Für Linke annehmbar sollte es auf jeden Fall sein, daß das Autorenkollektiv der <Globalen Revolution> sagt: 

"Unterschiedliche Wert- und Moralvorstellungen gibt es überall in der Gesellschaft, und wir müssen auch hier schließen, daß nur durch eine übergeordnete gemeinsame Ethik des Überlebens der Menschheit und unseres Planeten auseinanderstrebende Interessen harmonisiert werden können oder zumindest eine gegenseitige Toleranz erzielt werden kann."

Alten Kommunisten dürfte dies schwerlich absolut ungewohnt vorkommen; jüngere Kenner ihrer Parteigeschichte, werden es wissen: Demokratischen Konsens gegen den Faschismus hat einst der VII. Weltkongreß der Komintern angestrebt. Freilich, die von ihm initiierte Volksfrontpolitik war aufs schwerste und schädlichste stalinistisch belastet. Sie kam viel zu spät, als daß sie in Deutschland Hitlers Machtantritt beizeiten hätte vereiteln können. Sie hat danach, durch die sowjetische Außenpolitik gezügelt, das in Frankreich und mehr noch in Spanien aussichtsreiche Hinüberwachsen der Bewegung ins Sozialistische abgeblockt. Diesen Klassenverrat wiederum sicherte in der Sowjetunion Stalin nach innen mit blutigem Präventivterror gegen die Trotzkisten und deren Umfeld ab. Und als der Bumerang all seiner Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen nebst den sie flankierenden Verbrechen dann furchtbar auf die Volksfront zurückschlug, da blieb die fast zwei Jahre lang gelähmt durch den Hitler-Stalin-Pakt. 

Soviel ist leider wahr. 

Trotzdem haben von 1935 an Kommunisten in aller Welt bündnispolitisch Beträchtliches geleistet und partnerschaftlich-kooperatives Verhalten, ganz im Sinne Pestels, eingeübt, das ihnen heute, besännen sie sich darauf und entsagten sie dabei jedwedem hegemonialen Hintergedanken, als Mitstreitern der globalen, der Weltrevolution sehr zustatten käme. "Neues Denken" mag sie dazu beflügeln, um so mehr, als sie auf einengende Großmacht­interessen eines "Vaterlandes aller Werktätigen" keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen brauchen. 


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Der globale Charakter der anstehenden drei Kardinalaufgaben könnte ihrer internationalistischen Tradition neuen Auftrieb geben, ihr eine neue, gediegenere, den Zeichen der Zeit gemäße Qualität verleihen. Ihre Beweggründe, Trübsal zu blasen, dürften sie hinter sich lassen, ihr Mittun wäre, immer noch und wieder, gefragt.

Wer soll das Subjekt der globalen Revolution sein? 
Antwort: Alle!  

Weil die Existenz aller auf dem Spiel steht, muß es möglich sein, jeden einzelnen dahin zu bringen, daß sein elementarer Egoismus sich herausgefordert sieht und so für ein "weltweit aufgeklärtes und gemeinsames Eigeninteresse" der Menschheit im ganzen gewonnen und mobilisiert werden kann. Dieser Egoismus ist bei den meisten Menschen nun "nicht auf ihre eigene Lebensspanne beschränkt, sondern erstreckt sich auf die ihrer Kinder und Enkel, mit deren Dasein sie sich identifizieren", weshalb es nicht von vornherein aussichtslos ist, "<egoistisch> auf Verhältnisse hinzuarbeiten, die künftigen Generationen eine würdige und wahrhaft menschliche Existenz ermöglichen"

Das Klasseninteresse der Herrschenden wird bei dieser Argumentation des Club of Rome zwar nicht eigens thematisiert, aber er redet auch keineswegs der Illusion zu Munde, es ließe sich ignorieren. Es illusionslos in Rechnung zu stellen, es des Schlimmsten für fähig zu halten, es in seiner gesetzmäßigen Bedingtheit durch das kapitalistische System zu durchschauen und auf den Begriff zu bringen, bleibt marxistischem Denken unverwehrt. 

Die Gesellschaftsanalyse des Marxismus hat, recht verstanden, namentlich leninistisch verstanden, jedoch nie auf einen Fatalismus hinausgeführt, und deshalb ist mit ihr der Appell des Clubs durchaus zu vereinbaren, der jegliches Sonderinteresse, das der Bewahrung des Lebens auf der Erde, der Rettung der menschlichen Gesellschaft widerstreitet, mit der Anklage zu konfrontieren gebietet, insgeheim auf den teuflischsten, niederträchtigsten aller Hintergedanken, auf die Maxime "Nach mir die Sintflut" eingeschworen zu sein. Unschwer ist einzusehen, daß es ein wirksameres Verfahren, den Kapitalismus mit wissenschaftlicher Begründung zum Offenbarungseid zu zwingen, heute gar nicht geben kann. 

Und genau so zu verfahren, verlangt die Logik des "neuen Denkens". Das partnerschaftliche, kooperationsbereite Konsensangebot an alle, also auch an die reaktionärsten, destruktivsten Kräfte, läßt diesen, so wie die Dinge jetzt liegen, gar keine andere Wahl, als entweder umzukehren oder sich eine schlechthin tödliche moralische Blöße zu geben. Wahrscheinlich müßte als Auftakt des Bewußtmachens dieser Alternative ein weltweites Referendum organisiert werden, das den Fortbestand der Menschen und ihre die Sintflut heraufbeschwörenden Süchte und Gewohnheiten zur Wahl stellt.

Von den globalen Herausforderungen nun haben unleugbar die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Jahre die öffentliche Aufmerksamkeit immer mehr abgelenkt. Der wiedererwachende Nationalismus war und ist daran wohl am meisten beteiligt. So sehr der Club of Rome, dieser Aeropag edler Humanisten und Kosmopoliten, ihn mißbilligt, so wenig läßt er sich durch ihn entmutigen.


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Es zeugt von seiner Weisheit, daß er, in diesem Zusammenhang, der sich machtvoll regenden ethnischen Egozentrik, ungeachtet ihrer vielfach gar nicht zu verkennenden bornierten Züge, sogar gute Seiten abgewinnt, weil sie ihm die Verlagerung politischer Verantwortlichkeit vom zentralisierten Nationalstaat weg, hin zur lokalen Basis zu begünstigen scheint, im Sinne des zweiten Teils seiner Parole: "Global denken, lokal handeln!" In vertikaler Aufwärtsrichtung will der Club gleichzeitig Kompetenzen, die weltweite Überlebensprobleme tangieren, vom Nationalstaat weg, hinauf zu einer neu zu ordnenden UNO verlagert sehen. 

So gut wie alle Darlegungen auch hierzu, mit Einschluß der Gedanken zu zeitgemäßerer Qualifikation der Politiker, sind außerordentlich klug, bedeutungsvoll und hilfreich. Angeregt wird die Schaffung eines Umwelt­sicherheitsrats der Vereinten Nationen, in dem "nicht nur die Mitglieder des bestehenden Weltsicherheitsrats, sondern auch die Entwicklungsländer stark vertreten sein" sollten. (Mutmaßlich würde das postulierte Gremium gegen den Golfkrieg sein Veto eingelegt haben, vielleicht mit dem Erfolg, daß es brennende Ölquellen in Kuweit nicht gäbe.) 

 

Vorgeschlagen werden weiter Weltentwicklungskonferenzen, etwa nach dem Muster der Zollsenkungsrunden des Gatt, ein "umfassendes Weltprojekt zur Entwicklung alternativer Energien", zu organisieren nach der Art eines Netzwerks, das der "üblichen bürokratischen Unbeweglichkeit ... eines konventionellen internationalen Zentrums" vorzuziehen wäre, sowie eine Studie zum Energieproblem in der Landwirtschaft, mit dem Ziel, deren Energie­verbrauch zu senken und ihre Emissionen an Klimagasen zu reduzieren. 

In flexiblen und dynamischen Institutionen, oft nur provisorisch und auf Zeit einzurichten, elastisch statt stabil, fähig zur Anpassung an sich wandelnde Anforderungen, soll eine Politik neuer ethischer und lernfähiger Qualität zum Zuge kommen, erleuchtet von interdisziplinärer wissenschaftlicher Erkenntnis, motiviert nicht mehr durch den Genuß der Macht und der mit ihr verbundenen Privilegien, sondern durch "die Befriedigung, der Gesellschaft dienen zu dürfen".

Diese und weitere Tugenden müßte, nach Meinung des Clubs, vor allen anderen öffentlichen Persönlichkeiten der Generalsekretär der Vereinten Nationen in sich verkörpern, ein Amt, von dem im übrigen nicht einzusehen ist, wieso man es immer nur Männern anvertraut habe: Frauen seien bisher nicht einmal als Kandidaten dafür in Betracht gezogen worden. Ein erster, leiser Anflug von Feminismus wird da spürbar, was aber in keiner Weise als ausreichend betrachtet werden kann.

Die biologische Verknüpfung von Mütterlichkeit und Zukunftssorgen, die unterschiedliche Rolle der Frau in den diversen Kulturen der interdependenten Welt, Programm und Perspektive einer generellen Feminisierung der Gesellschaft, die Vorzüge eines neuen Matriarchats sind Themen, für die das Buch bedauerlicherweise kein Interesse aufbringt. 

Zu wünschen wäre dem Club of Rome, daß er sich von diesbezüglichen Überlegungen, wie sie etwa eine Francoise Eaubonne bereits in den siebziger Jahren angestellt hat, inspirieren ließe und, dementsprechend, sich dazu entschlösse, in seinen Mitgliederkreis streitbare Feministinnen aufzunehmen. 

 wikipedia   francoise+eaubonne    Ökofeministin  1920-2005


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Ein anderes zu rügendes Defizit besteht im Mangel an kulturpolitischer Dimension. Dem künftig abzuhelfen wäre im Hinblick auf die Fragen sinnerfüllten Lebens, welche die Arbeitslosigkeit und Arbeitszeitverkürzung aufwerfen, dringend vonnöten. 

Philosophie und Geisteswissenschaft, Dichtung, bildende Kunst und Musik, rezeptiv genossen, aktiv betrieben, mit Ehrgeiz und Lernbereitschaft diskutiert, der massenhafte Erwerb klassischer humanistischer Bildung in Wechselwirkung mit der Entfaltung der schöpferischen Potenzen des Individuums, könnte die trostlos niederdrückende Qual des Gefühls, überflüssig zu sein, nicht gebraucht zu werden, zu freudig bejahter Muße für höhere Betätigungen und Zwecke wandeln und obendrein noch die meist mit materiellen Ansprüchen gekoppelten kompensatorischen Bedürfnisse zurückdrängen helfen, die ohne Rohstoff­verschwendung und umwelt­belastendes Verhalten kaum je zu befriedigen sind. 

Und was, vollends, wäre geeigneter, die Armseligkeit und Öde eines Universums erahnen und begreifen zu lehren, in welchem die Erde, für Menschen unbewohnbar, auf ihrer elliptischen Bahn um das Zentralgestirn unseres Planetensystems dahinzöge, was wäre anspornender, dies unter keinen Umständen, um keinen Preis zuzulassen, als innige Vertrautheit mit den Gipfelleistungen der Hochkultur? 

Daß Raffael und Rembrandt, Shakespeare und Goethe, Bach, Mozart und Beethoven, Aristoteles und Hegel, Balzac und Tolstoi nicht letztlich umsonst gelebt haben dürfen, daß wir alles daransetzen, ihr Fortwirken bis zum Erkalten der Sonne zu gewährleisten - das sind wir den Galaxien des Kosmos schuldig.

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Diesen Beanstandungen sei zum Schluß noch eine Erwägung hinzugefügt, die global orientiertem Denken zu speziell erscheinen mag, als daß es Gegenstand berechtigten Einwandes sein könnte, sie in dem Buch ebenfalls zu vermissen. Sie betrifft die revolutionären Auspizien des nationalen Dilemmas der heutigen Deutschen. 

Außer Zweifel steht — und der Club of Rome spricht dies mit dankenswert rücksichtsloser Offenheit aus —, daß die Lösung der Weltproblematik der gegenwärtigen Generation, namentlich in den industrialisierten und Wohlstands­regionen, viele materielle Opfer abverlangen wird. 

Die Initiative, die nötige Bereitschaft dazu zu wecken und ein Vorbild dafür zu liefern, ist vor allem von dem nun wiedervereinigten Deutschland zu erhoffen, und das aus dem einfachen Grund, weil das westöstliche Wohlstandsgefälle hier in einem Staat fortbesteht, dessen Verfassung Gleichheit der Lebens­verhältnisse in allen seinen Teilen vorschreibt, herzustellen nicht erst in zwei oder fünf oder zehn Jahren, sondern sofort. 

Alle Bestrebungen, diesen Mißstand durch Anhebung des Lebensstandards im Territorium der Ex-DDR auf westdeutsches Niveau zu überwinden, laufen den Intentionen des Club of Rome diametral entgegen. 

Richtig und sinnvoll, seinen Ratschlägen gemäß wäre es, den umgekehrten Weg zu beschreiten: den einer Angleichung nach unten, unter drastischen materiellen Einbußen für die alten Bundesländer, verbunden mit mehr sozialer Sicherheit (auf gleichmäßig bescheidenem Niveau) und verbesserter Lebensqualität für alle.

Dies läge auf der strategischen Linie der lebensrettenden globalen Revolution und wäre überdies auch noch revolutionär im althergebrachten Sinn: Friede den Hütten, Krieg den Palästen (gewaltfreier "Krieg" versteht sich)!

Denn was hätte es zur Folge, in Westdeutschland, wo, laut Vermögensstatistik, 40 Milliardäre und knapp 90.000 Millionäre ansässig sind, wo die Regierenden Gehälter, die Abgeordneten Diäten von schändlicher Unmäßigkeit beziehen, den dort weniger begüterten Volksmassen patriotisch begründbaren Verzicht aufzuerlegen? 

Die Frage stellen heißt sie beantworten. 

Brächte Deutschland diese revolutionäre Leistung zustande, statt eines ökologisch ganz und gar unerwünschten Wirtschaftswunders nach dem Modell der fünfziger Jahre im Osten, dann hätten jene allzu Reichen mit Recht das Nachsehen, aber der ganzen übrigen Welt wäre ein nicht hoch genug zu veranschlag­ender Dienst erwiesen: Sie würde erleben, daß so zu verfahren möglich ist, und das wieder würde Schule machen, überall.

Mit gutem Grund könnte die Völkergemeinschaft dann erst den Deutschen all das vergeben, was der Hitlerfaschismus ihr im düstersten Jahrzwölft der deutschen Geschichte angetan hat.

Deutschland fällt - so gesehen - eine Schlüsselrolle in der globalen, der Weltrevolution zu.

Den deutschen Linken ist daher zu allererst zu raten, sich gründlichem Studium der neuen Veröffentlichung des Club of Rome zu widmen, die darin entwickelten Lehren und Vorschläge sich zu eigen zu machen und sie mit den unverzichtbaren, wertbeständigen, zeitüberdauernden Wahrheiten der marxistischen Überlieferung zu verknüpfen, um die Synthese beider Errungenschaften des Menschengeistes alsbald in Praxis umzu­setzen. 

Und wenn der Club of Rome sein Vorhaben, nationale Assoziationen in rund dreißig Ländern auf fünf Erdteilen ins Leben zu rufen, auch in Deutschland wahrmacht — und vielleicht hat er dies schon getan —, dann dürfen gerade hier die Linken sich von niemandem darin übertreffen lassen, mit ihm in Verbindung zu treten, bei ihm kontinuierlich Rat zu suchen, an ihn die sie bewegenden Fragen heranzutragen. 

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E n d e

 

 

 

 

 

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Weltrevolution jetzt! Von Wolfgang Harich (Artikel 1991) Zur jüngsten Veröffentlichung des Club of Rome